Faust I und Waldorfpädagogik: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Kersting - Faust im Studierzimmer.jpg|miniatur|250px|Faust im Studierzimmer (Gemälde von [[Wikipedia:Georg Friedrich Kersting|Georg Friedrich Kersting]], 1829)]]
[[Bild:Steiner.jpg|thumb|Dr. phil. Rudolf Steiner (1861-1925), der erste Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, Begründer der anthroposophischen Bewegung, Entwickler der Erziehungskunst, wie sie in den Waldorfschulen angewendet wird, und von 1919 bis 1925 Leiter der ersten Waldorfschulein Stuttgart]]
'''Faust I''', vom Autor '''Faust, der Tragödie erster Teil''' betitelt, wurde von [[Johann Wolfgang von Goethe]] im Jahr [[Wikipedia:1806|1806]] vorläufig beendet und [[Wikipedia:1808|1808]] veröffentlicht; die überarbeitete Fassung in der ''Ausgabe letzter Hand'' erschien schließlich 1828/29.  Vorangegangen war [[Wikipedia:1790|1790]] der Teildruck ''[[Faust. Ein Fragment]]''; die Entstehung der Textfassung des so genannten [[Urfaust]] (wohl 1776 oder 1777) lässt sich nicht mehr in allen Einzelheiten klären.
Die '''Waldorfpädagogik''' ist eine von [[Rudolf Steiner]] entwickelte Lehr- und Erziehungsmethode, die darauf ausgerichtet ist, die freie Entfaltung der einzigartigen [[Individualität]] des heranwachsenden Kindes nach besten Kräften zu fördern.  


Das [[Wikipedia:Dramatik|Drama]] greift die vielfach von anderen Autoren beschriebene Geschichte des [[Johann Faust|Doktor Faustus]] auf und weitet sie zu einer Menschheitsparabel aus.
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"Ein Rätsel der Natur, das er zu lösen hat, soll jedes werdende Menschenwesen dem Menschen sein, der Erzieher sein will." {{Lit|{{G|052|216}}}}
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== Charaktere ==
== Waldorfpädagogische Einrichtungen ==
Die Waldorfpädagogik wird heute vor allem in folgenden Einrichtungen angewendet und weiterentwickelt:


*''[[Wikipedia:Heinrich Faust|Heinrich Faust]]'', ein Gelehrter
*[[Waldorfkindergarten|Waldorfkindergärten]]
*''[[Mephistopheles]]'' (Mephisto), der Teufel
*[[Waldorfschule]]n
*''Gretchen'' (Margarethe), Fausts Geliebte
*[[Heilpädagogik|Heilpädagogische Einrichtungen]]
*''Marthe'', Gretchens Nachbarin
*''Valentin'', Gretchens Bruder
*''Wagner'', Fausts Famulus


== Inhalt ==
Von vielen anderen pädagogischen Methoden unterscheidet sich die Waldorfpädagogik dadurch, dass sie das Kind nicht primär zu fertig vorgegebenen Bildungszielen hinführen will, sondern die Kräfte aufzuwecken sucht, die - ganz individuell - in dem Kind selbst schlummern.


=== ''Vorspiel'' ===
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"Die Waldorfschul-Pädagogik ist überhaupt kein pädagogisches System, sondern eine
Kunst, um dasjenige, was da ist im Menschen, aufzuwecken. Im Grunde
genommen will die Waldorfschul-Pädagogik gar nicht erziehen, sondern
aufwecken. Denn heute handelt es sich um das Aufwecken. Erst müssen
die Lehrer aufgeweckt werden, dann müssen die Lehrer wieder die
Kinder und jungen Menschen aufwecken." {{Lit|{{G|217|36}}}}
</div>


Das Stück beginnt mit der '''"Zueignung"''', in der Goethe seinem Publikum von dem Schaffensprozess seines Werkes berichtet.
== Förderung der Individualität ==
Darauf folgt das '''"Vorspiel auf dem Theater"''', in dem drei Personen, der Direktor, der Dichter und die Lustige Person über die Frage diskutieren, was Theater sein soll.


=== Prolog im Himmel ===
Jeder Mensch ist einzigartig und muss daher auf ganz individuelle Weise unterstützt werden, seine besonderen Fähigkeiten zu entfalten.  
Der Prolog im Himmel eröff net mit dem tönenden Gesang der Erzengel Michael, Gabriel
und Raphael, die „die unbegreiflich hohen Werke“ von Gottes Schöpfung preisen. Mephistopheles,
der dagegen auf Erden alles „herzlich schlecht“ findet, bietet dem Herrn die Wette
um dessen „getreuen Knecht“ Faust an, um zu beweisen, wie leicht selbst dieser vom rechten
Weg abzubringen sei. Gut gelaunt, ist ihm doch der „Schalk“, der die Menschen herausfordert,
am wenigsten zuwider, geht der Herr darauf ein: „Solang‘ er auf der Erde lebt, solange
sei dir‘s nicht verboten“ - nur um den Teufel letztendlich zu beschämen, denn zwar „irrt der
Mensch, solang er strebt“, doch „Ein guter Mensch, in seinem dunklen Drange, ist sich des
rechten Weges wohl bewußt.


=== Studierzimmer ===
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Indessen verzweifelt Faust in seinem modrigen engen gotischen Studierzimmer an den unüberwindlich
"Auf Dogmen, Prinzipien und Lehren
scheinenden Grenzen der abstrakten Wissenschaft en: „Habe nun, ach, Philosophie,
kommt es nicht an; auf das Leben kommt es an und auf
Juristerei und Medizin, und leider auch Theologie durchaus studiert, mit heißem
die Umsetzung der Kräfte, welche aus der Selbstlosigkeit
Bemühn. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor!“ So hat sich Faust
und dadurch aus der Wahrnehmungsfähigkeit für den Geist
der Magie ergeben: „Ob mir durch Geistes Kraft und Mund nicht manch Geheimnis würde
fließen." {{Lit|{{G|052|216}}}}
kund... Daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, schau‘ alle Wirkenskraft
</div>
und Samen, und tu‘ nicht mehr in Worten kramen.“ Er berauscht sich durch Nostradamus
Buch am Zeichen des Makrokosmos, das ihm die wirkende Welt der Naturkräft e enthüllen
soll, aber alles bleibt ihm endlich doch nur abgeschmackter Trug, ein bloßes „Schauspiel
nur“. Im Zeichen des Mikrokosmos beschwört er schließlich den Erdgeist, dessen mächtige
flammende Erscheinung ihn aber völlig niederschmettert: „Du gleichst dem Geist, den du
begreifst, nicht mir!“


Es ist eben doch nur der abstrakte Geist der Wissenschaft, den Faust begreift , der nun leibhaftig verkörpert als sein Famulus Wagner, der „trockne Schleicher“, hereintritt, der Faust
Am heranwachsenden Kind selbst ist die ihm gemäße Pädagogik immer wieder neu abzulesen - unter weitestgehender Zurückstellung der eigenen Persönlichkeit des Lehrers oder Erziehers.
in ein gelehrtes Gespräch verwickeln will. Faust spottet seiner und schickt ihn endlich verdrossen
weg. Des Lebens überdrüssig will er durch Gift aus dieser engen Erdenwelt scheiden
- vielleicht mag es so auch gelingen die Pforten des Jenseits aufzustoßen - „und wär‘ es mit
Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen!“ Doch die morgendlichen Osterglocken und Chor der
Engel „Christ ist erstanden!“, ziehen mit Gewalt den Gift Kelch von seinen Lippen.


=== Osterspaziergang ===
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Für kurze Zeit erquickt sich Faust an der erwachenden Frühlingsnatur und am ausgelassenen
"Eine Auslöschung der eigenen Persönlichkeit in gewissem
Treiben des Volkes. Wagner gleitet ihn auf seinem Osterspaziergang. Alle rühmen Faust
Sinne ist nun aber auch notwendig bei einer einzelnen Aufgabe,
ob seiner uneigennützigen Hilfe bei der letzten Pestepidemie, doch eben diese Ehren trüben
die eine unendliche Wichtigkeit für das alltäglichste
wieder seine Laune. Weiß er doch nur zu gut, wie wenig seine obskuren alchemistischen
menschliche Leben hat, beim menschlichen Erziehungswesen.
Künste vermögen, wie oft er Gift statt wahrer Arznei verabreicht hat: „Was man nicht weiß,
In jedem heranwachsenden Menschen, von der Geburt
das eben brauchte man - und was man weiß, kann man nicht brauchen.“ Innerlich zerrissen
des Kindes an, durch die Entwicklungsjahre hindurch, ist
fühlt sich Faust: „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Die eine will sich von der
es ja im innersten Kern der menschlichen Wesenheit der
andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust, sich an die Welt mit klammernden Organen;
Geist, der sich entwickeln soll; der Geist, der zunächst verborgen
die andre hebt gewaltsam sich vom Dunst zu den Gefi lden ferner Ahnen.
ruht innerhalb des Körpers, verborgen ruht innerhalb
Schon bricht die Dämmerung herein, als Faust einen sonderbaren schwarzen Hund erblickt,
der Seelenregungen des sich entwickelnden Menschen.
der die beiden Spaziergänger umschweift . Wagner erscheint er als ganz gewöhnlicher Pudel,
Stellen wir uns diesem Geist gegenüber, mit unseren Interessen
doch Faust vermeint einen Feuerstrudel auf seinen Pfaden hinterdrein ziehen zu sehen.
- ich will nicht einmal sagen Wünschen und Begierden
-, machen wir den heranwachsenden Menschen von
unseren Interessen abhängig, dann lassen wir unseren Geist
einströmen in den Menschen und wir entwickeln im Grunde
genommen das, was in uns ist, in dem werdenden Menschen.
Aber ich will nicht einmal sprechen davon, daß wir
unsere Wünsche und Begierden tätig sein lassen bei der
Erziehung eines heranwachsenden Menschen, sondern nur
davon, daß nur allzuoft, ja, daß es fast Regel ist, daß der
Erzieher seinen Verstand sprechen läßt, daß der Erzieher
seine Vernunft vor allen Dingen fragt, was zu geschehen
hat behufs dieser oder jener Erziehungsmaßregel. Dabei
berücksichtigt er nicht, daß er einen werdenden Geist vor
sich hat, der nur dann sich seinem Wesen entsprechend
bilden kann, wenn er sich diesem Wesen entsprechend allseitig
frei und ungehindert entfalten kann, und wenn ihm
von dem Erzieher Gelegenheit gegeben wird zu dieser Entfaltung.
Einen fremden Menschengeist haben wir vor uns.
Einen fremden Menschengeist müssen wir auf uns wirken
lassen, wenn wir Erzieher sind. Wie wir gesehen haben,
daß in der Hypnose, im abnormen Zustand der Geist unmittelbar
auf den Menschen wirkt, so wirkt in einer anderen
Gestalt, wenn wir das Kind vor uns haben, der sich
entwickelnde Geist des Kindes unmittelbar auf uns und
muß auf uns wirken. Dieser Geist wird aber nur von uns
ausgebildet werden können, wenn wir uns, ebenso wie bei
anderen höheren Verrichtungen, auszulöschen vermögen,
wenn wir imstande sind, ohne Einmischung unseres Selbst,
ein Diener des uns zur Erziehung anvertrauten Menschengeistes
zu sein, wenn dieser Menschengeist von uns in die
Gelegenheit versetzt wird, sich frei zu entfalten." {{Lit|{{G|052|213f}}}}
</div>


=== Studierzimmer ===
== Die drei goldenen Regeln der Erziehungs- und Unterrichtskunst ==
Zusammen mit dem merkwürdigen Pudel, der beständig um seine Füße schleicht, betritt
Faust wieder sein Studierzimmer. Die tiefe Nacht, die mittlerweile hereingesunken ist, gibt
seiner Seele kurzen Frieden, den nur das leise aber beständige Knurren des Pudels stört.
Wenn sich die geistige Wirklichkeit schon nicht Fausts Seelenblick eröff nen mag, so vermag
ihn vielleicht das geoff enbarte Wort der Heiligen Schrift weiter zu führen. Es drängt Faust,
den heiligen Urtext in sein „geliebtes Deutsch“ zu übertragen. „Am Anfang war das Wort“,
beginnt Faust den Prolog des Johannesevangeliums zu lesen - doch wenig befriedigt ihn diese
Übersetzung - er kann das „Wort“ so hoch unmöglich schätzen. Besser stünde hier wohl
„Sinn“, oder „Kraft “? Nein, „Am Anfang war die Tat!“, meint Faust endlich und der Pudel
knurrt dabei bedenklich, dehnt sich als schwarzer Schatten, schwillt riesenhaft an, einem
Nilpferd gleich, mit feurigen Augen und schrecklichem Gebiß. „Das ist nicht eines Hundes
Gestalt!“ Mit magischen Sprüchen versucht Faust das gespenstische Wesen zu bannen, doch
dieses grinst ihn nur an. Erst das christliche Zeichen des Kreuzes zeigt Wirkung. Der Nebel
zerfließt und Mephistopheles muß in seiner wahren Gestalt erscheinen - „Das also war des
Pudels Kern!“ Faust erscheint belustigt: so hat er denn durch seine Künste den Fliegengott,
den Verderber selbst herbeigezwungen. Mephisto, wie er selbst bekennt, ist „ein Teil von jener
Kraft , die stets das Böse will und stets das Gute schafft .“ „Ich bin der Geist, der stets verneint...
So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches
Element.“ Und dieser fi nstere Geist scheint nun gar Fausts Gefangener zu sein. Das Zeichen
des Mikrokosmos, das Pentagramm, das Faust auf die Türschwelle gezeichnet hatte, hindert
den Teufel zu entweichen. Durchs Fenster oder den Schornstein kann er nicht, denn es ist
ein ehernes Gesetz der Geister und Gespenster, das sie nur dort hinaus können, wo sie hereingeschlüpft
sind - und eben daran hindert ihn das vermaledeite Pentagramm. „Die Hölle
selbst hat ihre Rechte? Das fi nd‘ ich gut“, meint Faust: „Da ließe sich ein Pakt, und sicher
wohl mit Euch, Ihr Herren, schließen!“ Doch das wäre kein rechter Teufel, der sich nicht zu
helfen wüsste. Mit zartem Gesang wiegen seine kleinen Helfer Faust in tiefen Schlaf. Und da
Mephisto sich auch als unbestrittener Herr der Ratten wissen darf, so nagen diese ihm leicht
eine Ecke des Pentagramms weg und er ist frei.


Faust, erwachend, fühlt sich abermals betrogen. Hat ihm ein Traum den Teufel vorgelogen,
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und daß ein bloßer Pudel ihm entsprang? Doch schon klopft es, Mephisto ist wieder
"Religiöse Dankbarkeit gegenüber der Welt, die sich in dem
zur Stelle - nun als freier, nicht als gefangener Teufel. So läßt sich gut der Pakt mit Faust
Kinde offenbart, vereinigt mit dem Bewußtsein, daß das
schließen, dem lange schon vor allem Wissen ekelt und der sich nun an den Tiefen der
Kind ein göttliches Rätsel darstellt, das man mit seiner Erziehungskunst
Sinnlichkeit berauschen will. Das kann Mephisto leicht bieten. „Welche Bedingung daran
lösen soll. In Liebe geübte Erziehungsmethode,
geknüpft ist?“ Nun, so wie sich Mephisto hier zu Fausts Dienst verbindet, so mag Faust ihm
durch die das Kind sich instinktiv an uns selbst
später drüben in der anderen Welt dienen! Das „Drüben“ kann Faust wenig kümmern und
erzieht, so daß man dem Kinde die Freiheit nicht gefährdet,
so wird der Pakt, wie Mephisto fordert, mit einem Tröpfchen Blut besiegelt, denn „Blut ist
die auch da geachtet werden soll, wo sie das unbewußte
ein ganz besond‘rer Saft !“. „Nur keine Furcht, daß ich dies Bündnis breche“ - wenn sich die
Element der organischen Wachstumskraft ist.
Natur schon Fausts Geist verschließt, wenn höhere Erkenntnis ihm nicht möglich ist, so will
er sich dem Taumel weihen, dem schmerzlichsten Genuß: „Stürzen wir uns in das Rauschen
der Zeit, ins Rollen der Begebenheit.


Ein Schüler naht, von Faust belehrt zu werden - doch Faust will ihn nicht sehen; so schlüpft
<center>
Mephisto in dessen Rolle und führt den naiven Burschen mit diabolischem Vergnügen an
{|
der Nase herum. „Eritis siccut Deus scientes bonum et malum“ schreibt er ihm endlich
|-
ins Stammbuch und meint bei sich: „Folg‘ nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der
| <poem>Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen
Schlange, Dir wird gewiß einmal bei deiner Gottähnlichkeit bange!“
In Liebe erziehen
In Freiheit entlassen</poem>
|}
</center>
" {{Lit|{{G|269|179}}}}
</div>


=== Auerbachs Keller ===
== Pädagogik auf menschenkundlicher Grundlage ==
In der feucht-fröhlichen Atmosphäre von Auerbachs Keller sucht Mephisto Fausts sinnliche
Bedürfnisse zu befriedigen und treibt allerlei Schabernack mit den trunkenen Gesellen, um
Faust zu ergötzen. Doch der ist nur angewidert.


=== Hexenküche ===
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So soll denn ein Verjüngungstrank aus berufener Hexenhand Faust helfen, all die sinnlichen
"Verhängnisvoll müßte es werden, wenn in den pädagogischen Grundanschauungen, auf denen die Waldorfschule aufgebaut werden soll, ein lebensfremder Geist waltete. Ein solcher tritt heute nur allzu leicht dort hervor, wo man ein Gefühl dafür entwickelt, welchen Anteil an der Zerrüttung der Zivilisation das Aufgehen in einer materialistischen Lebenshaltung und Gesinnung während der letzten Jahrzehnte hat. Man möchte, durch dieses Gefühl veranlaßt, in die Verwaltung des öffentlichen Lebens eine idealistische Gesinnung hineintragen. Und wer seine Aufmerksamkeit der Entwickelung des Erziehungs- und Unterrichtswesens zuwendet, der wird diese Gesinnung vor allem andern da verwirklicht sehen wollen. In einer solchen Vorstellungsart gibt sich viel guter Wille kund. Daß dieser anerkannt werden soll, ist selbstverständlich. Er wird, wenn er sich in der rechten Art betätigt, wertvolle Dienste leisten können, wenn es sich darum handelt, menschliche Kräfte für ein soziales Unternehmen zu sammeln, für das neue Voraussetzungen geschaffen werden müssen. - Dennoch ist gerade in einem solchen Falle nötig, darauf hinzuweisen, wie der beste Wille versagen muß, wenn er an die Verwirklichung von Absichten geht, ohne die auf Sach-Einsicht begründeten Voraussetzungen in vollem Maße zu berücksichtigen. Damit ist eine der Forderungen gekennzeichnet, die heute bei Begründung einer solchen Anstalt in Betracht kommen, wie die Waldorfschule eine sein soll. In ihrem pädagogischen und methodischen Geiste muß Idealismus wirken; aber ein Idealismus, der die Macht hat, in dem aufwachsenden Menschen die Kräfte und Fähigkeiten zu erwecken, die er im weiteren Lebensverlauf braucht, um für die gegenwärtige Menschengemeinschaft Arbeitstüchtigkeit und für sich einen ihn stützenden Lebenshalt zu haben.
Genüsse nachzuholen, die er in seiner Jugend versäumt hat. „Doch warum just das alte Weib,
kannst du den Trank nicht selber brauen?“, meint Faust, angeekelt von der widrigen Zauberstube.
„Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt; allein der Teufel kann’s nicht machen“, muß ihm
Mephisto erwidern. Indes die Hexe noch nicht im Haus ist, treiben der Meerkater und die
Meerkatze, die sonderbaren Diener der Hexe, mit Mephisto ihren Spaß, was dieser belustigt
geschehen läßt. Währenddessen erscheint in einem Zauberspiegel das Bild der schönen Helena,
das Faust ganz in seinen Bann zieht, bis endlich mit mächtigem Getöse die Hexe durch
den Rauchfang hereinfährt. Auf Mephistos Geheiß bereitet sie mit allerlei Zaubersprüchen
den Verjüngungstrank und gibt ihn Faust zu trinken. „Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Helenen bald in jedem Weibe“, prophezeit Mephisto leise beiseite.


=== Straße ===
Die Pädagogik und Schulmethodik wird eine solche Forderung nur erfüllen können mit wirklicher Erkenntnis des heranwachsenden Menschen. Einsichtige Menschen verlangen heute eine Erziehung und einen Unterricht, die nicht auf einseitiges Wissen, sondern auf Können, nicht auf bloße Pflege der intellektuellen Anlagen, sondern auf Ertüchtigung des Willens hinarbeiten. Die Richtigkeit dieses Gedankens kann nicht angezweifelt werden. Allein man kann den Willen und das ihm zugrunde liegende gesunde Gemüt nicht erziehen, wenn man nicht die Einsichten entwickelt, die in Gemüt und Willen tatkräftige Antriebe erwecken. Ein Fehler, der nach dieser Richtung hin in der Gegenwart häufig gemacht wird, besteht nicht darin, daß man zu viel an Einsicht in den aufwachsenden Menschen hineinträgt, sondern dann, daß man Einsichten pflegt, denen die Stoßkraft für das Leben mangelt. Wer glaubt, den Willen bilden zu können, ohne die ihn belebende Einsicht zu pflegen, der gibt sich einer Illusion hin. - In diesem Punkte klar zu sehen, ist Aufgabe der Gegenwarts-Pädagogik. Dieses klare Sehen kann nur aus einer lebensvollen Erkenntnis des ganzen Menschen hervorgehen.
Der Zaubertrank hat seine unwiderstehliche Wirkung getan und die sinnliche Begierdenkraft
in Fausts Seele erweckt. Als er dem jungen Gretchen, das gerade von der Beichte kommt, auf
der Straße begegnet, entbrennt er sofort in heft iger Leidenschaft . „Hör, du mußt mir die Dirne
schaff en!“, befi ehlt er Mephistopheles, dem dabei gar nicht wohl zumute ist: denn über ein
so tugendsames, unverdorbenes Geschöpf hat er kaum Macht. Doch Faust läßt nicht locker.
„Führ mich an ihren Ruheplatz! Schaff mir ein Halstuch von ihrer Brust, ein Strumpfb and
meiner Liebeslust!“ Ein würdiges Geschenk soll Gretchen geneigt machen.


=== Abend. Ein reinliches Zimmer. ===
So wie sie vorläufig gedacht ist, wird die Waldorfschule eine Volksschule sein, die ihre Zöglinge so erzieht und unterrichtet, daß Lehrziele und Lehrplan aufgebaut sind auf die in jedem Lehrer lebendige Einsicht in das Wesen des ganzen Menschen, soweit dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen schon möglich ist. Es ist selbstverständlich, daß die Kinder in den einzelnen Schulstufen so weit gebracht werden müssen, daß sie den Anforderungen entsprechen können, die man nach den heutigen Anschauungen stellt. Innerhalb dieses Rahmens aber sollen Lehrziele und Lehrpläne so gestaltet werden, wie sie sich aus der gekennzeichneten Menschen- und Lebenserkenntnis ergeben.  
Mephisto führt Faust rasch, ohne daß Gretchen es bemerkt, in deren Kammer und versteckt
ein Kästchen mit Geschmeide dort, das Gretchen, die es alsbald entdeckt, entzückt: „Nach
Golde drängt, am Golde hängt doch alles. Ach wir Armen!“


=== Spaziergang ===
Der Volksschule wird das Kind anvertraut in einem Lebensabschnitte, in dem die Seelenverfassung in einer bedeutungsvollen Umwandlung begriffen ist. In der Zeit von der Geburt bis zum sechsten oder siebenten Lebensjahre ist der Mensch dazu veranlagt, sich für alles, was an ihm zu erziehen ist, ganz an die ihm nächststehende menschliche Umgebung hinzugeben und aus dem nachahmenden Instinkt heraus die eigenen werdenden Kräfte zu gestalten. Von diesem Zeitpunkte an wird die Seele offen für ein bewußtes Hinnehmen dessen, was vom Erzieher und Lehrer auf der Grundlage einer selbstverständlichen Autorität auf das Kind wirkt. Diese Autorität nimmt das Kind hin aus dem dunklen Gefühl heraus, daß in dem Erziehenden und Lehrenden etwas lebt, das in ihm auch leben soll. Man kann nicht Erzieher oder Lehrer sein, ohne mit voller Einsicht sich so zu dem Kinde zu stellen, daß dieser Umwandlung des Nachahmungstriebes in die Aneignungsfähigkeit auf Grund selbstverständlichen Autoritätsverhältnisses im umfänglichsten Sinne Rechnung getragen wird. Die auf bloße Natureinsicht begründete Lebensauffassung der neueren Menschheit geht nicht mit vollem Bewußtsein an solche Tatsachen der Menschheitsentwickelung heran. Ihnen kann nur die notwendige Aufmerksamkeit zuwenden, wer Sinn hat für die feinsten Lebensäußerungen des Menschenwesens. Ein solcher Sinn muß in der Kunst des Erziehens und Unterrichtens walten. Er muß den Lehrplan gestalten; er muß in dem Geiste leben, der Erzieher und Zöglinge vereinigt. Was der Erzieher tut, kann nur in geringem Maße davon abhängen, was in ihm durch allgemeine Normen einer abstrakten Pädagogik angeregt ist; es muß vielmehr in jedem Augenblicke seines Wirkens aus lebendiger Erkenntnis des werdenden Menschen heraus neu geboren sein. Man kann natürlich einwenden, solch ein lebensvolles Erziehen und Unterrichten scheitere an Schulklassen mit großer Schülerzahl. Innerhalb gewisser Grenzen ist dieser Einwand gewiß berechtigt; wer ihn über diese Grenzen hinaus macht, der beweist aber dadurch nur, daß er von dem Gesichtspunkte einer abstrakten Norm-Pädagogik aus spricht: denn eine auf wahrer Menschenerkenntnis beruhende lebendige Erziehungs- und Unterrichtskunst durchzieht sich mit einer Kraft, die in dem einzelnen Zögling die Anteilnahme anregt, so daß man nicht nötig hat, ihn durch das unmittelbare, «individuelle» Bearbeiten entsprechend bei der Sache zu halten. Man kann, was man im Erziehen und Unterrichten wirkt, so gestalten, daß der Zögling im Aneignen es selbst individuell für sich faßt. Dazu ist nur nötig, daß, was der Lehrende tut, genügend stark lebt. Wer den Sinn für echte Menschenerkenntnis hat, dem wird der werdende Mensch in einem solch hohen Maße zu einem von ihm zu lösenden Lebensrätsel, daß er in der versuchten Lösung das Mitleben der Zöglinge weckt. Und ein solches Mitleben ist ersprießlicher als ein individuelles Bearbeiten, das den Zögling nur allzu leicht in bezug auf echte Selbstbetätigung lahmt. Wiederum innerhalb gewisser Grenzen gemeint, darf behauptet werden, daß größere Schulklassen mit Lehrern, die voll des von wahrer Menschenerkenntnis angeregten Lebens sind, bessere Erfolge erzielen werden als kleine Klassen mit Lehrern, die, von einer Norm-Pädagogik ausgehend, solches Leben nicht zu entfalten vermögen.
Mephisto ist außer sich vor Wut. Gretchens Mutter hat den Schmuck, den sie für unheilig
hält, dem Pfaff en übergeben. Faust drängt:“ Schaff du ihr gleich ein neu Geschmeid‘! Am
ersten war ja so nicht viel... Und mach, und richt’s nach meinem Sinn! Häng dich an ihre
Nachbarin!“


=== Der Nachbarin Haus ===
Weniger deutlich ausgeprägt, aber für Erziehungs- und Unterrichtskunst gleich bedeutungsvoll wie die Umwandlung der Seelenverfassung im sechsten oder siebenten Lebensjahre, findet eine eindringliche Menschenerkenntnis eine solche um den Zeitpunkt der Vollendung des neunten Lebensjahres herum. Da nimmt das Ich-Gefühl eine Form an, welche dem Kinde ein solches Verhältnis zur Natur und auch zur andern Umgebung gibt, daß man zu ihm mehr von den Beziehungen der Dinge und Vorgänge zueinander sprechen kann, während es vorher fast ausschließlich Interesse entwickelt für die Beziehungen der Dinge und Vorgänge zum Menschen. Solche Tatsachen der Menschenentwickelung sollen von dem Erziehenden und Unterrichtenden ganz sorgfältig beachtet werden. Denn wenn man in die Vorstellungs- und Empfindungswelt des Kindes hineinträgt, was in einem Lebensabschnitt gerade mit der Richtung der Entwickelungskräfte zusammenfällt, so erstarkt man den ganzen werdenden Menschen so, daß die Erstarkung das ganze Leben hindurch ein Kraftquell bleibt. Wenn man gegen die Entwickelungsrich-tung in einem Lebensabschnitt arbeitet, so schwächt man den Menschen.
Marthe Schwerdtlein, Gretchens Nachbarin, ist nun tatsächlich die ideale Kupplerin. Gretchen
zeigt ihr gerade den neuen Schmuck, den sie eben gefunden hat, als Mephisto eintritt.
Nachdem er Marthe listig vorgelogen hat, was diese insgeheim ersehnte, nämlich, daß ihr
lange vermißter Ehemann in der Fremde umgekommen sei, was er selbst und ein zweiter
untadeliger Zeuge beeiden könnten, ist sie sofort bereit, ein Treff en mit diesem in ihrem
Garten zu vereinbaren. Geschickt sorgt Mephisto dafür, daß auch Gretchen dabei sein wird.


=== Straße ===
In der Erkenntnis der besonderen Anforderungen der Lebensabschnitte liegt die Grundlage für einen sachgemäßen Lehrplan. Es liegt darinnen aber auch die andere Grundlage für die Art der Behandlung des Lehrstoffes in den aufeinanderfolgenden Lebensabschnitten. Man wird das Kind bis zum vollendeten neunten Lebensjahre in allem, was durch die Kulturentwickelung in das menschliche Leben eingeflossen ist, bis auf eine gewisse Stufe gebracht haben müssen. Man wird gerade die ersten Schuljahre deshalb mit Recht zum Schreibe- und Leseunterricht verwenden müssen; aber man wird diesen Unterricht so gestalten müssen, daß die Wesenheit der Entwickelung in diesem Lebensabschnitt ihr Recht findet. Lehrt man die Dinge so, daß einseitig der Intellekt des Kindes und nur ein abstraktes Aneignen von Fertigkeiten m Anspruch genommen werden, so verkümmert die Willens- und Gemütsnatur. Lernt dagegen das Kind so, daß sein ganzer Mensch an seiner Betätigung Anteil hat, so entwickelt es sich allseitig. Im kindlichen Zeichnen, ja selbst im primitiven Malen kommt der ganze Mensch zur Entfaltung eines Interesses an dem, was er tut. Man sollte deshalb das Schreiben aus dem Zeichnen heraus entstehen lassen. Aus Formen, an denen der kindlich-künstlerische Sinn des Kindes zur Geltung kommt, entwickle man die Buchstabenformen. Aus einer Beschäftigung, die als künstlerisch den ganzen Menschen zu sich heranzieht, entwickle man das Schreiben, das zum Sinnvoll-Intellektuellen hinführt. Und erst aus dem Schreiben heraus lasse man das Lesen erstehen, das die Aufmerksamkeit stark in das Gebiet des Intellektuellen zusammenzieht.
Faust erklärt sich, widerstrebend zwar, bereit, als falscher Zeuge aufzutreten, wenn er dabei
nur Gretchen wiedersehen kann.


=== Garten ===
Durchschaut man, wie stark aus der kindlich-künstlerischen Erziehung das Intellektuelle herauszuholen ist, so wird man der Kunst im ersten Volksschulunterricht die angemessene Stellung zu geben geneigt sein. Man wird die musikalische und auch die bildnerische Kunst in das Unterrichtsgebiet richtig hineinstellen und mit dem Künstlerischen die Pflege der Körperübungen entsprechend verbinden. Man wird das Turnerische und die Bewegungsspiele zum Ausdrucke von Empfindungen machen, die angeregt werden von dem Musikalischen oder von Rezitiertem. Die eurythmische, die sinnvolle Bewegung wird an die Stelle derjenigen treten, die bloß auf das Anatomische und Physiologische des Körpers sich aufbaut. Und man wird finden, welch starke willen- und gemütbildende Kraft in der künstlerischen Gestaltung des Unterrichtes liegt. Wirklich fruchttragend werden aber nur solche Lehrer in der hier angedeuteten Art erziehen und unterrichten können, die durch eindringliche Menschenerkenntnis den Zusammenhang durchschauen, der besteht zwischen ihrer Methode und den in einem bestimmten Lebensabschnitt sich offenbarenden Entwickelungskräften. Der ist nicht wirklicher Lehrer und Erzieher, der Pädagogik sich angeeignet hat als Wissenschaft von der Kindesbehandlung, sondern derjenige, in dem der Pädagoge erwacht ist durch Menschenerkenntnis.
Während Mephisto sich galant um Marthe bemüht und dabei doch geschickt ihren kaum
verhüllten Anträgen ausweicht, kann sich Faust ungestört Gretchen nahen, die, erst noch
scheu, ihm endlich mit naiver, beinahe kindlicher Off enheit, leise schaudernd ob Ihrer
überwallenden Gefühle, ihre Liebe gesteht, die Faust leidenschaft lich erwidert: „O schaudre
nicht! Laß diesen Blick, laß diesen Händedruck dir sagen, was unaussprechlich ist: sich hinzugeben
ganz und eine Wonne zu fühlen, die ewig sein muß. Ewig!“


=== Gartenhäuschen ===
Bedeutungsvoll für die Gemütsbildung ist, daß das Kind vor Vollendung des neunten Lebensjahres die Beziehung zur Welt so entwickelt, wie der Mensch geneigt ist, sie in phantasievoller Art auszugestalten. Wenn der Erziehende selbst nicht Phantast ist, so macht er auch das Kind nicht zum Phantasten, indem er in märchen-fabelartiger und ähnlicher Darstellung die Pflanzen- und Tier-, die Luft- und Sternenwelt in dem Gemüte des Kindes leben läßt. Wenn man aus einer materialistischen Gesinnung heraus den gewiß innerhalb gewisser Grenzen berechtigten Anschauungsunterricht auf alles mögliche ausdehnen will, so beachtet man nicht, daß in der menschlichen Wesenheit auch Kräfte entwickelt werden müssen, die nicht durch Anschauung allein vermittelt werden können. So steht das rein gedächtnismäßige Aneignen gewisser Dinge in Zusammenhang mit den Entwik-kelungskräften vom sechsten oder siebenten bis zum vierzehnten Lebensjahre. Und auf diese Eigenschaft der menschlichen Natur soll der Rechenunterricht aufgebaut sein. Er kann geradezu zur Pflege der Erinnerungskraft verwendet werden. Berücksichtigt man dieses nicht, so wird man vielleicht gerade im Rechenunterricht das anschauliche Element gegenüber dem gedächtnisbildenden unpädagogisch bevorzugen. In den gleichen Fehler kann man verfallen, wenn man ängstlich bei jeder Gelegenheit über ein richtiges Maß hinaus anstrebt, daß das Kind alles verstehen müsse, was man ihm übermittelt. Diesem Bestreben liegt gewiß ein guter Wille zugrunde. Aber dieser rechnet nicht damit, was es für den Menschen bedeutet, wenn er in einem späteren Lebensalter in seiner Seele wieder erweckt, was er sich in einem früheren rein gedächtnismäßig angeeignet hat, und nun findet, daß er durch die errungene Reife jetzt zum Verständnisse aus sich selbst kommt. Allerdings wird notwendig sein, daß die bei dem gedächtnismäßigen Aneignen eines Lernstoffes gefürchtete Teilnahmslosigkeit des Zöglings durch die lebensvolle Art des Lehrers verhindert wird. Steht der Lehrer mit seinem ganzen Wesen in seiner Unterrichtstätigkeit drinnen, dann darf er dem Kinde auch beibringen, wofür es im späteren Nacherleben mit Freude das volle Verständnis findet. Und in diesem erfrischenden Nacherleben liegt dann stets Stärkung des Lebensinhaltes. Kann der Lehrer für solche Stärkung wirken, dann gibt er dem Kinde ein unermeßlich großes Lebensgut mit auf den Daseinsweg. Und er wird dadurch auch vermeiden, daß sein «Anschauungsunterricht» durch das Übermaß an Einstellen auf das «Verständnis» des Kindes in Banalität verfällt. Diese mag der Selbstbetätigung des Kindes Rechnung tragen; allein ihre Früchte sind nach dem Kindesalter ungenießbar geworden; die weckende Kraft, die das lebendige Feuer des Lehrers in dem Kinde entzündet bei Dingen, die in gewisser Beziehung noch über seinem «Verständnis» liegen, bleibt wirksam durch das ganze Leben hindurch.
Die beiden küssen sich im Gartenhäuschen, werden dabei aber von Mephisto gestört: „Es
ist wohl Zeit zu scheiden.- Mephisto weiß zu gut, daß die Begierdenglut nur umso heftiger
brennt, wenn sie nicht allzubald befriedigt wird.


=== Wald und Höhle ===
Wenn man mit Naturbeschreibungen aus der Tier- und Pflanzenwelt nach dem vollendeten neunten Lebensjahre beginnt und dieselben so hält, daß aus den Formen und Lebensvorgängen der außermenschlichen Welt die menschliche Form und die Lebenserscheinungen des Menschen verständlich werden, so kann man diejenigen Kräfte im Zögling wecken, die in diesem Lebensabschnitt nach ihrem Entbundenwerden aus den Tiefen des Menschenwesens streben. Dem Charakter, den das Ich-Gefühl in dieser Lebensepoche annimmt, entspricht es, das Tier- und Pflanzenreich so anzusehen, daß, was in ihnen an Eigenschaften und Verrichtungen auf viele Wesensarten verteilt ist, in dem Menschenwesen als dem Gipfel der Lebewelt wie in einer harmonischen Einheit sich offenbart.
Faust labt seine aufgewühlte Seele in wonnigem Naturgefühl. Was ihm früher nur abstrakte
Naturerkenntnis war, wird seinen aufgereizten Gemütskräft en nun zum unmittelbaren, intensiven
Erleben. Tiefer vermag Faust nun aufzufassen, was ihm der Erdgeist einst gegeben
hat: „Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles, worum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
dein Angesicht im Feuer zugewendet. Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,
Kraft , sie zu fühlen, zu genießen.“ Selbsterkenntnis und Naturerkenntnis weben sich dabei
in eins „und meiner eignen Brust geheime tiefe Wunder öff nen sich.“ Dunkel beginnt er dabei
auch zu ahnen, daß er Gretchen ins Unheil stürzen wird, daß seine zügellose Begierde sie
verderben wird. Er scheut, sie nochmals wiederzusehen, doch Mephisto treibt ihn spöttisch
weiter: „Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer, nicht etwa in den Tod.


=== Gretchen am Spinnrade ===
Um das zwölfte Lebensjahr herum ist abermals ein Wendepunkt in der Menschenentwickelung eingetreten. Der Mensch wird da reif, diejenigen Fähigkeiten zu entwickeln, durch die er in einer für ihn günstigen Art zum Begreifen dessen gebracht wird, das ganz ohne Beziehung zum Menschen aufgefaßt werden muß: des mineralischen Reiches, der physikalischen Tatsachenwelt, der Witterungserscheinungen und so weiter.
„Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer ... Mein Busen drängt sich nach ihm hin“ singt
Gretchen voller Sehnsucht nach ihrem Geliebten.


=== Marthens Garten ===
Wie aus der Pflege solcher Übungen, die ganz aus der Natur des menschlichen Betätigungstriebes heraus gestaltet sind ohne Rücksicht auf die Ziele des praktischen Lebens, sich andere entwickeln sollen, die eine Art Arbeitsunterricht sind, das ergibt sich aus der Erkenntnis des Wesens der Lebensabschnitte. Was hier für einzelne Teile des Lehrstoffes angedeutet ist, läßt sich ausdehnen auf alles, was dem Zögling bis in sein fünfzehntes Lebensjahr hinein zu geben ist.
So sehr Gretchen Faust liebt, so selig sie ist, als sie ihn in Marthens Garten wiedersieht, beunruhigt
ihr tief gläubiges Gemüt doch eines: „Wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein
herzlich guter Mann, allein ich glaub‘, du hältst nicht viel davon.“ Fausts überschwengliches
pantheistisches Glaubensbekenntnis rührt zwar an ihr Herz, ohne sie aber ganz zu beruhigen:
„Denn du hast kein Christentum“. Mephisto vor allem ist ihr, die sonst allen Menschen
gut ist, zutiefst zuwider; sie fürchtet seine düstere Gegenwart. Gerne würde sie Faust in ihre
Kammer lassen, doch fürchtet sie, von der Mutter überrascht zu werden. Faust gibt ihr ein
Fläschchen: „Drei Tropen nur in ihren Trank umhüllen mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.


=== Am Brunnen ===
Man wird nicht zu befürchten haben, daß der Zögling in einer dem äußeren Leben fremden Seelen- und Körperverfassung aus der Volksschule entlassen wird, wenn in der geschilderten Art auf dasjenige gesehen wird, was aus der inneren Entwickelung des Menschenwesens als Unterrichts- und Erziehungsprinzipien sich ergibt. Denn das menschliche Leben ist selbst aus dieser inneren Entwickelung heraus gestaltet, und der Mensch wird in der besten Art in dieses Leben eintreten, wenn er durch die Entwickelung seiner Anlagen sich mit dem zusammenfindet, was aus den gleichgearteten menschlichen Anlagen heraus Menschen vor ihm der Kulturentwickelung einverleibt haben. Allerdings, um beides, die Entwickelung des Zöglings und die äußere Kulturentwickelung, zusammenzustimmen, bedarf es einer Lehrerschaft, die sich nicht mit ihrem Interesse in einer fachmäßigen Erziehungs- und Unterrichtspraktik abschließt, sondern die mit vollem Anteil sich hineinstellt in die Weiten des Lebens. Eine solche Lehrerschaft wird die Möglichkeit finden, in den heranwachsenden Menschen den Sinn für die geistigen Lebensinhalte zu wecken, aber nicht weniger das Verständnis für praktische Gestaltung des Lebens. Bei solcher Haltung des Unterrichts wird der vierzehn- oder fünfzehnjährige Mensch nicht verständnislos sein für das Wesentliche, was aus der Landwirtschaft, der Industrie, dem Verkehre dem Gesamtleben der Menschheit dient. Die Einsichten und die Fertigkeiten, die er sich angeeignet hat, werden ihn befähigen, sich orientiert zu fühlen in dem Leben, das ihn aufnimmt." {{Lit|{{G|298|9ff}}}}
„Hast schon von Bärbelchen gehört?“, zieht Lieschen keck über ein Mädchen her, das ein
</div>
Kind erwartet und nun von ihrem Geliebten verlassen wurde. Gretchen, die Fausts Kind
unter dem Herzen trägt, kann nicht mitschmähen wie früher, ist sie doch „nun selbst der
Sünde bloß!“


=== Zwinger ===
== Erziehung und Wesensglieder ==
Inbrünstig betet Gretchen vor dem Andachtsbild der Mater dolorosa: „Ach neige, du
Schmerzenreiche, Dein Antlitz gnädig meiner Not!“


=== Nacht. Straße vor Gretchens Tür. ===
Ein wesentliches, von Rudolf Steiner entdecktes [[pädagogisches Gesetz]] besteht darin, dass der Erzieher mit seinem nächsthöheren [[Wesensglied]] auf das darunter liegende Wesensglied des Kindes wirkt. So wirkt etwa der [[Ätherleib]] des Erziehers auf den [[Physischer Leib|physischen Leib]] des Kindes, der [[Astralleib]] auf den Ätherleib usw.
Valentin, Gretchens Bruder, stellt Faust auf nächtlicher Straße zum Zweikampf und fällt
durch Faust Klinge, die durch Mephistos Zauberkraft geführt wird. Faust und Mephisto entfl
iehen, mit dem „Blutbann“ weiß sich Mephisto schlecht abzufi nden. Das Volk stürzt auf
die Straße, Gretchen sinkt weinend an der Seite ihres Bruders nieder, doch der weist sie,
sterbend, zurück: „Da du dich sprachst der Ehre los, gabst mir den schwersten Herzensstoß.


=== Dom ===
<div style="margin-left:20px">
Angsterfüllt und aufgewühlt von Schuldgefühlen stürzt Gretchen zum Dom, Orgel und Gesang
"Da tritt uns eben ein pädagogisches Gesetz entgegen, das ja in aller
erklingen, die Stimme des Bösen Geistes ertönt. Gretchen stürzt ohnmächtig zu Boden.
Pädagogik erscheint. Das ist dieses, daß wirksam ist in der Welt auf
irgendein Glied der menschlichen Wesenheit, wo es auch immer herkommt,
das nächsthöhere Glied, und daß es nur dadurch wirksam zur
Entwickelung kommt. Zur Entwickelung auf den physischen Leib kann
wirksam sein ein im Ätherleib Lebendes, in einem ätherischen Leib
Lebendes. Zur Entwickelung auf einen Ätherleib kann nur wirksam
ein in einem astralischen Leib Lebendes sein. Zur Entwickelung auf
einen astralischen Leib kann wirksam nur ein in einem Ich Lebendes
sein. Und auf ein Ich kann wirksam sein nur ein in einem Geistselbst
Lebendes. Ich könnte es noch weiter fortführen über das Geistselbst
hinaus, aber da würden wir schon in die Unterweisung des Esoterischen
hineinkommen.


=== Walpurgisnacht ===
Was heißt das? Wenn Sie gewahr werden, daß in einem Kinde der
Mephisto zieht Fausts tief erschütterte Seele auf den Blocksberg in das wüste Walpurgisnachtsgeschehen,
Ätherleib in irgendeiner Weise verkümmert ist, so müssen Sie Ihren
dessen wildes, traumatisches Geschehen Faust von seinen Gewissensqualen
eigenen astralischen Leib so gestalten, daß er korrigierend auf den
ablenken soll. Flackernde Irrlichter, besenreitende Hexen und andere sonderbare Geister
Ätherleib des Kindes wirken kann. Wir können geradezu sagen, mit
erfüllen die ganze Szenerie, die sich in ungestüm bewegten Traumbildern entrollt. Lilith
Bezug auf das Erziehungsschema kann hierher geschrieben werden:
erscheint , Adams erste Frau; eine schöne Hexe drängt sich lüstern an Faust heran und tanzt
mit ihm - bis dieser sie plötzlich zur Seite schleudert und die ganze Szene erstarrt. Er hat ein
seltsames blasses Mädchen in der Ferne erblickt - Gretchen; ihr ganzes Elend enthüllt sich
Fausts visionären Blick.


=== Walpurgisnachtstraum ===
{|align="center" width="400px"
Mephisto sucht Faust durch ein rasch inszeniertes Spektakel abzulenken. Oberon und Titania,
|-
Ariel und Puck und andere Gestalten bevölkern die Szenerie - doch zu spät, es gelingt
| Kind: || [[physischer Leib]] || Erzieher: || [[Ätherleib]]
ihm nicht, Fausts Seele wieder einzulullen „und alles ist zerstoben.“
|-
|  || Ätherleib ||  || [[astralischer Leib]]
|-
|  || astralischer Leib ||  || [[Ich]]
|-
|  || Ich ||  || [[Geistselbst]]
|}


=== Trüber Tag. Feld ===
Der eigene Ätherleib des Erziehers muß - und das muß durch seine
Faust macht Mephisto bitterste Vorwürfe, daß er sie über Gretchens Elend im Unklaren gelassen
Seminarvorbildung geschehen -, er muß auf den physischen Leib des
hat. Ihre Mutter ist an dem Schlaft runk, den er Gretchen gegeben hat, gestorben.
Kindes wirken können. Der eigene astralische Leib muß auf den Ätherleib
Vom Wahnsinn ergriffen hat Gretchen ihr Kind ertränkt und wurde deswegen in den Kerker
des Kindes wirken können. Das eigene Ich des Erziehers muß auf
geworfen und soll hingerichtet werden. Faust befiehlt Mephisto, alles zu ihrer sofortigen
den Astralleib des Kindes wirken können. Und jetzt werden Sie innerlich
Befreiung zu unternehmen.
sogar erschrecken, denn hier steht das Geistselbst des Erziehers,
von dem Sie glauben werden, daß es nicht entwickelt ist. Das muß auf
das Ich des Kindes wirken. Aber das Gesetz ist so. Und ich werde
Ihnen zeigen, inwiefern tatsächlich nicht bloß im Idealerzieher, sondern
oftmals im allerschlechtesten Erzieher das Geistselbst des Erziehers,
das ihm selber gar nicht zum Bewußtsein kommt, auf das Ich
des Kindes wirkt. Das Erziehungswesen ist in der Tat in eine Reihe
von Mysterien eingehüllt." {{Lit|{{G|317|33f}}}}
</div>


=== Kerker ===
== Der pädagogische Instinkt des Lehrers ==
Mit schauderndem Gefühl nähert sich Faust dem Kerker: „Hier wohnt sie, hinter dieser
feuchten Mauer, und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!“ Von drinnen hört man Gretchen
singen. Vergeblich versucht Faust, Gretchen aus dem Gefängnis zu retten. Sie scheint ihn
nicht zu erkennen, ihr Geist ist verwirrt. Doch der Anblick von Mephistos düsterer Gestalt
zerreißt für einen Moment den Schleier des Wahns. Reuig befi ehlt sie sich der Gnade Gottes
an. Es graut ihr selbst vor Faust. „Sie ist gerichtet!“ ruft Mephisto. Doch aus der Höhe ertönt
eine Stimme: „Ist gerettet!“ Mit den Worten „Her zu mir!“ reißt Mephisto Faust mit sich fort.


== Hinweise zum Verständnis ==
Die Methode der Waldorfpädagogik besteht nicht in einem einmal festgeschriebenen Satz von Regeln, die man im Unterricht anzuwenden hätte, sie muss vielmehr mit jedem Schüler, mit jeder Klasse, die man als Lehrer vor sich hat, gleichsam immer wieder neu erfunden werden. Sie kann daher auch nicht in üblicher Weise gelehrt werden. Alles, was [[Rudolf Steiner]] diesbezüglich über die Methodik der Waldorpädagogik gesagt hat, soll nur dazu dienen, den gesunden Instinkt des Lehrers zu wecken, sodass er sich [[Intuition|intuitiv]] in seine Schüler hineinzuversetzen vermag, um an ihnen selbst abzulesen, wie man ihre Entwicklung am besten fördern kann.
Das Stück ist fast gänzlich reimend geschrieben und liefert viele der bekanntesten Zitate der deutschen Sprache. Mephistopheles wird als schalkhafter intelligenter Geist dargestellt, der die menschlichen Eitelkeiten verlacht und ausnutzt.


Grundthema ist der Konflikt des Menschen zwischen dem Streben nach Höherem, wie es Faust anfänglich tut, und der Sinnlosigkeit dieses Strebens, wie es Faust schmerzvoll erkennen muss. Sein ganzes Wissen erscheint Faust sinnlos, da es ihm nicht hilft zu ergründen, ''was die Welt im Innersten zusammenhält''. Sein ewiges Streben nach der Ergründung der [[Schöpfung]] hindert ihn daran, das Leben zu genießen und er verfällt der Depression. Als er dem Teufel (Mephisto) begegnet, verwettet er seine Seele, dass ihn Mephisto nicht Zufriedenheit schaffen kann, da er sich des Gegenteils absolut sicher ist.
<div style="margin-left:20px">
"Der Lehrende, der Erziehende darf ja nicht zuerst etwas theoretisch lernen und sich dann sagen: Was ich theoretisch gelernt habe, das wende ich jetzt auf das Kind in dieser oder jener Weise an. – Dadurch entfernt er sich von dem Kinde, er nähert sich nicht dem Kinde. Der Lehrer muß das, was er über den Menschen weiß, in eine Art höheren Instinkt hineinbekommen, so daß er in einer gewissen Weise instinktiv jeder Regung des einzelnen individuellen Kindeslebens gegenübersteht. Dadurch unterscheidet sich eben anthroposophische Menschenerkenntnis von jener, die heute üblich ist. Diejenige Menschenerkenntnis, die heute üblich ist, führt höchstens zur Erziehungsroutine, nicht aber zur wirklichen Erziehergesinnung und zur wirklichen Erzieherpraxis. Denn einer wirklichen Erzieherpraxis muß eine solche Menschenerkenntnis zugrunde liegen, die dem Kinde gegenüber in jedem Augenblick instinktiv wird, so daß man aus der ganzen Fülle dessen, was einem am Kinde entgegentritt, dem einzelnen Falle gegenüber weiß, was man zu tun hat. Wenn ich einen Vergleich gebrauchen darf, möchte ich so sagen: Nicht wahr, wir haben allerlei Theorien über das Essen und Trinken, aber wir richten uns im Leben im allgemeinen nicht nach dem, was theoretisch ersonnen werden kann darüber, wann man essen soll, wann man trinken soll. Man trinkt, wenn man durstig ist – das ergibt sich aus der ganzen Konstitution des Organismus heraus –, man ißt, wenn man hungrig ist. Daß das in einen gewissen Lebensrhythmus eingeschaltet ist, hat natürlich seine guten Gründe, aber der Mensch ißt und trinkt, wenn er hungrig und durstig ist; das ergibt das Leben selber. Nun muß eine Menschenerkenntnis, welche einer wirklichen Erziehungspraxis zugrunde liegt, im Menschen, wenn er einem Kinde gegenübersteht, so etwas erzeugen, wie etwa erzeugt wird das Verhältnis vom Hunger zum Essen. Es muß so natürlich sein, wie daß ich durch den Hunger ein gewisses Verhältnis zu den Speisen bekomme. So muß es ganz natürlich werden durch eine wirkliche, nicht nur in Fleisch und Blut, sondern auch in Seele und Geist eindringende Menschenerkenntnis, daß ich, wenn das Kind auftritt vor mir, etwas bekomme wie Hunger: Das hast du jetzt zu tun, jenes hast du jetzt zu tun! Nur wenn in dieser Weise Menschenerkenntnis eine solche innere Fülle hat, daß sie instinktiv werden kann, dann kann sie zur Erzieherpraxis führen." {{Lit|{{G|306|32f}}}}
</div>


''Werd ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,<br>''
Ein Missverständnis wäre es allerdings, wenn man sich dabei auf ''alte'', weitgehend ''unbewusste'' Erziehungsinstinkte berufen wollte. Heute muss alles zunächst ins klare [[Bewusstsein]] gehoben werden, um dann nach und nach zu einem neuen, ''bewusst erworbenen'' Instinkt zu reifen.
''So sei es gleich um mich getan!<br>''
''Kannst du mich schmeichelnd je belügen,<br>''
''Daß<!--sic!--> ich mir selbst gefallen mag,<br>''
''Kannst du mich mit Genuß<!--sic!--> betrügen-<br>''
''Das sei für mich der letzte Tag!<br>''
''Die Wette biet ich!''


''Siehe auch:'' [[Faust]], [[Faust II]], [[Walpurgisnacht]], Murnaus "[[Wikipedia:Faust - eine deutsche Volkssage|Faust - eine deutsche Volkssage]]", [[Wikipedia:Gretchenfrage|Gretchenfrage]]
<div style="margin-left:20px">
"Das wird durch die anthroposophische Erkenntnis eingesehen. Durch
sie kann man wissen, daß die intellektualistische Orientierung in der
Wissenschaft einer notwendigen Phase in der Entwickelung der Menschheit
ihr Dasein verdankt. Die Menschheit der neueren Zeit ist aus der
Periode des Instinktlebens herausgetreten. Der Intellekt hat seine hervorragende
Bedeutung erhalten. Die Menschheit brauchte ihn, um auf
ihrer Entwickelungsbahn in der rechten Weise fortzuschreiten. Er führt
sie zu demjenigen Grade der Bewußtheit, den sie in einem gewissen
Zeitalter erklimmen muß, wie der einzelne Mensch in einem Lebensalter
gewisse Fähigkeiten erringen muß. Aber unter dem Einflüsse des Intellektes
werden die Instinkte abgelähmt. Man kann nicht, ohne gegen die
Entwickelung der Menschheit zu arbeiten, zu dem Instinktleben wieder
zurückkehren wollen. Man muß die Bedeutung der Vollbewußtheit
anerkennen, die durch den Intellektualismus errungen ist. Und man muß
dem Menschen in dieser Vollbewußtheit das auch vollbewußt wieder
geben, was ihm kein Instinktleben heute mehr geben kann.


== Inszenierungen ==
Dazu braucht man eine Erkenntnis des Geistigen und Seelischen, die
*1938 Welturaufführung beider Teile ungekürzt im [[Goetheanum]] in [[Dornach]] (Schweiz). Inszeniert von [[Marie Steiner]].  
ebenso auf Wirklichkeit begründet ist wie die im Intellektualismus
begründete Sinneswissenschaft. Eine solche strebt die Anthroposophie
an." {{Lit|{{G|304|218f}}}}
</div>


*1960 von Peter Gorski; mit [[Will Quadflieg]] (Faust), [[Gustaf Gründgens]] (Mephisto), [[Ella Büchi]] (Gretchen), [[Elisabeth Flickenschildt]] (Marthe), [[Max Eckard]] (Valentin), [[Eduard Marks]] (Wagner), [[Uwe Friedrichsen]] (Schüler)
Nur auf diesem Weg kann eine wahre Erziehungs''kunst'' entstehen, der es trotzdem nicht an der nötigen Bewusstseinsklarheit mangelt, welche die Erziehungs''wissenschaft'' auszeichnet.


*1988 von [[Dieter Dorn]], [[1989]] als Kinofilm; mit [[Helmut Griem]] (Faust), Romuald Pekny (Mephisto), Sunnyi Melles (Gretchen), [[Cornelia Froboess]], [[Axel Milberg]], [[Katja Riemann]], [[Peter Lühr]], Andrea Sawatzki, [[Rolf Boysen]]
<div style="margin-left:20px">
"Wer einer Normpädagogik anhängt, Programme prägt, die gewisse
Erziehungsgrundsätze geben, nun, der weiß, wie man unterrichtet.
Derjenige aber, der aus dem unmittelbaren Leben heraus
unterrichten soll, der kann, ich möchte sagen nur die Impulse bekommen,
um zu beobachten, was sich von Jahr zu Jahr, von Woche
zu Woche, von Monat zu Monat in dem werdenden Menschen
wirklich ergibt. Da muß man fortwährend, wenn es auch eine noch
so große Klasse wäre, in lebendigem Verkehre sein, da muß man
Verständnis dafür haben, was es heißt, nicht aus dem Gedächtnis
heraus eine eingelernte Pädagogik zu üben, sondern in jedem
Momente dem lebendigen Menschen gegenüber die individuelle
Methode neu zu erfinden, die man gerade diesem lebendigen
Menschen gegenüber anzuwenden hat.


*1998 von [[Cordula Trantow]]; mit Karl-Walter Diess (Faust), Norbert Mahler (Mephisto), Elisabeth Degen (Gretchen), Angelique Duvier (Marthe), Gunnar Solka (Valentin), Fred Alexander (Wagner), Viola von der Burg (Hexe)
Dasjenige, was im Leben wirken soll, darf nicht auf dem Gedächtnis,
nicht auf der Gewohnheit beruhen. Was uns ins Gedächtnis
eingeht und was wir gedächtnismäßig üben in unserer menschlichen
Betätigung, was wir aus der Gewohnheit heraus üben, das
wird unter allen Umständen zu etwas wie einer strohernen
Schablone. Dasjenige, was aus dem Geistesleben hervorgeht, das
kann niemals zu einer strohernen Schablone werden!


*2000 von [[Peter Stein]]; mit [[Bruno Ganz]] und [[Christian Nickel]] (als ''alter'' und ''junger'' Faust), [[Johann Adam Oest]] (Mephisto), [[Dorothée Hartinger]], [[Corinna Kirchhoff]] und Elke Petri
Es hat Zeiten gegeben, gibt es bestimmt noch, in denen ich dasselbe
Thema Woche für Woche hindurch vorgetragen habe. Ich
glaube nicht, daß man mir nachsagen kann, daß ich einen einzigen
Vortrag zweimal gehalten habe, daß ich jemals über dasselbe Thema
zweimal hintereinander genau gleich gesprochen habe, weil es
sich, wenn es sich um das Sprechen aus dem Geiste heraus handelt,
um das unmittelbar augenblickliche Produzieren handelt, weil es
gar nicht möglich ist, dasjenige, was aus dem Geiste heraus produziert
wird, im gewöhnlichen Sinne dem Gedächtnismäßigen anzuvertrauen,
weil das in unmittelbarem Leben sich fortwährend entwickeln
muß. Wer aus dem Geist heraus wirkt, dem ist das bloße
gedächtnismäßige Aufbewahren irgendeines geistigen Wissens ungefähr
so, wie wenn einer sagen würde: Ich esse heute nicht, denn
ich habe ja vorgestern gegessen. Warum soll ich heute wieder essen?
Mein Leib wird sich schon auf Grund dessen aufbauen, was
ich vorgestern gegessen habe. - Ja, unser physischer Organismus
ist in der fortwährenden Lage, daß er sich immer erneuert. Dem
muß auch der Geist Rechnung tragen. In diesem lebendigen Leben
muß auch der Geist drinnenstehen. Der wirkliche Geist muß jederzeit
ein Schaffendes sein. So muß auch eine vom Geiste getragene
Pädagogik eine fortwährend schaffende Kunst sein." {{Lit|{{G|297|152f}}}}
</div>


*2000 von [[Ingmar Thilo]]; mit Christian Ammermüller (Faust), Raphaela Zick (Mephisto), Ulrike Dostal (Margarete), Brigitte Hörrmann (Marthe), Max Friedmann (Dichter) u.a.
== Literatur ==


*2004 von Wilfried Hammacher am [[Goetheanum]]; Christian Peter (Faust), Paul Klarskov (Mephisto), u.a.
#Rudolf Steiner: ''Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung'', [[GA 52]] (1986), ISBN 3-7274-0520-1 {{Vorträge|052}}
#Rudolf Steiner: ''Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs.'', [[GA 217]] (1988), ISBN 3-7274-2170-3 {{Vorträge|217}}
#Rudolf Steiner: ''Idee und Praxis der Waldorfschule'', [[GA 297]] (1998), ISBN 3-7274-2970-4 {{Vorträge|297}}
#Rudolf Steiner: ''Rudolf Steiner in der Waldorfschule'', [[GA 298]] (1980) {{Vorträge|298}}
#Rudolf Steiner: ''Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen.'', [[GA 306]] (1956) {{Vorträge|306}}
#Rudolf Steiner: ''Heilpädagogischer Kurs'', [[GA 317]] (1995), ISBN 3-7274-3171-7 {{Vorträge|317}}


== Ausgaben ==
;Kritische Literatur
*E. Trunz (Hg.) ''Faust''. München 1998, C.H. Beck, ISBN 3-406-31234-9.<br>Preisgünstige wissenschaftlich zitierfähige Ausgabe, zum Einstieg geeignet.
*A. Schöne (Hg.) ''Faust''. Frankfurt am Main 1994, Deutscher Klassiker Verlag, ISBN 3-618-60270-7. Auch als preiswerte Taschenbuchausgabe erhältlich: Frankfurt am Main 2003, Insel Verlag, ISBN 3-458-34700-3.<br>Zur vertiefenden Beschäftigung geeignet, zeigt den Faust-Text erstmals in Goethes ursprünglicher Gestalt (in modernisierter Orthographie), enthält einen hervorragenden Kommentarband.
*[[Reclam]]-[[Universalbibliothek]] Nr. 1, ''Faust - Der Tragödie Erster Teil'', Stuttgart 2000, ISBN 3-15-000001-7
* Als '''Webausgabe''' frei zugänglich bei
[http://www.digbib.org/Johann_Wolfgang_von_Goethe_1749/Faust_I DigBib.Org]


== Literatur (Kommentare) ==
* Hellmich, Achim und Teigeler, Peter (Hrsg.): ''Montessoripädagogik, Freinetpädagogik, Waldorfpädagogik - Konzeption und aktuelle Praxis''. Beltz Verlag, 1999. ISBN 3407252188
*H. Arens ''Kommentar zu Goethes Faust I''. Heidelberg 1982, Carl Winter Universitätsverlag, ISBN 3-533-03184-5.<br>Gilt als einer '''der''' wissenschaftlichen Standardkommentare. Der denkbar ausführlichste Zeilenkommentar zu Faust I, bietet neuartige, fundierte interpretatorische Zugänge.
*A. Schöne ''Faust. Kommentare''. Enthalten in: Goethe ''Faust''. Frankfurt am Main 1994, Deutscher Klassiker Verlag, ISBN 3-618-60270-7.<br>Ebenfalls ein moderner Kommentar, der nicht unreflektiert alte Lehrmeinungen übernimmt, übersichtlich und prägnant.
*U. Gaier ''Faust-Dichtungen. Kommentar I''. Enthalten in: Johann Wolfgang Goethe ''Faust-Dichtungen''. Stuttgart 1999, Philipp Reclam jun. Verlag, ISBN 3-15-030019-3, Akt-, Szenen- und Zeilenkommentar, der die Offenheit für verschiedene Lesarten betont.


== Weblinks ==
[[Kategorie:Waldorfpädagogik]]
 
* [[Wikisource:Faust - Der Tragödie erster Teil|Zum Volltext]] bei [[Wikipedia:Wikisource|Wikisource]]
* [http://gutenberg.spiegel.de/goethe/faust1/faust_to.htm Faust I im Projekt Gutenberg-DE]
* [http://www.theaterportal.de/detail_search?stueck=Faust&autor=Goethe Faust im Spielplan deutschsprachiger Bühnen]
* [http://www.heim2.tu-clausthal.de/~kermit/faust.html Eine Zeittafel zur Figur des Faust in der Literatur]
* [http://www.heim2.tu-clausthal.de/~kermit/wte/faust.html ''Faust als Spiegel der Geschichte'' - Ein Vortrag zum Verst&auml;ndnis der Figur des Faust]
 
[[Kategorie:Drama]] [[Kategorie:Goethe]] [[Kategorie:Faust]][[Kategorie:Kunst]][[Kategorie:Dichtung]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 9. November 2014, 21:03 Uhr

Dr. phil. Rudolf Steiner (1861-1925), der erste Herausgeber von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften, Begründer der anthroposophischen Bewegung, Entwickler der Erziehungskunst, wie sie in den Waldorfschulen angewendet wird, und von 1919 bis 1925 Leiter der ersten Waldorfschulein Stuttgart

Die Waldorfpädagogik ist eine von Rudolf Steiner entwickelte Lehr- und Erziehungsmethode, die darauf ausgerichtet ist, die freie Entfaltung der einzigartigen Individualität des heranwachsenden Kindes nach besten Kräften zu fördern.

"Ein Rätsel der Natur, das er zu lösen hat, soll jedes werdende Menschenwesen dem Menschen sein, der Erzieher sein will." (Lit.: GA 052, S. 216)

Waldorfpädagogische Einrichtungen

Die Waldorfpädagogik wird heute vor allem in folgenden Einrichtungen angewendet und weiterentwickelt:

Von vielen anderen pädagogischen Methoden unterscheidet sich die Waldorfpädagogik dadurch, dass sie das Kind nicht primär zu fertig vorgegebenen Bildungszielen hinführen will, sondern die Kräfte aufzuwecken sucht, die - ganz individuell - in dem Kind selbst schlummern.

"Die Waldorfschul-Pädagogik ist überhaupt kein pädagogisches System, sondern eine Kunst, um dasjenige, was da ist im Menschen, aufzuwecken. Im Grunde genommen will die Waldorfschul-Pädagogik gar nicht erziehen, sondern aufwecken. Denn heute handelt es sich um das Aufwecken. Erst müssen die Lehrer aufgeweckt werden, dann müssen die Lehrer wieder die Kinder und jungen Menschen aufwecken." (Lit.: GA 217, S. 36)

Förderung der Individualität

Jeder Mensch ist einzigartig und muss daher auf ganz individuelle Weise unterstützt werden, seine besonderen Fähigkeiten zu entfalten.

"Auf Dogmen, Prinzipien und Lehren kommt es nicht an; auf das Leben kommt es an und auf die Umsetzung der Kräfte, welche aus der Selbstlosigkeit und dadurch aus der Wahrnehmungsfähigkeit für den Geist fließen." (Lit.: GA 052, S. 216)

Am heranwachsenden Kind selbst ist die ihm gemäße Pädagogik immer wieder neu abzulesen - unter weitestgehender Zurückstellung der eigenen Persönlichkeit des Lehrers oder Erziehers.

"Eine Auslöschung der eigenen Persönlichkeit in gewissem Sinne ist nun aber auch notwendig bei einer einzelnen Aufgabe, die eine unendliche Wichtigkeit für das alltäglichste menschliche Leben hat, beim menschlichen Erziehungswesen. In jedem heranwachsenden Menschen, von der Geburt des Kindes an, durch die Entwicklungsjahre hindurch, ist es ja im innersten Kern der menschlichen Wesenheit der Geist, der sich entwickeln soll; der Geist, der zunächst verborgen ruht innerhalb des Körpers, verborgen ruht innerhalb der Seelenregungen des sich entwickelnden Menschen. Stellen wir uns diesem Geist gegenüber, mit unseren Interessen - ich will nicht einmal sagen Wünschen und Begierden -, machen wir den heranwachsenden Menschen von unseren Interessen abhängig, dann lassen wir unseren Geist einströmen in den Menschen und wir entwickeln im Grunde genommen das, was in uns ist, in dem werdenden Menschen. Aber ich will nicht einmal sprechen davon, daß wir unsere Wünsche und Begierden tätig sein lassen bei der Erziehung eines heranwachsenden Menschen, sondern nur davon, daß nur allzuoft, ja, daß es fast Regel ist, daß der Erzieher seinen Verstand sprechen läßt, daß der Erzieher seine Vernunft vor allen Dingen fragt, was zu geschehen hat behufs dieser oder jener Erziehungsmaßregel. Dabei berücksichtigt er nicht, daß er einen werdenden Geist vor sich hat, der nur dann sich seinem Wesen entsprechend bilden kann, wenn er sich diesem Wesen entsprechend allseitig frei und ungehindert entfalten kann, und wenn ihm von dem Erzieher Gelegenheit gegeben wird zu dieser Entfaltung. Einen fremden Menschengeist haben wir vor uns. Einen fremden Menschengeist müssen wir auf uns wirken lassen, wenn wir Erzieher sind. Wie wir gesehen haben, daß in der Hypnose, im abnormen Zustand der Geist unmittelbar auf den Menschen wirkt, so wirkt in einer anderen Gestalt, wenn wir das Kind vor uns haben, der sich entwickelnde Geist des Kindes unmittelbar auf uns und muß auf uns wirken. Dieser Geist wird aber nur von uns ausgebildet werden können, wenn wir uns, ebenso wie bei anderen höheren Verrichtungen, auszulöschen vermögen, wenn wir imstande sind, ohne Einmischung unseres Selbst, ein Diener des uns zur Erziehung anvertrauten Menschengeistes zu sein, wenn dieser Menschengeist von uns in die Gelegenheit versetzt wird, sich frei zu entfalten." (Lit.: GA 052, S. 213f)

Die drei goldenen Regeln der Erziehungs- und Unterrichtskunst

"Religiöse Dankbarkeit gegenüber der Welt, die sich in dem Kinde offenbart, vereinigt mit dem Bewußtsein, daß das Kind ein göttliches Rätsel darstellt, das man mit seiner Erziehungskunst lösen soll. In Liebe geübte Erziehungsmethode, durch die das Kind sich instinktiv an uns selbst erzieht, so daß man dem Kinde die Freiheit nicht gefährdet, die auch da geachtet werden soll, wo sie das unbewußte Element der organischen Wachstumskraft ist.

Das Kind in Ehrfurcht aufnehmen
In Liebe erziehen
In Freiheit entlassen

" (Lit.: GA 269, S. 179)

Pädagogik auf menschenkundlicher Grundlage

"Verhängnisvoll müßte es werden, wenn in den pädagogischen Grundanschauungen, auf denen die Waldorfschule aufgebaut werden soll, ein lebensfremder Geist waltete. Ein solcher tritt heute nur allzu leicht dort hervor, wo man ein Gefühl dafür entwickelt, welchen Anteil an der Zerrüttung der Zivilisation das Aufgehen in einer materialistischen Lebenshaltung und Gesinnung während der letzten Jahrzehnte hat. Man möchte, durch dieses Gefühl veranlaßt, in die Verwaltung des öffentlichen Lebens eine idealistische Gesinnung hineintragen. Und wer seine Aufmerksamkeit der Entwickelung des Erziehungs- und Unterrichtswesens zuwendet, der wird diese Gesinnung vor allem andern da verwirklicht sehen wollen. In einer solchen Vorstellungsart gibt sich viel guter Wille kund. Daß dieser anerkannt werden soll, ist selbstverständlich. Er wird, wenn er sich in der rechten Art betätigt, wertvolle Dienste leisten können, wenn es sich darum handelt, menschliche Kräfte für ein soziales Unternehmen zu sammeln, für das neue Voraussetzungen geschaffen werden müssen. - Dennoch ist gerade in einem solchen Falle nötig, darauf hinzuweisen, wie der beste Wille versagen muß, wenn er an die Verwirklichung von Absichten geht, ohne die auf Sach-Einsicht begründeten Voraussetzungen in vollem Maße zu berücksichtigen. Damit ist eine der Forderungen gekennzeichnet, die heute bei Begründung einer solchen Anstalt in Betracht kommen, wie die Waldorfschule eine sein soll. In ihrem pädagogischen und methodischen Geiste muß Idealismus wirken; aber ein Idealismus, der die Macht hat, in dem aufwachsenden Menschen die Kräfte und Fähigkeiten zu erwecken, die er im weiteren Lebensverlauf braucht, um für die gegenwärtige Menschengemeinschaft Arbeitstüchtigkeit und für sich einen ihn stützenden Lebenshalt zu haben.

Die Pädagogik und Schulmethodik wird eine solche Forderung nur erfüllen können mit wirklicher Erkenntnis des heranwachsenden Menschen. Einsichtige Menschen verlangen heute eine Erziehung und einen Unterricht, die nicht auf einseitiges Wissen, sondern auf Können, nicht auf bloße Pflege der intellektuellen Anlagen, sondern auf Ertüchtigung des Willens hinarbeiten. Die Richtigkeit dieses Gedankens kann nicht angezweifelt werden. Allein man kann den Willen und das ihm zugrunde liegende gesunde Gemüt nicht erziehen, wenn man nicht die Einsichten entwickelt, die in Gemüt und Willen tatkräftige Antriebe erwecken. Ein Fehler, der nach dieser Richtung hin in der Gegenwart häufig gemacht wird, besteht nicht darin, daß man zu viel an Einsicht in den aufwachsenden Menschen hineinträgt, sondern dann, daß man Einsichten pflegt, denen die Stoßkraft für das Leben mangelt. Wer glaubt, den Willen bilden zu können, ohne die ihn belebende Einsicht zu pflegen, der gibt sich einer Illusion hin. - In diesem Punkte klar zu sehen, ist Aufgabe der Gegenwarts-Pädagogik. Dieses klare Sehen kann nur aus einer lebensvollen Erkenntnis des ganzen Menschen hervorgehen.

So wie sie vorläufig gedacht ist, wird die Waldorfschule eine Volksschule sein, die ihre Zöglinge so erzieht und unterrichtet, daß Lehrziele und Lehrplan aufgebaut sind auf die in jedem Lehrer lebendige Einsicht in das Wesen des ganzen Menschen, soweit dies unter den gegenwärtigen Verhältnissen schon möglich ist. Es ist selbstverständlich, daß die Kinder in den einzelnen Schulstufen so weit gebracht werden müssen, daß sie den Anforderungen entsprechen können, die man nach den heutigen Anschauungen stellt. Innerhalb dieses Rahmens aber sollen Lehrziele und Lehrpläne so gestaltet werden, wie sie sich aus der gekennzeichneten Menschen- und Lebenserkenntnis ergeben.

Der Volksschule wird das Kind anvertraut in einem Lebensabschnitte, in dem die Seelenverfassung in einer bedeutungsvollen Umwandlung begriffen ist. In der Zeit von der Geburt bis zum sechsten oder siebenten Lebensjahre ist der Mensch dazu veranlagt, sich für alles, was an ihm zu erziehen ist, ganz an die ihm nächststehende menschliche Umgebung hinzugeben und aus dem nachahmenden Instinkt heraus die eigenen werdenden Kräfte zu gestalten. Von diesem Zeitpunkte an wird die Seele offen für ein bewußtes Hinnehmen dessen, was vom Erzieher und Lehrer auf der Grundlage einer selbstverständlichen Autorität auf das Kind wirkt. Diese Autorität nimmt das Kind hin aus dem dunklen Gefühl heraus, daß in dem Erziehenden und Lehrenden etwas lebt, das in ihm auch leben soll. Man kann nicht Erzieher oder Lehrer sein, ohne mit voller Einsicht sich so zu dem Kinde zu stellen, daß dieser Umwandlung des Nachahmungstriebes in die Aneignungsfähigkeit auf Grund selbstverständlichen Autoritätsverhältnisses im umfänglichsten Sinne Rechnung getragen wird. Die auf bloße Natureinsicht begründete Lebensauffassung der neueren Menschheit geht nicht mit vollem Bewußtsein an solche Tatsachen der Menschheitsentwickelung heran. Ihnen kann nur die notwendige Aufmerksamkeit zuwenden, wer Sinn hat für die feinsten Lebensäußerungen des Menschenwesens. Ein solcher Sinn muß in der Kunst des Erziehens und Unterrichtens walten. Er muß den Lehrplan gestalten; er muß in dem Geiste leben, der Erzieher und Zöglinge vereinigt. Was der Erzieher tut, kann nur in geringem Maße davon abhängen, was in ihm durch allgemeine Normen einer abstrakten Pädagogik angeregt ist; es muß vielmehr in jedem Augenblicke seines Wirkens aus lebendiger Erkenntnis des werdenden Menschen heraus neu geboren sein. Man kann natürlich einwenden, solch ein lebensvolles Erziehen und Unterrichten scheitere an Schulklassen mit großer Schülerzahl. Innerhalb gewisser Grenzen ist dieser Einwand gewiß berechtigt; wer ihn über diese Grenzen hinaus macht, der beweist aber dadurch nur, daß er von dem Gesichtspunkte einer abstrakten Norm-Pädagogik aus spricht: denn eine auf wahrer Menschenerkenntnis beruhende lebendige Erziehungs- und Unterrichtskunst durchzieht sich mit einer Kraft, die in dem einzelnen Zögling die Anteilnahme anregt, so daß man nicht nötig hat, ihn durch das unmittelbare, «individuelle» Bearbeiten entsprechend bei der Sache zu halten. Man kann, was man im Erziehen und Unterrichten wirkt, so gestalten, daß der Zögling im Aneignen es selbst individuell für sich faßt. Dazu ist nur nötig, daß, was der Lehrende tut, genügend stark lebt. Wer den Sinn für echte Menschenerkenntnis hat, dem wird der werdende Mensch in einem solch hohen Maße zu einem von ihm zu lösenden Lebensrätsel, daß er in der versuchten Lösung das Mitleben der Zöglinge weckt. Und ein solches Mitleben ist ersprießlicher als ein individuelles Bearbeiten, das den Zögling nur allzu leicht in bezug auf echte Selbstbetätigung lahmt. Wiederum innerhalb gewisser Grenzen gemeint, darf behauptet werden, daß größere Schulklassen mit Lehrern, die voll des von wahrer Menschenerkenntnis angeregten Lebens sind, bessere Erfolge erzielen werden als kleine Klassen mit Lehrern, die, von einer Norm-Pädagogik ausgehend, solches Leben nicht zu entfalten vermögen.

Weniger deutlich ausgeprägt, aber für Erziehungs- und Unterrichtskunst gleich bedeutungsvoll wie die Umwandlung der Seelenverfassung im sechsten oder siebenten Lebensjahre, findet eine eindringliche Menschenerkenntnis eine solche um den Zeitpunkt der Vollendung des neunten Lebensjahres herum. Da nimmt das Ich-Gefühl eine Form an, welche dem Kinde ein solches Verhältnis zur Natur und auch zur andern Umgebung gibt, daß man zu ihm mehr von den Beziehungen der Dinge und Vorgänge zueinander sprechen kann, während es vorher fast ausschließlich Interesse entwickelt für die Beziehungen der Dinge und Vorgänge zum Menschen. Solche Tatsachen der Menschenentwickelung sollen von dem Erziehenden und Unterrichtenden ganz sorgfältig beachtet werden. Denn wenn man in die Vorstellungs- und Empfindungswelt des Kindes hineinträgt, was in einem Lebensabschnitt gerade mit der Richtung der Entwickelungskräfte zusammenfällt, so erstarkt man den ganzen werdenden Menschen so, daß die Erstarkung das ganze Leben hindurch ein Kraftquell bleibt. Wenn man gegen die Entwickelungsrich-tung in einem Lebensabschnitt arbeitet, so schwächt man den Menschen.

In der Erkenntnis der besonderen Anforderungen der Lebensabschnitte liegt die Grundlage für einen sachgemäßen Lehrplan. Es liegt darinnen aber auch die andere Grundlage für die Art der Behandlung des Lehrstoffes in den aufeinanderfolgenden Lebensabschnitten. Man wird das Kind bis zum vollendeten neunten Lebensjahre in allem, was durch die Kulturentwickelung in das menschliche Leben eingeflossen ist, bis auf eine gewisse Stufe gebracht haben müssen. Man wird gerade die ersten Schuljahre deshalb mit Recht zum Schreibe- und Leseunterricht verwenden müssen; aber man wird diesen Unterricht so gestalten müssen, daß die Wesenheit der Entwickelung in diesem Lebensabschnitt ihr Recht findet. Lehrt man die Dinge so, daß einseitig der Intellekt des Kindes und nur ein abstraktes Aneignen von Fertigkeiten m Anspruch genommen werden, so verkümmert die Willens- und Gemütsnatur. Lernt dagegen das Kind so, daß sein ganzer Mensch an seiner Betätigung Anteil hat, so entwickelt es sich allseitig. Im kindlichen Zeichnen, ja selbst im primitiven Malen kommt der ganze Mensch zur Entfaltung eines Interesses an dem, was er tut. Man sollte deshalb das Schreiben aus dem Zeichnen heraus entstehen lassen. Aus Formen, an denen der kindlich-künstlerische Sinn des Kindes zur Geltung kommt, entwickle man die Buchstabenformen. Aus einer Beschäftigung, die als künstlerisch den ganzen Menschen zu sich heranzieht, entwickle man das Schreiben, das zum Sinnvoll-Intellektuellen hinführt. Und erst aus dem Schreiben heraus lasse man das Lesen erstehen, das die Aufmerksamkeit stark in das Gebiet des Intellektuellen zusammenzieht.

Durchschaut man, wie stark aus der kindlich-künstlerischen Erziehung das Intellektuelle herauszuholen ist, so wird man der Kunst im ersten Volksschulunterricht die angemessene Stellung zu geben geneigt sein. Man wird die musikalische und auch die bildnerische Kunst in das Unterrichtsgebiet richtig hineinstellen und mit dem Künstlerischen die Pflege der Körperübungen entsprechend verbinden. Man wird das Turnerische und die Bewegungsspiele zum Ausdrucke von Empfindungen machen, die angeregt werden von dem Musikalischen oder von Rezitiertem. Die eurythmische, die sinnvolle Bewegung wird an die Stelle derjenigen treten, die bloß auf das Anatomische und Physiologische des Körpers sich aufbaut. Und man wird finden, welch starke willen- und gemütbildende Kraft in der künstlerischen Gestaltung des Unterrichtes liegt. Wirklich fruchttragend werden aber nur solche Lehrer in der hier angedeuteten Art erziehen und unterrichten können, die durch eindringliche Menschenerkenntnis den Zusammenhang durchschauen, der besteht zwischen ihrer Methode und den in einem bestimmten Lebensabschnitt sich offenbarenden Entwickelungskräften. Der ist nicht wirklicher Lehrer und Erzieher, der Pädagogik sich angeeignet hat als Wissenschaft von der Kindesbehandlung, sondern derjenige, in dem der Pädagoge erwacht ist durch Menschenerkenntnis.

Bedeutungsvoll für die Gemütsbildung ist, daß das Kind vor Vollendung des neunten Lebensjahres die Beziehung zur Welt so entwickelt, wie der Mensch geneigt ist, sie in phantasievoller Art auszugestalten. Wenn der Erziehende selbst nicht Phantast ist, so macht er auch das Kind nicht zum Phantasten, indem er in märchen-fabelartiger und ähnlicher Darstellung die Pflanzen- und Tier-, die Luft- und Sternenwelt in dem Gemüte des Kindes leben läßt. Wenn man aus einer materialistischen Gesinnung heraus den gewiß innerhalb gewisser Grenzen berechtigten Anschauungsunterricht auf alles mögliche ausdehnen will, so beachtet man nicht, daß in der menschlichen Wesenheit auch Kräfte entwickelt werden müssen, die nicht durch Anschauung allein vermittelt werden können. So steht das rein gedächtnismäßige Aneignen gewisser Dinge in Zusammenhang mit den Entwik-kelungskräften vom sechsten oder siebenten bis zum vierzehnten Lebensjahre. Und auf diese Eigenschaft der menschlichen Natur soll der Rechenunterricht aufgebaut sein. Er kann geradezu zur Pflege der Erinnerungskraft verwendet werden. Berücksichtigt man dieses nicht, so wird man vielleicht gerade im Rechenunterricht das anschauliche Element gegenüber dem gedächtnisbildenden unpädagogisch bevorzugen. In den gleichen Fehler kann man verfallen, wenn man ängstlich bei jeder Gelegenheit über ein richtiges Maß hinaus anstrebt, daß das Kind alles verstehen müsse, was man ihm übermittelt. Diesem Bestreben liegt gewiß ein guter Wille zugrunde. Aber dieser rechnet nicht damit, was es für den Menschen bedeutet, wenn er in einem späteren Lebensalter in seiner Seele wieder erweckt, was er sich in einem früheren rein gedächtnismäßig angeeignet hat, und nun findet, daß er durch die errungene Reife jetzt zum Verständnisse aus sich selbst kommt. Allerdings wird notwendig sein, daß die bei dem gedächtnismäßigen Aneignen eines Lernstoffes gefürchtete Teilnahmslosigkeit des Zöglings durch die lebensvolle Art des Lehrers verhindert wird. Steht der Lehrer mit seinem ganzen Wesen in seiner Unterrichtstätigkeit drinnen, dann darf er dem Kinde auch beibringen, wofür es im späteren Nacherleben mit Freude das volle Verständnis findet. Und in diesem erfrischenden Nacherleben liegt dann stets Stärkung des Lebensinhaltes. Kann der Lehrer für solche Stärkung wirken, dann gibt er dem Kinde ein unermeßlich großes Lebensgut mit auf den Daseinsweg. Und er wird dadurch auch vermeiden, daß sein «Anschauungsunterricht» durch das Übermaß an Einstellen auf das «Verständnis» des Kindes in Banalität verfällt. Diese mag der Selbstbetätigung des Kindes Rechnung tragen; allein ihre Früchte sind nach dem Kindesalter ungenießbar geworden; die weckende Kraft, die das lebendige Feuer des Lehrers in dem Kinde entzündet bei Dingen, die in gewisser Beziehung noch über seinem «Verständnis» liegen, bleibt wirksam durch das ganze Leben hindurch.

Wenn man mit Naturbeschreibungen aus der Tier- und Pflanzenwelt nach dem vollendeten neunten Lebensjahre beginnt und dieselben so hält, daß aus den Formen und Lebensvorgängen der außermenschlichen Welt die menschliche Form und die Lebenserscheinungen des Menschen verständlich werden, so kann man diejenigen Kräfte im Zögling wecken, die in diesem Lebensabschnitt nach ihrem Entbundenwerden aus den Tiefen des Menschenwesens streben. Dem Charakter, den das Ich-Gefühl in dieser Lebensepoche annimmt, entspricht es, das Tier- und Pflanzenreich so anzusehen, daß, was in ihnen an Eigenschaften und Verrichtungen auf viele Wesensarten verteilt ist, in dem Menschenwesen als dem Gipfel der Lebewelt wie in einer harmonischen Einheit sich offenbart.

Um das zwölfte Lebensjahr herum ist abermals ein Wendepunkt in der Menschenentwickelung eingetreten. Der Mensch wird da reif, diejenigen Fähigkeiten zu entwickeln, durch die er in einer für ihn günstigen Art zum Begreifen dessen gebracht wird, das ganz ohne Beziehung zum Menschen aufgefaßt werden muß: des mineralischen Reiches, der physikalischen Tatsachenwelt, der Witterungserscheinungen und so weiter.

Wie aus der Pflege solcher Übungen, die ganz aus der Natur des menschlichen Betätigungstriebes heraus gestaltet sind ohne Rücksicht auf die Ziele des praktischen Lebens, sich andere entwickeln sollen, die eine Art Arbeitsunterricht sind, das ergibt sich aus der Erkenntnis des Wesens der Lebensabschnitte. Was hier für einzelne Teile des Lehrstoffes angedeutet ist, läßt sich ausdehnen auf alles, was dem Zögling bis in sein fünfzehntes Lebensjahr hinein zu geben ist.

Man wird nicht zu befürchten haben, daß der Zögling in einer dem äußeren Leben fremden Seelen- und Körperverfassung aus der Volksschule entlassen wird, wenn in der geschilderten Art auf dasjenige gesehen wird, was aus der inneren Entwickelung des Menschenwesens als Unterrichts- und Erziehungsprinzipien sich ergibt. Denn das menschliche Leben ist selbst aus dieser inneren Entwickelung heraus gestaltet, und der Mensch wird in der besten Art in dieses Leben eintreten, wenn er durch die Entwickelung seiner Anlagen sich mit dem zusammenfindet, was aus den gleichgearteten menschlichen Anlagen heraus Menschen vor ihm der Kulturentwickelung einverleibt haben. Allerdings, um beides, die Entwickelung des Zöglings und die äußere Kulturentwickelung, zusammenzustimmen, bedarf es einer Lehrerschaft, die sich nicht mit ihrem Interesse in einer fachmäßigen Erziehungs- und Unterrichtspraktik abschließt, sondern die mit vollem Anteil sich hineinstellt in die Weiten des Lebens. Eine solche Lehrerschaft wird die Möglichkeit finden, in den heranwachsenden Menschen den Sinn für die geistigen Lebensinhalte zu wecken, aber nicht weniger das Verständnis für praktische Gestaltung des Lebens. Bei solcher Haltung des Unterrichts wird der vierzehn- oder fünfzehnjährige Mensch nicht verständnislos sein für das Wesentliche, was aus der Landwirtschaft, der Industrie, dem Verkehre dem Gesamtleben der Menschheit dient. Die Einsichten und die Fertigkeiten, die er sich angeeignet hat, werden ihn befähigen, sich orientiert zu fühlen in dem Leben, das ihn aufnimmt." (Lit.: GA 298, S. 9ff)

Erziehung und Wesensglieder

Ein wesentliches, von Rudolf Steiner entdecktes pädagogisches Gesetz besteht darin, dass der Erzieher mit seinem nächsthöheren Wesensglied auf das darunter liegende Wesensglied des Kindes wirkt. So wirkt etwa der Ätherleib des Erziehers auf den physischen Leib des Kindes, der Astralleib auf den Ätherleib usw.

"Da tritt uns eben ein pädagogisches Gesetz entgegen, das ja in aller Pädagogik erscheint. Das ist dieses, daß wirksam ist in der Welt auf irgendein Glied der menschlichen Wesenheit, wo es auch immer herkommt, das nächsthöhere Glied, und daß es nur dadurch wirksam zur Entwickelung kommt. Zur Entwickelung auf den physischen Leib kann wirksam sein ein im Ätherleib Lebendes, in einem ätherischen Leib Lebendes. Zur Entwickelung auf einen Ätherleib kann nur wirksam ein in einem astralischen Leib Lebendes sein. Zur Entwickelung auf einen astralischen Leib kann wirksam nur ein in einem Ich Lebendes sein. Und auf ein Ich kann wirksam sein nur ein in einem Geistselbst Lebendes. Ich könnte es noch weiter fortführen über das Geistselbst hinaus, aber da würden wir schon in die Unterweisung des Esoterischen hineinkommen.

Was heißt das? Wenn Sie gewahr werden, daß in einem Kinde der Ätherleib in irgendeiner Weise verkümmert ist, so müssen Sie Ihren eigenen astralischen Leib so gestalten, daß er korrigierend auf den Ätherleib des Kindes wirken kann. Wir können geradezu sagen, mit Bezug auf das Erziehungsschema kann hierher geschrieben werden:

Kind: physischer Leib Erzieher: Ätherleib
Ätherleib astralischer Leib
astralischer Leib Ich
Ich Geistselbst

Der eigene Ätherleib des Erziehers muß - und das muß durch seine Seminarvorbildung geschehen -, er muß auf den physischen Leib des Kindes wirken können. Der eigene astralische Leib muß auf den Ätherleib des Kindes wirken können. Das eigene Ich des Erziehers muß auf den Astralleib des Kindes wirken können. Und jetzt werden Sie innerlich sogar erschrecken, denn hier steht das Geistselbst des Erziehers, von dem Sie glauben werden, daß es nicht entwickelt ist. Das muß auf das Ich des Kindes wirken. Aber das Gesetz ist so. Und ich werde Ihnen zeigen, inwiefern tatsächlich nicht bloß im Idealerzieher, sondern oftmals im allerschlechtesten Erzieher das Geistselbst des Erziehers, das ihm selber gar nicht zum Bewußtsein kommt, auf das Ich des Kindes wirkt. Das Erziehungswesen ist in der Tat in eine Reihe von Mysterien eingehüllt." (Lit.: GA 317, S. 33f)

Der pädagogische Instinkt des Lehrers

Die Methode der Waldorfpädagogik besteht nicht in einem einmal festgeschriebenen Satz von Regeln, die man im Unterricht anzuwenden hätte, sie muss vielmehr mit jedem Schüler, mit jeder Klasse, die man als Lehrer vor sich hat, gleichsam immer wieder neu erfunden werden. Sie kann daher auch nicht in üblicher Weise gelehrt werden. Alles, was Rudolf Steiner diesbezüglich über die Methodik der Waldorpädagogik gesagt hat, soll nur dazu dienen, den gesunden Instinkt des Lehrers zu wecken, sodass er sich intuitiv in seine Schüler hineinzuversetzen vermag, um an ihnen selbst abzulesen, wie man ihre Entwicklung am besten fördern kann.

"Der Lehrende, der Erziehende darf ja nicht zuerst etwas theoretisch lernen und sich dann sagen: Was ich theoretisch gelernt habe, das wende ich jetzt auf das Kind in dieser oder jener Weise an. – Dadurch entfernt er sich von dem Kinde, er nähert sich nicht dem Kinde. Der Lehrer muß das, was er über den Menschen weiß, in eine Art höheren Instinkt hineinbekommen, so daß er in einer gewissen Weise instinktiv jeder Regung des einzelnen individuellen Kindeslebens gegenübersteht. Dadurch unterscheidet sich eben anthroposophische Menschenerkenntnis von jener, die heute üblich ist. Diejenige Menschenerkenntnis, die heute üblich ist, führt höchstens zur Erziehungsroutine, nicht aber zur wirklichen Erziehergesinnung und zur wirklichen Erzieherpraxis. Denn einer wirklichen Erzieherpraxis muß eine solche Menschenerkenntnis zugrunde liegen, die dem Kinde gegenüber in jedem Augenblick instinktiv wird, so daß man aus der ganzen Fülle dessen, was einem am Kinde entgegentritt, dem einzelnen Falle gegenüber weiß, was man zu tun hat. Wenn ich einen Vergleich gebrauchen darf, möchte ich so sagen: Nicht wahr, wir haben allerlei Theorien über das Essen und Trinken, aber wir richten uns im Leben im allgemeinen nicht nach dem, was theoretisch ersonnen werden kann darüber, wann man essen soll, wann man trinken soll. Man trinkt, wenn man durstig ist – das ergibt sich aus der ganzen Konstitution des Organismus heraus –, man ißt, wenn man hungrig ist. Daß das in einen gewissen Lebensrhythmus eingeschaltet ist, hat natürlich seine guten Gründe, aber der Mensch ißt und trinkt, wenn er hungrig und durstig ist; das ergibt das Leben selber. Nun muß eine Menschenerkenntnis, welche einer wirklichen Erziehungspraxis zugrunde liegt, im Menschen, wenn er einem Kinde gegenübersteht, so etwas erzeugen, wie etwa erzeugt wird das Verhältnis vom Hunger zum Essen. Es muß so natürlich sein, wie daß ich durch den Hunger ein gewisses Verhältnis zu den Speisen bekomme. So muß es ganz natürlich werden durch eine wirkliche, nicht nur in Fleisch und Blut, sondern auch in Seele und Geist eindringende Menschenerkenntnis, daß ich, wenn das Kind auftritt vor mir, etwas bekomme wie Hunger: Das hast du jetzt zu tun, jenes hast du jetzt zu tun! Nur wenn in dieser Weise Menschenerkenntnis eine solche innere Fülle hat, daß sie instinktiv werden kann, dann kann sie zur Erzieherpraxis führen." (Lit.: GA 306, S. 32f)

Ein Missverständnis wäre es allerdings, wenn man sich dabei auf alte, weitgehend unbewusste Erziehungsinstinkte berufen wollte. Heute muss alles zunächst ins klare Bewusstsein gehoben werden, um dann nach und nach zu einem neuen, bewusst erworbenen Instinkt zu reifen.

"Das wird durch die anthroposophische Erkenntnis eingesehen. Durch sie kann man wissen, daß die intellektualistische Orientierung in der Wissenschaft einer notwendigen Phase in der Entwickelung der Menschheit ihr Dasein verdankt. Die Menschheit der neueren Zeit ist aus der Periode des Instinktlebens herausgetreten. Der Intellekt hat seine hervorragende Bedeutung erhalten. Die Menschheit brauchte ihn, um auf ihrer Entwickelungsbahn in der rechten Weise fortzuschreiten. Er führt sie zu demjenigen Grade der Bewußtheit, den sie in einem gewissen Zeitalter erklimmen muß, wie der einzelne Mensch in einem Lebensalter gewisse Fähigkeiten erringen muß. Aber unter dem Einflüsse des Intellektes werden die Instinkte abgelähmt. Man kann nicht, ohne gegen die Entwickelung der Menschheit zu arbeiten, zu dem Instinktleben wieder zurückkehren wollen. Man muß die Bedeutung der Vollbewußtheit anerkennen, die durch den Intellektualismus errungen ist. Und man muß dem Menschen in dieser Vollbewußtheit das auch vollbewußt wieder geben, was ihm kein Instinktleben heute mehr geben kann.

Dazu braucht man eine Erkenntnis des Geistigen und Seelischen, die ebenso auf Wirklichkeit begründet ist wie die im Intellektualismus begründete Sinneswissenschaft. Eine solche strebt die Anthroposophie an." (Lit.: GA 304, S. 218f)

Nur auf diesem Weg kann eine wahre Erziehungskunst entstehen, der es trotzdem nicht an der nötigen Bewusstseinsklarheit mangelt, welche die Erziehungswissenschaft auszeichnet.

"Wer einer Normpädagogik anhängt, Programme prägt, die gewisse Erziehungsgrundsätze geben, nun, der weiß, wie man unterrichtet. Derjenige aber, der aus dem unmittelbaren Leben heraus unterrichten soll, der kann, ich möchte sagen nur die Impulse bekommen, um zu beobachten, was sich von Jahr zu Jahr, von Woche zu Woche, von Monat zu Monat in dem werdenden Menschen wirklich ergibt. Da muß man fortwährend, wenn es auch eine noch so große Klasse wäre, in lebendigem Verkehre sein, da muß man Verständnis dafür haben, was es heißt, nicht aus dem Gedächtnis heraus eine eingelernte Pädagogik zu üben, sondern in jedem Momente dem lebendigen Menschen gegenüber die individuelle Methode neu zu erfinden, die man gerade diesem lebendigen Menschen gegenüber anzuwenden hat.

Dasjenige, was im Leben wirken soll, darf nicht auf dem Gedächtnis, nicht auf der Gewohnheit beruhen. Was uns ins Gedächtnis eingeht und was wir gedächtnismäßig üben in unserer menschlichen Betätigung, was wir aus der Gewohnheit heraus üben, das wird unter allen Umständen zu etwas wie einer strohernen Schablone. Dasjenige, was aus dem Geistesleben hervorgeht, das kann niemals zu einer strohernen Schablone werden!

Es hat Zeiten gegeben, gibt es bestimmt noch, in denen ich dasselbe Thema Woche für Woche hindurch vorgetragen habe. Ich glaube nicht, daß man mir nachsagen kann, daß ich einen einzigen Vortrag zweimal gehalten habe, daß ich jemals über dasselbe Thema zweimal hintereinander genau gleich gesprochen habe, weil es sich, wenn es sich um das Sprechen aus dem Geiste heraus handelt, um das unmittelbar augenblickliche Produzieren handelt, weil es gar nicht möglich ist, dasjenige, was aus dem Geiste heraus produziert wird, im gewöhnlichen Sinne dem Gedächtnismäßigen anzuvertrauen, weil das in unmittelbarem Leben sich fortwährend entwickeln muß. Wer aus dem Geist heraus wirkt, dem ist das bloße gedächtnismäßige Aufbewahren irgendeines geistigen Wissens ungefähr so, wie wenn einer sagen würde: Ich esse heute nicht, denn ich habe ja vorgestern gegessen. Warum soll ich heute wieder essen? Mein Leib wird sich schon auf Grund dessen aufbauen, was ich vorgestern gegessen habe. - Ja, unser physischer Organismus ist in der fortwährenden Lage, daß er sich immer erneuert. Dem muß auch der Geist Rechnung tragen. In diesem lebendigen Leben muß auch der Geist drinnenstehen. Der wirkliche Geist muß jederzeit ein Schaffendes sein. So muß auch eine vom Geiste getragene Pädagogik eine fortwährend schaffende Kunst sein." (Lit.: GA 297, S. 152f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung, GA 52 (1986), ISBN 3-7274-0520-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Geistige Wirkenskräfte im Zusammenleben von alter und junger Generation. Pädagogischer Jugendkurs., GA 217 (1988), ISBN 3-7274-2170-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Idee und Praxis der Waldorfschule, GA 297 (1998), ISBN 3-7274-2970-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Rudolf Steiner in der Waldorfschule, GA 298 (1980) pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  5. Rudolf Steiner: Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen., GA 306 (1956) pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  6. Rudolf Steiner: Heilpädagogischer Kurs, GA 317 (1995), ISBN 3-7274-3171-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Kritische Literatur
  • Hellmich, Achim und Teigeler, Peter (Hrsg.): Montessoripädagogik, Freinetpädagogik, Waldorfpädagogik - Konzeption und aktuelle Praxis. Beltz Verlag, 1999. ISBN 3407252188