Heilpädagogik

Aus AnthroWiki
Version vom 12. September 2013, 20:28 Uhr von imported>Odyssee

Die Heilpädagogik für seelenpflegebedürftige Menschen auf anthroposophischer Basis wird heute weltweit sehr erfolgreich angewendet. Sie ist aus den Impulsen hervorgegangen, die Rudolf Steiner in seinem 1924 für Ärzte und Heilpädagogen gehaltenen heilpädagogischen Kurs gegeben hat zur Förderung von Kindern oder auch Erwachsenen, "die aus einer unvollständig gebliebenen Entwickelung heraus erzogen werden sollen, beziehungsweise, soweit es möglich ist, geheilt werden sollen." (Lit.: GA 317, S. 11)

Grundlagen

"Es ist ja natürlich, daß vorangehen soll bei jedem, der unvollständig entwickelte Kinder erziehen will, eine Erkenntnis, eine wirklich eindringliche Erkenntnis der Erziehungspraxis für gesunde Kinder. Das ist dasjenige, was sich jeder, der solche Kinder erziehen will, aneignen müßte. Denn man muß sich ganz klar darüber sein, daß all dasjenige, was eigentlich bei unvollständig entwickelten Kindern, bei krankhaften Kindern auftreten kann, in intimerer Art auch im sogenannten normalen Seelenleben bemerkbar ist, man muß nur entsprechend das normale Seelenleben beobachten können. Man möchte sagen, irgendwo in einer Ecke sitzt bei jedem Menschen im Seelenleben zunächst eine sogenannte Unnormalität." (Lit.: GA 317, S. 11)

Geschichte der anthroposophischen Heilpädagogik

"Als im Jahre 1924 eine Gruppe junger Menschen, die in der Behinderten-Arbeit tätig war, an Rudolf Steiner herantrat mit der Frage nach einem erneuerten Menschenverständnis als Grundlage für ihre Arbeit, erfolgte die Gründung der heilpädagogischen Bewegung in den Instituten am Lauenstein bei Jena und unter der Leitung von Ita Wegman (1876-1943) am Sonnenhof in Arlesheim. Es ist dadurch ... ein neuer Einschlag in der Entwicklung der Heilpädagogik in Mitteleuropa erfolgt.

(...) Der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmende Verlust eines religiös-verankerten Menschenbildes, der bis in unser Jahrhundert hinein die Signatur der Behinderten-Arbeit ist, spiegelt den Bruch gegenüber dem Menschenbild der Goethezeit und machte für das breite, gesellschaftliche Bewußtsein den andersartigen Menschen zunehmend zu einem zu Versorgenden, zu einer Last in den progressiv naturwissenschaftlich ausgerichteten Sozialgebilden. Man muß ins Auge fassen, daß hier ein Vakuum sich auszubreiten begann, dem sich damals ein erweitertes denkendes Bewußtsein nicht entgegenstellen konnte. Gegenüber einem absterbenden Glauben war eine neue Erkenntnissicherheit über den Ursprung, das Wesen und die Entwicklung des Menschen nicht mehr gegenwärtig. Zweifellos gibt es genügend Beispiele hervorragender Persönlichkeiten und mutiger Einrichtungen in der Entwicklungsgeschichte der karitativ orientierten Organisationen, vor allem auch in den Jahren nach 1933, die den Versuch machten, das Ebenbild Gottes im Menschen wenigstens zu bewahren. Der Einbruch des materialistischen Weltbildes hat aber schon früh auch dort tiefe Spuren hinterlassen.

(...) Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sich eine materialistisch-biologische Denkungsart gegenüber diesem Durchblick auf die seelisch-geistige Bestimmung des Menschen im wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Bewußtsein durchgesetzt hatte, die folgenreich im 20. Jahrhundert in die Arbeit mit behinderten Menschen hineinwirkt unter dem Primat der Vererbungsbestimmtheit der Entwicklung. Auf diesem Hintergrund gewinnen die Ausführungen Rudolf Steiners, als er 1924 die Richtkräfte der anthroposophischen Heilpädagogik formulierte ihr historisches Gewicht" (Lit.: Müller-Wiedenmann, S. 318 - 322).

In der Praxis der anthroposophischen Heilpädagogik kommt der Zusammenarbeit der Heilpädagogen mit anthroposophischen Ärzten und Heileurythmisten ein großer Stellenwert zu. Keine Behinderung darf als unabänderlich hingenommen werden, auch nicht im Erwachsenenalter:

"Ich glaube, es ist außerordentlich wichtig, daß man gegenüber der Situation behinderter Erwachsener immer offen bleibt. Wir fügen einem behinderten Erwachsenen das größte und wahrscheinlich unverzeihliche Unrecht zu, wenn wir seinen Fall als gegeben, endgültig und als nicht mehr zu ändern hinnehmen. Das ist gleichbedeutend mit Mord" (Lit.: Thomas J. Weihs, S. 186).

Literatur

  • Rudolf Steiner: Heilpädagogischer Kurs, GA 317 (1995), ISBN 3-7274-3171-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  • Wilhelm Uhlenhoff: Die Kinder des Heilpädagogischen Kurses. Krankheitsbilder und Lebenswege, Vlg. Freies Geistesleben, Stuttgart 3. Auflage 2007
  • Bernard Lievegoed: Heilpädagogische Betrachtungen. Edition Bingenheim, Wuppertal 1984
  • Bernard Lievegoed: Soziale Gestaltungen am Beispiel heilpädagogischer Einrichtungen. Info3-Verlag, Frankfurt am Main 1986
  • Thomas J. Weihs: Das entwicklungsgestörte Kind. Heilpädagogische Erfahrungen in Camphill-Gemeinschaften, Fischer TB, Frankfurt am Main 1983
  • Hans Müller-Wiedemann: Heilpädagogik und Sozialtherapie - Idee und Auftrag. In: Zivilisation der Zukunft. Arbeitsfelder der Anthroposophie, herausgegeben von Herbert Rieche und Wolfgang Schuchhardt, Urachhaus Vlg., Stuttgart 1981, S. 318 - 346
  • Georg von Arnim: Was bedeutet Seelenpflege?. Die Aufgaben der anthroposophischen Heilpädagogik und Sozialtherapie, Verein für ein erweitertes Heilwesen, Bad Liebenzell/Unterlengenhardt 1993

Siehe auch: