Hohepriesterliches Gebet und Herzensbildung: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Das hohepriesterliche Gebet''' bildet den Abschluss der Abschiedsreden, die der [[Christus]] den [[Jünger]]n beim letzten [[Abendmahl]] gab. Es ist durch das 17. Kapitel des [[Johannes-Evangelium]]s überliefert:
'''Herzensbildung''' beruht auf der Ausbildung einer reichen [[Seelische Innenwelt|seelischen Innenwelt]]<ref>Hartlapp, S. 116 [https://books.google.at/books?id=cDisSSu1oSMC&pg=PA116#v=onepage&q&f=false]</ref> in der sich das [[Ich]] als eigenständiges [[Geistige Wesen|geistiges Wesen]] zu erkennen beginnt und allmählich zum souveränen Beherrscher seines [[Denken]]s, [[Fühlen]]s und [[Wollen]]s werden kann.


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Die Herzensbildung konnte sich in dieser Form erst am Übergang vom Zeitalter der [[Verstandes- und Gemütsseele]] zu dem der [[Bewusstseinsseele]], d.h. am Beginn der [[Neuzeit]], ausbilden. Das [[Mittelalter]] kannte eine derartige [[individuell]]e Innerlichkeit noch nicht. Der [[Mensch]] war damals noch viel mehr von außen geprägt durch die soziale Rolle, in die ihn das [[Schicksal]] hineingestellt hatte, etwa als [[Wikipedia:Adel|Adel]]iger, [[Geistlicher]], [[Wikipedia:Zunft|Zunft]]mitglied, [[Wikipedia:Landwirt|Bauer]] oder [[Wikipedia:Leibeigenschaft|Leibeigener]]. Daran begann sich erst durch die allmählich zunehmende [[Wikipedia:Stadt|Städtegründung]] ab dem [[Wikipedia:11. Jahrhundert|11. Jahrhundert]] etwas zu ändern („[[Wikipedia:Stadtluft macht frei|Stadtluft macht frei]]“).  
1 So redete Jesus und hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist da: verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche;
2 denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.
3 Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen.
4 Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue.
5 Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
6 Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt.
7 Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
8 Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben, und sie haben sie angenommen und wahrhaftig erkannt, dass ich von dir ausgegangen bin, und sie glauben, dass du mich gesandt hast.
9 Ich bitte für sie und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast; denn sie sind dein.
10 Und alles, was mein ist, das ist dein, und was dein ist, das ist mein; und ich bin in ihnen verherrlicht.
11 Ich bin nicht mehr in der Welt; sie aber sind in der Welt, und ich komme zu dir. Heiliger Vater, erhalte sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, dass sie eins seien wie wir.
12 Solange ich bei ihnen war, erhielt ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, und ich habe sie bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren außer dem Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt werde.
13 Nun aber komme ich zu dir und rede dies in der Welt, damit meine Freude in ihnen vollkommen sei.
14 Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst; denn sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.
15 Ich bitte dich nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie bewahrst vor dem Bösen.
16 Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.
17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit.
18 Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt.
19 Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit.
20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden,
21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.
22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind,
23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst.
24 Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.
25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich und diese haben erkannt, dass du mich gesandt hast.
26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.


{{B|Joh|17|1-26|LUT}}
Wegbereiter für die Ausbildung einer reichen Innenwelt mit stark geistigem Einschlag waren die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen [[Mystik]]er. [[Martin Luther]] und die verschiedenen [[Wikipedia:Reformation|Reformation]]sbewegungen förderten die Loslösung von der kirchlichen [[Autorität]]. Einen entscheidenden Schritt zu einem gesteigerten [[Selbstbewusstsein]] brachte [[Descartes]] „[[cogito ergo sum]]“, das das [[Ich]] zunächst im Spiegelbild des [[Verstand]]es ins Zentrum rückte. Der [[Wikipedia:Pietismus|Pietismus]] betonte die '''Herzensfrömmigkeit''' und kultivierte damit die [[Innenwelt]].
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[[Kategorie:Christentum]] [[Kategorie:Christologie]] [[Kategorie:Gebet]]
Unter noch stärker Betonung des [[Ich-Bewusstsein]]s entstand daraus etwa ab 1740 der [[Genie]]-Kult mit der ihm eigentümlichen Pflege der feinsten [[Empfindsamkeit]], die zur '''Herzensergießung''' wird.<ref>Hartlapp, S. 117 [https://books.google.at/books?id=cDisSSu1oSMC&pg=PA117#v=onepage&q&f=false]</ref> Im Mittelpunkt steht nun, am Übergang zur [[Goethezeit]], die ''schöne Seele'', die ganz aus ihrer [[gefühl]]vollen Innerlichkeit lebt. Der gefühlvolle Jüngling und das empfindsame Mädchen werden zum Ideal dieser Epoche, die ganz besonders von [[Wikipedia:Friedrich Gottlieb Klopstock|Friedrich Gottlieb Klopstock]], [[Jung-Stilling]] und auch von [[Goethe]] und [[Schiller]] in ihren jungen Jahren geprägt wurde. Geradezu das [[Urbild]] der reinsten Herzenskräfte zeichnete Goethe in seiner «[[Wikipedia:Iphigenie auf Tauris|Iphigenie auf Tauris]]». Ein weiterer Markstein auf diesem Weg ist Goethes Bildungsroman «[[Wilhelm Meister]]». In dem bildungspolitisch vor allem von [[Wilhelm von Humboldt]] propagierten [[Idealismus|idealistisch]]-[[Humanismus|humanistischen]] [[Bildungsideal]], das sich bis in die [[Wikipedia:1960er|1960er]]-Jahre bewahren konnte, stand die '''Herzensbildung''', d.h. die Ausbildung einer reichen [[Seelische Innenwelt|seelischen Innenwelt]] und die Pflege [[Kunst|künstlerischer]] [[Fähigkeit]]en im Vordergrund, die aber noch weitgehend von der [[Tradition]] der klassischen [[Bildung]], d.h. durch den Blick auf die [[griechisch]]-[[latein]]ische [[Vergangenheit]] bestimmt war.
 
Mit dem [[Wikipedia:Wirtschaftswunder|Wirtschaftswunder]] nach dem [[Wikipedia:Zweiter Weltkrieg|Zweiten Weltkrieg]] vollzog sich dann im [[Bildungswesen]] sehr rasch eine [[Technik|technisch]]-[[wirtschaft]]lich ausgerichtete „realistische Wende“ und ab Mitte der [[Wikipedia:1970er|1970er]]-Jahre eine bis heute vorherrschende „Alltagswende“. Die Bildung wird nun ganz darauf ausgerichtet alltägliche, lebenspraktische Probleme zu lösen bis hin zur detailierten [[Sexualität|Sexualerziehung]]. Der Blick ist vornehmlich auf die Außenwelt gerichtet, die Pflege einer reichen Innenwelt wird zunehmend vernachlässigt, mit teils dramatischen Folgen. [[Drogen]]missbrauch und [[psychische Störung]]en nehmen stark zu, die [[Soziale Beziehung|soziale Beziehungsfähigkeit]] ist vielfach unterentwickelt. Das [[Ich]] verliert immer mehr die [[Fähigkeit]], mit dem eigenen [[Ego]] fertig zu werden.
 
Die Zukunft erfordert eine neue, noch viel bewusstere Form der Herzensbildung, die sich weniger auf [[Tradition]]en, als vielmehr auf die [[individuell]]e [[moralische Intuition]] stützt, wie sie [[Rudolf Steiner]] wegweisend in seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» beschrieben hat. Diese Entwicklung zu fördern, ist das Ziel der [[Waldorfpädagogik]].
 
== Literatur ==
 
# Johannes Hartlapp, Stafan Höschele (Hrsg.): ''Geschichte – Gesellschaft – Gerechtigkeit. Festschrift für Baldur Pfeiffer.'' Verlag Frank & Timme 2007, ISBN 978-3865961495
# Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4; '''Tb 627''', ISBN 978-3-7274-6271-9 {{Schriften|004}}
 
== Einzelnachweise ==
 
<references/>
 
[[Kategorie:Erziehung]] [[Kategorie:Bildung]] [[Kategorie:Pädagogik]] [[Kategorie:Waldorfpädagogik]]

Version vom 20. Oktober 2017, 11:11 Uhr

Herzensbildung beruht auf der Ausbildung einer reichen seelischen Innenwelt[1] in der sich das Ich als eigenständiges geistiges Wesen zu erkennen beginnt und allmählich zum souveränen Beherrscher seines Denkens, Fühlens und Wollens werden kann.

Die Herzensbildung konnte sich in dieser Form erst am Übergang vom Zeitalter der Verstandes- und Gemütsseele zu dem der Bewusstseinsseele, d.h. am Beginn der Neuzeit, ausbilden. Das Mittelalter kannte eine derartige individuelle Innerlichkeit noch nicht. Der Mensch war damals noch viel mehr von außen geprägt durch die soziale Rolle, in die ihn das Schicksal hineingestellt hatte, etwa als Adeliger, Geistlicher, Zunftmitglied, Bauer oder Leibeigener. Daran begann sich erst durch die allmählich zunehmende Städtegründung ab dem 11. Jahrhundert etwas zu ändern („Stadtluft macht frei“).

Wegbereiter für die Ausbildung einer reichen Innenwelt mit stark geistigem Einschlag waren die spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Mystiker. Martin Luther und die verschiedenen Reformationsbewegungen förderten die Loslösung von der kirchlichen Autorität. Einen entscheidenden Schritt zu einem gesteigerten Selbstbewusstsein brachte Descartescogito ergo sum“, das das Ich zunächst im Spiegelbild des Verstandes ins Zentrum rückte. Der Pietismus betonte die Herzensfrömmigkeit und kultivierte damit die Innenwelt.

Unter noch stärker Betonung des Ich-Bewusstseins entstand daraus etwa ab 1740 der Genie-Kult mit der ihm eigentümlichen Pflege der feinsten Empfindsamkeit, die zur Herzensergießung wird.[2] Im Mittelpunkt steht nun, am Übergang zur Goethezeit, die schöne Seele, die ganz aus ihrer gefühlvollen Innerlichkeit lebt. Der gefühlvolle Jüngling und das empfindsame Mädchen werden zum Ideal dieser Epoche, die ganz besonders von Friedrich Gottlieb Klopstock, Jung-Stilling und auch von Goethe und Schiller in ihren jungen Jahren geprägt wurde. Geradezu das Urbild der reinsten Herzenskräfte zeichnete Goethe in seiner «Iphigenie auf Tauris». Ein weiterer Markstein auf diesem Weg ist Goethes Bildungsroman «Wilhelm Meister». In dem bildungspolitisch vor allem von Wilhelm von Humboldt propagierten idealistisch-humanistischen Bildungsideal, das sich bis in die 1960er-Jahre bewahren konnte, stand die Herzensbildung, d.h. die Ausbildung einer reichen seelischen Innenwelt und die Pflege künstlerischer Fähigkeiten im Vordergrund, die aber noch weitgehend von der Tradition der klassischen Bildung, d.h. durch den Blick auf die griechisch-lateinische Vergangenheit bestimmt war.

Mit dem Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg vollzog sich dann im Bildungswesen sehr rasch eine technisch-wirtschaftlich ausgerichtete „realistische Wende“ und ab Mitte der 1970er-Jahre eine bis heute vorherrschende „Alltagswende“. Die Bildung wird nun ganz darauf ausgerichtet alltägliche, lebenspraktische Probleme zu lösen bis hin zur detailierten Sexualerziehung. Der Blick ist vornehmlich auf die Außenwelt gerichtet, die Pflege einer reichen Innenwelt wird zunehmend vernachlässigt, mit teils dramatischen Folgen. Drogenmissbrauch und psychische Störungen nehmen stark zu, die soziale Beziehungsfähigkeit ist vielfach unterentwickelt. Das Ich verliert immer mehr die Fähigkeit, mit dem eigenen Ego fertig zu werden.

Die Zukunft erfordert eine neue, noch viel bewusstere Form der Herzensbildung, die sich weniger auf Traditionen, als vielmehr auf die individuelle moralische Intuition stützt, wie sie Rudolf Steiner wegweisend in seiner «Philosophie der Freiheit» beschrieben hat. Diese Entwicklung zu fördern, ist das Ziel der Waldorfpädagogik.

Literatur

  1. Johannes Hartlapp, Stafan Höschele (Hrsg.): Geschichte – Gesellschaft – Gerechtigkeit. Festschrift für Baldur Pfeiffer. Verlag Frank & Timme 2007, ISBN 978-3865961495
  2. Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1995), ISBN 3-7274-0040-4; Tb 627, ISBN 978-3-7274-6271-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org

Einzelnachweise

  1. Hartlapp, S. 116 [1]
  2. Hartlapp, S. 117 [2]