Atmung und Menon: Unterschied zwischen den Seiten

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{{Textbox|<poem>Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:
[[Datei:Head Platon Glyptothek Munich 548.jpg|mini|hochkant|Platon (römische Kopie des griechischen Platonporträts des [[w:Silanion|Silanion]], [[w:Glyptothek (München)|Glyptothek München]])]]
Die Luft einzuziehn, sich ihrer entladen;
Der '''''Menon''''' ({{ELSalt|Μένων}} ''Ménōn'') ist ein in [[Platonischer Dialog|Dialogform]] verfasstes Werk des [[Philosophie der Antike|griechischen Philosophen]] [[Platon]]. Den Inhalt bildet ein fiktives, literarisch gestaltetes Gespräch. Platons Lehrer [[Sokrates]] diskutiert mit dem vornehmen [[w:Thessalien|Thessalier]] [[w:Menon von Pharsalos|Menon von Pharsalos]], der sich vorübergehend in [[w:Athen|Athen]] aufhält, und mit dessen Gastgeber, dem Politiker Anytos. Außerdem nimmt zeitweilig ein Sklave Menons an dem Gespräch teil. Das Thema ist Menons Frage, ob Tugend erlernt oder eingeübt werden kann oder angeboren ist. Der gewöhnlich mit „Tugend“ übersetzte griechische Begriff ''[[Arete|aretḗ]]'' bezeichnet nicht nur eine moralisch wünschenswerte Haltung, sondern Tüchtigkeit und Vortrefflichkeit in einem weiten Sinn.
Jenes bedrängt, dieses erfrischt;
So wunderbar ist das Leben gemischt.
Du danke Gott, wenn er dich preßt,
Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt.</poem>|Johann Wolfgang von Goethe<ref>[[Johann Wolfgang von Goethe]]: ''Gedichte. West-östlicher Divan'', 1814 - 1819. Buch des Sängers</ref>}}


Die '''Atmung''' ([[lat.]] ''Respiratio''), mit dem [[Rhythmisches System|rhythmischen]] Wechsel von '''Einatmung''' und '''Ausatmung''', ist der erste der sieben grundlegenden [[Lebensprozesse]], die [[Rudolf Steiner]] unterschieden hat und steht nach seinen Angaben unter dem [[kosmisch]]en Einfluss der [[Saturnsphäre]] {{Lit|{{G|170|113ff}}}}.  
Zunächst müsste geklärt werden, was Tugend eigentlich ist, doch gelingt dies nicht; verschiedene Definitionsvorschläge werden untersucht und erweisen sich als untauglich. Sokrates glaubt jedoch, dass es ein angeborenes, aber verschüttetes Wissen gibt, zu dem auch die Kenntnis der Tugend gehört, und dass dieses Wissen durch Erinnerung aktiviert werden kann. Damit wendet sich die Debatte dem Prozess der Erkenntnisgewinnung zu. Sokrates versucht mit einem didaktischen Experiment, bei dem ein Sklave Menons als Versuchsperson dient, seine Hypothese zu untermauern, der zufolge Lernvorgänge als Erinnerung an ein bereits vorhandenes Wissen zu erklären sind („[[Anamnesis]]-Hypothese“). Ob jedoch die Tugend zum lehrbaren Wissen zählt, scheint fraglich, da es an Tugendlehrern fehlt. Es gibt fähige Persönlichkeiten, die Tugend zwar besitzen, aber nicht anderen vermitteln können. Die Diskussion führt in eine [[Aporie]] (Ratlosigkeit), denn die Frage, worin Tugend besteht, bleibt offen.


== Physiologische Grundlagen ==
Platons erstmals im ''Menon'' thematisiertes Anamnesis-Konzept wurde in der abendländischen Philosophie zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Problem [[a priori|apriorischen]] – von Erfahrung unabhängigen – Wissens.


Beim Einatmen wird [[Sauerstoff]] aus der [[Luft]] über die [[Lungen]] oder bei der [[Wikipedia:Kiemenatmung|Kiemenatmung]] durch die [[w:Kieme|Kieme]]n aus dem [[Wasser]] aufgenommen und beim [[Mensch]]en und den [[Wirbeltiere]]n an den roten Blutfarbstoff, das [[Hämoglobin]], gebunden und mit dem [[Blut]] zu allen [[Zelle (Biologie)|Zellen]] des [[Organismus]] befördert. Durch die [[Biochemie|biochemischen]] Prozesse der '''Zellatmung''' wird der Sauerstoff zu [[Wasser]] [[Reduktion (Chemie)|reduziert]] und zugleich körpereigene [[Kohlenstoff]]verbindungen zu [[Kohlendioxid]] (CO<sub>2</sub>) [[Oxidation|oxidiert]] und ausgeatmet. Die dabei gewonnene [[Energie]] wird in Form von [[ATP]] ([[Adenosintriphosphat]]) gespeichert, das aus [[ADP]] ([[Adenosindiphosphat]]) und [[Phosphat]]resten (P<sub>i</sub>) gebildet wird. Die Energieausbeute der Atmung ist dabei wesentlich größer als bei der [[anaerob]]en [[Gärung]]. Während beispielsweise bei der [[Alkoholische Gärung|alkoholischen Gärung]] pro [[Traubenzucker]]-Molekül (auch: [[Glucose]], C<sub>6</sub>H<sub>12</sub>O<sub>6</sub>) nur zwei Moleküle ATP erzeugt werden, sind es bei der Zellatmung 30 oder im Idealfall sogar 32 Moleküle ATP.  
== Ort, Zeit und Teilnehmer ==
[[Datei:Socrates Louvre.jpg|mini|hochkant|Sokrates (römische Büste, 1.&nbsp;Jahrhundert, [[w:Louvre|Louvre]], Paris)]]
Die Debatte spielt sich in Athen ab. Der Ort ist im Dialog nicht angegeben; vermutlich ist an ein [[w:Gymnasion|Gymnasion]] zu denken, doch kommt auch das Haus des Anytos in Betracht.<ref>Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 167; William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy'', Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236 f.</ref> Die Zeit der fiktiven Handlung ergibt sich aus der Datierung von Menons Aufenthalt in Athen, der 403/402 v. Chr. anzusetzen ist.<ref>William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy'', Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236; John S. Morrison: ''Meno of Pharsalus, Polycrates, and Ismenias''. In: ''The Classical Quarterly'' 36, 1942, S. 57–78, hier: 57 f., 76; Debra Nails: ''The People of Plato''. Indianapolis 2002, S. 204, 318 f.; Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 166 f.</ref> Sokrates war damals schon etwa 67 Jahre alt.


:<math>\mathrm{C_6H_{12}O_6 + 6 O_2 + 32\ ADP + 32\ P_i \longrightarrow 6\ H_2O + 6\ CO_2 + 32\ ATP}</math>
Wie in anderen frühen Dialogen Platons lenkt Sokrates das Gespräch, indem er die Unzulänglichkeit der undurchdachten Vorstellungen der anderen aufdeckt und dann der Diskussion eine neue Wendung gibt. Seine Gesprächspartner Menon und Anytos sind als namhafte historische Persönlichkeiten gut bezeugt. Die Auffassungen, die Platon seinen Dialogfiguren in den Mund legt, können allerdings literarische Fiktion sein.


Die Zellatmung beruht dabei auf drei [[Biochemie|biochemischen]] Teilprozessen, nämlich der [[w:Glycolyse|Glycolyse]], dem [[w:Citratzyklus|Citratzyklus]] und der Endoxidation in der [[Atmungskette]].
Der historische Menon gehörte einem der führenden Geschlechter Thessaliens an. Zur Zeit seines Aufenthalts in Athen, dessen Zweck wahrscheinlich eine diplomatische Mission war,<ref>John S. Morrison: ''Meno of Pharsalus, Polycrates, and Ismenias''. In: ''The Classical Quarterly'' 36, 1942, S. 57–78, hier: 76.</ref> war er etwa 21 Jahre alt. Etwas später, im Jahr 401 v. Chr., beteiligte er sich als Söldnerführer an einem Feldzug gegen den Perserkönig [[w:Artaxerxes II.|Artaxerxes II.]] Das Unternehmen scheiterte, Menon geriet in Gefangenschaft und wurde hingerichtet. Die zeitgenössischen Geschichtsschreiber [[Xenophon]] und [[w:Ktesias von Knidos|Ktesias]], die ebenfalls an dem Feldzug teilnahmen, stellen Menons Charakter sehr negativ dar. Xenophon schildert ihn als geldgierigen, gewissenlosen Betrüger und Intriganten, Ktesias beschuldigt ihn des Verrats.<ref>Xenophon, ''Anabasis'' 2,6,21–27; Ktesias, ''Persika'' F 27 und F 28. Siehe zum historischen Menon Truesdell S. Brown: ''Menon of Thessaly''. In: ''[[w:Historia (Zeitschrift)|Historia]]'' 35, 1986, S. 387–404; Monique Canto-Sperber: ''Platon: Ménon''. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 17–26; Richard Goulet: ''Ménon de Pharsale''. In: Richard Goulet (Hrsg.): ''Dictionnaire des philosophes antiques''. Bd. 4, Paris 2005, S. 484 f.; Debra Nails: ''The People of Plato''. Indianapolis 2002, S. 204 f.</ref>


=== Hyperventilation und Hypoventilation ===
Menons Gastgeber Anytos gehörte in der athenischen Politik zu den führenden Köpfen der demokratischen Richtung. Athen hatte traditionell eine [[w:Attische Demokratie|demokratische Staatsordnung]], doch war es 404 v. Chr. einer [[Oligarchie|oligarchischen]] Gruppe gelungen, die Demokratie zu beseitigen und ein kurzlebiges Terrorregime, die „[[w:Herrschaft der Dreißig|Herrschaft der Dreißig]]“, zu errichten. Dies hatte einen Bürgerkrieg zur Folge, in dem sich die Demokraten im Jahr 403 – also kurz vor Menons Ankunft – durchgesetzt hatten. Nach diesem Sieg stand Anytos auf der Höhe seines Einflusses. Wenige Jahre später, 399 v. Chr., war er der prominenteste der drei Ankläger, die das Gerichtsverfahren gegen Sokrates in Gang setzten, das mit der Verurteilung und Hinrichtung des Philosophen endete. Dies trug ihm die Feindschaft Platons ein, der die Ankläger seines verehrten Lehrers literarisch bekämpfte.<ref>Siehe zur historischen Rolle des Anytos Debra Nails: ''The People of Plato''. Indianapolis 2002, S. 37 f.; Thomas C. Brickhouse, Nicholas D. Smith: ''Socrates on Trial''. Oxford 1989, S. 29; Monique Canto-Sperber: ''Platon: Ménon''. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 26–32; Emile de Strycker, Simon R. Slings: ''Plato’s Apology of Socrates''. Leiden 1994, S. 91–93.</ref>


Bei einer meist [[psychisch]] durch [[Angst]], [[Panik]] oder sonstige [[Erregung]] bedingten '''Hyperventilation''' kommt es zu einer gesteigerten Belüftung der Lungen, wodurch die Kohlendioxid-Konzentration im [[Blut]] abnimmt und der [[pH-Wert]] ansteigt ([[w:Respiratorische Alkalose|Respiratorische Alkalose]]). Das Gegenteil davon ist die potentiell lebensbedrohliche '''Hypoventilation''', bei der die Kohlendioxid-Konzentration ansteigt, was zu einer [[w:Respiratorische Azidose|respiratorischen Azidose]] führt.
Als Dialogfigur bei Platon macht Menon einen weniger ungünstigen Eindruck als in den Berichten der Geschichtsschreiber. An der Frage, die er angeschnitten hat, hat er anscheinend ein echtes Interesse. Er ist lernwillig und erlangt im Gesprächsverlauf Einsicht in die eigene Unwissenheit. Allerdings tritt er überheblich auf und zeigt wenig Verständnis und Geduld für die Erfordernisse einer systematischen Untersuchung. Seine Schwächen treten klar zutage: Er argumentiert nicht konzentriert und ausdauernd, seine Meinung ist konventionell und nicht durchdacht, einer tieferen Auseinandersetzung mit der schwierigen Problematik der Tugenddefinition weicht er aus. Offensichtlich ist er dem Thema nicht gewachsen. Sein Selbstbewusstsein im philosophischen Diskurs basiert insbesondere darauf, dass er am Unterricht des berühmten [[Rhetorik der Antike|Rhetoriklehrers]] [[w:Gorgias von Leontinoi|Gorgias]] teilgenommen hat und sich auf dessen Autorität berufen kann. Damit beeindruckt er Sokrates jedoch nicht. Mit der Darstellung von Menons Versagen will Platon auch dessen Lehrer Gorgias diskreditieren.<ref>Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 167 f.; Jens Holzhausen: ''Menon in Platons ‚Menon‘''. In: ''Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft.'' Neue Folge Bd. 20, 1994/1995, S. 129–149. Vgl. zu Menon als Dialogfigur Josiah B. Gould: ''Klein on Ethological Mimes, for example, the Meno''. In: ''[[The Journal of Philosophy]]'' 66, 1969, S. 253–265; Dominic Scott: ''Plato’s Meno''. Cambridge 2006, S. 60–65.</ref>


== Geistiger Hintergrund ==
Von Anytos, der als historische Person der gefährlichste Feind des Sokrates war, zeichnet Platon ein äußerst negatives Bild. Sein Anytos ist intolerant, von Vorurteilen geprägt und keiner Argumentation zugänglich, die sein starres, konservatives Weltbild gefährden könnte. Auf sachliche Einwände reagiert er mit einer verhüllten Drohung.<ref>Siehe dazu Ernst Heitsch: ''Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar''. Göttingen 2002, S. 57–60.</ref>


Die Atmung ist jener [[Lebensprozess]], durch den wir am stärksten mit der Umgebung in Wechselwirkung treten. Er steht dadurch auch in enger Beziehung zur [[Sinne]]stätigkeit, die uns ebenfalls, aber auf andere Weise, mit der Umwelt verbindet.
== Inhalt ==


{{GZ|Da haben wir zunächst etwas, was in einer gewissen Weise in allem Lebendigen sein muß: die Atmung. Jenes Verhältnis zur Außenwelt, das die Atmung ist, muß gewissermaßen in jedem Lebendigen sein. Ich kann mich jetzt nicht im einzelnen darauf einlassen, wie es wiederum für die Tiere, Pflanzen und Menschen differenziert ist; aber in jedem Lebendigen ist in einer gewissen Weise die Atmung. Die Atmung des Menschen wird immer wieder erneuert durch etwas, was er von der Außenwelt aufnimmt; das kommt allen Sinnesbezirken zugute. Es kann nicht der Geruchssinn walten, der Sehsinn walten, der Tonsinn walten, wenn nicht das, was das Leben von der Atmung hat, allen Sinnen zugute kommt. Ich müßte also zu jedem Sinn «Atmung» dazuschreiben. Nicht wahr, es wird geatmet; aber was durch die Atmung als Lebensprozeß geleistet wird, das kommt allen Sinnen zugute."|170|113f}}
Die Diskussion dreht sich um ein zu Platons Zeit beliebtes Thema: den Ursprung der Arete (Tüchtigkeit, Vortrefflichkeit oder Tugend). Da für Platon und die in seinen Dialogen auftretende Sokratesfigur ethische Aspekte im Vordergrund stehen, wird die in seinen Texten erörterte Arete gewöhnlich mit „Tugend“ übersetzt. Es ist aber stets zu beachten, dass im Altgriechischen – anders als im Deutschen – die Vorstellung von Tüchtigkeit und Tauglichkeit dazugehört und nicht von der Tugend im ethischen Sinn abgetrennt wird. Ein Nichtphilosoph wie Menon denkt, wenn er von Arete spricht, nicht speziell an Tugendhaftigkeit als moralische Qualität, sondern generell an eine Tüchtigkeit oder Tauglichkeit, die zum Erfolg führt, wobei freilich anerkannte soziale Normen wie Gerechtigkeit beachtet werden müssen.<ref>Zur Problematik der Übersetzung des Begriffs Arete siehe [[Peter Stemmer]]: ''Tugend. I. Antike''. In: ''[[Historisches Wörterbuch der Philosophie]]''. Bd. 10, Basel 1998, Sp. 1532–1548, hier: 1532 f. Vgl. zur Begriffsgeschichte Harold Tarrant: ''Recollecting Plato’s Meno''. London 2005, S. 20–23.</ref>


Von den Lebensprozessen zu unterscheiden sind die [[sieben Lebensstufen]], von denen Rudolf Steiner spricht. Hier offenbart sich ein anderer kosmischer Zusammenhang. Das [[Atmungsleben]], die dritte Stufe der 7 Lebensstufen, aus der sich auch die [[Sprache]] bildet, wird hier mit den [[Mars]]kräften in Verbindung gebracht:
=== Das Einleitungsgespräch ===


{{GZ|Der dritte Planet ist dann der Mars. Er schwächt das wuchtende
Eine Rahmenhandlung fehlt, das Gespräch setzt unvermittelt ein. Zunächst sind nur Menon und Sokrates beteiligt. Menon stellt die Ausgangsfrage: Er möchte wissen, ob Tugend erlernt oder eingeübt wird oder Veranlagungssache ist.<ref>Zu Menons Verständnis dieser Frage siehe Norbert Blößner: ''The Unity of Plato’s Meno''. In: ''Philologus'' 155, 2011, S. 39–68, hier: 44, 47–49.</ref> Sokrates antwortet ausweichend. Er bekennt, nicht einmal zu wissen, was Tugend ist, geschweige denn Einzelheiten ihrer Beschaffenheit – wozu die Frage der Lehrbarkeit gehört – zu kennen. Überdies behauptet er, in Athen wisse niemand über die Tugend Bescheid. Ironisch unterstellt er den Thessaliern, Menons Landsleuten, solche Sachkenntnis. Die Ironie liegt darin, dass die Thessalier als unzivilisiert und sittenlos gelten,<ref>Vgl. Platon, ''Kriton'' 53d. Siehe auch Cristina Ionescu: ''Plato’s Meno'', Lanham 2007, S. 4–6; Jacob Klein: ''A Commentary on Plato’s Meno'', Chapel Hill 1965, S. 40 f.; [[Paul Friedländer (Philologe)|Paul Friedländer]]: ''Platon''. Bd. 2. 3., verbesserte Auflage. Berlin 1964, S. 257.</ref> während Athen ein bedeutendes Zentrum der griechischen Zivilisation ist. Menon, der von der Schwierigkeit der Frage nichts ahnt, staunt über die Unwissenheit des Sokrates. Er traut sich ohne weiteres zu, die Tugend aus dem Stegreif richtig zu definieren. Dabei gibt er eine Sichtweise wieder, die ihm sein Lehrer Gorgias vermittelt hat.<ref>Platon, ''Menon'' 70a–71e.</ref>
Leben zur Atmung ab. Auch bei ihm kann natürlich das der Fall sein,
daß die Sonne ihn zudeckt. Dann kann das Atmungsleben eine besondere
Anregung erfahren. Da der Mars aber sehr rasch, etwa in zwei
Jahren herumkreist, so ist das so, daß das fast jeder Mensch erfährt,
und daher jeder Mensch in seinem Atmungsleben, in seinem Bild-Erleben
gewisse Anregungen bekommt. Sie sind ja nicht immer allerersten
Ranges, aber die Menschen werden dann Dichter oder so was dergleichen,
oder Komponisten, die Anregungen in ihrem Atmungsleben empfangen...  
Also den Mars betrachteten die alten instinktiven Weisen als Anreger für das Atmungsleben.|208|94}}


== Die Regulierung der Atmung auf dem geistigen [[Schulungsweg]] ==
=== Menons Definitionsversuche ===


{{GZ|Unser physischer Leib ist aus dem Makrokosmos herausgeboren.
Menon fasst nicht die Tugend schlechthin ins Auge, sondern eine Vielzahl von Tugenden. Was jeweils als Tugend zu betrachten ist, macht er von der Person und deren Lebenssituation und Aufgabe abhängig. Beispielsweise besteht für ihn die Tugend des Mannes darin, sich in der Politik zu bewähren, seine Freunde zu fördern und seinen Feinden zu schaden und sich vor den Nachstellungen der Gegner zu schützen. Die Tugend der Frau zeigt sich in guter Haushaltsführung und Gehorsam gegenüber dem Ehemann. Alte Menschen und Kinder haben unterschiedliche altersgemäße Tugenden. Ferner sind die Tugenden der Freien von anderer Art als die der Sklaven. Außerdem hat jede Tätigkeit eine besondere ihrer Ausübung zugeordnete Tugend.<ref>Platon, ''Menon'' 71e–72a.</ref>
Die äußere Welt hat ihn gebildet; aus unserem physischen
Leib heraus muß unser Ich den geistigen Leib gebären.
Atma heißt unser geistiger Leib. Atma bedeutet Atem. Durch das
geregelte Atmen in der Meditation bauen wir unsern geistigen
Leib auf. Tatsächlich atmen wir mit jedem Atemzug unser Ich
aus oder ein.


[[Datei:GA_266a_159.gif|center|600px|Atmung und Atma (Zeichnung aus GA 266/1, S. 159)]]
Damit ist Sokrates nicht zufrieden. Er erläutert, dass seine Frage nicht auf unterschiedliche Einzeltugenden abzielt, sondern auf die Tugend an sich, also das, was den verschiedenen Tugenden gemeinsam ist und die Verwendung einer gemeinsamen Bezeichnung für sie rechtfertigt. Menon versteht, was gemeint ist, gerät nun aber bei der Beantwortung der Frage in Verlegenheit. Er möchte an seinem Modell geschlechts- und altersspezifischer Tugenden festhalten. Dagegen bringt Sokrates vor, dass beispielsweise Gesundheit, Größe und Stärke einheitliche Begriffe sind, die nicht geschlechts- oder altersabhängig definiert werden. Wenn diese Begriffe allgemeine Qualitäten ausdrücken, die überall dieselben sind, ist nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu die Tugend jeweils abhängig von Faktoren wie Geschlecht und Alter unterschiedlich definiert werden soll. Zu einer guten Staatslenkung werden Besonnenheit und Gerechtigkeit benötigt, und das sind dieselben Eigenschaften, die auch eine gute Haushaltsführung ermöglichen. Wer besonnen und gerecht handelt, verhält sich unabhängig von seinem Lebensalter so; es gibt keine besondere Besonnenheit oder Gerechtigkeit der Greise, die sich von der anderer Menschen unterscheidet. Wenn gesagt wird, ein Mensch sei gut, ist damit nicht je nach Alter und Geschlecht etwas anderes gemeint. Also muss die Tugend, die den Menschen gut macht, für alle dieselbe sein.<ref>Platon, ''Menon'' 72a–73c. Zur Einheit der Tugend nach Sokrates’ und Menons Verständnis siehe Norbert Blößner: ''The Unity of Plato’s Meno''. In: ''Philologus'' 155, 2011, S. 39–68, hier: 49 f.</ref>


Diese Zeichnung<ref>Zeichnung und Schrift von Rudolf Steiner.</ref> hilft uns veranschaulichen, was tatsächlich
Nachdem somit der erste Definitionsversuch gescheitert ist, unternimmt Menon einen zweiten. Dabei berücksichtigt er die Kritik des Sokrates an seinem ersten Vorschlag, indem er eine allgemeingültige Bestimmung sucht. Er setzt die Tugend nun mit der Fähigkeit zur Machtausübung gleich; sie soll in der Tüchtigkeit beim Herrschen bestehen. Dagegen wendet Sokrates sogleich ein, dass das Herrschen für Sklaven und Kinder nicht in Betracht kommt, die Definition also nicht alles umfasst, was sie einschließen müsste. Außerdem stellt sich die Frage, ob jede Art von Machtausübung gemeint sein soll oder nur eine gerechte Herrschaft. Menon stimmt der Einbeziehung der Gerechtigkeit zu, denn er weiß, dass sie als Tugend gilt und daher in diesem Kontext nicht entbehrlich ist. Auch [[Tapferkeit]] und weitere Tugenden spielen beim richtigen Umgang mit der Macht eine Rolle und müssten daher in die Definition aufgenommen werden. Damit ergibt sich aber wiederum eine Vielzahl von Tugenden, deren Zusammenhang untereinander weiterhin ungeklärt bleibt. Der zweite Definitionsversuch führt somit nicht weiter als der erste. Nun ist Menon ratlos.<ref>Platon, ''Menon'' 73c–74b.</ref>
geschieht. Innerhalb unseres von den Göttern aufgebauten äußeren
Leibes formen wir den geistigen Leib. Das Ich strömt in ihn
hinein mit jeder Einatmung, und wieder heraus beim Ausatmen.
Indem wir das Atmen regeln und an den verschiedenen Stellen
unseres Körpers konzentrieren, versorgen wir unsern geistigen
Leib mit den Kräften, die zu seinem Aufbau nötig sind. Mit der
Stelle im Vorderkopf, hinter und etwas über der Nasenwurzel,
steht das Ich selbst in direkter Verbindung; mit dem Kehlkopf
das Denken, mit den Händen das Fühlen, mit den Füßen und
überhaupt dem untern Körpergerüst das Wollen. Durchströmen
wir mit Hilfe des geregelten Atmens unsern Körper mit diesen
Kräften, so bauen wir an unserm geistigen Leib.|266a|159}}


{{GZ|Beim Einatmen tritt die Luft in dieses Organ ein bis in die
Sokrates erläutert anhand des Begriffs „Figur“, worauf es bei einer Begriffsbestimmung ankommt: nicht auf einzelne Figuren, sondern auf das, „was bei allen diesen dasselbe ist“.<ref>Platon, ''Menon'' 75a4–5.</ref> Figur definiert er zunächst als das, „was allein unter allen Dingen immer Farbe begleitet“.<ref>Platon, ''Menon'' 75b9–11.</ref> Menon bezeichnet diese Definition als einfältig, weil jemand, der nicht wisse, was Farbe sei, sie nicht verstehen könne.<ref>Platon, ''Menon'' 75c2–7.</ref> Allerdings hat Menon dabei die vorgeschlagene Definition der Figur verkürzt zu „was immer der Farbe folgt“,<ref>Platon, ''Menon'' 75c4–5.</ref> hat also durch Weglassen des Wortes „allein“ aus der Definition die Angabe einer lediglich notwendigen Bedingung für Figur gemacht. Sokrates konzediert Menon, dass es besser, dialektischer gewesen wäre, sich zunächst die in der Definition benötigten Begriffe als vom Dialogpartner bekannt zugeben zu lassen, und gibt für eine zweite Definition nun drei Begriffe vor, die Menon als ihm bekannt bestätigt: Grenze, eben und Körper.<ref>Platon, ''Menon'' 75e1–76a2.</ref> Sokrates dann zu Menon: „Ich würde sagen, dass Figur die Grenze eines Körpers ist.“<ref>Platon, ''Menon'' 76a6–7.</ref>
feinsten Verzweigungen hinein. Dieses Organ ist die Lunge. In
Sokrates hat hier also ebenfalls nur eine notwendige Bedingung für Figur angegeben, denn nicht jede Grenze eines Körpers ist eine Figur. Aber dieser Fehler ließe sich leicht korrigieren, wenn nämlich der dritte zuvor eingeführte Begriff in die Definition von Figur aufgenommen wird: Eine Figur ist die ebene Grenze eines Körpers. Jede Figur lässt sich als Schnittfläche durch einen Körper verstehen. Offenbar sollte Menon diesen Mangel bemerken und korrigieren.<ref>Theodor Ebert: ''Socrates on the Definition of Figure in the Meno''. In: Suzanne Stern-Gillet, Kevin Corrigan (Hrsg.): ''Reading Ancient Texts.'' Bd. 1: ''Presocratics and Plato''. Leiden 2007, S. 113–124; Theodor Ebert: ''Platon: Menon.'' Berlin 2018, S. 73–81.</ref> Menon gibt aber zu der neuen Definition von Figur keinen Kommentar und verlangt stattdessen von Sokrates eine Erklärung des Wortes Farbe. Da dieses Wort in der neuen Definition überhaupt nicht vorkommt, ist dieses Verlangen Menons ganz unbegründet, und Sokrates charakterisiert das Verhalten Menons daher auch als arrogant und als Ausweichmanöver,<ref>Platon, ''Menon'' 76a8–b1.</ref> gibt aber schließlich auch noch eine Definition von Farbe – mit Bezugnahme auf eine von Gorgias vertretene Theorie des Empedokles – als optisch wahrnehmbare Ausströmung, die von den Figuren ausgeht. Menon ist, ganz im Unterschied zu Sokrates, voll des Lobes über diese Definition.<ref>Siehe dazu David Sansone: ''Socrates’ „Tragic“ Definition of Color (Pl. Meno 76D–E)''. In: ''Classical Philology'' 91, 1996, S. 339–345; Edmonde Grimal: ''A propos d’un passage du Ménon: une définition „tragique“ de la couleur''. In: ''Revue des Études grecques'' 55, 1942, S. 1–13.</ref> Nachdem Sokrates ihn nun auffordert, das gegebene Versprechen einer Definition der Tugend einzulösen und sich dabei an den gegebenen Beispielen zu orientieren,<ref>Platon, ''Menon'' 77e5–b1.</ref> bestimmt Menon die Tugend in einem dritten Versuch, einen Dichterspruch zitierend, als die Fähigkeit, sich am Schönen zu erfreuen und es sich zu verschaffen. Auf Nachfrage des Sokrates setzt er das Schöne mit dem Guten gleich. Hier erhebt sich aber die Frage, ob es denn auch Menschen gibt, die nicht das Gute, sondern das Schlechte anstreben. Sokrates zeigt, dass dies nicht der Fall sein kann:<ref>Siehe dazu Marcel van Ackeren: ''Das Wissen vom Guten''. Amsterdam 2003, S. 70–74; [[w:Christoph Horn|Christoph Horn]]: ''Platons Konzept des Willens im Menon und im Gorgias''. In: [[w:Christian Pietsch|Christian Pietsch]] (Hrsg.): ''Ethik des antiken Platonismus''. Stuttgart 2013, S. 173–190, hier: 173–178.</ref> Wenn jemand das Schlechte begehrt, obwohl er es als schlecht und daher schädlich erkennt, will er sich selbst schädigen und unglücklich machen, was widersinnig ist. So verhält sich niemand. Wer das Schlechte begehrt, weil er dessen Schlechtigkeit nicht durchschaut, sondern es irrtümlich für gut hält und sich davon einen Nutzen – also etwas Gutes – erhofft, der strebt nach dem Guten. Somit schätzt jeder nur das Gute und versucht es zu erlangen. Demnach wäre – was den Willen betrifft – nach Menons Definition jeder tugendhaft.<ref>Platon, ''Menon'' 74b–78b.</ref>
der Luft lebt der Geist des Menschen. Wenn er einatmet, atmet
er seinen Geist ein, und wenn er ausatmet, atmet er seinen Geist
aus. Immer mehr entwickelt sich der Geist des Menschen. So ist
also abwechselnd der Geist des Menschen in ihm oder draußen
in der Welt. Durch Ein- und Ausatmen wird das Wachstum des
Geistesmenschen gefördert.


Es kommt sehr darauf an, was der Mensch seinem Geiste beim
Unterschiede zwischen den Menschen gibt es somit nur hinsichtlich des zweiten Teils der Definition: der Fähigkeit, sich das Schöne und Gute zu verschaffen. Demnach bildet nur diese Fähigkeit das Kriterium der Tugend. Unter dem „Guten“ versteht Menon Güter wie Ansehen, Macht und Reichtum. Die Frage, ob jemand auch dann tugendhaft ist, wenn er sich die Güter auf ungerechte Weise verschafft, muss er aber verneinen, denn er teilt die allgemeine Überzeugung, dass die Gerechtigkeit ein Teil der Tugend ist. Somit kann Tugendhaftigkeit auch darin bestehen, dass man sich ein Gut nicht verschafft, obwohl man dazu in der Lage wäre, wenn man sich auf ein Unrecht einließe. Dies widerspricht jedoch Menons Definition. Ergänzt man aber die Definition, indem man nur gerechtes Streben nach Gütern als tugendhaft bestimmt, so wird sie untauglich, weil dann die Gerechtigkeit, die ein Teil des zu definierenden Begriffs ist, in der Definition vorkommt. Damit erweist sich auch dieser Definitionsversuch als Fehlschlag. Einen weiteren Versuch wagt der nun völlig verwirrte Menon nicht. Er fühlt sich gleichsam erstarrt und vergleicht Sokrates mit dem [[w:Zitterrochen|Zitterrochen]], einem Fisch, der seine Opfer lähmt. Dazu bemerkt Sokrates, dass er nur dann einem Zitterrochen gleiche, wenn dieser nicht nur andere, sondern auch sich selbst lähme, denn er sei ebenso ratlos wie die anderen.<ref>Platon, ''Menon'' 78b–80d.</ref>
Ausatmen mitgibt [an Gedanken]. Durch diese wird sein Geist
aufgebaut. Durch jeden Gedanken, den er dem Atem mitgibt, den
er ausströmt, baut er seinen Geist auf. Nicht immer hatte der
Mensch ein Organ, um die Luft einzuatmen. Gehen wir zurück
auf den früheren Planeten, den Mond, so lebten dort Wesen, die
nicht Luft, sondern Feuer einatmeten. Und so, wie der Mensch
jetzt Sauerstoff einatmet und Kohlensäure ausatmet, so atmeten
dort die Wesen Feuer ein und strömten Kälte aus.


Es wird auch eine Zeit kommen, wo die Menschen nicht mehr
=== Die Hypothese des Lernens durch Erinnerung ===
Luft einatmen und ausatmen. Gerade so, wie der Mensch sich
auf der Erde selbst seine Wärme bereitet durch sein Wärmeorgan,
das Herz mit dem Blutkreislauf, so wird er später innerlich
selbst ein Luftorgan haben, welches den Organismus ebenso
mit dem versorgt, was wir jetzt aus der Luft aufnehmen, wie das
Wärmeorgan uns jetzt versorgt mit Wärme, die früher auf dem
Monde von den Wesen aus der Umwelt aufgesogen und eingeatmet
wurde. Die verbrauchte Luft werden in Zukunft die Menschen
selbst verarbeiten können in ihrem Innern. Wenn das erreicht
ist, dann werden sie die Luft nicht mehr aus der Umgebung
aufnehmen, sie werden dann nicht mehr in der Luft leben.
Auf einer späteren Stufe, auf dem Jupiter, werden die. Menschen
im Lichte leben und Licht einatmen, wie sie jetzt Luft einatmen
und wie sie auf dem Monde Wärme eingeatmet haben.|266a|162}}


{{GZ|Es gibt im Alltagsbewußtsein bei allen Menschen Zustände,
Menon fragt nun, wie es überhaupt möglich sei, etwas völlig Unbekanntes zu bestimmen. Die Problematik, auf die er hinweist, besteht darin, dass man keinen Anhaltspunkt hat, wenn man bei einer Suche auf nichts bereits Bekanntes zurückgreifen kann. Überdies fehlt, falls man fündig wird, eine Handhabe, mit der man das Gefundene als das Gesuchte identifizieren könnte. Sokrates greift den Gedanken auf und formuliert ihn so, dass sich die Folgerung ergibt, das Unbekannte sei grundsätzlich unerkennbar. Menon stimmt der Folgerung zu, sie gefällt ihm.<ref>Platon, ''Menon'' 80d–e.</ref> Dieser Gedankengang, der zu einem [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] Pessimismus führt, wird als „Menons Paradox“ bezeichnet.<ref>Siehe dazu Russell M. Dancy: ''Plato’s Introduction of Forms''. Cambridge 2004, S. 218–221; Sang-In Lee: ''Anamnesis im Menon''. Frankfurt am Main 2001, S. 97–119.</ref>
die an den Mondzustand erinnern, und andere, in denen der Jupiterzustand
hineinragt. Wenn uns die Schamröte ins Gesicht tritt,
dann wiederholen wir ein Stück Mondzustand. Wieso dies? Auf
dem Mond besaßen wir noch kein Blut. Wir wissen aber, daß
das Blut der Ausdruck unseres Ich ist. Auf dem alten Monde
nun befanden sich alle Kräfte, die heute in unserem Blute wirken,
außerhalb unser. Es war noch kein Ich-Gefühl in uns. Wenn
wir aus Scham erröten, so möchten wir am liebsten sagen: O wäre
ich nicht, versänke ich in die Erde. - Damit drängen wir das Blut
nach außen, gleichsam unser Ich abwälzend.


Ein anderer Zustand, der auf den Jupiter hinweist, ist derjenige,
Dem erkenntnistheoretischen Pessimismus setzt Sokrates seine Hypothese der Wiedererinnerung, der Anamnesis, entgegen.<ref>Zu Sokrates’ Umgang mit Menons Einwand gegen die Erkennbarkeit von Unbekanntem siehe Norbert Fischer: ''Zum Problem der Transzendenz in der platonischen Erkenntnislehre''. In: ''Theologie und Philosophie'' 55, 1980, S. 384–403, hier: 388–393; Rosemary Desjardins: ''Knowledge and Virtue: Paradox in Plato’s Meno''. In: ''The Review of Metaphysics'' 39, 1985/1986, S. 261–281, hier: 262–269 sowie die Diskussionsbeiträge von Dominic Scott, Denis O’Brien und Monique Canto-Sperber in ''Revue philosophique de la France et de l’Etranger''. Bd. 181, Jg. 116, 1991, S. 627–663.</ref> Seinem Konzept zufolge ist die [[Seele]] unsterblich und hat schon [[Präexistenzlehre|vor der Entstehung des Körpers existiert]]. In ihr ist alles Wissen bereits vorhanden. Es ist ein Wissen von der Natur, die eine Einheit bildet, und dieser ganze einheitliche Naturzusammenhang ist der Seele vertraut.<ref>Siehe dazu [[Thomas Alexander Szlezák]]: ''ἅτε γὰρ τῆς φύσεως ἁπάσης συγγενοῦς οὔσης (Men. 81 c9–d11)''. In: Michael Erler, [[Luc Brisson]] (Hrsg.): ''Gorgias – Menon''. Sankt Augustin 2007, S. 333–344.</ref> Demnach gibt es für die Seele nichts wirklich Fremdes und Unbekanntes. Ihr Wissen und damit auch die Kenntnis der Tugend steht ihr jederzeit [[Akt und Potenz|potentiell]] zur Verfügung. Allerdings ist es in Vergessenheit geraten und muss daher schrittweise gesucht und gefunden werden. Somit besteht jede Erkenntnis in der Entdeckung eines verschütteten Wissens. Lernen ist der Erinnerungsvorgang, durch den sich die Seele einen Zugriff auf ihr gewöhnlich verborgenes Wissenspotential verschafft. Genau genommen gibt es demnach keine Belehrung, sondern der scheinbar Lehrende verhilft dem Lernenden nur zur Erinnerung.<ref>Platon, ''Menon'' 81a–82a.</ref>
der eintritt, wenn wir Schreck, Angst empfinden, indem wir
erbleichen. Was tritt da ein? Unser Blut drängen wir nach dem
Herzen, um unser Ich zu verstärken. Wir tun dies instinktiv, um
uns stark zu machen, eine Gefahr von uns abzuwenden. Auf dem
Jupiter wird das Herz ein willkürlicher Muskel werden - nach
Belieben können wir unser Ich verstärken. Denn in der Tat werden
uns auf dem Jupiter Begebenheiten und Wesenheiten entgegentreten,
bei denen wir es durchaus notwendig haben, unser
Ichbewußtsein zu verstärken. Wir müssen aber einen Zustand zu
erreichen suchen, wo wir in genau derselben Weise wie beim
Angstgefühl unser Ich schützen, ohne eine Angstempfindung zu
haben.


Wenn wir tief einatmen und den Atem anhalten, so rekapitulieren
Um seine Hypothese plausibel zu machen, führt Sokrates ein Experiment durch. Zur Demonstration der Anamnesis wird einer der vielen Sklaven Menons herbeigerufen. Der Sklave, der über kein mathematisches Schulwissen verfügt, soll als Schüler ein geometrisches Problem lösen: Gesucht ist die Seitenlänge eines Quadrats, das die doppelte Fläche eines bekannten Quadrats hat. Zur Lösung verhilft ihm Sokrates, indem er ihn durch Fragen zu Überlegungen anregt, die schließlich zum Verständnis des geometrischen Sachverhalts führen. Dabei legt der Philosoph großen Wert darauf, nicht zu lehren, denn er will zeigen, dass sich der Schüler die Lösung selbst erarbeitet.<ref>Platon, ''Menon'' 82a–85b.</ref>
wir ein Stück Mondzustand. Wenn wir dagegen den Atem
draußen lassen, so haben wir darin ein Stück Jupiterzustand. Damit
hängt es zusammen, ob der Geheimschüler Übungen bekommt,
in denen er den Atem anhalten muß, weil er in gewisser
Weise den Mondzustand durchmachen muß, oder ob er Übungen
erhält, in denen er den Atem draußen lassen muß, weil er so
den Jupiterzustand erreichen kann. Ein jeder ist da individuell
zu behandeln.|266a|302f}}


== Einatmung und Ausatmung ==
[[Datei:Menonbild.svg|Menon]]


=== Weisheit (Sophia) und Glaube (Pistis) ===
Das gewählte Quadrat hat eine Seitenlänge von zwei [[Fuß (Einheit)|Fuß]], also – wie der Schüler auf Befragen feststellt – eine Fläche von vier Quadratfuß. Die Aufgabe lautet, zu einem doppelt so großen Quadrat zu gelangen, also die Seitenlänge bei einer Fläche von acht Quadratfuß zu ermitteln. Der Schüler glaubt zunächst, der doppelten Fläche entspreche eine doppelt so lange Seite. Durch Nachfragen führt ihn aber Sokrates zu der Einsicht, dass man durch Verdoppelung der Seitenlänge die Fläche vervierfacht; vier Fuß Seitenlänge ergibt sechzehn Quadratfuß Fläche. Die gesuchte Seite muss somit länger als zwei Fuß, aber kürzer als vier Fuß sein. Daraufhin mutmaßt der Schüler, dass der Mittelwert – drei Fuß – die Lösung ist. Damit kommt er aber auf neun statt acht Quadratfuß Fläche. Nun weiß er nicht mehr weiter. Sokrates macht Menon darauf aufmerksam, dass die Einsicht des Schülers in den Irrtum und in seine Unwissenheit einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der anfänglichen Scheingewissheit darstellt.<ref>Platon, ''Menon'' 82c–84c.</ref>


Mit dem Einatmen wird das [[Bewusstsein]] wacher und nimmt einen mehr gedankenartigen Charakter an, der bis hin zur [[Weisheit]] gesteigert werden kann; das Ausatmen ist [[wille]]nsbetonter und hängt mit den [[Glaube]]nskräften zusammen.
Die gemeinsame Suche wird fortgesetzt, wobei Sokrates erneut betont, dass er nur fragt und nicht lehrt. Den Ausgangspunkt bildet nun die Zeichnung des vervierfachten Quadrats von sechzehn Quadratfuß, das sich aus vier Quadraten von je vier Quadratfuß zusammensetzt. Durch weitere Fragen führt Sokrates den Schüler anhand der Skizze zu der Erkenntnis, dass die [[w:Diagonale (Geometrie)|Diagonale]] des gegebenen Quadrats von vier Quadratfuß eine Seite des gesuchten von acht Quadratfuß ist.<ref>Zu den Einzelheiten des Lernvorgangs siehe John E. Thomas: ''A Re-examination of the Slave-boy Interview''. In: ''Laval théologique et philosophique'' 26, 1970, S. 17–27. Vgl. John E. Thomas: ''Plato’s Methodological Device at 84a1''. In: ''The New Scholasticism'' 45, 1971, S. 478–486.</ref> Diesen Lernvorgang deutet der Philosoph als Erinnerungsprozess: Der Schüler sei trotz seiner anfänglichen Unkenntnis in der Lage gewesen, richtige Vorstellungen aus sich selbst hervorzuholen. Durch entsprechende Anregung könne jeder dazu gebracht werden, selbst einen Zugang zu einem in ihm verborgenen Wissen zu finden, das nachweislich nicht aus früherer Unterweisung stamme. Für die Richtigkeit der Hypothese, dass die Seele Wissen aus Erfahrungen mitbringt, die sie im Lauf der [[Reinkarnation|Seelenwanderung]] in früheren Leben und in der [[Unterwelt der griechischen Mythologie|Unterwelt]] gemacht hat, will sich Sokrates aber nicht verbürgen.<ref>Platon, ''Menon'' 84c–86c.</ref> Er hat diese Erklärung von Priestern und Priesterinnen gehört und auch in den Werken von Dichtern wie [[w:Pindar|Pindar]] gefunden und findet sie einleuchtend,<ref>Platon, ''Menon'' 81a–b.</ref> doch fehlt eine philosophische Begründung.


<div style="margin-left:20px">
=== Die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend ===
„In alten Zeiten also, da nahm der
Mensch wahr, wie sich das Eingeatmete, das für ihn ein Berauschen
war, ins Haupt fortsetzte und sich dort verband mit den Sinneseindrücken.
Das war später nicht mehr der Fall Später verliert der
Mensch das, was in seinem Brustorganismus vorgeht, aus seinem Bewußtsein.
Er nimmt nicht mehr dieses Heraufströmen des Atmens
wahr, weil die Sinneseindrücke stärker werden. Sie löschen aus, was
im Atem heraufkommt. Wenn Sie heute sehen oder hören, dann ist in
dem Vorgang des Sehens und auch in dem Vorgang des Hörens der
Atmungsvorgang drinnen. Beim alten Menschen lebte das Atmen stark
im Hören und Sehen, bei dem heutigen Menschen lebt das Sehen und
Hören so stark, daß der Atem ganz abgedämpft wird. So daß wir sagen
können, jetzt lebt nicht mehr das, was da berauschend, den Kopf durchströmend,
von dem Alten im Atmungsprozeß in seinem Innern wahrgenommen
worden ist, so daß er sagte: Ah, die Nymphen! Ah, die
Gnomen! Nymphen, die wurlen im Kopfe so, Gnomen, die hämmern
im Kopfe so, Undinen, die wellen im Kopfe so! - Heute wird dieses
Hämmern, Wellen, Wurlen übertönt von dem, was vom Sehen, vom
Hören herkommt und was heute den Kopf erfüllt.


Es gab also einstmals eine Zeit, in der der Mensch stärker wahrnahm
Menon möchte nun zu seiner Ausgangsfrage nach dem Erwerb der Tugend zurückkehren. Sokrates hält es zwar für abwegig, schon die Lehrbarkeit untersuchen zu wollen, wenn man die Tugend noch nicht definiert hat, doch gibt er Menons Drängen nach. Sein Ausgangspunkt ist, dass Lehrbarkeit dann gegeben ist, wenn Tugend ein Wissen ist. Damit führt er die Diskussion wieder zum Kern des Problems, der Natur der Tugend, zurück. Die Frage lautet nun, ob Tugend ein Wissen ist.<ref>Platon, ''Menon'' 86c–87d.</ref> Diese Vorgehensweise wird „Hypothesis-Methode“ oder „Hypothesis-Verfahren“ genannt. Sie besteht darin, dass der Wahrheitsgehalt einer schwer überprüfbaren Aussage (A) indirekt ermittelt wird, indem eine andere, besser überprüfbare Aussage (B) gefunden und untersucht wird, die mit A so zusammenhängt, dass A wahr sein muss, wenn B wahr ist. Bei der Prüfung von B wird ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen A und B gefragt, welche Folgen sich jeweils ergeben, wenn B wahr ist oder nicht wahr ist. Wenn sich herausstellt, dass B wahr ist, kann dieses Resultat auf A übertragen werden. Sokrates übernimmt nach seinen Angaben diese Methode aus der Geometrie.<ref>Platon, ''Menon'' 86e–87c. Vgl. Ernst Heitsch: ''Wege zu Platon''. Göttingen 1992, S. 39–50; Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 136–144. Eine vom gängigen Verständnis der Hypothesis-Methode abweichende Interpretation vertritt Lee Franklin: ''Investigations from Hypothesis in Plato’s Meno: An Unorthodox Reading''. In: ''Apeiron'' 43, 2010, S. 87–115.</ref>
dieses Heraufströmen des Atmens in sein Haupt. Das ging über in die
Zeit, in der der Mensch noch durcheinander wahrnahm, in der er noch
etwas von den Nachwirkungen des gnomigen Hämmerns, des undinenhaften
Wellens, des nymphenhaften Wurlens, indem er noch etwas
wahrnahm von dem Zusammenhang dieser Nachwirkungen mit den
Ton-, Licht- und Farben Wahrnehmungen. Dann aber verlor sich alles
das, was er vom Atmungsprozeß noch wahrnahm. Und von denjenigen
Menschen, die noch eine Spur von Bewußtsein hatten, daß einmal das
Atmen das Geistig-Seelische der Welt in den Menschen hereinführte,
wurde das, was da nun blieb, was sich festsetzte aus der Sinneswahrnehmung
im Zusammenhang mit dem Atmen, «Sophia» genannt. Aber
das Atmen nahm man nicht mehr wahr. Also der geistige Atmensinhalt
wurde abgetötet, besser gesagt, abgelähmt durch die Sinneswahrnehmung.


Dieses wurde insbesondere von den Griechen empfunden. Die Griechen
Den Ausgangspunkt bildet die unstrittige Feststellung, dass die Tugendhaftigkeit notwendigerweise gut und wie alles Gute auch nützlich ist. Güter wie Stärke, Schönheit oder Reichtum pflegen nützlich zu sein, sind es aber nicht notwendigerweise; wenn man von ihnen unvernünftig Gebrauch macht, können sie auch schaden und gehören dann nicht zum Nützlichen und Guten. Dasselbe gilt für einzelne Tugenden wie etwa die Tapferkeit; auch sie sind für sich allein nicht zwangsläufig vorteilhaft, sondern können schädlich sein, wenn sie nicht mit Vernunft verbunden sind. Die Vernunft ist der Faktor, der immer beteiligt sein muss, wenn etwas als nützlich bezeichnet werden kann. Wenn also die Tugendhaftigkeit etwas notwendigerweise Gutes und Nützliches ist, muss sie entweder mit der Vernunft identisch sein oder diese zumindest immer als unerlässlichen Bestandteil aufweisen. Somit ist sie von Wissen und Erkenntnis untrennbar. Daraus folgt, dass gute Menschen nicht von Natur aus gut sind, sondern erst, wenn sie sich das erforderliche Wissen angeeignet haben. Tugendhaftigkeit ist also eine erworbene Eigenschaft. Sie wird gewonnen, indem man sie erlernt. Diesen Gedankengängen des Sokrates stimmt Menon zu.<ref>Platon, ''Menon'' 87d–89c.</ref>
hatten gar nicht die Idee von einer solchen Wissenschaft, wie wir
heute. Wenn man den Griechen erzählt hätte von einer Wissenschaft,
wie sie heute an unseren Hochschulen gelehrt wird, es wäre ihnen das
so vorgekommen, wie wenn ihnen jemand mit kleinen Stecknadeln
das Gehirn fortwährend durchstochen hätte. Sie hätten gar nicht begriffen,
daß das einem Menschen eine Befriedigung geben kann. Wenn
sie solche Wissenschaft, wie wir sie heute haben, hätten aufnehmen sollen,
dann hätten sie gesagt: Das macht das Gehirn wund, das verwundet
das Gehirn, das sticht. - Denn sie wollten noch etwas wahrnehmen
von jenem wohligen Ausbreiten des berauschenden Atems, in den sich,
hineinströmend, das Gehörte, das Gesehene ergießt. Es war also bei
den Griechen ein Wahrnehmen eines inneren Lebens im Haupte vorhanden,
solch eines inneren Lebens, wie ich es Ihnen jetzt schildere.
Und dieses innere Leben, das nannten sie Sophia. Und diejenigen, die
es liebten, diese Sophia in sich zu entwickeln, die eine besondere Neigung
hatten, sich hinzugeben an diese Sophia, die nannten sich Philosophen.
Das Wort Philosophie deutet durchaus auf ein inneres Erleben.
Jene greulich pedantische Aufnahme von Philosophie, wobei man
Philosophie eben «ochst» - wie man es im Studentenleben nennt - , jenes
Sich-bekannt-Machen mit dieser Wissenschaft, das kannte man in
Griechenland nicht. Aber das innere Erlebnis des «Ich liebe Sophia»,
das ist es, was sich in dem Worte Philosophie zum Ausdrucke bringt.


Aber ebenso, wie im Haupte von den Sinneswahrnehmungen aufgenommen
Gegen die Richtigkeit der theoretischen Folgerung erhebt nun aber Sokrates einen [[Empirie|empirischen]] Einwand. Wenn Tugend lehrbar ist, muss es auf diesem Gebiet Lehrer und Schüler geben. Sokrates hat aber trotz intensiver Bemühungen bisher nirgends einen kompetenten Tugendlehrer gefunden, und auch andere suchen vergeblich. Daher scheint es zweifelhaft, ob es überhaupt einen gibt. An diesem Punkt der Untersuchung bezieht Sokrates den Gastgeber Menons, Anytos, der sich hinzugesellt hat, in die Erörterung ein. Er lenkt das Gespräch auf diejenigen, die sich als Lehrer der Arete, der Tugend oder Tüchtigkeit, ausgeben: die [[Sophisten]], die als Wanderlehrer umherziehen und gegen Entgelt Unterricht erteilen. Sokrates fragt Anytos, ob etwa die Sophisten die Fachleute sind, bei denen man Tugend erlernen kann, so wie man die Heilkunde bei einem Arzt lernt oder das Schuhmacherhandwerk bei einem Schuhmacher. Dies bestreitet Anytos nachdrücklich. Er hält die Sophisten für schlimme Übeltäter und meint, ihre Tätigkeit sei ausschließlich verderblich und solle verboten werden. Allerdings geht er dabei nicht von eigenen Beobachtungen und Erfahrungen aus, denn er würde sich niemals mit einem Sophisten einlassen oder dies einem seiner Angehörigen gestatten. Vielmehr ist seine Meinung, wie er offen einräumt, ein Vorurteil, zu dem er sich vorbehaltlos bekennt. Von dessen Richtigkeit ist er so fest überzeugt, dass er eine Begründung für überflüssig hält.<ref>Platon, ''Menon'' 89c–92c.</ref>
wird der in den Leib einlaufende Atmungsprozeß, so wird
von dem übrigen Leib das aufgenommen, was ausströmt als ausgeatmete
Luft. Im Gliedmaßen-Stoffwechsel-Organismus strömen ebenso,
wie sonst die Sinneswahrnehmungen durch das Gehörte, wie das
Gesehene in das Berauschende der eingeatmeten Luft in das Haupt
hineinströmt, die körperlichen Gefühle, die Erlebnisse mit der ausgeatmeten
Luft zusammen. Das Ernüchternde der ausgeatmeten Luft,
das Auslöschende für die Wahrnehmung, das floß zusammen mit den
körperlichen Gefühlen, die im Gehen, im Arbeiten erregt wurden. Das
Tätigsein, das Tun war mit dem Ausatmen verknüpft. Und indem
der Mensch sich betätigte, indem er etwas tat, fühlte er gewissermaßen,
wie von ihm fortging das Geistig-Seelische. So daß er fühlte, wenn
er irgend etwas tat, irgend etwas arbeitete, wie wenn er das Geistig-
Seelische einströmen ließe in die Dinge hinein. Ich nehme auf das
Geistig-Seelische: es berauscht mein Haupt, es verbindet sich mit dem
Gesehenen, mit dem Gehörten. Ich tue etwas, ich atme aus. Das Geistig-
Seelische geht fort. Es geht hinein in das, was ich hämmere, es geht
hinein in das, was ich ergreife, es geht hinein in alles das, was ich arbeite.
Ich entlasse das Geistig-Seelische aus mir. Ich übertrage es, indem
ich zum Beispiel die Milch sprudele, indem ich irgend etwas
äußerlich mache, ich lasse einströmen das Geistig-Seelische in die
Dinge. - Das war das Gefühl, das war die Empfindung. So war es also
in den alten Zeiten.


Aber dieses Wahrnehmen des Ausatmungsprozesses, dieses Wahrnehmen
Sokrates, der selbst ein scharfer Kritiker der Sophistik ist, hält es für irrational, ohne eigene Sachkenntnis ein Urteil zu fällen und auf eine Begründung zu verzichten. Spöttisch bemerkt er, Anytos müsse wohl ein Wahrsager sein, wenn er über etwas Bescheid wisse, ohne sich jemals damit auseinandergesetzt zu haben. Er lässt dies aber auf sich beruhen und kehrt zu seiner Frage nach Tugendlehrern zurück. Anytos soll sagen, wen er für einen Tugendlehrer hält. Die Antwort des konservativen Politikers ist verblüffend einfach: Jeder gute, rechtschaffene Athener Bürger könne einen Lernwilligen zu einem besseren Menschen machen. Für Anytos ist es selbstverständlich, dass jeder Tugendhafte seine Tugend anderen übermitteln kann und die Tugendhaftigkeit von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Dagegen führt Sokrates Gegenbeispiele an. Er erinnert daran, dass berühmte Athener wie [[w:Themistokles|Themistokles]], [[w:Aristeides von Athen|Aristeides]] oder [[w:Perikles|Perikles]], deren Tugendhaftigkeit allgemein anerkannt ist, ihren Söhnen zwar vorzüglichen Unterricht erteilen ließen, aber außerstande waren, sie zur Tugend anzuleiten. Den guten Willen dazu hatten sie sicherlich, doch ist es ihnen nicht gelungen. Dies scheint darauf zu deuten, dass Tugend doch nicht lehrbar ist. Anytos kann die Fakten nicht bestreiten. Er teilt aber die allgemeine Verehrung der genannten Staatsmänner und ist darüber empört, dass ihnen ein Versagen als Erzieher unterstellt wird. Für ihn ist das unabhängig vom Wahrheitsgehalt üble Nachrede. Er stößt eine finstere Warnung aus: Sokrates solle sich davor hüten, sich mit abschätzigen Äußerungen unbeliebt zu machen; in Athen könne man leicht in Schwierigkeiten gebracht werden. Damit zieht sich Anytos aus der Diskussion zurück.<ref>Platon, ''Menon'' 92c–95a.</ref>
der Ernüchterung hörte eben auf, und es war nur noch eine Spur
vorhanden in der Griechenzeit. In der Griechenzeit fühlten die Menschen
noch etwas, wie wenn sie, indem sie sich betätigten, noch etwas
Geistiges den Dingen übergaben. Aber dann wurde doch alles das, was
da im Atmungsprozeß war, abgelähmt von dem Körpergefühl, von
dem Gefühl der Anstrengung, der Ermüdung im Arbeiten. Ebenso wie
der Einatmungsprozeß nach dem Haupte abgelähmt wurde, so wurde
der Ausatmungsprozeß nach dem übrigen Organismus abgelähmt. Dieser
geistige Ausatmungsprozeß war abgelähmt durch das Körpergefühl,
also durch das Gefühl der Anstrengung, des Erhitztwerdens und
so weiter, durch das, was im Menschen lebte, so daß er seine eigene
Stärke fühlte, die er anwendete, indem er sich betätigte, indem er etwas
tat. Er fühlte in sich jetzt nicht den Ausatmungsprozeß als Ermüdung,
er fühlte in sich eine Kraftwirkung, er fühlte den Körper durchdrungen
mit Energie, mit Kraft.


Diese Kraft, die da im Innern des Menschen lebte, das war Pistis,
Sokrates führt die Verärgerung des Anytos auf ein Missverständnis zurück und setzt die Untersuchung mit Menon fort. Auch Menon kennt zwar tüchtige, tugendhafte Männer, aber keine Tugendlehrer, und ob Tugend überhaupt erlernt werden kann, ist ihm und seinem Umkreis unklar. Dieser Befund spricht gegen die Lehrbarkeit. Damit stellt sich die Frage, wie die guten, tugendhaften Menschen zu ihrer Tugend gelangt sind.<ref>Platon, ''Menon'' 95a–96d.</ref>
der Glaube, das Fühlen des Göttlichen, der göttlichen Kraft, die einen
arbeiten läßt: Pistis, der Glaube.


<center>
Zur Klärung dieser Frage führt Sokrates das Konzept der „richtigen Vorstellung“ ein. Wer über einen Weg die richtige Vorstellung hat, ohne ihn je gegangen zu sein, der wird ans Ziel gelangen und kann andere dorthin führen. In der Praxis ist eine richtige Vorstellung ebenso nützlich wie ein gesichertes Wissen. Allerdings ist sie im Gegensatz zu Erkenntnis und Wissen nicht durch eine unumstößliche Begründung fundiert. Daher ist sie unbeständig, sie kann sich verflüchtigen und taugt somit nicht zum Unterrichtsstoff. Immerhin ist es grundsätzlich möglich, eine solche zutreffende Vorstellung durch „Festbinden“ in Wissen umzuwandeln. Mit „Festbinden“ ist gemeint, dass man den betreffenden Sachverhalt so erfasst hat, dass man ihn erklären kann und für das, was man darüber aussagt, eine stichhaltige Begründung hat.<ref>Zum „Festbinden“ siehe Gail Fine: ''Knowledge and True Belief in the Meno''. In: ''Oxford Studies in Ancient Philosophy'' 27, 2004, S. 41–81, hier: 55–61; Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 109–112.</ref> Tüchtige, tugendhafte Menschen verdanken ihre Kompetenz ihrer richtigen Vorstellung. Sie handeln tugendhaft, obwohl sie keine Erkenntnis über die Tugend haben.<ref>Siehe dazu Hartmut Westermann: ''Die Intention des Dichters und die Zwecke der Interpreten'', Berlin 2002, S. 181–188.</ref> Andere darüber belehren können sie allerdings nicht, denn dazu wäre Wissen erforderlich. Das Fazit lautet: Tugend ist offenbar doch nicht als Wissen zu definieren, denn schon eine richtige Vorstellung reicht aus, sie hervorzubringen. Da weder die richtige Vorstellung noch das Wissen naturgegeben ist und die Tugend anscheinend nicht erlernt wird, bleibt nur eine Erklärung übrig: göttliche Inspiration, die manchen Menschen zuteilwird und anderen nicht. Diesen Überlegungen stimmt Menon zu. Sokrates weist aber darauf hin, dass das Ergebnis der Untersuchung nur stimmt, sofern sie richtig durchgeführt wurde. Diesen entscheidenden Vorbehalt beachtet Menon nicht.<ref>Platon, ''Menon'' 96d–100b.</ref>
{|
|-
| Sophia || = der geistige Atmungsinhalt, abgelähmt durch die Sinneswahrnehmung
|-
| Pistis<br />(Glaube) || = der geistige Ausatmungsprozeß, abgelähmt durch das Körpergefühl
|}
</center>


So floß im Menschen zusammen die Weisheit und der Glaube. Die
=== Der Ausgang der Diskussion ===
Weisheit strömte nach dem Haupte, der Glaube lebte im ganzen Menschen.
Es war die Weisheit nur eben der Ideeninhalt. Und es war der
Glaube die Kraft dieses Ideeninhaltes. Beide gehörten zusammen. Daher
auch diese einzige gnostische Schrift, die erhalten ist aus dem Altertum,
die [[Pistis-Sophia]]-Schrift. So daß man in der Sophia eine Verdünnung
der Einatmung, in dem Glauben eine Verdichtung der Ausatmung
hatte.“ {{GZ||211|65ff}}
</div>


== Atmungsstörungen ==
Die Untersuchung hat zu einem provisorischen, allerdings aus Sokrates’ Sicht fragwürdigen Ergebnis geführt. Sokrates bittet Menon, das Resultat auch Anytos begreiflich zu machen, um den aufgebrachten Politiker zu besänftigen. Offen bleibt allerdings die Hauptfrage: Es konnte nicht geklärt werden, was die Tugend ausmacht. Somit endet der Dialog aporetisch, die Ratlosigkeit beim Kernpunkt bleibt bestehen. Sokrates erinnert daran, dass es sinnlos ist, weiter darüber nachzudenken, wie man zur Tugend gelangt, solange noch unklar ist, worin sie besteht. Damit macht er abschließend nochmals seinen fundamentalen methodischen Einwand gegen die von Menon erzwungene Vorgehensweise und damit auch gegen das Ergebnis geltend.<ref>Platon, ''Menon'' 100b–c.</ref>


Alle '''Atmungsstörungen''' beruhen laut [[Rudolf Steiner]] auf einer gestörten Ausatmung, wie er es in seinen [[Arbeitervorträge]]n am Beispiel des '''Schnarchens''' (med. '''Rhonchopathie''', aus {{ELSalt|ῥόγχος}} ''rhonchos'' „Schnarchen“ und ''-pathie'', gr. „leiden“) erläuterte:
In Wirklichkeit ist Sokrates nicht der Meinung, das Vorhandensein oder Fehlen der Tugend bei den Menschen sei nur das Ergebnis göttlichen Ratschlusses und die Ausgangsfrage sei damit befriedigend geklärt. Vielmehr ist diese Lösung nur am Ende der auf Menons Drängen unkorrekt durchgeführten Untersuchung als scheinbar einzig mögliche übriggeblieben. Mit ironischen Bemerkungen distanziert sich Sokrates von dem Befund, obwohl er göttlichen Einfluss durchaus ernst nimmt. Es bleibt dem Leser überlassen, die philosophische Untersuchung zu einem befriedigenderen Ergebnis zu führen.<ref>Siehe dazu Paul W. Gooch: ''Irony and Insight in Plato’s Meno''. In: ''Laval théologique et philosophique'' 43, 1987, S. 189–204; Dominic Scott: ''Recollection and experience''. Cambridge 1995, S. 43, 46 f.; Harold Tarrant: ''Studying Plato and Platonism Together: Meno-related Observations''. In: Michael Erler, Luc Brisson (Hrsg.): ''Gorgias – Menon'', Sankt Augustin 2007, S. 20–28, hier: 23–25; Margarita Kranz (Hrsg.): ''Platon: Menon''. Stuttgart 1994, S. 120 f.</ref>


{{GZ|Alle Atmungsstörungen geschehen beim
== Philosophische und didaktische Bilanz ==
Ausatmen. Nun, worin besteht denn das Schnarchen zum Beispiel,
{{Hauptartikel|Anamnesis}}
zuerst Röcheln, dann Schnarchen - worin besteht denn das? Sehen
Im Zentrum vieler moderner Debatten über den philosophischen Gehalt des ''Menon'' steht die Frage der erkenntnistheoretischen Interpretation des Anamnesis-Konzepts, das Platon auch in den Dialogen ''[[Phaidon]]'' und ''[[Phaidros]]'' erörtert. Über das Verständnis des Lernens als Wiedererinnerung gehen in der Forschung die Meinungen weit auseinander. Strittig ist auch, inwieweit und in welchem Sinne Platon für die Konsequenzen aus der Anamnesis-These einen Wahrheitsanspruch erhoben hat.<ref>Eine Übersicht über verschiedene Interpretationen bietet John E. Thomas: ''Musings on the Meno''. The Hague 1980, S. 127–147.</ref>
Sie, schnarchen tun diejenigen Menschen, die nicht ordentlich ausatmen
können. Wenn der Mensch ordentlich ausatmet, wenn das sein


[[Datei:GA349 184.gif|center|400px|Zeichnung aus GA 349, S. 184]]
Einer Forschungsrichtung zufolge ist für Platon die Zurückführung der Erkenntnisfähigkeit auf eine eigenständige vorgeburtliche Existenz der Seele nur eine Argumentationshilfe, die er nicht unbedingt benötigt und deren Wahrheitsgehalt er offenlässt, oder sie ist überhaupt nur [[Metapher|metaphorisch]] und nicht [[Metaphysik|metaphysisch]] zu verstehen.<ref>Zu den zahlreichen Vertretern dieser Richtung zählen Peter Stemmer: ''Platons Dialektik. Die frühen und mittleren Dialoge''. Berlin 1992, S. 233–236; [[Bernhard Waldenfels]]: ''Das sokratische Fragen'', Meisenheim am Glan 1961, S. 115 f.; Sang-In Lee: ''Anamnesis im Menon''. Frankfurt am Main 2001, S. 148–152 und ''Platons Anamnesis in den frühen und mittleren Dialogen''. In: ''[[Antike und Abendland]]'' 46, 2000, S. 93–115; Klaus Reich (Hrsg.): ''Platon: Menon''. Hamburg 1972, S.IX–XIX; Rod Jenks: ''On the Sense of the Socratic Reply to Meno’s Paradox''. In: ''Ancient Philosophy'' 12, 1992, S. 317–330; Gail Fine: ''Inquiry in the Meno''. In: Richard Kraut (Hrsg.): ''The Cambridge Companion to Plato''. Cambridge 1992, S. 200–226, hier: 204–215; [[Theodor Ebert (Philosoph)|Theodor Ebert]]: ''Meinung und Wissen in der Philosophie Platons''. Berlin 1974, S. 96–104 und ''„The Theory of Recollection in Plato’s Meno“: Against a Myth of Platonic Scholarship''. In: Michael Erler, Luc Brisson (Hrsg.): ''Gorgias – Menon''. Sankt Augustin 2007, S. 184–198; Roslyn Weiss: ''Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno''. Oxford 2001, S. 63–74.</ref> Gegen solche „entmythologisierende“ Deutungen wenden sich andere Forscher, die unter anderem darauf hinweisen, dass die Wiedererinnerung ausdrücklich mit der Lehre von der körperfreien Existenz der Seele verknüpft wird, einer metaphysischen Position, die Platons eigener Überzeugung entspricht. Bei einem Verständnis der Anamnesis als bloße Metapher oder didaktisches Hilfsmittel ergäbe diese Verbindung keinen Sinn.<ref>Kritik an der „Entmythologisierung“ der Anamnesis üben u. a. [[Bernd Manuwald]]: ''Wiedererinnerung/Anamnesis''. In: Christoph Horn u. a. (Hrsg.): ''Platon-Handbuch''. Stuttgart 2009, S. 352–354; Dominic Scott: ''Plato’s Meno''. Cambridge 2006, S. 121 f.; Kenneth Seeskin: ''Dialogue and Discovery. A Study in Socratic Method''. Albany 1987, S. 103–110; Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 366.</ref> Jedenfalls unterscheidet Platons Sokrates klar zwischen dem, was er mit seinem didaktischen Experiment gezeigt zu haben meint – der Existenz eines latenten, aktivierbaren Wissens –, und der metaphysischen Interpretation dieses Sachverhalts im Sinne der Unsterblichkeitslehre, die er nicht wie eine bewiesene Tatsache behandelt.<ref>William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 258; Richard S. Bluck (Hrsg.): ''Plato’s Meno''. Cambridge 1961, S. 11.</ref> Das latente Wissen ist nicht in einem gegenständlichen Sinn aufzufassen; es besteht nicht aus einzelnen „Dingen“ wie den korrekten Lösungen mathematischer Aufgaben, sondern zeigt sich im Verstehen von Zusammenhängen.<ref>Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 112–115.</ref>


Mund ist, dann geht die Luft herein, dann nach einiger Zeit geht sie
Gewöhnlich wird angenommen, dass sich die Anamnesis, die mit dem didaktischen Experiment demonstriert werden soll, auf ein [[a priori|apriorisches]] (von Erfahrung unabhängiges) Wissen bezieht, doch geht dies aus dem Text nicht eindeutig hervor. Ein Problem besteht darin, dass der Sklave im Experiment anhand gezeichneter Figuren, also mit Hilfe von Sinneswahrnehmungen zu der Erkenntnis gelangt, die sein Wissen demonstrieren soll. Wenn dieses als apriorisch aufgefasst wird, muss es aber von Sinneswahrnehmung unabhängig sein. Eine mögliche Erklärung lautet, dass der Sklave den Sinn der Zeichnungen nur deswegen verstehen kann, weil er die Prinzipien, die ihm das Verständnis des Beweises ermöglichen, a priori kennt.<ref>Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 116 f.</ref>
wieder heraus; da ist dann eingeschaltet in den Luftgang das Zäpfchen,
das Sie sehen, wenn Sie in den Mund hineinschauen. Und dann oben
ist so etwas, was auf- und niedersteigt, das Gaumensegel; das bewegt
sich. Zäpfchen und Gaumensegel, die bewegen sich fortwährend durch
Ein- und Ausatmen, wenn es normal, richtig geschieht. Wenn aber
das Einatmen geschieht, und dann das Ausatmen nicht richtig, wenn
es aufstößt, dann kommt das da hier, das Gaumensegel und das Zäpfchen,
ins Zittern, und daher entsteht das Röcheln und dann das
Schnarchen.|349|183f}}
{{#lst:Infektionskrankheit|Kosmos}}


==Literatur==
Weitere Thesen im ''Menon'', die im Diskurs der Philosophiehistoriker besondere Beachtung gefunden haben, sind die Grundsätze, dass niemand wissentlich etwas Schlechtes anstrebt und dass zuverlässige Aussagen über etwas erst möglich sind, wenn man weiß, was es ist, also die Definitionsfrage vorab geklärt hat (Prinzip der Priorität der Definition). Diese Grundsätze thematisiert Platon auch in anderen Werken.<ref>William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 242–247; Christoph Horn: ''Platons Konzept des Willens im Menon und im Gorgias''. In: Christian Pietsch (Hrsg.): ''Ethik des antiken Platonismus''. Stuttgart 2013, S. 173–190; Franz von Kutschera: ''Platons Philosophie''. Bd. 1, Paderborn 2002, S. 226–228; Charles H. Kahn: ''Plato and the Socratic dialogue''. Cambridge 1996, S. 157–164.</ref> Kontrovers wird in der Forschung die Frage erörtert, ob oder inwieweit Platons [[Ideenlehre]] im ''Menon'' bereits präsent ist und den Hintergrund des Anamnesis-Konzepts bildet, obwohl sie nicht explizit thematisiert wird. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass die Anamnesis die Ideenlehre voraussetzt.<ref>Für Präsenz der Ideenlehre im ''Menon'' plädieren u. a. William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 253 f.; Cristina Ionescu: ''Plato’s Meno''. Lanham 2007, S. XV–XVII; [[Konrad Gaiser]]: ''Platons ‚Menon‘ und die Akademie''. In: Konrad Gaiser: ''Gesammelte Schriften''. Sankt Augustin 2004, S. 353–399, hier: 355 f.; Carlo E. Huber: ''Anamnesis bei Plato''. München 1964, S. 316 f. Die gegenteilige Auffassung vertreten u. a. Theodor Ebert: ''Meinung und Wissen in der Philosophie Platons''. Berlin 1974, S. 84, und Roslyn Weiss: ''Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno''. Oxford 2001, S. 74 f.</ref> Eine weitere Diskussion dreht sich um die Frage, was Platon mit der Argumentation seines Sokrates gegen die Lehrbarkeit der Tugend bezweckte. Er selbst nahm durchaus an, dass es ein grundsätzlich vermittelbares Tugendwissen gebe, wenngleich er der Ansicht war, dass die empirisch gegebene Tugend normalerweise nur auf richtiger Vorstellung basiere und daher mangels wirklichen Verständnisses nicht weitergegeben werden könne. Das Fehlen von Tugendlehrern, mit dem sein Sokrates im Dialog argumentiert, hielt er zwar für einen wichtigen Sachverhalt, aber nicht für eine schlüssige Widerlegung der Vermittelbarkeit.<ref>Joseph T. Bedu-Addo: ''Recollection and the argument ‚from a hypothesis‘ in Plato’s Meno''. In: ''[[Journal of Hellenic Studies]]'' 104, 1984, S. 1–14, hier: 10–14; Michael Cormack: ''Plato’s Stepping Stones: Degrees of Moral Virtue''. London 2006, S. 70–72.</ref>


* [[Rudolf Steiner]]: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte.'', [[GA 170]] (1978), Siebenter Vortrag, Dornach, 12. August 1916
Eine andere Forschungsdiskussion dreht sich um das Verhältnis von richtiger Vorstellung und Wissen und die Umwandlung einer richtigen Vorstellung in Wissen durch „Festbinden“. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob Platon unter Wissen eine gerechtfertigte zutreffende Meinung („justified true belief“) versteht, also eine richtige Vorstellung, die durch Hinzufügung von etwas zu Wissen geworden ist. In diesem Fall ist das Wissen für Platon ein um einen zusätzlichen Faktor erweitertes Meinen. Der gegenteiligen Interpretation zufolge ist das Wissen etwas prinzipiell anderes als eine zutreffende Meinung. Nach der starken Variante dieser Position schließen Wissen und Meinen einander sogar aus. Eine Meinung hört durch die Umwandlung in Wissen auf, eine Meinung zu sein, so wie ein Kind, nachdem es erwachsen geworden ist, kein Kind mehr ist.<ref>Gail Fine: ''Knowledge and True Belief in the Meno''. In: ''Oxford Studies in Ancient Philosophy'' 27, 2004, S. 41–81.</ref>
* [[Rudolf Steiner]]: ''Anthroposophie als Kosmosophie – Zweiter Teil'', [[GA 208]] (1992), ISBN 3-7274-2080-4 {{Vorträge|208}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung'', [[GA 211]] (1986), ISBN 3-7274-2110-X {{Vorträge|211}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Aus den Inhalten der esoterischen Stunden, Band I: 1904 – 1909'', [[GA 266/1]] (1995), ISBN 3-7274-2661-6 {{Schule|266}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geisteswissenschaft und Medizin'', [[GA 312]] (1999), ISBN 3-7274-3120-2 {{Vorträge|312}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Geisteswissenschaftliche Gesichtspunkte zur Therapie'', [[GA 313]] (2001), ISBN 3-7274-3132-6 {{Vorträge|313}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums'', [[GA 349]] (1980), ISBN 3-7274-3490-2 {{Vorträge|349}}


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Aus didaktischer Sicht sind die Ausführungen des Sokrates zur Methode von besonderem Interesse. Nach seiner Darstellung hat er den Sklaven nicht belehrt, sondern ihn durch geeignete Fragen dazu gebracht, vorhandene irrige Vorstellungen zu beseitigen und den tatsächlichen Sachverhalt selbst zu entdecken. Diese didaktische Gesprächslenkung, die auch in anderen Dialogen Platons eine wichtige Rolle spielt, wird als [[Mäeutik]] oder Maieutik („Hebammenkunst“) bezeichnet, da Sokrates bei der „Geburt“ einer Einsicht gleichsam die Aufgabe der Hebamme übernimmt. Manche Fragen, die Sokrates dem Sklaven stellt, wirken allerdings suggestiv und können daher als Verstöße gegen seinen Anspruch, konsequent auf Belehrung zu verzichten, erscheinen. Dennoch handelt es sich um eine erfolgreiche Demonstration der Mäeutik, denn der Sklave überlegt selbst und versucht nicht, die Antworten zu geben, die Sokrates hören möchte. Die Verknüpfungen, die zur Einsicht in den Zusammenhang erforderlich sind, muss er in einem eigenen Reflexionsprozess herstellen.<ref>William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 255; Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 104–108.</ref> In der Forschungsliteratur wird allerdings auch die Meinung vertreten, die geometrische Demonstration sei von Platon und seinem Sokrates nicht ernst gemeint, sondern als Farce zu verstehen.<ref>Diese Interpretation vertreten Jerome Eckstein: ''The Platonic Method''. New York 1968, S. 36–45, und Roslyn Weiss: ''Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno''. Oxford 2001, S. 12, 77–126.</ref>


== Einzelnachweise ==
[[Norbert Blößner]] hebt hervor, dass nicht nur das Verhältnis der Dialogfiguren Sokrates und Menon, sondern auch die Beziehung zwischen Platon als Autor des ''Menon'' und seinen Lesern als mäeutisch aufzufassen sei. Der Dialog biete dem Leser nicht Platons Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, sondern Anregungen zum Finden von Lösungen, die im Text nicht enthalten seien.<ref>Norbert Blößner: ''The Unity of Plato’s Meno. Reconstructing the Author’s Thoughts''. In: ''Philologus'' 155, 2011, S. 39–68, hier: 64–66.</ref>
<references/>


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== Die Abfassungszeit ==
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Als plausibel gilt, dass der ''Menon'' der frühen Schaffensperiode Platons angehört und innerhalb von ihr einer späten Phase zuzurechnen ist, die auch als Zeit des Übergangs zur mittleren Schaffensperiode bezeichnet wird. Eine genauere Einordnung scheint kaum möglich zu sein. Versuche, aus mutmaßlichen Beziehungen zu anderen Schriften oder aus einer hypothetischen Entwicklung von Platons Lehre die Position des ''Menon'' in der Entstehungsreihenfolge der Dialoge zu erschließen, haben keine gesicherten Ergebnisse erbracht. Ein Indiz spricht für ungefähr gleichzeitige Abfassung des ''Menon'' und der ''[[Apologie (Platon)|Apologie]]'', der von Platon literarisch gestalteten Verteidigungsrede des Sokrates vor Gericht.<ref>Ernst Heitsch: ''Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar''. Göttingen 2002, S. 177–180.</ref> In der neueren Forschung hat sich die Annahme durchgesetzt, dass Platon den ''Menon'' um die Mitte der 380er Jahre – nach dem ''[[Gorgias (Platon)|Gorgias]]'' – verfasst hat, nachdem er von seiner ersten Sizilienreise zurückgekehrt war und seine Philosophenschule, die [[Platonische Akademie]], gegründet hatte.<ref>Siehe zur chronologischen Einordnung Ernst Heitsch: ''Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar''. Göttingen 2002, S. 179 f.; Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 165 f.; William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236; Monique Canto-Sperber: ''Platon: Ménon''. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 319–323; John E. Thomas: ''Musings on the Meno''. The Hague 1980, S. 10–16, 22.</ref>
 
== Rezeption ==
=== Antike ===
 
Von einer antiken Kommentierung des ''Menon'' ist zwar nichts überliefert, doch war die Nachwirkung des Dialogs beträchtlich. Platons Schüler [[Aristoteles]] nahm wiederholt namentlich auf ihn Bezug.<ref>Siehe zu Aristoteles’ Rezeption des ''Menon'' David Bronstein: ''Meno’s Paradox in Posterior Analytics 1.1''. In: ''Oxford Studies in Ancient Philosophy'' 38, 2010, S. 115–141; Sang-In Lee: ''Anamnesis im Menon''. Frankfurt am Main 2001, S. 160–185.</ref> In seiner Schrift ''[[Analytica posteriora]]'' erörterte er die Aktualisierung allgemeinen potentiellen Wissens und befasste sich dabei mit der von Platons Menon vorgebrachten paradoxen These, dass man Kenntnis von Unbekanntem prinzipiell nicht erlangen könne.<ref>Aristoteles, ''Analytica posteriora'' 71a.</ref> In den ''[[Analytica priora]]'' ging er auf die Deutung des Lernens als Erinnerung ein.<ref>Aristoteles, ''Analytica priora'' 67a.</ref> In seiner ''[[Politik (Aristoteles)|Politik]]'' wandte er sich gegen die Ansicht von Platons Sokrates, es gebe keine spezifischen Tugenden je nach Geschlecht, Lebensalter und sozialer Stellung, sondern die Tugend sei bei allen Menschen dieselbe.<ref>Aristoteles, ''Politik'' 1260a.</ref> Ein anderer Schüler Platons, [[Xenokrates]], verfasste eine Schrift, in der er sich mit der Thematik des ''Menon'' auseinandersetzte; außer dem Titel ''Dass die Tugend lehrbar ist'' ist über dieses verlorene Werk nichts überliefert.
 
[[Datei:Peri areths beginning. Codex Parisinus graecus 1807.jpg|mini|Der Anfang des Dialogs ''Über die Tugend'' in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift: Paris, Bibliothèque Nationale, Gr. 1807 (9. Jahrhundert)]]
Der unbekannte Verfasser des pseudoplatonischen (Platon zu Unrecht zugeschriebenen) Dialogs ''Über die Tugend'' behandelte in seinem Werk die Frage, wie Tugend entsteht. Dabei lehnte er sich eng an den ''Menon'' an. Er war der Überzeugung, eine rational planbare Weitergabe der Tugend an andere sei unmöglich. Nach seiner Argumentation besitzt niemand ein übertragbares Tugendwissen, denn ein echter Tugendlehrer müsste ein guter Mensch sein und würde als solcher sein Wissen nicht zurückhalten; er müsste also damit hervorgetreten sein und seine Fähigkeit praktiziert haben. Dies sei aber nicht geschehen. Eine anlagebedingte Tugendhaftigkeit schloss der Autor von ''Über die Tugend'' ebenfalls aus, da es sonst eine Technik ihrer Früherkennung gäbe. Auch den im ''Menon'' vorgeschlagenen Mittelweg zwischen Wissen und Nichtwissen, die „richtige Vorstellung“, ließ er nicht offen. Offenbar gehörte er der Akademie an und lebte spätestens im 3. Jahrhundert v. Chr. Möglicherweise war seine Schrift gegen die Auffassung der [[Stoa|Stoiker]] gerichtet, die nachdrücklich die Lehrbarkeit der Tugend vertraten und auch eine Naturanlage annahmen. Fast die Hälfte des Textes von ''Über die Tugend'' besteht aus Zitaten aus dem ''Menon'' und Paraphrasen von Ausführungen in diesem Dialog. Statt Menon und Anytos übernimmt hier ein nicht namentlich genannter Freund des Sokrates die Rolle des Gesprächspartners des Philosophen.<ref>Siehe dazu [[Carl Werner Müller]]: ''Appendix Platonica und Neue Akademie''. In: [[Klaus Döring]], Michael Erler, Stefan Schorn (Hrsg.): ''Pseudoplatonica''. Stuttgart 2005, S. 155–174, hier: 156–163; Michael Erler: ''Platon''. Basel 2007, S. 323–325.</ref>
 
[[Marcus Tullius Cicero|Cicero]] nahm verschiedentlich auf das Anamnesis-Konzept Bezug.<ref>Siehe zu Ciceros ''Menon''-Rezeption Harold Tarrant: ''Recollecting Plato’s Meno''. London 2005, S. 101–125.</ref> In seinen ''[[Tusculanae disputationes]]'' führte er das Experiment mit Menons Sklaven als Argument für die Ewigkeit der Seele an.<ref>Cicero, ''Tusculanae disputationes'' 1,57.</ref> Im Dialog ''[[De divinatione]]'' erwähnte er die umfassenden Kenntnisse, die sich die Seele nach der Wiedererinnerungshypothese im vergangenen Teil ihres ewigen Daseins angeeignet hat. Damit seien [[Wahrtraum|Wahrträume]] zu erklären, denn im Schlaf könne die Seele, während der Körper ruhe, Zugang zu ihrem tagsüber verhüllten universalen Wissen erlangen.<ref>Cicero, ''De divinatione'' 1,115 (Bezugnahme auf ''Menon'' 81c–d).</ref>
 
In der [[Tetralogie (Platon)|Tetralogienordnung]] der Werke Platons, die anscheinend im 1. Jahrhundert v. Chr. eingeführt wurde, gehört der ''Menon'' zur sechsten Tetralogie. Der Philosophiegeschichtsschreiber [[Diogenes Laertios]] zählte ihn zu den „prüfenden“ – das heißt: Unwissenheit entlarvenden – Schriften und gab als Alternativtitel ''Über die Tugend'' an. Dabei berief er sich auf eine heute verlorene Schrift des [[Mittelplatonismus|Mittelplatonikers]] [[Thrasyllos (Philosoph)|Thrasyllos]].<ref>Diogenes Laertios 3,57–59.</ref>
 
Der antiphilosophisch gesinnte Gelehrte [[Athenaios]] führte in seiner Polemik gegen Platon unter anderem an, Menon werde in dem nach ihm benannten Dialog zu Unrecht gelobt, sein Charakter sei dort falsch dargestellt; die Wahrheit sei in Xenophons Bericht zu finden.<ref>Athenaios 11, 505a–b. Siehe zu dieser Überlieferung Jacob Klein: ''A Commentary on Plato’s Meno''. Chapel Hill 1965, S. 37.</ref>
 
Auch bei christlichen Autoren fand der ''Menon'' Beachtung. Der Kirchenschriftsteller [[Clemens von Alexandria]] äußerte sich beifällig zu der im Dialog vorgetragenen Hypothese, die Tugend müsse als Gottesgabe erklärt werden.<ref>Clemens von Alexandria, ''Stromata'' 5,13,83.</ref> Der spätantike Kirchenschriftsteller [[Arnobius der Ältere]] bekämpfte in seiner Schrift ''Adversus nationes'' („Gegen die Heiden“) die Anamnesis-Lehre, wobei er eine Argumentation gegen die Beweiskraft des geometrischen Experiments vorbrachte.<ref>Arnobius, ''Adversus nationes'' 2,24.</ref> Auch der Kirchenvater [[Augustinus von Hippo|Augustinus]] wandte sich gegen die Hypothese, die Seele bringe ein Wissen mit, das sie schon vor der Entstehung des Körpers besessen habe. Sein Einwand lautete, in diesem Fall könnten nicht alle geometrisches Wissen mitbringen, sondern nur die wenigen, die in einem früheren Leben bereits Mathematiker waren. Dies widerspreche der Verallgemeinerung des Ergebnisses des Experiments im ''Menon''.<ref>Augustinus, ''[[De Trinitate|De trinitate]]'' 12,15,24.</ref>
 
Die antike Textüberlieferung beschränkt sich auf ein [[Papyrus]]-Fragment aus der beginnenden [[Römische Kaiserzeit|römischen Kaiserzeit]] und knappe Zitate in anderen fragmentarisch auf Papyrus überlieferten Schriften.<ref>''Corpus dei Papiri Filosofici Greci e Latini (CPF)''. Teil 1, Bd. 1***, Firenze 1999, S. 139–141, 494–499.</ref>
 
[[Datei:Menon beginning. Clarke Plato.jpg|mini|Der Anfang des ''Menon'' in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift, dem 895 geschriebenen ''Codex Clarkianus'']]
 
=== Mittelalter ===
 
Die älteste erhaltene mittelalterliche ''Menon''-Handschrift wurde im Jahr 895 im [[Byzantinisches Reich|Byzantinischen Reich]] angefertigt. Die handschriftliche Überlieferung besteht aus rund fünfzig [[Kodex|Codices]], die den Text vollständig oder teilweise enthalten.<ref>Zur Textüberlieferung siehe Bruno Vancamp: ''Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung von Platons Menon''. Stuttgart 2010; Richard S. Bluck (Hrsg.): ''Plato’s Meno''. Cambridge 1961, S. 129–147.</ref>
 
[[Datei:Plato, Meno, Scholia, Vienna, Suppl. graec. 7.jpg|mini|links|Konstruktionszeichnungen zum Problem der Quadratverdoppelung in den [[Scholion|Scholien]] zu Menon 82b ff. in der Handschrift Wien, [[Österreichische Nationalbibliothek]], Suppl. graec. 7, fol. 418r (10. Jahrhundert)]]
Im 10. Jahrhundert verfasste der einflussreiche muslimische Philosoph [[al-Fārābī]] eine Übersicht zu Platons Schriften mit dem Titel ''Die Philosophie Platons, ihre Teile und die Ordnung ihrer Teile von ihrem Anfang bis zum Ende''. Darin fasste er den philosophischen Gehalt des ''Menon'' knapp aus der Perspektive eines ausgeprägten erkenntnistheoretischen Optimismus zusammen. Al-Farabi, der aus einer antiken [[Mittelplatonismus|mittelplatonischen]] Quelle schöpfte, stellte fest, Platon habe in diesem Dialog den erkenntnistheoretischen Pessimismus Menons verworfen, denn er habe erkannt, dass man sehr wohl durch Untersuchung zur Wahrheit vordringen könne.<ref>[[Muhsin Mahdi]]: ''Alfarabi: Philosophy of Plato and Aristotle''. 2. Auflage. Ithaca 2001, S. 55 (englische Übersetzung von al-Fārābīs Werk). Siehe dazu Harold Tarrant: ''Recollecting Plato’s Meno''. London 2005, S. 130–135.</ref>
 
Bei den [[latein]]ischsprachigen Gelehrten des Westens war der ''Menon'' bekannt, seit ihn der in Sizilien lebende Gelehrte [[Henricus Aristippus]] im Zeitraum 1154–1160 ins Lateinische übersetzt hatte. Die lateinische Übersetzung ist wortgetreu. Im Vorwort legte Henricus Aristippus dar, dass es ihm vor allem darauf ankam, den Sinn nicht zu verfälschen, und dass er daher stilistische Mängel in Kauf nahm.<ref>Victor Kordeuter (Hrsg.): ''Meno interprete Henrico Aristippo''. London 1940, S. 5 f.</ref> Der Text ist in fünf spätmittelalterlichen Handschriften überliefert.
 
[[Datei:Menon beginning. Editio princeps.jpg|mini|Der Anfang des ''Menon'' in der Erstausgabe, Venedig 1513]]
 
=== Frühe Neuzeit ===
 
Die erste neuzeitliche Übersetzung ins Lateinische stammt von dem berühmten [[Renaissance-Humanismus|Humanisten]] [[Marsilio Ficino]]. Er veröffentlichte sie 1484 in Florenz in der Gesamtausgabe seiner Platon-Übersetzungen. In der Einleitung ''(argumentum)'' zu seinem lateinischen ''Menon'' stellte er fest, die Anamnesis sei ein Nebenthema und nicht das Wesentliche an dem Dialog, dessen Gegenstand die Tugend sei.<ref>''Marsilii Ficini Opera''. Band 2, Paris 2000 (Nachdruck der Ausgabe Basel 1576), S. 1132 f. Eine englische Übersetzung der Einleitung bietet Arthur Farndell: ''Gardens of Philosophy. Ficino on Plato''. London 2006, S. 14–16.</ref> Die [[Erstausgabe]] des griechischen Textes erschien im September 1513 in Venedig bei [[Aldus Manutius|Aldo Manuzio]] im Rahmen der von [[Marcus Musurus|Markos Musuros]] herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke Platons.
 
[[René Descartes]] äußerte 1643 die Meinung, das Wissen über Gott sei von gleicher Art wie das geometrische Wissen, dessen latentes Vorhandensein im ''Menon'' demonstriert werde; beides gehöre zu den „uns angeborenen Wahrheiten“.<ref>René Descartes: ''Epistola ad Gisbertum Voetium''. In: Charles Adam, [[Paul Tannery]] (Hrsg.): ''Œuvres de Descartes'', Bd. 8/2, Paris 1987, S. 167.</ref> [[Gottfried Wilhelm Leibniz|Leibniz]] nahm 1686 zu dem „schönen Experiment“ lobend Stellung. Er hielt den Nachweis eines apriorischen Wissens für erbracht; das Anamnesis-Konzept sei, wenn man es richtig auffasse, solid. Die Hypothese einer [[Präexistenzlehre|Präexistenz der Seele]] vor der Entstehung des Körpers verwarf er jedoch.<ref>Leibniz: ''Discours de métaphysique'' 26.</ref>
 
=== Moderne ===
==== Literarische Aspekte ====
 
Der einflussreiche Platon-Übersetzer [[Friedrich Schleiermacher]] hielt den ''Menon'' nicht für eine überragende Leistung; er schrieb 1805 in der Einleitung zur ersten Auflage seiner Übersetzung des Dialogs, es handle sich um „eine von den loseren nicht vollkommen durchgearbeiteten Darstellungen des Platon“.<ref>Friedrich Schleiermacher: ''Menon. Einleitung''. In: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: ''Über die Philosophie Platons'', herausgegeben von Peter M. Steiner, Hamburg 1996, S. 206–219, hier: 216.</ref> Die späteren Urteile über die literarische Qualität sind jedoch gewöhnlich trotz Kritik an Einzelheiten wie der abrupten Einführung des Anytos lobend ausgefallen. [[John Stuart Mill]] bemerkte in einem 1866 publizierten Essay, der ''Menon'' sei ein Juwel; in keinem anderen Dialog werde so viel für Platon Charakteristisches so kompakt dargeboten.<ref>John Stuart Mill: ''Grote’s Plato''. In: John Stuart Mill: ''Collected Works''. Bd. 11: ''Essays on Philosophy and the Classics''. Toronto 1978, S. 375–440, hier: 422.</ref> [[Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff]] urteilte, der ''Menon'' glänze nicht durch künstlerischen Schmuck, ihm fehle starkes Pathos, doch sei der Aufbau kunstvoll, die Darstellungsweise straff.<ref>Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: ''Platon. Sein Leben und seine Werke''. 5. Auflage. Berlin 1959 (1. Auflage Berlin 1919), S. 219–221.</ref> [[Alfred Croiset]] fand in dem Dialog einen großen literarischen Charme.<ref>Alfred Croiset (Hrsg.): ''Platon: Œuvres complètes''. Bd. 3, Teil 2. 6. Auflage. Paris 1955, S. 227.</ref> [[Franz von Kutschera]] nannte ihn „gut komponiert“.<ref>Franz von Kutschera: ''Platons Philosophie''. Bd. 1, Paderborn 2002, S. 233.</ref>
 
==== Philosophische und didaktische Aspekte ====
 
Die philosophiegeschichtliche Forschung stuft den ''Menon'' als bedeutendes Werk ein und weist ihm im Rahmen von Platons Schaffen und in der Geschichte der abendländischen Erkenntnistheorie eine wichtige Rolle zu. Auch die didaktische Thematik des Dialogs findet in der Forschung viel Beachtung, das Experiment mit dem Sklaven gehört zu den klassischen Texten der Didaktikgeschichte. Der [[Neukantianismus|Neukantianer]] [[Paul Natorp]] (1854–1924) wies auf die im Dialog „reichlich eingestreuten, höchst wertvollen methodologischen Erörterungen“ hin. Mit dem ''Menon'' habe Platon „die ausschließliche Negativität der sokratischen Wissenskritik endgültig überwunden“. Natorp rühmte die „außerordentlich feine und durchdachte Anlage“ des Dialogs.<ref>Paul Natorp: ''Platos Ideenlehre''. 2., durchgesehene Auflage. Leipzig 1921 (erste Auflage 1903), S. 30 f., 33.</ref> Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff schrieb 1919, der ''Menon'' sei nicht nur Programm von Platons Schule, der [[Platonische Akademie|Akademie]], sondern enthalte zugleich das Programm seines Lebens.<ref>Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: ''Platon. Sein Leben und seine Werke''. 5. Auflage. Berlin 1959 (1. Auflage Berlin 1919), S. 212, 217.</ref> [[Nicolai Hartmann]] ging im Rahmen seiner 1935 veröffentlichten Untersuchung von Platons Apriorismus auf das Experiment ein. Der Sklave habe das Wissen um die Sache durch „Besinnung in sich“ gefunden. Dies habe Platon anhand eines mathematischen Beispiels besonders gut demonstrieren können, denn in der Mathematik könne man niemanden etwas lehren, „ohne ihn zum eigenen inneren Erfassen der Sache zu bringen“.<ref>Nicolai Hartmann: ''Das Problem des Apriorismus in der Platonischen Philosophie''. In: ''Kleinere Schriften''. Bd. 2, Berlin 1957, S. 48–85, hier: 57. Vgl. Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 103 f.</ref> [[Gregory Vlastos]] lobte die Beherrschung der logischen Technik und Terminologie.<ref>Gregory Vlastos: ''Platonic Studies''. 2. Auflage. Princeton 1981 (1. Auflage Princeton 1973), S. 230 Anm. 22.</ref> [[William Keith Chambers Guthrie|William K. C. Guthrie]] würdigte die Pionierrolle Platons, der im ''Menon'' erstmals in der Philosophiegeschichte zwischen empirischem und apriorischem Wissen unterschieden habe.<ref>William K. C. Guthrie: ''A History of Greek Philosophy''. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 255 f.</ref> [[Jonathan Barnes]] betonte die Bedeutung von Menons Frage, ob die Tugend lehrbar sei: Es gehe dabei um den Status der Ethik als mögliche Wissenschaft.<ref>Jonathan Barnes: ''Enseigner la vertu?'' In: ''Revue philosophique de la France et de l’Etranger''. Bd. 181, Jg. 116, 1991, S. 571–589.</ref>
 
[[Karl Popper]] brachte das Experiment im ''Menon'' mit dem historischen Sokrates in Verbindung, in dem er einen Demokraten und Vorkämpfer der Rechtsgleichheit sah. Er meinte, die geometrische Demonstration mit dem Sklaven illustriere den antiautoritären und [[Egalitarismus|egalitären]] Charakter des sokratischen Intellektualismus. Sokrates habe geglaubt, dass jedermann der Belehrung zugänglich sei, und habe mit dem Experiment beweisen wollen, dass jeder ungebildete Sklave die Fähigkeit besitze, auch abstrakte Sachverhalte zu begreifen.<ref>Karl Popper: ''Die offene Gesellschaft und ihre Feinde''. 7. Auflage. Bd. 1, Tübingen 1992, S. 154. Auf diesen Aspekt weist auch Oliver Hallich hin, aber ohne Bezugnahme auf den historischen Sokrates: Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Darmstadt 2013, S. 100 f.</ref> Die Anamnesis-Lehre besage, dass die Wahrheit durch den Akt der Erinnerung offenkundig werde. Diese optimistische Erkenntnistheorie komme in der „wunderschönen Stelle“ im ''Menon'' zum Ausdruck, wo der Sklave zur Erkenntnis geführt wird. Solcher Optimismus sporne zum Lernen, Forschen und Entdecken an, sei aber unrealistisch, da es in Wirklichkeit kein Kriterium der Wahrheit gebe. Die im ''Menon'' vorgetragene Theorie enthalte den Keim der aristotelischen Theorie der [[Induktion (Philosophie)|Induktion]], der Induktionstheorie von [[Francis Bacon]] und der Erkenntnistheorie von René Descartes.<ref>Karl Popper: ''Vermutungen und Widerlegungen''. Tübingen 2009, S. 13–18, 43.</ref>
 
[[Elizabeth Anscombe]] verfasste eine Fortsetzung zu der Diskussion zwischen Sokrates und Menon über das Experiment mit dem Sklaven. Darin lässt sie die beiden Gesprächspartner vertieft auf den Akt des Verstehens einer Beweisführung und des Einsehens ihrer Stichhaltigkeit und auf die Begründung der Annahme eines schon vor der Entstehung des Körpers vorhandenen Wissens der Seele eingehen.<ref>Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe: ''Understanding Proofs. Meno, 85d9–86c2, Continued''. In: Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe: ''From Parmenides to Wittgenstein''. Oxford 1981, S. 34–43.</ref>
 
== Ausgaben und Übersetzungen ==
'''Kritische Ausgaben, teilweise mit Übersetzungen'''
* Richard S. Bluck (Hrsg.): ''Plato’s Meno''. Cambridge University Press, Cambridge 1961 (Edition mit Einleitung und Kommentar).
* Gunther Eigler (Hrsg.): ''Platon: Werke in acht Bänden''. Band 2. 5. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-19095-5, S. 505–599 (Abdruck der Ausgabe von Maurice Croiset, 13. Auflage, Paris 1968, mit der deutschen Übersetzung von Friedrich Schleiermacher nach der 2., verbesserten Auflage von 1818).
* [[Reinhold Merkelbach]] (Hrsg.): ''Platons Menon''. Athenäum, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-610-09217-3 (Edition mit Übersetzung und Erläuterungen).
* [[Klaus Reich]] (Hrsg.): ''Platon: Menon''. Felix Meiner, Hamburg 1972, ISBN 3-7873-0279-4 (griechischer Text nach der Ausgabe von [[John Burnet (Philologe)|John Burnet]] [1903], leicht verändert; deutsche Übersetzung von Otto Apelt, überarbeitet).
 
'''Deutsche Übersetzungen'''
* [[Otto Apelt]] (Übersetzer): ''Platon: Menon oder Über die Tugend''. In: Otto Apelt (Hrsg.): ''Platon: Sämtliche Dialoge'', Bd. 2, Meiner, Hamburg 2004, ISBN 3-7873-1156-4 (Übersetzung mit Einleitung und Erläuterungen; Nachdruck der 2., durchgesehenen Auflage von 1922).
* [[Theodor Ebert (Philosoph)|Theodor Ebert]] (Übersetzer): ''Platon: Menon. Übersetzung und Kommentar.'' De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-057617-7
* [[Ludwig von Georgii|Ludwig Georgii]] (Übersetzer): ''Menon''. In: [[Erich Ludwig Loewenthal|Erich Loewenthal]] (Hrsg.): ''Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden'', Bd. 1. Unveränderter Nachdruck der 8., durchgesehenen Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-17918-8, S. 411–457.
* Margarita Kranz (Hrsg.): ''Platon: Menon''. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-002047-6 (Übersetzung mit griechischem Text nach der Ausgabe von John Burnet, leicht verändert und ohne den kritischen Apparat).
* Rudolf Rufener (Übersetzer): ''Platon: Die Werke des Aufstiegs'' (= ''Jubiläumsausgabe sämtlicher Werke'', Bd. 2). Artemis, Zürich/München 1974, ISBN 3-7608-3640-2, S. 401–453 (mit Einleitung von [[Olof Gigon]] S. 159–182).
'''Mittelalterliche lateinische Übersetzung'''
* Victor Kordeuter (Hrsg.): ''Meno interprete Henrico Aristippo'' (= ''[[Plato Latinus]]'', Bd. 1). Warburg Institute, London 1940 (Nachdruck: Kraus Reprint, Nendeln 1973).
 
== Literatur ==
'''Übersichtsdarstellungen'''
* [[Michael Erler (Altphilologe)|Michael Erler]]: ''Platon'' (''[[Grundriss der Geschichte der Philosophie]]. Die Philosophie der Antike'', hrsg. von [[Hellmut Flashar]], Band 2/2). Schwabe, Basel 2007, ISBN 978-3-7965-2237-6, S. 165–174, 605–608.
* [[Ernst Heitsch]]: ''Platon und die Anfänge seines dialektischen Philosophierens''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2004, ISBN 3-525-30145-6, S. 138–149.
 
'''Kommentare'''
* [[Monique Canto-Sperber]]: ''Platon: Ménon''. 2., überarbeitete Auflage. Flammarion, Paris 1993, ISBN 2-08-070491-5 (französische Übersetzung des ''Menon'' mit Kommentar und Einführung).
* [[Jacob Klein (Philosoph)|Jacob Klein]]: ''A Commentary on Plato’s Meno.'' The University of North Carolina Press, Chapel Hill 1965.
* John E. Thomas: ''Musings on the Meno''. Nijhoff, The Hague 1980, ISBN 90-247-2121-0.
* Theodor Ebert: ''Platon: Menon. Übersetzung und Kommentar.'' De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-057617-7.
 
'''Untersuchungen'''
* Norbert Blößner: ''The Unity of Plato’s Meno. Reconstructing the Author’s Thoughts''. In: ''[[Philologus]]'' 155, 2011, S. 39–68.
* Oliver Hallich: ''Platons „Menon“''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-23049-5.
* [[Jens Holzhausen]]: ''Menon in Platons ‚Menon‘''. In: ''Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft'' Neue Folge Bd. 20, 1994/1995, S. 129–149.
* Cristina Ionescu: ''Plato’s Meno. An Interpretation''. Lexington, Lanham 2007, ISBN 0-7391-2025-5.
* Dominic Scott: ''Plato’s Meno''. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-64033-6.
* Robert Sternfeld, Harold Zyskind: ''Plato’s Meno. A Philosophy of Man as Acquisitive''. Southern Illinois University Press, Carbondale 1978, ISBN 0-8093-0838-X.
* Harold Tarrant: ''Recollecting Plato’s Meno''. Duckworth, London 2005, ISBN 0-7156-3291-4 (behandelt insbesondere die antike ''Menon''-Rezeption).
 
== Weblinks ==
* [http://www.perseus.tufts.edu/hopper/text;jsessionid=0B2AB43FA4B567869F9C0F54CB57488B?doc=Perseus%3atext%3a1999.01.0177%3atext%3dMeno ''Menon''], griechischer Text nach der Ausgabe von John Burnet (1903)
* [http://12koerbe.de/pan/symbol/menon3.htm ''Menon''], griechischer Text nach der Ausgabe von John Burnet (1903) und deutsche Übersetzung von Friedrich Schleiermacher
* [http://www.opera-platonis.de/Menon.html ''Menon''], deutsche Übersetzung nach Friedrich Schleiermacher, bearbeitet
* [http://www.zeno.org/Philosophie/M/Platon/Menon ''Menon''], deutsche Übersetzung von Ludwig von Georgii (1860)
* [http://www.charlesumlauf.com/kalos.htm καλοὶ λόγοι in Plato's ''Meno'' von Michael Eisenstadt]
 
== Anmerkungen ==
<references />
 
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[[Kategorie:Philosophisches Werk]] [[Kategorie:Werk von Platon]]
 
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Version vom 12. November 2018, 10:19 Uhr

Platon (römische Kopie des griechischen Platonporträts des Silanion, Glyptothek München)

Der Menon (griech. Μένων Ménōn) ist ein in Dialogform verfasstes Werk des griechischen Philosophen Platon. Den Inhalt bildet ein fiktives, literarisch gestaltetes Gespräch. Platons Lehrer Sokrates diskutiert mit dem vornehmen Thessalier Menon von Pharsalos, der sich vorübergehend in Athen aufhält, und mit dessen Gastgeber, dem Politiker Anytos. Außerdem nimmt zeitweilig ein Sklave Menons an dem Gespräch teil. Das Thema ist Menons Frage, ob Tugend erlernt oder eingeübt werden kann oder angeboren ist. Der gewöhnlich mit „Tugend“ übersetzte griechische Begriff aretḗ bezeichnet nicht nur eine moralisch wünschenswerte Haltung, sondern Tüchtigkeit und Vortrefflichkeit in einem weiten Sinn.

Zunächst müsste geklärt werden, was Tugend eigentlich ist, doch gelingt dies nicht; verschiedene Definitionsvorschläge werden untersucht und erweisen sich als untauglich. Sokrates glaubt jedoch, dass es ein angeborenes, aber verschüttetes Wissen gibt, zu dem auch die Kenntnis der Tugend gehört, und dass dieses Wissen durch Erinnerung aktiviert werden kann. Damit wendet sich die Debatte dem Prozess der Erkenntnisgewinnung zu. Sokrates versucht mit einem didaktischen Experiment, bei dem ein Sklave Menons als Versuchsperson dient, seine Hypothese zu untermauern, der zufolge Lernvorgänge als Erinnerung an ein bereits vorhandenes Wissen zu erklären sind („Anamnesis-Hypothese“). Ob jedoch die Tugend zum lehrbaren Wissen zählt, scheint fraglich, da es an Tugendlehrern fehlt. Es gibt fähige Persönlichkeiten, die Tugend zwar besitzen, aber nicht anderen vermitteln können. Die Diskussion führt in eine Aporie (Ratlosigkeit), denn die Frage, worin Tugend besteht, bleibt offen.

Platons erstmals im Menon thematisiertes Anamnesis-Konzept wurde in der abendländischen Philosophie zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem Problem apriorischen – von Erfahrung unabhängigen – Wissens.

Ort, Zeit und Teilnehmer

Sokrates (römische Büste, 1. Jahrhundert, Louvre, Paris)

Die Debatte spielt sich in Athen ab. Der Ort ist im Dialog nicht angegeben; vermutlich ist an ein Gymnasion zu denken, doch kommt auch das Haus des Anytos in Betracht.[1] Die Zeit der fiktiven Handlung ergibt sich aus der Datierung von Menons Aufenthalt in Athen, der 403/402 v. Chr. anzusetzen ist.[2] Sokrates war damals schon etwa 67 Jahre alt.

Wie in anderen frühen Dialogen Platons lenkt Sokrates das Gespräch, indem er die Unzulänglichkeit der undurchdachten Vorstellungen der anderen aufdeckt und dann der Diskussion eine neue Wendung gibt. Seine Gesprächspartner Menon und Anytos sind als namhafte historische Persönlichkeiten gut bezeugt. Die Auffassungen, die Platon seinen Dialogfiguren in den Mund legt, können allerdings literarische Fiktion sein.

Der historische Menon gehörte einem der führenden Geschlechter Thessaliens an. Zur Zeit seines Aufenthalts in Athen, dessen Zweck wahrscheinlich eine diplomatische Mission war,[3] war er etwa 21 Jahre alt. Etwas später, im Jahr 401 v. Chr., beteiligte er sich als Söldnerführer an einem Feldzug gegen den Perserkönig Artaxerxes II. Das Unternehmen scheiterte, Menon geriet in Gefangenschaft und wurde hingerichtet. Die zeitgenössischen Geschichtsschreiber Xenophon und Ktesias, die ebenfalls an dem Feldzug teilnahmen, stellen Menons Charakter sehr negativ dar. Xenophon schildert ihn als geldgierigen, gewissenlosen Betrüger und Intriganten, Ktesias beschuldigt ihn des Verrats.[4]

Menons Gastgeber Anytos gehörte in der athenischen Politik zu den führenden Köpfen der demokratischen Richtung. Athen hatte traditionell eine demokratische Staatsordnung, doch war es 404 v. Chr. einer oligarchischen Gruppe gelungen, die Demokratie zu beseitigen und ein kurzlebiges Terrorregime, die „Herrschaft der Dreißig“, zu errichten. Dies hatte einen Bürgerkrieg zur Folge, in dem sich die Demokraten im Jahr 403 – also kurz vor Menons Ankunft – durchgesetzt hatten. Nach diesem Sieg stand Anytos auf der Höhe seines Einflusses. Wenige Jahre später, 399 v. Chr., war er der prominenteste der drei Ankläger, die das Gerichtsverfahren gegen Sokrates in Gang setzten, das mit der Verurteilung und Hinrichtung des Philosophen endete. Dies trug ihm die Feindschaft Platons ein, der die Ankläger seines verehrten Lehrers literarisch bekämpfte.[5]

Als Dialogfigur bei Platon macht Menon einen weniger ungünstigen Eindruck als in den Berichten der Geschichtsschreiber. An der Frage, die er angeschnitten hat, hat er anscheinend ein echtes Interesse. Er ist lernwillig und erlangt im Gesprächsverlauf Einsicht in die eigene Unwissenheit. Allerdings tritt er überheblich auf und zeigt wenig Verständnis und Geduld für die Erfordernisse einer systematischen Untersuchung. Seine Schwächen treten klar zutage: Er argumentiert nicht konzentriert und ausdauernd, seine Meinung ist konventionell und nicht durchdacht, einer tieferen Auseinandersetzung mit der schwierigen Problematik der Tugenddefinition weicht er aus. Offensichtlich ist er dem Thema nicht gewachsen. Sein Selbstbewusstsein im philosophischen Diskurs basiert insbesondere darauf, dass er am Unterricht des berühmten Rhetoriklehrers Gorgias teilgenommen hat und sich auf dessen Autorität berufen kann. Damit beeindruckt er Sokrates jedoch nicht. Mit der Darstellung von Menons Versagen will Platon auch dessen Lehrer Gorgias diskreditieren.[6]

Von Anytos, der als historische Person der gefährlichste Feind des Sokrates war, zeichnet Platon ein äußerst negatives Bild. Sein Anytos ist intolerant, von Vorurteilen geprägt und keiner Argumentation zugänglich, die sein starres, konservatives Weltbild gefährden könnte. Auf sachliche Einwände reagiert er mit einer verhüllten Drohung.[7]

Inhalt

Die Diskussion dreht sich um ein zu Platons Zeit beliebtes Thema: den Ursprung der Arete (Tüchtigkeit, Vortrefflichkeit oder Tugend). Da für Platon und die in seinen Dialogen auftretende Sokratesfigur ethische Aspekte im Vordergrund stehen, wird die in seinen Texten erörterte Arete gewöhnlich mit „Tugend“ übersetzt. Es ist aber stets zu beachten, dass im Altgriechischen – anders als im Deutschen – die Vorstellung von Tüchtigkeit und Tauglichkeit dazugehört und nicht von der Tugend im ethischen Sinn abgetrennt wird. Ein Nichtphilosoph wie Menon denkt, wenn er von Arete spricht, nicht speziell an Tugendhaftigkeit als moralische Qualität, sondern generell an eine Tüchtigkeit oder Tauglichkeit, die zum Erfolg führt, wobei freilich anerkannte soziale Normen wie Gerechtigkeit beachtet werden müssen.[8]

Das Einleitungsgespräch

Eine Rahmenhandlung fehlt, das Gespräch setzt unvermittelt ein. Zunächst sind nur Menon und Sokrates beteiligt. Menon stellt die Ausgangsfrage: Er möchte wissen, ob Tugend erlernt oder eingeübt wird oder Veranlagungssache ist.[9] Sokrates antwortet ausweichend. Er bekennt, nicht einmal zu wissen, was Tugend ist, geschweige denn Einzelheiten ihrer Beschaffenheit – wozu die Frage der Lehrbarkeit gehört – zu kennen. Überdies behauptet er, in Athen wisse niemand über die Tugend Bescheid. Ironisch unterstellt er den Thessaliern, Menons Landsleuten, solche Sachkenntnis. Die Ironie liegt darin, dass die Thessalier als unzivilisiert und sittenlos gelten,[10] während Athen ein bedeutendes Zentrum der griechischen Zivilisation ist. Menon, der von der Schwierigkeit der Frage nichts ahnt, staunt über die Unwissenheit des Sokrates. Er traut sich ohne weiteres zu, die Tugend aus dem Stegreif richtig zu definieren. Dabei gibt er eine Sichtweise wieder, die ihm sein Lehrer Gorgias vermittelt hat.[11]

Menons Definitionsversuche

Menon fasst nicht die Tugend schlechthin ins Auge, sondern eine Vielzahl von Tugenden. Was jeweils als Tugend zu betrachten ist, macht er von der Person und deren Lebenssituation und Aufgabe abhängig. Beispielsweise besteht für ihn die Tugend des Mannes darin, sich in der Politik zu bewähren, seine Freunde zu fördern und seinen Feinden zu schaden und sich vor den Nachstellungen der Gegner zu schützen. Die Tugend der Frau zeigt sich in guter Haushaltsführung und Gehorsam gegenüber dem Ehemann. Alte Menschen und Kinder haben unterschiedliche altersgemäße Tugenden. Ferner sind die Tugenden der Freien von anderer Art als die der Sklaven. Außerdem hat jede Tätigkeit eine besondere ihrer Ausübung zugeordnete Tugend.[12]

Damit ist Sokrates nicht zufrieden. Er erläutert, dass seine Frage nicht auf unterschiedliche Einzeltugenden abzielt, sondern auf die Tugend an sich, also das, was den verschiedenen Tugenden gemeinsam ist und die Verwendung einer gemeinsamen Bezeichnung für sie rechtfertigt. Menon versteht, was gemeint ist, gerät nun aber bei der Beantwortung der Frage in Verlegenheit. Er möchte an seinem Modell geschlechts- und altersspezifischer Tugenden festhalten. Dagegen bringt Sokrates vor, dass beispielsweise Gesundheit, Größe und Stärke einheitliche Begriffe sind, die nicht geschlechts- oder altersabhängig definiert werden. Wenn diese Begriffe allgemeine Qualitäten ausdrücken, die überall dieselben sind, ist nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu die Tugend jeweils abhängig von Faktoren wie Geschlecht und Alter unterschiedlich definiert werden soll. Zu einer guten Staatslenkung werden Besonnenheit und Gerechtigkeit benötigt, und das sind dieselben Eigenschaften, die auch eine gute Haushaltsführung ermöglichen. Wer besonnen und gerecht handelt, verhält sich unabhängig von seinem Lebensalter so; es gibt keine besondere Besonnenheit oder Gerechtigkeit der Greise, die sich von der anderer Menschen unterscheidet. Wenn gesagt wird, ein Mensch sei gut, ist damit nicht je nach Alter und Geschlecht etwas anderes gemeint. Also muss die Tugend, die den Menschen gut macht, für alle dieselbe sein.[13]

Nachdem somit der erste Definitionsversuch gescheitert ist, unternimmt Menon einen zweiten. Dabei berücksichtigt er die Kritik des Sokrates an seinem ersten Vorschlag, indem er eine allgemeingültige Bestimmung sucht. Er setzt die Tugend nun mit der Fähigkeit zur Machtausübung gleich; sie soll in der Tüchtigkeit beim Herrschen bestehen. Dagegen wendet Sokrates sogleich ein, dass das Herrschen für Sklaven und Kinder nicht in Betracht kommt, die Definition also nicht alles umfasst, was sie einschließen müsste. Außerdem stellt sich die Frage, ob jede Art von Machtausübung gemeint sein soll oder nur eine gerechte Herrschaft. Menon stimmt der Einbeziehung der Gerechtigkeit zu, denn er weiß, dass sie als Tugend gilt und daher in diesem Kontext nicht entbehrlich ist. Auch Tapferkeit und weitere Tugenden spielen beim richtigen Umgang mit der Macht eine Rolle und müssten daher in die Definition aufgenommen werden. Damit ergibt sich aber wiederum eine Vielzahl von Tugenden, deren Zusammenhang untereinander weiterhin ungeklärt bleibt. Der zweite Definitionsversuch führt somit nicht weiter als der erste. Nun ist Menon ratlos.[14]

Sokrates erläutert anhand des Begriffs „Figur“, worauf es bei einer Begriffsbestimmung ankommt: nicht auf einzelne Figuren, sondern auf das, „was bei allen diesen dasselbe ist“.[15] Figur definiert er zunächst als das, „was allein unter allen Dingen immer Farbe begleitet“.[16] Menon bezeichnet diese Definition als einfältig, weil jemand, der nicht wisse, was Farbe sei, sie nicht verstehen könne.[17] Allerdings hat Menon dabei die vorgeschlagene Definition der Figur verkürzt zu „was immer der Farbe folgt“,[18] hat also durch Weglassen des Wortes „allein“ aus der Definition die Angabe einer lediglich notwendigen Bedingung für Figur gemacht. Sokrates konzediert Menon, dass es besser, dialektischer gewesen wäre, sich zunächst die in der Definition benötigten Begriffe als vom Dialogpartner bekannt zugeben zu lassen, und gibt für eine zweite Definition nun drei Begriffe vor, die Menon als ihm bekannt bestätigt: Grenze, eben und Körper.[19] Sokrates dann zu Menon: „Ich würde sagen, dass Figur die Grenze eines Körpers ist.“[20] Sokrates hat hier also ebenfalls nur eine notwendige Bedingung für Figur angegeben, denn nicht jede Grenze eines Körpers ist eine Figur. Aber dieser Fehler ließe sich leicht korrigieren, wenn nämlich der dritte zuvor eingeführte Begriff in die Definition von Figur aufgenommen wird: Eine Figur ist die ebene Grenze eines Körpers. Jede Figur lässt sich als Schnittfläche durch einen Körper verstehen. Offenbar sollte Menon diesen Mangel bemerken und korrigieren.[21] Menon gibt aber zu der neuen Definition von Figur keinen Kommentar und verlangt stattdessen von Sokrates eine Erklärung des Wortes Farbe. Da dieses Wort in der neuen Definition überhaupt nicht vorkommt, ist dieses Verlangen Menons ganz unbegründet, und Sokrates charakterisiert das Verhalten Menons daher auch als arrogant und als Ausweichmanöver,[22] gibt aber schließlich auch noch eine Definition von Farbe – mit Bezugnahme auf eine von Gorgias vertretene Theorie des Empedokles – als optisch wahrnehmbare Ausströmung, die von den Figuren ausgeht. Menon ist, ganz im Unterschied zu Sokrates, voll des Lobes über diese Definition.[23] Nachdem Sokrates ihn nun auffordert, das gegebene Versprechen einer Definition der Tugend einzulösen und sich dabei an den gegebenen Beispielen zu orientieren,[24] bestimmt Menon die Tugend in einem dritten Versuch, einen Dichterspruch zitierend, als die Fähigkeit, sich am Schönen zu erfreuen und es sich zu verschaffen. Auf Nachfrage des Sokrates setzt er das Schöne mit dem Guten gleich. Hier erhebt sich aber die Frage, ob es denn auch Menschen gibt, die nicht das Gute, sondern das Schlechte anstreben. Sokrates zeigt, dass dies nicht der Fall sein kann:[25] Wenn jemand das Schlechte begehrt, obwohl er es als schlecht und daher schädlich erkennt, will er sich selbst schädigen und unglücklich machen, was widersinnig ist. So verhält sich niemand. Wer das Schlechte begehrt, weil er dessen Schlechtigkeit nicht durchschaut, sondern es irrtümlich für gut hält und sich davon einen Nutzen – also etwas Gutes – erhofft, der strebt nach dem Guten. Somit schätzt jeder nur das Gute und versucht es zu erlangen. Demnach wäre – was den Willen betrifft – nach Menons Definition jeder tugendhaft.[26]

Unterschiede zwischen den Menschen gibt es somit nur hinsichtlich des zweiten Teils der Definition: der Fähigkeit, sich das Schöne und Gute zu verschaffen. Demnach bildet nur diese Fähigkeit das Kriterium der Tugend. Unter dem „Guten“ versteht Menon Güter wie Ansehen, Macht und Reichtum. Die Frage, ob jemand auch dann tugendhaft ist, wenn er sich die Güter auf ungerechte Weise verschafft, muss er aber verneinen, denn er teilt die allgemeine Überzeugung, dass die Gerechtigkeit ein Teil der Tugend ist. Somit kann Tugendhaftigkeit auch darin bestehen, dass man sich ein Gut nicht verschafft, obwohl man dazu in der Lage wäre, wenn man sich auf ein Unrecht einließe. Dies widerspricht jedoch Menons Definition. Ergänzt man aber die Definition, indem man nur gerechtes Streben nach Gütern als tugendhaft bestimmt, so wird sie untauglich, weil dann die Gerechtigkeit, die ein Teil des zu definierenden Begriffs ist, in der Definition vorkommt. Damit erweist sich auch dieser Definitionsversuch als Fehlschlag. Einen weiteren Versuch wagt der nun völlig verwirrte Menon nicht. Er fühlt sich gleichsam erstarrt und vergleicht Sokrates mit dem Zitterrochen, einem Fisch, der seine Opfer lähmt. Dazu bemerkt Sokrates, dass er nur dann einem Zitterrochen gleiche, wenn dieser nicht nur andere, sondern auch sich selbst lähme, denn er sei ebenso ratlos wie die anderen.[27]

Die Hypothese des Lernens durch Erinnerung

Menon fragt nun, wie es überhaupt möglich sei, etwas völlig Unbekanntes zu bestimmen. Die Problematik, auf die er hinweist, besteht darin, dass man keinen Anhaltspunkt hat, wenn man bei einer Suche auf nichts bereits Bekanntes zurückgreifen kann. Überdies fehlt, falls man fündig wird, eine Handhabe, mit der man das Gefundene als das Gesuchte identifizieren könnte. Sokrates greift den Gedanken auf und formuliert ihn so, dass sich die Folgerung ergibt, das Unbekannte sei grundsätzlich unerkennbar. Menon stimmt der Folgerung zu, sie gefällt ihm.[28] Dieser Gedankengang, der zu einem erkenntnistheoretischen Pessimismus führt, wird als „Menons Paradox“ bezeichnet.[29]

Dem erkenntnistheoretischen Pessimismus setzt Sokrates seine Hypothese der Wiedererinnerung, der Anamnesis, entgegen.[30] Seinem Konzept zufolge ist die Seele unsterblich und hat schon vor der Entstehung des Körpers existiert. In ihr ist alles Wissen bereits vorhanden. Es ist ein Wissen von der Natur, die eine Einheit bildet, und dieser ganze einheitliche Naturzusammenhang ist der Seele vertraut.[31] Demnach gibt es für die Seele nichts wirklich Fremdes und Unbekanntes. Ihr Wissen und damit auch die Kenntnis der Tugend steht ihr jederzeit potentiell zur Verfügung. Allerdings ist es in Vergessenheit geraten und muss daher schrittweise gesucht und gefunden werden. Somit besteht jede Erkenntnis in der Entdeckung eines verschütteten Wissens. Lernen ist der Erinnerungsvorgang, durch den sich die Seele einen Zugriff auf ihr gewöhnlich verborgenes Wissenspotential verschafft. Genau genommen gibt es demnach keine Belehrung, sondern der scheinbar Lehrende verhilft dem Lernenden nur zur Erinnerung.[32]

Um seine Hypothese plausibel zu machen, führt Sokrates ein Experiment durch. Zur Demonstration der Anamnesis wird einer der vielen Sklaven Menons herbeigerufen. Der Sklave, der über kein mathematisches Schulwissen verfügt, soll als Schüler ein geometrisches Problem lösen: Gesucht ist die Seitenlänge eines Quadrats, das die doppelte Fläche eines bekannten Quadrats hat. Zur Lösung verhilft ihm Sokrates, indem er ihn durch Fragen zu Überlegungen anregt, die schließlich zum Verständnis des geometrischen Sachverhalts führen. Dabei legt der Philosoph großen Wert darauf, nicht zu lehren, denn er will zeigen, dass sich der Schüler die Lösung selbst erarbeitet.[33]

Menon

Das gewählte Quadrat hat eine Seitenlänge von zwei Fuß, also – wie der Schüler auf Befragen feststellt – eine Fläche von vier Quadratfuß. Die Aufgabe lautet, zu einem doppelt so großen Quadrat zu gelangen, also die Seitenlänge bei einer Fläche von acht Quadratfuß zu ermitteln. Der Schüler glaubt zunächst, der doppelten Fläche entspreche eine doppelt so lange Seite. Durch Nachfragen führt ihn aber Sokrates zu der Einsicht, dass man durch Verdoppelung der Seitenlänge die Fläche vervierfacht; vier Fuß Seitenlänge ergibt sechzehn Quadratfuß Fläche. Die gesuchte Seite muss somit länger als zwei Fuß, aber kürzer als vier Fuß sein. Daraufhin mutmaßt der Schüler, dass der Mittelwert – drei Fuß – die Lösung ist. Damit kommt er aber auf neun statt acht Quadratfuß Fläche. Nun weiß er nicht mehr weiter. Sokrates macht Menon darauf aufmerksam, dass die Einsicht des Schülers in den Irrtum und in seine Unwissenheit einen wesentlichen Fortschritt gegenüber der anfänglichen Scheingewissheit darstellt.[34]

Die gemeinsame Suche wird fortgesetzt, wobei Sokrates erneut betont, dass er nur fragt und nicht lehrt. Den Ausgangspunkt bildet nun die Zeichnung des vervierfachten Quadrats von sechzehn Quadratfuß, das sich aus vier Quadraten von je vier Quadratfuß zusammensetzt. Durch weitere Fragen führt Sokrates den Schüler anhand der Skizze zu der Erkenntnis, dass die Diagonale des gegebenen Quadrats von vier Quadratfuß eine Seite des gesuchten von acht Quadratfuß ist.[35] Diesen Lernvorgang deutet der Philosoph als Erinnerungsprozess: Der Schüler sei trotz seiner anfänglichen Unkenntnis in der Lage gewesen, richtige Vorstellungen aus sich selbst hervorzuholen. Durch entsprechende Anregung könne jeder dazu gebracht werden, selbst einen Zugang zu einem in ihm verborgenen Wissen zu finden, das nachweislich nicht aus früherer Unterweisung stamme. Für die Richtigkeit der Hypothese, dass die Seele Wissen aus Erfahrungen mitbringt, die sie im Lauf der Seelenwanderung in früheren Leben und in der Unterwelt gemacht hat, will sich Sokrates aber nicht verbürgen.[36] Er hat diese Erklärung von Priestern und Priesterinnen gehört und auch in den Werken von Dichtern wie Pindar gefunden und findet sie einleuchtend,[37] doch fehlt eine philosophische Begründung.

Die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend

Menon möchte nun zu seiner Ausgangsfrage nach dem Erwerb der Tugend zurückkehren. Sokrates hält es zwar für abwegig, schon die Lehrbarkeit untersuchen zu wollen, wenn man die Tugend noch nicht definiert hat, doch gibt er Menons Drängen nach. Sein Ausgangspunkt ist, dass Lehrbarkeit dann gegeben ist, wenn Tugend ein Wissen ist. Damit führt er die Diskussion wieder zum Kern des Problems, der Natur der Tugend, zurück. Die Frage lautet nun, ob Tugend ein Wissen ist.[38] Diese Vorgehensweise wird „Hypothesis-Methode“ oder „Hypothesis-Verfahren“ genannt. Sie besteht darin, dass der Wahrheitsgehalt einer schwer überprüfbaren Aussage (A) indirekt ermittelt wird, indem eine andere, besser überprüfbare Aussage (B) gefunden und untersucht wird, die mit A so zusammenhängt, dass A wahr sein muss, wenn B wahr ist. Bei der Prüfung von B wird ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs zwischen A und B gefragt, welche Folgen sich jeweils ergeben, wenn B wahr ist oder nicht wahr ist. Wenn sich herausstellt, dass B wahr ist, kann dieses Resultat auf A übertragen werden. Sokrates übernimmt nach seinen Angaben diese Methode aus der Geometrie.[39]

Den Ausgangspunkt bildet die unstrittige Feststellung, dass die Tugendhaftigkeit notwendigerweise gut und wie alles Gute auch nützlich ist. Güter wie Stärke, Schönheit oder Reichtum pflegen nützlich zu sein, sind es aber nicht notwendigerweise; wenn man von ihnen unvernünftig Gebrauch macht, können sie auch schaden und gehören dann nicht zum Nützlichen und Guten. Dasselbe gilt für einzelne Tugenden wie etwa die Tapferkeit; auch sie sind für sich allein nicht zwangsläufig vorteilhaft, sondern können schädlich sein, wenn sie nicht mit Vernunft verbunden sind. Die Vernunft ist der Faktor, der immer beteiligt sein muss, wenn etwas als nützlich bezeichnet werden kann. Wenn also die Tugendhaftigkeit etwas notwendigerweise Gutes und Nützliches ist, muss sie entweder mit der Vernunft identisch sein oder diese zumindest immer als unerlässlichen Bestandteil aufweisen. Somit ist sie von Wissen und Erkenntnis untrennbar. Daraus folgt, dass gute Menschen nicht von Natur aus gut sind, sondern erst, wenn sie sich das erforderliche Wissen angeeignet haben. Tugendhaftigkeit ist also eine erworbene Eigenschaft. Sie wird gewonnen, indem man sie erlernt. Diesen Gedankengängen des Sokrates stimmt Menon zu.[40]

Gegen die Richtigkeit der theoretischen Folgerung erhebt nun aber Sokrates einen empirischen Einwand. Wenn Tugend lehrbar ist, muss es auf diesem Gebiet Lehrer und Schüler geben. Sokrates hat aber trotz intensiver Bemühungen bisher nirgends einen kompetenten Tugendlehrer gefunden, und auch andere suchen vergeblich. Daher scheint es zweifelhaft, ob es überhaupt einen gibt. An diesem Punkt der Untersuchung bezieht Sokrates den Gastgeber Menons, Anytos, der sich hinzugesellt hat, in die Erörterung ein. Er lenkt das Gespräch auf diejenigen, die sich als Lehrer der Arete, der Tugend oder Tüchtigkeit, ausgeben: die Sophisten, die als Wanderlehrer umherziehen und gegen Entgelt Unterricht erteilen. Sokrates fragt Anytos, ob etwa die Sophisten die Fachleute sind, bei denen man Tugend erlernen kann, so wie man die Heilkunde bei einem Arzt lernt oder das Schuhmacherhandwerk bei einem Schuhmacher. Dies bestreitet Anytos nachdrücklich. Er hält die Sophisten für schlimme Übeltäter und meint, ihre Tätigkeit sei ausschließlich verderblich und solle verboten werden. Allerdings geht er dabei nicht von eigenen Beobachtungen und Erfahrungen aus, denn er würde sich niemals mit einem Sophisten einlassen oder dies einem seiner Angehörigen gestatten. Vielmehr ist seine Meinung, wie er offen einräumt, ein Vorurteil, zu dem er sich vorbehaltlos bekennt. Von dessen Richtigkeit ist er so fest überzeugt, dass er eine Begründung für überflüssig hält.[41]

Sokrates, der selbst ein scharfer Kritiker der Sophistik ist, hält es für irrational, ohne eigene Sachkenntnis ein Urteil zu fällen und auf eine Begründung zu verzichten. Spöttisch bemerkt er, Anytos müsse wohl ein Wahrsager sein, wenn er über etwas Bescheid wisse, ohne sich jemals damit auseinandergesetzt zu haben. Er lässt dies aber auf sich beruhen und kehrt zu seiner Frage nach Tugendlehrern zurück. Anytos soll sagen, wen er für einen Tugendlehrer hält. Die Antwort des konservativen Politikers ist verblüffend einfach: Jeder gute, rechtschaffene Athener Bürger könne einen Lernwilligen zu einem besseren Menschen machen. Für Anytos ist es selbstverständlich, dass jeder Tugendhafte seine Tugend anderen übermitteln kann und die Tugendhaftigkeit von einer Generation zur nächsten weitergegeben wird. Dagegen führt Sokrates Gegenbeispiele an. Er erinnert daran, dass berühmte Athener wie Themistokles, Aristeides oder Perikles, deren Tugendhaftigkeit allgemein anerkannt ist, ihren Söhnen zwar vorzüglichen Unterricht erteilen ließen, aber außerstande waren, sie zur Tugend anzuleiten. Den guten Willen dazu hatten sie sicherlich, doch ist es ihnen nicht gelungen. Dies scheint darauf zu deuten, dass Tugend doch nicht lehrbar ist. Anytos kann die Fakten nicht bestreiten. Er teilt aber die allgemeine Verehrung der genannten Staatsmänner und ist darüber empört, dass ihnen ein Versagen als Erzieher unterstellt wird. Für ihn ist das unabhängig vom Wahrheitsgehalt üble Nachrede. Er stößt eine finstere Warnung aus: Sokrates solle sich davor hüten, sich mit abschätzigen Äußerungen unbeliebt zu machen; in Athen könne man leicht in Schwierigkeiten gebracht werden. Damit zieht sich Anytos aus der Diskussion zurück.[42]

Sokrates führt die Verärgerung des Anytos auf ein Missverständnis zurück und setzt die Untersuchung mit Menon fort. Auch Menon kennt zwar tüchtige, tugendhafte Männer, aber keine Tugendlehrer, und ob Tugend überhaupt erlernt werden kann, ist ihm und seinem Umkreis unklar. Dieser Befund spricht gegen die Lehrbarkeit. Damit stellt sich die Frage, wie die guten, tugendhaften Menschen zu ihrer Tugend gelangt sind.[43]

Zur Klärung dieser Frage führt Sokrates das Konzept der „richtigen Vorstellung“ ein. Wer über einen Weg die richtige Vorstellung hat, ohne ihn je gegangen zu sein, der wird ans Ziel gelangen und kann andere dorthin führen. In der Praxis ist eine richtige Vorstellung ebenso nützlich wie ein gesichertes Wissen. Allerdings ist sie im Gegensatz zu Erkenntnis und Wissen nicht durch eine unumstößliche Begründung fundiert. Daher ist sie unbeständig, sie kann sich verflüchtigen und taugt somit nicht zum Unterrichtsstoff. Immerhin ist es grundsätzlich möglich, eine solche zutreffende Vorstellung durch „Festbinden“ in Wissen umzuwandeln. Mit „Festbinden“ ist gemeint, dass man den betreffenden Sachverhalt so erfasst hat, dass man ihn erklären kann und für das, was man darüber aussagt, eine stichhaltige Begründung hat.[44] Tüchtige, tugendhafte Menschen verdanken ihre Kompetenz ihrer richtigen Vorstellung. Sie handeln tugendhaft, obwohl sie keine Erkenntnis über die Tugend haben.[45] Andere darüber belehren können sie allerdings nicht, denn dazu wäre Wissen erforderlich. Das Fazit lautet: Tugend ist offenbar doch nicht als Wissen zu definieren, denn schon eine richtige Vorstellung reicht aus, sie hervorzubringen. Da weder die richtige Vorstellung noch das Wissen naturgegeben ist und die Tugend anscheinend nicht erlernt wird, bleibt nur eine Erklärung übrig: göttliche Inspiration, die manchen Menschen zuteilwird und anderen nicht. Diesen Überlegungen stimmt Menon zu. Sokrates weist aber darauf hin, dass das Ergebnis der Untersuchung nur stimmt, sofern sie richtig durchgeführt wurde. Diesen entscheidenden Vorbehalt beachtet Menon nicht.[46]

Der Ausgang der Diskussion

Die Untersuchung hat zu einem provisorischen, allerdings aus Sokrates’ Sicht fragwürdigen Ergebnis geführt. Sokrates bittet Menon, das Resultat auch Anytos begreiflich zu machen, um den aufgebrachten Politiker zu besänftigen. Offen bleibt allerdings die Hauptfrage: Es konnte nicht geklärt werden, was die Tugend ausmacht. Somit endet der Dialog aporetisch, die Ratlosigkeit beim Kernpunkt bleibt bestehen. Sokrates erinnert daran, dass es sinnlos ist, weiter darüber nachzudenken, wie man zur Tugend gelangt, solange noch unklar ist, worin sie besteht. Damit macht er abschließend nochmals seinen fundamentalen methodischen Einwand gegen die von Menon erzwungene Vorgehensweise und damit auch gegen das Ergebnis geltend.[47]

In Wirklichkeit ist Sokrates nicht der Meinung, das Vorhandensein oder Fehlen der Tugend bei den Menschen sei nur das Ergebnis göttlichen Ratschlusses und die Ausgangsfrage sei damit befriedigend geklärt. Vielmehr ist diese Lösung nur am Ende der auf Menons Drängen unkorrekt durchgeführten Untersuchung als scheinbar einzig mögliche übriggeblieben. Mit ironischen Bemerkungen distanziert sich Sokrates von dem Befund, obwohl er göttlichen Einfluss durchaus ernst nimmt. Es bleibt dem Leser überlassen, die philosophische Untersuchung zu einem befriedigenderen Ergebnis zu führen.[48]

Philosophische und didaktische Bilanz

Hauptartikel: Anamnesis

Im Zentrum vieler moderner Debatten über den philosophischen Gehalt des Menon steht die Frage der erkenntnistheoretischen Interpretation des Anamnesis-Konzepts, das Platon auch in den Dialogen Phaidon und Phaidros erörtert. Über das Verständnis des Lernens als Wiedererinnerung gehen in der Forschung die Meinungen weit auseinander. Strittig ist auch, inwieweit und in welchem Sinne Platon für die Konsequenzen aus der Anamnesis-These einen Wahrheitsanspruch erhoben hat.[49]

Einer Forschungsrichtung zufolge ist für Platon die Zurückführung der Erkenntnisfähigkeit auf eine eigenständige vorgeburtliche Existenz der Seele nur eine Argumentationshilfe, die er nicht unbedingt benötigt und deren Wahrheitsgehalt er offenlässt, oder sie ist überhaupt nur metaphorisch und nicht metaphysisch zu verstehen.[50] Gegen solche „entmythologisierende“ Deutungen wenden sich andere Forscher, die unter anderem darauf hinweisen, dass die Wiedererinnerung ausdrücklich mit der Lehre von der körperfreien Existenz der Seele verknüpft wird, einer metaphysischen Position, die Platons eigener Überzeugung entspricht. Bei einem Verständnis der Anamnesis als bloße Metapher oder didaktisches Hilfsmittel ergäbe diese Verbindung keinen Sinn.[51] Jedenfalls unterscheidet Platons Sokrates klar zwischen dem, was er mit seinem didaktischen Experiment gezeigt zu haben meint – der Existenz eines latenten, aktivierbaren Wissens –, und der metaphysischen Interpretation dieses Sachverhalts im Sinne der Unsterblichkeitslehre, die er nicht wie eine bewiesene Tatsache behandelt.[52] Das latente Wissen ist nicht in einem gegenständlichen Sinn aufzufassen; es besteht nicht aus einzelnen „Dingen“ wie den korrekten Lösungen mathematischer Aufgaben, sondern zeigt sich im Verstehen von Zusammenhängen.[53]

Gewöhnlich wird angenommen, dass sich die Anamnesis, die mit dem didaktischen Experiment demonstriert werden soll, auf ein apriorisches (von Erfahrung unabhängiges) Wissen bezieht, doch geht dies aus dem Text nicht eindeutig hervor. Ein Problem besteht darin, dass der Sklave im Experiment anhand gezeichneter Figuren, also mit Hilfe von Sinneswahrnehmungen zu der Erkenntnis gelangt, die sein Wissen demonstrieren soll. Wenn dieses als apriorisch aufgefasst wird, muss es aber von Sinneswahrnehmung unabhängig sein. Eine mögliche Erklärung lautet, dass der Sklave den Sinn der Zeichnungen nur deswegen verstehen kann, weil er die Prinzipien, die ihm das Verständnis des Beweises ermöglichen, a priori kennt.[54]

Weitere Thesen im Menon, die im Diskurs der Philosophiehistoriker besondere Beachtung gefunden haben, sind die Grundsätze, dass niemand wissentlich etwas Schlechtes anstrebt und dass zuverlässige Aussagen über etwas erst möglich sind, wenn man weiß, was es ist, also die Definitionsfrage vorab geklärt hat (Prinzip der Priorität der Definition). Diese Grundsätze thematisiert Platon auch in anderen Werken.[55] Kontrovers wird in der Forschung die Frage erörtert, ob oder inwieweit Platons Ideenlehre im Menon bereits präsent ist und den Hintergrund des Anamnesis-Konzepts bildet, obwohl sie nicht explizit thematisiert wird. Überwiegend wird die Ansicht vertreten, dass die Anamnesis die Ideenlehre voraussetzt.[56] Eine weitere Diskussion dreht sich um die Frage, was Platon mit der Argumentation seines Sokrates gegen die Lehrbarkeit der Tugend bezweckte. Er selbst nahm durchaus an, dass es ein grundsätzlich vermittelbares Tugendwissen gebe, wenngleich er der Ansicht war, dass die empirisch gegebene Tugend normalerweise nur auf richtiger Vorstellung basiere und daher mangels wirklichen Verständnisses nicht weitergegeben werden könne. Das Fehlen von Tugendlehrern, mit dem sein Sokrates im Dialog argumentiert, hielt er zwar für einen wichtigen Sachverhalt, aber nicht für eine schlüssige Widerlegung der Vermittelbarkeit.[57]

Eine andere Forschungsdiskussion dreht sich um das Verhältnis von richtiger Vorstellung und Wissen und die Umwandlung einer richtigen Vorstellung in Wissen durch „Festbinden“. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob Platon unter Wissen eine gerechtfertigte zutreffende Meinung („justified true belief“) versteht, also eine richtige Vorstellung, die durch Hinzufügung von etwas zu Wissen geworden ist. In diesem Fall ist das Wissen für Platon ein um einen zusätzlichen Faktor erweitertes Meinen. Der gegenteiligen Interpretation zufolge ist das Wissen etwas prinzipiell anderes als eine zutreffende Meinung. Nach der starken Variante dieser Position schließen Wissen und Meinen einander sogar aus. Eine Meinung hört durch die Umwandlung in Wissen auf, eine Meinung zu sein, so wie ein Kind, nachdem es erwachsen geworden ist, kein Kind mehr ist.[58]

Aus didaktischer Sicht sind die Ausführungen des Sokrates zur Methode von besonderem Interesse. Nach seiner Darstellung hat er den Sklaven nicht belehrt, sondern ihn durch geeignete Fragen dazu gebracht, vorhandene irrige Vorstellungen zu beseitigen und den tatsächlichen Sachverhalt selbst zu entdecken. Diese didaktische Gesprächslenkung, die auch in anderen Dialogen Platons eine wichtige Rolle spielt, wird als Mäeutik oder Maieutik („Hebammenkunst“) bezeichnet, da Sokrates bei der „Geburt“ einer Einsicht gleichsam die Aufgabe der Hebamme übernimmt. Manche Fragen, die Sokrates dem Sklaven stellt, wirken allerdings suggestiv und können daher als Verstöße gegen seinen Anspruch, konsequent auf Belehrung zu verzichten, erscheinen. Dennoch handelt es sich um eine erfolgreiche Demonstration der Mäeutik, denn der Sklave überlegt selbst und versucht nicht, die Antworten zu geben, die Sokrates hören möchte. Die Verknüpfungen, die zur Einsicht in den Zusammenhang erforderlich sind, muss er in einem eigenen Reflexionsprozess herstellen.[59] In der Forschungsliteratur wird allerdings auch die Meinung vertreten, die geometrische Demonstration sei von Platon und seinem Sokrates nicht ernst gemeint, sondern als Farce zu verstehen.[60]

Norbert Blößner hebt hervor, dass nicht nur das Verhältnis der Dialogfiguren Sokrates und Menon, sondern auch die Beziehung zwischen Platon als Autor des Menon und seinen Lesern als mäeutisch aufzufassen sei. Der Dialog biete dem Leser nicht Platons Antworten auf die aufgeworfenen Fragen, sondern Anregungen zum Finden von Lösungen, die im Text nicht enthalten seien.[61]

Die Abfassungszeit

Als plausibel gilt, dass der Menon der frühen Schaffensperiode Platons angehört und innerhalb von ihr einer späten Phase zuzurechnen ist, die auch als Zeit des Übergangs zur mittleren Schaffensperiode bezeichnet wird. Eine genauere Einordnung scheint kaum möglich zu sein. Versuche, aus mutmaßlichen Beziehungen zu anderen Schriften oder aus einer hypothetischen Entwicklung von Platons Lehre die Position des Menon in der Entstehungsreihenfolge der Dialoge zu erschließen, haben keine gesicherten Ergebnisse erbracht. Ein Indiz spricht für ungefähr gleichzeitige Abfassung des Menon und der Apologie, der von Platon literarisch gestalteten Verteidigungsrede des Sokrates vor Gericht.[62] In der neueren Forschung hat sich die Annahme durchgesetzt, dass Platon den Menon um die Mitte der 380er Jahre – nach dem Gorgias – verfasst hat, nachdem er von seiner ersten Sizilienreise zurückgekehrt war und seine Philosophenschule, die Platonische Akademie, gegründet hatte.[63]

Rezeption

Antike

Von einer antiken Kommentierung des Menon ist zwar nichts überliefert, doch war die Nachwirkung des Dialogs beträchtlich. Platons Schüler Aristoteles nahm wiederholt namentlich auf ihn Bezug.[64] In seiner Schrift Analytica posteriora erörterte er die Aktualisierung allgemeinen potentiellen Wissens und befasste sich dabei mit der von Platons Menon vorgebrachten paradoxen These, dass man Kenntnis von Unbekanntem prinzipiell nicht erlangen könne.[65] In den Analytica priora ging er auf die Deutung des Lernens als Erinnerung ein.[66] In seiner Politik wandte er sich gegen die Ansicht von Platons Sokrates, es gebe keine spezifischen Tugenden je nach Geschlecht, Lebensalter und sozialer Stellung, sondern die Tugend sei bei allen Menschen dieselbe.[67] Ein anderer Schüler Platons, Xenokrates, verfasste eine Schrift, in der er sich mit der Thematik des Menon auseinandersetzte; außer dem Titel Dass die Tugend lehrbar ist ist über dieses verlorene Werk nichts überliefert.

Der Anfang des Dialogs Über die Tugend in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift: Paris, Bibliothèque Nationale, Gr. 1807 (9. Jahrhundert)

Der unbekannte Verfasser des pseudoplatonischen (Platon zu Unrecht zugeschriebenen) Dialogs Über die Tugend behandelte in seinem Werk die Frage, wie Tugend entsteht. Dabei lehnte er sich eng an den Menon an. Er war der Überzeugung, eine rational planbare Weitergabe der Tugend an andere sei unmöglich. Nach seiner Argumentation besitzt niemand ein übertragbares Tugendwissen, denn ein echter Tugendlehrer müsste ein guter Mensch sein und würde als solcher sein Wissen nicht zurückhalten; er müsste also damit hervorgetreten sein und seine Fähigkeit praktiziert haben. Dies sei aber nicht geschehen. Eine anlagebedingte Tugendhaftigkeit schloss der Autor von Über die Tugend ebenfalls aus, da es sonst eine Technik ihrer Früherkennung gäbe. Auch den im Menon vorgeschlagenen Mittelweg zwischen Wissen und Nichtwissen, die „richtige Vorstellung“, ließ er nicht offen. Offenbar gehörte er der Akademie an und lebte spätestens im 3. Jahrhundert v. Chr. Möglicherweise war seine Schrift gegen die Auffassung der Stoiker gerichtet, die nachdrücklich die Lehrbarkeit der Tugend vertraten und auch eine Naturanlage annahmen. Fast die Hälfte des Textes von Über die Tugend besteht aus Zitaten aus dem Menon und Paraphrasen von Ausführungen in diesem Dialog. Statt Menon und Anytos übernimmt hier ein nicht namentlich genannter Freund des Sokrates die Rolle des Gesprächspartners des Philosophen.[68]

Cicero nahm verschiedentlich auf das Anamnesis-Konzept Bezug.[69] In seinen Tusculanae disputationes führte er das Experiment mit Menons Sklaven als Argument für die Ewigkeit der Seele an.[70] Im Dialog De divinatione erwähnte er die umfassenden Kenntnisse, die sich die Seele nach der Wiedererinnerungshypothese im vergangenen Teil ihres ewigen Daseins angeeignet hat. Damit seien Wahrträume zu erklären, denn im Schlaf könne die Seele, während der Körper ruhe, Zugang zu ihrem tagsüber verhüllten universalen Wissen erlangen.[71]

In der Tetralogienordnung der Werke Platons, die anscheinend im 1. Jahrhundert v. Chr. eingeführt wurde, gehört der Menon zur sechsten Tetralogie. Der Philosophiegeschichtsschreiber Diogenes Laertios zählte ihn zu den „prüfenden“ – das heißt: Unwissenheit entlarvenden – Schriften und gab als Alternativtitel Über die Tugend an. Dabei berief er sich auf eine heute verlorene Schrift des Mittelplatonikers Thrasyllos.[72]

Der antiphilosophisch gesinnte Gelehrte Athenaios führte in seiner Polemik gegen Platon unter anderem an, Menon werde in dem nach ihm benannten Dialog zu Unrecht gelobt, sein Charakter sei dort falsch dargestellt; die Wahrheit sei in Xenophons Bericht zu finden.[73]

Auch bei christlichen Autoren fand der Menon Beachtung. Der Kirchenschriftsteller Clemens von Alexandria äußerte sich beifällig zu der im Dialog vorgetragenen Hypothese, die Tugend müsse als Gottesgabe erklärt werden.[74] Der spätantike Kirchenschriftsteller Arnobius der Ältere bekämpfte in seiner Schrift Adversus nationes („Gegen die Heiden“) die Anamnesis-Lehre, wobei er eine Argumentation gegen die Beweiskraft des geometrischen Experiments vorbrachte.[75] Auch der Kirchenvater Augustinus wandte sich gegen die Hypothese, die Seele bringe ein Wissen mit, das sie schon vor der Entstehung des Körpers besessen habe. Sein Einwand lautete, in diesem Fall könnten nicht alle geometrisches Wissen mitbringen, sondern nur die wenigen, die in einem früheren Leben bereits Mathematiker waren. Dies widerspreche der Verallgemeinerung des Ergebnisses des Experiments im Menon.[76]

Die antike Textüberlieferung beschränkt sich auf ein Papyrus-Fragment aus der beginnenden römischen Kaiserzeit und knappe Zitate in anderen fragmentarisch auf Papyrus überlieferten Schriften.[77]

Der Anfang des Menon in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift, dem 895 geschriebenen Codex Clarkianus

Mittelalter

Die älteste erhaltene mittelalterliche Menon-Handschrift wurde im Jahr 895 im Byzantinischen Reich angefertigt. Die handschriftliche Überlieferung besteht aus rund fünfzig Codices, die den Text vollständig oder teilweise enthalten.[78]

Konstruktionszeichnungen zum Problem der Quadratverdoppelung in den Scholien zu Menon 82b ff. in der Handschrift Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Suppl. graec. 7, fol. 418r (10. Jahrhundert)

Im 10. Jahrhundert verfasste der einflussreiche muslimische Philosoph al-Fārābī eine Übersicht zu Platons Schriften mit dem Titel Die Philosophie Platons, ihre Teile und die Ordnung ihrer Teile von ihrem Anfang bis zum Ende. Darin fasste er den philosophischen Gehalt des Menon knapp aus der Perspektive eines ausgeprägten erkenntnistheoretischen Optimismus zusammen. Al-Farabi, der aus einer antiken mittelplatonischen Quelle schöpfte, stellte fest, Platon habe in diesem Dialog den erkenntnistheoretischen Pessimismus Menons verworfen, denn er habe erkannt, dass man sehr wohl durch Untersuchung zur Wahrheit vordringen könne.[79]

Bei den lateinischsprachigen Gelehrten des Westens war der Menon bekannt, seit ihn der in Sizilien lebende Gelehrte Henricus Aristippus im Zeitraum 1154–1160 ins Lateinische übersetzt hatte. Die lateinische Übersetzung ist wortgetreu. Im Vorwort legte Henricus Aristippus dar, dass es ihm vor allem darauf ankam, den Sinn nicht zu verfälschen, und dass er daher stilistische Mängel in Kauf nahm.[80] Der Text ist in fünf spätmittelalterlichen Handschriften überliefert.

Der Anfang des Menon in der Erstausgabe, Venedig 1513

Frühe Neuzeit

Die erste neuzeitliche Übersetzung ins Lateinische stammt von dem berühmten Humanisten Marsilio Ficino. Er veröffentlichte sie 1484 in Florenz in der Gesamtausgabe seiner Platon-Übersetzungen. In der Einleitung (argumentum) zu seinem lateinischen Menon stellte er fest, die Anamnesis sei ein Nebenthema und nicht das Wesentliche an dem Dialog, dessen Gegenstand die Tugend sei.[81] Die Erstausgabe des griechischen Textes erschien im September 1513 in Venedig bei Aldo Manuzio im Rahmen der von Markos Musuros herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke Platons.

René Descartes äußerte 1643 die Meinung, das Wissen über Gott sei von gleicher Art wie das geometrische Wissen, dessen latentes Vorhandensein im Menon demonstriert werde; beides gehöre zu den „uns angeborenen Wahrheiten“.[82] Leibniz nahm 1686 zu dem „schönen Experiment“ lobend Stellung. Er hielt den Nachweis eines apriorischen Wissens für erbracht; das Anamnesis-Konzept sei, wenn man es richtig auffasse, solid. Die Hypothese einer Präexistenz der Seele vor der Entstehung des Körpers verwarf er jedoch.[83]

Moderne

Literarische Aspekte

Der einflussreiche Platon-Übersetzer Friedrich Schleiermacher hielt den Menon nicht für eine überragende Leistung; er schrieb 1805 in der Einleitung zur ersten Auflage seiner Übersetzung des Dialogs, es handle sich um „eine von den loseren nicht vollkommen durchgearbeiteten Darstellungen des Platon“.[84] Die späteren Urteile über die literarische Qualität sind jedoch gewöhnlich trotz Kritik an Einzelheiten wie der abrupten Einführung des Anytos lobend ausgefallen. John Stuart Mill bemerkte in einem 1866 publizierten Essay, der Menon sei ein Juwel; in keinem anderen Dialog werde so viel für Platon Charakteristisches so kompakt dargeboten.[85] Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff urteilte, der Menon glänze nicht durch künstlerischen Schmuck, ihm fehle starkes Pathos, doch sei der Aufbau kunstvoll, die Darstellungsweise straff.[86] Alfred Croiset fand in dem Dialog einen großen literarischen Charme.[87] Franz von Kutschera nannte ihn „gut komponiert“.[88]

Philosophische und didaktische Aspekte

Die philosophiegeschichtliche Forschung stuft den Menon als bedeutendes Werk ein und weist ihm im Rahmen von Platons Schaffen und in der Geschichte der abendländischen Erkenntnistheorie eine wichtige Rolle zu. Auch die didaktische Thematik des Dialogs findet in der Forschung viel Beachtung, das Experiment mit dem Sklaven gehört zu den klassischen Texten der Didaktikgeschichte. Der Neukantianer Paul Natorp (1854–1924) wies auf die im Dialog „reichlich eingestreuten, höchst wertvollen methodologischen Erörterungen“ hin. Mit dem Menon habe Platon „die ausschließliche Negativität der sokratischen Wissenskritik endgültig überwunden“. Natorp rühmte die „außerordentlich feine und durchdachte Anlage“ des Dialogs.[89] Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff schrieb 1919, der Menon sei nicht nur Programm von Platons Schule, der Akademie, sondern enthalte zugleich das Programm seines Lebens.[90] Nicolai Hartmann ging im Rahmen seiner 1935 veröffentlichten Untersuchung von Platons Apriorismus auf das Experiment ein. Der Sklave habe das Wissen um die Sache durch „Besinnung in sich“ gefunden. Dies habe Platon anhand eines mathematischen Beispiels besonders gut demonstrieren können, denn in der Mathematik könne man niemanden etwas lehren, „ohne ihn zum eigenen inneren Erfassen der Sache zu bringen“.[91] Gregory Vlastos lobte die Beherrschung der logischen Technik und Terminologie.[92] William K. C. Guthrie würdigte die Pionierrolle Platons, der im Menon erstmals in der Philosophiegeschichte zwischen empirischem und apriorischem Wissen unterschieden habe.[93] Jonathan Barnes betonte die Bedeutung von Menons Frage, ob die Tugend lehrbar sei: Es gehe dabei um den Status der Ethik als mögliche Wissenschaft.[94]

Karl Popper brachte das Experiment im Menon mit dem historischen Sokrates in Verbindung, in dem er einen Demokraten und Vorkämpfer der Rechtsgleichheit sah. Er meinte, die geometrische Demonstration mit dem Sklaven illustriere den antiautoritären und egalitären Charakter des sokratischen Intellektualismus. Sokrates habe geglaubt, dass jedermann der Belehrung zugänglich sei, und habe mit dem Experiment beweisen wollen, dass jeder ungebildete Sklave die Fähigkeit besitze, auch abstrakte Sachverhalte zu begreifen.[95] Die Anamnesis-Lehre besage, dass die Wahrheit durch den Akt der Erinnerung offenkundig werde. Diese optimistische Erkenntnistheorie komme in der „wunderschönen Stelle“ im Menon zum Ausdruck, wo der Sklave zur Erkenntnis geführt wird. Solcher Optimismus sporne zum Lernen, Forschen und Entdecken an, sei aber unrealistisch, da es in Wirklichkeit kein Kriterium der Wahrheit gebe. Die im Menon vorgetragene Theorie enthalte den Keim der aristotelischen Theorie der Induktion, der Induktionstheorie von Francis Bacon und der Erkenntnistheorie von René Descartes.[96]

Elizabeth Anscombe verfasste eine Fortsetzung zu der Diskussion zwischen Sokrates und Menon über das Experiment mit dem Sklaven. Darin lässt sie die beiden Gesprächspartner vertieft auf den Akt des Verstehens einer Beweisführung und des Einsehens ihrer Stichhaltigkeit und auf die Begründung der Annahme eines schon vor der Entstehung des Körpers vorhandenen Wissens der Seele eingehen.[97]

Ausgaben und Übersetzungen

Kritische Ausgaben, teilweise mit Übersetzungen

  • Richard S. Bluck (Hrsg.): Plato’s Meno. Cambridge University Press, Cambridge 1961 (Edition mit Einleitung und Kommentar).
  • Gunther Eigler (Hrsg.): Platon: Werke in acht Bänden. Band 2. 5. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 3-534-19095-5, S. 505–599 (Abdruck der Ausgabe von Maurice Croiset, 13. Auflage, Paris 1968, mit der deutschen Übersetzung von Friedrich Schleiermacher nach der 2., verbesserten Auflage von 1818).
  • Reinhold Merkelbach (Hrsg.): Platons Menon. Athenäum, Frankfurt am Main 1988, ISBN 3-610-09217-3 (Edition mit Übersetzung und Erläuterungen).
  • Klaus Reich (Hrsg.): Platon: Menon. Felix Meiner, Hamburg 1972, ISBN 3-7873-0279-4 (griechischer Text nach der Ausgabe von John Burnet [1903], leicht verändert; deutsche Übersetzung von Otto Apelt, überarbeitet).

Deutsche Übersetzungen

  • Otto Apelt (Übersetzer): Platon: Menon oder Über die Tugend. In: Otto Apelt (Hrsg.): Platon: Sämtliche Dialoge, Bd. 2, Meiner, Hamburg 2004, ISBN 3-7873-1156-4 (Übersetzung mit Einleitung und Erläuterungen; Nachdruck der 2., durchgesehenen Auflage von 1922).
  • Theodor Ebert (Übersetzer): Platon: Menon. Übersetzung und Kommentar. De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-057617-7
  • Ludwig Georgii (Übersetzer): Menon. In: Erich Loewenthal (Hrsg.): Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Bd. 1. Unveränderter Nachdruck der 8., durchgesehenen Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-17918-8, S. 411–457.
  • Margarita Kranz (Hrsg.): Platon: Menon. Reclam, Stuttgart 1994, ISBN 3-15-002047-6 (Übersetzung mit griechischem Text nach der Ausgabe von John Burnet, leicht verändert und ohne den kritischen Apparat).
  • Rudolf Rufener (Übersetzer): Platon: Die Werke des Aufstiegs (= Jubiläumsausgabe sämtlicher Werke, Bd. 2). Artemis, Zürich/München 1974, ISBN 3-7608-3640-2, S. 401–453 (mit Einleitung von Olof Gigon S. 159–182).

Mittelalterliche lateinische Übersetzung

  • Victor Kordeuter (Hrsg.): Meno interprete Henrico Aristippo (= Plato Latinus, Bd. 1). Warburg Institute, London 1940 (Nachdruck: Kraus Reprint, Nendeln 1973).

Literatur

Übersichtsdarstellungen

Kommentare

  • Monique Canto-Sperber: Platon: Ménon. 2., überarbeitete Auflage. Flammarion, Paris 1993, ISBN 2-08-070491-5 (französische Übersetzung des Menon mit Kommentar und Einführung).
  • Jacob Klein: A Commentary on Plato’s Meno. The University of North Carolina Press, Chapel Hill 1965.
  • John E. Thomas: Musings on the Meno. Nijhoff, The Hague 1980, ISBN 90-247-2121-0.
  • Theodor Ebert: Platon: Menon. Übersetzung und Kommentar. De Gruyter, Berlin 2018, ISBN 978-3-11-057617-7.

Untersuchungen

  • Norbert Blößner: The Unity of Plato’s Meno. Reconstructing the Author’s Thoughts. In: Philologus 155, 2011, S. 39–68.
  • Oliver Hallich: Platons „Menon“. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-23049-5.
  • Jens Holzhausen: Menon in Platons ‚Menon‘. In: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft Neue Folge Bd. 20, 1994/1995, S. 129–149.
  • Cristina Ionescu: Plato’s Meno. An Interpretation. Lexington, Lanham 2007, ISBN 0-7391-2025-5.
  • Dominic Scott: Plato’s Meno. Cambridge University Press, Cambridge 2006, ISBN 978-0-521-64033-6.
  • Robert Sternfeld, Harold Zyskind: Plato’s Meno. A Philosophy of Man as Acquisitive. Southern Illinois University Press, Carbondale 1978, ISBN 0-8093-0838-X.
  • Harold Tarrant: Recollecting Plato’s Meno. Duckworth, London 2005, ISBN 0-7156-3291-4 (behandelt insbesondere die antike Menon-Rezeption).

Weblinks

Anmerkungen

  1. Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 167; William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy, Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236 f.
  2. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy, Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236; John S. Morrison: Meno of Pharsalus, Polycrates, and Ismenias. In: The Classical Quarterly 36, 1942, S. 57–78, hier: 57 f., 76; Debra Nails: The People of Plato. Indianapolis 2002, S. 204, 318 f.; Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 166 f.
  3. John S. Morrison: Meno of Pharsalus, Polycrates, and Ismenias. In: The Classical Quarterly 36, 1942, S. 57–78, hier: 76.
  4. Xenophon, Anabasis 2,6,21–27; Ktesias, Persika F 27 und F 28. Siehe zum historischen Menon Truesdell S. Brown: Menon of Thessaly. In: Historia 35, 1986, S. 387–404; Monique Canto-Sperber: Platon: Ménon. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 17–26; Richard Goulet: Ménon de Pharsale. In: Richard Goulet (Hrsg.): Dictionnaire des philosophes antiques. Bd. 4, Paris 2005, S. 484 f.; Debra Nails: The People of Plato. Indianapolis 2002, S. 204 f.
  5. Siehe zur historischen Rolle des Anytos Debra Nails: The People of Plato. Indianapolis 2002, S. 37 f.; Thomas C. Brickhouse, Nicholas D. Smith: Socrates on Trial. Oxford 1989, S. 29; Monique Canto-Sperber: Platon: Ménon. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 26–32; Emile de Strycker, Simon R. Slings: Plato’s Apology of Socrates. Leiden 1994, S. 91–93.
  6. Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 167 f.; Jens Holzhausen: Menon in Platons ‚Menon‘. In: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge Bd. 20, 1994/1995, S. 129–149. Vgl. zu Menon als Dialogfigur Josiah B. Gould: Klein on Ethological Mimes, for example, the Meno. In: The Journal of Philosophy 66, 1969, S. 253–265; Dominic Scott: Plato’s Meno. Cambridge 2006, S. 60–65.
  7. Siehe dazu Ernst Heitsch: Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar. Göttingen 2002, S. 57–60.
  8. Zur Problematik der Übersetzung des Begriffs Arete siehe Peter Stemmer: Tugend. I. Antike. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 10, Basel 1998, Sp. 1532–1548, hier: 1532 f. Vgl. zur Begriffsgeschichte Harold Tarrant: Recollecting Plato’s Meno. London 2005, S. 20–23.
  9. Zu Menons Verständnis dieser Frage siehe Norbert Blößner: The Unity of Plato’s Meno. In: Philologus 155, 2011, S. 39–68, hier: 44, 47–49.
  10. Vgl. Platon, Kriton 53d. Siehe auch Cristina Ionescu: Plato’s Meno, Lanham 2007, S. 4–6; Jacob Klein: A Commentary on Plato’s Meno, Chapel Hill 1965, S. 40 f.; Paul Friedländer: Platon. Bd. 2. 3., verbesserte Auflage. Berlin 1964, S. 257.
  11. Platon, Menon 70a–71e.
  12. Platon, Menon 71e–72a.
  13. Platon, Menon 72a–73c. Zur Einheit der Tugend nach Sokrates’ und Menons Verständnis siehe Norbert Blößner: The Unity of Plato’s Meno. In: Philologus 155, 2011, S. 39–68, hier: 49 f.
  14. Platon, Menon 73c–74b.
  15. Platon, Menon 75a4–5.
  16. Platon, Menon 75b9–11.
  17. Platon, Menon 75c2–7.
  18. Platon, Menon 75c4–5.
  19. Platon, Menon 75e1–76a2.
  20. Platon, Menon 76a6–7.
  21. Theodor Ebert: Socrates on the Definition of Figure in the Meno. In: Suzanne Stern-Gillet, Kevin Corrigan (Hrsg.): Reading Ancient Texts. Bd. 1: Presocratics and Plato. Leiden 2007, S. 113–124; Theodor Ebert: Platon: Menon. Berlin 2018, S. 73–81.
  22. Platon, Menon 76a8–b1.
  23. Siehe dazu David Sansone: Socrates’ „Tragic“ Definition of Color (Pl. Meno 76D–E). In: Classical Philology 91, 1996, S. 339–345; Edmonde Grimal: A propos d’un passage du Ménon: une définition „tragique“ de la couleur. In: Revue des Études grecques 55, 1942, S. 1–13.
  24. Platon, Menon 77e5–b1.
  25. Siehe dazu Marcel van Ackeren: Das Wissen vom Guten. Amsterdam 2003, S. 70–74; Christoph Horn: Platons Konzept des Willens im Menon und im Gorgias. In: Christian Pietsch (Hrsg.): Ethik des antiken Platonismus. Stuttgart 2013, S. 173–190, hier: 173–178.
  26. Platon, Menon 74b–78b.
  27. Platon, Menon 78b–80d.
  28. Platon, Menon 80d–e.
  29. Siehe dazu Russell M. Dancy: Plato’s Introduction of Forms. Cambridge 2004, S. 218–221; Sang-In Lee: Anamnesis im Menon. Frankfurt am Main 2001, S. 97–119.
  30. Zu Sokrates’ Umgang mit Menons Einwand gegen die Erkennbarkeit von Unbekanntem siehe Norbert Fischer: Zum Problem der Transzendenz in der platonischen Erkenntnislehre. In: Theologie und Philosophie 55, 1980, S. 384–403, hier: 388–393; Rosemary Desjardins: Knowledge and Virtue: Paradox in Plato’s Meno. In: The Review of Metaphysics 39, 1985/1986, S. 261–281, hier: 262–269 sowie die Diskussionsbeiträge von Dominic Scott, Denis O’Brien und Monique Canto-Sperber in Revue philosophique de la France et de l’Etranger. Bd. 181, Jg. 116, 1991, S. 627–663.
  31. Siehe dazu Thomas Alexander Szlezák: ἅτε γὰρ τῆς φύσεως ἁπάσης συγγενοῦς οὔσης (Men. 81 c9–d11). In: Michael Erler, Luc Brisson (Hrsg.): Gorgias – Menon. Sankt Augustin 2007, S. 333–344.
  32. Platon, Menon 81a–82a.
  33. Platon, Menon 82a–85b.
  34. Platon, Menon 82c–84c.
  35. Zu den Einzelheiten des Lernvorgangs siehe John E. Thomas: A Re-examination of the Slave-boy Interview. In: Laval théologique et philosophique 26, 1970, S. 17–27. Vgl. John E. Thomas: Plato’s Methodological Device at 84a1. In: The New Scholasticism 45, 1971, S. 478–486.
  36. Platon, Menon 84c–86c.
  37. Platon, Menon 81a–b.
  38. Platon, Menon 86c–87d.
  39. Platon, Menon 86e–87c. Vgl. Ernst Heitsch: Wege zu Platon. Göttingen 1992, S. 39–50; Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 136–144. Eine vom gängigen Verständnis der Hypothesis-Methode abweichende Interpretation vertritt Lee Franklin: Investigations from Hypothesis in Plato’s Meno: An Unorthodox Reading. In: Apeiron 43, 2010, S. 87–115.
  40. Platon, Menon 87d–89c.
  41. Platon, Menon 89c–92c.
  42. Platon, Menon 92c–95a.
  43. Platon, Menon 95a–96d.
  44. Zum „Festbinden“ siehe Gail Fine: Knowledge and True Belief in the Meno. In: Oxford Studies in Ancient Philosophy 27, 2004, S. 41–81, hier: 55–61; Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 109–112.
  45. Siehe dazu Hartmut Westermann: Die Intention des Dichters und die Zwecke der Interpreten, Berlin 2002, S. 181–188.
  46. Platon, Menon 96d–100b.
  47. Platon, Menon 100b–c.
  48. Siehe dazu Paul W. Gooch: Irony and Insight in Plato’s Meno. In: Laval théologique et philosophique 43, 1987, S. 189–204; Dominic Scott: Recollection and experience. Cambridge 1995, S. 43, 46 f.; Harold Tarrant: Studying Plato and Platonism Together: Meno-related Observations. In: Michael Erler, Luc Brisson (Hrsg.): Gorgias – Menon, Sankt Augustin 2007, S. 20–28, hier: 23–25; Margarita Kranz (Hrsg.): Platon: Menon. Stuttgart 1994, S. 120 f.
  49. Eine Übersicht über verschiedene Interpretationen bietet John E. Thomas: Musings on the Meno. The Hague 1980, S. 127–147.
  50. Zu den zahlreichen Vertretern dieser Richtung zählen Peter Stemmer: Platons Dialektik. Die frühen und mittleren Dialoge. Berlin 1992, S. 233–236; Bernhard Waldenfels: Das sokratische Fragen, Meisenheim am Glan 1961, S. 115 f.; Sang-In Lee: Anamnesis im Menon. Frankfurt am Main 2001, S. 148–152 und Platons Anamnesis in den frühen und mittleren Dialogen. In: Antike und Abendland 46, 2000, S. 93–115; Klaus Reich (Hrsg.): Platon: Menon. Hamburg 1972, S.IX–XIX; Rod Jenks: On the Sense of the Socratic Reply to Meno’s Paradox. In: Ancient Philosophy 12, 1992, S. 317–330; Gail Fine: Inquiry in the Meno. In: Richard Kraut (Hrsg.): The Cambridge Companion to Plato. Cambridge 1992, S. 200–226, hier: 204–215; Theodor Ebert: Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Berlin 1974, S. 96–104 und „The Theory of Recollection in Plato’s Meno“: Against a Myth of Platonic Scholarship. In: Michael Erler, Luc Brisson (Hrsg.): Gorgias – Menon. Sankt Augustin 2007, S. 184–198; Roslyn Weiss: Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno. Oxford 2001, S. 63–74.
  51. Kritik an der „Entmythologisierung“ der Anamnesis üben u. a. Bernd Manuwald: Wiedererinnerung/Anamnesis. In: Christoph Horn u. a. (Hrsg.): Platon-Handbuch. Stuttgart 2009, S. 352–354; Dominic Scott: Plato’s Meno. Cambridge 2006, S. 121 f.; Kenneth Seeskin: Dialogue and Discovery. A Study in Socratic Method. Albany 1987, S. 103–110; Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 366.
  52. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 258; Richard S. Bluck (Hrsg.): Plato’s Meno. Cambridge 1961, S. 11.
  53. Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 112–115.
  54. Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 116 f.
  55. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 242–247; Christoph Horn: Platons Konzept des Willens im Menon und im Gorgias. In: Christian Pietsch (Hrsg.): Ethik des antiken Platonismus. Stuttgart 2013, S. 173–190; Franz von Kutschera: Platons Philosophie. Bd. 1, Paderborn 2002, S. 226–228; Charles H. Kahn: Plato and the Socratic dialogue. Cambridge 1996, S. 157–164.
  56. Für Präsenz der Ideenlehre im Menon plädieren u. a. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 253 f.; Cristina Ionescu: Plato’s Meno. Lanham 2007, S. XV–XVII; Konrad Gaiser: Platons ‚Menon‘ und die Akademie. In: Konrad Gaiser: Gesammelte Schriften. Sankt Augustin 2004, S. 353–399, hier: 355 f.; Carlo E. Huber: Anamnesis bei Plato. München 1964, S. 316 f. Die gegenteilige Auffassung vertreten u. a. Theodor Ebert: Meinung und Wissen in der Philosophie Platons. Berlin 1974, S. 84, und Roslyn Weiss: Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno. Oxford 2001, S. 74 f.
  57. Joseph T. Bedu-Addo: Recollection and the argument ‚from a hypothesis‘ in Plato’s Meno. In: Journal of Hellenic Studies 104, 1984, S. 1–14, hier: 10–14; Michael Cormack: Plato’s Stepping Stones: Degrees of Moral Virtue. London 2006, S. 70–72.
  58. Gail Fine: Knowledge and True Belief in the Meno. In: Oxford Studies in Ancient Philosophy 27, 2004, S. 41–81.
  59. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 255; Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 104–108.
  60. Diese Interpretation vertreten Jerome Eckstein: The Platonic Method. New York 1968, S. 36–45, und Roslyn Weiss: Virtue in the Cave. Moral Inquiry in Plato’s Meno. Oxford 2001, S. 12, 77–126.
  61. Norbert Blößner: The Unity of Plato’s Meno. Reconstructing the Author’s Thoughts. In: Philologus 155, 2011, S. 39–68, hier: 64–66.
  62. Ernst Heitsch: Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar. Göttingen 2002, S. 177–180.
  63. Siehe zur chronologischen Einordnung Ernst Heitsch: Platon: Apologie des Sokrates. Übersetzung und Kommentar. Göttingen 2002, S. 179 f.; Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 165 f.; William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 236; Monique Canto-Sperber: Platon: Ménon. 2., überarbeitete Auflage. Paris 1993, S. 319–323; John E. Thomas: Musings on the Meno. The Hague 1980, S. 10–16, 22.
  64. Siehe zu Aristoteles’ Rezeption des Menon David Bronstein: Meno’s Paradox in Posterior Analytics 1.1. In: Oxford Studies in Ancient Philosophy 38, 2010, S. 115–141; Sang-In Lee: Anamnesis im Menon. Frankfurt am Main 2001, S. 160–185.
  65. Aristoteles, Analytica posteriora 71a.
  66. Aristoteles, Analytica priora 67a.
  67. Aristoteles, Politik 1260a.
  68. Siehe dazu Carl Werner Müller: Appendix Platonica und Neue Akademie. In: Klaus Döring, Michael Erler, Stefan Schorn (Hrsg.): Pseudoplatonica. Stuttgart 2005, S. 155–174, hier: 156–163; Michael Erler: Platon. Basel 2007, S. 323–325.
  69. Siehe zu Ciceros Menon-Rezeption Harold Tarrant: Recollecting Plato’s Meno. London 2005, S. 101–125.
  70. Cicero, Tusculanae disputationes 1,57.
  71. Cicero, De divinatione 1,115 (Bezugnahme auf Menon 81c–d).
  72. Diogenes Laertios 3,57–59.
  73. Athenaios 11, 505a–b. Siehe zu dieser Überlieferung Jacob Klein: A Commentary on Plato’s Meno. Chapel Hill 1965, S. 37.
  74. Clemens von Alexandria, Stromata 5,13,83.
  75. Arnobius, Adversus nationes 2,24.
  76. Augustinus, De trinitate 12,15,24.
  77. Corpus dei Papiri Filosofici Greci e Latini (CPF). Teil 1, Bd. 1***, Firenze 1999, S. 139–141, 494–499.
  78. Zur Textüberlieferung siehe Bruno Vancamp: Untersuchungen zur handschriftlichen Überlieferung von Platons Menon. Stuttgart 2010; Richard S. Bluck (Hrsg.): Plato’s Meno. Cambridge 1961, S. 129–147.
  79. Muhsin Mahdi: Alfarabi: Philosophy of Plato and Aristotle. 2. Auflage. Ithaca 2001, S. 55 (englische Übersetzung von al-Fārābīs Werk). Siehe dazu Harold Tarrant: Recollecting Plato’s Meno. London 2005, S. 130–135.
  80. Victor Kordeuter (Hrsg.): Meno interprete Henrico Aristippo. London 1940, S. 5 f.
  81. Marsilii Ficini Opera. Band 2, Paris 2000 (Nachdruck der Ausgabe Basel 1576), S. 1132 f. Eine englische Übersetzung der Einleitung bietet Arthur Farndell: Gardens of Philosophy. Ficino on Plato. London 2006, S. 14–16.
  82. René Descartes: Epistola ad Gisbertum Voetium. In: Charles Adam, Paul Tannery (Hrsg.): Œuvres de Descartes, Bd. 8/2, Paris 1987, S. 167.
  83. Leibniz: Discours de métaphysique 26.
  84. Friedrich Schleiermacher: Menon. Einleitung. In: Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Über die Philosophie Platons, herausgegeben von Peter M. Steiner, Hamburg 1996, S. 206–219, hier: 216.
  85. John Stuart Mill: Grote’s Plato. In: John Stuart Mill: Collected Works. Bd. 11: Essays on Philosophy and the Classics. Toronto 1978, S. 375–440, hier: 422.
  86. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Platon. Sein Leben und seine Werke. 5. Auflage. Berlin 1959 (1. Auflage Berlin 1919), S. 219–221.
  87. Alfred Croiset (Hrsg.): Platon: Œuvres complètes. Bd. 3, Teil 2. 6. Auflage. Paris 1955, S. 227.
  88. Franz von Kutschera: Platons Philosophie. Bd. 1, Paderborn 2002, S. 233.
  89. Paul Natorp: Platos Ideenlehre. 2., durchgesehene Auflage. Leipzig 1921 (erste Auflage 1903), S. 30 f., 33.
  90. Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Platon. Sein Leben und seine Werke. 5. Auflage. Berlin 1959 (1. Auflage Berlin 1919), S. 212, 217.
  91. Nicolai Hartmann: Das Problem des Apriorismus in der Platonischen Philosophie. In: Kleinere Schriften. Bd. 2, Berlin 1957, S. 48–85, hier: 57. Vgl. Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 103 f.
  92. Gregory Vlastos: Platonic Studies. 2. Auflage. Princeton 1981 (1. Auflage Princeton 1973), S. 230 Anm. 22.
  93. William K. C. Guthrie: A History of Greek Philosophy. Bd. 4, Cambridge 1975, S. 255 f.
  94. Jonathan Barnes: Enseigner la vertu? In: Revue philosophique de la France et de l’Etranger. Bd. 181, Jg. 116, 1991, S. 571–589.
  95. Karl Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 7. Auflage. Bd. 1, Tübingen 1992, S. 154. Auf diesen Aspekt weist auch Oliver Hallich hin, aber ohne Bezugnahme auf den historischen Sokrates: Oliver Hallich: Platons „Menon“. Darmstadt 2013, S. 100 f.
  96. Karl Popper: Vermutungen und Widerlegungen. Tübingen 2009, S. 13–18, 43.
  97. Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe: Understanding Proofs. Meno, 85d9–86c2, Continued. In: Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe: From Parmenides to Wittgenstein. Oxford 1981, S. 34–43.
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