Rüsseltiere

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Rüsseltiere
Zeitraum
Seelandium (Paläozän) bis heute
60 bis 0 Mio. Jahre
Fundorte
  • Afrika, Asien, Europa, Nord- und Südamerika
Klasse: Säugetiere (Mammalia)
Unterklasse: Höhere Säugetiere (Eutheria)
Überordnung: Afrotheria
ohne Rang: Paenungulata
ohne Rang: Tethytheria
Ordnung: Rüsseltiere
Proboscidea
Illiger, 1811

Die Ordnung der Rüsseltiere (Proboscidea) wurde nach dem auffälligsten Merkmal, dem Rüssel (lat. proboscis), benannt. Ihre einzigen heute noch lebenden Vertreter sind die Elefanten.

Merkmale

Allgemein

Die Rüsseltiere unterscheiden sich nicht nur durch den überaus langen Rüssel, sondern auch durch ihren Körperbau und ihre charakteristische Bezahnung (Stoßzähne bzw. große Mahlzähne) von allen anderen Landsäugern. Besonders markant ist die Rüsselbildung, welche anfänglich kaum vorhanden war. Später entwickelte sich der Rüssel, der bei heutigen Tieren aus bis zu 150.000 längs, zirkular oder schräg verlaufenden Muskelfasern einer Vielzahl verschiedener Muskeln besteht, zu einem feinfühligen Greiforgan, welches das Erreichen der Blätter auf höheren Bäumen ebenso ermöglichte wie das Abreißen von Grasbüscheln in den Steppen.[1]

Schädel und Skelett

Besondere skelettanatomische Merkmale sind die säulenförmigen Gliedmaßen, die senkrecht unter dem Körper stehen, wobei die oberen und unteren Partien der Extremitäten einen Winkel von 180° bilden. Dies unterscheidet die Rüsseltiere von zahlreichen anderen Säugetieren, deren Beine in einem leichten Winkel angeordnet sind. Die deutlich vertikale Stellung, die möglicherweise schon im Eozän vollständig ausgebildet war, unterstützte dabei die enorme Gewichtszunahme der frühen Vertreter dieser Ordnung.[2] Weiterhin besitzen die Langknochen keine Knochenmarkhöhle, sondern der Raum ist mit Spongiosa gefüllt, was den Beinen eine größere Festigkeit gibt. Die Blutbildung findet dabei in den Zwischenräumen statt.[1] Als weitere Besonderheit an den Füßen besitzen Rüsseltiere einen sechsten „Zeh“, der jeweils hinter dem Daumen bzw. dem großen Zeh ansetzt (Die Ansatzstelle befindet sich jeweils am oberen (proximalen), nach hinten innen zeigenden Gelenkende des Metacarpus I (Daumen) beziehungsweise des Metatarsus I (großer Zeh) und aus Knorpelmaterial besteht, das teilweise verknöchert ist. Er dient zur Unterstützung der anderen Zehen bei der Stabilisierung des hohen Körpergewichtes. Er ist schon bei den Deinotherien nachweisbar und geht so bis ins frühe Miozän zurück. Die Entwicklung dieser anatomischen Besonderheit hängt mit der enormen Körpergrößenzunahme der Rüsseltiere in jener Zeit zusammen, die verbunden ist mit der Abkehr von der eher amphibischen Lebensweise der frühen Probodscidea-Vertreter hin zu einer rein terrestrischen.[3]

Eine andere Besonderheit weist der sehr große Kopf der Rüsseltiere auf, dessen Schädeldach aus luftgefüllten Hohlräumen besteht. Diese bienenwabenartig geformten Hohlräume, die durch dünne Knochenplättchen voneinander getrennt sind, verringern nicht nur das Gewicht des gesamten Schädels, sondern ermöglichten gleichzeitig auch einen enormen Zuwachs an Volumen der Schädeloberfläche. Dieser Volumenzuwachs war notwendig, um einerseits über die mächtige Nackenmuskulatur den Halt des Kopfes inklusive der evolutiv immer größer werdenden Stoßzähne zu gewährleisten, andererseits aber auch um der kräftigen Kaumuskulatur für den massiven Unterkiefer als Ansatzfläche zu dienen. Die Entwicklung eines derartigen luftgefüllten Schädels begann stammesgeschichtlich schon sehr früh bei den Rüsseltieren und ist bei einigen Vertretern schon im Oligozän, möglicherweise auch schon im späten Eozän nachgewiesen.[1][4]

Gebiss

Backenzähne von Elefanten.
Oben: Loxodonta,
Mitte: Elephas
Unten: † Mammuthus;
Anzahl und Dicke der Schmelzlamellen geben Aufschluss über die Ernährungsgewohnheiten

Das ursprüngliche permanente Rüsseltiergebiss besaß noch die vollständige Bezahnung der relativ altertümlichen tertiären Säugetiere mit drei Schneidezähnen, einem Eckzahn, vier Prämolaren und drei Molaren je Kieferast.[5] Im Laufe der stammesgeschichtlichen Evolution reduzierte sich die Zahnanzahl kontinuierlich bis zu den heutigen Elefanten, die nur einen Schneidezahn im Oberkiefer (Stoßzahn) und drei Molaren je Kieferbogen aufweisen, wovon aber nur jeweils ein Molar im Ober- und im Unterkiefer in jeder Kieferhälfte zur Verfügung steht. Diese werden beim Kauen der Pflanzennahrung stark abgenutzt, können jedoch bei den heutigen Elefanten fünf Mal nachgeschoben werden, umfassen also sechs Generationen. Diese sechs Generationen beinhalten drei Milchprämolaren (diese werden von einigen Experten aufgrund der starken Ähnlichkeit zu den Molaren auch als Milchmolaren angesprochen,[6] sind aber aus ontogenetischer Sicht Prämolaren) und drei Dauermolaren.[1] Der Zahnwechsel erfolgt dabei horizontal, indem sich ein neuer Zahn erst von hinten herausschiebt, wenn der vordere weitgehend abgekaut ist. Dieser horizontale Zahnwechsel, der sich von dem vertikalen der meisten andern Säugetiere deutlich unterscheidet, entstand durch die Verkürzung des Kiefers in der Rüsseltierevolution, so dass nicht mehr alle Zähne gleichzeitig Platz fanden. Erstmals aufgetreten ist dieses Merkmal im mittleren Oligozän.[7] Auch die Stoßzähne des Oberkiefers fallen bei den jungen Elefanten nach dem ersten Jahr aus, werden dann aber durch ständig wachsende ersetzt.

Zur systematischen Einteilung der Rüsseltiere wird hauptsächlich der Aufbau der Molaren herangezogen. Die Kaufläche dieser Mahlzähne ist sehr vielgestaltig und der jeweiligen Lebensweise der Tiere angepasst. Sie kann höckerige Strukturen (bunodont) aufweisen, wie bei einigen sehr frühen Rüsseltieren, oder aus einzelnen Querleisten aufgebaut sein (lophodont bis zygodont), die teilweise durch verschieden starke Abnutzung härterer und weicherer Stellen eine dachartige Struktur ausbilden wie bei den Stegodonten bzw. lamellenartig geformt sein wie bei den Mammuts und den heutigen Elefanten.[1]

Stoßzähne

Markantestes Skelettelement sind die Stoßzähne, die gerade, gedrillt, nach oben oder unten gebogen, schaufelförmig, dem Ober- oder Unterkiefer oder beiden entspringend, weit auseinander oder eng zusammenstehend, und in den verschiedensten Längen (bis zu 4 m) und Stärken vorhanden waren. Die Stoßzähne sind eine Bildung der Schneidezähne, die anfänglich noch recht klein und weitgehend senkrecht im Kiefer standen, später in Verbindung mit der allgemeinen Reduktion der Zahnanzahl im Gebiss der Rüsseltiere aber einen übergroßen Wuchs erreichten. Dabei entstanden die Stoßzähne des Oberkiefers aus den zweiten Schneidezähnen (I2) des jeweiligen Kieferastes, während der Ursprung der Unterkieferstoßzähne unter Experten lange diskutiert, mittlerweile aber der erste Schneidezahn (I1) des Kieferastes identifiziert wurde.[8] Heute leben nur noch die Elefanten mit ihren beiden Stoßzähnen im Oberkiefer.

Ökologie

Die Anpassungen der Stoß- und besonders der Backenzähne ermöglichten den Rüsseltieren die Erschließung verschiedener pflanzlicher Nahrungsquellen, von den Sumpfpflanzen, die dem frühen Moeritherium als Nahrung dienten, über Blätter und Zweige, die mit den Rüsseln abgerissen wurden, oder Rinden, die wie bei den Deinotherien mit den Stoßzähnen abgeschält werden konnten, bis zu den Gräsern der Savannen und Steppen, welche u. a. die Mammuts bevorzugten und die besonders intensiv gekaut werden müssen.

Ein zotteliges Haarkleid schützte einige nördliche Arten der Mammutiden („Echte Mastodonten“) und Mammuts vor der Kälte der Eiszeit. Die beiden riesigen gebogenen Stoßzähne des Mammuts scheinen auch als Schneepflug zur Nahrungssuche unter der Schneedecke wertvolle Dienste geleistet zu haben. Zwergbildungen bei Stegodonten und Elefanten (siehe: Zwergelefant) ermöglichten über lange Zeiträume hinweg das Überleben auch auf kleineren Inseln des Mittelmeerraums und in Indonesien.

Daneben haben Rüsseltiere auch Einfluss auf ihr unmittelbares Biotop. Durch das Entrinden von Bäumen, Fressen von Blättern, Abknicken von Zweigen und Ästen, das Herausreißen von Büschen und kleinen Bäumen oder das Spalten größerer wirken sie zusammen mit anderen Megaherbivoren stark auf die Landschaft ein. Das gilt nicht nur für die heutigen Elefanten in den Savannen Ost- und Südafrikas, sondern sicher auch für die Mammuts der Mammutsteppe.[9][10] Dabei ist dies offensichtlich ein Verhalten, das schon sehr früh im Rüsseltier-Stammbaum auftrat und bis ins frühe Miozän oder gar Oligozän zurückreicht, als u. a. mit den Deinotherien die ersten größeren Rüsseltiere mit sehr großen Stoßzähnen auftraten, deren überlieferten Abnutzungsspuren und Beschädigungen auf solche Handlungsweisen schließen lassen.[11]

Verbreitung

Die Rüsseltiere entstanden zweifellos in Afrika. Dies geschah zu einer Zeit, als dieser Kontinent noch nicht über Landbrücken mit anderen Erdteilen verbunden war. Solche Landbrücken entstanden erst im unteren Miozän vor mehr als 20 Millionen Jahren, als sich der nördlich gelegene Tethys-Ozean schloss und so eine Verbindung zum heutigen Eurasien entstand. Zu den ersten Auswanderern gehörten die Mammutiden und die Gomphotherien, die erstmals eurasischen Boden betraten. Einige Vertreter, wie z. B. Zygolophodon oder Gomphotherium, erreichten über Nordasien sogar den nordamerikanischen Kontinent und bildeten eigenständige Entwicklungslinien. Den ersten Auswanderern folgten die Deinotherien, allerdings verbreiteten sie sich nicht so weit, wie die Mastodonten und Gomphotherien, sondern blieben auf Eurasien beschränkt. Die erste Auswanderungswelle erfolgte dabei vor rund 20 bis 22 Millionen Jahren. Das Auftreten der Rüsseltiere außerhalb Afrikas wird als Proboscidean datum event bezeichnet, wobei dieses ursprünglich als singulär angesehene Ereignis nach neueren Untersuchungen aus mindestens sechs einzelnen Phasen bestand. Im Zuge der Bildung des Isthmus von Panama und der Entstehung einer geschlossenen amerikanischen Landmasse im Pliozän vor 3 Millionen Jahren kam es zum Großen Amerikanischen Faunenaustausch, wobei letztendlich einige Vertreter der Gomphotherien auch Südamerika besiedelten.[12][13]

Die Rüsseltiere besiedelten somit einen Großteil der Alten und Neuen Welt, lediglich den Australischen Kontinent und die meisten weit vom Festland entfernten Inseln, wie Madagaskar und Neuguinea haben sie niemals erreicht. Dabei umfasste ihr Lebensraum sowohl tropische als auch arktische Lebensräume, wobei sie meistens Tiefländer, einige Arten wie Cuvieronius aber auch gebirgige Hochländer erschlossen.[13] Noch bis ins späte Pleistozän waren sie mit vier Familien über Amerika, Eurasien und Afrika verbreitet. Heute findet man sie nur noch in Afrika und Südasien in Form der Elefanten.

Zur Systematik und zur Stammesgeschichte siehe auch

Siehe auch

Literatur

  • E. Thenius: Grundzüge der Faunen- und Verbreitungsgeschichte der Säugetiere. 2.Auflage, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 1980
  • H-J. Gregor, R. Kuhn, D. H. Storch: Deinotherium: ein Proboscidier? Documenta Naturae 130, München 2000, ISSN 0723-8428.
  • Jordi Augusti: Mammoths, Sabertooths and Hominids 65 Million Years of Mammalian Evolution in Europe. Columbia University Press, 2002. ISBN 0-231-11641-1.

Weblinks

Commons: Rüsseltiere - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Jeheskel Shoshani: Skeletal and basic anatomical features of elephants. In: Jeheskel Shoshani und Pascal Tassy (Hrsg.): The Proboscidea. Evolution and palaeoecology of the Elephants and their relatives. Oxford, New York, Tokyo, 1996, S. 9–20.
  2. G. E. Weissengruber, F. K. Fuss, G. Egger, G. Stanek, K. M. Hittmair und G. Forstenpointner: The elephant knee joint: morphological and biomechanical considerations. Journal of Anatomy 208 (1), 2006, S. 59–72.
  3. John R. Hutchinson, Cyrille Delmer, Charlotte E. Miller, Thomas Hildebrandt, Andrew A. Pitsillides und Alan Boyde: From Flat Foot to Fat Foot: Structure, Ontogeny, Function, and Evolution of Elephant ‚Sixth Toes‘. In: Science, Band 334, Nr. 6063, 2011, S. 1699–1703 (hier: 1702), DOI:10.1126/science.1211437.
  4. Wighart von Koenigswald: Lebendige Eiszeit. Klima und Tierwelt im Wandel. Theiss-Verlag, Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1734-3.
  5. Emmanuel Gheerbrant: Paleocene emergence of elephant relatives and the rapid radiation of African ungulates. PNAS 106 (26), 2009, S. 10717–10721
  6. Ekke W. Günther: Die Gebisse der Waldelefanten von Bilzingsleben. In: Dietrich Mania u. a. (Hrsg.): Bilzingsleben IV. Homo erectus – Seine Kultur und seine Umwelt. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle 44, Berlin 1991, S. 149–174.
  7. Jeheskel Shoshani, Robert C. Walter, Michael Abraha, Seife Berhe, Pascal Tassy, William J. Sander, Gary H. Marchant, Yosief Libsekal, Tesfalidet Ghirmai und Dietmar Zinner: A proboscidean from the late Oligocene of Eritrea, a ‘‘missing link’’ between early Elephantiformes and Elephantimorpha, and biogeographic implications. PNAS 103 (46), 2006, S. 17296–17301.
  8. Cyrille Delmer: Reassessment of the generic attribution of Numidotherium savagei and the homologies of lower incisors in proboscideans. Acta Palaeontologica Polonica 54 (4), 2009, S. 561–580.
  9. Ulrich Joger: Lebensweise und Ökologie moderner Elefanten: Sind Rückschlüsse auf den Waldelefanten und seine Umwelt möglich? In: Harald Meller (Hrsg.): Elefantenreich – Eine Fossilwelt in Europa. Halle/Saale, 2010, S. 314–321.
  10. Margret Bunzel-Drüke, Joachim Drüke und Henning Vierhaus: Der Einfluß von Großherbivoren auf die Naturlandschaft Mitteleuropas. Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz Kreis Soest e.V. 2001
  11. Friedrich Bachmayer und Helmuth Zapfe: Ein bedeutender Fund von Dinotherium aus dem Pannon von Niederösterreich. Annalen des Naturhistorischen Museums zu Wien 80, 1976, S. 145–162.
  12. Jan van der Made: The evolution of the elephants and their relatives in the context of a changing climate and geography. In: Harald Meller (Hrsg.): Elefantenreich. Eine Fossilwelt in Europa. Halle/Saale, 2010, S. 340–360.
  13. 13,0 13,1 María Teresa Alberdi, José Luis Prado, Edgardo Ortiz-Jaureguizar, Paula Posadas und Mariano Donato: Paleobiogeography of trilophodont gomphotheres (Mammalia: Proboscidea). A reconstruction applying DIVA (Dispersion-Vicariance Analysis). Revista Mexicana de Ciencias Geológicas 28 (2), 2011, S. 235–244.


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