Gnosis und Bibliothek:Rudolf Steiner/Werke/GA 10 Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten/Die Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung: Unterschied zwischen den Seiten

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Die '''Gnosis''' (von [[Wikipedia:Altgriechisch|griech.]] ''γνῶσις, gnōsis'', „die [Er-]Kenntnis“), oft auch als '''Gnostizismus''' oder '''Gnostik''' bezeichnet, ist eine sehr heterogene [[Wikipedia:Synkretismus|synkretistische]], weitgehend [[esoterisch]] gehaltene [[geist]]ige Strömung, die ihre Blütezeit in der [[Wikipedia:Spätantike|spätantiken]] Welt des 2. und 3. nachchristlichen Jahrhunderts hatte und das alte [[Mysterien]]wissen mit dem [[Wikipedia:Philosophie|philosophischen]] [[Denken]] der [[Wikipedia:Antike|Antike]] und vielfach auch mit [[christlich]]em Gedankengut zu verbinden suchte. Großen Einfluss auf die Formulierung der gnostischen Lehren hatte der zur selben Zeit weit verbreitete [[Neuplatonismus]]. Es gab [[christlich]]e, [[Judentum|jüdische]], [[Heidentum|heidnische]] und zugleich meist stark [[Wikipedia:Hellenismus|hellenistisch]] geprägte Gnostiker, die sich selbst als ''Wissende'' bezeichneten und sich oft auf eigene unmittelbare geistige Erfahrungen beriefen. Wie viele antike Lehrer verbreiteten sie den [[okkult]]en Kern ihrer Lehre nicht oder nur selten öffentlich. Vielfach wurde die gnostische [[Mystik]] auch als [[Mathesis]] aufgefasst, weil sie mit der selben [[Gedanke]]nklarheit wie die [[Mathematik]] nach geistiger [[Erkenntnis]] strebte.
== Die Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung ==


== Hauptmerkmale ==
Während des Schlafes empfängt die menschliche Seele nicht die Mitteilungen von seiten der physischen Sinneswerkzeuge. Die Wahrnehmungen der gewöhnlichen Außenwelt fließen ihr in diesem Zustande nicht zu. Sie ist in Wahrheit in gewisser Beziehung außerhalb des Teiles der menschlichen Wesenheit, des sogenannten physischen Leibes, welcher im Wachen die Sinneswahrnehmungen und das Denken vermittelt. Sie ist dann nur in Verbindung mit den feineren Leibern (dem Ätherleib und dem Astralleib), welche sich der Beobachtung der physischen Sinne entziehen. Aber die Tätigkeit dieser feineren Leiber hört im Schlafe nicht etwa auf. So wie der physische Leib mit den Dingen und Wesen der physischen Welt in Verbindung steht, wie er von ihnen Wirkungen empfängt und auf sie wirkt, so lebt die Seele in einer höheren Welt. Und dieses Leben dauert während des Schlafes fort. Tatsächlich ist die Seele während des Schlafes in voller Regsamkeit. Nur kann der Mensch von dieser seiner eigenen Tätigkeit so lange nichts wissen, als er nicht geistige Wahrnehmungsorgane hat, durch welche er während des Schlafes ebensogut beobachten kann, was um ihn herum vorgeht und was er selber treibt, wie er das mit seinen gewöhnlichen Sinnen im Tagesleben für seine physische Umgebung kann. Die Geheimschulung besteht (wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt worden ist) in der Ausbildung solcher geistigen Sinneswerkzeuge.<br>Verwandelt sich nun durch die Geheimschulung das Schlafleben des Menschen in dem Sinne, wie es im vorigen [181] Kapitel beschrieben worden ist, so kann er alles, was in diesem Zustande um ihn herum vorgeht, bewußt verfolgen; er kann sich willkürlich in seiner Umgebung zurechtfinden, wie das mit seinen Erlebnissen während des wachen Alltagslebens durch die gewöhnlichen Sinne der Fall ist. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Wahrnehmung der gewöhnlichen sinnlichen Umgebung schon einen höheren Grad des Hellsehens voraussetzt. (Es ist darauf schon im vorigen Kapitel hingedeutet worden.) Im Beginn der Entwickelung nimmt der Geheimschüler nur Dinge wahr, die einer anderen Welt angehören, ohne deren Zusammenhang mit den Gegenständen seiner alltäglichen sinnlichen Umgebung bemerken zu können.<br>Was an so charakteristischen Beispielen des Traum- und Schlaflebens anschaulich wird, findet fortwährend beim Menschen statt. Die Seele lebt ohne Unterbrechung in höheren Welten und ist innerhalb der letzteren tätig. Sie schöpft aus diesen höheren Welten heraus die Anregungen, durch welche sie immerwährend auf den physischen Leib wirkt. Nur bleibt für den Menschen dieses sein höheres Leben unbewußt. Der Geheimschüler aber bringt es zum Bewußtsein. Dadurch wird sein Leben überhaupt ein anderes. Solange die Seele nicht im höheren Sinne sehend ist, wird sie von übergeordneten Weltwesen geführt. Und wie das Leben eines Blinden, der durch Operation sehend geworden ist, ein anderes wird, als es vorher war, da er sich auf seine Führerschaft verlassen mußte, so ändert sich das Leben des Menschen durch die Geheimschulung. Er wird der Führerschaft entwachsen und muß fortan seine Leitung selbst übernehmen. Sobald dies eintritt, ist er, wie begreiflich, Irrtümern unterworfen, von [182] denen das gewöhnliche Bewußtsein nichts ahnt Er handelt jetzt aus einer Welt heraus, aus der ihn früher höhere Gewalten, ihm selbst unbewußt, beeinflußten. Diese höheren Gewalten sind durch die allgemeine Weltharmonie geordnet. Aus dieser Weltharmonie tritt der Geheimschüler heraus. Er hat nunmehr selbst Dinge zu tun, die vorher für ihn ohne sein Zutun vollzogen worden sind.<br>Weil dies letztere der Fall ist, deshalb wird in den Schriften, die von solchen Dingen handeln, viel von den Gefahren gesprochen, welche mit dem Aufstieg in die höheren Welten verbunden sind. Die Schilderungen, die da zuweilen von solchen Gefahren gemacht werden, sind wohl geeignet, ängstliche Gemüter nur mit Schaudern auf dieses höhere Leben blicken zu lassen. Doch muß gesagt werden, daß diese Gefahren nur dann vorhanden sind, wenn die notwendigen Vorsichtsmaßregeln außer acht gelassen werden. Wenn dagegen wirklich alles beachtet wird, was wahre Geheimschulung als Ratschläge an die Hand gibt, dann erfolgt der Aufstieg zwar durch Erlebnisse hindurch, die an Gewalt und Größe alles überragen, was die kühnste Phantasie des Sinnesmenschen sich ausmalen kann; aber von einer Beeinträchtigung der Gesundheit oder des Lebens kann nicht die Rede sein. Der Mensch lernt grausige, das Leben an allen Ecken und Enden bedrohende Gewalten kennen. Es wird ihm möglich, sich selbst gewisser Kräfte und Wesen zu bedienen, welche der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind. Und die Versuchung ist groß, sich dieser Kräfte im Dienste eines eigenen unerlaubten Interesses zu bemächtigen oder aus mangelnder Erkenntnis der höheren Welten in irrtümlicher Weise solche Kräfte zu verwenden. Einige von solchen [183] besonders bedeutsamen Erlebnissen (zum Beispiel die Begegnung mit dem «Hüter der Schwelle») sollen noch in diesen Aufsätzen geschildert werden. - Aber man muß doch bedenken, daß die lebenfeindlichen Mächte auch dann vorhanden sind, wenn man sie nicht kennt. Wahr ist allerdings, daß dann deren Verhältnis zum Menschen von höheren Kräften bestimmt wird und daß dieses Verhältnis sich auch ändert, wenn der Mensch mit Bewußtsein in diese ihm vorher verborgene Welt eintritt. Aber es wird dafür auch sein eigenes Dasein gesteigert, sein Lebenskreis um ein ungeheures Feld bereichert. Eine wirkliche Gefahr liegt nur dann vor, wenn der Geheim-Schüler durch Ungeduld oder Unbescheidenheit sich gegenüber den Erfahrungen der höheren Welt zu früh eine gewisse Selbständigkeit beimißt, wenn er nicht abwarten kann, bis ihm die zureichende Einsicht in die übersinnlichen Gesetze wirklich zuteil wird. Auf diesem Gebiete sind eben Demut und Bescheidenheit noch viel weniger leere Worte als im gewöhnlichen Leben. Sind diese aber dem Schüler im allerbesten Sinne eigen, so kann er sicher sein, daß sich sein Aufstieg ins höhere Leben gefahrlos für alles das vollzieht, was man gewöhnlich Gesundheit und Leben nennt. - Vor allen Dingen darf keine Disharmonie aufkommen zwischen den höheren Erlebnissen und den Vorgängen und Anforderungen des alltäglichen Lebens. Des Menschen Aufgabe ist durchaus auf dieser Erde zu suchen. Und wer den Aufgaben auf dieser Erde sich entziehen und in eine andere Welt flüchten will, der mag sicher sein, daß er sein Ziel nicht erreicht - Aber was die Sinne wahrnehmen, ist nur ein Teil der Welt und im Geistigen liegen die Wesenheiten, welche sich in den Tatsachen [184] der sinnlichen Welt ausdrücken. Man soll teilhaftig werden des Geistes, damit man seine Offenbarungen in die Sinneswelt hineintragen kann. Der Mensch gestaltet die Erde um, indem er ihr einpflanzt, was er von dem Geisterlande her erkundet. Darinnen liegt seine Aufgabe. Nur weil die sinnliche Erde von der geistigen Welt abhängt, weil man wahrhaftig auf der Erde nur wirken kann, wenn man Teilhaber an jenen Welten ist, in denen die schaffen. Den Kräfte verborgen sind, deshalb soll man zu diesen letzteren aufsteigen wollen. Tritt man mit dieser Gesinnung an die Geheimschulung heran und weicht man keinen Augenblick von der dadurch vorgezeichneten Richtung ab, dann hat man nicht die allergeringsten Gefahren zu befürchten. Niemand sollte sich von den in Aussicht stehenden Gefahren von der Geheimschulung abhalten lassen; für einen jeden aber sollte diese Aussicht eine strenge Aufforderung sein, sich durchaus jene Eigenschaften anzueignen, welche der wahre Geheimschüler haben soll.<br>Nach diesen Voraussetzungen, die wohl alles Schreckhafte beseitigen, soll nun hier an die Schilderung einiger sogenannter «Gefahren» geschritten werden. Große Veränderungen gehen allerdings mit den obengenannten feineren Leibern beim Geheimschüler vor sich. Solche Veränderungen hängen mit gewissen Entwickelungsvorgängen der drei Grundkräfte der Seele, mit Wollen, Fühlen und Denken zusammen. Diese drei Kräfte stehen vor der Geheimschulung des Menschen in einer ganz bestimmten, durch höhere Weltgesetze geregelten Verbindung. Nicht in beliebiger Weise will, fühlt oder denkt der Mensch. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Vorstellung im Bewußtsein auftaucht, so schließt sich an sie nach [185] natürlichen Gesetzen ein gewisses Gefühl oder es folgt auf sie ein gesetzmäßig mit ihr zusammenhängender Willensentschluß. Man betritt ein Zimmer, findet es dumpfig und öffnet die Fenster. Man hört seinen Namen rufen und folgt dem Rufe. Man wird gefragt und gibt Antwort. Man sieht ein übelriechendes Ding und bekommt ein Gefühl von Unlust. Das sind einfache Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Wollen. ,Wenn man aber das menschliche Leben überschaut, so wird man finden, daß sich alles in diesem Leben auf solche Zusammenhänge aufbaut. Ja, man bezeichnet das Leben eines Menschen nur dann als ein «normales», wenn man in demselben eine solche Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen bemerkt, die in den Gesetzen der menschlichen Natur begründet liegt. Man fände es diesen Gesetzen widersprechend, wenn ein Mensch zum Beispiel beim Anblick eines übelriechenden Gegenstandes ein Lustgefühl empfände oder wenn er auf Fragen nicht antwortete. Die Erfolge, die man sich von einer richtigen Erziehung oder einem angemessenen Unterricht verspricht, beruhen darauf, daß man voraussetzt, man könne eine der menschlichen Natur entsprechende Verbindung zwischen Denken, Fühlen und Wollen beim Zögling herstellen. Wenn man diesem gewisse Vorstellungen beibringt, so tut man es in der Annahme, daß sie später mit seinen Gefühlen und Willensentschlüssen in gesetzmäßige Verbindungen eingehen. - Alles das rührt davon her, daß in den feineren Seelenleibern des Menschen die Mittelpunkte der drei Kräfte, des Denkens, Fühlens und Wollens, in einer gesetzmäßigen Art miteinander verbunden sind. Und diese Verbindung in dem feineren Seelenorganismus hat auch ihr Abbild in dem groben [186] physischen Körper. Auch in diesem stehen die Organe des Wollens in einer gewissen gesetzmäßigen Verbindung mit denen des Denkens und Fühlens. Ein bestimmter Gedanke ruft regelmäßig daher ein Gefühl oder eine Willenstätigkeit hervor. - Bei der höheren Entwickelung des Menschen werden nun die Fäden, welche die drei Grundkräfte miteinander verbinden, unterbrochen. Zuerst geschieht diese Unterbrechung nur in dem charakterisierten feineren Seelenorganismus; bei noch höherem Aufstieg aber erstreckt sich die Trennung auch auf den physischen Körper. (Es zerfällt bei der höheren geistigen Entwickelung des Menschen tatsächlich zum Beispiel sein Gehirn in drei voneinander getrennte Glieder. Die Trennung ist allerdings eine solche, daß sie für die gewöhnliche sinnliche Anschauung nicht wahrnehmbar und auch durch die schärfsten sinnlichen Instrumente nicht nachweisbar ist. Aber sie tritt ein, und der Hellseher hat Mittel, sie zu beobachten. Das Gehirn des höheren Hellsehers zerfällt in drei selbständig wirkende Wesenheiten: das Denk-, Fühl- und Willensgehirn.)<br>Die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens stehen sodann ganz frei für sich da. Und ihre Verbindung wird nunmehr durch keine ihnen selbst eingepflanzten Gesetze hergestellt, sondern muß durch das erwachte höhere Bewußtsein des Menschen selbst besorgt werden. - Das ist nämlich die Veränderung, welche der Geheimschüler an sich bemerkt, daß kein Zusammenhang zwischen einer Vorstellung und einem Gefühl oder einem Gefühl und einem Willensentschluß und so weiter sich einstellt, wenn er nicht selbst einen solchen schafft. Kein Antrieb führt ihn von einem Gedanken zu einer Handlung, wenn er [187] diesen Antrieb nicht frei in sich bewirkt. Er kann nunmehr völlig gefühllos vor einer Tatsache stehen, die ihm vor seiner Schulung glühende Liebe oder ärgsten Haß eingeflößt hat; er kann untätig bleiben bei einem Gedanken, der ihn vorher zu einer Handlung wie von selbst begeistert hat. Und er kann Taten verrichten aus Willensentschlüssen heraus, für welche bei einem nicht durch die Geheimschulung hindurchgegangenen Menschen auch nicht die geringste Veranlassung vorliegt. Die große Errungenschaft, welche dem Geheimschüler zuteil wird, ist, daß er die vollkommene Herrschaft erlangt über das Zusammenwirken der drei Seelenkräfte; aber dieses Zusammenwirken wird dafür auch vollständig in seine eigene Verantwortlichkeit gestellt.<br>Erst durch diese Umwandlung seines Wesens kann der Mensch in bewußte Verbindung treten mit gewissen übersinnlichen Kräften und Wesenheiten. Denn es haben seine eigenen Seelenkräfte zu gewissen Grundkräften der Welt entsprechende Verwandtschaft. Die Kraft zum Beispiel, die im Willen liegt, kann auf bestimmte Dinge und Wesenheiten der höheren Welt wirken und diese auch wahrnehmen. Aber sie kann das erst dann, wenn sie frei geworden ist von ihrer Verbindung mit dem Fühlen und Denken innerhalb der Seele. Sobald diese Verbindung gelöst ist, tritt die Wirkung des Willens nach außen hervor. Und so ist es auch mit den Kräften des Denkens und Fühlens. Wenn mir ein Mensch ein Haßgefühl zusendet, so ist dieses für den Hellseher sichtbar als eine feine Licht-Wolke von bestimmter Färbung. Und ein solcher Hellseher kann dieses Haßgefühl abwehren, wie der Sinnes-Mensch einen physischen Schlag abwehrt, der gegen ihn [188] geführt wird. Der Haß wird in der übersinnlichen Welt eine anschaubare Erscheinung. Aber nur dadurch kann ihn der Hellseher wahrnehmen, daß er die Kraft, die in seinem Gefühle liegt, nach außen zu senden vermag, wie der Sinnesmensch die Empfänglichkeit seines Auges nach außen richtet. Und so wie mit dem Haß ist es mit weit bedeutungsvolleren Tatsachen der sinnlichen Welt. Der Mensch kann mit ihnen in bewußten Verkehr treten durch die Freilegung der Grundkräfte seiner Seele.<br>Durch die geschilderte Trennung der Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens ist nun, bei Außerachtlassung der geheimwissenschaftlichen Vorschriften, eine dreifache Verirrung auf dem Entwickelungsgange des Menschen möglich. Eine solche kann eintreten, wenn die Verbindungsbahnen zerstört werden, bevor das höhere Bewußtsein mit seiner Erkenntnis so weit ist, daß es die Zügel, die ein freies harmonisches Zusammenwirken der getrennten Kräfte herstellen, ordentlich zu führen vermag. - Denn in der Regel sind nicht alle drei Grundkräfte des Menschen in einem bestimmten Lebensabschnitt gleich weit in ihrer Entwickelung vorgeschritten. Bei dem einen Menschen ist das Denken dem Fühlen und Wollen vorangeschritten, bei einem zweiten hat eine andere Kraft die Oberhand über ihre Genossen. Solange nun der durch die höheren Weltgesetze hergestellte Zusammenhang der Kräfte aufrechterhalten bleibt, kann durch das Hervorstechen der einen oder der anderen keine im höheren Sinne störende Unregelmäßigkeit eintreten. Beim Willensmenschen zum Beispiel wirken Denken und Gefühl durch jene Gesetze doch ausgleichend, und sie verhindern, daß der überwiegende Wille in besondere Ausartungen [189] verfällt. Tritt ein solcher Willensmensch aber in die Geheimschulung ein, so hört der gesetzmäßige Einfluß von Gefühl und Gedanke auf den zu ungeheuren Kraftleistungen unausgesetzt drängenden Willen vollständig auf. Ist dann der Mensch in der vollkommenen Beherrschung des höheren Bewußtseins nicht so weit, daß er selbst die Harmonie hervorrufen kann, so geht der Wille seine eigenen zügellosen Wege. Er überwältigt fortwährend seinen Träger. Gefühl und Denken fallen einer vollkommenen Machtlosigkeit anheim; der Mensch wird durch die ihn sklavisch beherrschende Willensmacht gepeitscht. Eine Gewaltnatur, die von einer zügellosen Handlung zur anderen schreitet, ist entstanden. - Ein zweiter Abweg entsteht, wenn das Gefühl in einer maßlosen Art sich von den gesetzmäßigen Zügeln befreit. Eine zur Verehrung anderer Menschen neigende Person kann sich dann in grenzenlose Abhängigkeit bis zum Verluste jedes eigenen Willens und Gedankens begeben. Statt höherer Erkenntnis ist dann die erbarmungswürdigste Aushöhlung und Kraftlosigkeit das Los einer solchen Persönlichkeit. - Oder es kann bei solch überwiegendem Gefühlsleben eine zu Frömmigkeit und religiöser Erhebung neigende Natur in eine sie ganz hinreißende Religionsschwelgerei verfallen. - Das dritte Übel bildet sich, wenn das Denken überwiegt. Dann tritt eine lebensfeindliche, in sich verschlossene Beschaulichkeit auf. Für solche Menschen scheint dann die Welt nur mehr insoweit Bedeutung zu haben, als sie ihnen Gegenstände liefert zur Befriedigung ihrer ins Grenzenlose gesteigerten Weisheitsgier. Sie werden durch keinen Gedanken zu einer Handlung oder einem Gefühl angeregt. Sie treten überall als teilnahmslose, kalte Naturen [190] auf. Jede Berührung mit Dingen der alltäglichen Wirklichkeit fliehen sie wie etwas, das ihnen Ekel erregt oder das wenigstens für sie alle Bedeutung verloren hat.<br>Das sind die drei Irrpfade, auf welche der Geheimschüler geraten kann: das Gewaltmenschentum, die Gefühlsschwelgerei, das kalte, lieblose Weisheitsstreben. Für eine äußerliche Betrachtungsweise - auch für die materialistische der Schulmedizin - unterscheidet sich das Bild eines solchen auf Abwegen befindlichen Menschen, vor allen Dingen dem Grade nach, nicht viel von demjenigen eines Irrsinnigen oder wenigstens einer schwer «nervenkranken Person». Ihnen darf natürlich der Geheimschüler nicht gleichen. Es kommt bei ihm darauf an, daß Denken, Fühlen, Wollen, die drei Grundkräfte der Seele, eine harmonische Entwickelung durchgemacht haben, bevor sie aus der ihnen eingepflanzten Verbindung gelöst und dem erwachten höheren Bewußtsein unterstellt werden können. - Denn ist einmal der Fehler geschehen, ist eine Grundkraft der Zügellosigkeit anheimgefallen, so tritt die höhere Seele zunächst als eine Fehlgeburt zutage. Die ungebändigte Kraft füllt dann die ganze Persönlichkeit des Menschen aus; und für lange ist nicht daran zu denken, daß alles wieder ins Gleichgewicht kommt. Was als eine harmlose Charakterveranlagung erscheint, solange der Mensch ohne Geheimschulung ist, nämlich ob er eine Willens-, Gefühls- oder Denkernatur ist, das steigert sich beim Geheimschüler so, daß sich das zum Leben notwendige Allgemeinmenschliche demgegenüber ganz verliert. - Zu einer wirklich ernsten Gefahr wird das allerdings erst in dem Augenblicke, in welchem der Schüler die Fähigkeit erlangt, Erlebnisse wie im Schlafbewußtsein [191] so auch im wachen Zustande vor sich zu haben. Solange es bei der bloßen Erhellung der Schlafpausen verbleibt, wirkt während des Wachzustandes das von den allgemeinen Weltgesetzen geregelte Sinnesleben immer wieder ausgleichend auf das gestörte Gleichgewicht der Seele zurück. Deshalb ist es so notwendig, daß das Wachleben des Geheimschülers in jeder Richtung ein regelmäßiges, gesundes sei. Je mehr er den Anforderungen entspricht, welche die äußere Welt an eine gesunde, kräftige Gestaltung von Leib, Seele und Geist stellt, desto besser ist es für ihn. Schlimm dagegen kann es für ihn werden, wenn das alltägliche Wachleben aufregend oder aufreibend auf ihn wirkt, wenn also zu den größeren Veränderungen, die in seinem Innern vorgehen, irgendwelche zerstörende oder hemmende Einflüsse des äußeren Lebens hinzutreten. Er soll alles aufsuchen, was seinen Kräften entsprechend ist und was ihn in ein ungestörtes, harmonisches Zusammenleben mit seiner Umgebung hineinbringt. Und er soll alles vermeiden, was dieser Harmonie Eintrag tut, was Unruhe und Hast in sein Leben bringt. Dabei kommt es weniger darauf an, diese Unruhe und Hast sich in einem äußerlichen Sinne abzuwälzen, als vielmehr darauf, zu sorgen, daß die Stimmung, die Absichten und Gedanken und die Gesundheit des Leibes darunter nicht fortwährenden Schwankungen ausgesetzt werden. - All das fällt dem Menschen während seiner Geheimschulung nicht so leicht wie vorher. Denn die höheren Erlebnisse, die nunmehr in sein Leben hineinspielen, wirken ununterbrochen auf sein ganzes Dasein. Ist innerhalb dieser höheren Erlebnisse etwas nicht in Ordnung, so lauert die Unregelmäßigkeit unausgesetzt und kann ihn bei jeder Gelegenheit [192] aus den geordneten Bahnen herauswerfen. Deshalb darf der Geheimschüler nichts unterlassen, was ihm stets die Herrschaft über sein ganzes Wesen sichert. Nie sollte ihm Geistesgegenwart oder ein ruhiges Überblicken aller in Betracht kommenden Situationen des Lebens mangeln. Aber eine echte Geheimschulung erzeugt im Grunde alle diese Eigenschaften durch sich selbst. Und man lernt während einer solchen die Gefahren nur kennen, indem man zugleich in den richtigen Augenblicken die volle Macht erlangt, sie aus dem Felde zu schlagen.
Auf dem Kongreß über die «Ursprünge des Gnostizismus» 1966 in [[Wikipedia:Messina|Messina]] wurden folgende, allen gnostischen Systemen gemeinsame «zusammenhängende Charakteristika» genannt:


{{Zitat|... die Vorstellung von der Gegenwart eines göttlichen ‹Funkens› im Menschen ..., welcher aus der göttlichen Welt
<br>
hervorgegangen und in diese Welt des Schicksals, der Geburt
und des Todes gefallen ist und der durch das göttliche Gegenstück
seiner selbst wiedererweckt werden muß, um endgültig
wiederhergestellt zu sein. Diese Vorstellung ... gründet sich
ontologisch auf die Anschauung von einer Abwärtsentwicklung
des Göttlichen, dessen äußerster Rand (oftmals ''sophia'' oder
''ennoia'' genannt) schicksalhaft einer Krise anheimfallen und —
wenn auch nur indirekt — diese Welt hervorbringen mußte, an
welcher es dann insofern nicht desinteressiert sein kann, als es
den göttlichen ‹Funken› (oft als ''pneuma'', ‹Geist›, bezeichnet)
wieder herausholen muß.|Ursprünge des Gnostizismus|Messina 1966<ref>zit. nach: Rudolph, S 65f</ref>}}
 
Gemeinsam ist den Gnostikern eine weitgehend weltabgewandte Geisteshaltung, die das [[Heil]] des [[Mensch]]en darin sieht, sich von der Befleckung durch [[sinnlich]]-[[materiell]]e Welt zu reinigen. Im Zentrum steht der „unbekannte Gott“, der sich aller Vorstellungskraft entzieht, umgeben von einer Fülle (''[[pleroma]]'') von [[Geistige Wesen|geistigen Wesen]], die er aus seinem unergründlichen Urgrund [[emaniert]]. Die äußere [[sinnlich]]-[[materiell]]e Welt ist ''nicht'' seine [[Schöpfung]], sondern die einer untergeordneten Wesenheit, des [[Demiurg]]en, der negativ und sogar als gefallener [[Engel]], als böser [[Widersacher]] empfunden wird (vgl. → [[Jaldabaoth]]). Der [[Ethik|ethisch]]-[[Religion|religiöse]] Dualismus, wie ihn auch die [[Manichäer]] vertreten, der das Weltgeschehen als den Kampf von [[Gut]] und [[Böse]], zwischen [[Licht]] und [[Finsternis]], ansieht, ist auch für die Gnosis von zentraler Bedeutung. Die Materie ist Ausdruck des Bösen; sie ist das Reich der Finsternis, das dem göttlichen Licht entgegensteht. Oft wird schon das [[körper]]liche [[Dasein]] als solches negativ beurteilt. Die [[christlich]]en Gnostiker wussten daher viel über das [[geist]]ige [[Wesen]] des [[Christus]] zu sagen, konnten jedoch für die eigentliche [[Menschwerdung Gottes]] und für die [[Auferstehung]], die aber der entscheidende Mittelpunkt des Christuswirkens ist, kein rechtes Verständnis entwickeln.
 
{{Zitat|Man geht
nicht fehl, wenn man darunter eine aus mehreren Schulen und
Richtungen bestehende dualistische Religion sieht, die zu Welt
und damaliger Gesellschaft in einer betont ablehnenden Haltung
stand und eine Befreiung («Erlösung») des Menschen eben aus
den Zwängen des irdischen Seins durch die «Einsicht» in seine —
zeitweise verschüttete — wesenhafte Bindung, sei es als «Seele»
oder «Geist», an ein überirdisches Reich der Freiheit und der
Ruhe verkündet hat.|Kurt Rudolph|''Die Gnosis'', S 7}}
 
== Gnosis und Neuplatonismus ==
 
Es gibt manche Gemeinsamkeiten zwischen der Gnosis und dem [[Neuplatonismus]], vor allem wenn es um die Bedeutung der rein geistigen Weltbereiche geht. Womit die Neuplatoniker aber nicht mitgehen konnten, war die Verteufelung der ganzen äußeren Welt. Für die Platoniker war der äußere [[Kosmos]] trotz seiner Trübung durch die [[Materie]] ein Ort der Schönheit und Ordnung, in der sich die Gesetze des ewigen Geistes widerspiegeln. [[Plotin]], der führende Denker der Neuplatoniker, wandte sich daher entschieden gegen die weltverneinenden Lehren der Gnostiker. In seinen [[Enneaden]] schreibt er «Gegen die Gnostiker oder gegen die welche sagen, der Weltbildner sei schlecht und die Welt sei schlecht»:
 
{{Zitat|Wer also die Natur der Welt tadelt, weiss nicht
was er thut noch wieweit er sich in seiner Frechheit
versteigt. Dies kommt aber daher, weil sie das Gesetz
der Stufenfolge vom Ersten, Zweiten, Dritten u.s.f. bis
zum Letzten nicht kennen, weil sie nicht wissen, dass
man es den Dingen nicht vorwerfen darf, weil sie
schlechter sind als das Erste, sondern geduldig sich in
das Naturgesetz des Alls zu fügen hat, rüstig zum Ersten
emporeilend und ablassend von der theatralischen
Ausschmückung der eingebildeten Schrecken,
welche das Sphärensystem der Welt verursachen soll,
das im Gegentheil doch alles zu ihrem Heile fördert.
Was liegt denn Furchtbares in diesen Sphären, wie sie
es doch den Leuten einzureden suchen, die in philosophischen
Untersuchungen nicht geübt sind und einer
auf Bildung begründeten richtigen Erkenntniss entbehren?
Wenn ihre Körper feurig sind, so braucht
man sich deshalb nicht vor ihnen zu fürchten, da sie
trotzdem das richtige Verhältniss zum All und zur
Erde bewahren; auf ihre Seelen muss man blicken,
durch die ja auch sie jedenfalls geehrt sein wollen.
Und doch sind auch ihre Körper ausgezeichnet durch
Grösse und Schönheit, sie tragen thätig und hülfreich
mit bei zu dem, was gemäss der Natur entsteht, was
niemals aufhören kann zu entstehen so lange es das
Erste giebt, sie helfen das All ergänzen und sind grosse
Theile des Alls. Wenn aber den Menschen gegenüber
den andern lebendenWesen ein besonderer
Werth zukommt, so in noch viel höherem Grade
ihnen, die nicht zur Tyrannei im All vorhanden sind,
sondern ihm seinen Schmuck und seine Ordnung verleihen.|Plotin|''Enneaden'' II 9,13}}
 
== Rudolf Steiner über die Gnosis ==
 
[[Rudolf Steiner]] sagt über die Gnosis:
 
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"Deshalb ist es für die Menschen so schwierig, sich in die Gedanken
der Gnosis hineinzuversetzen. Denn die Gnosis setzt wahrhaftig
alles, was gar nicht irgendwie an das Materielle erinnert, zunächst
an den Ausgangspunkt ihrer Weltbetrachtung. Vielleicht
wird sich sogar ein Geist, der so recht in der Gegenwartsbildung
drinnensteckt, eines leisen Lächelns nicht enthalten können, wenn
ihm im Sinne der Gnosis zugemutet wird, zu denken, daß die Welt,
in der er sich befindet, die er mit seinem Darwinismus so herrlich
schön erklärt, daß diese Welt gar nichts zu tun haben soll mit dem,
was in Wirklichkeit die Urgründe unserer Welt darstellt. Eines
leisen Lächelns wird sich der heutige Mensch, der in der Gegenwartsbildung
drinnensteckt, wirklich nicht enthalten können, wenn
ihm zugemutet wird, zu denken, die Urgründe der Welt seien bei
jenen Weltenwesen, zu denen überhaupt Begriffe zunächst nicht
reichen, zu denen nichts reicht von all dem, was man heute aufwendet
zum Weitenverständnis: In dem göttlichen Urvater liegt
das, was der Weltengrund genannt werden kann. Und gleichsam
von ihm ausgehend, ihm zur Seite, ist erst dasjenige, wozu die Seele
sich hindurchringen kann, wenn sie abseits aller materialistischen
Vorstellungen ein wenig nur ihr Tiefstes sucht: Schweigen, das
unendliche Schweigen, in dem noch nicht Zeit und Raum ist, sondern
nur Schweigsamkeit ist. Zu dem Paar des Urvaters der Welt
und des Schweigens, das noch vor Raum und Zeit ist, schaute der
Gnostiker auf, und dann ließ er hervorgehen gleichsam aus der
Vermählung des Urvaters mit dem Schweigen andere — man kann
sie ebensogut Welten wie Wesen nennen. Und aus diesen wieder
andere und wieder andere und wieder andere, und so durch dreißig
Stufen hindurch. Und auf der dreißigsten Stufe steht erst das, was
unserem Gegenwartssinn vorliegt, und was mit dem Darwinismus
so herrlich nach diesem Gegenwartssinn erklärt wird. Auf der
dreißigsten Stufe steht es erst, eigentlich auf der einunddreißigsten;
denn dreißig solche Wesenheiten, die man ebensogut Welten wie
Wesenheiten nennen kann, gehen voran dieser Welt. Äon ist der
Ausdruck, den man gewöhnlich annimmt für diese dreißig unserer
Welt vorangehenden Wesenheiten oder Welten.
 
Man bekommt nur dann eine Vorstellung von dem, was mit dieser
Äonenwelt gemeint ist, wenn man sich klar und deutlich sagt:
Nicht nur das, was die Sinne wahrnehmen, was du deine Welt um
dich herum nennst, gehört sozusagen der einunddreißigsten Welt an,
sondern auch das, was du aufbringst als physischer Mensch mit deinen
Gedanken als Erklärungen dieser Welt, gehört dieser einunddreißigsten
Stufe an. Es ist ja noch leicht, sich abzufinden mit einer
spirituellen Weltanschauung, wenn man sagt: Nun ja, die äußere
Welt ist ja allerdings Maja, aber durch unser Denken dringen wir
in die geistige Welt ein —, und wenn man dann die Hoffnung hat,
daß dieses Denken wirklich hinaufkommen kann in die geistigen
Welten. Das war aber nach der Ansicht der Gnostiker nicht der
Fall. Dieses Denken gehört zum einunddreißigsten Äon, zur physischen
Welt, nach der Ansicht der Gnostiker. So daß zunächst nicht
nur der sinnlich wahrnehmende, sondern auch der denkende Mensch
herausversetzt war aus den dreißig Äonen, die stufenweise aufwärts
angeschaut werden können durch die geistige Entwicklung und
die in immer größerer und größerer Vollkommenheit sich darstellen.
Man braucht wirklich nur sich einmal hineinzuversetzen in das
Lächeln, das einem heutigen, auf der Höhe seiner Zeit stehenden
Monisten sich abringt, wenn man ihm zumutet, zu glauben: Dreißig
Welten gehen voran, in denen etwas ganz anderes ist, als du
selbst zu denken vermagst. — Das aber war die Anschauung der
Gnostiker.
 
Und dann fragten sie sich: Wie ist es denn eigentlich in dieser
Welt?
 
Wir wollen eine Weile davon absehen, was wir selbst über diese
Welt gesagt haben im Sinne des Beginnes des zwanzigsten Jahrhunderts.
Das, was ich jetzt sage, soll nicht für uns als irgendeine uns
etwa überzeugende Ideenwelt dargestellt werden - in der Anthroposophie
des zwanzigsten Jahrhunderts wird selbstverständlich die
Gnosis zu überwinden sein —, aber wir wollen uns in diese Gnosis
versetzen. Die umliegende Welt, auch mit dem, was der Mensch
über sie denken kann, warum ist sie denn abgeschlossen von den
dreißig Äonen? — Da muß man hinblicken, sagte sich der Gnostiker,
auf den untersten, aber noch rein geistigen Äon. Was ist da
vorhanden? Da ist vorhanden die göttliche Sophia, die göttliche
Weisheit. In geistiger Art abstammend durch die 29 Stufen hindurch,
zu dem höchsten Äon schaute sie hinauf innerhalb der geistigen
Welt, zu dieser Reihe der geistigen Wesenheiten oder Welten.
Aber es wurde ihr eines Tages, eines Weltentages, klar, daß sie etwas
von sich auszusondern habe, wenn sie den freien Ausblick erhalten
wollte in die geistige Welt der Äonen. Und sie sonderte von sich
aus dasjenige, was in ihr vorhanden war als Begierde. Und das, was
fortan nicht mehr in ihr vorhanden ist, in dieser göttlichen Sophia,
in dieser göttlichen Weisheit, das irrt nunmehr herum in der Raumeswelt,
das durchdringt alles Werden der Raumeswelt. Es lebt
nicht nur in der Sinneswahrnehmung, es lebt auch im Menschendenken,
lebt da mit der Sehnsucht nach der geistigen Welt, lebt
aber doch wie ausgeworfen in die menschlichen Seelen. Gleichsam
als die andere Seite, das Ebenbild, aber als das in die Außenseite
geworfene Ebenbild der göttlichen Sophia lebt die Begierde, die in
alles hineingeworfen ist, die Welt durchdringend: Achamod. Schaust
du in deine Welt, ohne dich aufzuschwingen in die geistigen Welten,
so schaust du in die begierdenerfüllte Welt von Achamod. Weil
sie die von Begierden erfüllte Welt ist, deshalb kann sich in ihr zunächst
nicht darstellen, was sich als Ausblick ergibt in die Welt der
Äonen.
 
Weit, weit zurückliegend in der Welt der Äonen, erzeugt aus der
reinen Geistigkeit der Äonen heraus, dachte sich die Gnosis, was sie
nannte den Sohn des Vatergottes, und auch das, was sie nannte den
reinen, Heiligen Geist. So daß wir in ihnen gleichsam eine andere
Generationsreihe, eine andere Reihe der Entwickelung haben als
diejenige, die dann zu der göttlichen Sophia geführt hat. Wie sich
im physischen Leben in der Fortpflanzungsströmung die Geschlechter
sondern, so sonderte sich einmal im Fortgang der Äonen, durchaus
auf einer Hochstufe der geistigen Welt, eine andere Strömung
heraus, die Strömung des vom Vater stammenden Sohngeistes und des
Heiligen Geistes. So daß man fließend hat in der Welt der Äonen das,
was auf der einen Seite zur göttlichen Sophia führte und auf der anderen
Seite zum Sohngeist und Heiligen Geist. Wenn man hinaufgeht
durch die Äonen, so begegnet man einmal einem Äon, von dem abstammt
auf der einen Seite die Äonenfolge, die dann zur göttlichen
Sophia hinführte, wie auf der anderen Seite die Äonenfolge, von der
abstammen der Gottessohn und der Heilige Geist. Dann kommen
wir hinauf zum Vatergott und dem göttlichen Schweigen.
 
Dadurch nun, daß die menschliche Seele mit Achamod versetzt
ist in die materielle Welt, dadurch lebt in ihr im Sinne der Gnosis
die Sehnsucht nach der geistigen Welt, lebt in ihr vor allen Dingen
die Sehnsucht nach der göttlichen Sophia, nach der göttlichen Weisheit,
von der sie aber durch ihr Erfülltsein mit Achamod getrennt
ist. Dieses Gefühl der Trennung von der göttlichen Äonenwelt,
dieses Gefühl, nicht in dem Göttlich-Geistigen zu sein, das wird
nach der Anschauung der Gnostiker als die materielle Welt empfunden.
Und abstammend von der göttlich-geistigen Welt, doch
verbunden mit Achamod, erscheint der Gnosis das, was man nennen
könnte, an die griechische Sprache sich anlehnend, den Weltenbaumeister,
den Demiurgos. Dieser Demiurgos, dieser Weltenbaumeister,
ist der eigentliche Durchschöpfer und Durcherhalter dessen,
was von Achamod und dem Materiellen durchzogen ist. In
seine Welt sind einverflochten die Menschenseelen. Die Menschenseelen
sind einverflochten mit ihrer Sehnsucht zunächst nach der
göttlichen Sophia, und in der Welt der Äonen erscheint rein göttlich-
geistig, wie in der Ferne, der Gottessohn und der Heilige Geist,
aber nur für den, der — im Sinne der Gnosis — sich erhebt über all
das, in das hinein Achamod, die im Raume schweifende Begierde,
einverleibt ist.
 
Warum ist in den Seelen, die in die Welt der Achamod versetzt
sind, doch die Sehnsucht? Warum fühlen sie nach der Trennung
von der göttlich-geistigen Welt die Sehnsucht nach der göttlichgeistigen
Welt? Auch diese Frage legte sich die Gnosis vor, und sie
sagte: Achamod ist herausgeworfen aus der göttlichen Weisheit, der
göttlichen Sophia; aber bevor sie diese völlig materielle Welt wurde,
in der der Mensch jetzt lebt, kam ihr wie eine kurze Überstrahlung
ein Licht von dem Gottessohn, das gleich wieder verschwand. Das
ist ein wichtiger Begriff der Gnostiker, daß Achamod, wie sie in den
Menschenseelen lebt, ansichtig wurde in urferner Vergangenheit
des Gotteslichtes, das ihr nur gleich wiederum entschwunden war.
Aber die Erinnerung lebt jetzt in der Menschenseele, wie sehr sie
auch verstrickt sein kann in die materielle Welt. In der Welt der
Achamod lebe ich — so hätte eine solche Seele sagen können — in
der materiellen Welt. Mit einer Hülle bin ich umgeben, die dieser
materiellen Welt entnommen ist. Aber indem ich mich in mich versenke,
lebt in mir eine Erinnerung auf. Das, was mich gefesselt hält
an die materielle Welt, sehnt sich nach der göttlichen Sophia, nach
der göttlichen Weisheit, weil das Wesen Achamod, das in mir lebt,
einstmals überleuchtet worden ist von dem Gottessohn, der in der
Welt der Äonen lebt. — Man mache sich diese Verfassung einer
Seele, die sozusagen eine Schülerseele der Gnostiker war, einmal
klar. Solche Seelen lebten; sie sind nicht eine hypothetische Konstruktion,
sie lebten. Und die verständig schauenden Geschichtsforscher
werden durch äußere Dokumente darauf kommen, daß zahlreiche
solche Seelen gelebt haben in jener Zeit, von der wir eben
sprechen." {{Lit|{{G|149|18ff}}}}
</div>
 
=== Gnosis und Anthroposophie ===
 
<div style="margin-left:20px">
"Anthroposophie will durchaus keine Erneuerung dessen, was man
als Gnosis bezeichnet, sein. Die Gnosis ist die letzte Phase der alten
atavistischen Wissenschaft, während die Anthroposophie die erste
Phase einer vollbewußten Wissenschaft darstellt. Es ist eine Verleumdung,
wenn man beide zusammenwirft. Da ich das vorausgeschickt
habe, darf ich doch sagen, daß jene Gnosis es zuerst war, welche
versucht hat, das Mysterium von Golgatha zu verstehen. Und es war
eine tiefe geistige Wissenschaft - wenn auch instinktiver, atavistischer
Art —, welche dazumal versuchte, das Mysterium von Golgatha zu
verstehen. Diese Gnosis, die dazumal ausgebreitet war, ist ja dann
vollständig ausgerottet worden. Sie ist so vollständig ausgerottet
worden, daß nur weniges in positiver Weise übrig geblieben ist, nur
wenige Schriften, die noch dazu wenig besagen. Die allmählich ganz
römisch gewordene Form des Christentums, die das Christentum
durchsetzt hat mit den römischen Staatsbegriffen, hat dafür gesorgt,
daß alles, was von der ersten Auffassung des durchgeistigten Christentums
in der Gnosis vorhanden war, mit Stumpf und Stiel ausgerottet
worden ist. Und wenn heute die Theologen von der Gnosis
sprechen, kennen sie sie nur von den Gegnern." {{Lit|{{G|342|191f}}}}
</div>
 
== Gnosis als Weltanschauungsstimmung ==
 
Die Gnosis ist auch eine der [[sieben]] grundlegenden [[Weltanschauungsstimmungen]], die [[Rudolf Steiner]] unterschieden und den sieben [[Planetensphären]] zugeordnet hat; die Gnosis entspricht der [[Saturnsphäre]].
 
<div style="margin-left:20px">
"Man ist ein Gnostiker, wenn man daraufhin gestimmt ist,
durch gewisse in der Seele selbst liegende Erkenntniskräfte, nicht
durch die Sinne oder dergleichen, die Dinge der Welt kennenzulernen.
Man kann ein Gnostiker sein und zum Beispiel eine gewisse
Neigung haben, sich bescheinen zu lassen von dem Geistes-Tierkreisbilde,
das wir hier als Spiritualismus bezeichnet haben. Dann
wird man in seiner Gnostik tief hineinleuchten können in die Zusammenhänge
der geistigen Welten.
 
Man kann aber auch zum Beispiel ein Gnostiker des Idealismus
sein; dann wird man eine besondere Veranlagung haben, die Ideale
der Menschheit und die Ideen der Welt klar zu sehen. Der Unterschied
ist ja vorhanden zwischen dem einen und dem anderen Mensehen
auch in bezug auf den Idealismus, den die beiden Menschen
haben können. So ist der eine ein idealistischer Schwärmer, der immer
davon redet, daß er Idealist ist, der nur immer das Wort Ideal,
Ideal, Ideal im Munde führt, aber nicht viele Ideale kennt, der nicht
die Fähigkeit hat, in scharfen Konturen und mit innerlichem Schauen
wirklich die Ideale vor seine Seele zu rufen. Ein solcher unterscheidet
sich dann von dem anderen, der nicht nur von Idealen redet, sondern
die Ideale in seiner Seele so zu zeichnen weiß wie ein scharf hingemaltes
Bild. Der letztere, der den Idealismus ganz konkret innerlich
ergreift, so intensiv ergreift, wie man mit der Hand äußere Dinge ergreift,
der ist auf dem Gebiete des Idealismus ein Gnostiker. Man
könnte auch so sagen: Er ist überhaupt ein Gnostiker, aber er läßt
sich insbesondere von dem Geistes-Tierkreisbilde des Idealismus
bescheinen.
 
Es gibt Menschen, welche sich besonders stark bescheinen lassen
von dem Weltanschauungsbilde des Realismus, die aber so durch die
Welt gehen, daß sie durch die ganze Art, wie sie die Welt empfinden,
wie sie der Welt gegenübertreten, den andern Menschen viel,
viel sagen können von dieser Welt. Sie sind weder Idealisten noch
Spirituaüsten; sie sind ganz gewöhnliche Realisten. Sie sind imstande,
wirklich fein zu empfinden, was in der äußeren Realität um
sie herum ist, sie sind fein empfänglich für die Eigentümlichkeiten
der Dinge. Sie sind Gnostiker, richtige Gnostiker; nur sind sie Gnostiker
des Realismus. Solche Gnostiker des Realismus gibt es, und
manchmal sind Spirituaüsten oder Idealisten gar nicht Gnostiker des
Realismus. Wir können sogar finden, daß Leute, die sich gute Theosophen
nennen, durch eine Bildergalerie durchgehen und gar nichts
zu sagen haben über die Bilder, während andere, die gar nicht Theosophen
sind, die aber Gnostiker des Realismus sind, unendlich Bedeutungsvolles
dadurch zu sagen wissen, daß sie mit ihrer ganzen
Persönlichkeit in Berührung sind mit der ganzen Realität der Dinge.
Oder wie viele Theosophen gehen hinaus in die Natur und wissen gar
nicht das ganz Erhabene und Große der Natur mit der ganzen Seele
aufzufassen: sie sind nicht Gnostiker des Realismus. Es gibt Gnostiker
des Realismus.
 
Es gibt auch Gnostiker des Materialismus. Das sind allerdings
sonderbare Gnostiker. Aber ganz in dem Sinne, wie man Gnostiker
des Realismus ist, kann man Gnostiker des Materialismus sein; aber
es sind das Menschen, die nur Sinn und Gefühl und Empfinden
haben für alles Stoffliche, die das Stoffliche durch die unmittelbare
Berührung kennenzulernen suchen, wie der Hund, der die
Stoffe beriecht und dadurch intim kennenlernt und der eigentlich
in bezug auf die materiellen Dinge ein ausgezeichneter Gnostiker
ist.
 
[[Datei:GA151 051.gif|center|600px]]
 
Man kann Gnostiker sein für alle zwölf Weltanschauungsbilder.
Das heißt, wenn wir die Gnosis richtig hineinstellen wollen, müssen
wir es so machen, daß wir einen Kreis zeichnen und daß uns der
ganze Kreis bedeutet: Die Gnosis kann herumwandeln durch alle
zwölf Weltanschauungsbilder. Wie ein Planet die zwölf Tierkreisbilder
durchwandelt, so kann die Gnosis alle zwölf Weltanschauungsbilder
durchwandeln.
 
Allerdings wird die Gnosis die größten Dienste für das Heil der
Seelen dann leisten, wenn die gnostische Stimmung angewendet
wird für den Spiritualismus. Man könnte sagen: Die Gnosis ist im
Spiritualismus so recht zu Hause. Sie ist da in «ihrem» Hause. Sie ist
außer ihrem Hause in den anderen Weltanschauungsbildern. Logisch
hat man nicht die Berechtigung zu sagen, es könnte keine materialistische
Gnostik geben. Die Pedanten der Begriffe und Ideen werden
mit solchen Dingen leichter fertig als die gesunden Logiker, die
es etwas komplizierter haben. Man könnte zum Beispiel sagen: Ich
will nichts anderes Gnosis nennen, als was in den Geist eindringt.
Das ist eine willkürliche Begriffsbestimmung, ist ebenso willkürlich,
wie wenn jemand sagen würde: Veilchen habe ich bis jetzt nur in
Österreich gesehen, also nenne ich Veilchen nur das, was in Österreich
wächst und die Veilchenfarbe hat, anderes nicht. Logisch ist es
ebenso unmöglich zu sagen, Gnosis gebe es nur im Weltanschauungsbilde
des Spiritualismus; denn Gnosis ist ein «Planet», der die
Geistes-Sternbilder durchläuft." {{Lit|{{G|151|49ff}}}}
</div>
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Gnosis|}}
* {{Eisler|Gnosis}}
* {{Kirchner|Gnosis}}
 
== Anmerkungen ==
 
<references/>
 
== Literatur ==
#[[Wikipedia:Hans Jonas|Hans Jonas]]: ''Gnosis uns spätantiker Geist I'', Vandenhoeck u. Ruprecht, Göttingen 1934
#[[Wikipedia:Kurt Rudolph|Kurt Rudolph]]: ''Die Gnosis. Wesen und Geschichte einer spätantiken Religion'', Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2005 ISBN 3-525-52110-3
#Rudolf Steiner: ''Christus und die geistige Welt. Von der Suche nach dem heiligen Gral'', [[GA 149]] (2004), ISBN 3-7274-1490-1 {{Vorträge|149}}
#Rudolf Steiner: ''Der menschliche und der kosmische Gedanke'', [[GA 151]] (1990), ISBN 3-7274-1510-X {{Vorträge|151}}
#Rudolf Steiner: ''Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, I'', [[GA 342]] (1993), ISBN 3-7274-3420-1 {{Vorträge|342}}
 
{{GA}}
 
== Weblinks ==
 
#[http://www.gerd-albrecht.de/schriften.htm Die gnostischen Schriften]] (Gerd Albrecht)
 
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Gnosis]]

Aktuelle Version vom 6. Juni 2009, 15:36 Uhr

Die Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung

Während des Schlafes empfängt die menschliche Seele nicht die Mitteilungen von seiten der physischen Sinneswerkzeuge. Die Wahrnehmungen der gewöhnlichen Außenwelt fließen ihr in diesem Zustande nicht zu. Sie ist in Wahrheit in gewisser Beziehung außerhalb des Teiles der menschlichen Wesenheit, des sogenannten physischen Leibes, welcher im Wachen die Sinneswahrnehmungen und das Denken vermittelt. Sie ist dann nur in Verbindung mit den feineren Leibern (dem Ätherleib und dem Astralleib), welche sich der Beobachtung der physischen Sinne entziehen. Aber die Tätigkeit dieser feineren Leiber hört im Schlafe nicht etwa auf. So wie der physische Leib mit den Dingen und Wesen der physischen Welt in Verbindung steht, wie er von ihnen Wirkungen empfängt und auf sie wirkt, so lebt die Seele in einer höheren Welt. Und dieses Leben dauert während des Schlafes fort. Tatsächlich ist die Seele während des Schlafes in voller Regsamkeit. Nur kann der Mensch von dieser seiner eigenen Tätigkeit so lange nichts wissen, als er nicht geistige Wahrnehmungsorgane hat, durch welche er während des Schlafes ebensogut beobachten kann, was um ihn herum vorgeht und was er selber treibt, wie er das mit seinen gewöhnlichen Sinnen im Tagesleben für seine physische Umgebung kann. Die Geheimschulung besteht (wie in den vorhergehenden Kapiteln gezeigt worden ist) in der Ausbildung solcher geistigen Sinneswerkzeuge.
Verwandelt sich nun durch die Geheimschulung das Schlafleben des Menschen in dem Sinne, wie es im vorigen [181] Kapitel beschrieben worden ist, so kann er alles, was in diesem Zustande um ihn herum vorgeht, bewußt verfolgen; er kann sich willkürlich in seiner Umgebung zurechtfinden, wie das mit seinen Erlebnissen während des wachen Alltagslebens durch die gewöhnlichen Sinne der Fall ist. Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Wahrnehmung der gewöhnlichen sinnlichen Umgebung schon einen höheren Grad des Hellsehens voraussetzt. (Es ist darauf schon im vorigen Kapitel hingedeutet worden.) Im Beginn der Entwickelung nimmt der Geheimschüler nur Dinge wahr, die einer anderen Welt angehören, ohne deren Zusammenhang mit den Gegenständen seiner alltäglichen sinnlichen Umgebung bemerken zu können.
Was an so charakteristischen Beispielen des Traum- und Schlaflebens anschaulich wird, findet fortwährend beim Menschen statt. Die Seele lebt ohne Unterbrechung in höheren Welten und ist innerhalb der letzteren tätig. Sie schöpft aus diesen höheren Welten heraus die Anregungen, durch welche sie immerwährend auf den physischen Leib wirkt. Nur bleibt für den Menschen dieses sein höheres Leben unbewußt. Der Geheimschüler aber bringt es zum Bewußtsein. Dadurch wird sein Leben überhaupt ein anderes. Solange die Seele nicht im höheren Sinne sehend ist, wird sie von übergeordneten Weltwesen geführt. Und wie das Leben eines Blinden, der durch Operation sehend geworden ist, ein anderes wird, als es vorher war, da er sich auf seine Führerschaft verlassen mußte, so ändert sich das Leben des Menschen durch die Geheimschulung. Er wird der Führerschaft entwachsen und muß fortan seine Leitung selbst übernehmen. Sobald dies eintritt, ist er, wie begreiflich, Irrtümern unterworfen, von [182] denen das gewöhnliche Bewußtsein nichts ahnt Er handelt jetzt aus einer Welt heraus, aus der ihn früher höhere Gewalten, ihm selbst unbewußt, beeinflußten. Diese höheren Gewalten sind durch die allgemeine Weltharmonie geordnet. Aus dieser Weltharmonie tritt der Geheimschüler heraus. Er hat nunmehr selbst Dinge zu tun, die vorher für ihn ohne sein Zutun vollzogen worden sind.
Weil dies letztere der Fall ist, deshalb wird in den Schriften, die von solchen Dingen handeln, viel von den Gefahren gesprochen, welche mit dem Aufstieg in die höheren Welten verbunden sind. Die Schilderungen, die da zuweilen von solchen Gefahren gemacht werden, sind wohl geeignet, ängstliche Gemüter nur mit Schaudern auf dieses höhere Leben blicken zu lassen. Doch muß gesagt werden, daß diese Gefahren nur dann vorhanden sind, wenn die notwendigen Vorsichtsmaßregeln außer acht gelassen werden. Wenn dagegen wirklich alles beachtet wird, was wahre Geheimschulung als Ratschläge an die Hand gibt, dann erfolgt der Aufstieg zwar durch Erlebnisse hindurch, die an Gewalt und Größe alles überragen, was die kühnste Phantasie des Sinnesmenschen sich ausmalen kann; aber von einer Beeinträchtigung der Gesundheit oder des Lebens kann nicht die Rede sein. Der Mensch lernt grausige, das Leben an allen Ecken und Enden bedrohende Gewalten kennen. Es wird ihm möglich, sich selbst gewisser Kräfte und Wesen zu bedienen, welche der sinnlichen Wahrnehmung entzogen sind. Und die Versuchung ist groß, sich dieser Kräfte im Dienste eines eigenen unerlaubten Interesses zu bemächtigen oder aus mangelnder Erkenntnis der höheren Welten in irrtümlicher Weise solche Kräfte zu verwenden. Einige von solchen [183] besonders bedeutsamen Erlebnissen (zum Beispiel die Begegnung mit dem «Hüter der Schwelle») sollen noch in diesen Aufsätzen geschildert werden. - Aber man muß doch bedenken, daß die lebenfeindlichen Mächte auch dann vorhanden sind, wenn man sie nicht kennt. Wahr ist allerdings, daß dann deren Verhältnis zum Menschen von höheren Kräften bestimmt wird und daß dieses Verhältnis sich auch ändert, wenn der Mensch mit Bewußtsein in diese ihm vorher verborgene Welt eintritt. Aber es wird dafür auch sein eigenes Dasein gesteigert, sein Lebenskreis um ein ungeheures Feld bereichert. Eine wirkliche Gefahr liegt nur dann vor, wenn der Geheim-Schüler durch Ungeduld oder Unbescheidenheit sich gegenüber den Erfahrungen der höheren Welt zu früh eine gewisse Selbständigkeit beimißt, wenn er nicht abwarten kann, bis ihm die zureichende Einsicht in die übersinnlichen Gesetze wirklich zuteil wird. Auf diesem Gebiete sind eben Demut und Bescheidenheit noch viel weniger leere Worte als im gewöhnlichen Leben. Sind diese aber dem Schüler im allerbesten Sinne eigen, so kann er sicher sein, daß sich sein Aufstieg ins höhere Leben gefahrlos für alles das vollzieht, was man gewöhnlich Gesundheit und Leben nennt. - Vor allen Dingen darf keine Disharmonie aufkommen zwischen den höheren Erlebnissen und den Vorgängen und Anforderungen des alltäglichen Lebens. Des Menschen Aufgabe ist durchaus auf dieser Erde zu suchen. Und wer den Aufgaben auf dieser Erde sich entziehen und in eine andere Welt flüchten will, der mag sicher sein, daß er sein Ziel nicht erreicht - Aber was die Sinne wahrnehmen, ist nur ein Teil der Welt und im Geistigen liegen die Wesenheiten, welche sich in den Tatsachen [184] der sinnlichen Welt ausdrücken. Man soll teilhaftig werden des Geistes, damit man seine Offenbarungen in die Sinneswelt hineintragen kann. Der Mensch gestaltet die Erde um, indem er ihr einpflanzt, was er von dem Geisterlande her erkundet. Darinnen liegt seine Aufgabe. Nur weil die sinnliche Erde von der geistigen Welt abhängt, weil man wahrhaftig auf der Erde nur wirken kann, wenn man Teilhaber an jenen Welten ist, in denen die schaffen. Den Kräfte verborgen sind, deshalb soll man zu diesen letzteren aufsteigen wollen. Tritt man mit dieser Gesinnung an die Geheimschulung heran und weicht man keinen Augenblick von der dadurch vorgezeichneten Richtung ab, dann hat man nicht die allergeringsten Gefahren zu befürchten. Niemand sollte sich von den in Aussicht stehenden Gefahren von der Geheimschulung abhalten lassen; für einen jeden aber sollte diese Aussicht eine strenge Aufforderung sein, sich durchaus jene Eigenschaften anzueignen, welche der wahre Geheimschüler haben soll.
Nach diesen Voraussetzungen, die wohl alles Schreckhafte beseitigen, soll nun hier an die Schilderung einiger sogenannter «Gefahren» geschritten werden. Große Veränderungen gehen allerdings mit den obengenannten feineren Leibern beim Geheimschüler vor sich. Solche Veränderungen hängen mit gewissen Entwickelungsvorgängen der drei Grundkräfte der Seele, mit Wollen, Fühlen und Denken zusammen. Diese drei Kräfte stehen vor der Geheimschulung des Menschen in einer ganz bestimmten, durch höhere Weltgesetze geregelten Verbindung. Nicht in beliebiger Weise will, fühlt oder denkt der Mensch. Wenn zum Beispiel eine bestimmte Vorstellung im Bewußtsein auftaucht, so schließt sich an sie nach [185] natürlichen Gesetzen ein gewisses Gefühl oder es folgt auf sie ein gesetzmäßig mit ihr zusammenhängender Willensentschluß. Man betritt ein Zimmer, findet es dumpfig und öffnet die Fenster. Man hört seinen Namen rufen und folgt dem Rufe. Man wird gefragt und gibt Antwort. Man sieht ein übelriechendes Ding und bekommt ein Gefühl von Unlust. Das sind einfache Zusammenhänge zwischen Denken, Fühlen und Wollen. ,Wenn man aber das menschliche Leben überschaut, so wird man finden, daß sich alles in diesem Leben auf solche Zusammenhänge aufbaut. Ja, man bezeichnet das Leben eines Menschen nur dann als ein «normales», wenn man in demselben eine solche Verbindung von Denken, Fühlen und Wollen bemerkt, die in den Gesetzen der menschlichen Natur begründet liegt. Man fände es diesen Gesetzen widersprechend, wenn ein Mensch zum Beispiel beim Anblick eines übelriechenden Gegenstandes ein Lustgefühl empfände oder wenn er auf Fragen nicht antwortete. Die Erfolge, die man sich von einer richtigen Erziehung oder einem angemessenen Unterricht verspricht, beruhen darauf, daß man voraussetzt, man könne eine der menschlichen Natur entsprechende Verbindung zwischen Denken, Fühlen und Wollen beim Zögling herstellen. Wenn man diesem gewisse Vorstellungen beibringt, so tut man es in der Annahme, daß sie später mit seinen Gefühlen und Willensentschlüssen in gesetzmäßige Verbindungen eingehen. - Alles das rührt davon her, daß in den feineren Seelenleibern des Menschen die Mittelpunkte der drei Kräfte, des Denkens, Fühlens und Wollens, in einer gesetzmäßigen Art miteinander verbunden sind. Und diese Verbindung in dem feineren Seelenorganismus hat auch ihr Abbild in dem groben [186] physischen Körper. Auch in diesem stehen die Organe des Wollens in einer gewissen gesetzmäßigen Verbindung mit denen des Denkens und Fühlens. Ein bestimmter Gedanke ruft regelmäßig daher ein Gefühl oder eine Willenstätigkeit hervor. - Bei der höheren Entwickelung des Menschen werden nun die Fäden, welche die drei Grundkräfte miteinander verbinden, unterbrochen. Zuerst geschieht diese Unterbrechung nur in dem charakterisierten feineren Seelenorganismus; bei noch höherem Aufstieg aber erstreckt sich die Trennung auch auf den physischen Körper. (Es zerfällt bei der höheren geistigen Entwickelung des Menschen tatsächlich zum Beispiel sein Gehirn in drei voneinander getrennte Glieder. Die Trennung ist allerdings eine solche, daß sie für die gewöhnliche sinnliche Anschauung nicht wahrnehmbar und auch durch die schärfsten sinnlichen Instrumente nicht nachweisbar ist. Aber sie tritt ein, und der Hellseher hat Mittel, sie zu beobachten. Das Gehirn des höheren Hellsehers zerfällt in drei selbständig wirkende Wesenheiten: das Denk-, Fühl- und Willensgehirn.)
Die Organe des Denkens, Fühlens und Wollens stehen sodann ganz frei für sich da. Und ihre Verbindung wird nunmehr durch keine ihnen selbst eingepflanzten Gesetze hergestellt, sondern muß durch das erwachte höhere Bewußtsein des Menschen selbst besorgt werden. - Das ist nämlich die Veränderung, welche der Geheimschüler an sich bemerkt, daß kein Zusammenhang zwischen einer Vorstellung und einem Gefühl oder einem Gefühl und einem Willensentschluß und so weiter sich einstellt, wenn er nicht selbst einen solchen schafft. Kein Antrieb führt ihn von einem Gedanken zu einer Handlung, wenn er [187] diesen Antrieb nicht frei in sich bewirkt. Er kann nunmehr völlig gefühllos vor einer Tatsache stehen, die ihm vor seiner Schulung glühende Liebe oder ärgsten Haß eingeflößt hat; er kann untätig bleiben bei einem Gedanken, der ihn vorher zu einer Handlung wie von selbst begeistert hat. Und er kann Taten verrichten aus Willensentschlüssen heraus, für welche bei einem nicht durch die Geheimschulung hindurchgegangenen Menschen auch nicht die geringste Veranlassung vorliegt. Die große Errungenschaft, welche dem Geheimschüler zuteil wird, ist, daß er die vollkommene Herrschaft erlangt über das Zusammenwirken der drei Seelenkräfte; aber dieses Zusammenwirken wird dafür auch vollständig in seine eigene Verantwortlichkeit gestellt.
Erst durch diese Umwandlung seines Wesens kann der Mensch in bewußte Verbindung treten mit gewissen übersinnlichen Kräften und Wesenheiten. Denn es haben seine eigenen Seelenkräfte zu gewissen Grundkräften der Welt entsprechende Verwandtschaft. Die Kraft zum Beispiel, die im Willen liegt, kann auf bestimmte Dinge und Wesenheiten der höheren Welt wirken und diese auch wahrnehmen. Aber sie kann das erst dann, wenn sie frei geworden ist von ihrer Verbindung mit dem Fühlen und Denken innerhalb der Seele. Sobald diese Verbindung gelöst ist, tritt die Wirkung des Willens nach außen hervor. Und so ist es auch mit den Kräften des Denkens und Fühlens. Wenn mir ein Mensch ein Haßgefühl zusendet, so ist dieses für den Hellseher sichtbar als eine feine Licht-Wolke von bestimmter Färbung. Und ein solcher Hellseher kann dieses Haßgefühl abwehren, wie der Sinnes-Mensch einen physischen Schlag abwehrt, der gegen ihn [188] geführt wird. Der Haß wird in der übersinnlichen Welt eine anschaubare Erscheinung. Aber nur dadurch kann ihn der Hellseher wahrnehmen, daß er die Kraft, die in seinem Gefühle liegt, nach außen zu senden vermag, wie der Sinnesmensch die Empfänglichkeit seines Auges nach außen richtet. Und so wie mit dem Haß ist es mit weit bedeutungsvolleren Tatsachen der sinnlichen Welt. Der Mensch kann mit ihnen in bewußten Verkehr treten durch die Freilegung der Grundkräfte seiner Seele.
Durch die geschilderte Trennung der Kräfte des Denkens, Fühlens und Wollens ist nun, bei Außerachtlassung der geheimwissenschaftlichen Vorschriften, eine dreifache Verirrung auf dem Entwickelungsgange des Menschen möglich. Eine solche kann eintreten, wenn die Verbindungsbahnen zerstört werden, bevor das höhere Bewußtsein mit seiner Erkenntnis so weit ist, daß es die Zügel, die ein freies harmonisches Zusammenwirken der getrennten Kräfte herstellen, ordentlich zu führen vermag. - Denn in der Regel sind nicht alle drei Grundkräfte des Menschen in einem bestimmten Lebensabschnitt gleich weit in ihrer Entwickelung vorgeschritten. Bei dem einen Menschen ist das Denken dem Fühlen und Wollen vorangeschritten, bei einem zweiten hat eine andere Kraft die Oberhand über ihre Genossen. Solange nun der durch die höheren Weltgesetze hergestellte Zusammenhang der Kräfte aufrechterhalten bleibt, kann durch das Hervorstechen der einen oder der anderen keine im höheren Sinne störende Unregelmäßigkeit eintreten. Beim Willensmenschen zum Beispiel wirken Denken und Gefühl durch jene Gesetze doch ausgleichend, und sie verhindern, daß der überwiegende Wille in besondere Ausartungen [189] verfällt. Tritt ein solcher Willensmensch aber in die Geheimschulung ein, so hört der gesetzmäßige Einfluß von Gefühl und Gedanke auf den zu ungeheuren Kraftleistungen unausgesetzt drängenden Willen vollständig auf. Ist dann der Mensch in der vollkommenen Beherrschung des höheren Bewußtseins nicht so weit, daß er selbst die Harmonie hervorrufen kann, so geht der Wille seine eigenen zügellosen Wege. Er überwältigt fortwährend seinen Träger. Gefühl und Denken fallen einer vollkommenen Machtlosigkeit anheim; der Mensch wird durch die ihn sklavisch beherrschende Willensmacht gepeitscht. Eine Gewaltnatur, die von einer zügellosen Handlung zur anderen schreitet, ist entstanden. - Ein zweiter Abweg entsteht, wenn das Gefühl in einer maßlosen Art sich von den gesetzmäßigen Zügeln befreit. Eine zur Verehrung anderer Menschen neigende Person kann sich dann in grenzenlose Abhängigkeit bis zum Verluste jedes eigenen Willens und Gedankens begeben. Statt höherer Erkenntnis ist dann die erbarmungswürdigste Aushöhlung und Kraftlosigkeit das Los einer solchen Persönlichkeit. - Oder es kann bei solch überwiegendem Gefühlsleben eine zu Frömmigkeit und religiöser Erhebung neigende Natur in eine sie ganz hinreißende Religionsschwelgerei verfallen. - Das dritte Übel bildet sich, wenn das Denken überwiegt. Dann tritt eine lebensfeindliche, in sich verschlossene Beschaulichkeit auf. Für solche Menschen scheint dann die Welt nur mehr insoweit Bedeutung zu haben, als sie ihnen Gegenstände liefert zur Befriedigung ihrer ins Grenzenlose gesteigerten Weisheitsgier. Sie werden durch keinen Gedanken zu einer Handlung oder einem Gefühl angeregt. Sie treten überall als teilnahmslose, kalte Naturen [190] auf. Jede Berührung mit Dingen der alltäglichen Wirklichkeit fliehen sie wie etwas, das ihnen Ekel erregt oder das wenigstens für sie alle Bedeutung verloren hat.
Das sind die drei Irrpfade, auf welche der Geheimschüler geraten kann: das Gewaltmenschentum, die Gefühlsschwelgerei, das kalte, lieblose Weisheitsstreben. Für eine äußerliche Betrachtungsweise - auch für die materialistische der Schulmedizin - unterscheidet sich das Bild eines solchen auf Abwegen befindlichen Menschen, vor allen Dingen dem Grade nach, nicht viel von demjenigen eines Irrsinnigen oder wenigstens einer schwer «nervenkranken Person». Ihnen darf natürlich der Geheimschüler nicht gleichen. Es kommt bei ihm darauf an, daß Denken, Fühlen, Wollen, die drei Grundkräfte der Seele, eine harmonische Entwickelung durchgemacht haben, bevor sie aus der ihnen eingepflanzten Verbindung gelöst und dem erwachten höheren Bewußtsein unterstellt werden können. - Denn ist einmal der Fehler geschehen, ist eine Grundkraft der Zügellosigkeit anheimgefallen, so tritt die höhere Seele zunächst als eine Fehlgeburt zutage. Die ungebändigte Kraft füllt dann die ganze Persönlichkeit des Menschen aus; und für lange ist nicht daran zu denken, daß alles wieder ins Gleichgewicht kommt. Was als eine harmlose Charakterveranlagung erscheint, solange der Mensch ohne Geheimschulung ist, nämlich ob er eine Willens-, Gefühls- oder Denkernatur ist, das steigert sich beim Geheimschüler so, daß sich das zum Leben notwendige Allgemeinmenschliche demgegenüber ganz verliert. - Zu einer wirklich ernsten Gefahr wird das allerdings erst in dem Augenblicke, in welchem der Schüler die Fähigkeit erlangt, Erlebnisse wie im Schlafbewußtsein [191] so auch im wachen Zustande vor sich zu haben. Solange es bei der bloßen Erhellung der Schlafpausen verbleibt, wirkt während des Wachzustandes das von den allgemeinen Weltgesetzen geregelte Sinnesleben immer wieder ausgleichend auf das gestörte Gleichgewicht der Seele zurück. Deshalb ist es so notwendig, daß das Wachleben des Geheimschülers in jeder Richtung ein regelmäßiges, gesundes sei. Je mehr er den Anforderungen entspricht, welche die äußere Welt an eine gesunde, kräftige Gestaltung von Leib, Seele und Geist stellt, desto besser ist es für ihn. Schlimm dagegen kann es für ihn werden, wenn das alltägliche Wachleben aufregend oder aufreibend auf ihn wirkt, wenn also zu den größeren Veränderungen, die in seinem Innern vorgehen, irgendwelche zerstörende oder hemmende Einflüsse des äußeren Lebens hinzutreten. Er soll alles aufsuchen, was seinen Kräften entsprechend ist und was ihn in ein ungestörtes, harmonisches Zusammenleben mit seiner Umgebung hineinbringt. Und er soll alles vermeiden, was dieser Harmonie Eintrag tut, was Unruhe und Hast in sein Leben bringt. Dabei kommt es weniger darauf an, diese Unruhe und Hast sich in einem äußerlichen Sinne abzuwälzen, als vielmehr darauf, zu sorgen, daß die Stimmung, die Absichten und Gedanken und die Gesundheit des Leibes darunter nicht fortwährenden Schwankungen ausgesetzt werden. - All das fällt dem Menschen während seiner Geheimschulung nicht so leicht wie vorher. Denn die höheren Erlebnisse, die nunmehr in sein Leben hineinspielen, wirken ununterbrochen auf sein ganzes Dasein. Ist innerhalb dieser höheren Erlebnisse etwas nicht in Ordnung, so lauert die Unregelmäßigkeit unausgesetzt und kann ihn bei jeder Gelegenheit [192] aus den geordneten Bahnen herauswerfen. Deshalb darf der Geheimschüler nichts unterlassen, was ihm stets die Herrschaft über sein ganzes Wesen sichert. Nie sollte ihm Geistesgegenwart oder ein ruhiges Überblicken aller in Betracht kommenden Situationen des Lebens mangeln. Aber eine echte Geheimschulung erzeugt im Grunde alle diese Eigenschaften durch sich selbst. Und man lernt während einer solchen die Gefahren nur kennen, indem man zugleich in den richtigen Augenblicken die volle Macht erlangt, sie aus dem Felde zu schlagen.