Schlafentzug

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Schlafentzug ist der willentlich oder unwillentlich herbeigeführte Entzug von Schlaf.

Schlafentzug wird in der Psychiatrie als Schlafentzugsbehandlung oder Wachtherapie als Behandlungsverfahren bei Depressionen eingesetzt. Darüber hinaus ist der erzwungene Schlafentzug als eine Foltermethode bekannt.

Der Weltrekord im Schlafentzug wurde 2007 vom Briten Tony Wright aufgestellt,[1] der 266 Stunden (knapp über elf Tage) wach blieb. Damit hat er den Rekord von Randy Gardner gebrochen, der 264 Stunden ohne Schlaf verbrachte.[1] Allerdings ging es Wright nicht wie dem Amerikaner Gardner um einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, sondern er wollte zeigen, dass ein Mensch trotz Schlafentzugs mit der richtigen Ernährung leistungsfähig bleiben kann.

Schlafentzug bei Ratten führte in einem Experiment bei einem Teil der Ratten innerhalb von sieben Tagen zum Tod.[2]

Bei Menschen führt Schlafentzug über einen längeren Zeitraum zu einer Häufung von Sekundenschlaf.

Schlafentzug als Therapieform

Bei Menschen mit Depressionen wird manchmal Schlafentzug als Therapie eingesetzt. Man unterscheidet einen partiellen (teilweisen) Schlafentzug, bei dem nur in der zweiten Nachthälfte nicht geschlafen wird, von einem vollständigen Schlafentzug. Nach einem Schlafentzug kommt es in etwa der Hälfte der Fälle zu einer messbaren Verbesserung der Stimmung am Folgetag. Um den Effekt des Schlafentzugs über einige Tage zu erhalten, kann auf den Schlafentzug eine Schlafphasenvorverlagerung folgen.[3] Pionier des klinischen Einsatzes in Deutschland war Heinroth, Inhaber des weltweit ersten Psychiatrie-Lehrstuhls (1811), dessen Ansichten jedoch in Vergessenheit gerieten.[4]

Wachtherapie mit Schlafphasenvorverlagerung zählt zu den Standardbehandlungsmethoden in der stationären Depressionsbehandlung und wird zusätzlich zur medikamentösen und psychotherapeutischen Behandlung angewandt. Oft geht eine Wachtherapie auch mit einer gleichzeitigen Lichttherapie einher, welche zusätzlich den circadianen Rhythmus beeinflusst.

Der Schlafentzug wirkt ausgleichend auf die Neurotransmitterungleichgewichte im Gehirn (beispielsweise Acetylcholin und Serotonin) und wirkt am besten bei Depressionen, die tageszeitabhängig unterschiedlich stark auftreten (diese sind oft morgens nach dem Aufwachen stärker, dagegen schwächer am Abend, „Abendhoch“).

Schlafentzug als Folter

Dauerhafter Schlafmangel führt zu körperlichen Beschwerden (beispielsweise erhöhte Infektanfälligkeit, Kopfschmerzen) und zu psychischen Problemen (beispielsweise Denkstörungen, Müdigkeit, Halluzinationen, Reizbarkeit). Dauerhafter methodischer Schlafentzug wird daher auch als Methode der Folter unter anderem dazu eingesetzt, um klares Denken des Opfers zu unterbinden und um den Willen sowie die Widerstandskraft des Opfers zu brechen und so beispielsweise Aussagen zu erpressen.

Schlafentzug war beispielsweise in der Sowjetunion oder der DDR eine gängige Praxis bei den Verhören von Verdächtigen, die teilweise wie am Fließband von verschiedenen Personen abwechselnd befragt wurden (diese Folter wird auch in Solschenizyns Archipel Gulag geschildert). Kombiniert mit Einschüchterungen, Drohungen, Entzug von Nahrung und Wasser sowie qualvollen Körperhaltungen war es ein weit verbreitetes Druckmittel.

In dem von den USA in Guantánamo betriebenen Gefangenenlager wurde häufig versucht, Häftlinge durch Schlafentzug bei Verhören zur Kooperation zu bewegen. Es kamen verschiedene Methoden zum Einsatz:[5][6]

  • Verändern der Wach- und Schlafzeiten, z. B. Verlegung der Schlafzeit auf den Tag
  • Verkürzung der Schlafzeit auf 4 bis 6 Stunden pro Tag über einen mehrwöchigen Zeitraum
  • Zellenverlegungen alle paar Stunden, Tag und Nacht über ein bis zwei Wochen (frequent flyer program genannt)

Schlafentzug wird auch heute noch oft als Foltermethode angewandt – unter anderem, weil er keine nachweisbaren körperlichen Spuren beim Opfer hinterlässt und auch psychische Schäden als Folgeschäden schwer nachweisbar sind (sogenannte Weiße Folter).

Schlafentzug zu militärischen Übungszwecken

Beim Militär werden die Ruhephasen der Soldaten während mancher Übungen absichtlich verkürzt oder vorübergehend ganz ausgesetzt, um die Soldaten einem (gemäßigten) Schlafentzug auszusetzen. Dies dient weniger der Gewöhnung (da man sich kaum an Schlafentzug gewöhnen kann) als vielmehr der Situationserfahrung: Die eintretende Erschöpfung und Apathie macht den Menschen unfähig zu gewohnten Leistungen, so dass die Soldaten nur durch große Selbstdisziplin und Gruppenzusammenhalt noch ihre Aufgaben erfüllen können. Der geplante Schlafentzug wird dem Soldaten nicht mitgeteilt oder direkt befohlen, sondern ergibt sich meist aus simulierten Ereignissen bei einer Übung.

In Deutschland ist in der Grundausbildung eine verkürzte Schlafzeit von ca. 6 Stunden die Regel. Die Schlafzeit auf Wache und im UvD-Dienst (ca. 4 Stunden) ist hingegen nicht Selbstzweck, sondern ergibt sich aus den Erfordernissen des Wachdienstes (ein Soldat schläft, einer hält Wache).

Schlafentzug zu Zwecken der Bestrafung ist verboten und wird als Misshandlung Untergebener geahndet.

Physiologische und psychologische Auswirkungen des Schlafentzugs

Schlafentzug beeinflusst verschiedene Körperfunktionen und auch die mentale Leistungsfähigkeit der Betroffenen.

Mentale Fähigkeiten:

  • Halluzinationen[7]
  • Reizbarkeit[8]
  • Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit[9]
  • Gedächtnislücken oder -verlust[10]
  • Symptome ähnlich wie:
    • Psychose[11]
    • ADHS[8]
    • Betrunkenheit (im Sinne von Einschränkung der höheren Hirnfunktionen (rechnen, artikulieren), „nuscheln“, etc.; aber auch Verlust bzw. Einschränkung des Gleichgewichtssinns (nach Schlafentzug weist die Fähigkeit, beispielsweise einen Hindernisparcour zu überwinden, ähnliche Defizite auf wie nach dem Genuss alkoholischer Getränke))

Immunsystem:

Bauchspeicheldrüse:

  • Risiko für Typ-2-Diabetes (auch als Altersdiabetes bekannt)[12]

Herz:

Muskulatur:

  • Erhöhung der Reaktionszeit und Verminderung der Reaktionsgenauigkeit[14]
  • Tremor[15]
  • Muskelschmerzen[16]

Äußeres Erscheinungsbild:

Siehe auch

Weblinks

 Wiktionary: Schlafentzug – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. 1,0 1,1 Simone Kaiser: Schlaflos in Cornwell. Der Wachhalterekord des Tony Wright. In: SPIEGEL Online. 10. November 2009, abgerufen am 3. Januar 2017.
  2.  Guidelines for the Care and Use of Mammals in Neuroscience and Behavioral Research. The National Academies Press, 2003, ISBN 978-0-309-08903-6, S. 121 (nap.edu).
  3.  A. Wirz-Justice, R. H. Van den Hoofdakker: Sleep deprivation in Depression. What do we know, where do we go?. In: Biological psychiatry. 46, Nr. 4, 1999, ISSN 0006-3223, S. 445–453, PMID 10459393 (Review).
  4.  Torsten Ulf Brückner: Schlafentzug und motorische Aktivität bei depressiven Patienten. Technischen Universität München, 24. Oktober 2006 (Dissertation, DNB).
  5. A Review of the FBI’s Involvement in and Observations of Detainee Interrogations in Guantanamo Bay, Afghanistan, and Iraq (PDF; 6,4 MB) S. 182 ff. FBI. Abgerufen am 11. Februar 2011.
  6. Army Regulation 15-6: Final Report (PDF; 86 kB) S. 17 f. U.S. Department of Defense. Abgerufen am 11. Februar 2011.
  7. National Institute of Neurological Disorders and Stroke -- Brain Basics: Understanding Sleep
  8. 8,0 8,1 8,2 Sleep Deprivation (Januar 2009). Abgerufen am 1. August 2009.
  9. 9,0 9,1 9,2 9,3 M Suzanne Stevens (29. Oktober 2008). Normal Sleep, Sleep Physiology, and Sleep Deprivation. Department of Neurology, Medical and Laboratory Director of Sleep Medicine Clinic, University of Kansas. Abgerufen am 2. August 2009.
  10. Teachers of Psychology in Secondary Schools. apa.org
  11. Nadine Petrovsky et al.: Sleep deprivation disrupts prepulse inhibition and induces psychosis-like symptoms in healthy humans. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.0904-14.2014; 2014 (Abstract)
  12. D. J. Gottlieb, N. M. Punjabi, A. B. Newman, H. E. Resnick, S. Redline, C. M. Baldwin, F. J. Nieto: Association of sleep time with diabetes mellitus and impaired glucose tolerance. In: Archives of internal medicine. Band 165, Nummer 8, April 2005, ISSN 0003-9926, S. 863–867, doi:10.1001/archinte.165.8.863, PMID 15851636.
  13. Sleep, Less and More, Linked to Heart Disease. By Jeanie Lerche Davis.
  14. A M Williamson, Anne-Marie Feyer (15. Juni 2000). Moderate sleep deprivation produces impairments in cognitive and motor performance equivalent to legally prescribed levels of alcohol intoxication. Abgerufen am 2. August 2009. doi:10.1136/oem.57.10.649
  15.  Andrew P. Smith: Handbook of Human Performance. S. 240.
  16.  Charles M. Morin: Insomnia. S. 28.
  17. Alexandros N. Vgontzas, George Mastorakos, Edward O. Bixler, Anthony Kales, Philip W. Gold, George P. Chrousos: Sleep deprivation effects on the activity of the hypothalamic-pituitary-adrenal and growth axes: potential clinical implications. In: Clinical Endocrinology, Volume 51, Issue 2, August 1999, S. 205
  18. The association between short sleep duration and obesity in young adults: a 13-year prospective study. In: Sleep, 15. Juni 2004, 27(4), S. 661–666, PMID 15283000
  19. Inadequate sleep as a risk factor for obesity: analyses of the NHANES I. 1. Oktober 2005, 28(10), S. 1289–1296, PMID 16295214


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