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Jürgen Habermas
Jürgen Habermas (* 18. Juni 1929 in Düsseldorf) ist einer der weltweit meistrezipierten Philosophen und Soziologen der Gegenwart. In der philosophischen Fachwelt wurde er bekannt durch Arbeiten zur Sozialphilosophie mit diskurs-, handlungs- und rationalitätstheoretischen Beiträgen, mit denen er die Kritische Theorie auf einer neuen Basis weiterführte. Für Habermas bilden kommunikative Interaktionen, in denen rationale Geltungsgründe erhoben und anerkannt werden, die Grundlage der Gesellschaft.
Überblick
Habermas ist der bekannteste Vertreter der nachfolgenden Generation der Kritischen Theorie. Vom hegelianisch-marxistischen Ursprung der Frankfurter Schule hat er sich durch die Rezeption und Integration eines breiten Spektrums neuerer Theorien gelöst. Nicht zuletzt durch regelmäßige Lehrtätigkeiten an ausländischen Universitäten, vor allem in den USA, sowie aufgrund von Übersetzungen seiner wichtigsten Arbeiten werden seine Theorien weltweit diskutiert.
Wegen der Vielfalt seiner philosophischen und sozialwissenschaftlichen Aktivitäten gilt Habermas als ein produktiver und engagierter Intellektueller.[1] Er verband den historischen Materialismus von Marx mit dem amerikanischen Pragmatismus, der Entwicklungstheorie von Piaget und Kohlberg und der Psychoanalyse von Freud. Zudem beeinflusste er maßgeblich die deutschen Sozialwissenschaften, die Moral- und Sozialphilosophie. Meilensteine waren vor allem seine Theorie des kommunikativen Handelns und, wiederholt inspiriert durch die diskurstheoretische Auseinandersetzung mit Karl-Otto Apel, seine Diskurstheorie der Moral und des Rechts.
Als übergeordnetes Motiv seines multidisziplinären Werks gilt ihm „die Versöhnung der mit sich selber zerfallenden Moderne“.[2] Dazu verfolgt er die Strategie, anders als Apel generell auf Letztbegründungen zu verzichten und „die universalistischen Fragestellungen der Transzendentalphilosophie, bei gleichzeitiger Detranszendentalisierung des Vorgehens und der Beweisziele, aufzunehmen“.[3] Habermas war an allen großen theoretischen Debatten der Bundesrepublik beteiligt und bezog zu gesellschaftspolitischen Kontroversen, wie Historikerstreit, Bioethik, deutsche Vereinigung, Europäische Verfassung und Irak-Krieg, mit dem Engagement eines „öffentlichen Intellektuellen“[4] prononciert Stellung.
Obwohl er sich selbst als "religiös unmusikalisch" bezeichnete, vertritt Habermas in der Gentechnikdebatte eine Position, die sich explizit auf die religiös notwendige Bewahrung der Schöpfung beruft.
"Dass der Menschen-Gott, der die Liebe ist, in Adam und Eva freie Wesen schafft, die ihm gleichen, muss man nicht glauben, um zu verstehen, was mit Ebenbildlichkeit gemeint ist. Liebe kann es ohne Erkenntnis in einem anderen, Freiheit ohne gegenseitige Anerkennung nicht geben. Dieses Gegenüber in Menschgestalt muss einerseits frei sein, um die Zuwendung Gottes erwidern zu können. Trotz seiner Ebenbildlichkeit wird freilich auch dieser Andere als Geschöpf Gottes vorgestellt. Hinsichtlich seiner Herkunft kann er Gott nicht ebenbürtig sein. Diese Geschöpflichkeit des Ebenbildes drückt eine Intuition aus, die in unserem Zusammenhang auch dem religiös Unmusikalischen etwas sagen kann. Hegel hatte ein Gespür für den Unterschied zwischen göttlicher 'Schöpfung' und dem bloßen 'Hervorgehen' aus Gott. Gott bleibt nur solange ein "Gott freier Menschen", wie wir die absolute Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf nicht einebenen. Nur so lange bedeutet nämlich die göttliche Formgebung keine Determinierung, die der Selbstbestimmung des Menschen in den Arm fällt."[5]
Einzelnachweise
- ↑ Laut Michael Funken ist er „der meistzitierte deutsche Philosoph der Gegenwart, und zwar mit Abstand“ und Ralf Dahrendorf sieht in ihm „den bedeutendsten Intellektuellen meiner Generation“. In: Michael Funken (Hrsg.): Über Habermas. Gespräche mit Zeitgenossen, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008, S. 7 und 124.
- ↑ Habermas: Die neue Unübersichtlichkeit, S. 202.
- ↑ Habermas: Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, S. 505 f.
- ↑ Stefan Müller-Doohm: Jürgen Habermas, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 130.
- ↑ Jürgen Habermas "Dank", In: Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001 Jürgen Habermas, ISBN 3-7657-2447-5, S. 54
Werke
- Das Absolute und die Geschichte. Von der Zwiespältigkeit in Schellings Denken (Dissertation), Bonn 1954. ASIN B0000BIXRS.
- Student und Politik. Eine soziologische Untersuchung zum politischen Bewußtsein Frankfurter Studenten (zus. mit L. v. Friedeburg, Ch. Oehler und F. Weltz), Luchterhand, Neuwied 1961. ASIN B0000BODJX.
- Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Habilitationsschrift). Luchterhand, Neuwied 1962. (Neuauflage: Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, ISBN 3-518-28491-6.)
- Theorie und Praxis. Sozialphilosophische Studien, Neuwied 1963, ISBN 978-3-518-27843-7. (Neuauflage: Suhrkamp Taschenbuch 9, Frankfurt am Main 1971, ISBN 3-518-06509-2.)
- Erkenntnis und Interesse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1968. (Mit einem neuen Nachwort, 1994, ISBN 3-518-06731-1.)
- Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt am Main 1968, ISBN 3-518-10287-7.
- Protestbewegung und Hochschulreform, Frankfurt am Main 1969. Broschiert in 2008: ISBN 978-3-518-41984-7.
- Zur Logik der Sozialwissenschaften, [zuerst Beiheft 5 der Philosophischen Rundschau, Tübingen 1967] Frankfurt am Main 1970 (5., erw. Aufl. 1982, ISBN 3-518-28117-8.)
- Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? (zus. mit Niklas Luhmann), Frankfurt am Main 1971, ISBN 978-3-518-06358-3.
- Philosophisch-politische Profile, Frankfurt am Main 1971. (erw. 1991, ISBN 978-3-518-28259-5.)
- Kultur und Kritik. Verstreute Aufsätze, Frankfurt am Main 1973, ISBN 978-3-518-36625-7.
- Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus, Frankfurt am Main 1973, ISBN 3-518-10623-6.
- Zur Rekonstruktion des Historischen Materialismus, Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-27754-5.
- Politik, Kunst, Religion. Essays über zeitgenössische Philosophen. Stuttgart 1978, ISBN 3-15-009902-1.
- Theorie des kommunikativen Handelns (Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung; Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft), Frankfurt am Main 1981, ISBN 3-518-28775-3.
- Kleine politische Schriften I–IV, Frankfurt am Main 1981, ISBN 978-3-518-56560-5 2001: ISBN 978-3-518-06561-7.
- Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln, Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-518-28022-8.
- Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns, Frankfurt am Main 1984, ISBN 978-3-518-28776-7.
- Die neue Unübersichtlichkeit. Kleine Politische Schriften V, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-11321-6.
- Der philosophische Diskurs der Moderne, Frankfurt am Main 1985, ISBN 3-518-57722-0.
- Eine Art Schadensabwicklung. Kleine Politische Schriften VI, Frankfurt am Main 1987, ISBN 978-3-518-11453-7.
- Nachmetaphysisches Denken. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 1988, ISBN 978-3-518-28604-3.
- Die nachholende Revolution. Kleine politische Schriften VII, Frankfurt am Main 1990, ISBN 978-3-518-11633-3.
- Die Moderne – Ein unvollendetes Projekt. Philosophisch-politische Aufsätze, Leipzig 1990, ISBN 978-3-379-00658-3.
- Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991, ISBN 978-3-518-28575-6.
- Texte und Kontexte, Frankfurt am Main 1991, ISBN 978-3-518-28544-2.
- Vergangenheit als Zukunft? Das alte Deutschland im neuen Europa? Ein Gespräch mit Michael Haller, Zürich 1991, ISBN 978-3-85842-251-4.
- Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-28961-6.
- Die Normalität einer Berliner Republik. Kleine Politische Schriften VIII,Frankfurt am Main 1995, ISBN 978-3-518-11967-9.
- Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt am Main 1996, ISBN 3-518-29044-4.
- Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck. Philosophische Essays, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-22233-3.
- Die postnationale Konstellation. Politische Essays, Frankfurt am Main 1998, ISBN 978-3-518-12095-8.
- Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 1999, ISBN 978-3-518-29323-2.
- Zeit der Übergänge. Kleine Politische Schriften IX, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-518-12262-4.
- Die Zukunft der menschlichen Natur. Auf dem Weg zu einer liberalen Eugenik?, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-518-29344-7.
- Kommunikatives Handeln und detranszendentalisierte Vernunft, Reclam Verlag, Stuttgart 2001, ISBN 3-15-018164-X.
- Der gespaltene Westen. Kleine politische Schriften X, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-518-12383-1.
- Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-58447-2.
- Ach, Europa. Kleine politische Schriften XI. Frankfurt am Main 2008, ISBN 3-518-12551-6.
- Philosophische Texte, 5 Bände, Studienausgabe, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-518-58515-3. Inhaltsverzeichnis
- Zur Verfassung Europas. Ein Essay. Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-06214-2.
- Nachmetaphysisches Denken II. Aufsätze und Repliken. Suhrkamp, Berlin 2012. ISBN 978-3-518-58581-8.
Weblinks
Ludwig Sieb über Habermas' rechtsstaatliche Wende mit seinem Werk Faktizität und Geltung (1992):[1] in: Der Spiegel Nr 43, 1992
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