Pluralismus und Atomismus: Unterschied zwischen den Seiten

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Der '''Pluralismus''' als [[Philosophie|philosophisches]] System führt die gesamte [[Wirklichkeit]] auf eine Vielzahl gesonderter, selbstständig bestehender Einheiten zurück, die je nach Standpunkt [[spirituell]] ([[Monadismus]]) oder [[materiell]] ([[Atomismus]]) gedacht werden.
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Das Problem ist damit allerdings nur sehr abstrakt umrissen. Tatsächlich hat die gesamte [[Erscheinung]]swelt, die sich der inneren ([[Seele|seelischen]]) und äußeren ([[sinnlich]]en) [[Wahrnehmung]] darbietet, unvermeidlich einen pluralistischen Charakter. Die durch die verschiedenen [[Sinne]] vermittelten [[Sinnesqualitäten]] lassen sich grundsätzlich nicht aufeinander zurückführen. [[Farben]] lassen sich ebenso wenig aus [[Bewegung]]svorgängen ableiten, wie aus [[Geruch|Gerüchen]] oder [[Klang]]erlebnissen, und [[Gedanke]]n, [[Gefühl]]e und [[Wille]]nsimpulse nicht aus [[Neurophysiologie|neurophysiologischen]] [[Gehirn]]prozessen.
 
So sind etwa [[Elektromagnetische Welle|elektromagnetischen Wellen]], die vom [[Auge]] aufgefangen und durch die Sehnerven mittels elektrochemischer Vorgänge an das [[Gehirn]] weitervermittelt werden, dazu notwendig, dass die sinnliche Wahrnehmung der Farben überhaupt zustande kommt. Mit dem ''Inhalt'' dieser Wahrnehmung, also mit den erlebten ''[[Qualia]]'', haben sie aber ganz und gar nichts zu tun, sie sind nur deren Vermittler.
 
{{GZ|Unberechtigt dagegen ist die Hypothese, daß alle Empfindungs''qualitäten'' nur
quantitativen Vorgängen ihre Entstehung verdanken, weil qualitätslose
Vorgänge nicht wahrgenommen werden können.|30|64}}
 
Farben lassen sich daher grundsätzlich nicht auf Wellenbewegungen [[Reduktionismus|reduzieren]]. Beide gehören völlig unterschiedlichen Erscheinungsbereichen an, zwischen denen keine [[kausal]]e, sehr wohl aber eine [[idee]]lle, durch das [[Denken]] einsehbare, [[begriff]]lich erfassbare Verbindung besteht. Der Fehler entsteht, weil man die Erscheinungen [[an sich]] schon als fertige [[Wirklichkeit]] ansieht, was aber nicht der Fall ist. Erscheinungen können daher prinzipiell nicht aufeinander einwirken. Erst durch den entsprechenden Begriff wird die wahrgenommene Erscheinung zur Wirklichkeit erhoben.
 
{{GZ|Erst im Begriffe also bekommt die Welt ihren vollen Inhalt. Nun
haben wir aber gefunden, dass uns der Begriff über die einzelne
Erscheinung hinaus auf den Zusammenhang der Dinge verweist.
Somit stellt sich das, was in der Sinnenwelt getrennt, vereinzelt
auftritt, für den Begriff als ''einheitliches'' Ganzes dar. So entsteht
durch unsere naturwissenschaftliche Methodik als Endziel die
''monistische Naturwissenschaft''; aber sie ist nicht abstrakter
Monismus, der die Einheit schon vorausnimmt, und dann die
einzelnen Tatsachen des ''konkreten'' Daseins in gezwungener
Weise darunter subsummiert, sondern der konkrete Monismus,
der Stück für Stück zeigt, dass die scheinbare Mannigfaltigkeit
des Sinnendaseins sich zuletzt nur als eine ideelle Einheit
erweist. Die Vielheit ist nur eine Form, in der sich der
einheitliche Weltinhalt ausspricht. Die Sinne, die nicht in der
Lage sind, diesen einheitlichen Inhalt zu erfassen, halten sich an
die Vielheit; sie sind geborene Pluralisten. Das Denken aber
überwindet die Vielheit und kommt so durch eine lange Arbeit
auf das einheitliche Weltprinzip zurück.|1|282|277}}
 
Auch das in der [[Philosophie des Geistes]] seit langem heftig diskutierte [[Leib-Seele-Problem]] ist aus denselben Gründen ein Scheinproblem. Das einigende Band zwischen den unterschiedlichsten Erscheinungen - also auch zwischen [[Gehirn]] und [[Psyche]] - kann nur durch das [[Denken]] gezogen werden, bzw. durch den [[Geist]], der das Denken tätig hervorbringt und dadurch den gesetzmäßigen Zusammenhang der verschiedenen Erscheinungen offenbaren kann.
 
Dem Pluralismus der Erscheinungswelt steht damit ein geistiger [[Monismus]] gegenüber, der auch die Grundlage der [[Anthroposophie|anthroposophischen Geisteswissenschaft]] bildet.
 
{{GZ|Der Monismus kommt gar nicht in die Lage, außer Wahrnehmung
und Begriff nach anderen Erklärungsprinzipien
der Wirklichkeit zu fragen. Er weiß, daß sich im ganzen Bereiche der Wirklichkeit ''kein Anlaß'' dazu findet. Er sieht in
der Wahrnehmungswelt, wie sie unmittelbar dem Wahrnehmen
vorliegt, ein halbes Wirkliches; in der Vereinigung
derselben mit der Begriffswelt findet er die volle Wirklichkeit.|4|124f}}
 
[[Peter Heusser]] erläutert dazu weiter:
 
{{LZ|Sucht man Wirklichkeit nicht nur im Wahrgenommenen, Erscheinenden,
sondern anerkennt man im Sinne des ontologischen Universalienrealismus
auch dessen Gesetzmäßigkeit als zu seiner Wirklichkeit dazugehörig,
dann erscheint Monismus unter Beibehaltung der seinsmäßigen Verschiedenheit
der Erschemungswelt erreichbar. Denn das Gemeinsame (monistische)
der verschiedenen (dualistischen) Erscheinungen muss dann nicht mehr auf
der Erscheinungsseite erzwungen werden - was unmöglich ist-, sondern liegt
auf der Gesetzesseite des Erkannten erfahrbar vor: Die Gesetze der psychischen
und physischen Erscheinungen haben zwar ihren je verschiedenen, spezifischen
Inhalt. Aber ihrer Form nach sind alle in derselben Weise Gesetze,
bestehen also gewissermaßen aus derselben «Substanz». Diese ist reiner Geist,
um mit Hegel zu sprechen.|Heusser, S. 191}}
 
Um dem Pluralismus der Erscheinungswelt gerecht zu werden, bedarf es auch einer Vielfalt von [[Anschauung]]sweisen. [[Rudolf Steiner]] spricht in diesem Zusammenhang von zwölf grundlegenden [[Weltanschauung]]en, die nicht nur gleichermaßen berechtigt, sondern auch unverzichtbar sind, um sich durch ihren Zusammenklang ein vollinhaltliches Bild von der Welt zu machen, das sich nur einer ''multiperspektivischen'' Betrachtungsweise eröffnet. Schädlich ist es nur, wenn eine einzelne Weltanschauung die alleinige Deutungsherrschaft beansprucht.
 
{{LZ|Das gesamte Sein ist also seiner ''Erscheinung'' nach - nicht dualistisch, sondern ''multiperspektivisch'', seiner ''gesetzmäßigen Essenz'' nach ''monistisch''.|Heusser, S. 191}}
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Pluralismus (Philosophie)}}
* {{Eisler|Pluralismus}}
 
== Literatur ==
 
* Marek B. Majorek: ''Rudolf Steiners Geisteswissenschaft: Mythisches Denken oder Wissenschaft?'', 2 Bände, Verlag Narr Francke Attempto, Tübingen 2015, ISBN 978-3772085635, eBook: ASIN B0714F4N5R
*[[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
* [[Rudolf Steiner]]: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0 {{Schriften|001}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4 {{Schriften|004}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/download/philosophie_pluralismus.pdf Gemäßigter Pluralismus - Der aufgeklärte Liberalismus in gemäßigter Form] PDF
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Philosophische Grundposition|201]]
[[Kategorie:Philosophie des Geistes]]
[[Kategorie:Weltanschauung]]
[[Kategorie:Pluralismus|!]]
[[Kategorie:Philosophie]]
[[Kategorie:Ontologie]]

Version vom 21. Mai 2011, 17:18 Uhr

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