regulae philosophandi

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Isaac Newton, Porträt von Godfrey Kneller, London 1702, National Portrait Gallery
Newtons Philosophiae Naturalis Principia Mathematica

Die regulae philosophandi (lat. „philosophische Regeln“; Ez. regula philosophandi) wurden von Isaak Newton in seinem Hauptwerk «Philosophiae Naturalis Principia Mathematica» (1687) formuliert. Diese Regeln zur Erforschung der Natur dienten ihm als Leitgedanken, um die irdische Mechanik auf die Himmelsbewegungen übertragen zu können. Drei dieser Regeln formalisierte Newton bereits in der 2. Ausgabe der «Principia», die vierte folgte in der 3. Ausgabe.

1. Regel. An Ursachen zur Erklärung natürlicher Dinge nicht mehr zuzulassen, als wahr sind und zur Erklärung jener Erscheinungen ausreichen.

Die Physiker sagen: Die Natur thut nichts vergebens, und vergeblich ist dasjenige, was durch vieles geschieht und durch weniger ausgeführt werden kann. Die Natur ist nämlich einfach , und schwelgt nicht in überflüssigen Ursachen der Dinge.

2. Regel. Man muss daher, so weit es angeht, gleichartigen Wirkungen dieselben Ursachen zuschreiben.

So dem Athmen der Menschen und der Thiere, dem Falle der Steine in Europa und Amerika, dem Lichte des Küchenfeuers und der Sonne, der Zurückwerfung des Lichtes auf der Erde und den Planeten.

3. Regel. Diejenigen Eigenschaften der Körper, welche weder verstärkt noch vermindert werden können und welche allen Körpern zukommen, an denen man Versuche anstellen kann, muss man für Eigenschaften aller Körper halten.

Die Eigenschaften der Körper werden nämlich nur durch Versuche bekannt, und man muss daher diejenigen für allgemeine halten, welche im allgemeinen mit den Verauehen übereinstimmen, und die weder vermindert noch aufgehoben werden können. Offenbar kann man weder, dem Verlauf der Versuche zuwider, Träume ersinnen, noch sich von der Analogie der Natur entfernen, da diese einfach und mit sich übereinstimmend zu sein pflegt. Die Ausdehnung der Körper wird nur durch die Sinne erkannt, und nicht bei allen wahrgenommen; weil man sie aber bei allen wahrnehmbaren Körpern antrifft, nimmt man sie bei allen an. Dass mehrere Körper hart sind, erfahren wir durch Versuche. Die Härte des Ganzen entspringt aus der Härte der Theile, und hieraus schliessen wir mit Recht, dass nicht nur die wahrnehmbaren Theile dieser Körper, sondern auch die unzerlegbaren Theilchen aller Körper hart sind. Dass alle Körper undurchdringlich sind, leiten wir nicht aus der Vernunft, sondern aus Versuchen ab. Alles was wir unter Händen haben, finden wir undurchdringlich und daraus schließen wir, dass die Undurchdringlichkeit eine Eigenschaft aller Körper ist. Dass alle Körper beweglich sind und vermöge einer gewissen Kraft, welche wir die Kraft der Trägheit nennen, in der Bewegung oder Ruhe verharren, schliessen wir daraus, dass wir diese Eigenschaften an allen betrachteten Körpern wahrgenommen haben. Die Ausdehnung, Härte, Undurchdringlichkeit, Beweglichkeit und Kraft der Trägheit des Ganzen entspringt aus denselben Eigenschaften der Theile; hieraus schliessen wir, dass die kleinsten Theile der Körper ebenfälls ausgedehnt, hart, undurchdringlich, beweglich und mit der Kraft der Trägheit begabt sind. Hierin besteht die Grundlage der gesammten Naturlehre. Ferner lernen wir aus den Encheinungen, dass die sich wechselseitig berührenden Theile der Körper von einander getrennt werden können. Dass man dnreh Rechnung die Theile noch in kleinere zerlegen könne, ist aus der Mathematik bekannt; ob man diese so zerlegt gedachten Theile durch Kräfte der Natur darstellen könne, ist ungewiss. Wenn es sich aber durch einen Versuch ergäbe, dass einige unzerlegte Theilchen, durch Zerbrechung eines harten und festen Körpers, eine Theilung vertrügen; so würden wir daraus nach dieser Regel schließen, dass nicht nur zerlegte Theile trennbar seien, sondern dass auch unzerlegte in's Unendliche getheilt werden können. Sind endlich alle Körper in der Umgebung der Erde gegen dieee schwer, und zwar im Verhältnis der Menge der Materie in jedem; ist der Mond gegen die Erde nach Verhältniss seiner Masse, und umgekehrt unser Meer gegen den Mond schwer; hat man ferner durch Versuche und astronomische Beobachtungen erkannt, dass alle Planeten wechselseitig gegen einander und die Cometen gegen die Sonne schwer sind; so muss man nach dieser Regel behaupten, dass alle Körper gegeneinander schwer seien. Stärker ist der Beweis in Bezug auf die allgemeine Schwere, als auf die Undurchdringlichkeit der Körper, über welche letztere wir keinen Versuch und keine Beobachtung der Himmelskörper haben. Ich behaupte aber doch nicht, dass die Schwere den Körpern wesentlich zukomme. Unter eigenthümlicher Kraft begreife ich die Kraft der Trägheit, welche unveränderlich ist, wogegen die Schwere mit der Entfernung von der Erde abnimmt.

4. Regel. In der Experimentalphysik muss man die, aus den Erscheinungen durch Induction geschlossenen, Sätze, wenn nicht entgegengesetzte Voraussetzungen vorhanden sind, entweder genau oder sehr nahe für wahr halten, bis andere Erscheinungen eintreten, durch welche sie entweder gröseere Genauigkeit erlangen, oder Ausnahmen unterworfen werden.

Dies muss geschehen, damit nicht das Argument der Induction durch Hypothesen aufgehoben werde.“

Isaak Newton: Mathematische Principien der Naturlehre, III. Buch, S. 380f [1]

Newtons reguale philosophandi beruhen nach Rudolf Steiner aber nur auf einem Vorurteil, das die Grundlage einer einseitig materialistischen Deutung des gesamten Naturgeschehens bildet.

„Sehen Sie, in dem ganzen neueren Denken der Naturwissenschaft herrscht ja dasjenige, was man nennen könnte, und übrigens auch genannt hat, die regula philosophandi. Sie besteht darin, daß man sagt: Was man in irgendeinem bestimmten Gebiete der Realität auf bestimmte Ursachen zurückgeführt hat, das muß auch in anderen Gebieten des Daseins, der Realität, auf dieselbe Ursache zurückgeführt werden. Man geht, indem man eine solche regula philosophandi aufstellt, gewöhnlich von etwas sehr Einleuchtendem, etwas Selbstverständlichem aus. So, wenn man etwa sagt, wie das die Newtonianer immer tun: Der Atmungsprozeß muß dieselben Ursachen beim Tier und beim Menschen haben. Das Entzünden eines Spanes muß dieselbe Ursache haben, ob es in Europa oder in Amerika erfolgt. - Bis hierher bleiben die Dinge durchaus in der Sphäre der Selbstverständlichkeit. Dann wird aber ein gewisser Sprung gemacht, den man aber nicht merkt, sondern als etwas Selbstverständliches annimmt. Das charakterisiert sich uns, wenn wir etwas sehen, was eben gerade bei solchen Persönlichkeiten, die mit dieser Denkweise behaftet sind, angeschlossen wird. Da wird gesagt: Wenn eine Kerze leuchtend wird und wenn die Sonne leuchtet, so muß dem Leuchten der Kerze und dem Leuchten der Sonne dieselbe Ursache zugrunde liegen. Wenn ein Stein zur Erde fällt und wenn der Mond um die Erde kreist, so muß der Bewegung des Steines und der Bewegung des Mondes dieselbe Ursache zugrunde liegen. - Man schließt an eine solche Auseinandersetzung dann auch noch etwas anderes an: Man käme zu keinen Erklärungen in der Astronomie, wenn das nicht der Fall wäre, denn man kann Erklärungen eben nur von dem Irdischen gewinnen. Wenn also nicht im weiten Himmelsraum dieselbe Kausalität herrschen würde wie auf der Erde, könnte man nicht zu einer Theorie kommen.

Aber bitte berücksichtigen Sie, daß das, was hier als regula philosophandi ausgesprochen wird, doch nichts weiter ist als ein Vorurteil. Denn wer bürgt denn irgendwie in der Welt dafür, daß nun wirklich die Ursachen des Leuchtens einer Kerze und die Ursachen des Leuchtens der Sonne dieselben sind? Oder daß beim Fallen des Steines oder beim Fallen des berühmten Apfels vom Baume, durch den Newton zu seiner Theorie gekommen ist, dieselben Ursachen zugrunde liegen wie den Bewegungen der Weltenkörper? Das war ja etwas, worauf man erst kommen mußte. Das ist durchaus nur ein Vorurteil. Und solche Vorurteile fließen durchaus überall da ein, wo man zuerst induktiv gewisse theoretische Erwägungen, gewisse Bildvorstellungen anknüpft an Beobachtungen und wo man dann einfach blindwütig ins Deduzieren hineinkommt und Weltensysteme durch dieses Deduzieren konstruiert.“ (Lit.:GA 323, S. 76f)

Literatur

  1. Sir Isaac Newton’s Mathematische Principien der Naturlehre – Mit Bemerkungen und Erläuterungen herausgegeben von Prof. Dr. J. Ph. Wolfers. R. Oppenheim, Berlin 1872 Online.
  2. Rudolf Steiner: Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie, GA 323 (1997), ISBN 3-7274-3230-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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