Strukturwissenschaften und Subjektivismus: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Joachim Stiller
 
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
Mit dem Begriff '''Strukturwissenschaften''' (früher auch '''Formalwissenschaften''') werden Wissensgebiete zusammengefasst, die allgemein funktional wirksame Formen betrachten und weder im Allgemeinen noch im Speziellen Gegenstände der Natur oder der sozialen Wirklichkeit zum Gegenstand haben. Diese Eingrenzung dient als Alternative zur Einteilung nach Sachgebiet, wie bei der Klassifizierung als [[Naturwissenschaft|Natur-]], [[Geisteswissenschaft|Geistes-]] oder [[Sozialwissenschaft]].
Als '''Subjektivismus''' wird seit der [[Neuzeit]] eine [[Philosophie|philosophische]] Grundhaltung bezeichnet, nach der alle [[Erkenntnis]] und das daraus entspringende [[Handeln]] nur [[subjektiv]] begründet werden können. Erst wenn die [[objektiv]]e [[Ideenwelt]] im Bewusstsein mit der damit verbundenen [[Evidenz]] aufleuchtet, wie sie beispielweise in [[Mathematik|mathematischen]] [[Beweis]]führungen gefunden werden kann, ist die Brücke zur [[Objektivität]] und damit zur [[Wirklichkeit]] gefunden, in der der Gegensatz von [[Subjekt]] und [[Objekt]] [[aufgehoben]] ist.


== Allgemeines ==
{{GZ|Das Erkenntnisvermögen erscheint dem Menschen nur so lange
als subjektiv, als er nicht beachtet, dass die Natur selbst es ist,
die durch dasselbe spricht. Subjektiv und objektiv treffen
zusammen, wenn die objektive Ideenwelt im Subjekte auflebt,
und in dem Geiste des Menschen dasjenige lebt, was in der
Natur selbst tätig ist. Wenn das der Fall ist, dann hört aller
Gegensatz von subjektiv und objektiv auf. Dieser Gegensatz hat
nur eine Bedeutung, solange der Mensch ihn künstlich aufrecht
erhält, solange er die Ideen als ''seine'' Gedanken betrachtet,
durch die das Wesen der Natur abgebildet wird, in denen es
aber nicht selbst wirksam ist. [[Immanuel Kant|Kant]] und die Kantianer hatten
keine Ahnung davon, dass in den Ideen der Vernunft das
Wesen, das Ansich der Dinge unmittelbar erlebt wird. Für sie ist
alles Ideelle ein bloß Subjektives.|6|54f|48}}


Oft ist mit der Verwendung des Terms ''Strukturwissenschaft''  der Anspruch verbunden, dass diese Wissensgebiete [[Metatheorie]]n zu den Sachgebieten darstellen oder sogar auf eine einzige Wissenschaft von Strukturen und Formen verweisen. Es besteht eine gewisse Verwandtschaft und Überschneidung im beanspruchten Umfang mit [[Formalwissenschaft]]en oder der klassisch-[[Rationalismus|rationalistischen]] Vorstellung einer ''reinen Vernunftwissenschaft''. Im Gedanken der Strukturwissenschaft ist dann die Idee einer  [[Einheitswissenschaft|Einheit der Wissenschaften]] mitgedacht, die eine Aufspaltung der Einzelwissenschaften überwindet, so dass sich am Ende nur die Strukturwissenschaft und die jeweilige Erfahrungswissenschaft, in der sie angewendet wird, gegenüberstehen. Dabei ist es ein Ziel der Strukturwissenschaften, die  Entstehung der in der [[Natur]] gegebenen Vielfalt organisierter und komplexer Strukturen auf einheitliche, abstrakte Grundgesetze zurückzuführen. Im Rahmen der Einteilung der Wissenschaften in [[Einzelwissenschaft]]en wird gelegentlich eine Segmentierung in Strukturwissenschaften, Naturwissenschaften, Humanwissenschaften (d.&nbsp;h. den Geistes- und Sozialwissenschaften), und [[Ingenieurswissenschaften]] vorgenommen.<ref>Helmut Balzert: ''Wissenschaftliches Arbeiten.'' 2008, S. 46.</ref> Oft wird der Begriff gefüllt, indem Grundlagen- und Teildisziplinen bestimmter etablierter Wissenschaften der Rang einer Strukturwissenschaft verliehen wird.
[[Rudolf Steiner]] bezeichnete 1925 rückblickend seine eigene philosophische Position entsprechend als [[Objektiver Idealismus|objektiven Idealismus]].


== Umfang ==
{{GZ|Ich
konnte damals kein anderes Wort für meine Denkungsart
finden als «objektiver Idealismus». Ich wollte damit
sagen, daß für mich das Wesentliche an der Idee nicht ist,
daß sie im menschlichen Subjekt erscheint, sondern daß
sie wie etwa die Farbe am Sinneswesen an dem geistigen
Objekte erscheint, und daß die menschliche Seele —
das Subjekt — sie da wahrnimmt, wie das Auge die
Farbe an einem Lebewesen.|28|93|105}}


Zu den Strukturwissenschaften werden von den Befürwortern dieser Einteilung der Wissenschaft diverse Forschungsbereiche gezählt, von denen einige beispielhaft in der rechts stehenden Tabelle gelistet sind.
In seiner «[[Philosophie der Freiheit]]» hat Rudolf Steiner klargestellt, dass es das [[Denken]] ist, das uns über die Subjektivität hinausführt und mit den Objekten verbindet:
{| class="wikitable float-center"
|
{| class="wikitable centered"
!Grundlagen der [[Mathematik]] !!Angewandte Mathematik
|-
|width="50%"|
* [[Mathematische Logik]]
* [[Beweistheorie]]
* [[Rekursionstheorie]]
* [[Modelltheorie]]
* [[Mengenlehre]]
|valign="top" rowspan="3"|
* [[Dynamisches System|Dynamische Systeme]]
** [[Nichtlineare Dynamik]], [[Katastrophentheorie (Mathematik)|mathematische Katastrophen- theorie]] und [[Chaosforschung]]
** [[Kontrolltheorie]]
**: (Regelungstechnik, mathematische Systemtheorie)
* [[Finanzmathematik]]
* [[Graphentheorie]]
* [[Informationstheorie]]
* [[Kryptographie]]
* [[Biomathematik|Mathematische Biologie]]
* [[Mathematische Chemie]]
* [[Mathematische Linguistik]]
* [[Mathematische Physik]]
* [[Numerik]]
* [[Operations Research]], [[Optimierung]]
* [[Spieltheorie]]
* [[Versicherungsmathematik]]
|-
!Reine Mathematik
|-
|
* [[Algebra]]
* [[Analysis]]
* [[Geometrie]] und [[Topologie (Mathematik)]]
* [[Stochastik]]
* [[Zahlentheorie]]
|-
![[Theoretische Informatik]]!!Allgemeine [[Systemtheorie]]
|-
|
* [[Automatentheorie]] und [[formale Sprache]]n
* [[Berechenbarkeitstheorie]]
* [[Komplexitätstheorie]]
|valign="top" rowspan="3"|
* [[Kybernetik]]
* [[Synergetik]]
* [[Selbstorganisation]]stheorie
* [[Komplexes System|Komplexe Systeme]]
* [[Netzwerkforschung]]
* [[Komplexes Netzwerk]]
* [[System Dynamics]]
* [[Systemtheorie (Ingenieurwissenschaften)|Ingenieurswissenschaftliche Systemtheorie]]
|}
|-
|<small>Zu den Strukturwissenschaften werden heutzutage tausende von Einzeldisziplinen gezählt.</small>
|}


Vergleichsweise neue Zweige, die sich etwa im Bereich zwischen der angewandten Mathematik und den klassischen Natur- und Ingenieurswissenschaften befinden, haben sich in den Anwendungsbereichen der Systemwissenschaften oder etwa der Kybernetik erschlossen.
{{GZ|Insoferne der Mensch einen Gegenstand beobachtet,
erscheint ihm dieser als gegeben, insoferne er denkt,
erscheint er sich selbst als tätig. Er betrachtet den Gegenstand als ''Objekt'', sich selbst als das denkende ''Subjekt''. Weil
er sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewußtsein
von den Objekten; weil er sein Denken auf sich richtet,
hat er Bewußtsein seiner selbst oder ''Selbstbewußtsein''. Das
menschliche Bewußtsein muß notwendig zugleich Selbstbewußtsein
sein, weil es ''denkendes'' Bewußtsein ist. Denn
wenn das Denken den Blick auf seine eigene Tätigkeit richtet,
dann hat es seine ureigene Wesenheit, also sein Subjekt,
als Objekt zum Gegenstande.


An russischen Universitäten gibt es explizit eigene Fakultäten für angewandte Mathematik und Kybernetik.<ref>Vgl. etwa http://cs.bsu.edu.az/en/content/faculty_of_applied_mathematics_and_cybernetics.</ref> Weiterhin beschreibt die Technische Universität Ilmenau ihren Studiengang Technische Kybernetik und Systemtheorie folgendermaßen: „Die Technische Kybernetik ist eine interdisziplinäre Wissenschaft. Sie ist zwischen den Ingenieurwissenschaften und der angewandten Mathematik angesiedelt und mit der Beschreibung, Analyse und Kontrolle von dynamischen Prozessen befasst. Kybernetische Methoden ermöglichen z.&nbsp;B. die automatische Navigation von Schiffen, lassen komplexe Vorgänge in Zellorganismen beschreiben oder helfen logistische Abläufe, wie Fahrpläne oder Energienetze, zu optimieren.“<ref>http://www.tu-ilmenau.de/studieninteressierte/studieren/bachelor/technische-kybernetik-und-systemtheorie/</ref>
Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir uns nur
mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den
Objekten entgegensetzen können. Deshalb darf das Denken
niemals als eine bloß subjektive Tätigkeit aufgefaßt werden.
Das Denken ist ''jenseits'' von Subjekt und Objekt. Es
bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. Wenn
wir als denkendes Subjekt also den Begriff auf ein Objekt
beziehen, so dürfen wir diese Beziehung nicht als etwas bloß
Subjektives auffassen. Nicht das Subjekt ist es, welches die
Beziehung herbeiführt, sondern das Denken. Das Subjekt
denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint
sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. Die Tätigkeit,
die der Mensch als ''denkendes'' Wesen ausübt, ist also
keine bloß subjektive, sondern eine solche, die weder subjektiv
noch objektiv ist, eine über diese beiden Begriffe hinausgehende.
Ich darf niemals sagen, daß mein individuelles
Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens
Gnaden. Das Denken ist somit ein Element, das mich über
mein Selbst hinausführt und mit den Objekten verbindet.
Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen
als Subjekt gegenüberstellt.|4|59f}}


{{Zitat|Heutzutage bilden die Strukturwissenschaften die Basiswissenschaften für das Verständnis komplexer Phänomene schlechthin. … Dass der Anteil der Strukturwissenschaften ständig zunimmt, kann man unter anderem daran erkennen, dass die Computersimulation zunehmend das klassische Experiment in den Naturwissenschaften verdrängt. … Tatsächlich scheinen die Strukturwissenschaften zu einem einheitlichen Wirklichkeitsverständnis, das heißt zu einem objektiven Sinnzusammenhang und einem objektiven Anschauungsganzen zu führen, das nunmehr alle Formen wissenschaftlicher Erkenntnis umfasst. Und es mag geradezu paradox erscheinen, dass es ausgerechnet die so facettenreiche Wissenschaft des Komplexen ist, die wieder zur Einheit des Wissens und damit zur Einheit der Wirklichkeit zurückführt.|Bernd-Olaf Küppers|Die  Strukturwissenschaften  als  Bindeglied  zwischen Natur- und Geisteswissenschaften|ref=<ref>in: B.-O. Küppers  (Hrsg.), Die  Einheit  der  Wirklichkeit,  München  2000: S.89-105., [http://www.personal.uni-jena.de/~x7kube/download/pdf/Strukturwissenschaften.pdf online] (PDF; 206&nbsp;kB); S. 20–22</ref>}}
== Literatur ==


== Entwicklung ==
#Rudolf Steiner: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0 {{Schriften|001}}
# Rudolf Steiner: ''Die Philosophie der Freiheit'', [[GA 4]] (1995), ISBN 3-7274-0040-4 {{Schriften|004}}
#Rudolf Steiner: ''Goethes Weltanschauung'', [[GA 6]] (1990), ISBN 3-7274-0060-9 {{Schriften|006}}
#Rudolf Steiner: ''Mein Lebensgang'', [[GA 28]] (2000), ISBN 3-7274-0280-6 {{Schriften|028}}


=== Mathematik ===
{{GA}}


{{Zitat|Die beliebte Frage, ob Mathematik eine Natur- oder Geisteswissenschaft sei, geht von einer unvollständigen Einteilung aus. Sie ist eine Strukturwissenschaft.|[[Carl Friedrich von Weizsäcker]]|''Die Einheit der Natur''|ref=<ref>C. F. v. Weizsäcker: ''Die Einheit der Natur.'' 1971, S. 22.</ref>}}
[[Kategorie:Philosophie]]
Der strukturwissenschaftliche Begriff der [[Struktur]] entstammt dem Bemühen um die Wende zum 20. Jahrhundert, eine gemeinsame [[Grundlagen der Mathematik|Grundlage für die gesamte Mathematik]] zu finden. Maßgebliche Schritte waren hierfür die Entwicklung der [[Naive Mengenlehre|naiven Mengenlehre]], der [[Formale Logik|formalen Logik]], das [[Hilbertprogramm]], die [[Gruppentheorie]] der Algebra und die Arbeiten der Gruppe [[Nicolas Bourbaki]].
 
Die formale [[Prädikatenlogik]] baut auf der von [[Georg Cantor]] formalisierten Mengenlehre ([[naive Mengenlehre]]) auf. [[George Boole]]s ''An Investigation of the Laws of Thought'' verglich bereits die Verknüpfungsstrukturen des logischen Denkens mit der Zahlenalgebra und ihren Rechenarten. [[Gottlob Frege]] legte mit der „[[Begriffsschrift]]“ das erste rein formale axiomatische Logiksystem vor, mit dem er in den [[Grundgesetze der Arithmetik]] versuchte, die Mathematik auf rein logische Axiome zu gründen, indem er versuchte, den Begriff der Anzahl auf der Basis von Begriffsumfängen und Abbildungsrelationen zu definieren. Freges System ließ jedoch die Herleitung der [[Russellsche Antinomie|russellschen Antinomie]] zu. Diesem Problem wurde zum einen mit der [[Typentheorie]] begegnet, zum anderen durch Ergänzungen in der Axiomatik der Mengenlehre.
 
Ausgehend von [[David Hilbert]] und Wilhelm Ackermann wurde umgekehrt eine [[Algebra]]isierung der Logik betrieben.<ref>Reiner Winter: ''Grundlagen der formalen Logik.'' 2001, S. 3–6.</ref> Für die Position des Formalismus entsprach etwa jede Menge, die formal den [[Peano-Axiome]]n genügt (ein Modell der Axiome darstellt), den natürlichen Zahlen.
Die [[Modelltheorie]] beschäftigt sich im Besonderen mit solchen Strukturen, die axiomatisierbaren Sprachen oder Theorien entsprechen. Ein Modell ist dabei eine mit gewissen Strukturen versehene Menge, auf die die Axiome des Systems zutreffen. Formal sind Modelle [[Struktur (erste Stufe)|Strukturen]] über einer [[Elementare Sprache|Elementaren Sprache]], in der die Axiome formuliert sind. In der [[Beweistheorie]] bildet das strukturelle Beweisverfahren eine wichtige Kalkül-Basis als Beweistheorie. Beweise werden üblicherweise als induktiv definierte [[Datenstruktur]]en dargestellt, wie Listen oder Bäume. Über die [[Berechenbarkeitstheorie]] (siehe auch [[Berechenbarkeit]]) bildet die formale Logik einen der historischen Ausgangspunkte der theoretischen Informatik.
 
Mithilfe des abstrakten Gruppenbegriffs ließ sich die abstrakte [[algebraische Struktur]] definieren durch eine oder mehrere Grundmengen (von Objekten, Elementen oder Symbolen) und den Operationen, Relationen und [[Funktion (Mathematik)|Funktionen]] auf diesen Grundmengen. „So wurde es das unbestrittene Verdienst von [[Emmy Noether]], [[Emil Artin|[Emil] Artin]] und den Algebraikern ihrer Schule, wie Hasse, Krull, Schreier, van der Waerden, in den 1920er Jahren die Auffassungen von einer modernen Algebra als Theorie algebraischer Strukturen voll durchgesetzt zu haben.“<ref>Wußling, Hans: Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik; 1998, S.281</ref> Diese Strukturen waren von der Entscheidung der Grundlagendebatte zwischen Platonikern, Formalisten und Intuitionisten letztlich unabhängig.
 
Bereits in Freges System können die Prädikate selbst zum Gegenstand der Prädikation durch Prädikate höherer Stufe werden (und so weiter). Auf dieser Basis können bereits große Bereiche der Mathematik in der mathematischen Logik ausgedrückt werden. Die Relationszeichen, Funktionszeichen oder Konstanten bilden dabei dann den Typ der Sprache, äquivalent zum Typ einer algebraischen Struktur. So bildete sich während der Grundlegungsdebatte in der Mathematik und Logik um 1940 ein „strukturelle[r] Standpunkt“ heraus, der Mathematik in Bezug zur Mathematikdidaktik zu einer Strukturwissenschaft erklärte, und ab 1955 didaktisch in Deutschland wirksam wurde.<ref>Köck, Michael: Mathematik – ein Produkt der Naturgeschichte?; 2011, S.31</ref>
 
Die Gruppe [[Nicolas Bourbaki]] erklärte schließlich in einem 1950 veröffentlichten Artikel Strukturen zum geeignete Mittel, um die gesamte Einheit der Mathematik zu sichern.<ref>Bourbaki, Nicolas: The Architecture of Mathematics. Amer. Math. Monthly 67; 1950, S.221-232</ref>
 
=== Informatik ===
Die Entwicklung der Theoretischen Informatik begann etwa in den 1930er Jahren. Als grundlegendes Konzept in der Informatik gilt der aus der Mathematik stammende Begriff des [[Algorithmus]], der eine aus endlich vielen Schritten bestehende Handlungsvorschrift zur Lösung eines mathematischen Problems darstellt. Mit dem Algorithmenbegriff verbunden ist das Konzept der [[Berechenbarkeit]], für das in der [[Berechenbarkeitstheorie]] verschiedene mathematische Formalisierungen und Analysemethoden entwickelt wurden. Auch innerhalb der Informatik werden auf formaler Ebene strukturelle Eigenschaften von Objektklassen erforscht, ohne zu berücksichtigen, welche konkreten Objekte sich dieser Struktur unterordnen und ob diese sich in der Realität überhaupt konstruieren lassen, wobei aber eine Forderung nach Konstruierbarkeit je nach Disziplin durchaus gestellt werden kann.
 
Ein der klassischen Mathematik fremder Begriff ist derjenige der [[Datenstruktur]], der in der Informatik, neben dem des Algorithmus, von zentraler Bedeutung ist. Die Darstellung der Algorithmen, Datenstrukturen und Untersuchungen über Zeit und Platz, die für die Ausführung und Speicherung notwendig sind, ist ein eigener Beitrag der Theoretischen Informatik zu den Strukturwissenschaften.
 
Spezifische grundlegende Strukturen der Informatik sind im Bereich der Rechnerstrukturen u.&nbsp; A. die [[Von-Neumann-Architektur]] (seit 1945) bzw. sein Gegenteil, die Non-Von-Neumann-Architekturen (beispielsweise [[Parallelrechner]]).
 
Die bis heute geltende Basis jeder strukturierten [[Programmierung]] sind die drei [[Kontrollstruktur]]en von Sequenz, Verzweigung und Schleife. Zur Visualisierung werden [[Programmablaufplan|Flussdiagramme]] oder auch [[Struktogramm]]e (seit 1972) verwendet.
 
Weitere wichtige Impulse verdankt die Strukturwissenschaft den Themengebieten der [[Berechenbarkeitstheorie]], der Frage zur Entscheidbarkeit und der [[Komplexitätstheorie]]. Auch die Untersuchungen zur [[Automatentheorie]], insbesondere die der [[Zellulärer Automat|zellularen Automaten]], weisen einen bis heute progressiven Charakter nicht zuletzt auch im Bereich der naturwissenschaftlichen Erklärungsmodelle auf.
 
=== Komplexitätsforschung und Systemtheorie ===
 
[[Datei:Ideal feedback model.svg|mini|strukturelles Feedback-Modell der Kybernetik]][[Carl Friedrich von Weizsäcker]] prägte 1971 einen erweiterten Begriff für die Strukturwissenschaften: „Als Strukturwissenschaften wird man nicht nur die reine und angewandte Mathematik bezeichnen, sondern das in seiner Gliederung noch nicht voll durchschaute Gebiet der Wissenschaften, die man mit Namen wie Systemanalyse, Informationstheorie, Kybernetik, Spieltheorie bezeichnet. Sie sind gleichsam die Mathematik zeitlicher Vorgänge, die durch menschliche Entscheidung, durch Planung, durch Strukturen, […] oder schließlich durch Zufall gesteuert werden. Sie sind also Strukturtheorien zeitlicher Veränderung. Ihr wichtigstes praktisches Hilfsmittel ist der Computer, dessen Theorie selbst eine der Strukturwissenschaften ist. Wer in einem Lande den Fortschritt der Wissenschaft fördern will, muss diese Wissenschaften vordringlich fördern, denn sie bezeichnen gleichsam eine neue Bewusstseinsstufe.“<ref>C. F. v. Weizsäcker: Die Einheit der Natur; 1971, S.22</ref>
 
In den 1970er und 1980er Jahren erlebten dann mit der [[Synergetik]], der Theorie der [[Selbstorganisation]] und der [[Chaostheorie]] weitere Gebiete, die den Strukturwissenschaften zugerechnet werden können, einen rasanten Aufstieg. Im Rahmen der [[Komplexitätsforschung]] spielt dabei der Begriff des [[System]]s eine zentrale Rolle. Systeme organisieren und erhalten sich zunächst durch Strukturen. Die Struktur bezeichnet das Muster der Systemelemente und ihrer Beziehungsgeflechte, durch die ein System entsteht, funktioniert und sich erhält. Unter der Struktur eines Systems versteht man somit die Gesamtheit der Elemente eines Systems, ihre Funktion und ihre Wechselbeziehungen. Doch in der [[Systemtheorie]] bedingen sich [[Struktur (Systemtheorie)|Systemstruktur]], Systemverhalten und Systementwicklung gegenseitig. Daher werden innerhalb der Systemtheorie zusätzlich zur Struktur noch weitere Axiome eingeführt, welche die Systemgrenzen (die Unterscheidung System/Umwelt), vor allem aber die System-Attribute wie Stabilität, Dynamik, Linearität u.&nbsp; A. beinhalten. Weiterhin ist es für ein System konstituierend, dass die jeweiligen Systemelemente eine Systemfunktion (Systemzweck, Systemziel) erfüllen und dabei eine funktionale Differenzierung aufweisen. Die ersten formalisierten Systemtheorien wurden etwa um 1950 entwickelt. Die Anwendung solcher Modelltheorien ermöglicht die Simulation komplexer Vorgänge und wurde daher in vielen Einzelwissenschaften angestrebt, vor allem aber in der [[Biologie]] der 1970er und 1980er Jahre.
 
{{Zitat|Die Strukturwissenschaften … sind heute mächtige Instrumente zur Erforschung der komplexen Strukturen der Wirklichkeit. Ihre Gliederung erfolgt nach den gegenstandsübergreifenden Ordnungs- und Funktionsmerkmalen, welche die Wirklichkeit strukturieren, und die wir mit Oberbegriffen wie System, Organisation, Selbststeuerung, Information und dergleichen beschreiben. Neben den bereits als klassisch einzustufenden Disziplinen der Kybernetik, Spieltheorie, Informationstheorie und Systemtheorie haben die Strukturwissenschaften so wichtige Wissenschaftszweige wie Synergetik, Netzwerktheorie, Komplexitätstheorie, Semiotik, Chaostheorie, Katastrophentheorie, Theorie der Fraktale, Entscheidungstheorie und die Theorie der Selbstorganisation hervorgebracht. Auch die von mir anvisierte Theorie der Randbedingungen mag sich eines Tages zu einer eigenständigen Strukturwissenschaft weiterentwickeln.|[[Bernd-Olaf Küppers]]|Nur Wissen kann Wissen beherrschen|ref=<ref>Bernd-Olaf Küppers: ''Nur Wissen kann Wissen beherrschen'' 2008, S. 314</ref>}}
 
== Idee, Formalisierung und Beispiele mathematischer Strukturen ==
 
=== Zum Begriff der mathematischen Struktur ===
 
Zunächst bildete sich die "Auffassung von einer modernen Algebra als Theorie algebraischer Strukturen.",<ref>Wußling, Hans: Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik 1998, S. 281</ref> welche auch heute noch oftmals als Strukturmathematik gelehrt wird. Dann entwickelte die Bourbakigruppe die gesamte Mathematik als "Lehre von den Strukturen"<ref>Wußling, Hans: Vorlesungen zur Geschichte der Mathematik 1998, S. 283</ref> im Sinne einer umfassenden Strukturwissenschaft. Der Begriff einer [[Mathematische Struktur|mathematischen Struktur]] hat jedoch nur noch bedingt etwas mit dem umgangssprachlichen Strukturbegriff zu tun. Die Mathematik formuliert diesen Begriff im Rahmen ihrer Formalisierung weitaus präziser. Die Hierarchie mathematischer Strukturen enthält beispielsweise die [[Algebraische Struktur|algebraischen Strukturen]] und die [[Topologische Struktur|topologischen Strukturen]].
 
Als Basis jeder mathematischen Struktur dient eine Menge M, deren Elemente zunächst in keinerlei Beziehung zueinander stehen, beispielsweise die Menge M = {1,2,3,4,5}, wobei die Elemente nicht notwendigerweise Zahlen sind. Nun wird dieser Menge M, die Trägermenge genannt wird, eine Struktur S aufgeprägt. Eine mathematische Struktur ist demnach mit (M,S) als geordnetes Paar für das System "die Menge M versehen mit der Struktur S" darstellbar. Dazu kann man dann zum Beispiel eine Ordnungsrelation verwenden, die zeigt, welche Elemente mit welchen anderen in Beziehung stehen, oder welche isoliert bleiben. Die Menge M trägt dann eine bestimmte Struktur S.
 
Die formale Definition einer mathematischen Struktur lautet:
: Eine Struktur ist ein 4-Tupel aus einer Menge A,  sowie einer [[Familie (Mathematik)|Familie]] von Grundrelationen I,  einer von Grundfunktionen J und einer von Konstanten K.
 
I, J und K können dabei auch [[Leere Menge|leer]] oder [[unendlich]] sein. Eine Struktur ohne I, J, und K ist dann trivialer Weise wieder die Trägermenge selbst. Reine Mengen von Relationen ohne zugehörige Mengen sind demnach nicht als mathematische Strukturen definiert, sondern sind lediglich als elementare Strukturbausteine separat analysierbar.
 
=== Komplexe Strukturen und Systemwissenschaften ===
 
Relativ junge Zweige der Strukturwissenschaften befassen sich heutzutage mit komplexen und hyperkomplexen Strukturen. Das Interesse an diesen Strukturen wurde jedoch primär nicht von dem Wunsch nach neuen mathematischen Modellen, sondern von dem Wunsch, natürliche Strukturen zu verstehen, motiviert. Derzeit sind daher viele entsprechende Gebiete auch quasi „zwischen“ der angewandten Mathematik und den traditionellen Natur- und Ingenieurswissenschaften angesiedelt. Manche Gebiete sind inzwischen recht gut-, und andere eher semi-formalisiert worden. Als Beispiele kann man dazu Teile der Systemwissenschaften ansehen.
 
== Bezug zu Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften ==
 
=== Naturwissenschaften ===
 
Abstrahierende mathematische Modellbildungen findet man heutzutage zudem in jedem Zweig der Naturwissenschaft, so dass es sinnvoll erscheinen kann, diese als Strukturwissenschaften zu einem allgemeinen Bestandteil der [[Methodik]] zu machen. Für die [[Physik]] beispielsweise kommt es dann aber darauf an, aus allgemeinstmöglichen Strukturen diejenigen herauszufischen, die für die Beschreibung von experimentellen Vorgängen benötigt werden. Aus der jeweiligen Struktur können dann mathematische Schlüsse gezogen werden, die überprüfbaren Folgen für den Untersuchungsgegenstand entsprechen.
 
Aus Sicht der [[Differentialgeometrie]] handelt es sich bei physikalischen Theorien um differenzierbare [[Mannigfaltigkeit]]en mit endlicher Dimensionszahl. Selbst der [[Phasenraum]] ist mathematisch gesehen eine spezielle Mannigfaltigkeit. Diese Erkenntnis gestattet dann Untersuchungen wie den Unterschied zwischen integrablen und nichtintegrablen dynamischen Systemen, und dies wird seit einigen Jahren inzwischen wieder in Form der [[Chaosforschung|Chaostheorie]] näher untersucht.
 
Weiterhin ist der Begriff der Gruppe in der modernen Physik außerordentlich wichtig geworden. Die [[Gruppentheorie]] stellt die mathematischen Hilfsmittel zur Verfügung, mit denen Symmetrien untersucht werden können. Ein [[physikalisches System]] heißt symmetrisch bezüglich einer Transformation, wenn es sich durch die Anwendung der Transformation nicht ändert. Symmetrien haben insbesondere im Rahmen des [[Noether-Theorem]]s (formuliert 1918 von [[Emmy Noether]]) eine so große Bedeutung, weil sie [[Zeitumkehr (Physik)|Invarianzen]] zur Folge haben und damit Erhaltungsgrößen.
 
Auch die [[Chemie]] lässt sich als Anwendungsfall für die Strukturwissenschaften, seit sich ab 1865 die Strukturtheorie (in Anlehnung an [[Friedrich August Kekulé]]) in der Chemie durchsetzte. Demnach erklären sich chemische Eigenschaften aus der inneren Struktur der Moleküle (eine wichtige Anwendung in der Chemie ist daher das Aufstellen von [[Strukturformel]]n). Damit wurde auch die Basis für eine besondere Nähe zur Physik geschaffen, die es ermöglichte, die chemischen Bindungen als Verbindungsfähigkeiten von Atomen zu deuten. Insofern die Chemie die [[Kovalente Bindung|Bindungen von Atomen]] durch ihre äußere Elektronenhülle untersucht, die innerhalb von chemischen Bindungen aufgrund ihrer atomaren und molekularen Struktur ganz unterschiedliche Bindungsstärken und -arten realisieren können, beschäftigt sie sich mit gegebenen Strukturen innerhalb der Natur.<ref>Brock, William, 1992; Viewegs Geschichte der Chemie, S. 163</ref>
 
Innerhalb der [[Biologie]] beschäftigt sich speziell die [[Strukturbiologie]] mit dem Aufbau hierarchisch organisierten Strukturen von Lebewesen, angefangen von [[Makromolekül]]en zu [[Zelle (Biologie)|Zellen]], [[Organ (Biologie)|Organen]], [[Organismus|Organismen]], [[Biozönose]]n und [[Biosphäre]]n. Sowohl die einzelnen Bausteine von Lebewesen, als auch die Individuen innerhalb von [[Population (Biologie)|Populationen]] oder anderer Lebensgemeinschaften stehen dabei in einem relationalen Austausch miteinander und mit der physikalisch-chemischen Umwelt.
 
In diesem Zusammenhang ist vor allem die Frage von belang, inwiefern bestimmte Strukturen Träger [[Emergenz|emergenter]] Eigenschaften sind. Während die Strukturbetrachtung also einerseits den Übergang zwischen physikalischen Grundkräften, chemischen Verbindungen und organischem Leben zu beleuchten verspricht, existieren andererseits aber auch systemwissenschaftliche Ansätze, die ebenfalls strukturalistisch verstanden werden können.
 
[[Systemphysik]] wird dabei beispielsweise im Rahmen der Erforschung der Physik von komplexen Systemen am Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme betrieben.<ref>[http://www.mpipks-dresden.mpg.de/ Homepage des Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme]</ref> Erforscht werden dabei Bereiche der nichtlinearen Systemdynamik, die physikalischen Grundlagen liefern dabei oft die Modelle der [[Statistische Physik|statistischen Physik]].
 
Die [[Systembiologie]] ist ein Zweig der Biowissenschaften, der versucht, biologische Organismen in ihrer Gesamtheit zu verstehen. Das Ziel ist, ein integriertes Bild aller regulatorischen Prozesse über alle Ebenen, vom [[Genom]] über das [[Proteom]], zu den Organellen bis hin zum Verhalten und zur Biomechanik des Gesamtorganismus zu bekommen. Wesentliche Methoden zu diesem Zweck stammen aus der [[Systemtheorie]] und ihren Teilgebieten. Da aber die mathematisch-analytische Seite der Systembiologie nicht perfekt ist, kommen als Forschungsmethoden häufig Computersimulationen und Heuristiken zum Einsatz. Versuche zur mathematischen Formalisierung von Leben findet man u. A. bei [[Robert Rosen]], der im Rahmen seiner relationalen Biologie als Hauptmerkmale von Lebewesen den [[Stoffwechsel|Metabolismus]] und die Reparatur bzw. die [[Replikation]] beschreibt.<ref>Rosen, Robert; 1991, Life Itself: ''A Comprehensive Inquiry into the Nature, Origin, and Fabrication of Life'', Columbia University Press</ref>
 
Beispiele für die integrativen Leistungen der Strukturwissenschaften, die Naturwissenschaften dahingehend zu unterstützen, die Entstehung von organisierten Strukturen in der Natur zu beschreiben, sind die Forschungsergebnisse von [[Manfred Eigen]], welche ihren Ausgangspunkt in der Molekularbiologie nahmen, sowie die strukturwissenschaftlichen Ergebnisse von Illya Prigogine und Herman Haken, welche mit Überlegungen zur Thermodynamik begannen. Durch das  Paradigma der [[Selbstorganisation]] ([[Ilya Prigogine]]) und der [[Synergetik]] ([[Hermann Haken (Physiker)|Hermann Haken]]) erschien es möglich, die biologische Evolution als Evolution von Strukturen an die Physik anzuschließen.<ref>Glandsdorff, Prigogine; 1971: Thermodynamics of Structure, Stability and Fluctuations</ref><ref>Haken, Hermann; 1978: Synergetics, Nonequilibrium Phase Transitions and Selforganisation in Physics, Chemistry and Biologie</ref> Zuvor schien der  2. Hauptsatzes der [[Thermodynamik]], der eine Zunahme der [[Entropie (Thermodynamik)|Entropie]] voraussagt, einer spontanen Entstehung von Strukturen zu widersprechen. Ausgangspunkt der Betrachtungen von Haken zur Synergetik war daher die Frage, warum sich im Universum komplexe Strukturen entwickeln konnten, wenn allein der zweite Hauptsatz der Thermodynamik gilt. Er schreibt dazu:
{{Zitat|ref=<ref>Haken, Hermann; 1995, Erfolgsgeheimnisse der Natur, S. 12</ref>|Die Physik nimmt für sich in Anspruch, die grundlegende Naturwissenschaft schlechthin zu sein. Doch hätte man früher einen Physiker gefragt, ob beispielsweise die Entstehung des Lebens mit den Grundgesetzen der Physik in Einklang zu bringen sei, so hätte die ehrliche Antwort Nein lauten müssen. Nach den Grundgesetzen der Wärmelehre müsste die Unordnung der Welt immer mehr zunehmen. Alle geregelten Funktionsabläufe müssten langfristig aufhören, alle Ordnung zerfallen. Der einzige Ausweg, den viele Physiker sahen war, die Entstehung von Ordnungszuständen in der Natur als riesige Schwankungserscheinung zu betrachten, die nach den Regeln der Wahrscheinlichkeitstheorie überdies beliebig unwahrscheinlich sein sollte. Eine wahrhaft absurde Idee, aber wie es schien, im Rahmen der sog. Statistischen Physik die einzig akzeptable. War die Physik damit in eine Sackgasse geraten, indem sie behauptete, biologische Vorgänge beruhten auf physikalischen Gesetzen, aber die Entstehung des Lebens selbst würde den physikalischen Gesetzen widersprechen? Die Ergebnisse der Synergetik setzen uns instand, die Grenzen der Thermodynamik aufzudecken und klassische Fehlinterpretationen nachzuweisen.|Hermann Haken| Erfolgsgeheimnisse der Natur}}
 
=== Geistes- und Sozialwissenschaften ===
 
In der [[Philosophie]] machen vor allem die Denkrichtungen des [[Strukturalismus]] und die des [[Strukturenrealismus]] von strukturwissenschaftlichen Grundlagen Gebrauch. Strukturalismus ist dabei ein Sammelbegriff für interdisziplinäre Methoden und Forschungsprogramme, die Strukturen und Beziehungsgefüge in den weitgehend unbewusst funktionierenden Mechanismen kultureller Symbolsysteme untersuchen. Der Strukturalismus behauptet einen logischen Vorrang des Ganzen gegenüber den Teilen und versucht einen internen Zusammenhang von Phänomenen als Struktur zu fassen. Der philosophische Bereich des Strukturenrealismus stellt in seiner [[Erkenntnistheorie|epistemischen]] Variante die Theorie auf, dass alle wissenschaftliche Theorien über Strukturen in der Welt referieren, die [[ontisch]]e Variante behauptet, dass die Welt lediglich aus Strukturen bestehe und untersucht die Möglichkeiten der Existenz und der Entstehung von Relationen und (physikalischen) Objekten, bzw. fragt auch, ob es vielleicht auch nur Relationen ohne eigene Objektträger geben kann.
 
Die zentrale strukturwissenschaftliche Theorie innerhalb der [[Philologie]] stellt die [[Sprachwissenschaft|Linguistik]] bzw. die Sprachwissenschaft dar. Aus Sicht der Strukturwissenschaften handelt es sich hierbei um ein Teilgebiet der [[Semiotik]]. Von Sprachwissenschaftlern wird jedoch auch teilweise die Meinung vertreten, dass sich die Linguistik von diesem Teilgebiet aus bereits zu einer eigenständigen Strukturwissenschaft entwickelt habe. Unter dem strukturwissenschaftlichen Aspekt betrachtet geht Linguistik davon aus, dass ihr Objekt, die [[Sprache]], strukturiert ist. Sie entwickelt dazu methodische Verfahren, diese Strukturen aufzudecken und konstruiert Theorien, die diese Strukturen abbilden sollen.
 
In der [[Soziologie]] zählt vor allem die [[soziologische Systemtheorie]] von [[Niklas Luhmann]] als strukturwissenschaftliches Theoriegebäude, welches wiederum auf die Überlegungen des [[Strukturfunktionalismus]] und des Systemfunktionalismus von [[Talcott Parsons]] zurückgeht. Zur strukturellen und funktionalen Analyse sozialer Systeme entwickelte Parsons das [[AGIL-Schema]], das die für die Strukturerhaltung notwendigen Funktionen systematisiert. Die [[Systemtheorie (Luhmann)|Systemtheorie nach Niklas Luhmann]] ist eine philosophisch-soziologische Kommunikationstheorie mit universalem Anspruch, mit der die Gesellschaft als komplexes System von Kommunikationen beschrieben und erklärt werden soll. Kommunikationen sind dabei die Operationen, die diverse soziale Systeme der Gesellschaft entstehen lassen, vergehen lassen, erhalten, beenden, ausdifferenzieren, interpenetrieren und durch [[strukturelle Kopplung]] verbinden. Nach Luhmann sind soziale Systeme sinnverarbeitende Systeme. "Sinn" ist nach Luhmann die Bezeichnung für die Art und Weise, in der soziale (und psychische) Systeme Komplexität reduzieren. Die Grenze eines sozialen Systems markiert somit ein Komplexitätsgefälle von der Umwelt zum sozialen System. Soziale Systeme sind die komplexesten Systeme, die Systemtheorien behandeln können. In einem sozialen System entsteht durch die Reduktion von Komplexität im Vergleich zur Umwelt eine höhere Ordnung mit weniger Möglichkeiten. Durch die Reduktion von Komplexität vermitteln soziale Systeme zwischen der unbestimmten Weltkomplexität und der Komplexitätsverarbeitungskapazität psychischer Systeme.
 
Die [[Gestaltpsychologie]] der Leipziger Schule, eine von [[Felix Krueger]] zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründete Richtung, die sich als Gegenpol zur mechanisch-materialistischen [[Psychophysik]] verstand. Einen eher von den Grundlagen der Informatik getriebenen Zugang zur Psychologie findet man beim [[Konstruktivismus (Lernpsychologie)|Konstruktivismus]].
 
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Strukturwissenschaft}}
 
== Weblinks ==
{{Wiktionary}}
* [http://www.frege.uni-jena.de/ Homepage des Frege Centre for Structural Sciences] an der Friedrich-Schiller-Universität Jena
* [http://www.structural-science.net/ Competence Center for Pure and Applied Structural Sciences]
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
[[Kategorie:Strukturwissenschaft nach Fachgebiet|!]]
[[Kategorie:Strukturwissenschaften|!]]
{{Wikipedia}}

Version vom 16. März 2018, 13:30 Uhr

Als Subjektivismus wird seit der Neuzeit eine philosophische Grundhaltung bezeichnet, nach der alle Erkenntnis und das daraus entspringende Handeln nur subjektiv begründet werden können. Erst wenn die objektive Ideenwelt im Bewusstsein mit der damit verbundenen Evidenz aufleuchtet, wie sie beispielweise in mathematischen Beweisführungen gefunden werden kann, ist die Brücke zur Objektivität und damit zur Wirklichkeit gefunden, in der der Gegensatz von Subjekt und Objekt aufgehoben ist.

„Das Erkenntnisvermögen erscheint dem Menschen nur so lange als subjektiv, als er nicht beachtet, dass die Natur selbst es ist, die durch dasselbe spricht. Subjektiv und objektiv treffen zusammen, wenn die objektive Ideenwelt im Subjekte auflebt, und in dem Geiste des Menschen dasjenige lebt, was in der Natur selbst tätig ist. Wenn das der Fall ist, dann hört aller Gegensatz von subjektiv und objektiv auf. Dieser Gegensatz hat nur eine Bedeutung, solange der Mensch ihn künstlich aufrecht erhält, solange er die Ideen als seine Gedanken betrachtet, durch die das Wesen der Natur abgebildet wird, in denen es aber nicht selbst wirksam ist. Kant und die Kantianer hatten keine Ahnung davon, dass in den Ideen der Vernunft das Wesen, das Ansich der Dinge unmittelbar erlebt wird. Für sie ist alles Ideelle ein bloß Subjektives.“ (Lit.:GA 6, S. 54f)

Rudolf Steiner bezeichnete 1925 rückblickend seine eigene philosophische Position entsprechend als objektiven Idealismus.

„Ich konnte damals kein anderes Wort für meine Denkungsart finden als «objektiver Idealismus». Ich wollte damit sagen, daß für mich das Wesentliche an der Idee nicht ist, daß sie im menschlichen Subjekt erscheint, sondern daß sie wie etwa die Farbe am Sinneswesen an dem geistigen Objekte erscheint, und daß die menschliche Seele — das Subjekt — sie da wahrnimmt, wie das Auge die Farbe an einem Lebewesen.“ (Lit.:GA 28, S. 93)

In seiner «Philosophie der Freiheit» hat Rudolf Steiner klargestellt, dass es das Denken ist, das uns über die Subjektivität hinausführt und mit den Objekten verbindet:

„Insoferne der Mensch einen Gegenstand beobachtet, erscheint ihm dieser als gegeben, insoferne er denkt, erscheint er sich selbst als tätig. Er betrachtet den Gegenstand als Objekt, sich selbst als das denkende Subjekt. Weil er sein Denken auf die Beobachtung richtet, hat er Bewußtsein von den Objekten; weil er sein Denken auf sich richtet, hat er Bewußtsein seiner selbst oder Selbstbewußtsein. Das menschliche Bewußtsein muß notwendig zugleich Selbstbewußtsein sein, weil es denkendes Bewußtsein ist. Denn wenn das Denken den Blick auf seine eigene Tätigkeit richtet, dann hat es seine ureigene Wesenheit, also sein Subjekt, als Objekt zum Gegenstande.

Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen können. Deshalb darf das Denken niemals als eine bloß subjektive Tätigkeit aufgefaßt werden. Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. Wenn wir als denkendes Subjekt also den Begriff auf ein Objekt beziehen, so dürfen wir diese Beziehung nicht als etwas bloß Subjektives auffassen. Nicht das Subjekt ist es, welches die Beziehung herbeiführt, sondern das Denken. Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. Die Tätigkeit, die der Mensch als denkendes Wesen ausübt, ist also keine bloß subjektive, sondern eine solche, die weder subjektiv noch objektiv ist, eine über diese beiden Begriffe hinausgehende. Ich darf niemals sagen, daß mein individuelles Subjekt denkt; dieses lebt vielmehr selbst von des Denkens Gnaden. Das Denken ist somit ein Element, das mich über mein Selbst hinausführt und mit den Objekten verbindet. Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen als Subjekt gegenüberstellt.“ (Lit.:GA 4, S. 59f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, GA 1 (1987), ISBN 3-7274-0011-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1995), ISBN 3-7274-0040-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Goethes Weltanschauung, GA 6 (1990), ISBN 3-7274-0060-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  4. Rudolf Steiner: Mein Lebensgang, GA 28 (2000), ISBN 3-7274-0280-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.