Reines Denken und Naturalismus: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Lete
KKeine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
Mit dem '''reinen Denken''' beginnt die unmittelbare geistige Erfahrung. Es unterscheidet sich dadurch von der gewöhnlichen Verstandestätigkeit, durch die wir die sinnlichen Erfahrungen denkend zu durchdringen versuchen. Wir bedienen uns dabei des physischen [[Gehrin]]s als Werkzeug. Zwar ist es nicht das Gehirn, das denkt, aber das Gehirn spiegelt uns unsere eigene geistige Tätigkeit in Form der Verstandesgedanken zurück und bringt sie uns erst dadurch zu [[Bewusstsein]]. Durch den vorurteilslosen [[Verstand]] können wir zwar, wie [[Luzifer]] immer wieder sehr nachdrücklich betont hat, grundsäzlich geistige Inhalte ''begreifen'', aber doch nicht unmittelbar ''erleben''. Das wird erst durch das reine, sinnlichkeitsfreie Denken möglich.
Der '''Naturalismus''' sieht die [[Natur]] als das einzig [[Realität|Reale]] an. [[Geist]], [[Seele]], [[Leben]] und [[Bewusstsein]] sind gemäß dieser Anschauung auch Erscheinungen ''innerhalb'' und nicht außerhalb der Natur und daher der natürlichen [[Erkenntnis]] zugänglich. Geist und Natur bilden hier keinen Gegensatz. Eine solche Ansicht hatte etwa [[Goethe]] vertreten. Auch [[Rudolf Steiner]] vertrat stets einen geistigen [[Monismus]], für den die [[Materie]] eine Erscheinungsform des [[Geist]]igen ist. Daher erschien ihm auch die Frage sinnlos, wie [[Geist]] und Materie - etwa in Form des [[Leib-Seele-Problem]]s - wechselseitig aufeinander einwirken können; vielmehr gehe es darum, empirisch zu erforschen, wie der Geist seine verschiedenen Erscheinungsformen, zu denen auf elementarer Ebene auch die Materie zählt, hervorbringen könne. [[Sinnlich]]e und [[übersinnlich]]e Forschung gehen dabei Hand in Hand.


Im reinen Denken spiegelt sich unsere Denktätigkeit, die aus der Quelle des Ichs entspringt, nicht am [[Physischer Leib|physischen Leib]], sondern am [[Ätherleib]]. Wir erleben dabei zunächst die lebendigen Formen, die unser Denken dem [[Wärmeäther]] einprägt. Das reine Denken ist damit zugleich ein [[lebendiges Denken]], dass sich nicht in starren Begriffen und Definitionen, sondern in sich lebendig metamorphosierenden Gedankenformen vollzieht. Ohne genügender Herzenswärme können diese nicht als leibfreie Gedanken überleben; sie erkalten und erstarren sonst und verbinden sich dann notwendig mit dem physischen Leib. Die reinen Gedanken sind also in gewissem Sinn ätherische Wärmelebewesen und damit verwandt den [[Elementarwesen|Naturelementarwesen]], die im [[Feuer]] leben – den [[Salamander]]n, die die Früchte und Samen reifen lassen. Diese lebendigen reinen Gedanken werden als feurige Begeisterung des Denkens erlebt. Und dieses Feuer erweist sich sogleich als die ihnen innewohnende unbändige [[Wille]]nskraft, die so stark gefühlt werden kann, dass man sie als wirklicher als die äußere Sinneswelt erlebt. Hier ist der Punkt, wo man sich der eigenständigen Wirklichkeit des Geistigen erstmals aus eigener Erfahrung mit absoluter Sicherheit bewusst wird. Die Gedankenlebewesen machen sehr stark ihren Eigenwillen deutlich, so dass wir jetzt wissen: ''Es denkt in mir''. Indem wir uns ihnen objektiv gegenüberstellen, lassen sie uns dennoch völlig frei. Sie zwingen uns ebensowenig als wir sie zu zwingen vermögen. So intensiv und großartig dieses Erlebnis des reinen Denkens ist – es ist in diesem Sinne nicht ''überwältigend''!
Eine andere Form des Naturalismus entsteht, wenn man nur die äußeren sinnlich sichtbaren oder messbaren Erscheinungen gelten lässt und den geistigen und seelichen Erscheinungen keine eigenständige Realität zubilligt, sondern diese nur als irreale Auswürfe der Natur ansieht. Da wir die [[Wirklichkeit]] heute zunächst nicht unmittelbar, sondern nur als am [[Leib]] gespiegeltes Bild erleben, ist diese Auffassung weit verbreitet. Was in der [[angelsächsisch]]en Literatur als „[[mind]]“ bezeichnet und meist fälschlich als „Geist“ ins Deutsche übersetzt wird, ist tatsächlich nur dieses ''unwirkliche'' Spiegelbild.


Das reine Denken ist die Vorstufe zur geistigen Wahrnehmung, zur [[Imagination]]. Im reinen Denken ''erleben'' wir zunächst die Gedankenlebewesen, aber wir ''schauen'' sie noch nicht. Damit sie sich zum imaginativen Bild erhellen, muss sich unsere Denktätigkeit am [[Lichtäther]] spiegeln. Und bevor sich nun diese von uns geschaffenen, aber selbstständig werdenden Elementarwesen von unserem Willen loslösen, schauen wir zuerst uns selbst, d.h. eigentlich unseren [[Astralleib]] in seiner wahren Gestalt, im Spiegel des Lichtäthers: Das ist die Begegnung mit dem kleinen [[Hüter der Schwelle]], der uns zunächst in seiner erschreckenden [[Drache]]ngestalt erscheint. Erst danach wird der geistige Blick zur weiteren geistigen Schau frei zumindest sollte es bei einer gesunden geistigen Entwicklung so sein.
Wird die Natur demgemäß rein [[physik]]alisch aufgefasst, ergibt sich aus dem Naturalismus der [[Physikalismus]], der materielle, aber immerhin auch nichtmaterielle physikalische Phänomene wie z.B. den [[Elektromagnetismus]] umfasst. Lässt man überhaupt nur materielle Elemente gelten, wird daraus der [[Materialismus]].  
 
Nach [[Rudolf Steiner]] ist der Naturalismus zugleich "einer der drei [[Seelentöne]], durch den ''jede'' [[Weltanschauung]] modifiziert werden kann" {{Lit|{{G|151|61ff}}}}.
 
== Naturalismus in der Naturwissenschaft ==
 
Heute wird die Natur vornehmlich durch [[naturwissenschaft]]liche Methoden untersucht, wobei im Sinne des [[Reduktionismus]] alle Naturerscheinungen letztlich auf [[physik]]alische Prozesse zurückgeführt werden, d.h. der Naturalismus wird weitgehend als Physikalismus verstanden. Da das [[Phänomenales Bewusstsein|phänomenale Bewusstsein]] in der [[Tier]]- und [[Mensch]]enwelt ein fester Bestandteil der Natur zu sein scheint, schlägt der australische [[Philosoph]] [[David Chalmers]] vor, auch die phänomenalen Bewusstseinselemente, die sog. [[Qualia]] als eigenständige, nicht-physikalische [[Entität]]en in Form eines [[Eigenschaftsdualismus]] in das naturalistische Weltbild zu integrieren<ref>David Chalmers: ''The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory'', Oxford University Press Inc, Oxford 1996, ISBN 978-0195105537</ref>.
 
Einen ganz anderen Weg war zuvor schon [[Johann Wolfgang von Goethe]] gegangen, der die ganze Physik auf eine [[Phänomenologie|phänomenologische]] Grundlage stellen wollte und dazu mit seiner [[Farbenlehre (Goethe)|Farbenlehre]] ein konkret ausgearbeitetes Beispiel gegeben hat. Forschungsbestrebungen, die in dieser Richtung weiterstreben, werden zusammenfassend als „[[Goetheanismus]]“ bezeichnet.
 
== Naturalismus in der Kunst ==
 
{{Siehe auch|Naturalismus (Kunst)|Naturalismus (Bildende Kunst)|Naturalismus (Literatur)}}
 
In der [[Kunst]] gründet sich der Naturalismus auf eine sorgfältige Beobachtung der Natur und auf die eindringliche Darstellung rein natürlicher Geschehnisse bis hinein in das [[sozial]]e Leben der [[Mensch]]en. Die bloße Nachahmung der Natur begründet aber noch keine Kunst.
 
<div style="margin-left:20px">
"Indem
man das, was in der Natur verzaubert ist, wiederum auflöst, löst
man die Natur auf in ihre übersinnlichen Kräfte. Man kommt gar
nicht in den Fall, in strohern-allegorischer oder verstandesmäßig-unkünstlerischer
Weise irgend etwas als Idee, als ein Erdachtes, als
ein bloß Übersinnlich-Geistiges hinter den Dingen der Natur zu
suchen, sondern man kommt dazu, einfach die Natur zu fragen:
Wie würdest du in deinen einzelnen Teilen wachsen, wenn dein
Wachstum nicht durch ein höheres Leben unterbrochen würde? —
Man kommt dazu, ein Übersinnliches, das schon im Sinnlichen
drinnen ist, das verzaubert ist, aus dem Sinnlichen zu erlösen, während
es sonst im Sinnlichen verzaubert ist. Man kommt dazu, eigentlich
übernatürlich-naturalistisch zu sein." {{Lit|{{G|271|92f}}}}
</div>
 
In [[Rudolf Steiner]]s erstem [[Mysteriendrama]], «[[Die Pforte der Einweihung]]», führen Sophia und Estella ein interessantes Gespräch über die Bedeutung und den künstlerischen Wert (oder Unwert) des Naturalismus:
 
{|align="center"
|-
| <poem>SOPHIA:
Bedenke, meine liebe Estelte, daß eine lebensvolle
Erfassung der wahren Wirklichkeit dem Herzen
das Gefühl einer gewissen Armut des Kunstwerkes
erzeugen muß, da es doch gewiß ist, daß auch der
größte Künstler der vollen Natur gegenüber nur ein
Stümper bleiben muß. Mir wenigstens kann auch
die vollendete künstlerische Nachbildung das nicht
geben, was ich etwa den Offenbarungen einer
Landschaft oder eines menschlichen Antlitzes verdanke.
 
ESTELLA:
Das liegt doch aber in der Natur der Sache und ist
nicht zu ändern.
 
SOPHIA:
Es wäre zu ändern, wenn nur die Menschen sich
über eines zur: Klarheit bringen wollten. Sie können
sich nämlich sagen, daß es widersinnig ist,
durch die menschlichen Seelenkräfte das noch einmal
zu bilden, was höhere Mächte als das wahrste
Kunstwerk vor uns ausbreiten. Doch haben dieselben
Mächte dem Menschen ein Streben in die
Seele gelegt, an dem Schöpfungswerke gewissermaßen
fortzuarbeiten, um das der Welt zu geben,
was diese Mächte noch nicht selbst vor die Sinne
hinstellen. In allem, was der Mensch schaffen
kann, haben die schöpferischen Mächte die Natur
unvollendet gelassen. Warum sollte er ihre Vollkommenheit
in unvollkommener Gestalt nachbilden,
da er doch ihre Unvollkommenheit in Vollkommenheit
wandeln kann. Denke dir diese Behauptung
in ein elementarisches Gefühl verwandelt,
und du wirst dir auch eine Vorstellung davon
machen können, warum ich Unbehagen empfinde
so vielem gegenüber, was du Kunst nennst. Das
Gewahrwerden einer unvollkommenen WiedergaZwischenspiel
be der sinnenfäiligen Wirklichkeit muß Unbehagen
hervorrufen, während die unvollkommenste Darstellung
dessen, was sich hinter der äußeren Beobachtung
verbirgt, eine Offenbarung sein kann.
 
ESTELLA:
Du redest eigentlich von etwas, was nirgends
vorhanden ist. Denn eine bloße Wiedergabe der
Natur erstrebt ja kein wahrer Künstler.
 
SOPHIA:
Darin liegt aber gerade die Unvollkommenheit vieler
Kunstwerke, daß die schöpferische Betätigung
durch sich selbst über die Natur hinausfuhrt, und
daß der Künstler nicht weiß, wie das aussieht, was
nicht in die sinnliche Beobachtung fällt. {{Lit|{{G|014|125ff}}}}</poem>
|}
 
== Siehe auch ==
 
* {{WikipediaDE|Naturalismus}}
 
==Literatur==
* [[Rudolf Steiner]]: ''Vier Mysteriendramen'', [[GA 14]] (1998), ISBN 3-7274-0140-0
* [[Rudolf Steiner]]: ''Der menschliche und der kosmische Gedanke'', [[GA 151]] (1990), ISBN 3-7274-1510-X {{Vorträge|151}}
* [[Rudolf Steiner]]: ''Kunst und Kunsterkenntnis'', [[GA 271]] (1985), ISBN 3-7274-2712-4
* Eris Ado (Pseudonym): ''Nahtod, Nachtod, Naturalismus''. Informationen für Skeptiker, BoD, Norderstedt 2016
 
== Weblinks ==
* [https://de.scribd.com/document/369132663/Die-Skeptiker-Bewegung-in-der-kritischen-Diskussion-Edgar-Wunder Die „Skeptiker“–Bewegung in der kritischen Diskussion Edgar Wunder]
{{GA}}
 
== Einzelnachweise ==
<references />
 
[[Kategorie:Naturalismus|!]]
[[Kategorie:Wissenschaftstheorie]]
[[Kategorie:Philosophie des Geistes]]
[[Kategorie:Weltanschauung]]

Version vom 15. September 2019, 15:15 Uhr

Der Naturalismus sieht die Natur als das einzig Reale an. Geist, Seele, Leben und Bewusstsein sind gemäß dieser Anschauung auch Erscheinungen innerhalb und nicht außerhalb der Natur und daher der natürlichen Erkenntnis zugänglich. Geist und Natur bilden hier keinen Gegensatz. Eine solche Ansicht hatte etwa Goethe vertreten. Auch Rudolf Steiner vertrat stets einen geistigen Monismus, für den die Materie eine Erscheinungsform des Geistigen ist. Daher erschien ihm auch die Frage sinnlos, wie Geist und Materie - etwa in Form des Leib-Seele-Problems - wechselseitig aufeinander einwirken können; vielmehr gehe es darum, empirisch zu erforschen, wie der Geist seine verschiedenen Erscheinungsformen, zu denen auf elementarer Ebene auch die Materie zählt, hervorbringen könne. Sinnliche und übersinnliche Forschung gehen dabei Hand in Hand.

Eine andere Form des Naturalismus entsteht, wenn man nur die äußeren sinnlich sichtbaren oder messbaren Erscheinungen gelten lässt und den geistigen und seelichen Erscheinungen keine eigenständige Realität zubilligt, sondern diese nur als irreale Auswürfe der Natur ansieht. Da wir die Wirklichkeit heute zunächst nicht unmittelbar, sondern nur als am Leib gespiegeltes Bild erleben, ist diese Auffassung weit verbreitet. Was in der angelsächsischen Literatur als „mind“ bezeichnet und meist fälschlich als „Geist“ ins Deutsche übersetzt wird, ist tatsächlich nur dieses unwirkliche Spiegelbild.

Wird die Natur demgemäß rein physikalisch aufgefasst, ergibt sich aus dem Naturalismus der Physikalismus, der materielle, aber immerhin auch nichtmaterielle physikalische Phänomene wie z.B. den Elektromagnetismus umfasst. Lässt man überhaupt nur materielle Elemente gelten, wird daraus der Materialismus.

Nach Rudolf Steiner ist der Naturalismus zugleich "einer der drei Seelentöne, durch den jede Weltanschauung modifiziert werden kann" (Lit.: GA 151, S. 61ff).

Naturalismus in der Naturwissenschaft

Heute wird die Natur vornehmlich durch naturwissenschaftliche Methoden untersucht, wobei im Sinne des Reduktionismus alle Naturerscheinungen letztlich auf physikalische Prozesse zurückgeführt werden, d.h. der Naturalismus wird weitgehend als Physikalismus verstanden. Da das phänomenale Bewusstsein in der Tier- und Menschenwelt ein fester Bestandteil der Natur zu sein scheint, schlägt der australische Philosoph David Chalmers vor, auch die phänomenalen Bewusstseinselemente, die sog. Qualia als eigenständige, nicht-physikalische Entitäten in Form eines Eigenschaftsdualismus in das naturalistische Weltbild zu integrieren[1].

Einen ganz anderen Weg war zuvor schon Johann Wolfgang von Goethe gegangen, der die ganze Physik auf eine phänomenologische Grundlage stellen wollte und dazu mit seiner Farbenlehre ein konkret ausgearbeitetes Beispiel gegeben hat. Forschungsbestrebungen, die in dieser Richtung weiterstreben, werden zusammenfassend als „Goetheanismus“ bezeichnet.

Naturalismus in der Kunst

In der Kunst gründet sich der Naturalismus auf eine sorgfältige Beobachtung der Natur und auf die eindringliche Darstellung rein natürlicher Geschehnisse bis hinein in das soziale Leben der Menschen. Die bloße Nachahmung der Natur begründet aber noch keine Kunst.

"Indem man das, was in der Natur verzaubert ist, wiederum auflöst, löst man die Natur auf in ihre übersinnlichen Kräfte. Man kommt gar nicht in den Fall, in strohern-allegorischer oder verstandesmäßig-unkünstlerischer Weise irgend etwas als Idee, als ein Erdachtes, als ein bloß Übersinnlich-Geistiges hinter den Dingen der Natur zu suchen, sondern man kommt dazu, einfach die Natur zu fragen: Wie würdest du in deinen einzelnen Teilen wachsen, wenn dein Wachstum nicht durch ein höheres Leben unterbrochen würde? — Man kommt dazu, ein Übersinnliches, das schon im Sinnlichen drinnen ist, das verzaubert ist, aus dem Sinnlichen zu erlösen, während es sonst im Sinnlichen verzaubert ist. Man kommt dazu, eigentlich übernatürlich-naturalistisch zu sein." (Lit.: GA 271, S. 92f)

In Rudolf Steiners erstem Mysteriendrama, «Die Pforte der Einweihung», führen Sophia und Estella ein interessantes Gespräch über die Bedeutung und den künstlerischen Wert (oder Unwert) des Naturalismus:

SOPHIA:
Bedenke, meine liebe Estelte, daß eine lebensvolle
Erfassung der wahren Wirklichkeit dem Herzen
das Gefühl einer gewissen Armut des Kunstwerkes
erzeugen muß, da es doch gewiß ist, daß auch der
größte Künstler der vollen Natur gegenüber nur ein
Stümper bleiben muß. Mir wenigstens kann auch
die vollendete künstlerische Nachbildung das nicht
geben, was ich etwa den Offenbarungen einer
Landschaft oder eines menschlichen Antlitzes verdanke.

ESTELLA:
Das liegt doch aber in der Natur der Sache und ist
nicht zu ändern.

SOPHIA:
Es wäre zu ändern, wenn nur die Menschen sich
über eines zur: Klarheit bringen wollten. Sie können
sich nämlich sagen, daß es widersinnig ist,
durch die menschlichen Seelenkräfte das noch einmal
zu bilden, was höhere Mächte als das wahrste
Kunstwerk vor uns ausbreiten. Doch haben dieselben
Mächte dem Menschen ein Streben in die
Seele gelegt, an dem Schöpfungswerke gewissermaßen
fortzuarbeiten, um das der Welt zu geben,
was diese Mächte noch nicht selbst vor die Sinne
hinstellen. In allem, was der Mensch schaffen
kann, haben die schöpferischen Mächte die Natur
unvollendet gelassen. Warum sollte er ihre Vollkommenheit
in unvollkommener Gestalt nachbilden,
da er doch ihre Unvollkommenheit in Vollkommenheit
wandeln kann. Denke dir diese Behauptung
in ein elementarisches Gefühl verwandelt,
und du wirst dir auch eine Vorstellung davon
machen können, warum ich Unbehagen empfinde
so vielem gegenüber, was du Kunst nennst. Das
Gewahrwerden einer unvollkommenen WiedergaZwischenspiel
be der sinnenfäiligen Wirklichkeit muß Unbehagen
hervorrufen, während die unvollkommenste Darstellung
dessen, was sich hinter der äußeren Beobachtung
verbirgt, eine Offenbarung sein kann.

ESTELLA:
Du redest eigentlich von etwas, was nirgends
vorhanden ist. Denn eine bloße Wiedergabe der
Natur erstrebt ja kein wahrer Künstler.

SOPHIA:
Darin liegt aber gerade die Unvollkommenheit vieler
Kunstwerke, daß die schöpferische Betätigung
durch sich selbst über die Natur hinausfuhrt, und
daß der Künstler nicht weiß, wie das aussieht, was
nicht in die sinnliche Beobachtung fällt. (Lit.: GA 014, S. 125ff)

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. David Chalmers: The Conscious Mind: In Search of a Fundamental Theory, Oxford University Press Inc, Oxford 1996, ISBN 978-0195105537