Spiritismus

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Spiritismus ist die Lehre und Praxis der Beschwörung von Geistern, die sich mit Hilfe eines Mediums sinnlich wahrnehmbar mitteilen sollen. Die häufigste Form ist die Totenbeschwörung oder Nekromantie.

Geschichte

Geisterbeschwörungen sind eine sehr alte und in vielen Religionen verbreitete Praxis. Die Begründung des modernen Spiritismus wird gewöhnlich den Schwestern Margaret und Kate Fox und ihren Eltern zugeschrieben, die 1848 behaupteten, in einem Haus in Hydesville im US-Staat New York, das sie unlängst neu bezogen hatten, seltsame Klopfgeräusche zu hören, welche sie dem Geist eines ermordeten und im Keller begrabenen Hausierers zuschrieben. Die Familie übernahm die schon lange etablierte Technik der „Kommunikation“ mit derartigen „Klopfgeistern“, bei der jedem Buchstaben im Alphabet eine bestimmte Anzahl von Klopfzeichen zugeordnet wird, und suchte mit großem Erfolg die Öffentlichkeit. Bei der ersten öffentlichen Demonstration der „Fähigkeiten“ der Mädchen in Rochester, New York, im November 1848 waren 400 zahlende Gäste zugegen. Bald traten auch andernorts solche Medien auf, hauptsächlich im evangelikal geprägten Nordosten der USA, und auf dem Höhepunkt dieser Welle um 1855 sollen eine bis mehrere Millionen US-Amerikaner von der Realität der angeblichen Geisterbeschwörungen überzeugt gewesen sein. Dabei verbreiteten sich schnell auch neue Methoden der „Kommunikation“ mit den Geistern wie das „automatische Schreiben“, bei der der Geist vermeintlich die Hand des Mediums führte, oder das Aussprechen der Gedanken der Geister durch in Trance versetzte Medien.[1]

Das Neue, das den modernen Spiritismus gegenüber ähnlichen älteren Praktiken auszeichnete, war das große Interesse, welches ihm eine breite Öffentlichkeit entgegenbrachte. Antoine Faivre weist darauf hin, dass der Spiritismus etwa zugleich mit der klassischen fantastischen Literatur und mit der sozialen Utopie des Marxismus auftrat und dass unmittelbar vor dem großen Medienrummel um die Fox-Schwestern das Buch The Principles of Revelation von Andrew Jackson Davis (1847), ein vielgelesenes Standardwerk des Mesmerismus, in den USA erschienen war. Der Mesmerismus versuchte ebenfalls, wenn auch auf etwas andere Art („Magnetisierung“), mit Hilfe von Medien Informationen aus einer übersinnlichen Welt zu erhalten. Weitere wichtige Aspekte der Vorgeschichte waren die mystische Lehre Emanuel Swedenborgs und die im französischen Illuminismus des späten 18. Jahrhunderts verbreiteten „Kommunikationen“ mit höheren geistigen Wesen. Im deutschen Sprachraum hatte Justinus Kerner 1826 beträchtliches Aufsehen erregt, indem er die später so genannte Seherin von Prevorst „magnetisierte“ und so dazu brachte, mit den Geistern Verstorbener zu kommunizieren, „Klopfgeister“-Erscheinungen hervorzurufen und von höheren geistigen Wesen empfangene Lehren zu verkünden. Schon 1794 hatte auch terJohann Caspar Lavater von spiritistischen Sitzungen berichtet.[2]

Die von den Fox-Schwestern ausgelöste Spiritismus-Welle verbreitete sich schnell auch in Europa, wo der Franzose Allan Kardec (1804–1869), der erste bedeutende Theoretiker dieser Bewegung, eine auf dem Spiritismus und auf dem Glauben an die Reinkarnation basierende Religion stiftete. In Deutschland fasste die Bewegung relativ langsam Fuß und entwickelte sich nicht zu einer Massenbewegung, stieß andererseits aber stärker als in anderen Ländern auf Interesse in intellektuellen und wissenschaftlichen Kreisen (z. B. bei Karl Friedrich Zöllner und Gustav Theodor Fechner). Heute wird die Anhängerschaft des Spiritismus weltweit auf über 100 Millionen geschätzt, wovon die meisten in Südamerika leben.[3]

Spiritismus als Religion

Als Religion ist der Spiritismus durch eine ausgeprägte szientistische Haltung und durch eine scharfe Ablehnung des traditionellen Christentums charakterisiert. Grundlegend ist die Überzeugung, dass die menschliche Seele nach dem Tod weiter existiert und dass es mit Hilfe von Medien möglich ist, mit den Seelen Verstorbener zu kommunizieren. Die Verstorbenen unterscheiden sich demnach nur wenig von ihrer früheren irdischen Existenz, behalten ihre Eigenheiten, und auch die „andere Welt“, in der sie leben, ähnelt dem Diesseits, ist allerdings in mancherlei Hinsicht „besser“. Damit verbunden war ursprünglich die Überzeugung, dass die Existenz der Seelen oder Geister mittels wissenschaftlicher Experimente nachgewiesen werden könne. Wilhelm Wundt bezeichnete den Spiritismus daher als eine Form des Materialismus, die sich zwar „spirituell“ nenne und eine Alternative zum herkömmlichen Materialismus sein wolle, aber das Spirituelle materiell vorstelle. Ähnlich ambivalent ist das Verhältnis zum Christentum, da Spiritisten sich vielfach selbst als Christen bezeichnen, aber das traditionelle Christentum entschieden ablehnen.[4]

Spiritismus aus geistiger Sicht

Obwohl Rudolf Steiner dem Spiritismus ausgesprochen skeptisch bis feindselig gegenüberstand (vgl. GA 243, S. 151f), hielt er dennoch den Verkehr mit den Toten für möglich und für zulässig. So unterstützte er z. B. die Kontakte und Impulse von Sigwart ins Reich der Lebenden („Brücke über den Strom“).

Heinz Grill verdeutlicht als Ergebnis seiner geistigen Forschungen, dass bei einer medialen Übermittelung die wirkliche eigenständige Bezugsaufnahme nicht aufgebaut werden müsse und eine aktive Schulung der Seelenkräfte fehle. Dadurch bringe man sich weder zur irdischen Welt noch zu den spirituellen Gesetzen in eine konkrete und vernünftige Beziehung:[5]

„In spiritistischen Sitzungen oder in mehr oder weniger deutlicher Form in medialen Überlieferungen nimmt der Einzelne, der sich diesen Techniken widmet, keinen wirklichen Kontakt in Form einer Anschauung, Wahrnehmung oder Erkenntnis auf. Er erlebt nicht, wie sich der Verstorbene fühlt und wie die Gesetze im Nachtodlichen wirken, sondern er nützt nur die Informationen, die sich durch spiritistische Übertragungen oder mediale Übermittelungen ergeben. Der Verstorbene wird benutzt zum Informationsgewinn für den eigenen Vorteil. Durch diese Techniken, die im esoterischen Bereich heute sehr vielseitig sind, besteht die große Gefahr, dass der Übende keinen wirklichen Bezug zur irdischen Welt aufbaut und sich gegenüber einer Erweiterung des konkreten Denkens, realen Fühlens und Wahrnehmens und schließlich einer gesunden Willensbildung verschließt. Für alles Heilwerden, das durch die Seele oder durch die Spiritualität motiviert wird, sollte deshalb jegliche dubiose mediale Technik vermieden werden. Zum Heilwerden der Seele gehört immer eine solide Schulung des Denkens, Fühlens und Wollens, und diese sollte sich sowohl zur irdischen Welt in vernünftiger Weise als auch zu spirituellen Gesetzen in konkreter Weise in Beziehung bringen. Sehr sorgfältig sollte sogar der Heilsuchende auf diese Regel, die besagt, alle esoterisch halbfertigen Techniken beiseite zu lassen, achten, denn diese bewirken nicht eine Stabilisierung der Weisheit, sthita prajnah, die so wichtig wäre, damit sich eine ruhige Grundlage im Menschen mit Gesundheit entfalten kann, sondern eine Reizung des Vegetativums, auf deren Grundlage sich schließlich nervliche Schwächen und Krankheiten entwickeln.“

Bekannte Spiritisten

Allan Kardec, Daniel Dunglas Home, Arthur Conan Doyle (der Erfinder von Sherlock Holmes), Helena Petrovna Blavatsky, Karl Friedrich Zöllner, Alfred Russel Wallace, Sir Oliver Lodge, Theodate Pope Riddle, Mina "Margery" Crandon, Alexander Aksakov, Léon Denis, Johannes Greber, Chico Xavier

Bekannte Gegner des Spiritismus

John Nevil Maskelyne, Harry Houdini, James Randi, Carl Sagan

Literatur

  • Ruth Brandon: The Spiritualists: The Passion for the Occult in the Nineteenth and Twentieth Centuries, Buffalo 1983
  • R. Laurence Moore: Spiritualism, in: The Rise of Adventism: Religion and Society in Mid-Nineteenth-Century America, New York 1974, S. 79-103
  • Ders.: In Search of White Crows – Spiritualism, Parapsychology, and American Culture, New York 1977
  • Geoffrey K. Nelson: Spiritualism and Society, London 1969
  • Janet Oppenheim: The Other World: Spiritualism and Psychical Research in England, 1850-1914, Cambridge 1985
  • Diethard Sawicki: Leben mit den Toten: Geisterglauben und die Entstehung des Spiritismus in Deutschland 1770-1990, Paderborn 2001

Siehe auch

Okkultismus, Séance

Weblinks

Einzelnachweise

  1. John Patrick Deveney: Spiritualism, in: Wouter J. Hanegraaff (ed.): Dictionary of Gnosis and Western Esotericism, Leiden 2005, S. 1075f; Kocku von Stuckrad: Was ist Esoterik?, München 2004, S. 201
  2. Wouter J. Hanegraaff: New Age Religion and Western Culture, Leiden 1996, S. 436f; Antoine Faivre: Esoterik im Überblick, Freiburg 2001, S. 109f; Stuckrad, S. 201f
  3. Deveney, S. 1079–1081; Stuckrad, S. 202; Faivre, S. 109f
  4. Hanegraaff, S. 438–441
  5. Heinz Grill: Die Heilkraft der Seele. Der Lichtäther und der Lichtseelenprozess. 3. vollständig überarbeitete Auflage. Stephan Wunderlich Verlag, 2015, ISBN 978-3-9817200-2-0, S. 45.
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