Materie und Wahrheit: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
 
imported>Joachim Stiller
 
Zeile 1: Zeile 1:
Als '''Materie''' (von [[Latein|lat.]] ''materia'' = „Stoff“; etymologisch verwandt mit [[Latein|lat.]] ''mater'' = „Mutter“ bzw. ''matrix'' = „Gebärmutter“; {{ELSalt|ὕλη}}, ''[[hylē]]'') wird ''allgemein'' alles '''Stoffliche''' bezeichnet, das uns in der sinnlich-physischen Welt umgibt und insgesamt die '''stoffliche Welt''' aufbaut, im [[Physik|physikalisch]] weitesten Sinn alles, was [[Ruhemasse]] besitzt. Aus geistiger Sicht gibt es aber auch [[#Höhere Materieformen|höhere Materieformen]].
'''Wahrheit''' (von {{idg|*wēr-|Vertrauen, Treue, Zustimmung}}; [[lat.]] ''[[veritas]]''; {{ELSalt|ἀλήθεια}} [[Aletheia]], aus [[Wikipedia:Alpha privativum|α privativum]] und {{polytonisch|λῆθος}}, [[Wikipedia:Partizip Perfekt Passiv|P.P.P.]] von {{polytonisch|λανθάνω}}, „verbergen“, bedeutet also wörtlich: „das Unverborgene“) ist ein [[Philosophie|philosophischer]] [[Begriff|Grundbegriff]], der aber von verschiedenen [[Denken|Denkern]] sehr unterschiedlich gefasst wurde → [[Wikipedia:Wahrheit|Wahrheit]].


== Die sinnlich-physische Materie ==
{{GZ|Die Wahrheit ist aber nichts,
[[Datei:Plasma globe.jpg|mini|Aus [[Ion]]en und [[Elektron]]en bestehendes, [[Elektrizität|elektrisch]] leitendes [[Plasma (Physik)|Plasma]] in einer [[Wikipedia:Plasmalampe|Plasmalampe]].]]
worüber man [[Meinung]]en haben kann. Eine Wahrheit weiß man, oder
man weiß sie nicht. Es kann niemand sagen, daß die drei Winkel im
Dreieck 725 Grad haben statt 180.|93|108}}


{{Hauptartikel|Atom|Chemisches Element}}
== Was ist Wahrheit? ==
[[Bild:Was_ist_Wahrheit.jpg|thumb|250px|[[Wikipedia:Nikolai Nikolajewitsch Ge|Nikolai Nikolajewitsch Ge]]: ''Was ist Wahrheit'' – Quid est veritas? (1890); [[Pontius Pilatus]] zu [[Jesus von Nazareth|Jesus]] {{Bibel|Joh|18|38|LUT}}.]]


Die charakteristische Eigenschaft der [[physisch]]en Materie ist ihre [[Masse (Physik)|Masse]], durch die sie der [[Trägheit]] unterliegt und der [[Schwerkraft]] unterworfen ist. [[Licht]] etwa ist in diesem Sinn ''keine'' Materie, da es über keine Ruhemasse verfügt.  
Solange die Menschen noch von der alten Götterweisheit, die sie [[Hellsehen|hellsichtig]] empfangen hatten, zehren konnten, und sei es auch nur durch Überlieferung, solange brauchten sie die Frage nach der Wahrheit nicht zu stellen. [[Paulus]], als er noch Saulus war, vertraute noch ganz auf diese alte Offenbarung. Ein letzter Rest dieser - mittlerweile freilich substanzlos gewordenen - Gesinnung lebt noch in dem [[1870]] festgeschriebenen [[Dogma]] der [[Päpstliche Unfehlbarkeit|Päpstlichen Unfehlbarkeit]] für alle [[Wikipedia:ex cathedra|ex cathedra]] verkündigten [[Glaube]]ns- und [[Moral|Sittenlehren]]. Quelle der Wahrheit ist hier nicht der [[Mensch]], aber ein allmächtiger Gott kann nach dem Anspruch dieses Dogmas die Unfehlbarkeit eines Menschen, nämlich des [[Papst]]es, bewirken.


Die [[notwendig]]en, [[Phänomen|phänomenologisch]] fassbaren, gemeinsamen charakteristischen Eigenschaften der sinnlich-physischen Stoffe sind darüber hinaus, neben ihrer [[Masse (Physik)|Masse]], ihre [[Raum|räumliche]] Ausdehnung und mithin ihr endliches [[Volumen]], ihre innere [[Struktur]] und ihr innerer Gehalt an [[Wärme|Wärmeenergie]]. So aufgefasst sind die Stoffe [[ding]]haft, [[Gegenstand|gegenständlich]].  Aus physikalischer Sicht sind im wesentlichen alle physischen Stoffe aus [[Chemisches Element|chemischen Elementen]] und diese wiederum aus [[Atom]]en aufgebaut, die sich weiter zu komplexeren [[Molekül]]en verbinden können und der Materie ihre ''spezifische stoffliche Identität'' verleihen.
[[Pilatus]], als er den [[Christus]] verhörte, konnte sich der Wahrheit nicht mehr sicher sein:


Die räumliche Ausdehnung der Materie, durch die sie erst als Stoff erscheinen kann, ist gemäß der [[Quantenmechanik]] eine Folge des für alle [[Fermion]]en gültigen [[Pauli-Prinzip|Pauli-Prinzip]]s. Materie umfasst in diesem Sinn alle [[Elementarteilchen]] mit [[Spin]] <math>\tfrac12</math> (eben die Fermionen), also die nach heutiger Kenntnis näherungsweise punktförmigen<ref>Die maximale Ausdehnung ist durch die [[Planck-Länge]] ''l<sub>P</sub>'' = 1,616 · 10<sup>−35</sup> [[Wikipedia:Meter|m]] begrenzt.</ref> [[Quarks]] und [[Leptonen]] sind derart wohl materiell, aber keine Stoffe. [[Thomas Görnitz]] schreibt dazu:
{{Zitat|33 Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden?
34 Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben dir's andere über mich gesagt?
35 Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan?
36 Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt.
37 Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.
38 Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.|[[Johannesevangelium]]|{{BB|Joh|18|33-38|LUT}}}}


{{LZ|Mit „Stoff“ wollen wir – wie die frühen Philosophen – das Körperliche
Durch [[Luzifer]] war der [[Mensch]] in die [[irdisch]]-[[sinnliche Welt]] versetzt worden. Dadurch kam er zugleich immer mehr in den Einflussbereich [[Ahriman]]s und verfiel dem [[Irrtum]] und der [[Sünde]].  
bezeichnen, dasjenige, was einen Widerstand gegen Kompression leistet wie
feste Körper, Flüssigkeiten und Gase – nach dem Motto: „wo ein Körper
ist, kann kein zweiter sein“. Kräfte hingegen können sich durchdringen: Wo
Schwerkraft ist, kann es beispielsweise auch magnetische Kräfte geben.


Die Unterscheidung zwischen ruhmassebehafteter Materie als Gegenstück
<div style="margin-left:20px">
zu reiner Bewegung, also zu ruhmasseloser Energie, sowie von Kraft
"Dadurch, daß der Mensch verfrüht herunterversetzt
als Gegenstück zu Stoff hat einen klaren physikalischen Hintergrund. Die
worden ist in die irdische Sphäre, daß ihn seine irdischen Interessen
Unterschiede zwischen Kraft und Stoff beruhen aus Sicht der Quantentheorie
und Begierden heruntergedrängt haben, dadurch kam es anders, wie es
auf dem Spin der beteiligten Teilchen. Der Spin charakterisiert, wie sich das
sonst gekommen wäre in der Mitte der atlantischen Zeit.
Quantenobjekt bei einer Drehung verhält.
 
Dadurch haben sich hineingemischt in das, was der Mensch hat
sehen und begreifen können, die ahrimanischen Geister, diejenigen
Geister, die eben auch mit dem Namen mephistophelische Geister
bezeichnet werden können. Dadurch verfiel der Mensch in Irrtum,
verfiel in das, was man eigentlich erst die bewußte Sünde nennen
könnte. Also von der Mitte der atlantischen Zeit an wirkt auf den
Menschen die Schar der ahrimanischen Geister ein. Wozu hat nun diese
Schar der ahrimanischen Geister sozusagen den Menschen verführt?
Sie hat ihn dazu verführt, daß er das, was in seiner Umgebung ist,
für stofflich, für materiell hält, daß er nicht durch dieses Stoffliche
hindurchsieht auf die wahren Untergründe des Stofflichen, auf das
Geistige. Würde der Mensch in jedem Stein, in jeder Pflanze und in
jedem Tier das Geistige sehen, er würde niemals verfallen sein in
Irrtum und damit in das Böse, sondern der Mensch würde, wenn nur
die fortschreitenden Geister auf ihn gewirkt hätten, bewahrt geblieben
sein vor jenen Illusionen, denen er immer verfallen muß, wenn er nur
auf die Aussage der Sinneswelt baut." {{Lit|{{G|107|244ff}}}}
</div>
 
Erst nachdem der Mensch gelernt hatte, sich seines eigenen [[Verstand]]es zu bedienen, der aber eben auch durch den Einfluss [[Ahriman]]s dem [[Irrtum]] unterliegen kann, stellt sich immer wieder die Frage, die auch [[Pontius Pilatus]] stellen musste: „Was ist Wahrheit?“
 
<div style="margin-left:20px">
"Unter
den hebräischen Menschen gab es Schriftgelehrte, die aus der Schrift
wußten, was da noch aufbewahrt worden war von der alten Götterweisheit
her. Aus diesen Schriftgelehrten heraus entstand das Urteil,
das den Christus Jesus zum Tode verurteilt hat. Solch ein Mensch wie
Paulus, als er noch Saulus war, sieht also hinauf zu der Urgötterweisheit. Aus der strömt herunter bis zu den Schriftgelehrten seiner Zeit
dasjenige, was diese Götterweisheit dem Menschen geworden ist. Indem
hervorragende Menschen sich hingegeben haben dem Schrifttum,
konnte diese Götterweisheit nur dazu führen, daß gerechte Urteile
gesprochen wurden. Ein Unschuldiger, der zum Kreuzestod verurteilt
wird: unmöglich, unmöglich! wenn sich alles so vollzog, wie es sich
vollzogen hat bei der Verurteilung des Christus Jesus. Nur der römische
Landpfleger Pontius Pilatus, der war schon instinktiv hineinverstrickt
in eine ganz andere Weltanschauung, der konnte das inhaltsvolle
Wort aussprechen: Was ist Wahrheit? - Für Paulus, als er noch
Saulus war, war keine Möglichkeit, auch nur daran zu denken, daß
das, was nach gerechtem Urteile sich vollzogen hat, nicht hätte Wahrheit
sein sollen.


Mit „Stoff” soll alles bezeichnet werden, was dem Pauli-Prinzip unterliegt –
Zu welcher Überzeugung mußte sich denn Paulus durchringen? Zu
was also physikalisch gesprochen einen halbzahligen Spin hat.|Görnitz, S. 478}}
der Überzeugung, daß bei den Menschen Irrtum sein kann dasjenige,
was einmal von den Göttern als Wahrheit gekommen ist, daß die Menschen
es haben zum Irrtume machen können, zu solch starkem Irrtum,
daß der Schuldloseste durch den Kreuzestod geht.


Als Stoffe im weitesten Sinn sind erst alle aus Elementarteilchen aufgebauten, räumlich erscheinenden Objekte wie [[Proton]]en und [[Neutron]]en ([[Atomkern]]e), [[Atom]]e, elektrisch geladene [[Ion]]en, [[Molekül]]e, [[Festkörper|feste]], [[Flüssigkeit|flüssige]] und [[gas]]förmige Stoffe, [[Plasma (Physik)|Plasma]] usw. bis hin zu den [[Planet]]en, [[Stern]]en und [[Galaxie]]n aufzufassen.
Um ganz klar zu werden, machen wir uns davon eine schematische
Zeichnung:


Zu beachten ist dabei aber, dass die angegebenen phänomenologischen Eigenschaften der Stoffe keineswegs unmittelbar auf Elementarteilchen übertragen werden können und auch nur sehr bedingt auf Atome und Moleküle. So ist aus [[quantenphysik]]alischer Sicht durchaus strittig, ob Atomen und Molekülen eine definierte [[Gestalt]] [[an sich]] und unabhängig von ihrer Umgebung zugeschrieben werden kann. Dementsprechend betonte auch ''Richard Guy Woolley'' in seinem Artikel «''Must a molecule have shape?''»:
[[Datei:GA211 118.gif|center|500px|GA 211, S 118]]


{{LZ|Die Quantenmechanik kann ziemlich genau vorhersagen, wie sich die Energie eines Moleküls ändern kann, aber sie sagt streng genommen nichts über die Form eines Moleküls. Das ist eine erstaunliche Aussage für einen Chemiker, weil es die räumlichen Beziehungen der chemisch gebundenen Atomen sind, die am wichtigsten sind für das Verständnis dafür, wie Moleküle mit anderen reagieren. Chemiker, Physiker und Molekularbiologen sollten sich daher überlegen, wie sie die Quantenmechanik nutzen und was sie mit Atomen und Molekülen eigentlich meinen.|Richard Guy Woolley in ''New Scientist'', 22. Oktober 1988, S. 53<ref>Im englischen Original:<br>„Quantum mechanics can predict fairly accurately the way
Ursprüngliche Götterweisheit, sie strömt herunter bis zu der Weisheit
the energy of a molecule may change, but strictly speaking it
der Schriftgelehrten, die die Zeitgenossen des Mysteriums von
says nothing about the shape of a molecule. This is an astonishing
Golgatha innerhalb des Hebräertums waren (weiß). Da kann nur die
statement for a chemist because it is the spatial
Wahrheit drinnen sein, so mußte Saulus denken. Aber man mußte anders
relationships of chemically bonded atoms that is most
denken. Paulus, als er noch Saulus war, sagte sich: Ist das wirklich
important in understanding how molecules react with each
der Christus, der Messias, der durch den Kreuzestod gegangen ist, so
other. Chemists, physicists and molecular biologists should
muß da drinnen in dieser Strömung (rot) Irrtum sein. Da muß Irrtum
reconsider now how they use quantum mechanics, and what
zugemischt sein der Wahrheit, denn der Irrtum muß es sein, der den
they mean by atoms and molecules.“</ref>}}
Christus ans Kreuz gebracht hat; das heißt, die einstige Götter Wahrheit
muß in den Menschen zum Irrtum geworden sein.


Elementarteilchen, Atome und Moleküle sind jedenfalls schon wegen des für [[Quantenobjekte]] fundamentalen [[Welle-Teilchen-Dualismus]], durch den sie sich je nach [[Beobachtung]]sbedingung als „[[Welle]]“ oder „[[Teilchen]]“ offenbaren können, keine ''Dinge'' im herkömmlichen Sinn. Der klassische Stoff-Begriff ist auf sie nicht anwendbar. Vielmehr muss man hier im Einklang mit der modernen Physik von einer ''[[Ideenwelt|objektiven Gedankenwelt]]'' sprechen, die durch ihre [[Kraft]]wirkungen [[Messgerät|messtechnisch]] erfassbar ist, die allerdings, so wie die Materie heute geworden ist, der [[Untersinnliche Welt|untersinnlichen Welt]], also dem [[ahrimanisch]]en Weltbereich angehört. Tatsächlich hat man es also hier mit [[wesen]]haften ahrimanischen Kräften zu tun, die [[Wikipedia:Wolfgang Pauli|Wolfgang Pauli]] auch als den [[Imagination|imaginativ]] zu erlebenden „Geist der Materie“ bezeichnet hat.
Selbstverständlich konnte der Saulus sich nur überzeugen durch die
Tatsache, daß das so ist. Nur der Christus selbst konnte ihn überzeugen,
wenn er ihm erschien, wie das durch das Ereignis von Damaskus
geschehen ist. Was bedeutete das aber für den Saulus? Das bedeutete,
daß eben nicht mehr die alte Götterweisheit war, sondern daß in diese
das [[Ahriman]]ische hereingeströmt war.


<div style="margin-left:20px">
So kam Paulus dazu, einzusehen, daß die Menschheitsentwickelung
"Überall an der Stelle, wo der Mensch Materie
von einem Feinde ergriffen war, und daß dieser Feind der Quell des
hinträumt, da ist in Wahrheit Ahriman. Und die größte Verführung
Irrtums auf der Erde ist." {{Lit|{{G|211|117ff}}}}
ist die materialistische Theorie der Physik, sind die materiellen
Atome; denn diese sind nichts anderes in Wirklichkeit als die
Kräfte des Ahriman." {{Lit|{{G|145|161}}}}
</div>
</div>


== Zusammenbruch des klassischen physikalischen Materiebegriffs ==
=== Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben ===
{{Textbox|<poem>Ich habe den MENSCHEN gesehn in seiner tiefsten Gestalt,
ich kenne die Welt bis auf den Grundgehalt.
 
Ich weiß, daß Liebe, Liebe ihr tiefster Sinn,
und daß ich da, um immer mehr zu lieben, bin.
 
Ich breite die Arme aus, wie ER getan,
ich möchte die ganze Welt, wie ER, umfahn.</poem>|Christian Morgenstern<ref>Christian Morgenstern: ''Wir fanden einen Pfad'', Piper, München 1914, S. 52</ref>}}
Die Antwort auf die Frage des Pilatus nimmt der Christus schon während des [[Abendmahl|Letzten Abendmahls]] in seinen Abschiedsreden voraus, wie sie im [[Johannesevangelium]] überliefert sind, wenn er sagt: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben». Christus selbst ''ist'' die lebendige Wahrheit, zu der er auch den Weg bereitet - und dieser Weg führt durch den Christus zum [[Vater]], d.h. in das innerste Zentrum und die eigentliche Quelle des höchsten [[Gott|Göttlichen]]. Indem sich der Mensch aus freiem Entschluss auf ganz individuelle Weise mit der Christuskraft durchdringt, im Sinne des Paulinischen Wortes «[[Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir]]» {{Bibel|Gal|2|20|LUT}}, lebt in ihm die Wahrheit.
 
[[File:Christ at Rest, by Hans Holbein the Younger.jpg|mini|390px|[[Wikipedia:Hans Holbein der Jüngere|Hans Holbein der Jüngere]]: ''Christus im Elend'', 1519]]
{{Zitat|1 Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!
2 In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?
3 Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin.
4 Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.
5 Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?
6 Jesus spricht zu ihm: '''Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben'''; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
7 Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.
8 Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater und es genügt uns.
9 Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater?
10 Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus. Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke.
11 Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, so glaubt doch um der Werke willen.
12 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun; denn ich gehe zum Vater.
13 Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohn.
14 Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.|[[Johannesevangelium]]|{{BB|Joh|14|1-14|LUT}}}}
 
=== Ecce homo ===
 
In dem [[Christus Jesus]] ist die Wahrheit erstmals und in vollem Umfang leibhaftig Mensch geworden. Mit vollem Recht spricht Pilatus daher, als er den gegeißelten, blutüberströmten, in den purpurnen Königsmantel gehüllten und mit der [[Dornenkrone]] gekrönten Jesus Christus dem Volk präsentiert, sein [[Ecce homo]] ({{ELSalt|Ἰδοὺ ὁ ἄνθρωπος}} ''idoù ho ánthropos'' „Siehe, der Mensch“) {{Bibel|Joh|19|5|ELB}}.
 
Die Wahrheit erkennen heißt deshalb: ''Christus erkennen!'' Jenen Christus, dessen Wesen die reine Liebe ist, die sich frei verschenkt und darum auch Freiheit schenkt. Und wo immer ein Stück der Wahrheit erkannt wird, wird auch der Christus erkannt.
 
{{LZ|Wenn wir von
»Wahrheit« reden, meinen wir damit einen allgemeinen
Sinnverhalt, nämlich die Tatsache, daß wir irgend
etwas im Lichte der ewigen Wesenheit erkennen. Johannes
aber sagt im Prolog: Das ist ein bloßer Zwischengedanke, der nur bedingt gilt. Im Letzten ist die
Wahrheit Er, der Logos; und Erkennen bedeutet im
Letzen, den Logos, Christus zu erkennen und alle
Dinge in Ihm.|Guardini, S. 103f}}
 
Und weil der Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist, ist auch die Wahrheit ''göttlich'' und ''menschlich'' zugleich.
 
== Wahrheitstheorien ==


{{GZ|Wenn auch die wenigsten Menschen das heute noch beachten, so muß man doch sagen: die letzten zwanzig Jahre haben eigentlich gerade auf dem Gebiete der Physik die denkbar größte Revolution hervorgerufen. Vorstellungen, die vor dreißig Jahren noch als unerschütterlich galten, sind heute durchaus revolutioniert. Man braucht nur den Namen Einstein zu nennen oder den Namen Lorentz, des holländischen Physikers, und man kann, indem man diese Namen nennt, hinweisen auf eine ganze Fülle von Tatsachen und Auseinandersetzungen, welche die Physik, wie sie noch vor dreißig Jahren war, durchaus revolutioniert, erschüttert haben. Es kann das, was hier vorliegt, natürlich von mir nicht in den Einzelheiten ausgeführt werden. Aber auf diese Tatsache der Revolutionierung der Physik, die ja in gewissen Kreisen schon bekannt genug ist, muß doch hingewiesen werden. Nun aber kann man sagen: Während zum Beispiel etwas so Bedeutsames vorliegt wie die Revolutionierung des alten Masse- und Materiebegriffes durch die neuere Strahlungstheorie der Elektrizität, finden unsere wissenschaftlichen Vorstellungsarten keine Möglichkeit, zurechtzukommen mit dem, was da eigentlich durch die Fülle der Experimente dem Menschen entgegengetreten ist. Aus der Anschauung der strahlenden Materie im Glasvakuum konnte man sehen, daß dieselben Eigenschaften, die man früher der Materie beigelegt hat, zum Beispiel eine gewisse Geschwindigkeit und Beschleunigung, man nunmehr genötigt ist, der strahlenden Elektrizität beizulegen; man hat also sozusagen den Materiebegriff unter den Fingern verloren. Das stellte sich aus der Anschauung der Fülle von Experimenten heraus, daß nicht irgend etwas hätte gesetzt werden können an die Stelle des alten Materiebegriffes; und aus der Einsteinschen Relativitätstheorie mit ihren furchtbar kalten Abstraktionen läßt sich auch so etwas nicht herausgewinnen wie eine wirkliche Anschauung desjenigen, mit dem man es eigentlich in der äußeren Natur zu tun hat.|73a|30}}
{{Hauptartikel|Wahrheitstheorie}}


Nach [[Erwin Schrödinger]], der 1926 die nach ihm benannte [[Schrödingergleichung]] zur Berechnung quantenmechanischer Phänomene formulierte, sind [[Atom]]e keine [[stoff]]lichen Gebilde, keine [[Ding]]e, sondern reine [[Form]]:
Im Lauf der [[Philosophiegeschichte]] wurden verschiedene [[Wahrheitstheorien]] entwickelt. Nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht über die wichtigsten Ansätze:


{{LZ|Bis in die jüngste Zeit
{| class="wikitable zebra" style="width: 90%; margin-left: 2em; text-align: center;"
haben, soviel mir bekannt, die Atomtheoretiker aller Jahrhunderte
!width="20%"|''Position''
die in Rede stehende Charakteristik von den
!width="38%"|''Wahrheitsdefinition''
sichtbaren und greifbaren Teilen der Materie auf die Atome
!width="20%"|''Wahrheitsträger''
übertragen, welche sie weder sehen, noch tasten, noch sonstwie
!width="22%"|''Wahrheitskriterium''
einzeln beobachten konnten. Heute sind wir in der Lage,
|-
einzelne Elementarteilchen zu beobachten, wir sehen ihre
|[[Ontologisch-metaphysische Korrespondenztheorie]]
Bahnspuren in der Nebelkammer sowie - bei Versuchen,
|„Veritas est adaequatio intellectus et rei“<br />Wahrheit ist die Übereinstimmung von erkennendem Verstand und Sache
von denen oben nicht die Rede war - in einer photographischen
|Denken
Emulsion, wir stellen die praktisch gleichzeitigen
|Sachen in der Welt
Entladungen fest, die ein einzelnes schnelles Teilchen in
|-
zwei oder drei Geigerschen Zählrohren auslöst, welche in
| [[Dialektisch-materialistische Widerspiegelungstheorie]]
mehreren Metern Entfernung hintereinander aufgestellt
|Übereinstimmung zwischen Bewusstsein und objektiver Realität
sind. Dennoch sind wir genötigt, dem Teilchen die Würde
|Bewusstsein (orthodoxer Marxismus)<br />oder Aussage (moderner Marxismus)
eines schlechthin identifizierbaren Individuums abzuerkennen.
|Praxis<ref name="Wahrheit">Artikel „Wahrheit“. In: Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): ''Philosophisches Wörterbuch.'' 11. Aufl., Leipzig 1975.</ref>
Wenn früher ein Physiker gefragt wurde, aus welchem
|-
Stoff denn die Atome selbst bestünden, durfte er lächeln
|[[Wikipedia:Wahrheit|Logisch-empiristische Bildtheorie]]
und ausweichend antworten. Wenn aber der Frager durchaus
|Übereinstimmung der logischen Struktur des Satzes mit der des von ihm abgebildeten Sachverhalts
wissen wollte , ob er sie sich als kleine unveränd erliche
|Satzstruktur
Stückchen von gewöhnlicher Materie vorstellen dürfe, so
|Struktur der Sachverhalte
wie sie sich dem vorwissenschaftlichen Denken darstellten,
|-
durfte man ihm sagen, das habe zwar wenig Sinn, aber es
|[[Semantische Theorie der Wahrheit]]
könne nichts verschlagen. Die ehedem bedeutungslose Frage
|„x ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn p“ (Für „p“ ist eine beliebige Aussage, für „x“ ein beliebiger Eigennahmen dieser Aussage einzusetzen.)
hat heute Sinn bekommen. Die Antwort ist ein entschiedenes
|Satz (der Objektsprache)
Nein. Dem Atom fehlt das allerprimitivste Merkmal, an das
|Diskursuniversum (der Objektsprache)
wir bei einem Stück Materie im gewöhnlichen eben denken.
|-
Manche ältere Philosophen würden, wenn ihnen der Fall
|[[Redundanztheorie]]
vorgelegt werden könnte, sagen: eure neumodischen Atome
|Der Begriff der Wahrheit wird nur aus stilistischen Gründen verwendet, oder um der eigenen Behauptung Nachdruck zu verleihen.
bestehen überhaupt aus keinem Stoff, sie sind reine Form.|Schrödinger, S. 135f}}
| Sätze
| –
|-
|[[Wikipedia:Wahrheit|Performative Theorie]]
|das, was man tut, wenn man sagt, eine Aussage sei wahr
|Handlung / Sprechakt / Selbstverpflichtung
|eigenes Verhalten
|-
|[[Kohärenztheorie der Wahrheit|Kohärenztheorie]]
|[[Widerspruchsfreiheit]] / Ableitungsbeziehungen einer Aussage zum System akzeptierter Aussagen
|Aussage
|Kein Widerspruch von Aussage und bereits akzeptiertem Aussage-System
|-
|[[Konsenstheorie der Wahrheit|Konsensustheorie]]
|[[diskurs]]iv einlösbarer [[Geltungsanspruch]], der mit einem konstativen Sprechakt verbunden ist
|Aussage/Proposition<ref name="Habermas">Jürgen Habermas: ''Wahrheitstheorien''. In: [[Wikipedia:Helmut Fahrenbach|Helmut Fahrenbach]] (Hrsg.): ''Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag''. Neske, Pfullingen 1973, S. 211–265, hier S. 249: „Nur Aussagen können wahr oder falsch sein.“</ref>
|begründeter Konsens unter Bedingungen einer idealen Sprechsituation<ref name="Habermas" />
|-
|}


Der [[Chemiker]] [[Hans Primas]] ergänzt:
== Die Wahrheit ist ein freies schöpferisches Erzeugnis des Menschen ==
[[Datei:GA3.jpg|thumb|200px|]]


{{LZ|Der moderne Materiebegriff der Quantenphysik
{{Zitat|Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.|Johannes-Evangelium|{{BB|Joh|8|31-32|LUT}}}}  
ist grundsatzlich versehieden von demjenigen
des Atomismus und der klassischen
Physik. Quarks, Photonen, Elektronen, Neutronen
und Protonen sind keine „Dinge“, sie
haben nicht mehr die geringste Ahnlichkeit
mit kleinen Billardkugeln. Die Welt besteht
nicht aus unabhangig voneinander existierenden
Einheiten. Die sogenannten Elementarteilchen
(ein denkbar unglucklicher Name!)
sind weder Teilchen noch elementar. Sie haben
keine Grenzen und sind im allgemeinen nicht
lokalisiert. Wie das Pauli-Prinzip zeigt, besitzen sie nicht einmal Individualitat. Im Gegensatz
zum historischen Atomismus hat in der
Quantenphysik der Stoffbegriff auf atomarer
Ebene keinen Sinn mehr.|Primas, S. 163}}


== Geist und Materie ==
[[Rudolf Steiner]]s Wahrheitsbegriff deckt sich in ihrem wesentlichen Kern mit ''keiner'' der genannten [[Wahrheitstheorien]], sondern ist auf die [[schöpfer]]ische [[Freiheit]] des [[Individuum|individuellen]] Menschen gegründet.


Die Materie zeigt uns zunächst nur ihre sinnliche Außenseite, dahinter aber wirkt der [[Geist]].  
Für [[Johann Gottlieb Fichte|Fichte]], an den Rudolf Steiner in seiner Dissertation anknüpft, muss die Wahrheit ''„thätig und mit Freiheit hervorgebracht werden, durch Anstrengung und eigne Kraftanwendung“''<ref>Johann Gottlieb Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit. In: Johann Gottlieb Fichte: Werke. Bd. 8, S. 351</ref> und besteht letztlich darin, ''mit sich selbst'' übereinstimmend zu denken.


<div style="margin-left:20px">
{{Zitat|Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das leztere, so können wir des erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bey allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Übereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie andre denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von aussen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie andre denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch andre. – Mit denen übereinzustimmend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?|Johann Gottlieb Fichte|Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit|ref=<ref>[http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Fichte/Fichte_Ueber_Belebung_und_Erhoehung_des_reinen_Interesses_fuer_Wahrheit.pdf Johann Gottlieb Fichte: ''Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit'']</ref>}}
"Wir müssen zum Beispiel dadurch, daß wir jetzt
 
auf dem physischen Plan mit der äußeren Materie leben, in gewissen
Wahrheit ist nichts fertig in der Welt Vorhandenes, sondern etwas [[Freiheit|frei]] und [[Individualität|individuell]] durch das [[Ich]] zu Schaffendes - diesen Standpunkt hat auch [[Rudolf Steiner]] in seinem [[Philosophie|philosophischen]] Grundlagenwerk «[[Wahrheit und Wissenschaft]]» (1892) vertreten:
Fällen die Fähigkeit haben, auch in der äußeren Materie um uns herum
überall den Geist wahrzunehmen. Denn Materie ist ja nur ein Trugbild,
Maja, alles ist verdichteter Geist. So daß wir für das gewöhnliche
Leben unter den Gegenständen der Materie den Geist zu spüren haben.
Wir müssen also zu ihr in ein äußeres Verhältnis kommen können, daß
wir gewissermaßen intime Beziehungen einzugehen vermögen mit den
Dingen." {{Lit|{{G|127|109}}}}
</div>


Was der Materie [[geist]]ig im Verborgenen zugrunde liegt, wurde bereits in den der [[Erdentwicklung]] vorangegangenen [[Weltentwicklungsstufen]] des [[Alter Saturn|alten Saturns]], der [[Alte Sonne|alten Sonne]] und des [[Alter Mond|alten Mondes]] entwickelt. [[Rudolf Steiner]] gebrauchte dafür einmal folgendes Bild:
{{GZ|Das Resultat dieser Untersuchungen ist, dass die Wahrheit
nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle
Abspiegelung von irgendeinem Realen ist, sondern ein freies
Erzeugnis des Menschengeistes, das überhaupt nirgends
existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten. Die
Aufgabe der Erkenntnis ist nicht: etwas schon anderwärts
Vorhandenes in begrifflicher Form zu wiederholen, sondern
die: ein ganz neues Gebiet zu schaffen, das mit der
sinnenfällig gegebenen Welt zusammen erst die volle
Wirklichkeit ergibt. Damit ist die höchste Tätigkeit des
Menschen, sein geistiges Schaffen, organisch dem
allgemeinen Weltgeschehen eingegliedert. Ohne diese
Tätigkeit wäre das Weltgeschehen gar nicht als in sich
abgeschlossene Ganzheit zu denken. Der Mensch ist dem
Weltlauf gegenüber nicht ein müßiger
Zuschauer, der innerhalb seines Geistes das bildlich
wiederholt, was sich ohne sein Zutun im Kosmos vollzieht,
sondern der tätige Mitschöpfer des Weltprozesses; und das
Erkennen ist das vollendetste Glied im Organismus des
Universums.|3|11f|11}}


<div style="margin-left:20px">
Rudolf Steiner sieht sich damit im Einklang mit [[Goethe]]:
"Ich könnte noch ein anderes Bild bringen: Nehmen wir einmal
an, wir hätten vor uns irgendeinen Aufbau, kunstvoll geschichtet
aus Papierrollen. Nun können wir zunächst beschreiben, was wir
da kunstvoll aus Papierrollen geschichtet haben: Einige Rollen stehen,
die anderen sind schief zusammengerollt und das, kunstvoll
zusammengestellt, gibt irgendeinen Aufbau. Aber denken Sie sich,
wir hätten nicht bloß Papierrollen aufgeschichtet, sondern in jede
Papierrolle wäre hineingemalt ein wunderbares Gemälde. Das würden
wir gar nicht sehen, wenn wir die Rollen, die zusammengerollt
sind und auf der Innenseite die Gemälde haben, ins Auge fassen.
Und dennoch sind sie drinnen! Und bevor der Aufbau hat geschehen
können, mußten die Malereien hineingemalt sein. Nehmen Sie
aber an, es wäre die Sache so, daß wir nicht den kunstvollen Aufbau
aus den Papierrollen schichteten, sondern daß der sich selbst
schichten müßte. Sie können sich natürlich nicht vorstellen, daß er
sich selbst schichtet, da haben Sie ganz recht, kein Mensch kann
sich das vorstellen; aber nehmen wir an, dadurch, daß die Gemälde
auf alle Rollen gemalt sind, läge in ihnen die Kraft, daß sich die
Rollen selber schichteten: Dann haben Sie hier ein Bild von unserem
wirklichen Weltengebäude! Die Gemälde, die auf den Rollen
sind, kann ich vergleichen mit all dem, was während der Saturn-,
der Sonnen- und Mondenzeit geschehen ist, was da hineingeheimnist
ist in jeden einzelnen Teil unseres Weltengebäudes. Aber es
sind keine toten Gemälde, es sind lebendige Kräfte, die dasjenige,
was auf der Erde sein soll, was auf unserem physischen Plan sein
soll, aufbauen, und wir holen heraus dasjenige, was kunstvoll verborgen
ist in dem, was gewissermaßen aus einzelnen Rollen des
Weltengebäudes vor uns aufgeschichtet ist, und was beschrieben
wird von der äußeren Wissenschaft, was uns gegenübersteht im
äußeren Leben. Wenn Sie aber dieses Bild zu Ende denken - ich
habe lange nachgesonnen, ein Bild, das möglichst entspricht dem
Sachverhalt, zu finden; es ist das Bild von diesen Rollen, die lebendige,
tätige Bilder haben -, dann werden Sie finden, daß kein
menschliches Auge, das der Aufschichtung entgegenschaut, zunächst
eine Ahnung haben kann von den Bildern, die da drinnen
sind. Wenn der Aufbau recht kunstgemäß ist, werden wir etwas
recht Kunstgemäßes als Beschreibung des Aufbaues bekommen,
aber nichts wird in der Beschreibung stehen von den Gemälden, die
drinnen sind.


Sehen Sie, so ist es mit der äußeren Wissenschaft. Sie beschreibt
{{GZ|Verschieden gestalten sich die subjektiven Erlebnisse bei
diesen kunstvollen Aufbau, sie läßt aber ganz außer acht dasjenige,
verschiedenen Menschen. Für diejenigen, welche nicht an die
was als Gemälde auf jeder einzelnen Rolle steht. Aber wenn Sie den
objektive Natur der Innenwelt glauben, ist das ein Grund mehr,
Vergleich zu Ende denken, müssen Sie noch etwas ganz anderes ins
dem Menschen das Vermögen abzusprechen, in das Wesen der
Auge fassen: Gibt es denn in all jener Tätigkeit, welche diesen
Dinge zu dringen. Denn wie kann Wesen der Dinge sein, was
kunstvollen Aufbau der Rollen beschreibt, eine Möglichkeit, auch
dem einen so, dem andern anders erscheint. Für denjenigen, der
nur zu ahnen, geschweige denn wirklich etwas zu beschreiben von
die wahre Natur der Innenwelt durchschaut, folgt aus der
dem, was auf den einzelnen Rollen steht, wenn eben die Rollen zusammengerollt
Verschiedenheit der Innenerlebnisse nur, dass die Natur ihren
sind und das Gebäude aufbauen? Das gibt es gar
reichen Inhalt auf verschiedene Weise aussprechen kann. Dem
nicht! In diesem Sinne müssen Sie sich auch klar sein, daß die gewöhnliche
einzelnen Menschen erscheint die Wahrheit in einem
Wissenschaft zunächst gar nicht darauf kommen kann,
individuellen Kleide. Sie passt sich der Eigenart seiner
daß unserem Weltengebäude dieses Geistige zugrunde liegt. Daher
Persönlichkeit an. Besonders für die höchsten, dem Menschen
kann in einer geraden Fortsetzung desjenigen, was man sich aneignet
wichtigsten Wahrheiten gilt dies. Um sie zu gewinnen,
in der gewöhnlichen Wissenschaft, nicht das Verständnis für die
überträgt der Mensch seine geistigen, intimsten Erlebnisse auf
Geisteswissenschaft liegen, sondern es muß etwas hinzukommen,
die angeschaute Welt und mit ihnen zugleich das Eigenartigste
etwas, was im Grunde genommen gar nichts zu tun hat mit der gewöhnlichen
seiner Persönlichkeit. Es gibt auch allgemeingültige
Wissenschaft. Denn denken Sie einmal, Sie haben diese
Wahrheiten, die jeder Mensch aufnimmt, ohne ihnen eine
aufgeschichteten Rollen vor sich. Jemand kann sie sehr gut beschreiben,
individuelle Färbung zu geben. Dies sind aber die
er wird noch wunderbare Schönheiten finden, etwa daß manche
oberflächlichsten, die trivialsten. Sie entsprechen dem
Rollen mehr schief, manche weniger schief gelegt sind, manche zu
allgemeinen Gattungscharakter der
einer Rundung gebaut sind und so weiter, er wird all das hübsch
Menschen, der bei allen der gleiche ist. Gewisse
beschreiben. Aber um darauf zu kommen, daß auf jeder Rolle inwendig
Eigenschaften, die in allen Menschen gleich sind, erzeugen über
ein Gemälde ist, dazu ist notwendig, daß er eine Rolle herausnimmt
die Dinge auch gleiche Urteile. Die Art, wie die Menschen die
und sie aufrollt. Es hat gar nichts zu tun mit der Beschreibung
Dinge nach Maß und Zahl ansehen, ist bei allen gleich. Daher
des geschichteten Gebäudes. Es muß also etwas Besonderes hinzukommen
finden alle die gleichen mathematischen Wahrheiten. In den
zu der menschlichen Seele, wenn die Seele aus der gewöhnlichen
Eigenschaften aber, in denen sich die Einzelpersönlichkeit von
wissenschaftlichen Weltanschauungsweise, wie wir sie heute
dem allgemeinen Gattungscharakter abhebt, liegt auch der
haben, hineinkommen will in eine geisteswissenschaftliche Betrachtung,
Grund zu den individuellen Ausgestaltungen der Wahrheit.
es muß die Seele von etwas Besonderem ergriffen werden. Das
Nicht darauf kommt es an, dass in dem einen Menschen die
ist dasjenige, was heute so schwer verständlich ist für die äußere, im
Wahrheit anders erscheint als in dem andern, sondern darauf,
Materialismus lebende Kultur, was aber wieder begriffen werden
dass alle zum Vorschein kommenden individuellen Gestalten
muß, wie es begriffen worden ist in den verschiedensten Kulturperioden,
einem einzigen Ganzen angehören, der einheitlichen ideellen
in denen man noch eine geistige Weltanschauung als die
Welt. Die Wahrheit spricht im Innern der einzelnen Menschen
physische Weltanschauung durchdringend hatte. Altere Zeiten waren
verschiedene Sprachen und Dialekte; in jedem großen
sich immer klar darüber, daß dasjenige, was man von dem geistigen
Menschen spricht sie eine eigene Sprache, die nur dieser einen
Inhalte der Welt wissen soll, beruht auf einem besonderen Erfangenwerden
Persönlichkeit zukommt. Aber es ist immer die eine Wahrheit,
der Seele von der Geistigkeit. Daher haben sie nicht
die da spricht. «Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur
bloß von Wissenschaftlichkeit, sondern von Initiationen und dergleichen
Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine
gesprochen, und mit Recht davon gesprochen." {{Lit|{{G|169|145ff}}}}
eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.» Dies
</div>
ist Goethes Meinung.|6|65f|59}}


=== Materie ist verdichteter Geist ===
Die „eine einzige Wahrheit“ kann sich nur auf das Vergangene, Gewordene, Tote beziehen - und versagt gegenüber dem [[Leben]]digen.


Materie ist letztlich nichts anderes als verdichteter, verhärteter Geist und von diesem zwar seiner Erscheinungsform nach, aber nicht [[Substanz|substanziell]] verschieden  - oder wie es der [[Quantenphysik]]er [[Hans-Peter Dürr]] einmal so treffend in einem Interview ausdrückte: ''Materie ist Kruste des Geistes''<ref>Interview mit [[Hans-Peter Dürr]] in [https://www.derstandard.at DER STANDARD], 12. November 1998, ''Materie ist Kruste des Geistes''</ref><ref>siehe auch: [https://www.youtube.com/watch?v=3DqnblYfH5Y Hans-Peter Dürr: Geist kann zu Materie werden] - Interview mit Hans-Peter Dürr an seinem Arbeitsplatz im Münchner Max-Planck-Institut im Sommer 1997 ([[https://www.youtube.com/watch?v=3DqnblYfH5Y YouTube])</ref>. Was als [[sinnlich]]-[[physisch]]e Materie, als lebendiges [[Äther]]isches und als [[Lust]] und [[Leid]] empfindendes [[Astralisches]] erscheint, sind nur verschiedene Verwandlungsformen des Geistes. Im [[Denken]] kann der [[Mensch]] zuletzt die [[Naturgesetz]]e bewusst erfassen, d.h. jenes Geistige, ohne das die materiellen Erscheinungen keinen Bestand hätten. Die äußere sinnliche Erscheinung des Materiellen und seine innere rein geistige Gesetzmäßigkeit kommen dem Menschen zwar gemäß seiner gegenwärtigen [[Erkenntnis]]weise auf verschiedenen Wegen zu, nämlich durch emprische [[Beobachtung]] einerseits und durch das logisch strukturierte Denken andererseits. Tatsächlich sind sie aber nur zwei untrennbar miteinander verbundene Erscheinungsformen ein und derselben geistig-materiellen [[Wirklichkeit]]. Höhere Erscheinungsformen des Geistigen - wie das [[Äther]]ische oder [[Astral]]e - sind nicht mehr sinnlich, sondern nur [[übersinnlich]], d.h. durch [[geistige Wahrnehmung]] fassbar.
{{GZ|Dasjenige, was in dem gewöhnlichen Sinne des physischen Planes als wahr gilt,
das kann sich im Grunde genommen, wenn wir unter Wahrheit verstehen, die Übereinstimmung
mit dem, was schon ist, nur auf das Vergangene, das heißt auf das Notwendige
beziehen. Was im lebendigen Entstehen ist, das müssen wir immer produzieren.
Darinnen müssen wir leben. Darinnen müssen wir uns gerade aus dem Notwendigen
herausfließende, lebendige Begriffe aneignen gegenüber dem Lebendigen.
Da können wir nicht auf etwas, womit der Begriff übereinstimmt, hinschauen,
sondern nur in dem Begriff selber leben.|163|88}}


Dass Materie und [[Energie]] wechselseitig ineinander umgewandelt werden können, ist seit der von [[Albert Einstein]] entdeckten [[Äquivalenz von Masse und Energie]] weithin bekannt. Sie wird durch berühmt gewordene Formel <math>E_{0}=m_{0}\,c^{2}</math> beschrieben. Materie wird dabei im weitesten Sinn in [[Licht]], genauer gesprochen in [[elektromagnetische Strahlung]] umgewandelt, die zwar [[physik]]alisch messbar, aber nicht im klassischen Sinn dinghaft materiell ist. Selbst die [[masse]]behafteten [[Elementarteilchen]], die als die Grundbausteine der [[makroskopisch]] greifbaren Materie gelten, sind gemäß der [[Quantentheorie]] keine winzigen, voneinander abgegrenzte räumlich [[Lokalität (Physik)|lokalisierbare]] [[real]]en [[Ding]]e mit wohlbestimmten Eigenschaften. Sie sind in gewissem Sinn nur [[potentiell]] vorhanden und realisieren sich erst durch ihre [[Wechselwirkung]] oder [[Messung]].
Ganz deutlich betonte Rudolf Steiner diesen schöpferischen Charakter des Erkennens auch in dem Ausblick, mit dem seine 1900 veröffentlichen „[[Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert]]“ ausklingen, die später zu „[[Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt]]“ ([[GA 18]]) erweitert wurden:


Um das Verhältnis des Geistes zur Materie zu veranschaulichen, gebraucht [[Rudolf Steiner]] öfters das Bild von [[Wasser]] und [[Eis]], die beide nur verschiedene Erscheinungsformen bzw. [[Aggregatzustände]] ein und desselben Substanz sind:
{{LZ|Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden als in der von mir erlebten.|Rudolf Steiner: ''Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert'', Berlin 1900, [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url&#61;http://www.odysseetheater.org/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Faksimiles/GA018_1900.pdf#page&#61;370&view&#61;Fit S. 188]}}


{{GZ|Der Geistesforscher sucht den
Schon in den «[[GA 1|Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften]]» hatte Rudolf Steiner geschrieben, dass der Mensch zwangsläufig einen offenbaren oder verhüllten [[Anthropomorphismus]] in seine [[Erkenntnis]]tätigkeit hineinträgt, ja, dass dadurch, wenn es in richtiger Weise geschieht, überhaupt erst Erkenntnis möglich wird. Er entfernt sich dadurch keineswegs von der Wirklichkeit, die grundsätzlich nur in einem Subjekt und Objekt übergreifenden Prozess zu erreichen ist:
Geist nicht nur im Menschen, sondern überall um uns
herum. In allem erscheint er wie eine innere Physiognomie.
Er ist überall im Weltenall ausgebreitet. Kein Mensch,
kein Tier, keine Pflanze, kein Stein kann sein, ohne daß der
Geist die Grundlage dieses Wesens ist. Hierfür gebrauche
ich gerne ein Bild. Wir denken uns einen Wasserbehälter, in
dem das Wasser allmählich abgekühlt wird. Dadurch möge
etwas entstehen wie ein teilweiser Einschlag von Eisbrocken,
so daß wir schwimmend darin haben einige Eisbrocken.
Nehmen wir nun an, irgendein Wesen habe nicht die Fähigkeit,
Wasser wahrzunehmen, sondern nur Eis. Da würde
eben nur aus dem Wasser heraus das Eis auftauchen, das
Wasser selbst aber würde dieses Wesen leugnen. «Überall
ist nur Eis vorhanden, Wasser aber nicht», würde dieses
Wesen sagen.


Ähnlich verhalten sich nun die Menschen zu Geist und
{{GZ|Der Mensch muß die Dinge aus seinem Geiste sprechen
Stoff. So wie in unserem Bilde das Eis aus dem Wasser sich
lassen, wenn er ihr Wesen erkennen will. Alles, was er über
verhärtet, so entsteht die Materie aus dem Ursprünglichen,
dieses Wesen zu sagen hat, ist den geistigen Erlebnissen seines
aus dem Geist. Materie ist nichts anderes als verdichteter
Innern entlehnt. Nur von sich aus kann der Mensch die
Geist. Sie taucht für den Sehenden auf aus dem Geist, dagegen
Welt beurteilen. Er muß anthropomorphisch denken. In die
für den, der nicht sehen kann, aus dem Nichts. Alles
einfachste Erscheinung, z. B. in den Stoß zweier Körper
im Weltenraum ist verdichteter Geist. Wenn nun der Materialist
bringt man einen Anthropomorphismus hinein, wenn man
kommt und sagt: «Das, was du Geist nennst, ist nicht
sich darüber ausspricht. Das Urteil: «Der eine Körper
vorhanden», so steht es mit seiner Logik schlecht, denn er
stößt den andern», ist bereits anthropomorphisch. Denn
dürfte eigentlich nur zugeben, daß er den Geist nicht wahrnehmen
man muß, wenn man über die bloße Beobachtung des Vorganges
könne.|57|11f}}
hinauskommen will, das Erlebnis auf ihn übertragen,
das unser eigener Körper hat, wenn er einen Körper
der Außenwelt in Bewegung versetzt. Alle physikalischen
Erklärungen sind versteckte Anthropomorphismen. Man
vermenschlicht die Natur, wenn man sie erklärt, man legt
die inneren Erlebnisse des Menschen in sie hinein. Aber
diese subjektiven Erlebnisse sind das innere Wesen der
Dinge. Und man kann daher nicht sagen, daß der Mensch
die objektive Wahrheit, das «An sich» der Dinge nicht erkenne,
weil er sich nur subjektive Vorstellungen über sie
machen kann.<ref>Goethes Anschauungen stehen in dem denkbar schärfsten Gegensatz
zur Kantschen Philosophie. Diese geht von der Auffassung aus, daß
die Vorstellungswelt von den Gesetzen des menschlichen Geistes beherrscht
werde und deshalb alles, was ihr von außen entgegengebracht
wird, in ihr nur als subjektiver Abglanz vorhanden sein könne.
Der Mensch nehme nicht das «An sich» der Dinge wahr, sondern die
Erscheinung, die dadurch entsteht, daß die Dinge ihn affizieren und
er diese Affektionen nach den Gesetzen seines Verstandes und seiner
Vernunft verbindet. Daß durch diese Vernunft das Wesen der Dinge
spricht, davon haben Kant und die Kantianer keine Ahnung. Deshalb
konnte die Kantsche Philosophie für Goethe nie etwas bedeuten.
Wenn er sich einzelne ihrer Sätze aneignete, so gab er ihnen einen
völlig anderen Sinn, als sie innerhalb der Lehre ihres Urhebers
haben. Es ist durch eine Notiz, die erst nach Eröffnung des Weimarischen
Goethe-Archivs bekannt geworden ist, klar, daß Goethe den
Gegensatz seiner Weltauffassung und der Kantschen sehr wohl
durchschaute. Für ihn liegt der Grundfehler Kants darin, daß dieser
«das ''subjektive'' Erkenntnisvermögen nun selbst als ''Objekt'' betrachtet
und den Punkt, wo ''subjektiv'' und ''objektiv'' zusammentreffen,
zwar scharf aber nicht ganz richtig sondert». Subjektiv und objektiv
treten zusammen, wenn der Mensch das, was die Außenwelt ausspricht,
und das, was sein Inneres vernehmen läßt, zum ''einigen'' Wesen
der Dinge verbindet. Dann hört aber der Gegensatz von subjektiv
und objektiv ganz auf; er verschwindet in der geeinten Wirklichkeit.
Ich habe darauf schon hingedeutet in dieser Schrift S. 218 ff.
Gegen meine damaligen Ausführungen polemisiert nun K. ''Vorländer''
im 1. Heft der «Kantstudien». Er findet, daß meine Anschauung
über den Gegensatz von Goethescher und Kantscher Weltauffassung
«mindestens stark einseitig und mit klaren Selbstzeugnissen
Goethes in Widerspruch» sei und sich «aus dem völligen Mißverständnis
der transzendentalen Methode» Kants von meiner Seite
erkläre. ''Vorländer'' hat keine Ahnung von der Weltanschauung, in
der Goethe lebte. Mit ihm zu polemisieren würde mir gar nichts
nützen, denn wir sprechen verschiedene Sprachen. Wie klar sein
Denken ist, zeigt sich darin, daß er bei meinen Sätzen nie weiß, was
gemeint ist. Ich mache z. B. eine Bemerkung zu dem Goetheschen
Satze: «Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr
wird, betrachtet er sie in bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn
es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder
mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nützen oder
schaden. Diese ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist . . . Ein weit
schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb
nach Kenntnis die Gegenstände der Natur ''an sich selbst'' und in
ihren Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt, sie suchen
und untersuchen, was ist, und nicht was behagt.» Meine Bemerkung
lautet: «Hier zeigt sich, wie Goethes Weltanschauung gerade der
entgegengesetzte Pol der Kantschen ist. Für Kant gibt es überhaupt
keine Ansicht über die Dinge, wie sie an sich sind, sondern nur wie
sie in bezug auf uns ''erscheinen''. Diese Ansicht läßt Goethe nur als
ganz untergeordnete Art gelten, sich zu den Dingen in ein Verhältnis
zu setzen.» Dazu sagt ''Vorländer'': «Diese (Worte Goethes) wollen
weiter nichts als einleitend den trivialen Unterschied zwischen dem
Angenehmen und dem Wahren auseinandersetzen. Der Forscher soll
suchen, <''was ist'' und nicht was ''behagt''>. Wer, wie Steiner, die letztere
allerdings sehr untergeordnete Art, sich zu den Dingen in ein Verhältnis
zu setzen, als diejenige Kants zu bezeichnen wagt, dem ist zu
raten, daß er sich erst die Grundbegriffe der Kantschen Lehre, z. B.
den Unterschied von subjektiver und objektiver Empfindung, etwa
aus § 3 der Kr. d. U. klarmache.» Nun habe ich durchaus nicht, wie
aus meinem Satze klar hervorgeht, gesagt, daß jene Art, sich zu den
Dingen in ein Verhältnis zu setzen, die Kants ist, sondern daß Goethe
die Kantsche Auffassung vom Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt
nicht entsprechend dem Verhältnis findet, in dem der Mensch
zu den Dingen steht, wenn er erkennen will, wie sie an sich sind.
Goethe ist der Ansicht, daß die Kantsche Definition nicht dem
menschlichen Erkennen, sondern nur dem Verhältnisse entspricht,
in das sich der Mensch zu den Dingen setzt, wenn er sie in bezug auf
sein Gefallen und Mißfallen betrachtet. Wer einen Satz in einer solchen
Weise mißverstehen kann wie ''Vorländer'', der mag es sich ersparen,
andern Leuten Ratschläge zu geben über ihre philosophische
Ausbildung, und lieber erst sich die Fähigkeit aneignen, einen Satz
richtig ''lesen'' zu lernen. Goethesche Zitate aufsuchen und sie historisch
zusammenstellen kann jeder; sie im Sinne der Goetheschen
Weltanschauung deuten, kann jedenfalls ''Vorländer'' nicht.</ref> Von einer andern als einer subjektiven
menschlichen Wahrheit kann gar nicht die Rede sein. Denn
Wahrheit ist Hineinlegen subjektiver Erlebnisse in den objektiven
Erscheinungszusammenhang. Diese subjektiven
Erlebnisse können sogar einen ganz individuellen Charakter
annehmen. Sie sind dennoch der Ausdruck des inneren
Wesens der Dinge. Man kann in die Dinge nur hineinlegen,
was man selbst in sich erlebt hat. Demnach wird auch jeder
Mensch, gemäß seinen individuellen Erlebnissen etwas in
gewissem Sinne anderes in die Dinge hineinlegen. Wie ich
mir gewisse Vorgänge der Natur deute, ist für einen andern,
der nicht das gleiche innerlich erlebt hat, nicht ganz
zu verstehen. Es handelt sich aber gar nicht darum, daß alle
Menschen das gleiche über die Dinge denken, sondern nur
darum, daß sie, wenn sie über die Dinge denken, im Elemente
der Wahrheit leben. Man kann deshalb die Gedanken
eines andern nicht als solche betrachten und sie annehmen
oder ablehnen, sondern man soll sie als die Verkünder
seiner Individualität ansehen. «Diejenigen, welche
widersprechen und streiten, sollten mitunter bedenken, daß
nicht jede Sprache jedem verständlich sei» (Natw. Schr.,
4. Bd., 2. Abt., S. 355). Eine Philosophie kann niemals eine
allgemeingültige Wahrheit überliefern, sondern sie schildert
die inneren Erlebnisse des Philosophen, durch die er
die äußeren Erscheinungen deutet.


{{GZ|Oft ist ja hier betont worden, daß
Wenn ein Ding durch das Organ des menschlichen Geistes
für die Geisteswissenschaft die Materie verdichteter Geist
seine Wesenheit ausspricht, so kommt die volle Wirklichkeit
ist. Gebrauchen wir doch einmal einen Vergleich, den wir
nur durch den Zusammenfluß des äußeren Objektiven
öfter angewendet haben, um zu zeigen, wie der Geistesforscher
und des inneren Subjektiven zustande. Weder durch einseitiges
über Geist und Materie denkt. Denken Sie sich einmal,
Beobachten, noch durch einseitiges Denken erkennt
irgend jemand hätte vor sich durchsichtige Luft und es
der Mensch die Wirklichkeit. Diese ist nicht als etwas Fertiges
träte in dieser durchsichtigen Luft Wolkenbildung auf, als
in der objektiven Welt vorhanden, sondern wird erst
die Wirkung von einer Abkühlung. Das, was früher durchsichtig
durch den menschlichen Geist in Verbindung mit den Dingen
war, wird getrübt durch die Wolkenbildung; das,
hervorgebracht. Die objektiven Dinge sind nur ein Teil
was früher Wasserdunst und nicht sichtbar war, wird zu
der Wirklichkeit. Wer ausschließlich die sinnliche Erfahrung
Wasser. Vielleicht geht es weiter: Das Wasser gefriert zu
anpreist, dem muß man mit Goethe erwidern, «daß
Eis. Das Eis fällt in Stücken herunter. Nehmen wir an, es
die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist» (Natw.
käme jemand und sagte: Unsinn, Dummheit ist es, daß das
Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 503). «Alles Faktische ist schon
Wasser vorher in der Luft verteilt gewesen ist. Ich habe
Theorie», d. h. es offenbart sich im menschlichen Geiste ein
nichts davon gesehen! Das erste war das, was mir als Wolken
Ideelles, wenn er ein Faktisches betrachtet. Diese Weltauffassung,
entgegengetreten ist. Dann kommt einer, der kann
die in den Ideen die Wesenheit der Dinge erkennt
auch die Wolken noch nicht sehen, der sieht erst etwas,
und die Erkenntnis auffaßt als ein Einleben in das Wesen
wenn das Wasser gefriert, wenn Eis entsteht. Wenn man
der Dinge, ist nicht ''[[Mystik]]''. Sie hat aber mit der Mystik das
dem sagt: Was als Eis heute da ist, das war früher schon
gemein, daß sie die objektive Wahrheit nicht als etwas in
als Wasser da, so antwortet er: Ich habe nichts gesehen, Eis
der Außenwelt Vorhandenes betrachtet, sondern als etwas,
ist da und sonst nichts.
das sich im Innern des Menschen wirklich ergreifen läßt.
Die entgegengesetzte Weltanschauung versetzt die Gründe
der Dinge hinter die Erscheinungen, in ein der menschlichen
Erfahrung jenseitiges Gebiet. Sie kann nun entweder sich
einem blinden ''[[Glauben]]'' an diese Gründe hingeben, der von
einer positiven Offenbarungsreligion seinen Inhalt erhält,
oder Verstandeshypothesen und Theorien darüber aufstellen,
wie dieses jenseitige Gebiet der Wirklichkeit beschaffen
ist. Der Mystiker sowohl wie der Bekenner der Goetheschen
Weltanschauung lehnen sowohl den Glauben an ein
Jenseitiges, wie auch die Hypothesen über ein solches ab,
und halten sich an das wirkliche Geistige, das sich in dem
Menschen selbst ausspricht.|335ff|335}}


Aus solchen Gedanken muß die Antwort genommen werden,
Hier macht Steiner auch deutlich, dass die verschiedenen Perspektiven, durch die sich die Wahrheit jeweils in ganz individueller Form zeigt, durch die Verschiedenheit der Verstandeswelten bedingt ist. Der [[Verstand]] zerschneidet gleichsam die Wiklichkeit auf ganz individuelle Weise in [[Begriff]]e. Die [[Vernunft]] fügt sie (im Idealfall) wieder zu den der Sache angemessenen [[Idee]]n zusammen:
wenn jemand einem Geistesforscher Phantastik vorwerfen
will, der sagt, zuerst war der Mensch nicht materiell
vorhanden, auch nicht als Ätherleib, sondern der astralische
Leib und das Ich waren zuerst vorhanden. Im Beginne unseres
Erdendaseins waren astralischer Leib und Ich vorhanden.|56|277}}


{{GZ|Nun, ich weiß sehr gut alle Gründe, die solche
{{GZ|Alle Begriffe, die der Verstand schafft: Ursache und Wirkung,
Menschen vorbringen, die auf diesen [[Kant-Laplace-Theorie|Kant-Laplaceschen Urnebel]]
Substanz und Eigenschaft, Leib und Seele, Idee und
schwören. Ich weiß auch, daß es durchaus begreiflich ist, daß wenn
Wirklichkeit, Gott und Welt usw. sind nur da, um die
jemand so spricht wie ich, daß man das als einen Wahn hinstellt,
einheitliche Wirklichkeit künstlich auseinander zu halten; und
daß er dann unter Umständen als ein beschränkter Kopf oder selbst
die Vernunft hat, ohne den damit geschaffenen Inhalt zu
als ein wahnwitziger Mensch angesehen werden kann. Aber über diese
verwischen, ohne die Klarheit des Verstandes mystisch zu
Dinge wird man erst urteilsfähig, wenn man wirklich eindringt in
verdunkeln, in der Vielheit die innere Einheit aufzusuchen. Sie
dasjenige, was hier als Geisteswissenschaft gemeint ist. Denn da stellt
kommt damit auf das zurück, wovon sich der Verstand entfernt
sich heraus, daß ebensowenig wie der Mensch mit der Geburt etwa
hat, auf die einheitliche Wirklichkeit. Will man eine genaue
aus der Materie heraus entsteht, sondern wie er sich als Geist und
Nomenklatur haben, so nenne man die Verstandsgebilde
Seele nur verbindet mit der Materie, und wie er, nachdem er durch
''Begriffe'', die Vernunftschöpfungen ''Ideen''. Und man sieht, dass
den Tod gegangen ist, auftaucht in der geistigen Welt als geistiges
der Weg der Wissenschaft ist: sich durch den Begriff zur Idee zu
Wesen, so ist dasjenige, was wir heute als unsere Erde erkennen,
erheben. Und hier ist der Ort, wo sich uns in der klarsten Weise das subjektive und das
nicht aus einem materiellen Urnebel hervorgegangen, sondern unser
objektive Element unseres Erkennens auseinanderlegen. Es ist
Planet, unsere Erde, ist aus einem geistigen Zustande hervorgegangen,
ersichtlich, dass die Trennung nur subjektiven Bestand hat, nur
ist Geistiges. Das ist dasjenige, was vorangegangen ist allem
durch unsern Verstand geschaffen ist. Es kann mich nicht
Materiellen. Die Menschen forschen heute nach, wie der Geist sich an
hindern, dass ich ein und dieselbe objektive Einheit in
der Materie entwickle. In Wahrheit hat sich alle Materie aus dem
Gedankengebilde zerlege, die von denen meines Mitmenschen
Geiste entwickelt. Und geläuterte, gereinigte Begriffe bekommt man,
verschieden sind; das hindert nicht, dass meine Vernunft in der
wenn man sich auf dasjenige, was hier als Geisteswissenschaft gemeint
Verbindung wieder zu derselben objektiven Einheit gelangt, von
ist, einläßt.
der wir ja beide ausgegangen sind.


Sehen Sie, dasjenige, was heute die Menschen als Materie, als materielle
[[Datei:GA1 173.gif|center|500px|Zeichnung aus GA 1, S. 173]]
Welt erkennen - was ist es ? Ich möchte Ihnen das durch einen
Vergleich wiederum darlegen. Nehmen Sie an, Sie hätten ein großes
Bassin vor sich, darinnen sehen Sie Eisstücke, Sie sehen nicht, daß
auch Wasser da ist; ich nehme an, Sie könnten das Wasser nicht
sehen. Sie sehen dann die Eisstücke. Sie wissen nicht, wenn Sie nur
die Eisstücke sehen würden, ich meine, wenn Sie niemals etwas
vernommen hätten von dieser Sache, nur die Eisstücke gesehen hätten,
so würden Sie nicht wissen, daß dieses Eis ja nichts anderes ist
als aus dem Wasser Entstandenes, durch Verdichtung aus dem Wasser
Entstandenes. So verhält sich der Mensch gegenüber der materiellen
Welt. Er schaut diese materielle Welt an und glaubt, daß sie
für sich da ist. Diese materielle Welt ist in Wahrheit ebenso durch
Verdichtung entstanden, Verdichtung des Geistigen, wie das Eis
durch Verdichtung des Wassers entstanden ist. Und in dem Augenblicke,
wo, wie ich es angedeutet habe, der Mensch die Kräfte in sich
entdeckt, die ihn das Geistige schauen, das Geistige wahrnehmen
lassen, in dem Augenblicke sieht er alles Materielle wie eine Verdichtung
des Geistigen an. Alles Materielle hört auf, eine Selbständigkeit
zu haben. Und dasjenige, was wir als Erde, als materielle
Erde, mit allem Materiellen, was darauf ist, anzuerkennen haben,
das ist aus einer Geist-Erde hervorgegangen, und das wird wiederum
zurück sich verwandeln in eine Geist-Erde, so daß wir erkennen, daß
das Materielle ein Zwischenzustand ist zwischen geistigen Zuständen.|277|101f}}


== Vernichtung und Erzeugung von Materie im Menschen ==
Das einheitliche Wirklichkeitsgebilde sei sinnbildlich dargestellt
(Figur 1). Ich trenne es verstandesgemäß so, wie Fig. 2; ein
anderer anders, wie Fig. 3.


Im [[Stoffwechsel-Gliedmaßensystem]] des [[Mensch]]en wird beständig Materie vernichtet und in gleichem Maß im [[Nerven-Sinnessystem]] neue Materie erzeugt.
Wir fassen es vernunftgemäß zusammen und erhalten dasselbe
Gebilde. Damit wird es uns erklärlich, wie die Menschen so
verschiedene Begriffe, so verschiedene Anschauungen von der
Wirklichkeit haben können, trotzdem diese doch nur ''eine'' sein
kann. ''Die Verschiedenheit liegt in der Verschiedenheit unserer Verstandeswelten''. Damit verbreitet sich für uns ein Licht über
die Entwicklung verschiedener wissenschaftlicher Standpunkte.
Wir begreifen, woher die vielfachen philosophischen
Standpunkte kommen, und haben nicht nötig, ausschließlich
einer die Palme der Wahrheit zuzuerkennen. Wir wissen auch,
welchen Standpunkt wir selbst gegenüber der Vielheit
menschlicher Anschauungen einzunehmen haben.|1|172f|167}}


{{GZ|Wir wissen ja, ich habe es wenigstens andeutungsweise ausgeführt
In seinen «Goethe-Studien» schreibt Steiner:
in meinem Buche «[[Von Seelenrätseln]]», daß der Mensch ein dreigliedriges
Wesen ist: als Nerven-Sinnesmensch Träger des Gedankenlebens,
des Wahrnehmungslebens, als rhythmischer Mensch - Atmung, Blutzirkulation
- Träger des Gefühlslebens, als Stoffwechselmensch Träger
des Willenslebens. Aber wie entfaltet sich denn, wenn der Wille
immer mehr und mehr in Liebe entwickelt wird, im Menschen der
Stoffwechsel? Indem der Mensch ein Handelnder ist, so, daß eigentlich
der Stoff fortwährend überwunden wird. Und was entfaltet sich
im Menschen, indem er sich als freies Wesen in das reine Denken, das
aber eigentlich wiliensmäßiger Natur ist, hineinentwickelt? Es entsteht
der Stoff. Wir sehen hinein in Stoffentstehung. Wir tragen selbst in
uns dasjenige, was den Stoff entstehen macht: unseren Kopf; und wir
tragen in uns das, was den Stoff vernichtet, wo wir es sehen können,
wie der Stoff vernichtet wird: unseren Gliedmaßen-, unseren Stoffwechselorganismus.|202|211}}


== Höhere Materieformen ==
{{GZ|Was aus dem menschlichen Geiste entspringt, wenn dieser sich
beobachtend und denkend der Außenwelt gegenüberstellt, ist die
Wahrheit. Der Mensch kann keine andere Erkenntnis verlangen
als eine solche, die er selbst hervorbringt. Wer hinter den Dingen
noch etwas sucht, das deren eigentliches Wesen bedeuten soll,
der hat sich nicht zum Bewußtsein gebracht, daß alle Fragen
nach dem Wesen der Dinge nur aus einem menschlichen Bedürfnisse
entspringen: das, was man wahrnimmt, auch mit dem Gedanken
zu durchdringen. Die Dinge sprechen zu uns, und unser
Inneres spricht, wenn wir die Dinge beobachten. Diese zwei Sprachen
stammen aus demselben Urwesen, und der Mensch ist berufen,
deren gegenseitiges Verständnis zu bewirken. Darin besteht
das, was man Erkenntnis nennt. Und dies und nichts anderes
sucht der, der die Bedürfnisse der menschlichen Natur versteht.
Wer zu diesem Verständnisse nicht gelangt, dem bleiben die
Dinge der Außenwelt fremdartig. Er hört aus seinem Innern das
Wesen der Dinge nicht zu sich sprechen. Deshalb vermutet er,
daß dieses Wesen hinter den Dingen verborgen sei. Er glaubt an
eine Außenwelt noch hinter der Wahrnehmungswelt. Aber die
Dinge sind uns nur so lange fremd, solange wir sie bloß beobachten.
Für den Menschen besteht nur so lange der Gegensatz von
objektiver äußerer Wahrnehmung und subjektiver innerer Gedankenwelt,
als er die Zusammengehörigkeit dieser Welten nicht
erkennt. Die menschliche Innenwelt gehört als ein Glied zum
Weltprozeß wie jeder andere Vorgang.


Die anthroposophische Geisteswissenschaft muss darüberhinaus übersinnliche Materieformen anerkennen, aus denen gleichsam erst durch Verdichtung die sinnliche-physische Materie entsteht. Diese übersinnlichen Materieformen sind eigenständige, sich selbst tragende [[Substanz]]en im philosophischen Sinn. Sie haben allerdings ganz andere Eigenschaften als die sinnlich-physische Materie; namentlich Masse und räumliche Ausdehnung kommen hier nicht in Betracht. Man darf in diesem Sinn von feinstofflicher [[Äthermaterie]], [[Astralmaterie]] und mit eingeschränkter Gültigkeit sogar von [[Geiststofflichkeit]] sprechen. In je höhere geistige Bereiche man hinaufsteigt, desto plastisch bildsamer erscheint die entsprechende Materie. In den höchsten Bereichen des [[Niederes Devachan|niederen Devachan]] findet sich schließlich der geistige Urstoff, aus dem letztlich alles geformt wird. Dieser Urstoff wird auch als [[Akashastoff]] oder [[Feuerluft]] ([[Hebräische Sprache|hebr.]] רוח, [[Ruach]] = ''Rauch''; zugleich der hebr. Name für die [[Verstandesseele]]) bezeichnet.
Diese Gedanken werden nicht widerlegt durch die Tatsache,
daß verschiedene Menschen sich verschiedene Vorstellungen von
den Dingen machen. Auch nicht dadurch, daß die Organisationen
der Menschen verschieden sind, so daß man nicht weiß, ob eine
und dieselbe Farbe von verschiedenen Menschen in der ganz
gleichen Weise gesehen wird. Denn nicht darauf kommt es an,
ob sich die Menschen über eine und dieselbe Sache genau das
gleiche Urteil bilden, sondern darauf, ob die Sprache, die das
Innere des Menschen spricht, eben die Sprache ist, die das Wesen
der Dinge ausdrückt. Die einzelnen Urteile sind nach der Organisation
des Menschen und nach dem Standpunkte, von dem aus er
die Dinge betrachtet, verschieden; aber alle Urteile entspringen
dem gleichen Elemente und führen in das Wesen der Dinge.
Dieses kann in verschiedenen Gedankennuancen zum Ausdruck
kommen; aber es bleibt deshalb doch das Wesen der Dinge.
Der Mensch ist das Organ, durch das die Natur ihre Geheimnisse
enthüllt. In der subjektiven Persönlichkeit erscheint der
tiefste Gehalt der Welt.|30|203f}}


Die [[Alchemist]]en sehen in der sogenannten [[Jungfernerde]], der [[materia benedicta]], den Urstoff, aus dem die irdische Stoffeswelt geschaffen ist. Mit dieser [[prima materia]] muss das [[Opus Magnum]] zur Bereitung des [[Stein der Weisen|Steins der Weisen]], und damit zugleich die Vergeistigung der materiellen Welt, beginnen.
Weiter heißt es:


=== Äthermaterie - Negative Materie ===
{{GZ|Wenn ein Ding durch das Organ des menschlichen Geistes
seine Wesenheit ausspricht, so kommt die volle Wirklichkeit nur
durch den Zusammenfluß von Beobachtung und Denken zustande.
Weder durch einseitiges Beobachten noch durch einseitiges
Denken erkennt der Mensch die Wirklichkeit. Diese ist
nicht als etwas Fertiges in der objektiven Welt vorhanden, sondern
wird erst durch den menschlichen Geist in Verbindung mit
den Dingen hervorgebracht. Wer ausschließlich die Erfahrung anpreist,
dem muß man mit Goethe erwidern, «daß die Erfahrung
nur die Hälfte der Erfahrung ist». «Alles Faktische ist schon
Theorie» (Sprüche in Prosa), das heißt, es offenbart sich im
menschlichen Geiste ein Gesetzliches, wenn er ein Faktisches
betrachtet. Diese Weltauffassung, die in den Ideen die Wesenheit
der Dinge erkennt und die Erkenntnis auffaßt als ein Einleben
in das Wesen der Dinge, ist nicht Mystik. Sie hat aber mit der
Mystik das gemein, daß sie die objektive Wahrheit nicht als
etwas in der Außenwelt Vorhandenes betrachtet, sondern als etwas,
das sich im Innern des Menschen wirklich ergreifen laßt. Die entgegengesetzte
Weltanschauung versetzt die Gründe der Dinge
hinter die Erscheinungen, in ein der menschlichen Erfahrung jenseitiges
Gebiet. Sie kann nun entweder sich einem blinden Glauben
an diese Gründe hingeben, der von einer positiven Offenbarungsreligion
seinen Inhalt enthält, oder Verstandes-Hypothesen
und Theorien darüber aufstellen, wie dieses jenseitige Gebiet
der Wirklichkeit beschaffen ist. Der Mystiker wie auch der Bekenner
der Goetheschen Weltanschauung lehnen sowohl den
Glauben an ein Jenseitiges wie auch die Hypothesen über ein solches
ab und halten sich an das wirkliche Geistige, das sich in dem
Menschen selbst ausspricht.|30|204f}}


{{Hauptartikel|Äthermaterie}}
== Wahrheitssinn ==


Die [[Äthermaterie]] oder [[negative Materie]], von [[Rudolf Steiner]] gelegentlich auch als [[Antimaterie]]<ref>die aber nicht identisch ist mit dem, was in der [[Wikipedia:Moderne Physik|modernen Physik]] als [[Wikipedia:Antimaterie|Antimaterie]] bezeichnet wird!</ref> bezeichnet, charakterisiert sich nicht durch das Prinzip der Raum''erfüllung'', sondern durch das der Raumm''entleerung''. Die [[physisch]]e Materie ist durch [[Druckkräfte]] bestimmt, der [[Äther]] hingegen durch [[Saugkräfte]], die die physische Materie aus dem [[Raum]] herausschaffen; es entsteht dadurch eine ''qualitativ'' negative Materie - und dieser Prozess endet letztlich bei [[Akasha]].
Jeder Mensch verfügt über einen '''Wahrheitssinn''', mit dem er die [[geisteswissenschaft]]lichen [[Erkenntnis]]se auffassen und mit [[unbefangen]]er [[Logik]] auch folgerichtig [[Verstand|verstehen]] und prüfen kann.


<div style="margin-left:20px">
{{GZ|Jede Seele ist in sich selber veranlagt,
"Wir wissen, daß jeder Körper aus einem mehr festen
wenn sie sich auch noch nicht dem gekennzeichneten
in einen mehr immateriellen Zustand übergehen kann: vom festen
einsamen Ringen hingegeben hat, durch eine unbefangene
zum flüssigen und zum gasförmigen Zustand, Die Verfeinerung
Logik und durch einen gesunden Wahrheitssinn in sich aufzunehmen,
des materiellen Zustandes kann einen Grad erreichen, der, wenn
was von der Geisteswissenschaft mitgeteilt wird.
man ihn überschreitet, bei einer negativen Materie endet; man nennt
Wenn auch ganz gewiß zugegeben werden muß, daß im
ihn Akasha. In ihr drücken sich alle Ereignisse in einer endgültigen
weitesten Umkreis, in dem heute dieses oder jenes von der
Weise ab,- und man kann sie alle wiederfinden, selbst diejenigen aus
Geisteswissenschaft getrieben wird, bei der Aufnahme der
der tiefsten Vergangenheit." {{Lit|{{G|94|83}}}}
Mitteilungen der Geistesforschung nicht überall dieser gesunde
</div>
Wahrheitssinn und diese gesunde Logik herrschen,
so ist das ein Mangel einer jeden Geistesbewegung. Im
Prinzip ist es aber durchaus richtig, was gesagt ist. Ja, im
Prinzip sollte sogar beachtet werden, daß es zu Irrtümern
über Irrtümern führen muß, wenn leichten Herzens und
mit einem blinden Glauben das entgegengenommen wird,
was so oft heute als Geisteswissenschaft an die Menschheit
herangebracht wird. Wer wirklich auf dem Boden der
Geisteswissenschaft steht, fühlt sich in strenger Art verpflichtet,
logisch und vernunftgemäß das mitzuteilen, was
er zu sagen hat, so daß es wirklich von einem gesunden
Wahrheitssinn und von aller Logik geprüft werden kann.|60|18f}}


<div style="margin-left:20px">
== Subjekt und Objekt ==
"Da muß man schon wissen, daß der Äther die von dem
{{Textbox|<poem><center><small>Johann Wolfgang Goethe</small>
Druck entgegengesetzte Eigenschaft hat. Er saugt nämlich, der Äther
Vermächtnis</center>
ist der Saugende. Er will durch seine eigene Wesenheit immer die
Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
räumliche Materie aus dem Raume heraus vernichten. Das ist das
Das Ewge regt sich fort in allen,
Wesentliche des Äthers. Wo die physische Materie drückt, da saugt
Am Sein erhalte dich beglückt!
der Äther. Die physische Materie erfüllt den Raum; der Äther schafft
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
die Materie aus dem Raume heraus. Er ist nämlich die negative Materie,
Bewahren die lebendgen Schätze,
aber qualitativ negativ, nicht quantitativ negativ.
Aus welchen sich das All geschmückt.


Das ist in bezug auf den menschlichen Ätherleib ebenso. Wir leben
Das Wahre war schon längst gefunden,
zwischen physischem Leib und Ätherleib so, daß wir uns fortwährend
Hat edle Geisterschaft verbunden;
vernichten und wieder herstellen. Der Äther vernichtet fortwährend
Das alte Wahre, faß es an!
unsere Materie, der physische Leib stellt sie wieder her. Das widerspricht
Verdank es, Erdensohn, dem Weisen,
allerdings - das will ich nur in Parenthese erwähnen - dem
Der ihr, die Sonne zu umkreisen,
heute so beliebten Gesetz von der Erhaltung der Kraft. Aber die Tatsache
Und dem Geschwister wies die Bahn,
ist, daß dieses Gesetz von der Erhaltung der Kraft der inneren
Wesenheit des Menschen, der Wahrheit widerspricht. Es gilt nur für
die unorganische Welt im strengen Sinne des Wortes. Für die organische
gilt es nur so weit, als diese von Unorganischem ausgefüllt
ist; für die Eisenteilchen im Blutserum gilt dieses Gesetz, aber nicht
für das ganze Menschenwesen. Da findet ein fortwährendes Oszillieren
statt zwischen den aufsaugenden und uns vernichtenden Kräften
des Äthers und der Wiederherstellung des physischen Leibes." {{Lit|{{G|306|103}}}}
</div>


=== Wassererde - die astrale Materie der 4. Schicht des Erdinneren ===
Sofort nun wende dich nach innen:
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.


Die [[Wassererde]] ist jene astrale Materie, die die vierte Schicht des [[Erdinneres|Erdinneren]] bildet und der Ursprung aller [[irdisch]]en Materie ist:
Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig
Und wandle sicher wie geschmeidig,
Durch Auen reichbegabter Welt.


<div style="margin-left:20px">
Genieße mäßig Füll und Segen;
"Die vierte Schicht ist nun so beschaffen, daß alle diejenigen Dinge,
Vernunft sei überall zugegen,
die in den drei übergeordneten Schichten vorhanden sind und immerhin
Wo Leben sich des Lebens freut.
mehr oder weniger etwas von unseren gewöhnlichen Stoffen haben,
Dann ist Vergangenheit beständig,
keine Stofflichkeit mehr aufweisen, wie sie auf der Erde angetroffen
Das Künftige voraus lebendige
werden kann. In dieser Schicht sind also die Substanzen so, daß
Der Augenblick ist Ewigkeit.
sie für keinen äußeren Sinn wahrnehmbar werden. Sie sind in einem
astralischen Zustand. Alles, was in den drei obersten Schichten der
Erde existiert und doch noch in einer gewissen Weise mit dem auf der
Erdoberfläche Befindlichen verwandt ist, das ist hier im astralischen
Zustande vorhanden. Wir können in dem Sinne, wie es in der Bibel
heißt, sagen: «Der Geist Gottes schwebte über den Wassern.» Nennen
wir diese Schicht die Wassererde, wie sie auch im Okkultismus
bezeichnet wird. Diese Wassererde ist zu gleicher Zeit der Ursprung,
der Urquell alles auf der Erde befindlichen Stofflichen, alles äußerlichen
Stofflichen, gleichgültig ob dieses im Mineral, in der Pflanze,
im Tier oder im Menschen enthalten ist. Dieses Stoffliche, das jedes
irdische Wesen in sich trägt, ist, bis ins Astralische verflüchtigt, in
dieser Wassererde vorhanden. Sie müssen sich vorstellen, daß von
allen unseren physischen Kräften auch astralische Urkräfte vorhanden
sind, daß diese astralischen Urkräfte sich ins Physische verdichten
und daß diese Urkräfte in der vierten Schicht, in der Wassererde,
enthalten sind." {{Lit|{{G|96|34}}}}
</div>


== Materie und Zeit ==
Und war es endlich dir gelungen,
Und bist du vom Gefühl durchdrungen:
Was fruchtbar ist, allein ist wahr –
Du prüfst das allgemeine Walten,
Es wird nach seiner Weise schalten,
Geselle dich zur kleinsten Schar.


Die Annahme einer ewigen, unzerstörbaren Materie, wie sie etwa von [[Isaac Newton]] postuliert wurde, beruht auf einem verfehlten [[Zeit]]begriff.
Und wie von alters her, im stillen,
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf,
So wirst du schönste Gunst erzielen:
Denn edlen Seelen vorzufühlen
Ist wünschenswertester Beruf. <small><ref>Goethe: ''Gedichte - Ausgabe letzter Hand 1827'', Goethe-BA Bd. 1, 541 [http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Gedichte/Gedichte+%28Ausgabe+letzter+Hand.+1827%29/Gott+und+Welt/Verm%C3%A4chtnis]</ref></small></poem>}}


<div style="margin-left:20px">
Tatsächlich lässt sich der Begriff der Wahrheit nur im [[Subjekt]] und [[Objekt]] übergreifenden, [[individuell]]en Bezug auf die [[Wirklichkeit]] sinnvoll formulieren, womit aber keineswegs ein willkürlicher [[Relativismus]] begründet wird. Der [[Quantenchemiker]] [[Hans Primas]] schreibt dazu:
"Aber nur einer
ganz verfehlten Auffassung des Zeitbegriffes verdankt der
Begriff der Materie seine Entstehung. Man glaubt die Welt
zum wesenlosen Schein zu verflüchtigen, wenn man der
veränderlichen Summe der Geschehnisse nicht ein in der Zeit
Beharrendes, ein Unveränderliches untergelegt dächte, das
bleibt, während seine Bestimmungen wechseln. Aber die
Zeit ist ja nicht ein Gefäß, in dem die Veränderungen sich
abspielen; sie ist nicht vor den Dingen und außerhalb derselben
da. Die Zeit ist der sinnenfällige Ausdruck für den
Umstand, daß die Tatsachen ihrem Inhalte nach voneinander
in einer Folge abhängig sind. Nehmen wir an, wir
hätten es mit dem wahrzunehmenden Tatsachenkomplex a1
b1 c1 d1 e1 zu tun. Von diesem hängt mit innerer Notwendigkeit
der andere Komplex a2 b2 c2 d2 e2 ab; ich sehe den
Inhalt dieses letzteren ein, wenn ich ihn ideell aus dem
ersteren hervorgehen lasse. Nun nehmen wir an, beide
Komplexe treten in die Erscheinung. Denn was wir früher
besprochen haben, ist das ganz unzeitliche und unräumliche
Wesen dieser Komplexe. Wenn a2 b2 c2 d2 e2 in der
Erscheinung auftreten soll, dann muß a1 b1 c1 d1 e1 ebenfalls
Erscheinung sein, und zwar so, daß nun a2 b2 c2 d2 e2
auch in seiner Abhängigkeit davon erscheint. D. h. die Erscheinung
a1 b1 c1 d1 e1 muß da sein, der Erscheinung a2 b2
c2 d2 e2 Platz machen, worauf diese letztere auftritt. Hier
sehen wir, daß die Zeit erst da auftritt, wo das Wesen einer
Sache in die Erscheinung tritt. Die Zeit gehört der Erscheinungswelt
an. Sie hat mit dem Wesen selbst noch nichts zu
tun. Dieses Wesen ist nur ideell zu erfassen. Nur wer diesen
Rückgang von der Erscheinung zum Wesen in seinen Gedankengängen
nicht vollziehen kann, der hypostasiert die
Zeit als ein den Tatsachen Vorhergehendes. Dann braucht
er aber ein Dasein, welches die Veränderungen überdauert.
Als solches faßt er die unzerstörbare Materie auf. Damit
hat er sich ein Ding geschaffen, dem die Zeit nichts anhaben
soll, ein in allem Wechsel Beharrendes. Eigentlich aber
hat er nur sein Unvermögen gezeigt, von der zeitlichen Erscheinung
der Tatsachen zu ihrem Wesen vorzudringen, das
mit der Zeit nichts zu tun hat. Kann ich denn von dem
Wesen einer Tatsache sagen: es entsteht oder vergeht? Ich
kann nur sagen, daß ihr Inhalt einen andern bedingt, und
daß dann diese Bedingung als Zeitenfolge erscheint. Das
Wesen einer Sache kann nicht zerstört werden; denn es ist
außer aller Zeit und bedingt selbst die letztere. Damit haben
wir zugleich eine Beleuchtung auf zwei Begriffe geworfen,
für die noch wenig Verständnis zu finden ist, auf
[[Wesen]] und [[Erscheinung]]. Wer die Sache in unserer Weise
richtig auffaßt, der kann nach einem Beweis von der Unzerstörbarkeit
des Wesens einer Sache nicht suchen, weil
die Zerstörung den Zeitbegriff in sich schließt, der mit dem
Wesen nichts zu tun hat.


Nach diesen Ausführungen können wir sagen: ''Das sinnenfällige Weltbild ist die Summe sich metamorphosierender Wahrnehmungsinhalte ohne eine zugrunde liegende Materie.''" {{Lit|{{G|1|272ff}}}}
{{LZ|In der von
</div>
René Descartes (1596 - 1650) begründeten
Philosophie zerlegt das Subjekt die Welt in
einfache Sachverhalte und betrachtet die objektive
Welt einfach als Summe dieser elementaren
Sachverhalte. Dagegen steht in der
Quantenmechanik so etwas wie ein «[[Ding an sich]]» nicht mehr zur Diskussion. Ein Subjekt
ist ein Subjekt, weil es in Relation zu einem
Objekt steht. Ein Objekt ist ein Objekt, weil
es in Relation zu einem Subjekt steht. Das bisher
übliche Kompartimentalisierungsdenken
muß aufgegeben werden. Die Quantenmechanik
beschreibt die materielle Welt primär als
ein unteilbares Ganzes; das Heraustrennen
einzelner Objekte bedarf einer Rechtfertigung,
welche prinzipiell außerhalb der Prinzipien
der Quantenmechanik liegt.


== Materie als zerbrochene geistige Form ==
In jeder ganzheitlichen Theorie kann man
über ein Phänomen in Klarheit und Deutlichkeit
nur sprechen, wenn man zugleich den
[[Kontext]] angibt, von dem aus es bestimmt ist.
Isolierte «Fakten» beweisen wenig, sie erlangen
ihren Beweiswert erst durch die Angabe
des Kontexts, in dem sie beobachtet wurden.
Jeder Kontext hat seine implizierten Vorgaben,
die wir als Bezugspunkte zur Beschreibung
der Natur auswahlen. Entscheidet man
sich für andere Vorgaben, so wählt man einen
anderen Kontext mit anderer Perspektive, so
daß die Natur anders gesehen wird.|Primas, S. 114f.}}


Nach gegenwärtiger naturwissenschaftlicher Anschauung ist alle Materie aus [[Atom]]en aufgebaut. Diese sind aber nicht als winzig kleine Dinge aufzufassen, sondern eher als strukturbildende [[Kräfte]]. Der Physiker [[Hans-Peter Dürr]] (1929-2014), ein langjähriger enger Mitarbeiter von [[Wikipedia:Werner Heisenberg|Werner Heisenberg]] (1901-1976), einem der Pioniere der modernen [[Quantenmechanik]], formuliert es so:
Ähnlich dachte schon [[Johann Wolfgang von Goethe]]:


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Es gibt keine Dinge, es gibt nur Form und Gestaltveränderung: Die Materie ist nicht aus Materie zusammengesetzt, sondern aus reinen Gestaltwesen und Potentialitäten. Das ist wie beim Geist." {{lit|Dürr 1998}}
"In monumentaler Weise hat Goethe den Gesichtspunkt der höchsten [[Erkenntnis]] in den Worten angedeutet:
</div>
 
«Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.»<ref name=goethe>Goethe: ''Maximen und Reflexionen'' (1923){{Zeno-Werk|http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Aphorismen+und+Aufzeichnungen/Maximen+und+Reflexionen/Aus+%C2%BBKunst+und+Altertum%C2%AB/Vierten+Bandes+zweites+Heft.+1823|Maximen und Reflexionen, 4. Band, 2. Heft (1823)|Johann Wolfgang Goethe}}</ref>
 
Jeder hat seine eigene Wahrheit: weil jeder ein individuelles, besonderes Wesen neben und mit anderen ist. Diese anderen Wesen wirken auf ihn durch seine Organe. Von dem individuellen Standpunkte aus, auf den er gestellt ist, und je nach der Beschaffenheit seines Wahrnehmungsvermögens bildet er sich im Verkehr mit den Dingen seine eigene Wahrheit. Er gewinnt sein Verhältnis zu den Dingen. Tritt er dann in die Selbsterkenntnis ein, lernt er sein Verhältnis zu sich selbst kennen, dann löst sich seine besondere Wahrheit in die allgemeine Wahrheit auf; diese allgemeine Wahrheit ist in allen dieselbige.


{{Zitat|Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist. Nach Albert Einstein ist Materie nur eine verdünnte Form der Energie. Ihr Untergrund jedoch ist nicht eine noch verfeinerte Energie, sondern etwas ganz Andersartiges, eben Lebendigkeit. Wir können sie etwa mit der Software in einem Computer vergleichen.|Hans-Peter Dürr|Interview im [[Wikipedia:P.M. Magazin|P.M. Magazin]] (Mai 2007) [http://www.pm-magazin.de/a/am-anfang-war-der-quantengeist Am Anfang war der Quantengeist]}}
Das Verständnis für die Aufhebung des Individuellen,
des einzelnen Ich zum All-Ich in der Persönlichkeit betrachten
tiefere Naturen als das im Innern des Menschen sich
offenbarende Geheimnis, als das Ur-Mysterium des Lebens.
Auch dafür hat ''Goethe'' einen treffenden Ausspruch
gefunden: «Und so lang du das nicht hast,dieses: Stirb
und Werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen
Erde.»


Der Ursprung dieser potentiellen Gestaltwesen, die äußerlich als Materie erscheinen, liegt vornehmlich im [[Klangäther]]. Die [[Sphärenharmonie]], die sich im Klangäther zum Ausdruck bringt, hat wiederum ihren Ursprung im [[Devachan]]. In der Materie, insofern sie ''äußerlich'' [[sinnlich]] in der [[Physische Welt|physischen Welt]] wahrgenommen wird, ist die Sphärenharmonie, die durch den Klangäther vermittelt wird, verstummt.
Nicht eine gedankliche Wiederholung, sondern ein reeller
Teil des Weltprozesses ist das, was sich im menschlichen
Innenleben abspielt. Die Welt wäre nicht, was sie ist, wenn
sich das zu ihr gehörige Glied in der menschlichen Seele
nicht abspielte. Und nennt man das höchste, das dem Menschen
erreichbar ist, das Göttliche, dann muß man sagen,
daß dieses Göttliche nicht als ein Äußeres vorhanden ist,
um ''bildlich'' im Menschengeiste wiederholt zu werden, sondern
daß dieses Göttliche im Menschen ''erweckt'' wird. Dafür
hat [[Angelus Silesius]] die rechten Worte gefunden: «Ich
weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd'
ich zu nicht, er muß von Not den Geist aufgeben.» «Gott
mag nicht ''ohne mich'' ein einzig's Würmlein machen:
erhalt' ich's nicht mit ihm, so muß es stracks zerkrachen.»
Eine solche Behauptung kann nur der machen, welcher
voraussetzt, daß im Menschen etwas zum Vorschein
kommt, ohne welches ein äußeres Wesen nicht existieren
kann. Wäre alles, was zum «Würmlein» gehört, auch ohne
den Menschen da, dann könnte man unmöglich davon sprechen,
daß es «zerkrachen» müßte, wenn der Mensch es
nicht erhielte.


<div style="margin-left:20px">
Als geistiger Inhalt kommt der innerste Kern der Welt
"In der Welt sind eine Anzahl von Substanzen, die verbindbar und trennbar sind. Was wir Chemismus nennen, ist hineinprojiziert in die [[physische Welt]] aus der Welt des [[Devachan]], der [[Sphärenharmonie]]. Die chemische Verwandtschaft zweier Stoffe
in der Selbsterkenntnis zum Leben. Das Erleben der Selbsterkenntnis
in der physischen Welt ist eine Abschattung aus der Welt der Sphärenharmonie. Die Zahlenverhältnisse der Chemie sind wirklich die Ausdrücke für die Zahlenverhältnisse der Sphärenharmonie. Diese ist stumm geworden durch die Verdichtung der Materie." {{Lit|{{G|130|102}}}}
bedeutet für den Menschen Weben und Wirken
innerhalb des Weltenkernes." {{Lit|{{G|7|33f|33}}}}
</div>
</div>


Für unser ''inneres'' [[seelisch]]es Erleben drückt sich im Klangäther das [[Denken]] aus; aus ihm schöpfen wir unsere Gedankenformen, namentlich die mathematischen Gedankenbildungen, durch die wir dann wiederum die Zahlenverhältnisse der chemischen und kernphysikalischen Stoffumwandlungen zu verstehen versuchen.
Oder wie es [[Johannes Scottus Eriugena]] mit dem Hinweis auf [[Dionysius Areopagita]] ausdrückt:
 
{{Zitat|Denn die Gedanken der Dinge sind wahrhaft die Dinge selbst, wie der heilige Dionysius sagt: „die Erkenntnis des Seienden ist das Seiende selbst;“ aber ihre uranfänglichen Ursachen und Gründe werden durch Denktätigkeit, nicht durch die Dinge selbst zur Vereinigung geführt.|Johannes Scottus Eriugena|''Über die Einteilung der Natur''|ref=<ref>Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): ''Über die Eintheilung der Natur'', Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 133f [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/bibliothek/Philosophie/Johannes_Scotus_Erigena/Johannes_Scotus_Erigena_Ueber_die_Einteilung_der_Natur.pdf#page=140&view=Fit]</ref>}}


Im geisteswissenschaftlichen Sinn ist alle Materie als zebrochene, zerstörte geistige [[Form]] aufzufassen; sie ist gleichsam der Trümmerhaufen des Geistes - oder wie es Hans-Peter Dürr auf etwas andere Weise ausdrückt:
Die [[Subjekt-Objekt-Spaltung]], ohne die unser [[Ich-Bewusstsein]] nicht möglich wäre, durch die sich aber die Wahrheit zunächst unter dem Schleier der Objekte verhüllt, wird durch das [[Ich]] auf jeweils [[individuell]]e Weise hervorgerufen und kann auch nur durch das individuelle Ich wieder enthüllt werden. Indem im [[Erkenntnis]]akt die Wahrheit aufleuchtet, wird die durch unser [[Ich-Bewusstsein]] aufgerissene Kluft zwischen [[Ich]] und Welt wieder überwunden.


<div style="margin-left:20px">
Mit dem an [[Sinne]] gebundenen [[Verstand]] stehen wir den Dingen ''gegenüber'', wir sind von ihnen getrennt. Wir sehen sie nur von außen und sie bleiben uns dadurch letztlich fremd. So ist es nicht in der wahren [[Erkenntnis]], wie auch die [[Gnosis|Gnostiker]] betonen. Hier ist die Trennung aufgehoben. Wir ''werden'' selbst, was wir erkennen - und darum ist ''diese'' Subjekt und Objekt übergreifende Erkenntnis zugleich immer auch ''wahre'' [[Selbsterkenntnis]]. Im [[apokryphen]] [[Valentinianer|valentinianischen]] [[Philippusevangelium]] heißt es entsprechend:
"Im Grunde gibt es nur Geist, aber er verkalkt, und wir nehmen nur den Kalk wahr, als Materie." {{lit|Dürr 1998}}
 
</div>
{{Zitat|Niemand kann etwas Unvergängliches wahrnehmen,
außer er wird selbst unvergänglich.


<div style="margin-left:20px">
Es ist mit der Wahrheit nicht so wie auf der Welt,
"Die moderne Physik kommt nun zu der überraschenden Erkenntnis: Materie ist nicht aus Materie aufgebaut! Wenn wir die Materie immer weiter auseinandernehmen, in der Hoffnung die kleinste, gestaltlose, reine Materie zu finden, bleibt am Ende nichts mehr übrig, was uns an Materie erinnert. Am Schluss ist kein Stoff mehr, nur noch Form, Gestalt, Symmetrie, Beziehung.
wo der Mensch die Sonne sieht, ohne selbst Sonne zu
Was bedeutet das? Wir haben eine Umkehrung: Das Primäre ist Beziehung, der Stoff das Sekundäre. Materie ist ein Phänomen, das erst bei einer gewissen vergröberten Betrachtung erscheint. Stoff ist geronnene Form. Vielleicht könnten wir auch sagen: Am Grunde bleibt nur etwas, was mehr dem Geistigen ähnelt – ganzheitlich, offen, lebendig: Potenzialität, die Kann-Möglichkeit einer Realisierung. Materie ist die Schlacke dieses Geistigen – zerlegbar, abgrenzbar, determiniert: Realität. In der Potenzialität gibt es keine ein-eindeutigen Ursache-Wirkungs-Beziehungen. Die Zukunft ist wesentlich offen. Es lassen sich für das, was „verschlackt“, was real passiert, nur noch Wahrscheinlichkeiten angeben. Es gibt keine Teilchen, die unzerstörbar sind, die mit sich selbst identisch bleiben, sondern wir haben ein “feuriges Brodeln“, ein ständiges Entstehen und Vergehen. In jedem Augenblick wird die Welt neu geschaffen, aber im Angesicht, im „Erwartungsfeld“, der ständig abtretenden Welt." {{Lit|Dürr 2003}}
sein, wo er den Himmel sieht und die Erde und alles
</div>
Übrige, ohne selbst Himmel, Erde und dergleichen zu
sein. Sondern im Reich der Wahrheit siehst du etwas
von ihr und wirst selbst zu ihr. Du siehst den Geist
und wirst selbst zu Geist. Du siehst Christus: du wirst
Christus. Du siehst den Vater: du wirst zum Vater.
Hier auf dieser Welt also siehst du alle Dinge, siehst
aber dich selbst nicht. In der anderen Welt jedoch
siehst du dich selbst. Denn was du dort siehst, das
wirst du selbst.|[[Philippusevangelium]]|Spruch 44|ref=&nbsp;<ref>Dietzfelbringer, S. 107</ref>}}


Wenn die einige und einzige geistige Form, das [[ätherisch]]e [[Urbild]], „zerbricht“, manifestiert bzw. [[Realität|realisiert]] es sich in unzähligen einzelnen [[Raum|räumlich]] und [[zeit]]lich [[physik]]alisch fassbaren gleichartigen [[physisch]]en [[Erscheinung]]en, die alle dem selben ätherischen Bildungsgesetz gehorchen, von den noch strahlungsartigen [[Elementarteilchen]], über die [[Atom]]e, [[Molekül]]e und [[Kristall]]e hinauf bis zu den komplexeren physischen Gebilden. Wie die Materie aus der [[übersinnlich]]en, nicht [[Raum|räumlichen]] [[geist]]igen Form hervorbricht, hat [[Rudolf Steiner]] so beschrieben:
Oder wie es der [[österreich]]ische Arbeiterdichter [[Alfons Petzold]] poetisch ausdrückte:


<div style="margin-left:20px">
{{Zitat|vor=|nach=|<poem>;ICH BIN DIE WELT
"Sehen Sie, wenn nämlich ein Prozeß im Weltenall fortgeschritten ist bis zur Form, die noch ganz im Geistig-Seelischen ist, die noch keine Raumesform ist, wenn der Prozeß fortgeschritten ist bis zu dieser übersinnlichen Form, dann ist der nächste Schritt nur noch möglich dadurch, daß die Form als solche zerbricht. Und das ist nämlich das, was sich dem okkulten Anblick darbietet: Wenn gewisse Formen, die unter dem Einfluß der Geister der Form geschaffen sind, sich bis zu einem gewissen Zustand entwickelt haben, dann zerbrechen die Formen. Und wenn Sie nun ins Auge fassen zerbrochene Formen, etwas, was also dadurch entsteht, daß Formen, die noch übersinnlich sind, zerbrechen, dann haben Sie den Übergang von dem Übersinnlichen in das Sinnliche des Raumes. Und das, was zerbrochene Form ist, das ist Materie. Materie, wo sie im Weltenall auftritt, ist für den Okkultisten nichts anderes als zerbrochene, zerschellte, zerborstene Form. Wenn Sie sich vorstellen könnten, diese Kreide wäre als solche unsichtbar und sie hätte diese eigentümliche parallelepipedische Form, und als solche wäre sie unsichtbar, und jetzt nehmen Sie einen Hammer und schlagen rasch das Stück Kreide an, daß es zerstiebt, daß es in lauter kleine Stücke zerbirst, dann haben Sie die Form zerbrochen. Nehmen Sie an, in diesem Augenblicke, in dem Sie die Form zerbrechen, würde das Unsichtbare sichtbar werden, dann haben Sie ein Bild für die Entstehung der Materie. Materie ist solcher Geist, der sich entwickelt hat bis zur Form und dann zerborsten, zerbrochen, in sich zusammengefallen ist.
Der Erde Dasein ist in mir begründet,
ich bin ihr Raum und bin auch ihre Zeit,
und was der Tag an Kraft in mir entzündet,
das nimmt sie auf in ihre Ewigkeit.


Materie ist ein Trümmerhaufen des Geistes. Es ist außerordentlich wichtig, daß man gerade diese Definition ins Auge faßt, daß Materie ein Trümmerhaufen des Geistes ist. Materie ist also in Wirklichkeit Geist, aber zerbrochener Geist.
Ich bin die Welt, in meinem Pulsgetriebe
sagt dies mir laut und deutlich jeder Schlag,
und was mich ewig macht, das ist die Liebe,
mit der ein Gott erschuf den ersten Tag.</poem>|Alfons Petzold|''Pfad aus der Dämmerung'', Wien 1947}}


[[Bild:Zerbrochene Form GA 134.gif|thumb|Materie als zerborchene geistige Form]]
== Die lebendige Wahrheit lebt im [[Ätherleib]] ==
Wenn Sie jetzt weiter nachdenken, so werden Sie sich sagen: Ja, aber es treten uns doch räumliche Formen entgegen wie die schönen Kristallformen; an den Kristallen treten uns doch räumlich sehr schöne Formen entgegen — und du sagst, alles das, was stofflich ist, sei ein Trümmerhaufen des Geistes, sei zerborstener Geist! — Denken Sie sich zunächst einmal, damit Sie eine gewisse Vorstellung haben, einen herabfallenden Wasserstrahl (a). Nehmen Sie aber an, er wäre unsichtbar, Sie würden ihn nicht sehen. Und Sie geben ihm hier (b) eine Widerlage. Dadurch, daß dieser Wasserstrahl hier (b) auffällt, wird er in dieser Weise in Tropfen zerbersten (c). Nun nehmen Sie an, der Wasserstrahl, der herunterfällt, wäre unsichtbar, das aber, was zerborsten ist, würde sichtbar. Dann hätten Sie hier einen zertrümmerten Wasserstrahl, hätten wiederum ein Bild der Materie. Aber jetzt müßten Sie sich wegdenken die Widerlage da unten, denn so etwas gibt es nicht, das würde schon voraussetzen, daß Materie da wäre. Sie müssen sich vorstellen: Ohne daß eine solche Widerlage da ist, ist die Materie, indem sie sich geistig zur Form gliedert, übersinnlich, ist die Materie in Bewegung, denn die Bewegung geht der Form voraus. Es gibt nirgends etwas anderes als das, was durchdrungen ist von den Taten der Geister der Bewegung. An einem bestimmten Punkt kommt die Bewegung bei der Form an, erlahmt in sich selber und zerbirst in sich selber. Die Hauptsache ist, daß wir es so auffassen, daß das, was zunächst geistig-seelisch ist, hinstrahlt, aber nur eine gewisse Schwungkraft hat, an das Ende der Schwungkraft kommt und nun in sich selber zurückprallt und dabei zerbirst. So daß, wenn wir irgendwo Materie auftreten sehen, wir sagen können: Dieser Materie liegt zugrunde ein Übersinnliches, das an die Grenze seines Wirkens gekommen ist und an dieser Grenze zerbirst. Aber bevor es zerbirst, da hat es innerlich geistig noch die Formen. Nun wirkt in den einzelnen auseinanderfallenden Trümmern, wenn es zerborsten ist, nach das, was als geistige Form vorhanden war. Wo das stark nachwirkt, da setzen sich nach dem Zerbersten noch die Linien der geistigen Formen fort, und da drückt sich, nachdem das Stück zerborsten auseinanderprallt, in den Linien, die sie dann beschreiben, noch eine Nachwirkung der geistigen Linien aus. Dadurch entstehen Kristalle. Kristalle sind Nachbildungen geistiger Formen, die gleichsam noch durch die eigene Schwungkraft die ursprüngliche Richtung im entgegengesetzten Sinn beibehalten." {{Lit|{{G|134|72ff}}}}
</div>


== Materie als kondensiertes [[Licht]] ==
Mit dem an das Werkzeug des [[physisch]]en [[Gehirn]]s gebundenen [[Verstand]]esdenken lassen sich nur ''tote'' Wahrheiten erfassen, die sich auf das bereits Gewordene beziehen, das bereits mehr oder weniger fertig in der Welt vorhanden ist. Zwar lassen sich auf diese Weise mannigfaltigste gesetzmäßige Beziehungen zwischen den einzelnen [[Erscheinung]]en der gewordenen Welt erhellen und in logisch zusammenhängender Weise darstellen, was durchaus zur [[Erkenntnis]] der [[Physische Welt|physischen Welt]] notwendig ist, doch bleibt die Erkenntnis dennoch unvollständig, solange das heute fertig Gewordene nicht in seinem ursprünglichen [[Werden]], aus dem es einst hervorgegangen ist, erfasst wird. Zwar lassen sich mit dem Verstandesdenken auch Veränderungen des bereits Gewordenen, das durchaus nicht starr und unveränderlich gedacht werden muss, beschreiben, in dem sie auf das gesetzmäßige Zusammenwirken einzelner Teilelemente des Gewordenen bezogen werden, doch ist damit das eigentliche ''lebendige'' Werden noch nicht erfasst. Man bleibt immer noch bei der bloßen Kombination fertiger ''toter'' Elemente stehen. Wahres Werden ist erst dort gegeben, wo etwas völlig Neues, zuvor noch nicht Vorhandenes und auch nicht aus bereits Vorhandenem Ableitbares gleichsam aus dem [[Nichts]] entsteht. Solange das lebendige Werden nicht begriffen wird, bleibt auch das Gewordene seinem eigentlichen Ursprung nach unverständlich, so wie der Leichnam unverständlich bleibt, solange er nicht als das Ergebnis eines ehemals Lebendigen erkannt wird. Die volle Wahrheit, die das lebendige Werden mit umfasst, kann erst durch die lebendige Tätigkeit des [[Ätherleib]]s ergriffen werden: 


[[Licht]] selbst ist ''keine'' Materie, aber alle [[irdisch]]e Materie ist kondensiertes Licht, so wie alles [[Seelisch]]e im Erdendasein letztlich verdünnte [[Liebe]] ist.
<div style="margin-left:20px">
"Indem die Wahrheit in Form der Gedanken im Menschen lebt, lebt sie im
ätherischen Leib. Wahrheit erfaßt unmittelbar den Ätherteil des Kopfes und überträgt
sich da natürlich als Wahrheit auf den physischen Teil des Kopfes." {{Lit|{{G|170|72}}}}
</div>


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"In dem Satze: Materie ist gewobenes
"Das Wahre nimmt man eigentlich erst dann wahr, wenn es einem gelingt, die Urteile so
Licht, Seelisches ist in irgendeiner Weise verdünnte Liebe -, liegen die
zu erfassen, daß man sie losbekommt vom physischen Leibe, daß man den Ätherleib
Schlüssel für unzählige Geheimnisse des Erdendaseins. Die gelten aber
losbekommt vom physischen Leibe. Das erste Hellsehen ist schon das wirklich reine
nur für das Erdendasein und für kein anderes Gebiet des Weltendaseins." {{Lit|{{G|120|202}}}}
Denken. Derjenige, der einen reinen Gedanken faßt, ist schon hellsehend. Nur ist
das gewöhnliche menschliche Denken eben kein reines Denken, sondern ein von
sinnlichen Vorstellungen, von Phantasmen erfülltes Denken. Aber derjenige, der einen
reinen Gedanken faßt, ist eigentlich schon hellsehend, denn der reine Gedanke
kann nur im Ätherleibe gefaßt werden." {{Lit|{{G|176|116}}}}
</div>
</div>


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Es gibt wirklich einen für hellseherische Forschung
"Weil der Mensch mit seinem Bewußtsein nicht so untertaucht in seinen Ätherleib, kommt ihm die Wahrheit als etwas
erreichbaren Auflösungszustand aller Materie, wo sich alle Materie
Fertiges vor. Das ist gerade das Bestürzende, das Überraschende der [[Initiation]], daß man beginnt, die Wahrheit, wie sie da hineinpulst in den Ätherleib, als etwas ebenso Freies zu empfinden, wie man sonst das Hereinpulsieren der Moralität empfindet
in einem dabei Gleichen zeigt; nur ist das, was da auftritt, nicht
oder der Schönheit in den astralischen Leib. Das ist dieses Bestürzende, Überraschende
mehr Materie, sondern etwas, was jenseits aller spezialisierten Materien
aus dem Grunde, weil es den Menschen, der irgendeine Initiation durchgemacht
liegt, die uns umgeben. Und jede einzelne Materie stellt sich dann dar
hat, in ein viel freieres Verhältnis zur Wahrheit bringt, und dadurch in ein
als ein aus dieser Grundmaterie - es ist ja keine Materie mehr - Kondensiertes,
viel verantwortungsvolleres Verhältnis zur Wahrheit. Tritt die Wahrheit ganz unbewußt
Verdichtetes, ob Sie Gold, Silber oder was immer für eine
in uns herein, dann ist sie fertig, und dann sagen wir einfach mit der gewöhnlichen
Materie haben. Es gibt ein Grundwesen unseres materiellen Erdenseins,
Logik: das ist wahr, das ist unwahr. Dann hat man ein viel geringeres Verantwortlichkeitsgefühl
von dem alles Materielle nur durch Verdichtung zustande gekommen
gegenüber der Wahrheit, als wenn man weiß, daß die Wahrheit
ist. Und auf die Frage: Was ist das für eine Grundmaterie unseres
geradeso im Grunde abhängig ist von tiefliegenden Sympathie- und Antipathiegefühlen
Erdendaseins?- antwortet die Geisteswissenschaft: Jede Materie auf der
wie die Moralität und wie die Schönheit, so daß man ein gewisses freies Verhältnis
Erde ist kondensiertes Licht! Es gibt nichts im materiellen Dasein, was
zur Wahrheit hat. Hier liegt ein subjektives Mysterium vor, das sich darin
etwas anderes wäre als in irgendeiner Form verdichtetes Licht. Daher
äußert, daß manche, die nicht in richtiger, würdiger Weise sich dem Erlebnis der Initiation
sehen Sie, daß es für denjenigen, der die Tatsachen kennt, nicht eine
nähern, an ihrem Wahrheitsgefühl nicht so gewinnen, daß sie ein größeres
Theorie zu begründen gibt wie etwa die Schwingungshypothese des
Verantwortlichkeitsgefühl, das sie gegenüber der aufgezwungenen Wahrheit haben,
19. Jahrhunderts, in welcher man versuchte, Licht darzustellen mit
verlieren und in ein gewisses unwahres Element hineinkommen." {{Lit|{{G|170|72f}}}}
Mitteln, die selber gröber sind als das Licht. Licht ist nicht auf etwas
anderes in unserem materiellen Dasein zurückzuführen. Wo Sie hingreifen
und eine Materie anfühlen, da haben Sie überall kondensiertes,
zusammengepreßtes Licht. Materie ist ihrem Wesen nach Licht." {{Lit|{{G|120|192}}}}
</div>
</div>


== Materie und Widersachermächte ==
== Der Ursprung der Wahrheit auf der [[Alte Sonne|alten Sonne]] ==


Hinter der Materie stehen als eigentliche [[Realität]] die [[Widersacher]]mächte, namentlich [[Ahriman]] und die [[Asuras]]:
Wahrheit, [[Schönheit]] und [[Güte]] sind die drei großen [[Tugend]]en des [[Eingeweihter|Eingeweihten]], der in dieser Beziehung nur den anderen Menschen beispielgebend voranschreitet, damit sie sich diese Tugenden auch einmal im vollen Umfang erwerben. Die Anlage zu diesen Tugenden haben wir bereits in der Vergangenheit zu suchen, allerdings sind sie sehr unterschiedlichen Alters. Da die Wahrheit im [[Ätherleib]] lebt, müssen wir ihren Ursprung dort suchen, wo der Ätherleib des Menschen entstanden ist. Die erste Anlage des menschlichen Ätherleibs wurde auf der [[Alte Sonne|alten Sonne]] als Gabe der [[Geister der Weisheit]] gebildet. Damals wurde auch die Wahrheit veranlagt und sie ist damit die älteste der drei genannten Tugenden; die Schönheit geht auf das [[Alter Mond|alte Mondendasein]] zurück, wo sich zugleich die Wahrheit weiter bis zur [[Weisheit]] geläutert hat, und der Sinn für das [[Gute]] wird erst auf der [[Erde (Planet)|Erde]] entwickelt:


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Derjenige aber, der
"So steht der Mensch zum Wahren, Schönen, Guten. Im Wahren öffnet er seinen Ätherleib, zunächst den Ätherteil des Kopfes, unmittelbar dem Kosmos. Im Schönen öffnet er seinen astralischen Leib unmittelbar dem Kosmos. In der Moralität öffnet er unmittelbar sein Ich dem Kosmos. Im Wahren - wir werden diese Dinge morgen weiter ausführen und dann auch die Gesetze des Lebens zwischen Geburt und Tod und auch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt anführen -, im Wahren haben wir etwas, was am längsten schon vorbereitet ist für den Menschen. Im Schönen haben wir etwas, was verhältnismäßig kürzer vorbereitet ist; und im Moralischen haben wir etwas, was erst jetzt auf der Erde seinen Anfang nimmt. Was in der Wahrheit lebt, die sich zur Weisheit läutert, nimmt eigentlich schon während der Sonnenentwickelung seinen ersten Anfang, hat dann in einer gewissen Weise seinen Höhepunkt in der Mondenentwickelung, lebt sich weiter ein in der Erdenentwickelung, und wird im wesentlichen schon vollendet sein bei dem, was wir als die Jupiterentwickelung kennen. Da wird das menschliche Wesen mit Bezug auf den Inhalt der Weisheit einen gewissen vollen Abschluß erlangt haben. Schönheit - was eine sehr innerliche Sache für den Menschen ist - nimmt ihren Anfang während der Mondenentwickelung, setzt sich während der Erdenentwickelung fort, wird den Abschluß erlangen während der Venusentwickelung, was wir die Venusentwickelung nennen." {{Lit|{{G|170|74}}}}
in die Einweihung hineinkommt und hellsichtig wird, bei dem
bleibt das nicht so, dem steht nicht die äußere Materie gegenüber.
Die ist als solche [[Maya]]. Eine Realität ist sie nur für den, der eben
seiner eigenen inneren Werkzeuge sich bedient. Was tritt an die
Stelle der Materie? Das tritt uns ja entgegen, wenn wir uns die alte
Einweihung vor Augen führen. Während dem Menschen im Alltag
die Materie, [[Prakriti]], gegenübersteht, steht der Seele, die sich durch
den Yoga in die Einweihung hineinentwickelt, die Welt der Asuras,
die Welt des Dämonischen gegenüber, gegen die er zu kämpfen hat.
Die Materie ist das, was Widerstand leistet; die Asuras, die Mächte
der Finsternis, die werden Feinde. Aber das alles ist eigentlich nur
im Anklang, da blickt sozusagen etwas aus dem Seelischen herein,
wir beginnen das Seelische zu fühlen. Dann erst wird dieses Seelische
spirituell seiner selbst gewahr, wo es in Kampf tritt gegen die
Dämonen, gegen die Asuras.
 
In unserer Sprache würden wir diesen Kampf, der aber nur wie
im kleinen uns entgegentritt, als etwas bezeichnen, was als Geister
sichtbar wird, wenn die Materie in ihrer Geistigkeit erscheint Es
tritt uns da eben im kleinen das entgegen, was wir als den Kampf
der Seele mit dem Ahriman kennen, wenn sie zur Einweihung
kommt. Aber indem wir das auffassen als solch einen Kampf, stehen
wir ganz im Seelischen drinnen. Dann wächst das, was früher nur
die materiellen Geister waren, ins Riesengroße heran, der mächtige
Feind steht der Seele gegenüber. Da steht Seelisches gegenüber Seelischem,
da steht der individuellen Seele im weiten Weltall Ahrimans
Reich gegenüber." {{Lit|{{G|142|97}}}}
</div>
</div>


== Siehe auch ==
Auf der [[Alte Sonne|alten Sonne]] konnte die Wahrheit vom [[Mensch]]en noch nicht [[individuell]] erfasst werden, ebensowenig auf dem [[Alter Mond|alten Mond]] die [[Weisheit]], die sich dort entwickelt hat. Das konnte erst auf der [[Erde (Planet)|Erde]] beginnen, seit der Mensch hier sein [[Ich]] entwickelt. Seit dem tritt zur [[göttlich]]en Weisheit die individuelle menschliche hinzu.
* {{WikipediaDE|Materie}}
* {{Eisler|Materie}}
* {{Kirchner|Materie}}
* {{UTB-Philosophie|Andreas Preußner|544|Materie}}


== Literatur ==
==Literatur==
* [[Wikipedia:Romano Guardini|Romano Guardini]]: ''Die letzten Dinge: Die christliche Lehre vom Tode, der Läuterung nach dem Tode, Auferstehung, Gericht und Ewigkeit'', Topos Verlag 2008 (1. Aufl. 1952), ISBN 978-3836704618
*Konrad Dietzfelbringer: ''Apokryphe Evangelien aus Nag Hammadi'', Königsdorfer-Verlag 2004, ISBN 978-3980784733
*[[Hans Primas]]: ''Kann Chemie auf Physik reduziert werden?'' Erster Teil: ''Das Molekulare Programm'' in: [[Wikipedia:Chemie in unserer Zeit|Chemie in unserer Zeit]] 19/4 (August 1985) {{doi|10.1002/ciuz.19850190402}}
*[[Sigismund von Gleich]]: ''Die Wahrheit als Gesamtumfang aller Weltansichten'', J. Ch. Mellinger Vlg., Stuttgart 1989
*[[Herbert Witzenmann]]: ''Das Wahrheitsproblem im Lichte der Urteilslehre Rudolf Steiners'', Aufsatz in: ''Verstandesblindheit und Ideenschau'', S.16-31, Gideon Spicker Verlag, Dornach, 1. Aufl. 1985
* [[Gerhard Kienle]], [[Herbert Hensel]], Karl-Ernst Schäfer: ''Wissenschaft und Anthroposophie'', Urachhaus-Verlag, Stuttgart 1989, ISBN 978-3878386094
* Marek B. Majorek: ''Rudolf Steiners Geisteswissenschaft: Mythisches Denken oder Wissenschaft?'', 2 Bände, Verlag Narr Francke Attempto, Tübingen 2015, ISBN 978-3772085635, eBook: ASIN B0714F4N5R
*[[Peter Heusser]]: ''Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin'', Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
*Johannes Weinzirl (Hrsg.), Peter Heusser (Hrsg.): ''Was ist Geist?'', Wittener Kolloquium für Humanismus, Medizin und Philosophie, Band 2, Königshausen u. Neumann 2014, ISBN 978-3826052224
*Peter Heusser, Johannes Weinzirl: ''[[Rudolf Steiner]]: Seine Bedeutung für Wissenschaft und Leben heute'', Schattauer Verlag 2013, ISBN 978-3794529476, eBook {{ASIN|B07N91XPKK}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert'', Verlag Siegfried Cronbach, Berlin 1900 [http://www.odysseetheater.org/jump.php?url=http://www.odysseetheater.org/ftp/anthroposophie/Rudolf_Steiner/Faksimiles/GA018_1900.pdf pdf (1900)]
*[[Rudolf Steiner]]: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0; '''Tb 649''', ISBN 978-3-7274-6490-4 {{Schriften|001}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung''. 8. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2002, ISBN 3-7274-0020-X; '''Tb 629''', ISBN 978-3-7274-6290-0 {{Schriften|002}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Wahrheit und Wissenschaft'', [[GA 3]] (1980), ISBN 3-7274-0030-7
*[[Rudolf Steiner]]: ''Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung'', [[GA 7]] (1990)
*[[Rudolf Steiner]]: ''Methodische Grundlagen der Anthroposophie'', [[GA 30]] (1989), ISBN 3-7274-0300-4 {{Vorträge|030}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins'', [[GA 60]] (1983), ISBN 3-7274-0600-3 {{Vorträge|060}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Die Tempellegende und die Goldene Legende '', [[GA 93]] (1991), ISBN 3-7274-0930-4 {{Vorträge|093}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Geisteswissenschaftliche Menschenkunde'', [[GA 107]] (1988), ISBN 3-7274-1070-1 {{Vorträge|107}}
*[[Rudolf Steiner]]: ''Zufall, Notwendigkeit und Vorsehung '', [[GA 163]] (1986), ISBN 3-7274-1630-0
*[[Rudolf Steiner]]: ''Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte'', [[GA 170]] (1992)
*[[Rudolf Steiner]]: ''Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten'', [[GA 176]] (1982)
*[[Rudolf Steiner]]: ''Der menschliche und der kosmische Gedanke'', [[GA 151]], (1980)
*[[Rudolf Steiner]]: ''Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung'', [[GA 211]] (1986), ISBN 3-7274-2110-X {{Vorträge|211}}


*[[Erwin Schrödinger]]: ''Was ist ein Naturgesetz?: Beiträge zum naturwissenschaftlichen Weltbild'', Oldenburg Verlag, München 1987, ISBN 978-3486586718
{{GA}}
*[[Hans Primas]]: ''Kann Chemie auf Physik reduziert werden? Zweiter Teil: Die Chemie der Makrowelt'' in: [[Wikipedia:Chemie in unserer Zeit|Chemie in unserer Zeit]] 19/5 (Oktober 1985) {{doi|10.1002/ciuz.19850190504}}
*Richard Guy Woolley: ''Must a molecule have shape?'' in: ''New Scientist'', 22. Oktober 1988, p. 53-57 [https://www.researchgate.net/profile/Richard_Woolley4/publication/314751850_Must_a_molecule_have_shape/links/58c5699045851538eb8af944/Must-a-molecule-have-shape.pdf?origin=publication_detail pdf]
* Thomas Görnitz, Brigitte Görnitz: ''Das Geistige im Blickfeld der Naturwissenschaft - Bewusstsein und Materie als spezielle Formen der Protyposis - von abstrakter, bedeutungsfreier Quanteninformation'', in: Johannes Weinzirl (Hrsg.), Peter Heusser (Hrsg.): ''Was ist Geist?'', Wittener Kolloquium für Humanismus, Medizin und Philosophie, Band 2, Königshausen u. Neumann 2014, ISBN 978-3826052224
*[[Thomas Görnitz]], [[Brigitte Görnitz]]: ''Von der Quantenphysik zum Bewusstsein - Kosmos, Geist und Materie,'' Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, 2016'','' ISBN 978-3-662-49081-5
*Interview mit Hans-Peter Dürr in DER STANDARD, 12. November 1998, ''Materie ist Kruste des Geistes'' 
*[[Hans-Peter Dürr]]: ''Versöhnung von Wissenschaft und Religion'', Vortrag vom 30. Mai 2003, Französische Friedrichstadtkirche (Gendarmenmarkt), Berlin
*Hans-Peter Dürr: ''Es gibt keine Materie!'', Crotona 2012, ISBN 978-3861910282, eBook {{ASIN|B0158VC54E}}
*[[Martin Basfeld]]: ''Wärme: Ur-Materie und Ich-Leib: Beiträge zur Anthropologie und Kosmologie.'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1998, ISBN 978-3772516306
*Rudolf Steiner: ''Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften'', [[GA 1]] (1987), ISBN 3-7274-0011-0 {{Schriften|001}}
*Rudolf Steiner: ''Die Erkenntnis der Seele und des Geistes'', [[GA 56]] (1985), ISBN 3-7274-0560-0 {{Vorträge|056}}
*Rudolf Steiner: ''Wo und wie findet man den Geist?'', [[GA 57]] (1984), ISBN 3-7274-0570-8 {{Vorträge|057}}
*Rudolf Steiner: ''Kosmogonie'', [[GA 94]] (2001), ISBN 3-7274-0940-1 {{Vorträge|094}}
*Rudolf Steiner: ''Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft'', [[GA 96]] (1989), ISBN 3-7274-0961-4 {{Vorträge|096}}
*Rudolf Steiner: ''Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt'', [[GA 110]] (1991), ISBN 3-7274-1100-7 {{Vorträge|110}}
*Rudolf Steiner: ''Die Offenbarungen des Karma'', [[GA 120]] (1992), ISBN 3-7274-1200-3 {{Vorträge|120}}
*Rudolf Steiner: ''Die Mission der neuen Geistesoffenbarung'', [[GA 127]] (1989), ISBN 3-7274-1270-4 {{Vorträge|127}}
*Rudolf Steiner: ''Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit'', [[GA 130]] (1995)
*Rudolf Steiner: ''Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes'', [[GA 134]] (1990)
*Rudolf Steiner: ''Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe'', [[GA 142]] (1982), ISBN 3-7274-1420-0 {{Vorträge|142}}
*Rudolf Steiner: ''Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst?'', [[GA 145]] (2005), ISBN 3-7274-1450-2 {{Vorträge|145}}
*Rudolf Steiner: ''Weltwesen und Ichheit'', [[GA 169]] (1998), ISBN 3-7274-1690-4 {{Vorträge|169}}
*Rudolf Steiner: ''Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physische des Menschen'', [[GA 202]] (1993), ISBN 3-7274-2020-0 {{Vorträge|202}}
*Rudolf Steiner: ''Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele'', [[GA 277]] (1999), ISBN 3-7274-2770-1 {{Vorträge|277}}
*Rudolf Steiner: ''Die pädagogische Praxis vom Gesichtspunkte geisteswissenschaftlicher Menschenerkenntnis. Die Erziehung des Kindes und jüngeren Menschen.'', [[GA 306]] (1989), ISBN 3-7274-3060-5 {{Vorträge|306}}
*Rudolf Steiner: ''Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik, II'', [[GA 321]] (2000), ISBN 3-7274-3210-1 {{Vorträge|321}}


{{GA}}
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Wahrheit}}
* [[Wahrheitskriterium]]
* [[Wahrhaftigkeit]]


== Weblinks ==
== Weblinks ==
;Videos
* {{Eisler|Wahrheit}}
* [http://www.youtube.com/watch?v=rT6ekqvt42k Hans-Peter Dürr. ''Es gibt keine Materie (1)'']
* {{Kirchner|Wahrheit}}
* [http://www.youtube.com/watch?v=Wik_bas2Sbw Hans-Peter Dürr. ''Es gibt keine Materie (2)'']
* {{UTB-Philosophie|Brigitte Wiesen|948|Wahrheit}}
*[http://www.gerd-albrecht.de/Die%20Gnostischen%20Schriften/Das%20Philippusevangelium.htm Das Philippusevangelium] (Gerd Albrecht)
* [http://web.archive.org/web/20070912010206/http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe/nhs/node87.html#SECTION000190000000000000000 Das Philippusevangelium] (deutsche Übersetzung von Gerd Lüdemann und Martina Janßen)
* [[Joachim Stiller]]: [http://joachimstiller.de/philosophie2b.html Projekt Wahrheit] Website
 
== Einzelnachweis ==


== Einzelnachweise ==
<references/>
<references/>


[[Kategorie:Materie|!]] [[Kategorie:Alchemie]] [[Kategorie:Substanz|105]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie]] [[Kategorie:Wissenschaftstheorie]] [[Kategorie:Wahrheit|!]] [[Kategorie:Wahrheitsempfinden]] [[Kategorie:Ethisches Gut]] [[Kategorie:Ethisches Prinzip]] [[Kategorie:Ethik]] [[Kategorie:Das Gute, das Schöne und das Wahre|204]] [[Kategorie:Wertvorstellung]]
[[Kategorie:Das Wahre]]

Version vom 17. April 2020, 00:17 Uhr

Wahrheit (von idg. *wēr- „Vertrauen, Treue, Zustimmung“; lat. veritas; griech. ἀλήθεια Aletheia, aus α privativum und λῆθος, P.P.P. von λανθάνω, „verbergen“, bedeutet also wörtlich: „das Unverborgene“) ist ein philosophischer Grundbegriff, der aber von verschiedenen Denkern sehr unterschiedlich gefasst wurde → Wahrheit.

„Die Wahrheit ist aber nichts, worüber man Meinungen haben kann. Eine Wahrheit weiß man, oder man weiß sie nicht. Es kann niemand sagen, daß die drei Winkel im Dreieck 725 Grad haben statt 180.“ (Lit.:GA 93, S. 108)

Was ist Wahrheit?

Datei:Was ist Wahrheit.jpg
Nikolai Nikolajewitsch Ge: Was ist Wahrheit – Quid est veritas? (1890); Pontius Pilatus zu Jesus (Joh 18,38 LUT).

Solange die Menschen noch von der alten Götterweisheit, die sie hellsichtig empfangen hatten, zehren konnten, und sei es auch nur durch Überlieferung, solange brauchten sie die Frage nach der Wahrheit nicht zu stellen. Paulus, als er noch Saulus war, vertraute noch ganz auf diese alte Offenbarung. Ein letzter Rest dieser - mittlerweile freilich substanzlos gewordenen - Gesinnung lebt noch in dem 1870 festgeschriebenen Dogma der Päpstlichen Unfehlbarkeit für alle ex cathedra verkündigten Glaubens- und Sittenlehren. Quelle der Wahrheit ist hier nicht der Mensch, aber ein allmächtiger Gott kann nach dem Anspruch dieses Dogmas die Unfehlbarkeit eines Menschen, nämlich des Papstes, bewirken.

Pilatus, als er den Christus verhörte, konnte sich der Wahrheit nicht mehr sicher sein:

„33 Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und fragte ihn: Bist du der König der Juden? 34 Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus oder haben dir's andere über mich gesagt? 35 Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? 36 Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; nun aber ist mein Reich nicht von dieser Welt. 37 Da fragte ihn Pilatus: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. 38 Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm.“

Johannesevangelium: 18,33-38 LUT

Durch Luzifer war der Mensch in die irdisch-sinnliche Welt versetzt worden. Dadurch kam er zugleich immer mehr in den Einflussbereich Ahrimans und verfiel dem Irrtum und der Sünde.

"Dadurch, daß der Mensch verfrüht herunterversetzt worden ist in die irdische Sphäre, daß ihn seine irdischen Interessen und Begierden heruntergedrängt haben, dadurch kam es anders, wie es sonst gekommen wäre in der Mitte der atlantischen Zeit.

Dadurch haben sich hineingemischt in das, was der Mensch hat sehen und begreifen können, die ahrimanischen Geister, diejenigen Geister, die eben auch mit dem Namen mephistophelische Geister bezeichnet werden können. Dadurch verfiel der Mensch in Irrtum, verfiel in das, was man eigentlich erst die bewußte Sünde nennen könnte. Also von der Mitte der atlantischen Zeit an wirkt auf den Menschen die Schar der ahrimanischen Geister ein. Wozu hat nun diese Schar der ahrimanischen Geister sozusagen den Menschen verführt? Sie hat ihn dazu verführt, daß er das, was in seiner Umgebung ist, für stofflich, für materiell hält, daß er nicht durch dieses Stoffliche hindurchsieht auf die wahren Untergründe des Stofflichen, auf das Geistige. Würde der Mensch in jedem Stein, in jeder Pflanze und in jedem Tier das Geistige sehen, er würde niemals verfallen sein in Irrtum und damit in das Böse, sondern der Mensch würde, wenn nur die fortschreitenden Geister auf ihn gewirkt hätten, bewahrt geblieben sein vor jenen Illusionen, denen er immer verfallen muß, wenn er nur auf die Aussage der Sinneswelt baut." (Lit.: GA 107, S. 244ff)

Erst nachdem der Mensch gelernt hatte, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, der aber eben auch durch den Einfluss Ahrimans dem Irrtum unterliegen kann, stellt sich immer wieder die Frage, die auch Pontius Pilatus stellen musste: „Was ist Wahrheit?“

"Unter den hebräischen Menschen gab es Schriftgelehrte, die aus der Schrift wußten, was da noch aufbewahrt worden war von der alten Götterweisheit her. Aus diesen Schriftgelehrten heraus entstand das Urteil, das den Christus Jesus zum Tode verurteilt hat. Solch ein Mensch wie Paulus, als er noch Saulus war, sieht also hinauf zu der Urgötterweisheit. Aus der strömt herunter bis zu den Schriftgelehrten seiner Zeit dasjenige, was diese Götterweisheit dem Menschen geworden ist. Indem hervorragende Menschen sich hingegeben haben dem Schrifttum, konnte diese Götterweisheit nur dazu führen, daß gerechte Urteile gesprochen wurden. Ein Unschuldiger, der zum Kreuzestod verurteilt wird: unmöglich, unmöglich! wenn sich alles so vollzog, wie es sich vollzogen hat bei der Verurteilung des Christus Jesus. Nur der römische Landpfleger Pontius Pilatus, der war schon instinktiv hineinverstrickt in eine ganz andere Weltanschauung, der konnte das inhaltsvolle Wort aussprechen: Was ist Wahrheit? - Für Paulus, als er noch Saulus war, war keine Möglichkeit, auch nur daran zu denken, daß das, was nach gerechtem Urteile sich vollzogen hat, nicht hätte Wahrheit sein sollen.

Zu welcher Überzeugung mußte sich denn Paulus durchringen? Zu der Überzeugung, daß bei den Menschen Irrtum sein kann dasjenige, was einmal von den Göttern als Wahrheit gekommen ist, daß die Menschen es haben zum Irrtume machen können, zu solch starkem Irrtum, daß der Schuldloseste durch den Kreuzestod geht.

Um ganz klar zu werden, machen wir uns davon eine schematische Zeichnung:

GA 211, S 118
GA 211, S 118

Ursprüngliche Götterweisheit, sie strömt herunter bis zu der Weisheit der Schriftgelehrten, die die Zeitgenossen des Mysteriums von Golgatha innerhalb des Hebräertums waren (weiß). Da kann nur die Wahrheit drinnen sein, so mußte Saulus denken. Aber man mußte anders denken. Paulus, als er noch Saulus war, sagte sich: Ist das wirklich der Christus, der Messias, der durch den Kreuzestod gegangen ist, so muß da drinnen in dieser Strömung (rot) Irrtum sein. Da muß Irrtum zugemischt sein der Wahrheit, denn der Irrtum muß es sein, der den Christus ans Kreuz gebracht hat; das heißt, die einstige Götter Wahrheit muß in den Menschen zum Irrtum geworden sein.

Selbstverständlich konnte der Saulus sich nur überzeugen durch die Tatsache, daß das so ist. Nur der Christus selbst konnte ihn überzeugen, wenn er ihm erschien, wie das durch das Ereignis von Damaskus geschehen ist. Was bedeutete das aber für den Saulus? Das bedeutete, daß eben nicht mehr die alte Götterweisheit war, sondern daß in diese das Ahrimanische hereingeströmt war.

So kam Paulus dazu, einzusehen, daß die Menschheitsentwickelung von einem Feinde ergriffen war, und daß dieser Feind der Quell des Irrtums auf der Erde ist." (Lit.: GA 211, S. 117ff)

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben

Ich habe den MENSCHEN gesehn in seiner tiefsten Gestalt,
ich kenne die Welt bis auf den Grundgehalt.

Ich weiß, daß Liebe, Liebe ihr tiefster Sinn,
und daß ich da, um immer mehr zu lieben, bin.

Ich breite die Arme aus, wie ER getan,
ich möchte die ganze Welt, wie ER, umfahn.

Christian Morgenstern[1]

Die Antwort auf die Frage des Pilatus nimmt der Christus schon während des Letzten Abendmahls in seinen Abschiedsreden voraus, wie sie im Johannesevangelium überliefert sind, wenn er sagt: «Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben». Christus selbst ist die lebendige Wahrheit, zu der er auch den Weg bereitet - und dieser Weg führt durch den Christus zum Vater, d.h. in das innerste Zentrum und die eigentliche Quelle des höchsten Göttlichen. Indem sich der Mensch aus freiem Entschluss auf ganz individuelle Weise mit der Christuskraft durchdringt, im Sinne des Paulinischen Wortes «Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir» (Gal 2,20 LUT), lebt in ihm die Wahrheit.

Hans Holbein der Jüngere: Christus im Elend, 1519

„1 Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! 2 In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? 3 Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. 4 Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. 5 Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? 6 Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. 7 Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. 8 Spricht zu ihm Philippus: Herr, zeige uns den Vater und es genügt uns. 9 Jesus spricht zu ihm: So lange bin ich bei euch und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater! Wie sprichst du dann: Zeige uns den Vater? 10 Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst aus. Und der Vater, der in mir wohnt, der tut seine Werke. 11 Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir; wenn nicht, so glaubt doch um der Werke willen. 12 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun; denn ich gehe zum Vater. 13 Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohn. 14 Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.“

Johannesevangelium: 14,1-14 LUT

Ecce homo

In dem Christus Jesus ist die Wahrheit erstmals und in vollem Umfang leibhaftig Mensch geworden. Mit vollem Recht spricht Pilatus daher, als er den gegeißelten, blutüberströmten, in den purpurnen Königsmantel gehüllten und mit der Dornenkrone gekrönten Jesus Christus dem Volk präsentiert, sein Ecce homo (griech. Ἰδοὺ ὁ ἄνθρωπος idoù ho ánthropos „Siehe, der Mensch“) (Joh 19,5 ELB).

Die Wahrheit erkennen heißt deshalb: Christus erkennen! Jenen Christus, dessen Wesen die reine Liebe ist, die sich frei verschenkt und darum auch Freiheit schenkt. Und wo immer ein Stück der Wahrheit erkannt wird, wird auch der Christus erkannt.

„Wenn wir von »Wahrheit« reden, meinen wir damit einen allgemeinen Sinnverhalt, nämlich die Tatsache, daß wir irgend etwas im Lichte der ewigen Wesenheit erkennen. Johannes aber sagt im Prolog: Das ist ein bloßer Zwischengedanke, der nur bedingt gilt. Im Letzten ist die Wahrheit Er, der Logos; und Erkennen bedeutet im Letzen, den Logos, Christus zu erkennen und alle Dinge in Ihm.“ (Lit.: Guardini, S. 103f)

Und weil der Christus wahrer Gott und wahrer Mensch zugleich ist, ist auch die Wahrheit göttlich und menschlich zugleich.

Wahrheitstheorien

Hauptartikel: Wahrheitstheorie

Im Lauf der Philosophiegeschichte wurden verschiedene Wahrheitstheorien entwickelt. Nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht über die wichtigsten Ansätze:

Position Wahrheitsdefinition Wahrheitsträger Wahrheitskriterium
Ontologisch-metaphysische Korrespondenztheorie „Veritas est adaequatio intellectus et rei“
Wahrheit ist die Übereinstimmung von erkennendem Verstand und Sache
Denken Sachen in der Welt
Dialektisch-materialistische Widerspiegelungstheorie Übereinstimmung zwischen Bewusstsein und objektiver Realität Bewusstsein (orthodoxer Marxismus)
oder Aussage (moderner Marxismus)
Praxis[2]
Logisch-empiristische Bildtheorie Übereinstimmung der logischen Struktur des Satzes mit der des von ihm abgebildeten Sachverhalts Satzstruktur Struktur der Sachverhalte
Semantische Theorie der Wahrheit „x ist eine wahre Aussage dann und nur dann, wenn p“ (Für „p“ ist eine beliebige Aussage, für „x“ ein beliebiger Eigennahmen dieser Aussage einzusetzen.) Satz (der Objektsprache) Diskursuniversum (der Objektsprache)
Redundanztheorie Der Begriff der Wahrheit wird nur aus stilistischen Gründen verwendet, oder um der eigenen Behauptung Nachdruck zu verleihen. Sätze
Performative Theorie das, was man tut, wenn man sagt, eine Aussage sei wahr Handlung / Sprechakt / Selbstverpflichtung eigenes Verhalten
Kohärenztheorie Widerspruchsfreiheit / Ableitungsbeziehungen einer Aussage zum System akzeptierter Aussagen Aussage Kein Widerspruch von Aussage und bereits akzeptiertem Aussage-System
Konsensustheorie diskursiv einlösbarer Geltungsanspruch, der mit einem konstativen Sprechakt verbunden ist Aussage/Proposition[3] begründeter Konsens unter Bedingungen einer idealen Sprechsituation[3]

Die Wahrheit ist ein freies schöpferisches Erzeugnis des Menschen

„Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.“

Johannes-Evangelium: 8,31-32 LUT

Rudolf Steiners Wahrheitsbegriff deckt sich in ihrem wesentlichen Kern mit keiner der genannten Wahrheitstheorien, sondern ist auf die schöpferische Freiheit des individuellen Menschen gegründet.

Für Fichte, an den Rudolf Steiner in seiner Dissertation anknüpft, muss die Wahrheit „thätig und mit Freiheit hervorgebracht werden, durch Anstrengung und eigne Kraftanwendung“[4] und besteht letztlich darin, mit sich selbst übereinstimmend zu denken.

„Die Frage ist ja gar nicht, ob wir mit andern, sondern ob wir mit uns selbst übereinstimmend denken. Ist das leztere, so können wir des erstern ohne unser Zuthun, und ohne erst die Stimmen zu sammeln, bey allen denen gewiß seyn, die mit sich selbst in Übereinstimmung stehen; denn das Wesen der Vernunft ist in allen vernünftigen Wesen Eins, und eben dasselbe. Wie andre denken, wissen wir nicht, und wir können davon nicht ausgehen. Wie wir denken sollen, wenn wir vernünftig denken wollen, können wir finden; und so, wie wir denken sollen, sollen alle vernünftige Wesen denken. Alle Untersuchung muß von innen heraus, nicht von aussen herein, geschehen. Ich soll nicht denken, wie andre denken; sondern wie ich denken soll, so, soll ich annehmen, denken auch andre. – Mit denen übereinzustimmend zu seyn, die es mit sich selbst nicht sind, wäre das wohl ein würdiges Ziel für ein vernünftiges Wesen?“

Johann Gottlieb Fichte: Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit[5]

Wahrheit ist nichts fertig in der Welt Vorhandenes, sondern etwas frei und individuell durch das Ich zu Schaffendes - diesen Standpunkt hat auch Rudolf Steiner in seinem philosophischen Grundlagenwerk «Wahrheit und Wissenschaft» (1892) vertreten:

„Das Resultat dieser Untersuchungen ist, dass die Wahrheit nicht, wie man gewöhnlich annimmt, die ideelle Abspiegelung von irgendeinem Realen ist, sondern ein freies Erzeugnis des Menschengeistes, das überhaupt nirgends existierte, wenn wir es nicht selbst hervorbrächten. Die Aufgabe der Erkenntnis ist nicht: etwas schon anderwärts Vorhandenes in begrifflicher Form zu wiederholen, sondern die: ein ganz neues Gebiet zu schaffen, das mit der sinnenfällig gegebenen Welt zusammen erst die volle Wirklichkeit ergibt. Damit ist die höchste Tätigkeit des Menschen, sein geistiges Schaffen, organisch dem allgemeinen Weltgeschehen eingegliedert. Ohne diese Tätigkeit wäre das Weltgeschehen gar nicht als in sich abgeschlossene Ganzheit zu denken. Der Mensch ist dem Weltlauf gegenüber nicht ein müßiger Zuschauer, der innerhalb seines Geistes das bildlich wiederholt, was sich ohne sein Zutun im Kosmos vollzieht, sondern der tätige Mitschöpfer des Weltprozesses; und das Erkennen ist das vollendetste Glied im Organismus des Universums.“ (Lit.:GA 3, S. 11f)

Rudolf Steiner sieht sich damit im Einklang mit Goethe:

„Verschieden gestalten sich die subjektiven Erlebnisse bei verschiedenen Menschen. Für diejenigen, welche nicht an die objektive Natur der Innenwelt glauben, ist das ein Grund mehr, dem Menschen das Vermögen abzusprechen, in das Wesen der Dinge zu dringen. Denn wie kann Wesen der Dinge sein, was dem einen so, dem andern anders erscheint. Für denjenigen, der die wahre Natur der Innenwelt durchschaut, folgt aus der Verschiedenheit der Innenerlebnisse nur, dass die Natur ihren reichen Inhalt auf verschiedene Weise aussprechen kann. Dem einzelnen Menschen erscheint die Wahrheit in einem individuellen Kleide. Sie passt sich der Eigenart seiner Persönlichkeit an. Besonders für die höchsten, dem Menschen wichtigsten Wahrheiten gilt dies. Um sie zu gewinnen, überträgt der Mensch seine geistigen, intimsten Erlebnisse auf die angeschaute Welt und mit ihnen zugleich das Eigenartigste seiner Persönlichkeit. Es gibt auch allgemeingültige Wahrheiten, die jeder Mensch aufnimmt, ohne ihnen eine individuelle Färbung zu geben. Dies sind aber die oberflächlichsten, die trivialsten. Sie entsprechen dem allgemeinen Gattungscharakter der Menschen, der bei allen der gleiche ist. Gewisse Eigenschaften, die in allen Menschen gleich sind, erzeugen über die Dinge auch gleiche Urteile. Die Art, wie die Menschen die Dinge nach Maß und Zahl ansehen, ist bei allen gleich. Daher finden alle die gleichen mathematischen Wahrheiten. In den Eigenschaften aber, in denen sich die Einzelpersönlichkeit von dem allgemeinen Gattungscharakter abhebt, liegt auch der Grund zu den individuellen Ausgestaltungen der Wahrheit. Nicht darauf kommt es an, dass in dem einen Menschen die Wahrheit anders erscheint als in dem andern, sondern darauf, dass alle zum Vorschein kommenden individuellen Gestalten einem einzigen Ganzen angehören, der einheitlichen ideellen Welt. Die Wahrheit spricht im Innern der einzelnen Menschen verschiedene Sprachen und Dialekte; in jedem großen Menschen spricht sie eine eigene Sprache, die nur dieser einen Persönlichkeit zukommt. Aber es ist immer die eine Wahrheit, die da spricht. «Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.» Dies ist Goethes Meinung.“ (Lit.:GA 6, S. 65f)

Die „eine einzige Wahrheit“ kann sich nur auf das Vergangene, Gewordene, Tote beziehen - und versagt gegenüber dem Lebendigen.

„Dasjenige, was in dem gewöhnlichen Sinne des physischen Planes als wahr gilt, das kann sich im Grunde genommen, wenn wir unter Wahrheit verstehen, die Übereinstimmung mit dem, was schon ist, nur auf das Vergangene, das heißt auf das Notwendige beziehen. Was im lebendigen Entstehen ist, das müssen wir immer produzieren. Darinnen müssen wir leben. Darinnen müssen wir uns gerade aus dem Notwendigen herausfließende, lebendige Begriffe aneignen gegenüber dem Lebendigen. Da können wir nicht auf etwas, womit der Begriff übereinstimmt, hinschauen, sondern nur in dem Begriff selber leben.“ (Lit.:GA 163, S. 88)

Ganz deutlich betonte Rudolf Steiner diesen schöpferischen Charakter des Erkennens auch in dem Ausblick, mit dem seine 1900 veröffentlichen „Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert“ ausklingen, die später zu „Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriss dargestellt“ (GA 18) erweitert wurden:

„Wenn ich mit meinen Gedanken die Dinge durchdringe, so füge ich also ein seinem Wesen nach in mir Erlebtes zu den Dingen hinzu. Das Wesen der Dinge kommt mir nicht aus ihnen, sondern ich füge es zu ihnen hinzu. Ich erschaffe eine Ideenwelt, die mir als Wesen der Dinge gilt. Die Dinge erhalten durch mich ihr Wesen. Es ist also unmöglich, nach dem Wesen des Seins zu fragen. Im Erkennen der Ideen enthüllt sich mir gar nichts, was in den Dingen einen Bestand hat. Die Ideenwelt ist mein Erlebnis. Sie ist in keiner anderen Form vorhanden als in der von mir erlebten.“ (Lit.: Rudolf Steiner: Welt- und Lebensanschauungen im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1900, S. 188)

Schon in den «Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften» hatte Rudolf Steiner geschrieben, dass der Mensch zwangsläufig einen offenbaren oder verhüllten Anthropomorphismus in seine Erkenntnistätigkeit hineinträgt, ja, dass dadurch, wenn es in richtiger Weise geschieht, überhaupt erst Erkenntnis möglich wird. Er entfernt sich dadurch keineswegs von der Wirklichkeit, die grundsätzlich nur in einem Subjekt und Objekt übergreifenden Prozess zu erreichen ist:

„Der Mensch muß die Dinge aus seinem Geiste sprechen lassen, wenn er ihr Wesen erkennen will. Alles, was er über dieses Wesen zu sagen hat, ist den geistigen Erlebnissen seines Innern entlehnt. Nur von sich aus kann der Mensch die Welt beurteilen. Er muß anthropomorphisch denken. In die einfachste Erscheinung, z. B. in den Stoß zweier Körper bringt man einen Anthropomorphismus hinein, wenn man sich darüber ausspricht. Das Urteil: «Der eine Körper stößt den andern», ist bereits anthropomorphisch. Denn man muß, wenn man über die bloße Beobachtung des Vorganges hinauskommen will, das Erlebnis auf ihn übertragen, das unser eigener Körper hat, wenn er einen Körper der Außenwelt in Bewegung versetzt. Alle physikalischen Erklärungen sind versteckte Anthropomorphismen. Man vermenschlicht die Natur, wenn man sie erklärt, man legt die inneren Erlebnisse des Menschen in sie hinein. Aber diese subjektiven Erlebnisse sind das innere Wesen der Dinge. Und man kann daher nicht sagen, daß der Mensch die objektive Wahrheit, das «An sich» der Dinge nicht erkenne, weil er sich nur subjektive Vorstellungen über sie machen kann.[6] Von einer andern als einer subjektiven menschlichen Wahrheit kann gar nicht die Rede sein. Denn Wahrheit ist Hineinlegen subjektiver Erlebnisse in den objektiven Erscheinungszusammenhang. Diese subjektiven Erlebnisse können sogar einen ganz individuellen Charakter annehmen. Sie sind dennoch der Ausdruck des inneren Wesens der Dinge. Man kann in die Dinge nur hineinlegen, was man selbst in sich erlebt hat. Demnach wird auch jeder Mensch, gemäß seinen individuellen Erlebnissen etwas in gewissem Sinne anderes in die Dinge hineinlegen. Wie ich mir gewisse Vorgänge der Natur deute, ist für einen andern, der nicht das gleiche innerlich erlebt hat, nicht ganz zu verstehen. Es handelt sich aber gar nicht darum, daß alle Menschen das gleiche über die Dinge denken, sondern nur darum, daß sie, wenn sie über die Dinge denken, im Elemente der Wahrheit leben. Man kann deshalb die Gedanken eines andern nicht als solche betrachten und sie annehmen oder ablehnen, sondern man soll sie als die Verkünder seiner Individualität ansehen. «Diejenigen, welche widersprechen und streiten, sollten mitunter bedenken, daß nicht jede Sprache jedem verständlich sei» (Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 355). Eine Philosophie kann niemals eine allgemeingültige Wahrheit überliefern, sondern sie schildert die inneren Erlebnisse des Philosophen, durch die er die äußeren Erscheinungen deutet.

Wenn ein Ding durch das Organ des menschlichen Geistes seine Wesenheit ausspricht, so kommt die volle Wirklichkeit nur durch den Zusammenfluß des äußeren Objektiven und des inneren Subjektiven zustande. Weder durch einseitiges Beobachten, noch durch einseitiges Denken erkennt der Mensch die Wirklichkeit. Diese ist nicht als etwas Fertiges in der objektiven Welt vorhanden, sondern wird erst durch den menschlichen Geist in Verbindung mit den Dingen hervorgebracht. Die objektiven Dinge sind nur ein Teil der Wirklichkeit. Wer ausschließlich die sinnliche Erfahrung anpreist, dem muß man mit Goethe erwidern, «daß die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist» (Natw. Schr., 4. Bd., 2. Abt., S. 503). «Alles Faktische ist schon Theorie», d. h. es offenbart sich im menschlichen Geiste ein Ideelles, wenn er ein Faktisches betrachtet. Diese Weltauffassung, die in den Ideen die Wesenheit der Dinge erkennt und die Erkenntnis auffaßt als ein Einleben in das Wesen der Dinge, ist nicht Mystik. Sie hat aber mit der Mystik das gemein, daß sie die objektive Wahrheit nicht als etwas in der Außenwelt Vorhandenes betrachtet, sondern als etwas, das sich im Innern des Menschen wirklich ergreifen läßt. Die entgegengesetzte Weltanschauung versetzt die Gründe der Dinge hinter die Erscheinungen, in ein der menschlichen Erfahrung jenseitiges Gebiet. Sie kann nun entweder sich einem blinden Glauben an diese Gründe hingeben, der von einer positiven Offenbarungsreligion seinen Inhalt erhält, oder Verstandeshypothesen und Theorien darüber aufstellen, wie dieses jenseitige Gebiet der Wirklichkeit beschaffen ist. Der Mystiker sowohl wie der Bekenner der Goetheschen Weltanschauung lehnen sowohl den Glauben an ein Jenseitiges, wie auch die Hypothesen über ein solches ab, und halten sich an das wirkliche Geistige, das sich in dem Menschen selbst ausspricht.“ (Lit.:GA 335ff, S. 335)

Hier macht Steiner auch deutlich, dass die verschiedenen Perspektiven, durch die sich die Wahrheit jeweils in ganz individueller Form zeigt, durch die Verschiedenheit der Verstandeswelten bedingt ist. Der Verstand zerschneidet gleichsam die Wiklichkeit auf ganz individuelle Weise in Begriffe. Die Vernunft fügt sie (im Idealfall) wieder zu den der Sache angemessenen Ideen zusammen:

„Alle Begriffe, die der Verstand schafft: Ursache und Wirkung, Substanz und Eigenschaft, Leib und Seele, Idee und Wirklichkeit, Gott und Welt usw. sind nur da, um die einheitliche Wirklichkeit künstlich auseinander zu halten; und die Vernunft hat, ohne den damit geschaffenen Inhalt zu verwischen, ohne die Klarheit des Verstandes mystisch zu verdunkeln, in der Vielheit die innere Einheit aufzusuchen. Sie kommt damit auf das zurück, wovon sich der Verstand entfernt hat, auf die einheitliche Wirklichkeit. Will man eine genaue Nomenklatur haben, so nenne man die Verstandsgebilde Begriffe, die Vernunftschöpfungen Ideen. Und man sieht, dass der Weg der Wissenschaft ist: sich durch den Begriff zur Idee zu erheben. Und hier ist der Ort, wo sich uns in der klarsten Weise das subjektive und das objektive Element unseres Erkennens auseinanderlegen. Es ist ersichtlich, dass die Trennung nur subjektiven Bestand hat, nur durch unsern Verstand geschaffen ist. Es kann mich nicht hindern, dass ich ein und dieselbe objektive Einheit in Gedankengebilde zerlege, die von denen meines Mitmenschen verschieden sind; das hindert nicht, dass meine Vernunft in der Verbindung wieder zu derselben objektiven Einheit gelangt, von der wir ja beide ausgegangen sind.

Zeichnung aus GA 1, S. 173
Zeichnung aus GA 1, S. 173

Das einheitliche Wirklichkeitsgebilde sei sinnbildlich dargestellt (Figur 1). Ich trenne es verstandesgemäß so, wie Fig. 2; ein anderer anders, wie Fig. 3.

Wir fassen es vernunftgemäß zusammen und erhalten dasselbe Gebilde. Damit wird es uns erklärlich, wie die Menschen so verschiedene Begriffe, so verschiedene Anschauungen von der Wirklichkeit haben können, trotzdem diese doch nur eine sein kann. Die Verschiedenheit liegt in der Verschiedenheit unserer Verstandeswelten. Damit verbreitet sich für uns ein Licht über die Entwicklung verschiedener wissenschaftlicher Standpunkte. Wir begreifen, woher die vielfachen philosophischen Standpunkte kommen, und haben nicht nötig, ausschließlich einer die Palme der Wahrheit zuzuerkennen. Wir wissen auch, welchen Standpunkt wir selbst gegenüber der Vielheit menschlicher Anschauungen einzunehmen haben.“ (Lit.:GA 1, S. 172f)

In seinen «Goethe-Studien» schreibt Steiner:

„Was aus dem menschlichen Geiste entspringt, wenn dieser sich beobachtend und denkend der Außenwelt gegenüberstellt, ist die Wahrheit. Der Mensch kann keine andere Erkenntnis verlangen als eine solche, die er selbst hervorbringt. Wer hinter den Dingen noch etwas sucht, das deren eigentliches Wesen bedeuten soll, der hat sich nicht zum Bewußtsein gebracht, daß alle Fragen nach dem Wesen der Dinge nur aus einem menschlichen Bedürfnisse entspringen: das, was man wahrnimmt, auch mit dem Gedanken zu durchdringen. Die Dinge sprechen zu uns, und unser Inneres spricht, wenn wir die Dinge beobachten. Diese zwei Sprachen stammen aus demselben Urwesen, und der Mensch ist berufen, deren gegenseitiges Verständnis zu bewirken. Darin besteht das, was man Erkenntnis nennt. Und dies und nichts anderes sucht der, der die Bedürfnisse der menschlichen Natur versteht. Wer zu diesem Verständnisse nicht gelangt, dem bleiben die Dinge der Außenwelt fremdartig. Er hört aus seinem Innern das Wesen der Dinge nicht zu sich sprechen. Deshalb vermutet er, daß dieses Wesen hinter den Dingen verborgen sei. Er glaubt an eine Außenwelt noch hinter der Wahrnehmungswelt. Aber die Dinge sind uns nur so lange fremd, solange wir sie bloß beobachten. Für den Menschen besteht nur so lange der Gegensatz von objektiver äußerer Wahrnehmung und subjektiver innerer Gedankenwelt, als er die Zusammengehörigkeit dieser Welten nicht erkennt. Die menschliche Innenwelt gehört als ein Glied zum Weltprozeß wie jeder andere Vorgang.

Diese Gedanken werden nicht widerlegt durch die Tatsache, daß verschiedene Menschen sich verschiedene Vorstellungen von den Dingen machen. Auch nicht dadurch, daß die Organisationen der Menschen verschieden sind, so daß man nicht weiß, ob eine und dieselbe Farbe von verschiedenen Menschen in der ganz gleichen Weise gesehen wird. Denn nicht darauf kommt es an, ob sich die Menschen über eine und dieselbe Sache genau das gleiche Urteil bilden, sondern darauf, ob die Sprache, die das Innere des Menschen spricht, eben die Sprache ist, die das Wesen der Dinge ausdrückt. Die einzelnen Urteile sind nach der Organisation des Menschen und nach dem Standpunkte, von dem aus er die Dinge betrachtet, verschieden; aber alle Urteile entspringen dem gleichen Elemente und führen in das Wesen der Dinge. Dieses kann in verschiedenen Gedankennuancen zum Ausdruck kommen; aber es bleibt deshalb doch das Wesen der Dinge. Der Mensch ist das Organ, durch das die Natur ihre Geheimnisse enthüllt. In der subjektiven Persönlichkeit erscheint der tiefste Gehalt der Welt.“ (Lit.:GA 30, S. 203f)

Weiter heißt es:

„Wenn ein Ding durch das Organ des menschlichen Geistes seine Wesenheit ausspricht, so kommt die volle Wirklichkeit nur durch den Zusammenfluß von Beobachtung und Denken zustande. Weder durch einseitiges Beobachten noch durch einseitiges Denken erkennt der Mensch die Wirklichkeit. Diese ist nicht als etwas Fertiges in der objektiven Welt vorhanden, sondern wird erst durch den menschlichen Geist in Verbindung mit den Dingen hervorgebracht. Wer ausschließlich die Erfahrung anpreist, dem muß man mit Goethe erwidern, «daß die Erfahrung nur die Hälfte der Erfahrung ist». «Alles Faktische ist schon Theorie» (Sprüche in Prosa), das heißt, es offenbart sich im menschlichen Geiste ein Gesetzliches, wenn er ein Faktisches betrachtet. Diese Weltauffassung, die in den Ideen die Wesenheit der Dinge erkennt und die Erkenntnis auffaßt als ein Einleben in das Wesen der Dinge, ist nicht Mystik. Sie hat aber mit der Mystik das gemein, daß sie die objektive Wahrheit nicht als etwas in der Außenwelt Vorhandenes betrachtet, sondern als etwas, das sich im Innern des Menschen wirklich ergreifen laßt. Die entgegengesetzte Weltanschauung versetzt die Gründe der Dinge hinter die Erscheinungen, in ein der menschlichen Erfahrung jenseitiges Gebiet. Sie kann nun entweder sich einem blinden Glauben an diese Gründe hingeben, der von einer positiven Offenbarungsreligion seinen Inhalt enthält, oder Verstandes-Hypothesen und Theorien darüber aufstellen, wie dieses jenseitige Gebiet der Wirklichkeit beschaffen ist. Der Mystiker wie auch der Bekenner der Goetheschen Weltanschauung lehnen sowohl den Glauben an ein Jenseitiges wie auch die Hypothesen über ein solches ab und halten sich an das wirkliche Geistige, das sich in dem Menschen selbst ausspricht.“ (Lit.:GA 30, S. 204f)

Wahrheitssinn

Jeder Mensch verfügt über einen Wahrheitssinn, mit dem er die geisteswissenschaftlichen Erkenntnisse auffassen und mit unbefangener Logik auch folgerichtig verstehen und prüfen kann.

„Jede Seele ist in sich selber veranlagt, wenn sie sich auch noch nicht dem gekennzeichneten einsamen Ringen hingegeben hat, durch eine unbefangene Logik und durch einen gesunden Wahrheitssinn in sich aufzunehmen, was von der Geisteswissenschaft mitgeteilt wird. Wenn auch ganz gewiß zugegeben werden muß, daß im weitesten Umkreis, in dem heute dieses oder jenes von der Geisteswissenschaft getrieben wird, bei der Aufnahme der Mitteilungen der Geistesforschung nicht überall dieser gesunde Wahrheitssinn und diese gesunde Logik herrschen, so ist das ein Mangel einer jeden Geistesbewegung. Im Prinzip ist es aber durchaus richtig, was gesagt ist. Ja, im Prinzip sollte sogar beachtet werden, daß es zu Irrtümern über Irrtümern führen muß, wenn leichten Herzens und mit einem blinden Glauben das entgegengenommen wird, was so oft heute als Geisteswissenschaft an die Menschheit herangebracht wird. Wer wirklich auf dem Boden der Geisteswissenschaft steht, fühlt sich in strenger Art verpflichtet, logisch und vernunftgemäß das mitzuteilen, was er zu sagen hat, so daß es wirklich von einem gesunden Wahrheitssinn und von aller Logik geprüft werden kann.“ (Lit.:GA 60, S. 18f)

Subjekt und Objekt

Johann Wolfgang Goethe
Vermächtnis

Kein Wesen kann zu nichts zerfallen!
Das Ewge regt sich fort in allen,
Am Sein erhalte dich beglückt!
Das Sein ist ewig: denn Gesetze
Bewahren die lebendgen Schätze,
Aus welchen sich das All geschmückt.

Das Wahre war schon längst gefunden,
Hat edle Geisterschaft verbunden;
Das alte Wahre, faß es an!
Verdank es, Erdensohn, dem Weisen,
Der ihr, die Sonne zu umkreisen,
Und dem Geschwister wies die Bahn,

Sofort nun wende dich nach innen:
Das Zentrum findest du da drinnen,
Woran kein Edler zweifeln mag.
Wirst keine Regel da vermissen:
Denn das selbständige Gewissen
Ist Sonne deinem Sittentag.

Den Sinnen hast du dann zu trauen,
Kein Falsches lassen sie dich schauen,
Wenn dein Verstand dich wach erhält.
Mit frischem Blick bemerke freudig
Und wandle sicher wie geschmeidig,
Durch Auen reichbegabter Welt.

Genieße mäßig Füll und Segen;
Vernunft sei überall zugegen,
Wo Leben sich des Lebens freut.
Dann ist Vergangenheit beständig,
Das Künftige voraus lebendige
Der Augenblick ist Ewigkeit.

Und war es endlich dir gelungen,
Und bist du vom Gefühl durchdrungen:
Was fruchtbar ist, allein ist wahr –
Du prüfst das allgemeine Walten,
Es wird nach seiner Weise schalten,
Geselle dich zur kleinsten Schar.

Und wie von alters her, im stillen,
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf,
So wirst du schönste Gunst erzielen:
Denn edlen Seelen vorzufühlen
Ist wünschenswertester Beruf. [7]

Tatsächlich lässt sich der Begriff der Wahrheit nur im Subjekt und Objekt übergreifenden, individuellen Bezug auf die Wirklichkeit sinnvoll formulieren, womit aber keineswegs ein willkürlicher Relativismus begründet wird. Der Quantenchemiker Hans Primas schreibt dazu:

„In der von René Descartes (1596 - 1650) begründeten Philosophie zerlegt das Subjekt die Welt in einfache Sachverhalte und betrachtet die objektive Welt einfach als Summe dieser elementaren Sachverhalte. Dagegen steht in der Quantenmechanik so etwas wie ein «Ding an sich» nicht mehr zur Diskussion. Ein Subjekt ist ein Subjekt, weil es in Relation zu einem Objekt steht. Ein Objekt ist ein Objekt, weil es in Relation zu einem Subjekt steht. Das bisher übliche Kompartimentalisierungsdenken muß aufgegeben werden. Die Quantenmechanik beschreibt die materielle Welt primär als ein unteilbares Ganzes; das Heraustrennen einzelner Objekte bedarf einer Rechtfertigung, welche prinzipiell außerhalb der Prinzipien der Quantenmechanik liegt.

In jeder ganzheitlichen Theorie kann man über ein Phänomen in Klarheit und Deutlichkeit nur sprechen, wenn man zugleich den Kontext angibt, von dem aus es bestimmt ist. Isolierte «Fakten» beweisen wenig, sie erlangen ihren Beweiswert erst durch die Angabe des Kontexts, in dem sie beobachtet wurden. Jeder Kontext hat seine implizierten Vorgaben, die wir als Bezugspunkte zur Beschreibung der Natur auswahlen. Entscheidet man sich für andere Vorgaben, so wählt man einen anderen Kontext mit anderer Perspektive, so daß die Natur anders gesehen wird.“ (Lit.: Primas, S. 114f.)

Ähnlich dachte schon Johann Wolfgang von Goethe:

"In monumentaler Weise hat Goethe den Gesichtspunkt der höchsten Erkenntnis in den Worten angedeutet:

«Kenne ich mein Verhältnis zu mir selbst und zur Außenwelt, so heiß' ich's Wahrheit. Und so kann jeder seine eigene Wahrheit haben, und es ist doch immer dieselbige.»[8]

Jeder hat seine eigene Wahrheit: weil jeder ein individuelles, besonderes Wesen neben und mit anderen ist. Diese anderen Wesen wirken auf ihn durch seine Organe. Von dem individuellen Standpunkte aus, auf den er gestellt ist, und je nach der Beschaffenheit seines Wahrnehmungsvermögens bildet er sich im Verkehr mit den Dingen seine eigene Wahrheit. Er gewinnt sein Verhältnis zu den Dingen. Tritt er dann in die Selbsterkenntnis ein, lernt er sein Verhältnis zu sich selbst kennen, dann löst sich seine besondere Wahrheit in die allgemeine Wahrheit auf; diese allgemeine Wahrheit ist in allen dieselbige.

Das Verständnis für die Aufhebung des Individuellen, des einzelnen Ich zum All-Ich in der Persönlichkeit betrachten tiefere Naturen als das im Innern des Menschen sich offenbarende Geheimnis, als das Ur-Mysterium des Lebens. Auch dafür hat Goethe einen treffenden Ausspruch gefunden: «Und so lang du das nicht hast,dieses: Stirb und Werde! Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde.»

Nicht eine gedankliche Wiederholung, sondern ein reeller Teil des Weltprozesses ist das, was sich im menschlichen Innenleben abspielt. Die Welt wäre nicht, was sie ist, wenn sich das zu ihr gehörige Glied in der menschlichen Seele nicht abspielte. Und nennt man das höchste, das dem Menschen erreichbar ist, das Göttliche, dann muß man sagen, daß dieses Göttliche nicht als ein Äußeres vorhanden ist, um bildlich im Menschengeiste wiederholt zu werden, sondern daß dieses Göttliche im Menschen erweckt wird. Dafür hat Angelus Silesius die rechten Worte gefunden: «Ich weiß, daß ohne mich Gott nicht ein Nu kann leben; werd' ich zu nicht, er muß von Not den Geist aufgeben.» «Gott mag nicht ohne mich ein einzig's Würmlein machen: erhalt' ich's nicht mit ihm, so muß es stracks zerkrachen.» Eine solche Behauptung kann nur der machen, welcher voraussetzt, daß im Menschen etwas zum Vorschein kommt, ohne welches ein äußeres Wesen nicht existieren kann. Wäre alles, was zum «Würmlein» gehört, auch ohne den Menschen da, dann könnte man unmöglich davon sprechen, daß es «zerkrachen» müßte, wenn der Mensch es nicht erhielte.

Als geistiger Inhalt kommt der innerste Kern der Welt in der Selbsterkenntnis zum Leben. Das Erleben der Selbsterkenntnis bedeutet für den Menschen Weben und Wirken innerhalb des Weltenkernes." (Lit.: GA 7, S. 33f)

Oder wie es Johannes Scottus Eriugena mit dem Hinweis auf Dionysius Areopagita ausdrückt:

„Denn die Gedanken der Dinge sind wahrhaft die Dinge selbst, wie der heilige Dionysius sagt: „die Erkenntnis des Seienden ist das Seiende selbst;“ aber ihre uranfänglichen Ursachen und Gründe werden durch Denktätigkeit, nicht durch die Dinge selbst zur Vereinigung geführt.“

Johannes Scottus Eriugena: Über die Einteilung der Natur[9]

Die Subjekt-Objekt-Spaltung, ohne die unser Ich-Bewusstsein nicht möglich wäre, durch die sich aber die Wahrheit zunächst unter dem Schleier der Objekte verhüllt, wird durch das Ich auf jeweils individuelle Weise hervorgerufen und kann auch nur durch das individuelle Ich wieder enthüllt werden. Indem im Erkenntnisakt die Wahrheit aufleuchtet, wird die durch unser Ich-Bewusstsein aufgerissene Kluft zwischen Ich und Welt wieder überwunden.

Mit dem an Sinne gebundenen Verstand stehen wir den Dingen gegenüber, wir sind von ihnen getrennt. Wir sehen sie nur von außen und sie bleiben uns dadurch letztlich fremd. So ist es nicht in der wahren Erkenntnis, wie auch die Gnostiker betonen. Hier ist die Trennung aufgehoben. Wir werden selbst, was wir erkennen - und darum ist diese Subjekt und Objekt übergreifende Erkenntnis zugleich immer auch wahre Selbsterkenntnis. Im apokryphen valentinianischen Philippusevangelium heißt es entsprechend:

„Niemand kann etwas Unvergängliches wahrnehmen, außer er wird selbst unvergänglich.

Es ist mit der Wahrheit nicht so wie auf der Welt, wo der Mensch die Sonne sieht, ohne selbst Sonne zu sein, wo er den Himmel sieht und die Erde und alles Übrige, ohne selbst Himmel, Erde und dergleichen zu sein. Sondern im Reich der Wahrheit siehst du etwas von ihr und wirst selbst zu ihr. Du siehst den Geist und wirst selbst zu Geist. Du siehst Christus: du wirst Christus. Du siehst den Vater: du wirst zum Vater. Hier auf dieser Welt also siehst du alle Dinge, siehst aber dich selbst nicht. In der anderen Welt jedoch siehst du dich selbst. Denn was du dort siehst, das wirst du selbst.“

Philippusevangelium: Spruch 44 [10]

Oder wie es der österreichische Arbeiterdichter Alfons Petzold poetisch ausdrückte:

ICH BIN DIE WELT

Der Erde Dasein ist in mir begründet,
ich bin ihr Raum und bin auch ihre Zeit,
und was der Tag an Kraft in mir entzündet,
das nimmt sie auf in ihre Ewigkeit.

Ich bin die Welt, in meinem Pulsgetriebe
sagt dies mir laut und deutlich jeder Schlag,
und was mich ewig macht, das ist die Liebe,
mit der ein Gott erschuf den ersten Tag.

Alfons Petzold: Pfad aus der Dämmerung, Wien 1947

Die lebendige Wahrheit lebt im Ätherleib

Mit dem an das Werkzeug des physischen Gehirns gebundenen Verstandesdenken lassen sich nur tote Wahrheiten erfassen, die sich auf das bereits Gewordene beziehen, das bereits mehr oder weniger fertig in der Welt vorhanden ist. Zwar lassen sich auf diese Weise mannigfaltigste gesetzmäßige Beziehungen zwischen den einzelnen Erscheinungen der gewordenen Welt erhellen und in logisch zusammenhängender Weise darstellen, was durchaus zur Erkenntnis der physischen Welt notwendig ist, doch bleibt die Erkenntnis dennoch unvollständig, solange das heute fertig Gewordene nicht in seinem ursprünglichen Werden, aus dem es einst hervorgegangen ist, erfasst wird. Zwar lassen sich mit dem Verstandesdenken auch Veränderungen des bereits Gewordenen, das durchaus nicht starr und unveränderlich gedacht werden muss, beschreiben, in dem sie auf das gesetzmäßige Zusammenwirken einzelner Teilelemente des Gewordenen bezogen werden, doch ist damit das eigentliche lebendige Werden noch nicht erfasst. Man bleibt immer noch bei der bloßen Kombination fertiger toter Elemente stehen. Wahres Werden ist erst dort gegeben, wo etwas völlig Neues, zuvor noch nicht Vorhandenes und auch nicht aus bereits Vorhandenem Ableitbares gleichsam aus dem Nichts entsteht. Solange das lebendige Werden nicht begriffen wird, bleibt auch das Gewordene seinem eigentlichen Ursprung nach unverständlich, so wie der Leichnam unverständlich bleibt, solange er nicht als das Ergebnis eines ehemals Lebendigen erkannt wird. Die volle Wahrheit, die das lebendige Werden mit umfasst, kann erst durch die lebendige Tätigkeit des Ätherleibs ergriffen werden:

"Indem die Wahrheit in Form der Gedanken im Menschen lebt, lebt sie im ätherischen Leib. Wahrheit erfaßt unmittelbar den Ätherteil des Kopfes und überträgt sich da natürlich als Wahrheit auf den physischen Teil des Kopfes." (Lit.: GA 170, S. 72)

"Das Wahre nimmt man eigentlich erst dann wahr, wenn es einem gelingt, die Urteile so zu erfassen, daß man sie losbekommt vom physischen Leibe, daß man den Ätherleib losbekommt vom physischen Leibe. Das erste Hellsehen ist schon das wirklich reine Denken. Derjenige, der einen reinen Gedanken faßt, ist schon hellsehend. Nur ist das gewöhnliche menschliche Denken eben kein reines Denken, sondern ein von sinnlichen Vorstellungen, von Phantasmen erfülltes Denken. Aber derjenige, der einen reinen Gedanken faßt, ist eigentlich schon hellsehend, denn der reine Gedanke kann nur im Ätherleibe gefaßt werden." (Lit.: GA 176, S. 116)

"Weil der Mensch mit seinem Bewußtsein nicht so untertaucht in seinen Ätherleib, kommt ihm die Wahrheit als etwas Fertiges vor. Das ist gerade das Bestürzende, das Überraschende der Initiation, daß man beginnt, die Wahrheit, wie sie da hineinpulst in den Ätherleib, als etwas ebenso Freies zu empfinden, wie man sonst das Hereinpulsieren der Moralität empfindet oder der Schönheit in den astralischen Leib. Das ist dieses Bestürzende, Überraschende aus dem Grunde, weil es den Menschen, der irgendeine Initiation durchgemacht hat, in ein viel freieres Verhältnis zur Wahrheit bringt, und dadurch in ein viel verantwortungsvolleres Verhältnis zur Wahrheit. Tritt die Wahrheit ganz unbewußt in uns herein, dann ist sie fertig, und dann sagen wir einfach mit der gewöhnlichen Logik: das ist wahr, das ist unwahr. Dann hat man ein viel geringeres Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber der Wahrheit, als wenn man weiß, daß die Wahrheit geradeso im Grunde abhängig ist von tiefliegenden Sympathie- und Antipathiegefühlen wie die Moralität und wie die Schönheit, so daß man ein gewisses freies Verhältnis zur Wahrheit hat. Hier liegt ein subjektives Mysterium vor, das sich darin äußert, daß manche, die nicht in richtiger, würdiger Weise sich dem Erlebnis der Initiation nähern, an ihrem Wahrheitsgefühl nicht so gewinnen, daß sie ein größeres Verantwortlichkeitsgefühl, das sie gegenüber der aufgezwungenen Wahrheit haben, verlieren und in ein gewisses unwahres Element hineinkommen." (Lit.: GA 170, S. 72f)

Der Ursprung der Wahrheit auf der alten Sonne

Wahrheit, Schönheit und Güte sind die drei großen Tugenden des Eingeweihten, der in dieser Beziehung nur den anderen Menschen beispielgebend voranschreitet, damit sie sich diese Tugenden auch einmal im vollen Umfang erwerben. Die Anlage zu diesen Tugenden haben wir bereits in der Vergangenheit zu suchen, allerdings sind sie sehr unterschiedlichen Alters. Da die Wahrheit im Ätherleib lebt, müssen wir ihren Ursprung dort suchen, wo der Ätherleib des Menschen entstanden ist. Die erste Anlage des menschlichen Ätherleibs wurde auf der alten Sonne als Gabe der Geister der Weisheit gebildet. Damals wurde auch die Wahrheit veranlagt und sie ist damit die älteste der drei genannten Tugenden; die Schönheit geht auf das alte Mondendasein zurück, wo sich zugleich die Wahrheit weiter bis zur Weisheit geläutert hat, und der Sinn für das Gute wird erst auf der Erde entwickelt:

"So steht der Mensch zum Wahren, Schönen, Guten. Im Wahren öffnet er seinen Ätherleib, zunächst den Ätherteil des Kopfes, unmittelbar dem Kosmos. Im Schönen öffnet er seinen astralischen Leib unmittelbar dem Kosmos. In der Moralität öffnet er unmittelbar sein Ich dem Kosmos. Im Wahren - wir werden diese Dinge morgen weiter ausführen und dann auch die Gesetze des Lebens zwischen Geburt und Tod und auch zwischen dem Tod und einer neuen Geburt anführen -, im Wahren haben wir etwas, was am längsten schon vorbereitet ist für den Menschen. Im Schönen haben wir etwas, was verhältnismäßig kürzer vorbereitet ist; und im Moralischen haben wir etwas, was erst jetzt auf der Erde seinen Anfang nimmt. Was in der Wahrheit lebt, die sich zur Weisheit läutert, nimmt eigentlich schon während der Sonnenentwickelung seinen ersten Anfang, hat dann in einer gewissen Weise seinen Höhepunkt in der Mondenentwickelung, lebt sich weiter ein in der Erdenentwickelung, und wird im wesentlichen schon vollendet sein bei dem, was wir als die Jupiterentwickelung kennen. Da wird das menschliche Wesen mit Bezug auf den Inhalt der Weisheit einen gewissen vollen Abschluß erlangt haben. Schönheit - was eine sehr innerliche Sache für den Menschen ist - nimmt ihren Anfang während der Mondenentwickelung, setzt sich während der Erdenentwickelung fort, wird den Abschluß erlangen während der Venusentwickelung, was wir die Venusentwickelung nennen." (Lit.: GA 170, S. 74)

Auf der alten Sonne konnte die Wahrheit vom Menschen noch nicht individuell erfasst werden, ebensowenig auf dem alten Mond die Weisheit, die sich dort entwickelt hat. Das konnte erst auf der Erde beginnen, seit der Mensch hier sein Ich entwickelt. Seit dem tritt zur göttlichen Weisheit die individuelle menschliche hinzu.

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweis

  1. Christian Morgenstern: Wir fanden einen Pfad, Piper, München 1914, S. 52
  2. Artikel „Wahrheit“. In: Georg Klaus, Manfred Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 11. Aufl., Leipzig 1975.
  3. 3,0 3,1 Jürgen Habermas: Wahrheitstheorien. In: Helmut Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion. Walter Schulz zum 60. Geburtstag. Neske, Pfullingen 1973, S. 211–265, hier S. 249: „Nur Aussagen können wahr oder falsch sein.“
  4. Johann Gottlieb Fichte: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit. In: Johann Gottlieb Fichte: Werke. Bd. 8, S. 351
  5. Johann Gottlieb Fichte: Über Belebung und Erhöhung des reinen Interesses für Wahrheit
  6. Goethes Anschauungen stehen in dem denkbar schärfsten Gegensatz zur Kantschen Philosophie. Diese geht von der Auffassung aus, daß die Vorstellungswelt von den Gesetzen des menschlichen Geistes beherrscht werde und deshalb alles, was ihr von außen entgegengebracht wird, in ihr nur als subjektiver Abglanz vorhanden sein könne. Der Mensch nehme nicht das «An sich» der Dinge wahr, sondern die Erscheinung, die dadurch entsteht, daß die Dinge ihn affizieren und er diese Affektionen nach den Gesetzen seines Verstandes und seiner Vernunft verbindet. Daß durch diese Vernunft das Wesen der Dinge spricht, davon haben Kant und die Kantianer keine Ahnung. Deshalb konnte die Kantsche Philosophie für Goethe nie etwas bedeuten. Wenn er sich einzelne ihrer Sätze aneignete, so gab er ihnen einen völlig anderen Sinn, als sie innerhalb der Lehre ihres Urhebers haben. Es ist durch eine Notiz, die erst nach Eröffnung des Weimarischen Goethe-Archivs bekannt geworden ist, klar, daß Goethe den Gegensatz seiner Weltauffassung und der Kantschen sehr wohl durchschaute. Für ihn liegt der Grundfehler Kants darin, daß dieser «das subjektive Erkenntnisvermögen nun selbst als Objekt betrachtet und den Punkt, wo subjektiv und objektiv zusammentreffen, zwar scharf aber nicht ganz richtig sondert». Subjektiv und objektiv treten zusammen, wenn der Mensch das, was die Außenwelt ausspricht, und das, was sein Inneres vernehmen läßt, zum einigen Wesen der Dinge verbindet. Dann hört aber der Gegensatz von subjektiv und objektiv ganz auf; er verschwindet in der geeinten Wirklichkeit. Ich habe darauf schon hingedeutet in dieser Schrift S. 218 ff. Gegen meine damaligen Ausführungen polemisiert nun K. Vorländer im 1. Heft der «Kantstudien». Er findet, daß meine Anschauung über den Gegensatz von Goethescher und Kantscher Weltauffassung «mindestens stark einseitig und mit klaren Selbstzeugnissen Goethes in Widerspruch» sei und sich «aus dem völligen Mißverständnis der transzendentalen Methode» Kants von meiner Seite erkläre. Vorländer hat keine Ahnung von der Weltanschauung, in der Goethe lebte. Mit ihm zu polemisieren würde mir gar nichts nützen, denn wir sprechen verschiedene Sprachen. Wie klar sein Denken ist, zeigt sich darin, daß er bei meinen Sätzen nie weiß, was gemeint ist. Ich mache z. B. eine Bemerkung zu dem Goetheschen Satze: «Sobald der Mensch die Gegenstände um sich her gewahr wird, betrachtet er sie in bezug auf sich selbst, und mit Recht. Denn es hängt sein ganzes Schicksal davon ab, ob sie ihm gefallen oder mißfallen, ob sie ihn anziehen oder abstoßen, ob sie ihm nützen oder schaden. Diese ganz natürliche Art, die Sachen anzusehen und zu beurteilen, scheint so leicht zu sein, als sie notwendig ist . . . Ein weit schwereres Tagewerk übernehmen diejenigen, deren lebhafter Trieb nach Kenntnis die Gegenstände der Natur an sich selbst und in ihren Verhältnissen untereinander zu beobachten strebt, sie suchen und untersuchen, was ist, und nicht was behagt.» Meine Bemerkung lautet: «Hier zeigt sich, wie Goethes Weltanschauung gerade der entgegengesetzte Pol der Kantschen ist. Für Kant gibt es überhaupt keine Ansicht über die Dinge, wie sie an sich sind, sondern nur wie sie in bezug auf uns erscheinen. Diese Ansicht läßt Goethe nur als ganz untergeordnete Art gelten, sich zu den Dingen in ein Verhältnis zu setzen.» Dazu sagt Vorländer: «Diese (Worte Goethes) wollen weiter nichts als einleitend den trivialen Unterschied zwischen dem Angenehmen und dem Wahren auseinandersetzen. Der Forscher soll suchen, <was ist und nicht was behagt>. Wer, wie Steiner, die letztere allerdings sehr untergeordnete Art, sich zu den Dingen in ein Verhältnis zu setzen, als diejenige Kants zu bezeichnen wagt, dem ist zu raten, daß er sich erst die Grundbegriffe der Kantschen Lehre, z. B. den Unterschied von subjektiver und objektiver Empfindung, etwa aus § 3 der Kr. d. U. klarmache.» Nun habe ich durchaus nicht, wie aus meinem Satze klar hervorgeht, gesagt, daß jene Art, sich zu den Dingen in ein Verhältnis zu setzen, die Kants ist, sondern daß Goethe die Kantsche Auffassung vom Verhältnis zwischen Subjekt und Objekt nicht entsprechend dem Verhältnis findet, in dem der Mensch zu den Dingen steht, wenn er erkennen will, wie sie an sich sind. Goethe ist der Ansicht, daß die Kantsche Definition nicht dem menschlichen Erkennen, sondern nur dem Verhältnisse entspricht, in das sich der Mensch zu den Dingen setzt, wenn er sie in bezug auf sein Gefallen und Mißfallen betrachtet. Wer einen Satz in einer solchen Weise mißverstehen kann wie Vorländer, der mag es sich ersparen, andern Leuten Ratschläge zu geben über ihre philosophische Ausbildung, und lieber erst sich die Fähigkeit aneignen, einen Satz richtig lesen zu lernen. Goethesche Zitate aufsuchen und sie historisch zusammenstellen kann jeder; sie im Sinne der Goetheschen Weltanschauung deuten, kann jedenfalls Vorländer nicht.
  7. Goethe: Gedichte - Ausgabe letzter Hand 1827, Goethe-BA Bd. 1, 541 [1]
  8. Goethe: Maximen und Reflexionen (1923)Johann Wolfgang Goethe: Maximen und Reflexionen, 4. Band, 2. Heft (1823). In: Zeno.org.
  9. Johannes Scotus Erigena, Ludwig Noack (Übers.): Über die Eintheilung der Natur, Verlag von L. Heimann, Berlin 1870, Erste Abtheilung, S. 133f [2]
  10. Dietzfelbringer, S. 107