Katharer und Lex Bos: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Pedro Berruguete - St Dominic and the Albigenses - WGA02083.jpg|mini|hochkant=1.2|Der heilige [[Wikipedia:Dominikus|Dominikus]] und die Albigenser in [[Wikipedia:Albi|Albi]] (1207): Katholische und katharische Schriften werden ins Feuer geworfen, doch nur letztere verbrennen ([[Wikipedia:Pedro Berruguete|Pedro Berruguete]], um 1495).<ref>[http://www.wga.hu/html/b/berrugue/pedro/dominic2.html St Dominic and the Albigenses] in der [http://www.wga.hu/frames-e.html?/html/b/berrugue/pedro/dominic2.html WEB Gallery of Art].</ref>]]
'''Alexander Hector Bos''' oder '''Lex Bos''' war ein niederländischer Sozialwissenschaftler und [[Organisationsentwicklung|Organisationsentwickler]]. Er wurde 1925 in Janeber auf [[wikipedia:Java|Java]] geboren und verstarb 2005<ref>http://www.trialog-gmbh.de/Urteilsbildung/page18</ref> (2006<ref>http://www.trias-neustadt.de/urteilsbildung-2013.pdf</ref>) in [[wikipedia:Zeist|Zeist]] (Niederlande). Nach einem Studium der Soziologie in Amsterdam und achtjähriger beruflicher Tätigkeit in einem Beratungsbüro für Betriebseffizienz/-rationalisierung kam er (Jahr) ins von [[Bernard Lievegoed]] begründete [[NPI]] (Niederländisches pädagogisches Institut) und arbeitete dort 33 Jahre als Unternehmensberater bis zu seiner Pensionierung. Auch nach der Pensionierung blieb er im und für das Institut tätig.<ref>http://www.dreigliederung.de/essays/1994-06-007.html</ref> Bos war Mitbegründer der [[Triodos-Bank]] in Zeist.


Der Begriff '''Katharer''' (von {{ELSalt|καθαρός}} ''katharós'' „rein“) steht im ursprünglichen Sinn für einen [[Mensch]]en, der sich einer umfangreichen [[Katharsis]], d.h. der Läuterung seines [[Astralleib]]s, unterzogen hat und dadurch für eine wahre [[Geistesschülerschaft]] vorbereitet war. Daraus wurde dann die Bezeichnung für die Anhänger einer [[christlich]]en Glaubensbewegung, die sich vom 12. Jahrhundert bis zum 14. Jahrhundert, vornehmlich im Süden [[Frankreich]]s, aber auch in [[Italien]], [[Spanien]] und [[Deutschland]] ausbreitete. Verbreitet ist auch die Bezeichnung '''Albigenser''' (gelegentlich auch: Albingenser) nach der südfranzösischen Stadt [[Wikipedia:Albi|Albi]], einer ehemaligen Katharerhochburg. Sie selbst nannten sich ''veri christiani'' („die wahren Christen“) oder ''boni homines'' bzw. ''Bonhommes'' („gute Menschen“). Gebräuchlich waren auch die Bezeichnungen ''Patarener'' bzw. ''Pateriner''.
== Werk ==
Bos kannte die Anthroposophie von seinem Elternhaus her und beschäftigte sich schon während seines Soziologiestudiums intensiv mit Fragen der [[Soziale Dreigliederung|sozialen Dreigliederung]]. Ein Ergebnis davon ist seine Lehre von der [[Dynamische Urteilsbildung|Dynamischen Urteilsbildung]], die auch Gegenstand seiner Dissertation war, und die entsprechende Praxis im Rahmen von Organisationsberatung.  


Die Katharer wurden im Zuge des [[Wikipedia:Albigenserkreuzzug|Albigenserkreuzzug]]s (1209 bis 1229) und weiterer Feldzüge sowie durch die [[Wikipedia:Inquisition|Inquisition]] als [[Häretiker]] verfolgt und vernichtet.
Das Konzept der dymnamischen Urteilsbildung wurde von Bos in den siebziger Jahren weiter entwickelt. Als Mitarbeiter des NPI "konnte er tagtäglich die Herausforderung erleben, stimmige und funktionierende Urteile zur Basis eines sachgerechten Handelns werden zu lassen. Mit der Grundlage der dynamischen Urteilsbildung war er in der Lage, seinen Kunden einen funktionierenden Ausgangspunkt für dynamische Prozessgestaltung zu geben".<ref>http://www.trialog-gmbh.de/Urteilsbildung/page18</ref>


Aus dem Wort Katharer wurde später auch die abwertende Bezeichnung ''[[Ketzer]]'' für alle Abweichler von einem herrschenden Glauben abgeleitet. Die [[Wikipedia:römisch-katholische Kirche|römisch-katholische Kirche]] verwendete in ihrer [[Wikipedia:Propaganda|Propaganda]] auch die [[Wikipedia:Volksetymologie|volksetymologische]] Ableitung von [[lat.]] ''Cattari'' (lat. ''cattus'', die ''Katze''). Danach würden die Katharer die Katze als Tier [[Satan]]s auf das Hinterteil küssen.
"In den Niederlanden, in der Schweiz und in Skandinavien wird sein Modell etwa seit 1980 in Ausbildungen für Organisationsberatung, Mediation und Supervision gelehrt und überwiegend mündlich tradiert, über die Beratungspraxis vieler Berater breitete es sich aus"<ref>http://www.christine-scharlau.de/baechtold_supersaxo.htm</ref>. Bos war auch in Südamerika beratend tätig.


== Lehre ==
Aus Bos Feder stammen eine Reihe von bedeutenden Beiträgen zur Gestaltung von sozialem Zusammenleben und -arbeiten in Institutionen und Organisationen im Sinne der sozialen Dreigliederung. So wendete er für die Analyse von Gruppendynamik und ihre Verbesserung eine Dreiheit analog Geistesleben - Rechtsleben - Wirtschaftsleben auf die Phänomene Ideenbildung, Äußerung (Brainstorming, kreative Beiträge), Gesprächsführung (Thema, Moderation, persönlicher Umgang) und Gruppenziel (ein zu erbringendes Resultat für andere Menschen, die nicht der Gruppe angehören) an. Unternehmen beriet er in Anlehnung an das Dreiphasen-Modell der Organisationsentwicklung, wie es von Bernard Lievegoed entwickelt wurde.
Die Lehre der Katharer ist zeitlich und regional zu differenzieren. Es gab innerhalb der Katharer insbesondere in der späteren Zeit viele verschiedene Gruppen, so dass man nicht von einer einheitlichen Lehre sprechen kann. Alle Gruppen verband jedoch eine gemeinsame [[Dualismus (Religion)|dualistische]], [[Gnosis|gnostisch]]-[[Manichäismus|manichäische]] Grundüberzeugung, wonach nur die jenseitige geistige Welt gottgeschaffen war, während die irdisch-materielle Welt als Produkt eines bösen Prinzips gesehen wurde.<ref>Daniela Müller: ''Katharer.'' In: ''Theologische Real-Enzyklopädie.'' (TRE), Band 18, Berlin 1989, S. 334.</ref> Ihre dualistische  Form des [[Christentum]] wurde von den balkanischen [[Bogomilen]] beeinflusst. Die Katharer hatten direkte Verbindungen zu den Bogomilen: Die [[Interrogatio Johannis]], eine [[Apokryphen|apokryphe Schrift]] bogomilischer Herkunft, erhielt der italienische Katharerbischof Nazarius von Bogomilen aus Bulgarien.<ref>Malcolm Lambert: ''Geschichte der Katharer.'' 2001, S. 60.</ref>


Im [[Neues Testament|Neuen Testament]] hatte das [[Johannesevangelium]] für sie eine herausragende Rolle. Das Leben des Katharers war darauf ausgelegt, das Gute im Menschen (die [[Seele]]) aus der bösen Welt in den Himmel zu bringen. Der Katharismus war eine Erlösungsreligion und basierte auf der [[Offenbarung des Johannes|Offenbarung]]. Sein Heiliges Buch war das [[Neues Testament|Neue Testament]], sein einziges Gebet das [[Vaterunser|Pater Noster]].<ref>Roquebert: ''Die Religion der Katharer.'' S. 2.</ref>
Hervorzuheben ist, daß Lex Bos auch mit dem Bild des [[gemischter König|gemischten Königs]] arbeitete. Es gibt den gemischten König nicht nur im Großen, als [[Einheitsstaat]], sondern auch im Kleinen, im [[Mikrosozial]]en. Eine jede Entmischung im Kleinen ist gewissermaßen etwas, was die drei befreiten bzw. zu befreienden Könige, den goldenen, silbernen und ehernen König, stärkt, ihnen Nahrung zuführt, - und kann damit ein Beitrag sein auch zur "großen" Dreigliederung des sozialen Organismus, sofern gewisse andere Voraussetzungen einer adäquaten Einordnung in das größere Ganze, zumindest in der Zukunft, gegeben sind (vgl. [[Soziale Plastik]]<ref>Werner Breimhorst hält die (sinnvolle) Anwendbarkeit des Dreigliederungskonzepts auf der mikro- und makrosozialen Ebene für nicht möglich, glaubt aber doch an evolutionäre Möglichkeiten einer Förderung der (makrosozialen) Dreigliederung im Kleinen, allerdings ''nicht'' dreigegliedert! In Beuys Konzept der sozialen Plastik sind solche Wege aber ja schon mitenthalten. Ein Beitrag im Hinblick auf das Ziel der Dreigliederung des gesellschaftlichen Ganzen im Sinne der sozialen Plastik kann sich als selbst dreigegliedert verstehen, muß es aber nicht. Zwar scheint die Idee der sozialen Plastik andererseits in Beliebigkeit zu münden. Das ist aber kein Argument für soziales Künstlertum, sondern eines für die Dreigliederungs''theoretiker''. Deren Aufgabe mag es sein, die Dreigliederungsidee vor der Gefahr des Beliebigen im Sinne von Ausgedachtem zu bewahren. Sylvain Coiplet sieht bei den sog. Organisationsberatern eine Tendenz, sich jeweils eine eigene Dreigliederung auszudenken. Und warum dann auch nicht ein vier- oder fünfgegliedertes Maßnahmekonzept? Unter solche Kritik dürfte allerdings dann wohl auch die [[Sozialorganik]] von [[Herbert Witzenmann]] fallen, die sich auf eine Interpretation des Nationalökonomischen Kurses (GA 340) stützt. Witzenmann entwickelt u.a. einen Rechtsbegriff, der nicht von dem formalen Recht der heutigen Rechtsstaaten ausgeht, das noch auf dem alten römischen Recht beruhe und überwinden werden müsse. Witzenmann präsentiert jedoch nach seinem eigenen Verständnis nichts Ausgedachtes, sondern Ansichten, die sich der Sache nach auf Ausssagen Rudolf Steiners gründen, und zudem auch durch die eigene Forschung im Sinne einer goetheanistischen Phänomenologie belegt seien. (Wie ja übrigens auch [[Wilhelm Schmundt]] glaubt, wissenschaftlich vorzugehen.) (Sylvain Coiplet: ''Die soziale Dreigliederung oder - Wie werden Einrichtungen menschlich''?, 2003 {{HT16|http://www.dreigliederung.de/essays/2003-03-001.html}} ; Werner Breimhorst: ''Mesodreigliederung'', 2005 {{HT16|http://www.forum-dreigliederung.de/alsodrei/g10.html#5.2}}).</ref>.)


Die Katharer sahen sich selbst als die „wahre“ christliche Kirche. Ihr Ziel war die Befreiung der Seele durch die Erlangung des ''Consolamentums'' (siehe unten). Die Katharer unterschieden sich von der damaligen christlichen Kirche auch durch die Ablehnung des [[Altes Testament|Alten Testaments]] der [[Bibel]], in dem sie den [[Demiurg|Schöpfergott]] einer bösen Welt beschrieben sahen.<ref>Malcolm Lambert: ''Geschichte der Katharer.'' 2001, S. 33 und S. 81.</ref> In ihren Predigten kamen viele Bibelzitate vor, die Auslegung war oft nicht eng an den Text gebunden, was sich auch bei den Bibelübersetzungen feststellen lässt.
{{LZ|Ich will versuchen das Unternehmen gesund zu machen und ich weiß, daß ein Unternehmen nur gesund ist, wenn es drei Organsysteme hat, die jedes für sich gesund sind und sich gegenseitig anerkennen und stützen. (...) Aber die sind oft unterentwickelt oder so funktionsunfähig (...) Oder vermischt ..., daß sie sich gegenseitig wie ein gemischter König [hemmen, Red.], so in Goethes' Märchen ja? Ein gemischter König, wo sie sich gegenseitig [er]lähmen. Aber trotzdem sind die drei immer da, sei es gemischt oder unterentwickelt oder korrumpiert oder wie auch [immer]. Also man braucht niemals etwas einzuführen, man braucht nur zu befreien, zu gliedern oder auf eigene Beine zu stellen. Und dann erscheint allmählich die Dreigliederung.|Lex Bos, Interview 1994}}


Abgesehen von einer grundsätzlich dualistischen Weltsicht und der Ablehnung des Alten Testaments lassen sich über die katharische Lehre kaum für alle Untergruppen gemeinsame theologische Aussagen finden. Die Katharer wurden und werden gerne in die Traditionen des [[Manichäismus]] und der [[Gnosis]] gestellt. Eine direkte Verbindung lässt sich allerdings nicht nachweisen, obwohl theologische Parallelen augenscheinlich sind.<ref>Auch der Philosoph [[Wikipedia:Hans Jonas|Hans Jonas]] erinnert in seinem Text „Gnosis“ (siehe Lit.) daran, dass die Lehre der Katharer enge Beziehungen zur Gnosis aufweist.</ref>
Man muß dabei allerdings darauf achten, nicht die [[makrosozial]]e Dreigliederung in ein Unternehmen oder eine Schule hineinzuprojizieren, als tauchte dort die Dreigliederung des sozialen Organismus in der gleichen Weise auf, - als wäre eine Waldorfschule ein kleines Abbild, eine Miniaturausgabe der Gesellschaft.


== Zusammenhang mit der Entstehung der Gotik ==
{{LZ|Kaum eine andere Vorstellung steht dem Verständnis der Steinerschen Idee einer „freien“ Waldorfschule so im Weg wie die populäre Meinung, bei einem „Schulorganismus“ handle es sich um den sozialen Organismus im Sinn der sozialen Dreigliederung, weshalb sich auch alle drei Glieder (Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben) in der Schulverwaltung wiederfinden müssten. Der Begriff „Mikro-“ bzw. „Meso-Dreigliederung“ ist dabei nur eine von vielen Facetten derselben Vorstellung, auf die das soziale Denken (und in der Folge leider auch die soziale Praxis) in vielen anthroposophischen Einrichtungen häufig zurückzuführen ist. Dabei ist die Fehlinterpretation der sozialen Dreigliederung als Gliederung der einzelnen Institution keineswegs neu - schon Rudolf Steiner musste sich mit ihr auseinandersetzen.|Johannes Mosmann, Die Überwindung der Utopie einer dreigegliederten Waldorfschule, 2015}}


[[Rudolf Steiner]] hat darauf hingewiesen, dass die geistige Gesinnung der Katharer eine tiefen Einfluss auf die die Entstehung der [[Gotik]] hatte.  
Wenn man in einem Unternehmen den Wirtschaftsaspekt seiner Dreigliederung aufsucht, ist darunter nicht zu verstehen, daß das Unternehmen im Kleinen eine Wirtschaft habe, wie es die gesamte Weltwirtschaft im Verhältnis zu Rechtsleben/Staat und Geistesleben ist. Der Wirtschaftsaspekt ist die Warenproduktion, die eine ''Beziehung'' zur Gesamtwirtschaft bedeutet. Nur im Falle einer autarken Hauswirtschaft, einem [[wikipedia:Oikos|Oikos]], könnte man eine Analogie von Gesamtwirtschaft und Wirtschaftsaspekt eines Unternehmens haben. Rudolf Steiner kritisierte ein diesbezügliches Mißverständnis, bezogen auf die Anthroposophische Gesellschaft, scharf:


{{GZ|Der eigentümliche Baustil des Mittelalters, den man
{{LZ|Man hat gar nichts verstanden von dem, was ich über die soziale Frage gesprochen habe, wenn man denkt, unsere Gesellschaft hier könne man wie eine Sekte dreigliedern! ... Wollen Sie denn gar nicht verstehen, daß man sich heute nicht in egoistischer, wenn auch gruppenegoistischer Weise abschließen kann und das andere alles unberücksichtigt lassen! Sie wirtschaften doch mit der anderen Wirtschaft des hiesigen Territoriums. Sie beziehen doch Ihre Milch, Käse, Gemüse, dasjenige, was Sie brauchen, von einem Wirtschaftskörper, von dem Sie sich doch nicht isolieren können! Sie können doch wahrhaftig die Zeit nicht reformieren dadurch, daß Sie sich aus dieser Zeit herauslösen. Mir kommt es vor, wenn jemand eine solche Gesellschaft wie diese, zu einem Wirtschaftskörper machen will, geradeso wie wenn einer eine große Familie hat und sagt: Ich beginne jetzt in meiner Familie die Dreigliederung. Diese Ideen sind zu ernst, zu umfassend, sie dürfen nicht in das Kleinlich-Bourgeoise der verschiedenen Sektierereien, die es immer gegeben hat, hineingezerrt werden. Sie müssen im Zusammenhang mit der ganzen Menschheit gedacht werden. Das mit Bezug auf das Wirtschaftsleben. Sie würden sich ja ganz abschließen vom wirklichen praktischen Denken mit Bezug auf den Wirtschaftskreislauf der Welt, wenn Sie eine gruppenegoistische Wirtschaft für eine Sekte einrichten wollen. Und das Rechtsleben: Gründen Sie einmal innerhalb unserer Gesellschaft den Rechtsstaat! Wenn Sie etwas stehlen, wird es ganz und gar bedeutungslos sein, wenn hier drei Leute zusammentreten und urteilen über dieses Stehlen. Es wird das äußere Gericht Sie schon in Anspruch nehmen und urteilen. In bezug auf den Rechtsstaat werden Sie sich aus der äußeren Organisation wahrhaftig nicht herausziehen können!| Rudolf Steiner, GA 190, S.210-211, 3/1980, 14.04.1919, zitiert nach Mosmann, e.d.}}
fälschlich den gotischen nennt, kam aus Südfrankreich, entstammte
Gegenden, wo solche frommen Ketzer lebten wie
die Katharer, die Waldenser, die bestrebt waren, das innere
Leben zu vertiefen und mit dem üppigen Leben der Bischöfe
und des Klerus zu brechen. Ein eigentümliches geistiges
Leben breitet sich von dorther aus; die deutsche Mystik
wird stark davon beeinflußt.


Welch tiefen Einfluß diese Gesinnung auch auf die äußere
Bei Institutionen des Geisteslebens wie Schulen (zum Unterschied zu Wirtschaftsunternehmen s. [[Organisation]]) kommt der Aspekt hinzu, daß diese keine Leistungen wie Wirtschaftsunternehmen nach außen abliefern, sondern die Arbeit eine Innenrichtung hat. Solch ein Innenverhältnis kann es auch im Mikrosozialen geben. Nicht jede Gruppendynamik, wie sie Lex Bos dreigegliedert beschreibt, hat mit dem Wirtschaftsaspekt einen Bezug im Sinne einer Outputintention für Gruppenfremde. Wenn das Ziel der Gruppendynamik beispielsweise die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls ist (ein Rechtsaspekt), dann ist das gleichbedeutend mit einer Innenrichtung des Gruppenziels. Das Produkt verläßt die Gruppe nicht, sondern verbleibt in der Gruppe. Die Auswirkung auf Wirtschaftliches der Gesamtgesellschaft ergibt sich dann später und indirekt. Wie ja auch Schulen keine Waren produzieren, sondern Kindern für ihre Erziehung einen Lebensraum bieten. Erst später, außerhalb der Schule werden diese Menschen dann als Erwachsene wirtschaftlich oder auf andere Weise produktiv.
Gestalt dieser Kirchen hatte, geht daraus hervor, daß alle
diese gotischen Münster einen mystischen Schmuck besaßen
in den wunderbaren Glasmalereien. Diese Kunst, die
im 17. Jahrhundert vollständig verlorengegangen ist, war
nicht artistische Allegorie, sondern die Sinnbilder, die dort
eingemalt waren, übten wirklich einen mystischen Einfluß
aus auf die Menge, wenn der Sonnenschein durch sie hereinschien
in die dämmerigen hohen Kirchen.|51|177}}


== Kult und religiöse Praxis ==
== Nachweise ==
Die katharischen Priester (sowohl Männer als auch Frauen) predigten in der Volkssprache, nicht in der traditionelle Kirchensprache [[Latein]], und erreichten dadurch weite Bevölkerungsschichten. Armut, Bescheidenheit und Enthaltsamkeit (auch in der Sexualität) galten als erstrebenswert und trugen zur Popularität der Bewegung bei, während die römische Kirche aufgrund der Lebensweise vieler ihrer Funktionsträger abgelehnt wurde.
<references />
 
Der katharische [[Kult]] ist dem Kern nach bogomilischer Tradition, was sich vor allem in der Tatsache äußert, dass die Vergebung der Sünden nur durch die Aufnahme in die Kirche der Katharer erfolgen konnte. In ihrem kultischen Leben kannten die Katharer neben ihrem einzigen [[sakrament]]sähnlichen Ritus, der Geisttaufe (''Consolamentum''), noch eine Reihe an kultischen Handlungen.<ref>Daniela Müller: ''Ketzer und Kirche: Beobachtungen aus zwei Jahrtausenden.'' Lit-Verlag 2014. S. 165, S. 169.</ref>
 
=== Consolamentum ===
 
Die ''Geisttaufe'' oder auch Consolamentum (lat.: „Tröstung“, nach [[Wikipedia:Römerbrief|Römerbrief]] Kapitel 1 Vers 12 und [[Wikipedia:Kolosserbrief|Kolosserbrief]] Kapitel 2 Vers 2) war der entscheidende Schritt, um Mitglied der katharischen Kirche zu werden, und der einzige Zugang zum Heil. Wollten Frauen oder Männer das Consolamentum erhalten, wurde von ihnen verlangt, sich in einer Art [[Wikipedia:Noviziat|Noviziat]] auf das Leben eines Katharers vorzubereiten. Nach der Geisttaufe durch Handauflegen musste das neue Mitglied der Bewegung sein restliches Leben als Katharer führen, um das Heil zu erlangen. Wer einmal das Consolamentum erhalten hatte, konnte es weitergeben, also weitere Personen in die katharische Kirche aufnehmen und so ihre Seelen retten.
 
Das Consolamentum wurde in einem feierlichen Akt vollzogen, an dem – unter der Leitung des Bischofs oder des ältesten Katharers der Gemeinde oder der Umgebung – alle Katharer teilnahmen, die das Consolamentum schon erhalten hatten. Die Katharer, die in den engeren Kreis der katharischen Kirche aufgenommen wurden, hießen ''Perfecti'' oder ''Perfectae'' (''Vollkommene''). Die Übergabe des Consolamentums vollzog sich, nach Vergebung der Sünden und der Übergabe des [[Vaterunser]]s an den [[Wikipedia:Novize|Novize]]n, durch Auflegen des Johannesevangeliums auf den Kopf des Kandidaten. Nacheinander berührten die Anwesenden den Kopf des Novizen und übertrugen somit den Geist der Erkenntnis auf ihn. Beging ein Perfectus eine Sünde, war nicht nur sein Consolamentum hinfällig, sondern auch diejenigen Geisttaufen, die von dem Sünder gespendet worden waren.
 
Nach dem Empfang des Consolamentums hatten die Perfecti ein entbehrungsreiches Leben zu führen. Neben dem Verbot der Ehe und der geschlechtlichen Beziehungen mussten auch strenge Speisevorschriften befolgt werden, z.&nbsp;B. war die Kost stets fleischlos; das töten von Menschen, vierbeinigen Tieren und Vögeln war verboten, außerdem durften sie weder fluchen, lügen noch einen Eid leisten und waren zur Arbeit verpflichtet. Frauen konnten ebenso wie Männer das Consolamentum erhalten, um gerettet zu werden. Jedoch war der Ritus für Frauen etwas abgeändert: Sie durften während der Zeremonie nicht berührt werden. Daher wurde ein Tuch über sie gedeckt. Da die Katharer annahmen, dass die Seele von Natur aus männlich sei, wurde nach Ansicht der Katharer beim Tod einer Perfecta ihre Seele in den ursprünglichen Zustand versetzt – sie wurde männlich. Die Perfecta wurde der Theorie nach zu einem asexuellen Wesen, ihr Geist löste sich vom Körper und erinnerte sich seines ursprünglich männlichen Zustandes. Schwangeren Frauen durfte kein Consolamentum erteilt werden, da sie nach Ansicht der Katharer einen [[Dämon]] im Leib hatten. Die Katharer lehnten generell die Zeugung von Kindern ab ([[Antinatalismus]]), da Adam und Eva ursprünglich ohne [[Sexualität]] gelebt hätten und vom [[Teufel]] zur Sünde der Reproduktion verführt worden seien.
 
=== Das Gebet ===
Das vor dem Consolamentum übergebene Vaterunser war das einzige [[Gebet]] der Katharer.<ref>Daniela Müller: ''Ketzer und Kirche: Beobachtungen aus zwei Jahrtausenden.'' Lit-Verlag 2014. S. 169.</ref> Der Tagesablauf der Katharer war durch das Gebet bestimmt. Mit dem Consolamentum erhielten sie die Erlaubnis, das Vaterunser in verschiedenen Formeln zu beten, was Ausdruck der Zugehörigkeit zur ''ecclesia Dei'' (‚Kirche Gottes‘) war.
 
=== Das Apparellamentum ===
Ebenso wie das oben genannte Gebet war das sogenannte ''Apparellamentum'' den bekennenden Katharern vorbehalten. Das ''Apparellamentum'' war ein monatlicher Bußgottesdienst, der zur Reinigung von den  beeinträchtigenden Beeinflussungen des irdischen Lebens diente und sie vor dem Rückfall in den Sündenstand bewahren sollte; sie beichteten ihre Verfehlungen einem Diakon. Ebenso wurde durch das ''Apparellamentum'' eine Unterwerfung unter die katharische Gemeinschaft vollzogen.
 
=== Der Friedenskuss ===
Der Friedenskuss steht in unmittelbarer Beziehung zum Melioramentum (der ''Ehrenbezeugung'') und diente in erster Linie zur Begrüßung zweier Perfecti bzw. zweier Perfectae untereinander, oder auch der Begrüßung eines Gläubigen, allerdings nur in dem Fall, dass der Kuss vom Perfectus ausgegangen war. Friedensküsse gab es also nur unter Katharern gleichen Geschlechts. Statt zur Begrüßung einen Kuss auszutauschen, wurde die Perfecta vom Perfectus am Arm berührt. Eine andere, noch bessere Lösung zur Übergabe des Friedenskusses war, den Kuss auf das Johannesevangelium zu drücken und dieses dann der Frau zu überreichen.
 
=== Radikaler Dualismus ===
Zirka 1176 schwor der Bogumilenbischof [[Wikipedia:Niketas (Bogumilenbischof)|Niketas]], als Abgesandter der drughuntisch-häretischen Kirche von [[Wikipedia:Konstantinopel|Konstantinopel]] den Führer der moderaten Katherer im [[Wikipedia:Languedoc|Languedoc]] auf den radikalen [[Dualismus]] ein.<ref>Malcolm Barber: ''Die Katharer. Ketzer des Mittelalters''. Patmos Verlag, Düsseldorf 2008, ISBN 978-3-491-96220-0. S. 57.</ref> Deggau schreibt: {{"|Im strengen Sinne kann man bei dem radikalen Dualismus der Katharer nicht von einer Moral sprechen. Denn moralische Vorschriften waren für einen Vollkommenen (perfectus) […] weder möglich noch nötig. Er ''konnte'' nicht mehr sündigen […] Umgekehrt konnte es für den einfachen Gläubigen in der Welt des Bösen keine verbindlichen Vorschriften geben […] Es wären nur Regeln des Bösen für das Böse.}}<ref>Hans-Georg Deggau: ''Kleine Geschichte der Katharer.'' Verlag Herder, Freiburg i. Breisgau 2005, S. 77.</ref>
 
=== Speisevorschriften und die Brotsegnung ===
Aus der Ablehnung der Fortpflanzung als Teufelswerk kann bis zu einem gewissen Maße die Ablehnung sämtlicher Speisen, die aus der Fortpflanzung entstanden sind, also von Tierfleisch, [[Fett|Fetten]] und Milchprodukten, begründet werden. Eine weitaus stärkere Begründung für die Ablehnung dieser Speisen war die Annahme, dass sich in den Tierkörpern die Seelen verstorbener Menschen aufhielten. Wer ein Tier tötete, um es zu verspeisen, stand also in der Gefahr, einen Mord an einer Engelsseele zu begehen, die in einem Tierkörper Zuflucht gesucht hatte. Fische hingegen durften von den Katharern verzehrt werden, da sie der (im Mittelalter weit verbreiteten) Ansicht waren, Fische seien kein Zeugungsprodukt, sondern gingen aus dem Wasser hervor. Außerdem war das Trinken gegorener Getränke (vor allem von Wein) verboten. Mit der Brotsegnung, die im Rahmen einer Mahlzeit stattfand, sollte dem Beispiel Christi gedacht und nachgeeifert werden. Die Betrachtung der [[Hostie]] als Leib Christi lehnten die Katharer jedoch ab: Für sie war sie nur ein Stück Brot.
 
=== Das Melioramentum und die Credentes ===
Die Gläubigen drückten ihre Verehrung gegenüber dem Guten Christen (Perfectus)  durch Kniebeugen und Verneigungen, dem so genannten ''Melioramentum'' aus. Dadurch wurde die Hinwendung zum Katharismus nach außen bezeugt. Durch die Abgabe des Melioramentums wurde ein gewöhnlicher Mensch zu einem Credens, also einem Gefolgsmann der Katharer. Zwar galten die Credentes nicht als Mitglieder der katharischen Kirche, da sie das Consolamentum nicht erhalten hatten, aber das Melioramentum war ein Zeugnis dafür, dass die Credentes eines Tages das Consolamentum erhalten würden. Die Zeremonie des Melioramentums wurde durch das dreimalige Kniebeugen vor einem Perfectus und durch das dreimalige Bitten um seinen Segen vollzogen.
 
Obwohl die Credentes Verpflichtungen gegenüber den Perfecti hatten, kann das Melioramentum nicht als geschäftlicher Vertrag angesehen werden; vielmehr war es Ausdruck enger sozialer und ideologischer Bindung an die katharische Kirche und deren Vertreter.
 
=== Die Endura ===
Endura (lat. ''abstinentia'') bezeichnete ursprünglich die Probezeit der mindestens achtzehn Jahre alten katharischen [[Wikipedia:Novize|Novize]]n auf das Amt des/der Perfectus/a. Hierbei musste der Anwärter ein Jahr [[fasten]], wonach er (mitunter nach weiterer Prüfungszeit) durch das Consolamtentum und die Einkleidung mit einem schwarzen Gewand in den Kreis der Perfecti/ae aufstieg.<ref>[[Wikipedia:Arno Borst|Arno Borst]]: ''Die Katharer''. 2. Auflage. Herder Verlag, Freiburg i.Br. 1992, ISBN 3-451-04025-5, S. 145.</ref> Die Endura als Fasten-Prüfungszeit gewann in der Spätzeit in einer radikalen Variante eine neue Bedeutung, als sie mit einer Sonderform des Consolamentums, dem ''Kranken-Consolamentum'' verknüpft wurde: Kranke oder Sterbende, die sich erst am Ende ihres Lebens entschieden, das Consolamentum zu empfangen, jedoch nun nicht mehr die Möglichkeit hatten, ein strenges asketisches Leben als Perfecti/ae zu leben, konnten dadurch noch ihre Seele retten und die Vollkommenenwürde erlangen, indem sie keinerlei Nahrungsmittel mehr zu sich nahmen und dadurch, so sie nicht zuvor verstarben, [[Hunger|verhungerten]]. Bei der Ausführung dieser Art der Endura kamen auch Kinder, bei denen eine längere Fastenzeit ebenfalls nicht in Frage kam, ums Leben.<ref>Arno Borst: ''Die Katharer''. 2. Auflage. Herder Verlag, Freiburg i.Br. 1992, ISBN 3-451-04025-5, S. 146f.</ref>
 
== Die katharische Hierarchie ==
Die katharische Bewegung hatte bereits Mitte des zwölften Jahrhunderts eine ''fertig organisierte [[Wikipedia:Kirche (Organisation)|Kirche]] mit eigener Hierarchie''<ref name="lam25">Malcolm Lambert: ''Geschichte der Katharer.'' 2001, S. 25.</ref> gebildet. Die katharische Kirche besaß Diözesen, Bischöfe und Diakone und hielt selbst [[Wikipedia:Konzil|Konzil]]ien zu Glaubensfragen ab.<ref>So etwa das Konzil von [[Wikipedia:Mirepoix (Ariège)|Mirepoix]] 1206, vgl. Malcolm Lambert: ''Geschichte der Katharer.'' 2001, S. 62.</ref> Bis zum [[Wikipedia:Albigenserkreuzzug|Albigenserkreuzzug]] (1209–1229) konnten die Katharer ihre Organisation ausbauen und in Okzitanien unter dem Schutz des Adels und dem Wohlwollen großer Teile der Bevölkerung ihre Religion über mehrere Jahrzehnte lang weitgehend frei und öffentlich praktizieren. Vielerorts wurden Gemeinschaftshäuser als Zentren des Gebets und als Lebens- und Arbeitsorte für Perfecti und Perfectae eröffnet. Obwohl dieselben tatsächlich in persönlicher Armut lebten, konnte ihre Organisation, die katharische Kirche, in dieser Phase ein beträchtliches Vermögen erwirtschaften, und zwar vor allem durch Spenden, die im Zuge der Erteilung des Consolamentums am Kranken- oder Sterbebett (siehe oben: [[#Die Endura|Endura]]) der Gemeinschaft überlassen wurden, oft in Form von stattlichen Summen oder der Überschreibung des gesamten Erbes. So verfügte die Bewegung über große Mengen an festen und beweglichen Gütern. Die katharische Kirche, in der es kein [[Wikipedia:Zinsverbot|Zinsverbot]] gab, war – besonders in Südfrankreich – bisweilen überaus reich: Die Organisation kaufte für ihre Zwecke Häuser, Weinberge oder Äcker, investierte in den Ausbau von Festungen und gab hohe Summen als Bestechungsgelder für Amtsträger der gegnerischen Kirche aus.<ref>Arno Borst: ''Die Katharer.'' 1992, S. 86 und 98.</ref>
 
Anhand der Struktur der katharischen Kirche lässt sich anschaulich darstellen, wie sich die religiöse Praxis der Katharer ausgebildet hatte: Aufgrund ihrer strengen Hierarchie besaß sie nur eine kleine Spitze, die Bischöfe und ihre Stellvertreter, und führte von diesen hin zu einer breiten Basis, den Credentes und Sympathisanten. Ihre straffe Organisation verlieh der katharischen Kirche große Wirkmächtigkeit und Schlagkraft. In der Auseinandersetzung mit der [[Wikipedia:Inquisition|Inquisition]] geriet sie ihnen jedoch zum Nachteil, weil die Katharer nach der Beseitigung ihrer Führungseliten kaum über dezentrale Strukturen „im Untergrund“ verfügten, wie sie etwa die ebenfalls verfolgten [[Waldenser]] besaßen. Der römisch-katholischen Kirche schienen die Katharer aufgrund ihrer „Gegenkirche“, die sie spiegelbildlich zu ihrer Rivalin errichtet hatten, umso gefährlicher.
 
=== Der Bischof und seine Stellvertreter ===
Der Bischof hatte in der katharischen Gegenkirche keine so weitreichenden Aufgaben wie ein Bischof in der römisch-katholischen Kirche. Sein vornehmliches Recht war, bei allen Riten der Katharer die erste Stelle einzunehmen, beispielsweise bei der Erteilung des Consolamentums oder beim Brotbrechen. Ansonsten wurden ihm keine weiteren nur ihm vorbehaltenen Rechte, wie etwa Priesterweihe oder Firmung, zugesprochen, so dass der katharische Bischof im Grunde nur der Gemeindevorstand war, der sich auch um den Besuch der Einzelgemeinden kümmern musste.
 
Das Bischofsamt wurde nur von Männern bekleidet.
 
In der ersten Zeit der katharischen Kirche wurde der Bischof noch von der Gemeinde gewählt, im 13. Jahrhundert hatte sich die Verkirchlichung der katharischen Bewegung aber so weit durchgesetzt, dass der Bischof einer Diözese nur von seinesgleichen geweiht werden durfte.
 
An der Seite des Bischofs standen seine zwei Stellvertreter: der ältere und der jüngere „Sohn“ (''filius major'' und ''filius minor''). Beide vertraten den Bischof in seiner Abwesenheit und bereisten die Gemeinden als seine Vertreter. Die eigentliche Pfarrseelsorge hingegen wurde vom Diakon übernommen. Die Aufgaben eines Bischofs und auch eines Diakons konnten nur von Personen übernommen werden, die das Consolamentum erhalten hatten.
 
=== Der Diakon ===
Der Aufgabenbereich eines Diakons einer katharischen Gemeinde war vielfältiger als der des Bischofs. Er hatte zwar nicht das Recht, als Erster das Consolamentum zu spenden oder das Brot zu brechen, aber er hatte die Aufgabe, im Fall von Unklarheiten oder Zweifeln bei den Gemeindegliedern schlichtend einzugreifen, diejenigen wieder zu konsolieren, die eine Sünde begangen hatten, und das Apparellamentum zu vollziehen.
 
Eine weitere Verpflichtung des Diakons war, katharische Konvente zu leiten, die auch als Gästehäuser für Katharer bezeichnet werden können. Diese Aufgabe wurde auch von Frauen übernommen; allerdings war es Frauen untersagt zu predigen. In den Frauenkonventen, die der Leitung einer Frau unterstanden, wurden die Predigten entweder vom katharischen Bischof oder aber – in den meisten Fällen – vom Diakon der Gemeinde durchgeführt.
 
Die Aufgaben eines Diakons, die mit Reisen verbunden waren, konnten von Frauen nicht übernommen werden, da es vor allem nach dem Albigenserkreuzzug und während der Inquisition für Frauen nicht möglich war, allein auf Reisen zu gehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen.
 
=== Die Perfecti ===
Die Perfecti (weibliche Form: ''Perfectae'', Wortbedeutung: [[lat.]] „Vollkommene“; {{FrS|parfaits}}), bezeichnet auch als „gute Menschen“, ''Bonhommes'', ''Bonshommes'' bzw. ''boni homines'', bildeten den harten Kern der eigentlichen Mitglieder der katharischen Kirche.<ref>Arno Borst: ''Die Katharer.'' 1992, S. 151.</ref> Ihnen war erlaubt, das Vaterunser zu beten und das Consolamentum zu erteilen. Sie führten eine keusche und schlichte bis asketische Lebensweise in persönlicher Armut mit vielen Fastenregeln und standen vor den Gläubigen (Credentes), in denen sie eine „bemerkenswerte Hingabe“ erweckten, „in der machtvollen Tradition des Märtyrertums“.<ref name="lam25" /> Ihre Besitztümer überschrieben die Perfecti/ae bei ihrem Eintritt an die Gemeinschaft ihrer Kirche. Es hat wohl zu keiner Zeit mehr als zehntausend Perfecti gegeben; es kann sogar vermutet werden, dass die Zahl der Perfekten nicht mehr als viertausend betragen hat. Wenn die Perfecti/ae nicht auf Wanderschaft waren, um zu predigen, oder in ihrer Gemeinde unterwegs waren, lebten sie in eigenen Häusern, die der Gemeinschaft gehörten.
 
Eine Perfecta durfte nur in der Gegenwart eines Diakons das Consolamentum spenden.
 
=== Die Initiierten ===
Eine Stufe unter den Perfecti standen die Initiierten. Die Initiierten waren Gläubige, die danach strebten, das Consolamentum zu erhalten. Wie schon erwähnt, bestand die Übergabe des Consolamentums aus zwei Teilen, nämlich der Übergabe des Vaterunsers und der eigentlichen Geisttaufe, die aber nicht zeitnah durchgeführt werden mussten. Ein Initiierter hatte das Recht, das Vaterunser zu beten, stand also kurz davor, in den Stand eines Guten Menschen erhoben zu werden. Davor musste er sich jedoch über einen längeren Zeitraum moralisch bewähren – schon ein Initiierter hatte also nach den moralischen Grundsätzen der katharischen Kirche zu leben.
 
=== Die Credentes ===
Die Gläubigen fühlten sich noch nicht in der Lage, das von strengen Vorschriften geprägte Leben eines Perfectus zu führen. Sie standen aber der katharischen Kirche nahe und bezeugten das auch durch das Melioramentum. Dieser Gruppe, auch Credentes genannt, war zu verdanken, dass aus der katharischen Gegenkirche keine von der Welt abgesonderte, elitäre Mönchskirche, sondern eine Bewegung mit Massenanhang geworden war. Die Anzahl der Anhänger der katharischen Kirche wird auf „mehrere Hunderttausend“ geschätzt.
 
Die Credentes gehörten nicht zur katharischen Kirche und brauchten aus diesem Grund auch nicht die religiösen Vorschriften zu befolgen, die die Perfecti einzuhalten hatten. Eine der wichtigsten Aufgaben der Credentes war es, die Perfekten zu versorgen, und zur Zeit der Inquisition und des Albigenserkreuzzuges auch zu verstecken.


Am Ende ihres Lebens wurde den Credentes das [[#Das Consolamentum|Consolamentum]] erteilt, d.&nbsp;h., sie wurden von der sündigen Welt erlöst. Nach Erteilung des Consolamentums durfte der Kranke nur noch Wasser erhalten, da weltliche Nahrung die Wirkung aufgehoben hätte. Somit kam der Empfang des Consolamentums einem Todesurteil gleich (vgl. oben: Endura).
== Werke (Auswahl) ==
*''Was ist Dreigliederung des sozialen Organismus?'', 2. Aufl., Verlag am Goetheanum, 2. überarb. Aufl. 1992 (1984), ISBN 3-7235-0362-4, {{IT|16|http://d-nb.info/930251490/04|Inhaltsverzeichnis}}
*''Leitbilder für Sozialkünstler'', Zwanzig Vorträge über Sozialpädagogik aus anthroposophischer Sicht, Verlag am Goetheanum, 1996, ISBN 9783723509579, [http://www.vamg.ch/Detailansicht.5992.0.html?tt_products%5Bproduct%5D=187 Inhaltsangabe]
*''Zwölf Drachen im Kampf gegen soziale Initiativen'', Verlag am Goetheanum, 3. Aufl. 2016, ISBN 3723506445
*''Christus Wirken im Sozialen'', (Geisteswissenschaftliche Vorträge), Verlag am Goetheanum, 1996, ISBN 3723509444
*''Das Unterste zuoberst: Über Hierarchie, Gleichwertigkeit und Dienst-Leistung im sozialen Leben'', Trialog-Verlag 2010, Übersetzung Kerstin Andersson, ISBN 978-3-939231-00-4, {{IT|16|http://d-nb.info/103391973x/04|Inhaltsverzeichnis}} Inhaltsvereichnis ; Einleitung S. 7-8: [https://books.google.de/books?id=LE7Nhez9gogC&pg=PA7&lpg=PP1&focus=viewport&hl=de google-view]


== Literatur ==
== Literatur ==
=== Deutsch ===
*Adriaan Bekman, Peter Blom, Lex Bos et al.: ''Lex Bos - ein Lebensbild. Form kann Freiheit schaffen'', Flensburger Hefte Nr. 89, 2005, ISBN 3935679246, {{IT|16|http://www.flensburgerhefte.de/uploads/tx_ttproducts/datasheet/89-DCSIN.pdf|Inhaltsverzeichnis}} Inhaltsverzeichnis ; [http://www.flensburgerhefte.de/hefte-und-buecher/einzelansicht.html?tt_products%5Bproduct%5D=99 Rezension]
* Eduard Cunitz: ''Ein katharisches Rituale'', Druck und Verlag von Friedrich Mauke, Jena 1852 [https://books.google.at/books?id=wVwrAAAAYAAJ google]
*Johannes Mosmann: ''Die Überwindung der Utopie einer dreigegliederten Waldorfschule'', 2015 {{HT16|http://www.dreigliederung.de/essays/2015-06-001.html}}
* [[Wikipedia:Lothar Baier|Lothar Baier]]: ''Die große Ketzerei: Verfolgung und Ausrottung der Katharer durch Kirche und Wissenschaft''. Wagenbach, Berlin 2002, ISBN 3-8031-2410-7.
*Sylvain Coiplet: ''Die soziale Dreigliederung oder - Wie werden Einrichtungen menschlich''?, 2003 {{HT16|http://www.dreigliederung.de/essays/2003-03-001.html}} (Kritik)
* Malcolm Barber: ''Die Katharer. Ketzer des Mittelalters''. Patmos Verlag, Düsseldorf 2008, ISBN 978-3-491-96220-0.
[[Kategorie:Soziales Leben]][[Kategorie:Soziale Dreigliederung]][[Kategorie:Sozialwissenschaft]]
* Matthias Benad: ''Domus und Religion in Montaillou.'' Tübingen 1990.
*Werner Breimhorst: ''Mesodreigliederung'', 2005 {{HT16|http://www.forum-dreigliederung.de/alsodrei/g10.html#5.2}} (Kritik)
* [[Wikipedia:Arno Borst|Arno Borst]]: ''Die Katharer''. A. Hiersemann Verlag, Stuttgart 1953, ISBN 3-7772-5301-4.
** Neuauflage mit Nachträgen von [[Wikipedia:Alexander Patschovsky|Alexander Patschovsky]] und Gerhard Rottenwöhrer. Karolinger Verlag, Wien 2012, ISBN 978-3-85418-145-3.
* Heinrich Fichtenau: ''Ketzer und Professoren: Häresie und Vernunftglaube im Hochmittelalter.'' München, Beck 1992, ISBN 3-406-36458-6.
* [[Wikipedia:Hans Jonas|Hans Jonas]]: ''Gnosis: Die Botschaft des fremden Gottes''. Insel, Frankfurt 1999, ISBN 3-458-16944-X.
* Reiner Klein: ''Die Mysterien der Katharer''. Zeitenwende 2008, ISBN 978-3-934291-51-5.
* Malcolm Lambert: ''Geschichte der Katharer''. Primus Verlag, Darmstadt 2001, ISBN 3-89678-401-3.
* Malcolm Lambert: ''Häresie im Mittelalter: Von den Katharern bis zu den Hussiten''. Primus Verlag, Darmstadt 2001, ISBN 3-89678-184-7.
* [[Wikipedia:Emmanuel Le Roy Ladurie|Emmanuel Le Roy Ladurie]]: ''Montaillou – Ein Dorf vor dem Inquisitor 1294 bis 1324.'' (fr. 1975) Ullstein, Berlin 2000, ISBN 3-548-26571-5.
* Jörg Oberste: ''Ketzerei und Inquisition im Mittelalter''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2007, ISBN 978-3-534-15576-7.
* Jörg Oberste: ''Der Kreuzzug gegen die Albigenser''. Primus Verlag, Darmstadt 2003, ISBN 3-89678-464-1.
* [[Déodat Roché]]: ''Die Katharer-Bewegung. Ursprung und Wesen.'' Verlag am Goetheanum, Dornach 1997, ISBN 9783723508275
* Michel Roquebert: ''Die Religion der Katharer.'' Übersetzung von Rosi Hoffmann. Editions Loubatières, Portet-sur-Garonne 1988, {{Falsche ISBN|2-86266-102-8}}.
* Gerhard Rottenwöhrer: ''Der Katharismus''. 4 Bände, Bock & Herchen, Bad Honnef 1982f., ISBN 3-88347-103-8.
* Kurt Rudolph: ''Die Gnosis.'' Göttingen 1990.
* [[Wikipedia:Steven Runciman|Steven Runciman]]: ''Häresie und Christentum: Der mittelalterliche Manichäismus''. Wilhelm Fink Verlag, München 1988, ISBN 3-7705-2498-5.
* Gerd Schwerhoff: ''Die Inquisition: Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit''. C.H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-50840-5.
* Joseph Szöverffy: ''Maria und die Häretiker. Ein Zisterzienserhymnus zum Albigenserkrieg.'' In: ''[[Wikipedia:Analecta Cisterciensia|Analecta Cisterciensia]].'' 43 (1987), S. 223–232.
* Pierre des Vaux-de-Cernay: ''Kreuzzug gegen die Albigenser''. Manesse, Zürich 1997, ISBN 3-7175-8228-3 (Übersetzung der ''Historia Albigensis'' aus dem Lateinischen).
* Ernst Werner, Martin Erbstößer: ''Kleriker, Mönche, Ketzer: Das religiöse Leben im Hochmittelalter''. Herder, Freiburg 1994, ISBN 3-451-04284-3.
* Eugen Roll: ''Ketzer zwischen Orient und Okzident. Patarener, Paulikianer, Bogomilen'', J. Ch. Mellinger Verlag 1986, ISBN 978-3880691902
* Rudolf Steiner: ''Über Philosophie, Geschichte und Literatur'', [[GA 51]] (1983), ISBN 3-7274-0510-4 {{Vorträge|051}}
 
{{GA}}
 
=== Französisch ===
* Martin Aurell: ''Les Cathares devant l'histoire''. Hydre Éd., Cahors 2005, ISBN 2-913703-57-7.
* Jacques Berlioz: ''„Tuez-les tous Dieu reconnaîtra les siens“: le massacre de Béziers et la croisade des Albigeois vus par Césaire de Heisterbach''. Loubatières, Portet-sur-Garonne 1994, ISBN 2-86266-215-1.
* Jean-Louis Biget, ''Hérésie et inquisition dans le Midi de la France'', Paris, Picard, 2007 [https://www.cairn.info/heresie-et-inquisition-dans-le-midi-de-la-france--9782708408036.htm, online].
* Richard Bordes: ''Cathares et Vaudois en Périgord, Quercy et Agenais''. Hydre Éd., Cahors 2005, ISBN 2-913703-30-5.
* Anne Brenon: ''Le Dico des cathares''. Editions Milan, Paris 2000, ISBN 2-84113-817-8.
* Anne Brenon: ''Les Femmes cathares''. Perrin, Paris 2004, ISBN 2-262-02269-0.
* Roger Caratini: ''Les cathares – de la gloire à la tragédie (1209–1244)''. Archipel, Paris 2005, ISBN 2-84187-589-X.
* Jean Duvernoy: ''Le Catharisme: La religion des cathares (tome 1)''. Éd. Privat, Toulouse 1996, ISBN 2-7089-5326-5.
* Jean Duvernoy: ''L'Histoire des cathares (tome 2)''. Neuauflage. Éd. Privat, Toulouse 2004, ISBN 2-7089-7523-4.
* [https://www.academia.edu/11602867/Mark_G._Pegg_Innocent_III_les_Pestilentiels_Proven%C3%A7aux_et_le_paradigme_%C3%A9puis%C3%A9_du_catharisme_dans_Innocent_III_et_le_Midi_._Cahiers_de_Fanjeaux_50_2015_p._277-307_trad._de_langlais_ Mark G. Pegg, "Innocent III, les 'Pestilentiels Provençaux' et le paradigme épuisé du catharisme", in ''Innocent III et le Midi''. ''Cahiers de Fanjeaux'' 50, 2015, p. 277-307, online].
* Michel Roquebert: ''Histoire des Cathares. Hérésie, Croisade, Inquisition du XIe au XIVe siècle''. Perrin, Paris 1999, ISBN 2-262-01894-4.
 
=== Spanisch ===
* Jesús Ávila Granados: ''La mitología cátara : símbolos y pilares del catarismo occitano''. mr ed., Madrid 2005, ISBN 84-270-3126-2.


== Weblinks ==
== Weblinks ==
*{{HT16|http://www.dreigliederung.de/essays/1994-06-007.html}} Interview 1994


* [http://www.katharer.de/ katharer.de]
[[Kategorie:Soziale Dreigliederung (Person)]][[Kategorie:Autor]][[Kategorie:Organisationstheorie]][[Kategorie:Anthroposoph]]
 
== Einzelnachweise ==
 
<references />
 
[[Kategorie:Christentum]]
[[Kategorie:Häresie]]
[[Kategorie:Katharer]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 25. August 2016, 10:41 Uhr

Alexander Hector Bos oder Lex Bos war ein niederländischer Sozialwissenschaftler und Organisationsentwickler. Er wurde 1925 in Janeber auf Java geboren und verstarb 2005[1] (2006[2]) in Zeist (Niederlande). Nach einem Studium der Soziologie in Amsterdam und achtjähriger beruflicher Tätigkeit in einem Beratungsbüro für Betriebseffizienz/-rationalisierung kam er (Jahr) ins von Bernard Lievegoed begründete NPI (Niederländisches pädagogisches Institut) und arbeitete dort 33 Jahre als Unternehmensberater bis zu seiner Pensionierung. Auch nach der Pensionierung blieb er im und für das Institut tätig.[3] Bos war Mitbegründer der Triodos-Bank in Zeist.

Werk

Bos kannte die Anthroposophie von seinem Elternhaus her und beschäftigte sich schon während seines Soziologiestudiums intensiv mit Fragen der sozialen Dreigliederung. Ein Ergebnis davon ist seine Lehre von der Dynamischen Urteilsbildung, die auch Gegenstand seiner Dissertation war, und die entsprechende Praxis im Rahmen von Organisationsberatung.

Das Konzept der dymnamischen Urteilsbildung wurde von Bos in den siebziger Jahren weiter entwickelt. Als Mitarbeiter des NPI "konnte er tagtäglich die Herausforderung erleben, stimmige und funktionierende Urteile zur Basis eines sachgerechten Handelns werden zu lassen. Mit der Grundlage der dynamischen Urteilsbildung war er in der Lage, seinen Kunden einen funktionierenden Ausgangspunkt für dynamische Prozessgestaltung zu geben".[4]

"In den Niederlanden, in der Schweiz und in Skandinavien wird sein Modell etwa seit 1980 in Ausbildungen für Organisationsberatung, Mediation und Supervision gelehrt und überwiegend mündlich tradiert, über die Beratungspraxis vieler Berater breitete es sich aus"[5]. Bos war auch in Südamerika beratend tätig.

Aus Bos Feder stammen eine Reihe von bedeutenden Beiträgen zur Gestaltung von sozialem Zusammenleben und -arbeiten in Institutionen und Organisationen im Sinne der sozialen Dreigliederung. So wendete er für die Analyse von Gruppendynamik und ihre Verbesserung eine Dreiheit analog Geistesleben - Rechtsleben - Wirtschaftsleben auf die Phänomene Ideenbildung, Äußerung (Brainstorming, kreative Beiträge), Gesprächsführung (Thema, Moderation, persönlicher Umgang) und Gruppenziel (ein zu erbringendes Resultat für andere Menschen, die nicht der Gruppe angehören) an. Unternehmen beriet er in Anlehnung an das Dreiphasen-Modell der Organisationsentwicklung, wie es von Bernard Lievegoed entwickelt wurde.

Hervorzuheben ist, daß Lex Bos auch mit dem Bild des gemischten Königs arbeitete. Es gibt den gemischten König nicht nur im Großen, als Einheitsstaat, sondern auch im Kleinen, im Mikrosozialen. Eine jede Entmischung im Kleinen ist gewissermaßen etwas, was die drei befreiten bzw. zu befreienden Könige, den goldenen, silbernen und ehernen König, stärkt, ihnen Nahrung zuführt, - und kann damit ein Beitrag sein auch zur "großen" Dreigliederung des sozialen Organismus, sofern gewisse andere Voraussetzungen einer adäquaten Einordnung in das größere Ganze, zumindest in der Zukunft, gegeben sind (vgl. Soziale Plastik[6].)

„Ich will versuchen das Unternehmen gesund zu machen und ich weiß, daß ein Unternehmen nur gesund ist, wenn es drei Organsysteme hat, die jedes für sich gesund sind und sich gegenseitig anerkennen und stützen. (...) Aber die sind oft unterentwickelt oder so funktionsunfähig (...) Oder vermischt ..., daß sie sich gegenseitig wie ein gemischter König [hemmen, Red.], so in Goethes' Märchen ja? Ein gemischter König, wo sie sich gegenseitig [er]lähmen. Aber trotzdem sind die drei immer da, sei es gemischt oder unterentwickelt oder korrumpiert oder wie auch [immer]. Also man braucht niemals etwas einzuführen, man braucht nur zu befreien, zu gliedern oder auf eigene Beine zu stellen. Und dann erscheint allmählich die Dreigliederung.“ (Lit.: Lex Bos, Interview 1994)

Man muß dabei allerdings darauf achten, nicht die makrosoziale Dreigliederung in ein Unternehmen oder eine Schule hineinzuprojizieren, als tauchte dort die Dreigliederung des sozialen Organismus in der gleichen Weise auf, - als wäre eine Waldorfschule ein kleines Abbild, eine Miniaturausgabe der Gesellschaft.

„Kaum eine andere Vorstellung steht dem Verständnis der Steinerschen Idee einer „freien“ Waldorfschule so im Weg wie die populäre Meinung, bei einem „Schulorganismus“ handle es sich um den sozialen Organismus im Sinn der sozialen Dreigliederung, weshalb sich auch alle drei Glieder (Geistesleben, Rechtsleben und Wirtschaftsleben) in der Schulverwaltung wiederfinden müssten. Der Begriff „Mikro-“ bzw. „Meso-Dreigliederung“ ist dabei nur eine von vielen Facetten derselben Vorstellung, auf die das soziale Denken (und in der Folge leider auch die soziale Praxis) in vielen anthroposophischen Einrichtungen häufig zurückzuführen ist. Dabei ist die Fehlinterpretation der sozialen Dreigliederung als Gliederung der einzelnen Institution keineswegs neu - schon Rudolf Steiner musste sich mit ihr auseinandersetzen.“ (Lit.: Johannes Mosmann, Die Überwindung der Utopie einer dreigegliederten Waldorfschule, 2015)

Wenn man in einem Unternehmen den Wirtschaftsaspekt seiner Dreigliederung aufsucht, ist darunter nicht zu verstehen, daß das Unternehmen im Kleinen eine Wirtschaft habe, wie es die gesamte Weltwirtschaft im Verhältnis zu Rechtsleben/Staat und Geistesleben ist. Der Wirtschaftsaspekt ist die Warenproduktion, die eine Beziehung zur Gesamtwirtschaft bedeutet. Nur im Falle einer autarken Hauswirtschaft, einem Oikos, könnte man eine Analogie von Gesamtwirtschaft und Wirtschaftsaspekt eines Unternehmens haben. Rudolf Steiner kritisierte ein diesbezügliches Mißverständnis, bezogen auf die Anthroposophische Gesellschaft, scharf:

„Man hat gar nichts verstanden von dem, was ich über die soziale Frage gesprochen habe, wenn man denkt, unsere Gesellschaft hier könne man wie eine Sekte dreigliedern! ... Wollen Sie denn gar nicht verstehen, daß man sich heute nicht in egoistischer, wenn auch gruppenegoistischer Weise abschließen kann und das andere alles unberücksichtigt lassen! Sie wirtschaften doch mit der anderen Wirtschaft des hiesigen Territoriums. Sie beziehen doch Ihre Milch, Käse, Gemüse, dasjenige, was Sie brauchen, von einem Wirtschaftskörper, von dem Sie sich doch nicht isolieren können! Sie können doch wahrhaftig die Zeit nicht reformieren dadurch, daß Sie sich aus dieser Zeit herauslösen. Mir kommt es vor, wenn jemand eine solche Gesellschaft wie diese, zu einem Wirtschaftskörper machen will, geradeso wie wenn einer eine große Familie hat und sagt: Ich beginne jetzt in meiner Familie die Dreigliederung. Diese Ideen sind zu ernst, zu umfassend, sie dürfen nicht in das Kleinlich-Bourgeoise der verschiedenen Sektierereien, die es immer gegeben hat, hineingezerrt werden. Sie müssen im Zusammenhang mit der ganzen Menschheit gedacht werden. Das mit Bezug auf das Wirtschaftsleben. Sie würden sich ja ganz abschließen vom wirklichen praktischen Denken mit Bezug auf den Wirtschaftskreislauf der Welt, wenn Sie eine gruppenegoistische Wirtschaft für eine Sekte einrichten wollen. Und das Rechtsleben: Gründen Sie einmal innerhalb unserer Gesellschaft den Rechtsstaat! Wenn Sie etwas stehlen, wird es ganz und gar bedeutungslos sein, wenn hier drei Leute zusammentreten und urteilen über dieses Stehlen. Es wird das äußere Gericht Sie schon in Anspruch nehmen und urteilen. In bezug auf den Rechtsstaat werden Sie sich aus der äußeren Organisation wahrhaftig nicht herausziehen können!“ (Lit.: Rudolf Steiner, GA 190, S.210-211, 3/1980, 14.04.1919, zitiert nach Mosmann, e.d.)

Bei Institutionen des Geisteslebens wie Schulen (zum Unterschied zu Wirtschaftsunternehmen s. Organisation) kommt der Aspekt hinzu, daß diese keine Leistungen wie Wirtschaftsunternehmen nach außen abliefern, sondern die Arbeit eine Innenrichtung hat. Solch ein Innenverhältnis kann es auch im Mikrosozialen geben. Nicht jede Gruppendynamik, wie sie Lex Bos dreigegliedert beschreibt, hat mit dem Wirtschaftsaspekt einen Bezug im Sinne einer Outputintention für Gruppenfremde. Wenn das Ziel der Gruppendynamik beispielsweise die Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls ist (ein Rechtsaspekt), dann ist das gleichbedeutend mit einer Innenrichtung des Gruppenziels. Das Produkt verläßt die Gruppe nicht, sondern verbleibt in der Gruppe. Die Auswirkung auf Wirtschaftliches der Gesamtgesellschaft ergibt sich dann später und indirekt. Wie ja auch Schulen keine Waren produzieren, sondern Kindern für ihre Erziehung einen Lebensraum bieten. Erst später, außerhalb der Schule werden diese Menschen dann als Erwachsene wirtschaftlich oder auf andere Weise produktiv.

Nachweise

  1. http://www.trialog-gmbh.de/Urteilsbildung/page18
  2. http://www.trias-neustadt.de/urteilsbildung-2013.pdf
  3. http://www.dreigliederung.de/essays/1994-06-007.html
  4. http://www.trialog-gmbh.de/Urteilsbildung/page18
  5. http://www.christine-scharlau.de/baechtold_supersaxo.htm
  6. Werner Breimhorst hält die (sinnvolle) Anwendbarkeit des Dreigliederungskonzepts auf der mikro- und makrosozialen Ebene für nicht möglich, glaubt aber doch an evolutionäre Möglichkeiten einer Förderung der (makrosozialen) Dreigliederung im Kleinen, allerdings nicht dreigegliedert! In Beuys Konzept der sozialen Plastik sind solche Wege aber ja schon mitenthalten. Ein Beitrag im Hinblick auf das Ziel der Dreigliederung des gesellschaftlichen Ganzen im Sinne der sozialen Plastik kann sich als selbst dreigegliedert verstehen, muß es aber nicht. Zwar scheint die Idee der sozialen Plastik andererseits in Beliebigkeit zu münden. Das ist aber kein Argument für soziales Künstlertum, sondern eines für die Dreigliederungstheoretiker. Deren Aufgabe mag es sein, die Dreigliederungsidee vor der Gefahr des Beliebigen im Sinne von Ausgedachtem zu bewahren. Sylvain Coiplet sieht bei den sog. Organisationsberatern eine Tendenz, sich jeweils eine eigene Dreigliederung auszudenken. Und warum dann auch nicht ein vier- oder fünfgegliedertes Maßnahmekonzept? Unter solche Kritik dürfte allerdings dann wohl auch die Sozialorganik von Herbert Witzenmann fallen, die sich auf eine Interpretation des Nationalökonomischen Kurses (GA 340) stützt. Witzenmann entwickelt u.a. einen Rechtsbegriff, der nicht von dem formalen Recht der heutigen Rechtsstaaten ausgeht, das noch auf dem alten römischen Recht beruhe und überwinden werden müsse. Witzenmann präsentiert jedoch nach seinem eigenen Verständnis nichts Ausgedachtes, sondern Ansichten, die sich der Sache nach auf Ausssagen Rudolf Steiners gründen, und zudem auch durch die eigene Forschung im Sinne einer goetheanistischen Phänomenologie belegt seien. (Wie ja übrigens auch Wilhelm Schmundt glaubt, wissenschaftlich vorzugehen.) (Sylvain Coiplet: Die soziale Dreigliederung oder - Wie werden Einrichtungen menschlich?, 2003 Volltext ; Werner Breimhorst: Mesodreigliederung, 2005 Volltext).

Werke (Auswahl)

  • Was ist Dreigliederung des sozialen Organismus?, 2. Aufl., Verlag am Goetheanum, 2. überarb. Aufl. 1992 (1984), ISBN 3-7235-0362-4, Inhaltsverzeichnis
  • Leitbilder für Sozialkünstler, Zwanzig Vorträge über Sozialpädagogik aus anthroposophischer Sicht, Verlag am Goetheanum, 1996, ISBN 9783723509579, Inhaltsangabe
  • Zwölf Drachen im Kampf gegen soziale Initiativen, Verlag am Goetheanum, 3. Aufl. 2016, ISBN 3723506445
  • Christus Wirken im Sozialen, (Geisteswissenschaftliche Vorträge), Verlag am Goetheanum, 1996, ISBN 3723509444
  • Das Unterste zuoberst: Über Hierarchie, Gleichwertigkeit und Dienst-Leistung im sozialen Leben, Trialog-Verlag 2010, Übersetzung Kerstin Andersson, ISBN 978-3-939231-00-4, Inhaltsverzeichnis Inhaltsvereichnis ; Einleitung S. 7-8: google-view

Literatur

  • Adriaan Bekman, Peter Blom, Lex Bos et al.: Lex Bos - ein Lebensbild. Form kann Freiheit schaffen, Flensburger Hefte Nr. 89, 2005, ISBN 3935679246, Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ; Rezension
  • Johannes Mosmann: Die Überwindung der Utopie einer dreigegliederten Waldorfschule, 2015 Volltext
  • Sylvain Coiplet: Die soziale Dreigliederung oder - Wie werden Einrichtungen menschlich?, 2003 Volltext (Kritik)
  • Werner Breimhorst: Mesodreigliederung, 2005 Volltext (Kritik)

Weblinks

  • Volltext Interview 1994