Svante Pääbo

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Svante Pääbo (2016)

Svante Pääbo (* 20. April 1955 in Stockholm) ist ein schwedischer Mediziner und Biologe. Er gilt als Begründer der Paläogenetik. 1984 gelang ihm als Doktorand erstmals die Klonierung der DNA einer Mumie.[1] Die entsprechende Meldung in der Fachzeitschrift Nature zierte 1985 die Titelseite, eine sehr ungewöhnliche Ehrung für einen Doktoranden. In seiner weiteren wissenschaftlichen Laufbahn hat er sich auf evolutionäre Genetik spezialisiert. Im Jahr 2022 wurde ihm der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zuerkannt.

Leben

Svante Pääbo ist der außereheliche[2] Sohn des Nobelpreisträgers Sune Bergström und der estnischen Chemikerin Karin Pääbo († 2013[3]), die in dessen Labor arbeitete. Er wuchs in seiner Geburtsstadt Stockholm auf. Sune Bergströms Vaterschaft war Pääbo bekannt, Vater und Sohn trafen sich regelmäßig, es sollte jedoch nicht öffentlich bekannt werden.[4]

Während seines Militärdienstes besuchte er ein Jahr eine Dolmetscherschule. Ab 1975 studierte er zunächst Ägyptologie, Russisch, Wissenschaftsgeschichte und von 1977 bis 1980 auf Anraten seines Vaters auch Medizin an der Universität Uppsala, wo er 1986 mit einer Arbeit in molekularer Immunologie seinen PhD, den Doktorgrad in Naturwissenschaften, erlangte. Zum Abschluss seines Medizinstudiums fehlte ihm allerdings der letzte, klinische Abschnitt, da er in die Grundlagenforschung wechselte.

Innerhalb eines Jahres folgten kurze Aufenthalte am Institut für Molekulare Biologie an der Universität Zürich und einem Krebsforschungszentrum in London. Die Zeit von 1987 bis 1990 verbrachte er als Postdoc an der University of California in Berkeley in der Arbeitsgruppe von Allan Wilson. 1990 erhielt Pääbo einen Ruf auf eine C4-Professur für Allgemeine Biologie an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 1997 wechselte er nach Leipzig an das neu gegründete Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Seit 1999 leitet er dort als einer von sechs Direktoren die Abteilung Evolutionäre Genetik und ist gleichzeitig Honorarprofessor an der Universität Leipzig.

Pääbo ist mit der US-amerikanischen Primatenforscherin Linda Vigilant verheiratet, die ebenfalls am MPI EVA arbeitet,[5] und hat mit ihr zwei Kinder.

Wissenschaftliche Leistungen

Pääbo während eines Vortrags am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (2019)

Während seiner Doktorandenzeit in Uppsala konnte Pääbo neue molekularbiologische Techniken verwenden, um DNA aus Gewebeproben zu gewinnen. Dabei kam ihm die Idee, die gleichen Techniken auch für totes Gewebematerial zu benutzen. Mit Hilfe seines früheren Professors in Ägyptologie konnte er Gewebeproben von Mumien aus der ägyptologischen Sammlung in Uppsala und des Pergamonmuseums in Ost-Berlin beschaffen. 1984 gelang es ihm dann erstmals, Erbgut aus Zellen der Mumienpräparate zu isolieren. Die im gleichen Jahr veröffentlichten Ergebnisse in der Zeitschrift Das Altertum der Akademie der Wissenschaften der DDR fanden jedoch keine Beachtung. Erst die Veröffentlichung 1985 in der international erscheinenden Zeitschrift Nature sorgte für eine wissenschaftliche Sensation.

Nach Beendigung seiner Dissertation bewarb sich Svante Pääbo bei Professor Allan Wilson in Berkeley auf eine Postdoc-Stelle und wurde 1987 angenommen. Die Arbeitsgruppe von Wilson war die einzige, die sich zu jener Zeit ebenfalls mit der Isolierung von Erbmaterial aus fossilem Gewebe beschäftigte. Die folgenden drei Jahre bei Wilson verliefen sehr erfolgreich, da sie eine neue Methode zur Vervielfältigung von DNA, die Polymerase-Kettenreaktion, auf eine ganze Reihe ausgestorbener Tiere wie den Beutelwolf, das Riesenfaultier, den Höhlenbär oder das Mammut anwenden konnten.

Am Max-Planck-Institut in Leipzig beschäftigt Pääbo hauptsächlich die Frage, welche genetischen Veränderungen in der Evolutionsgeschichte den modernen Menschen ausmachen. Dabei vergleichen die Mitglieder seiner Arbeitsgruppe Genmaterial des heutigen Menschen sowohl mit anderen Arten der Gattung Homo, wie dem Neandertaler, als auch mit dem anderer Frühmenschenarten und dem von Menschenaffen. 2002 veröffentlichte er unter anderem seine Forschungsergebnisse zum „Sprachgen“ FOXP2, aus dessen Fehlen oder auftretenden Defekten Sprachunvermögen resultiert.[6] 2010 gehörte Pääbo zu den Autoren einer Studie, in der nachgewiesen wurde, dass vor rund 40.000 Jahren im Altai-Gebirge neben Homo sapiens und dem Neandertaler noch eine dritte, unabhängig von diesen beiden Arten dorthin eingewanderte Population der Gattung Homo gelebt hat, genannt Denisova-Mensch.[7][8] Im Jahr 2018 sequenzierte er das Genom des Fossils Denisova 11 aus der Denissowa-Höhle – ein Kind einer Neandertaler-Mutter und eines Denisova-Vaters.[9]

Einer seiner Studienschwerpunkte befasste sich mit der Sequenzierung des Neandertaler-Genoms. Eine 2010 veröffentlichte Studie ergab, dass das Genom der Neandertaler eine signifikant größere Ähnlichkeit mit dem Genom von Europäern und Asiaten hat als mit dem Genom von Afrikanern. Daraus wurde gefolgert, „dass der Genfluss vom Neandertaler zu den Vorfahren der Nicht-Afrikaner erfolgte, bevor sich die eurasischen Gruppen voneinander trennten“, das heißt im Nahen Osten, wo Neandertaler und anatomisch moderner Mensch in der Zeitspanne von vor 110.000 Jahren bis vor rund 50.000 Jahren koexistierten.[10] Bereits 1997 hatte Pääbos Münchner Arbeitsgruppe in Kooperation mit dem Rheinischen Landesmuseum und amerikanischen Wissenschaftlern die mitochondriale DNA des modernen Homo sapiens mit der des Neandertalers verglichen und dabei keine Anhaltspunkte für einen Genfluss entdeckt.[11] Das Rheinische Landesmuseum hatte dafür eine Probe aus dem Oberarmknochen eines Neandertalers zur Verfügung gestellt. Noch im Jahre 2004 sahen Pääbo und sein Team keine Anhaltspunkte für einen signifikanten Genfluss vom Neandertaler zum modernen Homo sapiens.[12] Diese Ansicht änderte sich erst nach dem Einsatz neuer Untersuchungsmethoden mit dem Ergebnis, dass sehr wohl Genfluss stattgefunden habe mit einem heute messbaren Beitrag von bis zu 4 % Neandertaler-Genen zum Genpool heutiger Europäer und Asiaten.[13] In den Jahren 2013 bis 2015 veröffentlichte Analyse-Daten zu den Homo-sapiens-Fossilien von Peștera cu Oase in Rumänien und Ust-Ischim in Sibirien untermauerten diese Erkenntnisse,[14][15] wobei Genfluss bislang nur in eine Richtung angenommen wurde (Homo-sapiens-Männer zu Neandertalerinnen).[16] Im Jahre 2014 veröffentlichte Svante Pääbo das Buch Die Neandertaler und wir: meine Suche nach den Urzeit-Genen.[17]

Für seine Entdeckungen über die Genome ausgestorbener Homininen und die menschliche Evolution wurde Pääbo im Jahr 2022 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin zuerkannt.[18]

Veröffentlichungen (Auswahl)

Siehe auch

Literatur

  • Ulrich Bahnsen: Frühe Vielfalt – Hat der Homo sapiens einen frühen Vorfahren verdrängt oder hat er sich mit ihr kreuz und quer gepaart? Genetische Analysen sorgen für neue Spekulationen. In: Die Zeit. Nr. 17/2014, 16. April 2014, S. 35–36
  •  Claudia Eberhard-Metzger: Fahndung nach dem kleinen Unterschied (Porträt: Svante Pääbo). In: Spektrum der Wissenschaft. Nr. 11, Heidelberg 2008, ISSN 0170-2971, S. 116–122.

Weblinks

Commons: Svante Pääbo - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Einzelnachweise

  1. S. Pääbo: Molecular cloning of Ancient Egyptian mummy DNA. In: Nature, 314(6012), 1985, S. 644–645, PMID 3990798, doi:10.1038/314644a0
  2. Edda Grabar, Was den Mensch zum Menschen macht, DIE WELT vom 4. Oktober 2022
  3. Svante Pääbo. In: munzinger.de. 10. März 2020, abgerufen am 4. Oktober 2022.
  4. Elizabeth Kolbert: Sleeping with the Enemy – What happened between the Neanderthals and us? The New Yorker, 15. August 2011, Link (EN)
  5. https://www.eva.mpg.de/primate-behavior-and-evolution/staff/vigilant/
  6. W. Enard et al.: Molecular evolution of FOXP2, a gene involved in speech and language. In: Nature. Band 418, 2002, Nr. 6900, S. 869–872. PMID 12192408 Volltext (Memento vom 11. Juni 2007 im Internet Archive) (PDF)
  7. Johannes Krause, Qiaomei Fu, Jeffrey M. Good, Bence Viola, Michael V. Shunkov, Anatoli P. Derevianko und Svante Pääbo: The complete mitochondrial DNA genome of an unknown hominin from southern Siberia. In: Nature. Band 464, 2010, doi:10.1038/nature08976
    Sensationsfund „X-Woman“: Entdeckten Forscher eine neue Menschenart? faz.net, 24. März 2010. Sonja Kastilan: „Filigrane Fingergene.“
  8. Sieh an, Miss Denisova. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. Dezember 2010, S. 56
  9. Matthew Warren: Mum’s a Neanderthal, Dad’s a Denisovan: First discovery of an ancient-human hybrid. In: Nature. 560, 2018, S. 417, doi:10.1038/d41586-018-06004-0.
  10. Richard E. Green et al.: A draft sequence of the Neandertal Genome. In: Science. Band 328, 2010, S. 710–722, doi:10.1126/science.1188021
  11. M. Krings et al.: Neandertal DNA sequences and the origin of modern humans. In: Cell. Band 90, 1997, S. 19–30
  12. Keine signifikanten Beiträge des Neandertalers zum Genpool des modernen Menschen. mpg.de, 22. Juni 2015
  13. Genfluss vom Neandertaler zum Homo sapiens. mpg.de, 28. Juni 2015
  14. Frühe Europäer haben sich mit Neandertalern vermischt. Auf: mpg.de vom 12. Juli 2015, mit einer Abbildung des Unterkiefers Oase1
  15. Erbgut des bisher ältesten modernen Menschen entschlüsselt. Max-Planck-Gesellschaft vom 22. Oktober 2014
  16. Neandertaler-Genom beim Homo sapiens nachgewiesen, noch kein Nachweis von sapiens-Genom beim Neandertaler. Auf: mpg.de vom 20. Juli 2015
  17. Die Neandertaler und wir:meine Suche nach den Urzeit-Genen. S. Fischer, Frankfurt am Main 2014 (Originaltitel: Neanderthal Man: In Search of Lost Genomes, übersetzt von Sebastian Vogel), ISBN 978-3-10-060520-7.
  18. Press release: The Nobel Prize in Physiology or Medicine 2022. In: nobelprize.org, 3. Oktober 2022 (abgerufen am 3. Oktober 2022).
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