Tathandlung

Aus AnthroWiki
Version vom 20. Mai 2012, 18:35 Uhr von imported>Odyssee

Als Tathandlung bezeichnete Johann Gottlieb Fichte jene reine Tätigkeit, durch die das Ich sich selbst setzt.

„Also das Setzen des Ich durch sich selbst ist die reine Thätigkeit desselben. – Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses blossen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: das Ich ist, und es setzt sein Seyn, vermöge seines blossen Seyns. – Es ist zugleich das Handelnde, und das Product der Handlung; das Thätige, und das, was durch die Thätigkeit hervorgebracht wird; Handlung und That sind Eins und ebendasselbe; und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Thathandlung; aber auch der einzig-möglichen, wie sich aus der ganzen Wissenschaftslehre ergeben muss.“

Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre §1[1]

Rudolf Steiner bemerkte dazu:

"Nach drei verschiedenen Richtungen hin suchten die drei Idealisten, Fichte, Schelling, Hegel, den Menschengeist auf den Schauplatz des Gedankens zu erheben: Fichte, indem er in das Tiefste des menschlichen Ichs hineinzuleuchten versuchte und nicht sagte wie Descartes: Ich denke, also bin ich! Denn Fichte würde, wenn er nur hätte zu dem Gedanken des Descartes kommen können, gesagt haben: Da treffe ich ja in mir ein starres Sein, ein Sein, zu dem ich hinschauen muß. Das ist aber kein Ich. Ein Ich bin ich nur, wenn ich mein eigenes Dasein selber sichern kann jederzeit. Nicht durch den Gedankenakt, nicht durch bloßes Denken kann ich zu meinem Ich kommen, sondern durch eine Tathandlung. Das ist ein fortwährend Schöpferisches. Es ist nicht darauf angewiesen, auf sein Sein zu blicken, es verläßt sein voriges Sein; aber indem es die Kraft hat, sich im nächsten Augenblick wieder zu schaffen, aus der Tathandlung heraus, entsteht es immerfort aufs neue. Fichte ergreift den Gedanken nicht in seiner abstrakten Form, sondern in seinem unmittelbaren Leben auf dem Schauplatz des Gedankens selbst, wo er lebendig schafft und schöpferisch lebt." (Lit.: GA 064, S. 385)

Es ist damit die Grundlage gegeben, durch die sich der Mensch selbst als geistige Wesenheit erfassen kann.

"Die Tätigkeit im Ich, die unsere Geistorgane ausbildet, das ist das Sein, das sich der Mensch selbst gibt. Das ist die Tathandlung, das ist Fichtes Selbsterkenntnis. Von diesem Punkte geht es von Stufe zu Stufe bei Fichte hinauf. Lebt man sich ganz ein, erzieht man sich zu seinen Gedanken, dann findet man einen gesunden Einlaß in die Theosophie, und keiner wird es jemals zu bedauern haben, wenn er in die kristallklaren Gedankengänge Johann Gottlieb Fichtes sich einlebt, denn er findet den Weg zum geistigen Leben." (Lit.: GA 054, S. 398)

Der schöpferische Willensakt, durch den das Ich sich selbst setzt, fällt als solcher nicht in das empirische Bewusstsein, bildet aber dessen notwendige Grundlage und erscheint dadurch zugleich als Selbstbewusstsein.

„Wir haben den absolut-ersten, schlechthin unbedingten Grundsatz alles menschlichen Wissens aufzusuchen. Beweisen oder bestimmen lässt er sich nicht, wenn er absolut-erster Grundsatz seyn soll.
Er soll diejenige Thathandlung ausdrücken, welche unter den empirischen Bestimmungen unseres Bewusstseyns nicht vorkommt, noch vorkommen kann, sondern vielmehr allem Bewusstseyn zum Grunde liegt, und allein es möglich macht.“

Fichte: Grundlage der gesammten Wissenschaftslehre §1[2]

Anmerkungen

  1. Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S 96
  2. Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S 91

Literatur

  1. Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 1, Berlin 1845/1846, S. 91 [1]
  2. Rudolf Steiner: Aus schicksaltragender Zeit, GA 64 (1959), ISBN 3-7274-0640-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Die Welträtsel und die Anthroposophie, GA 54 (1983), ISBN 3-7274-0540-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.