Urteil und Urteilskraft: Unterschied zwischen den Seiten

Aus AnthroWiki
(Unterschied zwischen Seiten)
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
imported>Odyssee
Keine Bearbeitungszusammenfassung
 
Zeile 1: Zeile 1:
{{Textbox|<poem>Die Sinne trügen nicht, das Urteil trügt.
Die '''Urteilskraft''' oder '''Urteilsfähigkeit''' besteht in dem [[Vermögen]] [[Urteil]]e im Sinne der [[Logik]] zu bilden. Träger des '''Urteilsvermögens''' ist der [[Astralleib]]. Die eigenständige Urteilsfähigkeit erwacht darum beim heranwachsenden [[Kind]] normalerweise erst etwa ab dem [[12. Lebensjahr]], wenn sich die Geburt des eigenständigen [[Astralleib]]s vorbereitet, und sollte aus Sicht der [[Waldorfpädagogik]] auch nicht frühzeitig geweckt werden, sondern das Kind durch die [[liebe]]volle [[Autorität]] des [[Lehrer]]s geleitet werden.  
                  <small>[[Goethe]]: ''Maximen und Reflexionen''<ref>[[Johann Wolfgang von Goethe]]: ''Maximen und Reflexionen'', Werke - Hamburger Ausgabe Bd. 12, 9. Aufl. München: dtv, 1981, S. 408, ISBN 3423590386</ref></small></poem>}}
Als '''Urteil''' ([[Latein|lat.]] ''iudicium'', {{ELSalt|αποφανσις}}, ''apophansis'', als Glied des Schlusses ''propositio'' bzw. {{polytonisch|προτασις}}, ''protasis'' genannt) wird in der [[Logik]] die durch das [[Denken]] vollzogene Verbindung zweier [[Begriff]]e bezeichnet. Davon zu unterscheiden ist das '''Wahrnehmungsurteil''', bei dem ein Begriff mit einer [[Wahrnehmung]] verknüpft wird.
 
{{GZ|Bei aller wissenschaftlichen Bearbeitung der Wirklichkeit
ist der Vorgang dieser: Wir treten der konkreten Wahrnehmung
gegenüber. Sie steht wie ein Rätsel vor uns. In uns
macht sich der Drang geltend, ihr eigentliches Was, ihr Wesen,
das sie nicht selbst ausspricht, zu erforschen. Dieser
Drang ist nichts anderes als das Emporarbeiten eines Begriffes
aus dem Dunkel unseres Bewußtseins. Diesen Begriff
halten wir dann fest, während die sinnenfällige Wahrnehmung
mit diesem Denkprozesse parallel geht. Die stumme
Wahrnehmung spricht plötzlich eine uns verständliche
Sprache; wir erkennen, daß der Begriff, den wir gefaßt
haben, jenes gesuchte Wesen der Wahrnehmung ist.
 
Was sich da vollzogen hat, ist ein Urteil. Es ist verschieden
von jener Gestalt des Urteils, die zwei Begriffe verbindet,
ohne auf die Wahrnehmung Rücksicht zu nehmen.
Wenn ich sage: die Freiheit ist die Bestimmung eines
Wesens aus sich selbst heraus, so habe ich auch ein Urteil
gefällt. Die Glieder dieses Urteils sind Begriffe, die ich nicht
in der Wahrnehmung gegeben habe. Auf solchen Urteilen
beruht die innere Einheitlichkeit unseres Denkens, die wir
im vorigen Kapitel behandelt haben.
 
Das Urteil, welches hier in Betracht kommt, hat zum
Subjekte eine Wahrnehmung, zum Prädikate einen Begriff.
Dieses bestimmte Tier, das ich vor mir habe, ist ein Hund.
In einem solchen Urteile wird eine Wahrnehmung in mein
Gedankensystem an einem bestimmten Orte eingefügt.
Nennen wir ein solches Urteil ein Wahrnehmungsurteil.
 
''Durch das Wahrnehmungsurteil wird erkannt, daß ein bestimmter sinnenfälliger Gegenstand seiner Wesenheit nach mit einem bestimmten Begriffe zusammenfällt.''|2|64f}}
 
Träger der [[Urteilskraft]] ist der [[Astralleib]] des [[Mensch]]en; diese erwacht darum auch erst etwa mit dem [[12. Lebensjahr]], wenn sich mit der nahenden [[Geschlechtsreife]] die Geburt des eigenständigen Astralleibs ankündigt. Eben weil das Urteil eigentlich im Astralleib sitzt und dieser nicht über ein ganz [[wach]]es, sondern über ein [[Traumbewusstsein]] verfügt, können Urteile sehr gut in die träumende [[Seele]] hinuntersteigen. Darauf ist in der [[Waldorfpädagogik]] besonders Rücksicht zu nehmen.


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Das Urteil entwickelt sich ja zunächst auch, selbstverständlich, im
"Wiederum mit der Geschlechtsreife
vollwachenden Leben. Aber das Urteil kann schon hinuntersteigen in
werden andere Kräfte selbständig, die uns in die Außenwelt
die Untergründe der menschlichen Seele, da, wo die Seele träumt. Der
in der mannigfaltigsten Weise einführen. Aber in dem System
Schluß sollte nicht einmal in die träumende Seele hinunterziehen, sondern
dieser Kräfte ist zugleich enthalten das menschliche selbständige Urteilsvermögen.
nur das Urteil kann in die träumende Seele hinunterziehen. Also
So daß wir sagen können: der eigentliche Träger des
alles, was wir uns als Urteil über die Welt bilden, zieht in die träumende
menschlichen Urteilsvermögens, dasjenige im Menschen, was die Kräfte
Seele hinunter.
enthält, die ein Urteil hervorbringen, das wird im Menschen im Grunde
genommen erst mit der Geschlechtsreife geboren und bereitet sich langsam
zur Geburt vor vom 12. Jahre ab.
Wenn man dies weiß und richtig würdigen kann, dann ist man sich
auch bewußt, welche Verantwortung man übernimmt, wenn man den
Menschen zu früh an selbständiges Urteil gewöhnt. Ja, in dieser Beziehung
herrschen ja insbesondere in der Gegenwart die allerverderblichsten
Vorurteile: man möchte so früh wie möglich den Menschen an
selbständige Urteile gewöhnen.


Ja, was ist denn diese träumende Seele eigentlich? Sie ist mehr das
Wir haben gesagt: der Mensch ist so zu halten bis zur Geschlechtsreife,
Gefühlsmäßige, wie wir gelernt haben. Wenn wir also im Leben Urteile
daß er unter dem Einfluß der Autorität steht, daß er anerkennt
gefällt haben und dann über die Urteilsfällung hinweggehen und das
irgend etwas deshalb, weil es die selbstverständlich neben ihm wirkende
Leben weiterführen, so tragen wir unsere Urteile durch die Welt; aber
Autorität eben gebietet, eben so will. Wenn wir das Kind gewöhnen,
wir tragen sie im Gefühl durch die Welt. Das heißt aber weiter: das
in der richtigen Weise zu uns als Lehrer, als Erzieher zu stehen
Urteilen wird in uns eine Art Gewohnheit. Sie bilden die Seelengewohnheiten
und hinzunehmen die Wahrheit, weil wir sie als Autorität vertreten,
des Kindes aus durch die Art, wie Sie die Kinder urteilen
gerade dann bereiten wir das Kind in der richtigen Weise vor,
lehren. Dessen müssen Sie sich durchaus bewußt sein. Denn der Ausdruck
später im Leben ein freies, ein selbständiges Urteil haben zu können.
des Urteils im Leben ist der Satz, und mit jedem Satze, den Sie
Wollen wir nicht als selbstverständliche Autorität neben dem Kinde
zu dem Kinde sprechen, tragen Sie ein Atom hinzu zu den Seelengewohnheiten
stehen, wollen wir gewissermaßen verschwinden und fordern alles der
des Kindes. Daher sollte der ja Autorität besitzende
kindlichen Natur ab, dann bearbeiten wir dieses Kind so, daß wir seine
Lehrer sich immer bewußt sein, daß das, was er spricht, haften werde
Urteilsfähigkeit zu früh herausfordern, ehe das, was wir also astralischen
an den Seelengewohnheiten des Kindes." {{Lit|{{G|293|137}}}}
Leib nennen, mit der Geschlechtsreife erst selbständig frei erscheint;
wir bearbeiten das, was wir so astralischen Leib nennen, indem
es noch in der physischen Natur des Kindes drinnen wirkt. Dadurch
prägen wir dem Kinde, wenn ich mich jetzt so ausdrücken darf, in
sein Fleisch ein dasjenige, was wir ihm nur einprägen sollten in seine
Seele, Dadurch aber bereiten wir in dem Kinde etwas vor, was sein
ganzes Leben als ein Schädling in ihm leben wird. Denn es ist etwas
ganz anderes, ob wir zum freien Urteil, nachdem wir gut vorbereitet
sind, im 14., 15. Jahre heranreifen, wo der astralische Leib, der der
Träger des Urteils sein kann, frei geworden ist, oder ob wir früher
herangezogen werden zum sogenannten selbständigen Urteil. Im letzten
Fall wird nicht unser Astralisches, das heißt unser Seelisches,
herangezogen zum selbständigen Urteil, sondern da wird unser Leib
herangezogen. Unser Leib aber wird herangezogen mit allen seinen
naturgemäßen Eigenschaften, mit seinem Temperamente, mit seiner
Blutbeschaffenheit, mit alledem, was in ihm Sympathie und Antipathie
hervorruft, mit alledem, was ihm keine Objektivität gibt. Mit anderen
Worten, wenn das Kind zwischen dem 7. und 14. Jahre schon selbständig
urteilen soll, so urteilt es aus demjenigen Teil der Menschennatur
heraus, der später niemals wiederum abgestreift werden kann,
wenn wir nicht dafür sorgen, daß er selber in naturgemäßer Weise in
der Volksschulzeit versorgt wird, nämlich durch Autorität. Lassen wir
zu früh urteilen, so urteilt der Leib das ganze Leben hindurch. Dann
bleiben wir ein schwankender Mensch in unserem Urteil, der abhängig
ist von seinem Temperament, von allem möglichen in seinem Leibe.
Werden wir so vorbereitet, wie es der Natur unseres Leibes entspricht,
wie der Leib es fordert durch seine eigene Natur, werden wir zur rechten
Zeit in Anlehnung an die Autorität erzogen, dann wird in der
richtigen Weise frei dasjenige, was urteilen soll in uns, dann werden
wir später auch im Leben ein objektives Urteil gewinnen können. So
ist die beste Vorbereitung zur selbständigen, freien menschlichen Persönlichkeit
die, wenn wir das Kind nicht zu früh zu dieser freien
Persönlichkeit bringen, sondern im rechten Lebensalter."
</div>
</div>


== Zweifaches Umschmelzen geisteswissenschaftlicher Urteile ==
Eine gesunde, der [[Wirklichkeit]] angemessene Urteilskraft wird nicht durch logische Übungen, sondern viel mehr durch die geschickte Betätigung der [[Hand|Hände]] ausgebildet.
Bevor geisteswissenschaftliche Wahrheiten mitgeteilt werden können, müssen sie zweimal umgeschmolzen sein, was ein Prozeß sein kann, der sich über viele Jahre hinzieht:


<div style="margin-left:20px">
<div style="margin-left:20px">
"Nun, ich möchte sagen, in demselben Geiste fortfahrend, aus dem
"Wenn Sie an das sich erinnern, was ich gestern
heraus ich dieses gesprochen habe, möchte ich heute zunächst einiges
gesagt habe, daß der ganze Mensch eigentlich der Logiker ist, nicht
vorbringen über die Bildung eines geisteswissenschaftlichen Urteils
nur der Kopf, so werden Sie die Bedeutung der reinen Geschicklichkeitsarbeiten
überhaupt, ich meine eines solchen Urteils, das eine geisteswissenschaftliche
auch in der entsprechenden Weise würdigen lernen. Es
Wahrheit aussprechen will. Es berührt einen immer sehr eigentümlich,
war durchaus nicht bloß eine Schrulle, als die Forderung aufgetaucht
wenn man merkt, wie wenig Gefühl vorhanden ist für den
ist, bei uns sollen die Knaben auch stricken und so weiter. In dieser
Ernst, mit dem geisteswissenschaftliche Wahrheiten ausgesprochen
Betätigung der Hände drückt sich, bildet sich dasjenige aus, was tatsächlich
werden. Für das Aussprechen irgendeines Urteils innerhalb der alltäglichen
die Urteilsfähigkeit um Wesentliches erhöht. Diese Urteilsfähigkeit
Welt, die man durch seine Sinne beobachtet, da gilt es, dieses
wird am wenigsten ausgebildet beim Menschen, wenn man
Urteil durch Beobachtung oder Logik in einem bestimmten Zeitpunkte
ihn logische Übungen machen läßt. Diese logischen Übungen sind eigentlich
seines Lebens zu gewinnen. Und es ist voll berechtigt, wenn man durch
gar nicht geeignet, die Urteilsfähigkeit des Menschen auszubilden.
Beobachtung und Logik ein solches Urteil über Dinge der sinnlichen
Wenn man ihn Subjekt und Prädikat verbinden läßt, in dieser
oder der geschichtlichen Außenwelt gewonnen hat. Beim Geisteswissenschaftlichen
Weise logische Übungen machen läßt, trägt man gar nichts dazu bei,
kann es eigentlich so nicht sein. Da genügt es nicht, einmal
daß er urteilsfähiger wird. Höchstens trägt man etwas dazu bei, daß
sich der Bildung eines Urteils unterzogen zu haben, sondern da ist wesentlich
seine Urteilsfähigkeit starr wird. Er wird so ein Mensch, der im späteren
ein anderes notwendig. Da ist notwendig dasjenige, was ich die
Leben eigentlich immer nur nach einem Schema urteilen kann.
zweimalige Umschmelzung des Urteils nennen möchte. Und diese Umschmelzung
Wenn man zuviel solche gedankliche Übungen macht, erzieht man den
geschieht in der Regel nicht nach kurzen Zeiträumen, sondern
Menschen zu einem schematischen Menschen. Außerdem hat dieses
meistens nach langen Zeiträumen. Man faßt irgendein Urteil nach
Urteilüben keine andere Folge, als daß zuviel Salz abgelagert wird
den gewöhnlichen Methoden, die Sie ja kennen aus meiner Darstellung
und der Mensch durchsalzt wird. Er neigt dann allzuleicht zu Schweißbildung,
in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» oder aus dem
die wir allzugut bemerken können, wenn wir Kinder zu stark
zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft»; man gelangt, sage ich,
urteilsfähig anstrengen. Dann schwitzen sie in der Nacht zuviel. Das
durch solche Methoden zu irgendeinem Urteil über geistige Vorgänge
ist überhaupt so: wenn wir richtig geistig sein wollen, ohne daß wir
oder geistige Wesenheiten. Man hat jetzt eigentlich die Verpflichtung,
wissen, daß das Physisch-Leibliche der reine Ausdruck des Geistigen
dieses Urteil zunächst bei sich selbst zu behalten, es nicht auszusprechen.
ist, wenn wir zu stark einseitig geistig sein wollen, so behandeln wir
Ja man hat sogar die innere Verpflichtung, dieses Urteil vor sich
zumeist den Leib, und zwar zumeist in falscher Weise. Die Pädagogik,
selbst so zu behandeln, daß man es zunächst als eine bloße Tatsache
wie die [[Wikipedia:Johann Friedrich Herbart|Herbartsche]] Pädagogik, die vorzugsweise von einer Behandlung
hinnimmt und ihm weder mit Zustimmung noch mit Ablehnung entgegenkommt.
des Vorstellungsvermögens ausgeht, hat im Effekt das Ruinieren
Dann wird man nach einiger Zeit, vielleicht nach Jahren
des menschlichen Leibes. Und das muß man als Erziehender und Unterrichtender
erst, dazu kommen, in dem eigenen Seelenleben die erste Umschmelzung
durchaus wissen." {{Lit|{{G|302|49f}}}}
dieses Urteils vorzunehmen, es zu vertiefen, ja es in vieler Beziehung
zu verwandeln. Es wird dieses Urteil, selbst wenn es inhaltlich
dasselbe bleibt nach dieser Umschmelzung, eine andere Nuance von
innerem Anteil, von innerer ihm zuerteilter Wärme zum Beispiel, annehmen.
Es wird unter allen Umständen nach dieser ersten Umschmelzung
sich in anderer Weise als beim ersten Fassen in das Seelenleben
einverleiben, und man wird nach dieser ersten Umschmelzung das Gefühl
haben: Du hast dich selber in einer gewissen Wei§e von dem Urteil
getrennt. - Wenn es zu der ersten Umschmelzung Jahre dauert, so kann
man ja auch nicht immerfort dieses Urteil in seiner Seele weiterwälzen.
Dieses Urteil geht natürlich ins Unbewußte hinunter. Dieses Urteil
führt unabhängig von dem Ich ein eigenes Leben. Das ist notwendig.
Solch ein Urteil muß unabhängig von dem eigenen Ich ein selbständiges
Leben führen. Man muß gewissermaßen ein solches Urteil leben
lassen, ohne daß man dabei ist. Dadurch schmilzt man aus dem Urteil
die Egoität heraus. Man übergibt es demjenigen, was in einem selber
objektiv ist, während beim ersten Beobachten und bei dem ersten
logischen Zusammenstellen des Urteils eben die Egoität, das eigene
Ich, immer mitwirkt und mitspielt. Und dann, wenn das Urteil zum
ersten Male - wie gesagt, vielleicht nach Jahren - umgeschmolzen ist,
dann wird man merken: Dieses Urteil kommt wieder, kommt einem
aus den Seelentiefen so zu, wie irgendeine Tatsache der Außenwelt.
Man hat es in der Zwischenzeit verloren gehabt, man findet es wieder.
Man findet es wieder so, daß es einem jetzt sagt: Du hast mich unvollkommen,
du hast mich vorerst vielleicht irrtümlich gefällt; ich habe
mich selber richtiggestellt. - Dieses Urteil wird der wahre Geisteswissenschafter
suchen, dieses Urteil, das sein eigenes Leben in der
menschlichen Seele entfaltet. Geduld, viel Geduld gehört zu einem
solchen Umschmelzen des Urteils, denn, wie gesagt, es ist oftmals erst
nach Jahren möglich, diese Umschmelzung herbeizuführen, und die
Gewissenhaftigkeit, die bei der Geisteswissenschaft entfaltet werden
muß, die verlangt eben durchaus, daß man nicht sich sprechen läßt,
sondern daß man die Dinge sprechen läßt.
 
Aber nun, meine lieben Freunde, wenn man ein Urteil also umgeschmolzen
hat, dann erlangt man gerade diesem umgeschmolzenen, ich
möchte sagen, aus der Objektivität wieder an einen herantretenden
Urteile gegenüber das starke Gefühl: Man ist mit diesem Urteil, trotzdem
man es sich objektiv hat wiedergeben lassen, dennoch in sich. Und
noch immer kann es durchaus so sein, daß man sich durchaus außerstande
fühlt, ein solches Urteil über eine geisteswissenschaftliche Angelegenheit
schon abzugeben. Denn man hat eben die Aufgabe, die
Dinge sprechen zu lassen und nicht sich sprechen zu lassen. Daher
wartet man auf die zweite Umschmelzung des Urteils, bis zu der es
unter Umständen wiederum Jahre dauern kann. So daß man also nach
der zweiten Umschmelzung des Urteils eine dritte Gestalt des Urteils
hat. Da wird man einen bedeutsamen Unterschied merken zwischen
dem, was vorgeht in dem Zeitraum zwischen der ersten Fassung des
Urteils und der ersten Umschmelzung, und zwischen der ersten Umschmelzung
und der zweiten Umschmelzung. Man wird nämlich merken,
daß man in einer verhältnismäßig leichten Weise zwischen dem
ersten Fassen und der ersten Umschmelzung das Urteil wiederum in
das Gedächtnis heraufbringen konnte. Zwischen der ersten Umschmelzung
und der zweiten Umschmelzung hat man die größte Mühe, das
Urteil wieder in Erinnerung zu bringen, denn es geht in tiefe, tiefe
Seelenuntergründe hinunter, in Seelenuntergründe, in die ein zunächst
an der Außenwelt leicht geschürztes Urteil gar nicht hinuntergeht. Ein
so umgeschmolzenes Urteil geht in tiefe Seelenuntergründe hinunter,
und da lernt man erst kennen, wenn man dann ein solches Urteil zwischen
der ersten Umschmelzung heraufbringen will in die Seele, wie es
oft eines Ringens bedarf, um ein solches Urteil ins Gedächtnis zu rufen.
Unter dem Urteile meine ich jetzt die Anschauung der ganzen Tatsache,
wenn es sich auf eine geisteswissenschaftliche Tatsache bezieht.
Und dann, wenn man das Urteil in der dritten Gestalt bekommt, dann
weiß man, dieses Urteil ist bei der Sache oder bei dem Vorgang gewesen,
auf den es sich bezieht oder auf die es sich bezieht. Das Urteil
zwischen dem ersten Fassen und der ersten Umschmelzung ist noch bei
einem selbst geblieben, aber zwischen dem ersten und zweiten Umschmelzen
ist das Urteil untergetaucht in die objektiv geistige Tatsache
oder die objektiv geistige Wesenheit, und man merkt: die Sache selber
gibt einem mit dieser dritten Gestalt das Urteil, das eben eine Anschauung
ist, zurück. Und jetzt erst fühlt man sich eigentlich gegenüber
den geisteswissenschaftlichen Tatsachen berufen, Mitteilung von
der Anschauung beziehungsweise dem Urteile zu machen. Mitteilung
macht man erst dann, wenn man diese zweifache Umschmelzung vollzogen
hat und dadurch die Gewißheit erhalten hat, daß dasjenige, was
man erst angeschaut hat in der ersten Fassung, durch die Seele selber
den Weg genommen hat zu den Tatsachen, zu den Dingen hin und von
diesen wiederum zurückgekommen ist. Ja, ein Urteil, das abgegeben
wird in gültiger Weise auf geisteswissenschaftlichem Gebiete, ein solches
Urteil hat man erst geschickt zu den Tatsachen oder Wesenheiten,
über die es sprechen will.
 
Sehen Sie, dem, was ich jetzt gesagt habe, wird man nicht fernestehen, wenn man über wesentliche und bedeutungsvolle geisteswissenschaftliche
Tatsachen die Darstellungen richtig auffaßt. Wenn man
freilich Zyklen so liest, wie man moderne Romane liest, dann wird
man nicht aus der Fassung selber erkennen, daß das Wesentliche, der
eigentliche Beweis in dieser zweimaligen Umschmelzung des Urteils
liegt. Und man wird dann sagen, das sei eine Behauptung, das sei kein
Beweis. Ja, ein anderer Beweis als das Erleben, aber das gewissenhafte
Erleben nach zweimaliger Umschmelzung des Urteils, ein anderer Beweis
kann für Geistiges nicht aufgezeigt werden. Denn das Beweisen
des Geistigen besteht in einem Erleben. Das Begreifen nicht. Das Begreifen
ist dem gesunden Menschenverstände nach einer hinlänglichen
Darstellung überall zugänglich. Aber diese hinlängliche Darstellung
muß die Möglichkeit geben, aus der Fassung der Sache eben dem gesunden
Menschenverstände alle Anhaltspunkte zu liefern, damit er aus
dieser Art der Darstellung sich überzeugen kann, daß durch das «Wie»
des gegebenen Urteils seine Wahrheit verbürgt ist.
 
Es macht immer einen höchst eigentümlichen Eindruck, wenn Leute
kommen und sagen: Geisteswissenschaftliche Wahrheiten sollen in derselben
Weise bewiesen werden, wie etwa Behauptungen über äußerlich
sinnliche Tatsachen. Menschen, die dies fordern, kennen eben noch gar
nicht den Unterschied zwischen dem, was eine Anschauung auf dem
geistigen Gebiet ist, und demjenigen, was eine Anschauung auf dem
Sinnes- oder gewöhnlichen historischen Gebiete ist. Derjenige, welcher
Anthroposophie kennenlernt, wird bemerken, wie die einzelne Wahrheit,
die vertreten wird, sich in den Zusammenhang der ganzen Anthroposophie
hineinstellt. Und er wird einfach in demjenigen, das er
im Zusammenhang kennengelernt hat, eine Bekräftigung einer neuen
Wahrheit finden, die er hört. Und wiederum: die neue Wahrheit wird
zurückwirken auf dasjenige, was er schon gehört hat. Und so ist mit
Anthroposophie bekannt werden ein fortwährendes Wachsen in der
Überzeugung von der Wahrheit der Anthroposophie. Von einer mathematischen
Wahrheit kann man im Augenblick überzeugt sein, aber
sie hat deshalb auch kein Leben. Das Anthroposophische ist Leben, daher
ist auch die Überzeugung nicht in einem Augenblick abgeschlossen,
das heißt, sie lebt, sie vergrößert sich fortwährend. Ich möchte sagen,
die anthroposophische Überzeugung ist zunächst ein Baby, wo man
noch ganz unsicher ist, wo man fast nur einen Glauben hat oder nur
einen Glauben hat; dann wächst sich diese Überzeugung, indem man
immer mehr und mehr kennenlernt, allmählich auch immer sicherer
und sicherer aus. Dieses Auswachsen der anthroposophischen Überzeugung
ist eben ein Zeuge von ihrer inneren Lebendigkeit." {{G|257|035}}ff.
</div>
</div>


== Siehe auch ==
== Literatur ==
* {{Eisler|Urteil}}
* {{Kirchner|Urteil}}
* {{UTB-Philosophie|Dr. Thomas Zwenger|921|Urteil}}
 
== Anmerkungen ==


<references />
#Rudolf Steiner: ''Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft'', [[GA 301]] (1991), ISBN 3-7274-3010-9 {{Vorträge|301}}
 
#Rudolf Steiner: ''Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung'', [[GA 302]] (1986), ISBN 3-7274-3020-6 {{Vorträge|302}}
== Literatur ==


#Rudolf Steiner: ''Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung''. 8. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2002, ISBN 3-7274-0020-X {{Schriften|002}}
#Rudolf Steiner: ''Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik'', [[GA 293]] (1992), ISBN 3-7274-2930-5 {{Vorträge|293}}
#Rudolf Steiner: ''Anthroposophische Gemeinschaftsbildung'', [[GA 257]] (1989), ISBN 3-7274-2570-9 {{Geschichte|257}} {{Vorträge1|144}}
{{GA}}
{{GA}}


[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Denken]] [[Kategorie:Logik]] [[Kategorie:Erkenntnistheorie]] [[Kategorie:Wissenschaftstheorie]]
[[Kategorie:Philosophie]] [[Kategorie:Denken]] [[Kategorie:Logik]] [[Kategorie:Pädagogik]] [[Kategorie:Waldorfpädagogik]]

Aktuelle Version vom 22. Mai 2011, 18:04 Uhr

Die Urteilskraft oder Urteilsfähigkeit besteht in dem Vermögen Urteile im Sinne der Logik zu bilden. Träger des Urteilsvermögens ist der Astralleib. Die eigenständige Urteilsfähigkeit erwacht darum beim heranwachsenden Kind normalerweise erst etwa ab dem 12. Lebensjahr, wenn sich die Geburt des eigenständigen Astralleibs vorbereitet, und sollte aus Sicht der Waldorfpädagogik auch nicht frühzeitig geweckt werden, sondern das Kind durch die liebevolle Autorität des Lehrers geleitet werden.

"Wiederum mit der Geschlechtsreife werden andere Kräfte selbständig, die uns in die Außenwelt in der mannigfaltigsten Weise einführen. Aber in dem System dieser Kräfte ist zugleich enthalten das menschliche selbständige Urteilsvermögen. So daß wir sagen können: der eigentliche Träger des menschlichen Urteilsvermögens, dasjenige im Menschen, was die Kräfte enthält, die ein Urteil hervorbringen, das wird im Menschen im Grunde genommen erst mit der Geschlechtsreife geboren und bereitet sich langsam zur Geburt vor vom 12. Jahre ab. Wenn man dies weiß und richtig würdigen kann, dann ist man sich auch bewußt, welche Verantwortung man übernimmt, wenn man den Menschen zu früh an selbständiges Urteil gewöhnt. Ja, in dieser Beziehung herrschen ja insbesondere in der Gegenwart die allerverderblichsten Vorurteile: man möchte so früh wie möglich den Menschen an selbständige Urteile gewöhnen.

Wir haben gesagt: der Mensch ist so zu halten bis zur Geschlechtsreife, daß er unter dem Einfluß der Autorität steht, daß er anerkennt irgend etwas deshalb, weil es die selbstverständlich neben ihm wirkende Autorität eben gebietet, eben so will. Wenn wir das Kind gewöhnen, in der richtigen Weise zu uns als Lehrer, als Erzieher zu stehen und hinzunehmen die Wahrheit, weil wir sie als Autorität vertreten, gerade dann bereiten wir das Kind in der richtigen Weise vor, später im Leben ein freies, ein selbständiges Urteil haben zu können. Wollen wir nicht als selbstverständliche Autorität neben dem Kinde stehen, wollen wir gewissermaßen verschwinden und fordern alles der kindlichen Natur ab, dann bearbeiten wir dieses Kind so, daß wir seine Urteilsfähigkeit zu früh herausfordern, ehe das, was wir also astralischen Leib nennen, mit der Geschlechtsreife erst selbständig frei erscheint; wir bearbeiten das, was wir so astralischen Leib nennen, indem es noch in der physischen Natur des Kindes drinnen wirkt. Dadurch prägen wir dem Kinde, wenn ich mich jetzt so ausdrücken darf, in sein Fleisch ein dasjenige, was wir ihm nur einprägen sollten in seine Seele, Dadurch aber bereiten wir in dem Kinde etwas vor, was sein ganzes Leben als ein Schädling in ihm leben wird. Denn es ist etwas ganz anderes, ob wir zum freien Urteil, nachdem wir gut vorbereitet sind, im 14., 15. Jahre heranreifen, wo der astralische Leib, der der Träger des Urteils sein kann, frei geworden ist, oder ob wir früher herangezogen werden zum sogenannten selbständigen Urteil. Im letzten Fall wird nicht unser Astralisches, das heißt unser Seelisches, herangezogen zum selbständigen Urteil, sondern da wird unser Leib herangezogen. Unser Leib aber wird herangezogen mit allen seinen naturgemäßen Eigenschaften, mit seinem Temperamente, mit seiner Blutbeschaffenheit, mit alledem, was in ihm Sympathie und Antipathie hervorruft, mit alledem, was ihm keine Objektivität gibt. Mit anderen Worten, wenn das Kind zwischen dem 7. und 14. Jahre schon selbständig urteilen soll, so urteilt es aus demjenigen Teil der Menschennatur heraus, der später niemals wiederum abgestreift werden kann, wenn wir nicht dafür sorgen, daß er selber in naturgemäßer Weise in der Volksschulzeit versorgt wird, nämlich durch Autorität. Lassen wir zu früh urteilen, so urteilt der Leib das ganze Leben hindurch. Dann bleiben wir ein schwankender Mensch in unserem Urteil, der abhängig ist von seinem Temperament, von allem möglichen in seinem Leibe. Werden wir so vorbereitet, wie es der Natur unseres Leibes entspricht, wie der Leib es fordert durch seine eigene Natur, werden wir zur rechten Zeit in Anlehnung an die Autorität erzogen, dann wird in der richtigen Weise frei dasjenige, was urteilen soll in uns, dann werden wir später auch im Leben ein objektives Urteil gewinnen können. So ist die beste Vorbereitung zur selbständigen, freien menschlichen Persönlichkeit die, wenn wir das Kind nicht zu früh zu dieser freien Persönlichkeit bringen, sondern im rechten Lebensalter."

Eine gesunde, der Wirklichkeit angemessene Urteilskraft wird nicht durch logische Übungen, sondern viel mehr durch die geschickte Betätigung der Hände ausgebildet.

"Wenn Sie an das sich erinnern, was ich gestern gesagt habe, daß der ganze Mensch eigentlich der Logiker ist, nicht nur der Kopf, so werden Sie die Bedeutung der reinen Geschicklichkeitsarbeiten auch in der entsprechenden Weise würdigen lernen. Es war durchaus nicht bloß eine Schrulle, als die Forderung aufgetaucht ist, bei uns sollen die Knaben auch stricken und so weiter. In dieser Betätigung der Hände drückt sich, bildet sich dasjenige aus, was tatsächlich die Urteilsfähigkeit um Wesentliches erhöht. Diese Urteilsfähigkeit wird am wenigsten ausgebildet beim Menschen, wenn man ihn logische Übungen machen läßt. Diese logischen Übungen sind eigentlich gar nicht geeignet, die Urteilsfähigkeit des Menschen auszubilden. Wenn man ihn Subjekt und Prädikat verbinden läßt, in dieser Weise logische Übungen machen läßt, trägt man gar nichts dazu bei, daß er urteilsfähiger wird. Höchstens trägt man etwas dazu bei, daß seine Urteilsfähigkeit starr wird. Er wird so ein Mensch, der im späteren Leben eigentlich immer nur nach einem Schema urteilen kann. Wenn man zuviel solche gedankliche Übungen macht, erzieht man den Menschen zu einem schematischen Menschen. Außerdem hat dieses Urteilüben keine andere Folge, als daß zuviel Salz abgelagert wird und der Mensch durchsalzt wird. Er neigt dann allzuleicht zu Schweißbildung, die wir allzugut bemerken können, wenn wir Kinder zu stark urteilsfähig anstrengen. Dann schwitzen sie in der Nacht zuviel. Das ist überhaupt so: wenn wir richtig geistig sein wollen, ohne daß wir wissen, daß das Physisch-Leibliche der reine Ausdruck des Geistigen ist, wenn wir zu stark einseitig geistig sein wollen, so behandeln wir zumeist den Leib, und zwar zumeist in falscher Weise. Die Pädagogik, wie die Herbartsche Pädagogik, die vorzugsweise von einer Behandlung des Vorstellungsvermögens ausgeht, hat im Effekt das Ruinieren des menschlichen Leibes. Und das muß man als Erziehender und Unterrichtender durchaus wissen." (Lit.: GA 302, S. 49f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft, GA 301 (1991), ISBN 3-7274-3010-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung, GA 302 (1986), ISBN 3-7274-3020-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.