Theory of mind

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Theory of Mind (kurz: ToM, eng. „Theorie des Geistes“) ist eine in der Psychologie bzw. Kognitionswissenschaften gebräuchliche Hypothese, welche die Fähigkeit bezeichnet, mentale Zustände, d.h. Überzeugungen, Absichten, Wünsche, Emotionen, Wissen usw., auf sich selbst und auf andere zu übertragen und zu verstehen, dass andere Menschen Überzeugungen, Wünsche, Absichten und Perspektiven haben, die sich von denen der eigenen unterscheiden[1]. Studien legen nahe, dass auch Primaten über einige Schlüsselaspekte einer „Theory of Mind“ verfügen[2][3].

Differenziert wird zwischen einer affektiven und kognitiven Theory of Mind. Erstere befähigt dazu, die Emotionen anderer zu erkennen und entspricht damit in etwa der Empathie, während die kognitive ToM dazu dient, die Absichten anderer Menschen zu erschließen. Die Hypothese der ToM beruht dabei auf der Annahme, dass nur das eigene Bewusstsein unmittelbar zugänglich ist und das Innenleben anderer nur indirekt auf Basis eigener Erfahrungen erschlossen werden kann.

Die Theory of Mind steht im engen Zusammenhang mit dem von den britischen Psychologen und Psychoanalytikern Peter Fonagy (* 1952) und Mary Target entwickelten Konzept der Mentalisierung, das auf der Fähigkeit beruht, „das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren.[4]“ Sie wollen damit noch deutlicher zum Ausdruck bringen, dass es sich dabei um einen aktiven psychischen Prozess handel, der bereits in den ersten Lebensmonaten beginnt und dessen Grundlagen etwa im vierten Lebensjahr klar ausgeprägt sind. Das entspricht ungefähr dem Zeitpunkt, zu dem das Ich-Bewusstsein des Kindes erwacht.

Die Theory of Mind gilt als entscheidend für alltägliche menschliche soziale Interaktionen und wird bei der Analyse, Beurteilung und Ableitung des Verhaltens anderer verwendet. Defizite können bei Menschen mit Störungen aus dem Autismus-Spektrum[5][6][7], Schizophrenie, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)[8], Kokainabhängigkeit[9], und Hirnschädigungen durch Alkoholvergiftung auftreten[10].

Aus anthroposophischer Sicht konnte sich die Empathiefähigkeit bzw. Mitleidsfähigkeit erst in der griechisch-lateinischen Zeit entwickeln, nachdem die Verstandes- oder Gemütsseele einen gewissen Reifegrad erreicht hatte und sich der Wille als eigenständige Seelenkraft von den noch sehr eng miteinander verbundenen Seelenfähigkeiten des Denkens und Fühlens abgesondert hatte. Die kognitive Theory of Mind, bei der die verstandesmäßige Interpretation des Verhaltens anderer in den Vordergrund tritt, ist ein typisches Kennzeichen unseres gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalters, in dem sich das Denken nun auch immer stärker vom Fühlen abtrennt.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Franz Resch u. a.: Entwicklungspsychopathologie des Kindes- und Jugendalters. Ein Lehrbuch. 2. Auflage. Belz, Weinheim 1999, ISBN 3-621-27445-6.
  2. Primatenkognition. In: Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, abgerufen am 31. Januar 2019.
  3. Premack, David; Woodruff, Guy (December 1978). "Does the chimpanzee have a theory of mind?". Behavioral and Brain Sciences, Special Issue: Cognition and Consiousness in Nonhuman Species. 1 (4), 1978, pp. 515–526 doi:10.1017/S0140525X00076512
  4. P. Fonagy, G. Gergely, E. Jurist, M. Target: Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Klett–Cotta, Stuttgart 2002, ISBN 978-3608943849.
  5. Rüdiger Kißgen, Roland Schleiffer: Zur Spezifitätshypothese eines Theory-of-Mind Defizits beim Frühkindlichen Autismus. In: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie. Band 30, Nr. 1, 2002, S. 29–40, (Volltext). (PDF; 389 kB)
  6. A. Senju, V. Southgate, Y. Miura, T. Matsui, T. Hasegawa, Y. Tojo, G. Csibra: Absence of spontaneous action anticipation by false belief attribution in children with autism spectrum disorder. In: Development and Psychopathology. Band 22, Nr. 2, 2010, S. 353–360. doi:10.1017/S0954579410000106
  7. M. V. Lombardo, B. Chakrabarti, E. T. Bullmore, S. Baron-Cohen, MRC AIMS Consortium: Specialization of right temporo-parietal junction for mentalizing and its relation to social impairments in autism. In: NeuroImage. Band 56, Nr. 3, 2011, S. 1832–1838, doi:10.1016/j.neuroimage.2011.02.067, PMID 21356316
  8. B. Korkmaz: Theory of mind and neurodevelopmental disorders of childhood. Pediatr. Res. 69 (5 Pt 2), May 2011, pp. 101R–108R. doi:10.1203/PDR.0b013e318212c177 PMID 21289541
  9. Sanvicente-Vieira, Breno; Kluwe-Schiavon, Bruno; Corcoran, Rhiannon; Grassi-Oliveira, Rodrigo: Theory of Mind Impairments in Women With Cocaine Addiction. J Stud Alcohol Drugs. 78 (2), March 2017, pp. 258–267. doi:10.15288/jsad.2017.78.258 PMID 28317506.
  10. Uekermann J., Daum I.: Social cognition in alcoholism: a link to prefrontal cortex dysfunction?. Addiction. 103 (5), May 2008, pp. 726–35. doi:10.1111/j.1360-0443.2008.02157.x. PMID 18412750.