Deduktiv-nomologisches Modell

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Das deduktiv-nomologische Modell (DN-Modell), auch Hempel-Oppenheim-Schema genannt (HO-Schema) genannt, ist ein formales Modell zur wissenschaftlichen Erklärung kausaler Zusammenhänge mittels der natürlichen Sprache. Das logische Grundprinzip ist bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt und wurde von Karl Popper in seiner 1935 veröffentlichten Logik der Forschung angewendet und formal von Carl Gustav Hempel und Paul Oppenheim in ihrem 1948 veröffentlichten Artikel Studies in the Logic of Explanation[1] ausgearbeitet. Das Erklärungsschema beruht darauf, dass der zu begründende Satz als Explanandum durch logischen Schluss derart auf den als Erklärung dienenden Satz - das Explanans - zurückgeführt wird, dass damit der Nachweis erbracht wird, dass sich das betrachtete Phänomen als spezieller Fall allgemeiner Gesetzmäßigkeiten L1, L2, ..., Lr (von lat. lex „Gesetz“) unter den gegebenen besonderen Bedingungen C1, C2, ..., Ck (von lat. conditio „Bedingung“) erweist.

„Wir unterteilen eine Erklärung in zwei wesentliche Bestandteile, das Explanandum und das Explanans. Unter dem Explanandum verstehen wir den Satz, der das zu erklärende Phänomen beschreibt (nicht dieses Phänomen selbst); unter den Explanans die Klasse derjenigen Sätze, die zur Erklärung des Phänomens verwendet werden. Wie bereits erwähnt, gliedert sich die Erklärung in zwei Unterklassen; eine davon enthält bestimmte Sätze C1, C2, ..., Ck, die spezifische Vorbedingungen enthalten; die andere ist ein Satz von Sätzen L1, L2, ..., Lr, die allgemeine Gesetze darstellen.“

„We divide an explanation into two major constituents, the explanandum and the explanans. By the explanandum, we understand the sentence describing the phenomenon to be explained (not that phenomenon itself); by the explanans, the class of those sentences which are adduced to account for the phenomenon. As was noted before, the explanans falls into two subclasses; one of these contains certain sentences C1, C2, ..., Ck, which state specific antecedent conditions; the other is a set of sentences L1, L2, ..., Lr, which represent general laws.“

Hempel, Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation, S. 136f

Damit das Explanans das Explanandum angemessen erklärt, müssen folgende Bedingungen erfüllt sein:

I. Logische Bedingungen:

  • (R1) Das Explanandum muss eine logische Konsquenz des Explanans sein.
  • (R2) Das Explanans muss allgemeine Gesetzmäßigkeiten enthalten, die tatsächlich zur Ableitung des Explanandums notwendig sind.
  • (R3) Das Explanans muss einen empirischen Inhalt haben, d.h. es muss entsprechende Vorhersagen ermöglichen, die zumindest im Prinzip durch Experiment oder Beobachtung überprüfbar sind.

II. Empirische Bedingungen:

  • (R4) Die Sätze, welche das Explanans konstituieren, müsssen wahr sein.

Damit ergibt sich folgendes logisches Deduktionsschema:

C1, C2, ..., Ck Vorbedingungen Explanans
L1, L2, ..., Lr allgemeine Gesetzmäßigkeiten Explanans
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E Beschreibung des zu erklärenden empirischen Phänomens Explanandum

Die Phänomene können dabei durch Gesetze von unterschiedlichem Allgemeinheitsgrad erklärt werden. So kann etwa die Bewegung der Planeten auf einfache Weise durch die Keplerschen Gesetze beschrieben werden, aber auch durch das viel allgemeinere Gravitationsgesetz in Zusammenhang mit den newtonschen Gesetzen der klassischen Mechanik oder am allgemeinsten durch die Allgemeine Relativitätstheorie. Dabei können bei komplexeren Phänomenen auch ganz überraschend neue emergente Eigenschaften auftreten, die sich aus den bisher bekannten Gesetzen nicht stimmig ableiten lassen. Diese dürfen aber aber laut Hempel und Oppenheimer nicht als prinzipiell unerklärliche „Wunder“ hingenommen werden, sondern harren der Erklärung durch künftig noch zu entdeckende Gesetzmäßigkeiten - darin bestehe ja gerade der Fortschritt der wissenschaftlichen Forschung.

„Was seinen kognitiven Inhalt betrifft, so kann man die behauptete Emergenz der Phänomene des Lebens nun grob als elliptische Formulierung der folgenden Aussage ansehen: Bestimmte spezifizierbare biologische Phänomene können nicht mit Hilfe zeitgenössischer physikalisch-chemischer Theorien auf Grundlage der Daten über die physikalischen und chemischen Eigenschaften der atomare und molekulare Bestandteile von Organismen erklärt werden. Ebenso reduziert sich das sogenannte emergente Phänomen des Geistes auf die Behauptung, dass die heutige physikalische, chemische und biologische Theorien nicht ausreichen, um alle psychologischen Phänomene durch die Datengrundlage für die physikalischen, chemischen und biologischen Eigenschaften der Zellen oder der Moleküle oder Atome zu erklären, die die betreffenden Organismen bilden. Aber nach dieser Interpretation wir der emergente Charakter der biologischen und psychologischen Phänomene trivial; die Beschreibung verschiedener biologischer Phänomene erfordert Begriffe, die nicht im Vokabular der heutigen Physik und Chemie enthalten sind; daher können wir nicht erwarten, dass alle spezifischen biologischen Phänomene mittels der heutigen physikalisch-chemischen Methoden erklärbar, d.h. deduktiv ableitbar sind durch Theorien auf der Grundlage von Ausgangsbedingungen, die selbst ausschließlich in physikalisch-chemischer Begriffen beschrieben werden. Um eine weniger triviale Interpretation für die Behauptung zu erreichen, dass die Phänomene des Lebens emergent sind, müssen wir daher alle derzeit bekannten Gesetze in die Erklärung aufzunehmen, die die physikalisch-chemische mit der biologischen "Ebene" verbinden, d.h. die einerseits bestimmte physikalische und chemische Begriffe, einschließlich der zur Beschreibung von molekularen Strukturen erforderlichen, und andererseits bestimmte Konzepte der Biologie enthalten. Eine analoge Beobachtung gilt für den Fall der Psychologie. Wenn die Behauptung, dass Leben und Verstand einen emergenten Status haben, in diesem Sinn interpretiert wird, dann kann diese Annahme ungefähr durch die Aussage zusammengefasst werden, dass derzeit keine Erklärung, in Begriffen der Mikrostruktur-Theorien, für große Klassen von Phänomenen, die in Biologie und Psychologie studiert wurden, verfügbar ist.“

„As far as its cognitive content is concerned, the emergentist assertion that the phenomena of life are-emergent may now be construed, roughly, as an elliptic formulation of the following statement: Certain specifiable biological phenomena cannot be explained, by means of contemporary physico-chemical theories, on the basis of data concerning the physical and chemical characteristics of the atomic and molecular constituents of organisms. Similarly, the so-called emergent status of mind reduces to the assertion that present-day physical, chemical and biological theories do not suffice to explain all psychological phenomena on the basis of data concerning the physical, chemical, and biological characteristics of the cells or of the molecules or atoms constituting the organisms in question. But in this interpretation, the emergent character of biological and psychological phenomena becomes trivial; for the description of various biological phenomena requires terms which are not contained in the vocabulary of present day physics and chemistry; hence we cannot expect that all specifically biological phenomena are explainable, i.e. deductively inferable, by means of present day physicochemical theories on the basis of initial conditions which themselves are described in exclusively physico-chemical terms. In order to obtain a less trivial interpretation of the assertion that the phenomena of life are emergent, we have therefore to include in the explanatory theory all those laws known at present which connect the physico-chemical with the biological "level", i.e., which contain, on the one hand, certain physical and chemical terms, including those required for the description of molecular structures, and on the other hand, certain concepts of biology. An analogous observation applies to the case of psychology. If the assertion that life and mind have an emergent status is interpreted in this sense, then its import can be summarized approximat.ely by the statement that no explanation, in terms of micro-structure theories, is available at present for large classes of phenomena studied in biology and psycbology.“

– Hempel, Oppenheim

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Carl Gustav Hempel, Paul Oppenheim: Studies in the Logic of Explanation, in: Philosophy of Science 15 (1948), 135–175; reproduziert in Hempel, Aspects of Scientific Explanation; pdf