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Die Grundlage jeder '''Konstruktion''' (von [[lat.]] ''construere'' „zusammenbauen, zusammenschichten“, aus ''con'' „zusammen“ und ''struere'' „aufbauen, schichten“) ist der systematische [[Gedanke|gedankliche]] Aufbau einer [[Sache]] bzw. eines Gedankengebäudes.
 
Im engeren Sinn bedeutet '''Konstruieren''':
 
* In der [[Geometrie]] das [[Zeichnen]] einer [[Geometrische Figur|geometrischen Figur]].
* In der [[Architektur]] und [[Technik]] der Entwurf, die Planung und der Aufbau einer greifbaren Sachen bzw. die so gefertigte, zumeist aus passend vorgefertigten [[Teil]]en zusammengesetzte Sache.
* In der [[Sprachwissenschaft]] bzw. [[Grammatik]] die Zusammensetzung von [[Wörter]]n, [[Phrase]]n und [[Satz|Sätzen]] entsprechend der [[Syntax]] der jeweiligen [[Sprache]].
 
== Begriffsbildung durch innerliches Konstruieren ==
 
[[Begriffe]] werden durch innerliches '''Konstruieren''' gebildet. Im Gegensatz zum [[Gestaltung|Gestalten]], das einen [[Intuition|intuitiv]] [[ganzheit]]lichen Charakter hat, ist das begriffliche [[Denken]] [[diskursiv]], indem es von einem bestimmten [[Begriff]] zu einem bestimmten anderen [[Logik|logisch]] fortschreitet und das ganze Gedankengebilde Schritt für Schritt gedanklich lückenlos nachvollziehbar aus seinen Teilen aufbaut, wie es für eine [[wissenschaft]]liche Betrachtung unerlässlich ist.
 
{{GZ|Die Vorstellung steht mit der
äußeren Wahrnehmung in Verbindung, der Begriff ist entstanden
durch inneres Konstruieren. Immer haben die Menschen so innerlich
konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat ''Kepler'', als er
seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie
dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit.
 
Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine
Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration
ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich zu
machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen,
er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.
 
Unsere heutige Geisteskultur ist in ihrem Denken eigentlich -
außer in der Mathematik - noch nicht über das bloße Vorstellen
hinausgekommen. Für den Geistesforscher ist es manchmal grotesk
zu sehen, wie wenig die Menschen hinausgekommen sind über das
bloße Vorstellen. Die Menschen glauben meistens, der Begriff stamme
aus der Vorstellung und sei nur blasser, weniger inhaltsvoll als
diese. Sie glauben zum Beispiel zum Begriff des Pferdes zu gelangen,
indem sie nacheinander große, kleine, braune, weiße und schwarze
Pferde in ihrer Wahrnehmung auftauchen sehen; und nun nehme
ich mir - so urteilen die Menschen weiter - aus der Wahrnehmung
dieser verschiedenen Pferde das allen Pferden Gemeinsame heraus
und lasse das Trennende weg, und so gewinne ich den Begriff des
Pferdes. - Man bekommt so aber nur eine abstrakte Vorstellung,
niemals aber gelangt man so im strengen Sinne des Wortes zu dem
Begriff des Pferdes. Ebensowenig kommt man zu einem Begriff
des Dreiecks, wenn mann alle Arten von Dreiecken nimmt, das
Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt. Zu einem Begriff
des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert
die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich
konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und
finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonierend.
 
Nur in bezug auf mathematische Dinge können die Menschen
unserer heutigen Kultur sich aufschwingen zum Begriff. Zum Beispiel
beweist man durch innerliche Konstruktion, daß die Winkelsumme
im Dreieck gleich hundertachtzig Grad ist. Wenn aber einmal
jemand anfängt, Begriffe auch anderer Dinge innerlich zu konstruieren,
so erkennt ein großer Teil unserer Philosophen das gar
nicht an. ''Goethe'' hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres
Konstruieren geschaffen; nicht das Verschiedene wurde nur weggelassen,
das Gleiche festgehalten, - wie vorhin am Beispiel des Pferdes
gesagt. Die Urpflanze und das Urtier sind solche innerliche Geisteskonstruktionen.
Aber wie wenige erkennen das heute an. Erst
wenn man durch innerliche Konstruktion sich den Begriff des Pferdes,
der Pflanze, des Dreiecks und so weiter aufbauen kann, und
wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann
kommt man zum Begriff einer Sache. Die meisten Menschen wissen
heute kaum mehr, worum es sich handelt, wenn man von begrifflichem
Denken spricht.
 
Nehmen wir einmal nicht mathematische Begriffe, und nehmen
wir auch nicht Goethes Organik, wo er in wahrhaft grandioser Weise
Begriffe geschaffen hat, sondern nehmen wir einmal den Begriff der
Tugend. Man kann ja eine blasse allgemeine Vorstellung von der Tugend
haben. Will man aber zu einem Begriffe der Tugend kommen,
so muß man innerlich konstruieren, und man muß zu Hilfe nehmen
den Begriff der Individualität. Man muß den Begriff der Tugend so
konstruieren, wie man den Begriff des Kreises konstruiert. Es ist einige
Mühe dazu notwendig, und es müssen verschiedene Elemente zusammengetragen
werden, aber es ist ebenso möglich, wie das Konstruieren
von mathematischen Begriffen. Die Moralphilosophen haben
stets versucht, einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend zu geben.
Es hat vor einiger Zeit einen Philosophen gegeben, der sich einen
sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend nicht vorstellen konnte, und
der diejenigen für Phantasten hielt, die derartiges behaupteten. Er erklärte,
wenn er an die Tugend denke, so stelle er sich die Tugend vor
als eine schöne Frau. Er trug also noch Sinnliches in den un-sinnlichen
Begriff hinein. Und weil er sich keinen sinnlichkeitsfreien Begriff
der Tugend vorstellen konnte, sprach er dies auch anderen ab.
 
Vertiefen Sie sich in die Ethik von Herbart, so finden Sie, daß bei
ihm «Wohlwollen» und «Freiheit», diese ethischen Begriffe, nicht
dadurch gebildet sind, daß man das Gemeinsame nimmt und das
Trennende wegläßt, sondern er sagt zum Beispiel, das Wohlwollen
umfasse das Verhältnis zwischen den eigenen Willensimpulsen und
den vorgestellten Willensimpulsen einer anderen Person. - Er gibt
also eine reine Begriffsbestimmung. So könnte man die ganze Moral
durch reine Begriffe aufbauen wie die Mathematik, und wie es Goethe
mit seiner Organik versuchte. Die allgemeine Vorstellung von
der Tugend darf also nicht verwechselt werden mit dem Begriff der
Tugend. Zu dem Begriff kommen die Menschen nach und nach auf
dem Wege innerlicher Konstruktion.|108|200ff}}
 
== Literatur ==
* Rudolf Steiner: ''Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie'', [[GA 108]] (1986), ISBN 3-7274-1081-7 {{Vorträge|108}}
 
{{GA}}
 
[[Kategorie:Denken]] [[Kategorie:Geometrie]] [[Kategorie:Architektur]] [[Kategorie:Technik]]

Version vom 19. August 2019, 19:01 Uhr

Die Grundlage jeder Konstruktion (von lat. construere „zusammenbauen, zusammenschichten“, aus con „zusammen“ und struere „aufbauen, schichten“) ist der systematische gedankliche Aufbau einer Sache bzw. eines Gedankengebäudes.

Im engeren Sinn bedeutet Konstruieren:

Begriffsbildung durch innerliches Konstruieren

Begriffe werden durch innerliches Konstruieren gebildet. Im Gegensatz zum Gestalten, das einen intuitiv ganzheitlichen Charakter hat, ist das begriffliche Denken diskursiv, indem es von einem bestimmten Begriff zu einem bestimmten anderen logisch fortschreitet und das ganze Gedankengebilde Schritt für Schritt gedanklich lückenlos nachvollziehbar aus seinen Teilen aufbaut, wie es für eine wissenschaftliche Betrachtung unerlässlich ist.

„Die Vorstellung steht mit der äußeren Wahrnehmung in Verbindung, der Begriff ist entstanden durch inneres Konstruieren. Immer haben die Menschen so innerlich konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat Kepler, als er seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit.

Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich zu machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen, er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.

Unsere heutige Geisteskultur ist in ihrem Denken eigentlich - außer in der Mathematik - noch nicht über das bloße Vorstellen hinausgekommen. Für den Geistesforscher ist es manchmal grotesk zu sehen, wie wenig die Menschen hinausgekommen sind über das bloße Vorstellen. Die Menschen glauben meistens, der Begriff stamme aus der Vorstellung und sei nur blasser, weniger inhaltsvoll als diese. Sie glauben zum Beispiel zum Begriff des Pferdes zu gelangen, indem sie nacheinander große, kleine, braune, weiße und schwarze Pferde in ihrer Wahrnehmung auftauchen sehen; und nun nehme ich mir - so urteilen die Menschen weiter - aus der Wahrnehmung dieser verschiedenen Pferde das allen Pferden Gemeinsame heraus und lasse das Trennende weg, und so gewinne ich den Begriff des Pferdes. - Man bekommt so aber nur eine abstrakte Vorstellung, niemals aber gelangt man so im strengen Sinne des Wortes zu dem Begriff des Pferdes. Ebensowenig kommt man zu einem Begriff des Dreiecks, wenn mann alle Arten von Dreiecken nimmt, das Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt. Zu einem Begriff des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonierend.

Nur in bezug auf mathematische Dinge können die Menschen unserer heutigen Kultur sich aufschwingen zum Begriff. Zum Beispiel beweist man durch innerliche Konstruktion, daß die Winkelsumme im Dreieck gleich hundertachtzig Grad ist. Wenn aber einmal jemand anfängt, Begriffe auch anderer Dinge innerlich zu konstruieren, so erkennt ein großer Teil unserer Philosophen das gar nicht an. Goethe hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres Konstruieren geschaffen; nicht das Verschiedene wurde nur weggelassen, das Gleiche festgehalten, - wie vorhin am Beispiel des Pferdes gesagt. Die Urpflanze und das Urtier sind solche innerliche Geisteskonstruktionen. Aber wie wenige erkennen das heute an. Erst wenn man durch innerliche Konstruktion sich den Begriff des Pferdes, der Pflanze, des Dreiecks und so weiter aufbauen kann, und wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann kommt man zum Begriff einer Sache. Die meisten Menschen wissen heute kaum mehr, worum es sich handelt, wenn man von begrifflichem Denken spricht.

Nehmen wir einmal nicht mathematische Begriffe, und nehmen wir auch nicht Goethes Organik, wo er in wahrhaft grandioser Weise Begriffe geschaffen hat, sondern nehmen wir einmal den Begriff der Tugend. Man kann ja eine blasse allgemeine Vorstellung von der Tugend haben. Will man aber zu einem Begriffe der Tugend kommen, so muß man innerlich konstruieren, und man muß zu Hilfe nehmen den Begriff der Individualität. Man muß den Begriff der Tugend so konstruieren, wie man den Begriff des Kreises konstruiert. Es ist einige Mühe dazu notwendig, und es müssen verschiedene Elemente zusammengetragen werden, aber es ist ebenso möglich, wie das Konstruieren von mathematischen Begriffen. Die Moralphilosophen haben stets versucht, einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend zu geben. Es hat vor einiger Zeit einen Philosophen gegeben, der sich einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend nicht vorstellen konnte, und der diejenigen für Phantasten hielt, die derartiges behaupteten. Er erklärte, wenn er an die Tugend denke, so stelle er sich die Tugend vor als eine schöne Frau. Er trug also noch Sinnliches in den un-sinnlichen Begriff hinein. Und weil er sich keinen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend vorstellen konnte, sprach er dies auch anderen ab.

Vertiefen Sie sich in die Ethik von Herbart, so finden Sie, daß bei ihm «Wohlwollen» und «Freiheit», diese ethischen Begriffe, nicht dadurch gebildet sind, daß man das Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt, sondern er sagt zum Beispiel, das Wohlwollen umfasse das Verhältnis zwischen den eigenen Willensimpulsen und den vorgestellten Willensimpulsen einer anderen Person. - Er gibt also eine reine Begriffsbestimmung. So könnte man die ganze Moral durch reine Begriffe aufbauen wie die Mathematik, und wie es Goethe mit seiner Organik versuchte. Die allgemeine Vorstellung von der Tugend darf also nicht verwechselt werden mit dem Begriff der Tugend. Zu dem Begriff kommen die Menschen nach und nach auf dem Wege innerlicher Konstruktion.“ (Lit.:GA 108, S. 200ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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