René Descartes und Konstruktion: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Bild:Descartes.jpg|thumb|René Descartes in einem Portrait von Frans Hals, 1648]]
Die Grundlage jeder '''Konstruktion''' (von [[lat.]] ''construere'' „zusammenbauen, zusammenschichten“, aus ''con'' „zusammen“ und ''struere'' „aufbauen, schichten“) ist der systematische [[Gedanke|gedankliche]] Aufbau einer [[Sache]] bzw. eines Gedankengebäudes.  
'''René Descartes''', [[Wikipedia:Latinisierung|latinisiert]] ''Renatus Cartesius'', (* 31. März 1596 in [[Wikipedia:Descartes (Frankreich)|La Haye]], Frankreich; † 11. Februar 1650 in [[Wikipedia:Stockholm|Stockholm]], [[Wikipedia:Schweden|Schweden]]) war ein [[Wikipedia:Philosoph|Philosoph]], [[Wikipedia:Mathematiker|Mathematiker]] und Naturwissenschaftler.


Descartes wird als „Vater der neueren Philosophie“ bezeichnet, denn er begründete den von der [[Vernunft]] überzeugten modernen [[Rationalismus]]. Die Richtung des Denkens, die Descartes beeinflusste, wird auch [[Wikipedia:Cartesianismus|Cartesianismus]] genannt.
Im engeren Sinn bedeutet '''Konstruieren''':


== Lebenslauf ==
* In der [[Geometrie]] das [[Zeichnen]] einer [[Geometrische Figur|geometrischen Figur]].
Descartes genoss seine Schulausbildung bei den [[Jesuiten]] von [[Wikipedia:La Flèche|La Flèche]], durch die er mit der Philosophie der [[Scholastik]] und der Denkweise des [[Wikipedia:Humanismus|Humanismus]] in Berührung kam. Nach dem Abschluss der Schule studierte er Recht an der Universität von [[Wikipedia:Poitiers|Poitiers]].
* In der [[Architektur]] und [[Technik]] der Entwurf, die Planung und der Aufbau einer greifbaren Sachen bzw. die so gefertigte, zumeist aus passend vorgefertigten [[Teil]]en zusammengesetzte Sache.  
Von [[Wikipedia:1618|1618]] an nahm er an Feldzügen des [[Wikipedia:Moritz von Nassau|Moritz von Nassau]] und später [[Wikipedia:Maximilian I. (Bayern, Kurfürst)|Maximilians von Bayern]] teil. Während dieser Zeit widmete er sich vorwiegend mathematischen Studien, dabei definierte er das nach ihm benannte [[Wikipedia:Kartesisches Koordinatensystem|Kartesische Koordinatensystem]] und leistete auch wichtige Vorarbeiten zur [[Wikipedia:Analysis|Analysis]].
* In der [[Sprachwissenschaft]] bzw. [[Grammatik]] die Zusammensetzung von [[Wörter]]n, [[Phrase]]n und [[Satz|Sätzen]] entsprechend der [[Syntax]] der jeweiligen [[Sprache]].


Er machte einige Reisen durch Europa und ließ sich [[Wikipedia:1625|1625]] in Paris nieder, wo er wissenschaftlich arbeitete und in regem Kontakt zu dem Kreis von Intellektuellen um seinen alten Schulfreund [[Wikipedia:Marin Mersenne|Marin Mersenne]] stand. Bereits drei Jahre später ging er hauptsächlich wegen des dort herrschenden liberalen Klimas in die [[Wikipedia:Niederlande|Niederlande]]. [[Wikipedia:1649|1649]] lud ihn Königin [[Wikipedia:Christine von Schweden|Christine von Schweden]] nach Stockholm ein, wo er kurze Zeit später starb.
== Begriffsbildung durch innerliches Konstruieren ==


== Philosophie ==
[[Begriffe]] werden durch innerliches '''Konstruieren''' gebildet. Im Gegensatz zum [[Gestaltung|Gestalten]], das einen [[Intuition|intuitiv]] [[ganzheit]]lichen Charakter hat, ist das begriffliche [[Denken]] [[diskursiv]], indem es von einem bestimmten [[Begriff]] zu einem bestimmten anderen [[Logik|logisch]] fortschreitet und das ganze Gedankengebilde Schritt für Schritt gedanklich lückenlos nachvollziehbar aus seinen Teilen aufbaut, wie es für eine [[wissenschaft]]liche Betrachtung unerlässlich ist.  
=== Methode ===
Die Methode des philosophischen Denkens wird in den „Abhandlungen über die  Methode“ - „[[Wikipedia:Discours de la méthode|Discours de la méthode]]“ – angekündigt. Das Werk wurde [[Wikipedia:1637|1637]] anonym in [[Wikipedia:Leiden (Stadt)|Leiden]] herausgegeben. In einer späteren, posthum veröffentlichten, unvollendeten Abhandlung  stellt Descartes vier Regeln auf, nach denen man vorgehen müsse, um zum wahren Wissen zu gelangen:
# Nichts für wahr halten, was nicht  so klar und deutlich erkannt  worden ist, dass es nicht in Zweifel gezogen werden kann.
# Schwierige Probleme in Teilschritten  erledigen
# Vom Einfachen zum Schwierigen fortschreiten
# Stets prüfen, ob in der Untersuchung Vollständigkeit erreicht sei


=== Erkenntnistheorie ===
{{GZ|Die Vorstellung steht mit der
Die neue Erkenntnistheorie wird in den Meditationen (''Meditationes de prima philosophia'', [[1641]]) vorgestellt. Insgesamt sind 6 Meditationen vorhanden.
äußeren Wahrnehmung in Verbindung, der Begriff ist entstanden
durch inneres Konstruieren. Immer haben die Menschen so innerlich
konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat ''Kepler'', als er
seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie
dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit.


Entsprechend Descartes Methode des philosophischen Denkens handelt der erste Abschnitt über „das, woran man zweifeln kann“.  Die gängige Annahme, dass wissenschaftliche Erkenntnis aus der sinnlichen Wahrnehmung und dem Denken entspringe, muss  hinterfragt werden. Keiner der beiden Quellen darf ungeprüft Vertrauen geschenkt werden. Unsere Sinne haben uns schon oft getäuscht, beispielsweise durch optische Täuschungen oder durch Wahrnehmungen im Traum. Aber auch dem Denken darf nicht ungeprüft vertraut werden, denn ein böser Dämon könnte so auf mich einwirken, dass ich in meinem Denken zu falschen Schlüssen käme. So ist es zunächst notwendig, an allem zu zweifeln.
Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine
Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration
ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich zu
machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen,
er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.


2. Meditation: Wenn ich aber zweifle oder getäuscht werde, so kann ich nicht daran zweifeln, '''dass ich zweifle''' bzw. '''dass ich es bin''', der zweifelt oder getäuscht wird, d.h. ich denke, ich bin bewusst. Anders formuliert, wenn ich an allem (in der Welt) zweifle, ist der Zweifel selbst das einzige, dessen ich mir absolut sicher sein kann. Der Zweifel bestätigt mir also insofern mein eigenes Denken, mein Bewusstsein, als sicher. Der erste unbezweifelbare Satz heißt also: „Ich zweifle (denke), also bin ich“. Er ist, so Descartes, „notwendig wahr, sooft ich ihn ausspreche oder denke“. Descartes analysiert dieses ''Ich'' weiter, und bestimmt es als ein urteilendes, denkendes Ding: als ''res cogitans''.
Unsere heutige Geisteskultur ist in ihrem Denken eigentlich -
außer in der Mathematik - noch nicht über das bloße Vorstellen
hinausgekommen. Für den Geistesforscher ist es manchmal grotesk
zu sehen, wie wenig die Menschen hinausgekommen sind über das
bloße Vorstellen. Die Menschen glauben meistens, der Begriff stamme
aus der Vorstellung und sei nur blasser, weniger inhaltsvoll als
diese. Sie glauben zum Beispiel zum Begriff des Pferdes zu gelangen,
indem sie nacheinander große, kleine, braune, weiße und schwarze
Pferde in ihrer Wahrnehmung auftauchen sehen; und nun nehme
ich mir - so urteilen die Menschen weiter - aus der Wahrnehmung
dieser verschiedenen Pferde das allen Pferden Gemeinsame heraus
und lasse das Trennende weg, und so gewinne ich den Begriff des
Pferdes. - Man bekommt so aber nur eine abstrakte Vorstellung,
niemals aber gelangt man so im strengen Sinne des Wortes zu dem
Begriff des Pferdes. Ebensowenig kommt man zu einem Begriff
des Dreiecks, wenn mann alle Arten von Dreiecken nimmt, das
Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt. Zu einem Begriff
des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert
die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich
konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und
finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonierend.


[[Aurelius Augustinus]] (354-430) hat die Gedankenführung  des ''cogito ergo sum'' bereits formuliert: ''si enim fallor, sum. nam qui non est, utique nec falli potest'' („Selbst wenn ich mich täusche, bin ich. Denn wer nicht ist, kann sich jedenfalls auch nicht täuschen.“ Vom Gottesstaat 11,26).
Nur in bezug auf mathematische Dinge können die Menschen
unserer heutigen Kultur sich aufschwingen zum Begriff. Zum Beispiel
beweist man durch innerliche Konstruktion, daß die Winkelsumme
im Dreieck gleich hundertachtzig Grad ist. Wenn aber einmal
jemand anfängt, Begriffe auch anderer Dinge innerlich zu konstruieren,
so erkennt ein großer Teil unserer Philosophen das gar
nicht an. ''Goethe'' hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres
Konstruieren geschaffen; nicht das Verschiedene wurde nur weggelassen,
das Gleiche festgehalten, - wie vorhin am Beispiel des Pferdes
gesagt. Die Urpflanze und das Urtier sind solche innerliche Geisteskonstruktionen.
Aber wie wenige erkennen das heute an. Erst
wenn man durch innerliche Konstruktion sich den Begriff des Pferdes,
der Pflanze, des Dreiecks und so weiter aufbauen kann, und
wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann
kommt man zum Begriff einer Sache. Die meisten Menschen wissen
heute kaum mehr, worum es sich handelt, wenn man von begrifflichem
Denken spricht.


Zur Gewinnung weiterer Erkenntnisse geht Descartes davon aus, dass alles wahr ist, was klar und deutlich erkannt werden kann. Dazu muss aber bewiesen werden, dass es keinen betrügenden Gott gibt, der täuscht. Darauf wendet Descartes folgende Argumentation an:
Nehmen wir einmal nicht mathematische Begriffe, und nehmen
wir auch nicht Goethes Organik, wo er in wahrhaft grandioser Weise
Begriffe geschaffen hat, sondern nehmen wir einmal den Begriff der
Tugend. Man kann ja eine blasse allgemeine Vorstellung von der Tugend
haben. Will man aber zu einem Begriffe der Tugend kommen,
so muß man innerlich konstruieren, und man muß zu Hilfe nehmen
den Begriff der Individualität. Man muß den Begriff der Tugend so
konstruieren, wie man den Begriff des Kreises konstruiert. Es ist einige
Mühe dazu notwendig, und es müssen verschiedene Elemente zusammengetragen
werden, aber es ist ebenso möglich, wie das Konstruieren
von mathematischen Begriffen. Die Moralphilosophen haben
stets versucht, einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend zu geben.
Es hat vor einiger Zeit einen Philosophen gegeben, der sich einen
sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend nicht vorstellen konnte, und
der diejenigen für Phantasten hielt, die derartiges behaupteten. Er erklärte,
wenn er an die Tugend denke, so stelle er sich die Tugend vor
als eine schöne Frau. Er trug also noch Sinnliches in den un-sinnlichen
Begriff hinein. Und weil er sich keinen sinnlichkeitsfreien Begriff
der Tugend vorstellen konnte, sprach er dies auch anderen ab.


# Die [[Idee]] Gottes als vollkommenes Wesen impliziert die [[Existenz]] Gottes, denn  wäre Gott nicht existent, wäre er nicht vollkommen. (Hier folgt Descartes dem [[Anselm von Canterbury|anselmschen]] [[Gottesbeweis]])
Vertiefen Sie sich in die Ethik von Herbart, so finden Sie, daß bei
# Eine Ursache kann nicht weniger vollkommen sein als ihre Wirkung. Da meine Vorstellung von Gott weit vollkommener ist als  meine eigene Vollkommenheit und Realität, kann ich daraus schließen, dass Gott existiert.
ihm «Wohlwollen» und «Freiheit», diese ethischen Begriffe, nicht
 
dadurch gebildet sind, daß man das Gemeinsame nimmt und das
=== Anti-Aristotelismus ===
Trennende wegläßt, sondern er sagt zum Beispiel, das Wohlwollen
Das [[Teleologie|teleologische]] Weltbild des [[Aristoteles]] wird ersetzt durch ein [[Kausalismus|kausalistisches]], in dem sich innerhalb der Objektwelt (der Welt der ''res extensa'' also) alles notwendig durch Druck und Stoß ergibt. Diese Gedankenbewegung ist von fundamentaler Wichtigkeit für die modernen Erfahrungswissenschaften.
umfasse das Verhältnis zwischen den eigenen Willensimpulsen und
 
den vorgestellten Willensimpulsen einer anderen Person. - Er gibt
Die aristotelische Hervorhebung des [[Organisch|Organischen]] negiert Descartes. Selbst der menschliche Körper wird einmal als bloße „Gliedermaschine“, dann wieder als „Leichnam“ beschrieben. Auch diese nüchterne Betrachtung hat eine Fortsetzung in den heutigen Vergleichen von Computern mit Menschen.
also eine reine Begriffsbestimmung. So könnte man die ganze Moral
 
durch reine Begriffe aufbauen wie die Mathematik, und wie es Goethe
Kurioserweise erklärt er indirekt in der zweiten Meditation – ganz aristotelisch – die Seele als das, was den Unterschied zwischen einem Leichnam und einem lebenden Menschen ausmacht.
mit seiner Organik versuchte. Die allgemeine Vorstellung von
Descartes hat [[Aristoteles]] selbst allerdings kaum rezipiert, sehr wohl aber die Schriften der [[Scholastik]], die sich auf Aristoteles beruft.
der Tugend darf also nicht verwechselt werden mit dem Begriff der
 
Tugend. Zu dem Begriff kommen die Menschen nach und nach auf
=== Dualismus ===
dem Wege innerlicher Konstruktion.|108|200ff}}
Für Descartes teilt sich Seiendes in ''res extensae'' und ''res cogitantes'': in eine Objekt- und eine Gedankenwelt, in Leib und Seele, Körper und Geist. Er betont dabei, dass unter [[Seele]] nicht ein quasi Körperliches („ein feines Etwas, nach Art eines Windes, Feuers oder Äthers“, vgl. [[Immanuel Kant|Kants]] „Seelending“) zu verstehen sei, also eben nicht die vulgärreligiöse Vorstellung eines herumschwirrenden Geistes.
 
Eine ''res extensa'' ist ein physischer Körper, hat somit Ausdehnung, ist teilbar, dekomponierbar, zerstörbar, unterliegt den Regeln der Kausalität. Die ''res cogitans'' dagegen ist ausdehnungslos, unteilbar, unsterblich und verfügt über ein von ihm untrennbares und – auch im massivsten Zweifel – nicht aufkündbares Denken.
 
Dieser [[Dualismus]] führt allerdings zu einem zentralen [[Leib-Seele-Problem|Problem]], nämlich zur Frage nach der Verbindung zwischen diesen radikal unterschiedlichen Seiten. Descartes sieht diesen Übergang in einer von [[Gott]] gefügten Verbindung über die [[Zirbeldrüse]].
 
Fraglich ist, inwieweit dieser radikale Dualismus Descartes erst von seinen Interpreten nachträglich zugesprochen wurde. In seinem Briefwechsel mit [[Elisabeth von Herford|Elisabeth von Böhmen]] führt er nämlich neben den irreduziblen Begriffen von Körper und Seele auch noch den Begriff der Verbindung von Körper und Seele an. So wie der Körper vor allem durch die Mathematik erfasst wird und die Seele von der Metaphysik, so versteht man die Verbindung von Körper und Seele, indem man aufmerksam sein eigenes alltägliches Leben verfolgt.
 
===[[Physiologie]]: Mensch als Maschine===
 
Für Descartes waren physiologische Modellvorstellungen integraler Bestanteil seiner [[Philosophie]]. Er reduzierte den lebenden Organismus des Menschen auf dessen [[Mechanik]] und wurde damit zum Begründer der neuzeitlichen ''[["Iatrophysik"]]'', in dem Menschenmodelle und (versuchte oder gedachte) Konstruktionen von Menschenautomaten eine wichtige Rolle spielten. Aus Furcht vor [[Inquisition]] veröffentlichte Descartes seine Schrift "Über den Menschen" (''Traité de l'homme'', [[1632]]) zeitlebens nicht, sie erschien erst [[1662]] unter dem Titel ''"De homine"''.
 
== Wirkungsgeschichte ==
Die Philosophie Descartes' hat die nachfolgende Zeit bis in unsere Gegenwart stark beeinflusst, vorwiegend dadurch, dass in ihr Klarheit und Differenziertheit des Denkens zur [[Maxime]] erhoben wird. Auch die Geisteshaltung des [[Szientismus]] geht zum Teil auf Descartes zurück.
 
; G.W.F. Hegel
: In seinen Geschichtsvorlesungen lobt [[Georg Wilhelm Friedrich Hegel|Hegel]] Descartes ausdrücklich für seine philosophische Innovationskraft: Bei Descartes fange das neuzeitliche Denken überhaupt erst an, seine Wirkung könne nicht ausgebreitet genug dargestellt werden. Hegel kritisiert allerdings, dass Descartes die Unterscheidung zwischen [[Verstand]] und [[Vernunft]] noch nicht mache.
: In Descartes' archimedischem Denkpunkt des ''cogito ergo sum'' sieht Hegel einen Beleg dafür, dass Denken und Sein eine „unzertrennliche Einheit“ bilden (vgl [[Parmenides]]), weil an diesem Punkt Verschiedenheit und Identität zusammenfallen. Hegel übernimmt dieses Anfangen im reinen Denken für seine idealistische Systematik.
 
; Friedrich Nietzsche
: Selbst [[Friedrich_Nietzsche|Nietzsche]] findet zunächst lobende Worte für Descartes, weil dessen Hinwendung zum Subjekt ein „Attentat auf den alten Seelenbegriff“ und somit ein „Attentat auf das Christentum“ sei. Descartes und die Philosophie nach ihm seien also „antichristlich, keineswegs aber antireligiös“. Er nennt Descartes den „Großvater der Revolution, welche der Vernunft allein die Autorität zuerkannte“. ''(Jenseits von Gut und Böse)''
: Nietzsche lehnt aber Descartes Dualismus ab und stellt ihm seine eigene monistische Theorie vom ''Willen zur Macht'' gegenüber. Er wehrt sich darüber hinaus gegen die „dogmatische Leichtfertigkeit des Zweifelns“, und deutet damit an, dass der radikale Zweifel nicht voraussetzungsfrei stattfinden könne. (Siehe weiter unten die Einwände von Peirce und Wittgenstein)
 
; Martin Heidegger
: [[Martin Heidegger|Heidegger]] sieht in Descartes den Schlüssel zur Wissenschaftsgenese der Neuzeit, die durch die (anti-aristotelische) Einklammerung der Qualitäten des Organischen und durch Fixierung auf die Quantifizierung der Objektwelt zur unheilvollen technischen Beherrschung der Welt schreite. Für Heidegger ist der Zweifelsansatz nur scheinbar neu, denn Descartes sei noch fest in der Scholastik verankert.
: Im „cogito ergo sum“ sieht Heidegger die „Pflanzung eines verhängnisvollen Vorurteils“, denn Descartes erkunde zwar die cogitatio, nicht aber die „Ontologie des sum“.
 
; Bertrand Russell
: Der frühanalytische Philosoph [[Bertrand_Russell|Bertrand Russell]] nennt Descartes in seiner ''History of Western Philosophy'' den ''Begründer der modernen Philosophie'', wendet aber negativ ein, dass er noch vielen [[Scholastik|scholastischen]] Ideen (z.B. [[Anselm_von_Canterbury|Anselms]] [[Gottesbeweis]]) verschrieben sei. Russell schätzt allerdings seinen zugänglichen Schreibstil und würdigt, dass Descartes als erster Philosoph seit [[Aristoteles]] ein völlig neues Denksystem errichtet habe. Er hebt dabei v.a. seinen radikalen Zweifelsansatz hervor.
: Russell hält Descartes' Erkenntnis für zentral, dass alle Objekte bzw. überhaupt jede Art von Gewissheit gedanklich vermittelt sind. Dieser Gedanke wird eine inhaltliche Superdominante bei den [[Rationalismus|Rationalisten]] einnehmen. Während die [[Idealismus|Idealisten]] diese Einsicht „triumphalistisch“ übernehmen, nehmen die britischen [[Empirismus|Empiristen]] sie bedauernd zur Kenntnis, so Russell.
: Russell kritisiert auch, dass „Ich denke“ als Prämisse ungültig sei. In Wirklichkeit müsste Descartes sagen: ''There are thoughts.'' Schließlich sei das Ich ja nicht gegeben.
 
; Blaise Pascal
: [[Blaise_Pascal|Blaise Pascal]] lehnt die Gottesbeweise als rational unentscheidbar ab und kritisiert, dass Gott bei Descartes zum bloßen „Lückenbüßer“ verkommt, der die Verbindung zwischen ''res cogitans'' und ''res extensa'' parallelisierend herstellen müsse: ''„Der Gott Abrahams ist nicht der Gott der Philosophen,“'' schreibt Pascal in seinen ''Pensées''. Pascal wandelt Descartes' Dualismus in eine dreifach konnotierte Systematik ab: An die Seite von ''res extensa'' (Körperliches) und ''res cogitans'' (Gedankliches) stellt er das „Herz“ oder den „Geist des Feinsinnes“.
 
; Charles Sanders Peirce
: [[Charles_Peirce|Charles Peirce]] hält Descartes' radikalen Zweifelsansatz in einem Punkt für übertrieben: Jeder formulierte Zweifel setze nämlich eine ''hinlänglich funktionierende Alltagssprache'' voraus. Auch [[Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling|Schelling]] schlägt in diese Kerbe: Sprache lasse sich nicht aus einer ersten vorsprachlichen Gewissheit heraus erst neu konstruieren, denn ''„wo würden wir beginnen?“''
 
; Ludwig Wittgenstein
: Auch [[Ludwig Wittgenstein]] wendet ein, dass ein absolut sicher gewusstes (vorsprachliches) Fundament gedanklich nicht vollständig einholbar sei, denn alles geschehe immer schon innerhalb eines präsupponierten Systems.
 
In der [[Physik]] gehen der erste [[Erhaltungssatz]] und das [[Brechungsgesetz]] auf ihn zurück. In der [[Mathematik]] beschäftigte er sich mit analytischer [[Geometrie]] (siehe dazu: [[Koordinatensystem|kartesische Koordinaten]]) und [[Gleichung]]en.
 
== Zitate ==
{{Wikiquote1|René Descartes}}
''Ich denke, also bin ich'' (lat. ''[[Cogito ergo sum|cogito ergo sum]]''). In der französischen Originalübersetzung: ''Je pense, donc je suis.''
 
Das vollständige Zitat lautet:
„Ich zweifle, also bin ich, oder was dasselbe ist, ich denke, also bin ich“
(dubito, ergo sum vel quod idem est, cogito, ergo sum).
 
»Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs«
*Die erste war: niemals eine Sache als wahr anzunehmen, die ich nicht als solche sicher und einleuchtend erkennen (évidemment connaître; certo et evidenter cognoscere) würde, da heißt sorgfältig die Übereilung und das Vorurteil zu vermeiden und in meinen Urteilen nur soviel zu begreifen, wie sich meinem Geist so klar und deutlich (clairement et distinctement; clare et distincte) darstellen würde, dass ich gar keine Möglichkeit hätte, daran zu zweifeln.
*Die zweite: jede der Schwierigkeiten, die ich untersuchen würde, in so viele Teile zu zerlegen (diverser) als möglich und zur besseren Lösung wünschenswert wäre.
*Die dritte: meine Gedanken zu ordnen; zu beginnen mit den einfachsten und fasslichsten Objekten und aufzusteigen allmählich und gleichsam stufenweise bis zur Erkenntnis der kompliziertesten, und selbst solche Dinge irgendwie für geordnet zu halten, von denen natürlicherweise nicht die einen den anderen vorausgehen.
*Und die letzte: überall so vollständige Aufzählungen und so umfassende Übersichten zu machen, dass ich sicher wäre, nichts auszulassen.
 
== Einwände gegen Descartes Philosophie ==
* Descartes meinte die '''Schnittstelle zwischen Leib und Seele''' wäre in der [[Zirbeldrüse]] zu finden, dem einzigen unpaarigen Organ des Gehirns. Entgegen der Vermutung Descartes', dass es irgendwo im Gehirn ein singuläres Zentrum geben müsse, in dem alle Informationen zusammenkommen und einer einheitlichen Interpretation zugeführt werden, - einen Ort an der Spitze der Verarbeitungspyramide, wo das innere Auge die Welt und sich selbst betrachtet. Entgegen dieser plausiblen Annahme erbrachte die Hirnforschung den Beweis, dass ein solches Zentrum nicht existiert.
* Descartes trennte noch nicht '''Geist und [[Bewusstsein]]'''. Für ihn war jedes menschliche Denken auch bewusstes Denken. Heute wird allgemein akzeptiert, dass viele Denkprozesse in unserem Gehirn [[unbewusst]] ablaufen und nur ein kleiner Teil in unser Bewusstsein gelangt.
* Descartes beschrieb mehrere grundlegende Substanzen, darunter die res cogitans, den Geist und die res extensa, die materiellen Dinge. Dabei '''habe der Geist keine Ausdehnung''' bzw. kein Volumen. Wenn man heute allgemein von der [[Information]] als dritter Grundsubstanz neben Energie und Materie redet, dann ist noch nicht klar, ob Information eine eigenständige Substanz ist oder ''nur'' eine Eigenschaft von Materie und Energie. Da bislang Information nie als reine, nackte Information nachgewiesen wurde, wird Descartes Vorstellung, dass Information (und damit auch Geist) keine Ausdehnung hat, als falsch angesehen. Das besondere an der Information ist, dass dieselbe Information auf verschiedenen materiellen oder energetischen Informationsträgern vorkommen kann und somit eine gewisse, aber eben keine völlige Unabhängigkeit von Materie und Energie gewinnt.
* ''Anmerkung'': Den Informationsbegriff sollte man nicht ohne Weiteres auf Descartes' Ontologie übertragen. Die ''res cogitans'' ist wichtig zum Verständnis von Descartes' religiösem Seelen- und Gottesverständnis. Information und Geist sollte man nicht einfach gleichsetzen! Außerdem ist es fraglich, ob die moderne Physik von Energie und Materie als ''Grundsubstanzen'' reden würde. Das sind metaphysische Fragen, die einer längeren Erörterung bedürfen.
* Für Descartes hatten Tiere keine [[Seele]]. Er hielt sie für bloße Maschinen.
* ''Anmerkung'': In seinem [[Discours de la méthode]] schreibt Descartes schon in der Einleitung, dass er im fünften Teil den Unterschied zwischen der ''tierischen'' und ''menschlichen Seele'' beschreiben will. Dort lässt er dann die Möglichkeit offen, dass Tiere eine Seele haben, deren Natur jedoch ganz verschieden von derjenigen der Menschen sein müsse.
* Descartes Gottesbeweis wurde von [[Immanuel_Kant|Kant]] widerlegt.
* [[Georg_Wilhelm_Friedrich_Hegel|Hegel]] kritisierte [[Immanuel_Kant|Kant]] und entwickelte Descartes’ Gottesbeweis weiter (1831).
 
== Werke ==
* ''Musicae compendium'' ([[1618]])
* ''Regulae ad directionem ingenii'' (ca. [[1628]])
* ''[[Discours de la méthode]] pour bien conduire sa raison et chercher la vérité dans les sciences''. [[1637]] („Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung“)
**Anhänge: Dioptrique
**Meteorologie
**La Géométrie (die Grundlegung der neuzeitlichen Mathematik)
* ''Meditationes de prima philosophia''. [[1641]] („[[Meditation]]en über die Grundlagen der Philosophie“ - eines der Hauptwerke des [[Rationalismus]].)
* ''Principia philosophiae''. [[1644]] („Die Prinzipien der Philosophie“)
* ''Inquisitio veritatis per lumen naturale'' (ca. [[1647]])
* ''Les Passions de l'âme'' (1649) (''Die Leidenschaften der Seele'')
* ''De homine'' (posth. [[1662]])


== Literatur ==
== Literatur ==
=== Einführungen ===
* Rudolf Steiner: ''Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie'', [[GA 108]] (1986), ISBN 3-7274-1081-7 {{Vorträge|108}}
* Perler, Dominik (1998). ''Rene Descartes'', München 1998 (Beck'sche Reihe Denker). (sehr empfehlenswert als Überblick über Descartes' Werk und seine Voraussetzungen und zur Einführung), ISBN 3406419429
* Specht, Rainer (2001). ''Rene Descartes'' (9. Aufl.). Reinbek b. Hamb.: Rowohlt (Behandelt vor allem die Biographie und die Zeithintergründe, weniger das Werk) (rororo Monographien Nr. 50117). ISBN 3499501171
*Peter Prechtl: ''Descartes zur Einführung'', Hamburg: Junius, 2004, 2. Auflage, ISBN 3885069261
 
=== Weiteres ===
* [http://www.leistungsschein.de/archiv/philosophie/arbeiten/Hager_Maik_Descartes_Intuition.pdf Hager, Maik, Zur Definition und Interpretation des Begriffs Intuition in René Descartes' Regulae ad directionem ingenii, TU Berlin WiSe 2001/2002 (www.leistungsschein.de).]
* Perler, Dominik (1996). ''Repräsentation bei Descartes'' Freiburg 1996 (Klostermann), ISBN 3465029100
* Röd, Wolfgang, Die Genese des Cartesianischen Rationalismus, 3. Aufl., München 1995, ISBN 340639342X
* Schultz, Uwe (2001). ''Descartes''. Europäische Verlagsanstalt. ISBN 3434505067
* Williams, Bernard (1996). ''Descartes: Das Vorhaben der reinen philosophischen Untersuchung'' (3. Aufl.). Weinheim: Beltz Athenäum. (Orig. ersch. 1978), ISBN 3895471038
 
== Weiterführende Informationen ==
 
''Siehe auch:'' [[Leib-Seele-Problem]], [[Gottesbeweis]], [[Skeptizismus]], [[Szientismus]], [[logistica speciosa]], [[Genius malignus]]; [[Franciscus Vieta]], [[Ikone (Medien)]]
 
=== Nach Descartes benannt ===
*[http://descartes.sourceforge.net/ descartes] Ein open-source-Funktionenplotter, benannt nach Descartes als Erfinder des [[Koordinatensystem]]s
*[[Cartesischer Taucher]] Bezeichnet ein Objekt, welches auftauchen, abtauchen oder im Wasser schweben kann.
 
=== Weblinks ===
* {{PND|118524844}}
* [http://www.wright.edu/cola/descartes/ Die ''Meditationes de prima philosophia''] (lateinisch, englisch und französisch)
* [http://etext.lib.virginia.edu/etcbin/browse-mixed-french?id=DesMeth&tag=public&images=images/modeng&data=/lv1/Archive/french-parsed ''Discours de la méthode''] (französisch)
* [http://www.fh-augsburg.de/~harsch/Chronologia/Lspost17/Descartes/des_intr.html Descartes in der Bibliotheca Augustana] (lateinisch)
* [http://www.zum.de/Faecher/D/SH/descdisc.htm ''Meditationen über die Grundlagen der Philosophie''] (Auszug aus der 4. Meditation auf deutsch)
* [http://www.renedescartes.com/rene_descartes_bibliography_001.htm Bibliographie lieferbarer Bücher]
* [http://www.club-dialektik.de/texte/ich_denke_also_bin_ich.html Descartes ''Ich denke, also bin ich''] Symposionsvortrag des Club Dialektik
* [http://www.museumonline.at/1999/schools/classic/spittaladdrau/NonFrame/HTML/chemiker/R.%20Descartes.htm Museum Online über Descartes]
 
[[Kategorie:Biographie]]
[[Kategorie:Mann|Descartes, René]]
[[Kategorie:Mathematiker|Descartes, René]]
[[Kategorie:Philosoph|Descartes, René]]
[[Kategorie:Erkenntnistheorie|Descartes, René]]


{{Personendaten|
{{GA}}
NAME=Descartes, René
|ALTERNATIVNAMEN=
|KURZBESCHREIBUNG=Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler
|GEBURTSDATUM=[[31. März]] [[1596]]
|GEBURTSORT=[[Descartes (Frankreich)|La Haye]], Frankreich
|STERBEDATUM=[[11. Februar]] [[1650]]
|STERBEORT=[[Stockholm]]
}}


{{Wikipedia}}
[[Kategorie:Denken]] [[Kategorie:Geometrie]] [[Kategorie:Architektur]] [[Kategorie:Technik]]

Version vom 19. August 2019, 20:01 Uhr

Die Grundlage jeder Konstruktion (von lat. construere „zusammenbauen, zusammenschichten“, aus con „zusammen“ und struere „aufbauen, schichten“) ist der systematische gedankliche Aufbau einer Sache bzw. eines Gedankengebäudes.

Im engeren Sinn bedeutet Konstruieren:

Begriffsbildung durch innerliches Konstruieren

Begriffe werden durch innerliches Konstruieren gebildet. Im Gegensatz zum Gestalten, das einen intuitiv ganzheitlichen Charakter hat, ist das begriffliche Denken diskursiv, indem es von einem bestimmten Begriff zu einem bestimmten anderen logisch fortschreitet und das ganze Gedankengebilde Schritt für Schritt gedanklich lückenlos nachvollziehbar aus seinen Teilen aufbaut, wie es für eine wissenschaftliche Betrachtung unerlässlich ist.

„Die Vorstellung steht mit der äußeren Wahrnehmung in Verbindung, der Begriff ist entstanden durch inneres Konstruieren. Immer haben die Menschen so innerlich konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat Kepler, als er seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit.

Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich zu machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen, er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.

Unsere heutige Geisteskultur ist in ihrem Denken eigentlich - außer in der Mathematik - noch nicht über das bloße Vorstellen hinausgekommen. Für den Geistesforscher ist es manchmal grotesk zu sehen, wie wenig die Menschen hinausgekommen sind über das bloße Vorstellen. Die Menschen glauben meistens, der Begriff stamme aus der Vorstellung und sei nur blasser, weniger inhaltsvoll als diese. Sie glauben zum Beispiel zum Begriff des Pferdes zu gelangen, indem sie nacheinander große, kleine, braune, weiße und schwarze Pferde in ihrer Wahrnehmung auftauchen sehen; und nun nehme ich mir - so urteilen die Menschen weiter - aus der Wahrnehmung dieser verschiedenen Pferde das allen Pferden Gemeinsame heraus und lasse das Trennende weg, und so gewinne ich den Begriff des Pferdes. - Man bekommt so aber nur eine abstrakte Vorstellung, niemals aber gelangt man so im strengen Sinne des Wortes zu dem Begriff des Pferdes. Ebensowenig kommt man zu einem Begriff des Dreiecks, wenn mann alle Arten von Dreiecken nimmt, das Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt. Zu einem Begriff des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonierend.

Nur in bezug auf mathematische Dinge können die Menschen unserer heutigen Kultur sich aufschwingen zum Begriff. Zum Beispiel beweist man durch innerliche Konstruktion, daß die Winkelsumme im Dreieck gleich hundertachtzig Grad ist. Wenn aber einmal jemand anfängt, Begriffe auch anderer Dinge innerlich zu konstruieren, so erkennt ein großer Teil unserer Philosophen das gar nicht an. Goethe hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres Konstruieren geschaffen; nicht das Verschiedene wurde nur weggelassen, das Gleiche festgehalten, - wie vorhin am Beispiel des Pferdes gesagt. Die Urpflanze und das Urtier sind solche innerliche Geisteskonstruktionen. Aber wie wenige erkennen das heute an. Erst wenn man durch innerliche Konstruktion sich den Begriff des Pferdes, der Pflanze, des Dreiecks und so weiter aufbauen kann, und wenn dies sich mit der äußeren Wahrnehmung deckt, erst dann kommt man zum Begriff einer Sache. Die meisten Menschen wissen heute kaum mehr, worum es sich handelt, wenn man von begrifflichem Denken spricht.

Nehmen wir einmal nicht mathematische Begriffe, und nehmen wir auch nicht Goethes Organik, wo er in wahrhaft grandioser Weise Begriffe geschaffen hat, sondern nehmen wir einmal den Begriff der Tugend. Man kann ja eine blasse allgemeine Vorstellung von der Tugend haben. Will man aber zu einem Begriffe der Tugend kommen, so muß man innerlich konstruieren, und man muß zu Hilfe nehmen den Begriff der Individualität. Man muß den Begriff der Tugend so konstruieren, wie man den Begriff des Kreises konstruiert. Es ist einige Mühe dazu notwendig, und es müssen verschiedene Elemente zusammengetragen werden, aber es ist ebenso möglich, wie das Konstruieren von mathematischen Begriffen. Die Moralphilosophen haben stets versucht, einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend zu geben. Es hat vor einiger Zeit einen Philosophen gegeben, der sich einen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend nicht vorstellen konnte, und der diejenigen für Phantasten hielt, die derartiges behaupteten. Er erklärte, wenn er an die Tugend denke, so stelle er sich die Tugend vor als eine schöne Frau. Er trug also noch Sinnliches in den un-sinnlichen Begriff hinein. Und weil er sich keinen sinnlichkeitsfreien Begriff der Tugend vorstellen konnte, sprach er dies auch anderen ab.

Vertiefen Sie sich in die Ethik von Herbart, so finden Sie, daß bei ihm «Wohlwollen» und «Freiheit», diese ethischen Begriffe, nicht dadurch gebildet sind, daß man das Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt, sondern er sagt zum Beispiel, das Wohlwollen umfasse das Verhältnis zwischen den eigenen Willensimpulsen und den vorgestellten Willensimpulsen einer anderen Person. - Er gibt also eine reine Begriffsbestimmung. So könnte man die ganze Moral durch reine Begriffe aufbauen wie die Mathematik, und wie es Goethe mit seiner Organik versuchte. Die allgemeine Vorstellung von der Tugend darf also nicht verwechselt werden mit dem Begriff der Tugend. Zu dem Begriff kommen die Menschen nach und nach auf dem Wege innerlicher Konstruktion.“ (Lit.:GA 108, S. 200ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.