Déodat Roché

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Déodat Roché (1924)

Déodat Etienne Jean-Baptiste Roché (* 13. Dezember 1877 in Arques im Département Aude in der südfranzösischen Region Okzitanien; † 12. Januar 1978 ebenda) war ein französischer Jurist, Philosoph, Historiker und Anthroposoph. Bekannt ist er vor allem durch seine Arbeiten über die Katharer.

Leben

Déodat („von Gott gegeben“) Roché wurde am 13. Dezember 1877 als uneheliches Kind der 18-jährigen Hausangestellten Marie Delfour in Arques, einem kleinen Dorf in den Corbières im Vorland der Pyrenäen unweit Montségur etwa 27 Kilometer südwestlich von Limoux und 44 Kilometer südlich von Carcassonne geboren. Von seinem leiblichen Vater, dem aus einer angesehenen Familie stammenden Notar Omer-Paul Roché, wurde er erst 1887 nach dem Tod seiner Mutter anerkannt. Durch seinen philosophisch interessierten, idealistisch denkenden Vater, den Déodat sehr verehrte, lernte er ab 1890 die Werke der wichtigsten okkultistischen Schriftsteller seiner Zeit kennen, wie etwa Fabre d'Olivet, Papus, Edouard Schuré, Paul Sédir, Allan Kardec, Fabre des Essarts, studierte aber auch das zoroastrische Zend-Avesta, durch das er die Gnosis, den Buddhismus und insbesonders auch den Manichäismus kennenlernte. Mit 14 Jahren wurde er auf die Tragödie aufmerksam, die sich in seiner Heimatregion durch den Albigenserkreuzzug (1209 bis 1229) abgespielt hatte und sein lebenslanges Interesse für die Lehren und die Geschichte der Katharer-Bewegung erweckte.

Nachdem Déodat das Baccalauréat in Carcassonne erfolgreich abgeschlossen hatte, studierte er ab November 1896 Rechtswissenschaften in Toulouse. Hier trat er der Groupe indépendant d'études ésotériques („Unabhängige Gruppe für esoterische Studien“) von Papus bei und unterhielt eine Korrespondenz mit Sédir. 1898 wurde er dann von Dr. Louis-Sophrone Fugairon in den von Papus wiederbelebten Ordre Martiniste (Martinisten-Orden) eingeweiht. 1899 schloss sich Déodat der 1890 von Jules Doinel begründeten Église gnostique de France („gnostische Kirche Frankreichs“) an und wurde 1901 zum Diakon und 1903 unter dem Titel Sa Grandeur Tau Theodotos zum „Gnostischen Bischof von Carcassonne“ geweiht. Im Zuge dessen lernte er auch die wichtigsten französischen Okkultisten kennen. Namentlich durch René Guénon (1886-1951) wurde sein kritischer Geist geweckt und bereits kurz darauf distanzierte er sich von der gnostischen Kirche, deren Lehren er zunehmend als zu starr empfand.

Schon 1900 hatte Déodat die Zeitschrift „Le Reveil des Albigeois“ („Das Erwachen der Albigenser“) gegründet, die 1901 in „La Gnose moderne“ („Moderne Gnosis“) umbenannt wurde. Dadurch kam er auch in Kontakt mit den Wiener Theosophen, die die Zeitschrift „Die Gnosis“ herausgaben, die 1904 von Rudolf Steiner mit der von ihm von Juni bis Dezember 1903 in Berlin kurz nach Begründung der Deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft (Adyar) herausgegeben Zeitschrift „Luzifer“ zur Lucifer-Gnosis vereinigt wurde, die bis Mai 1908 erschien.

1901 schloss Déodat sein Jurastudium ab und arbeitete von da an bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1943 als Rechtsanwalt und ab 1906 als Magistrat in Limoux, Carcassonne und ab 1923 in Castelnaudary, wo er 1935 zum Vizepräsident und 1939 zum Präsident bestellt wurde.

Der Philosophie mit spiritueller Ausrichtung blieb Déodat stets treu und beteiligte sich an Zeitschriften und Vereinigungen wie der „Société de culture morale et de recherches psychiques“ („Gesellschaft für moralische Kultur und psychische Forschung“). In der Freimaurerloge „Les Vrais amis réunis“ wurde er in den „Grand Orient de France“ initiert und später zum „Vénérable Maître“, zum „Wahren Meister“ erhoben und blieb Mitglied bis zum Ende seines Lebens. 1903 machte Déodat auch seinen Abschluss in Philosophie mit einer Arbeit, die den Titel „Plotin a-t-il simplifié le système des Valentiniens?“ („Hat Plotin das System der Valentinianer vereinfacht?“) trug.

Das Werk Rudolf Steiners lernte Déodat allerdings erst 1921 durch das Buch „Das Christentum als mystische Tatsache“ (GA) kennen, das er mit Begeisterung las. Am 1. November 1921 schrieb er daraufhin einen Brief an R. Steiner und kaum ein Jahr später kam es am 14. September 1922 in der Dornacher Schreinerei zur ersten persönlichen Begegnung. Rudolf Steiner regte ihn dazu an, die wichtigsten Stufen des Lebens Jesu Christi anhand des Johannes-Evangeliums zu meditieren, worin Déodat eine lebendige Fortführung der Katharer-Tradition erblickte. Déodat wurde Mitglied der auf der Weihnachtstagung 1923/24 neu begründeten Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft. Am 9. Februar 1924 bat er Rudolf Steiner um die Aufnahme in die Erste Klasse der Freien Hochschule für Geisteswissenschaft, deren Mitglied er bis zu seinem Tod blieb. Dabei wahrte er allerdings stets eine gewisse Distanz zur Gesellschaft, namentlich seit der Verschärfung der Gesellschaftkrise in den 1930er Jahren.

1930 teilte Déodat seine Forschungsergebnisse über die Katharer mit Otto Rahn, der ihn auf seiner Forschungsreise ins Tal der Ariège besuchte. Auch mit anderen Menschen unterschiedlichster spiritueller Ausrichtung stand Déodat in Verbindung, etwa mit Henry Corbin, Petar Danow, dem Begründer der Paneurhythmie, oder Simone Weil, die ihm 1941 zwei sehr bekannt gewordene Briefe schrieb. Sie fühlte sich schon lange zu den Katharern hingezogen, denn die Katharer-Bewegung sei „der letzte lebendige Ausdruck der vor-römischen Antike gewesen“[1]. In dem Brief vom 23. Januar 1941 heißt es u. a.:

„Ich habe mich schon sehr lange von den Katharern angezogen gefühlt, obwohl ich wenig über sie wusste. Einer der Hauptgründe für diese Anziehung ist ihre Ablehnung des Alten Testaments, die Sie in Ihrem Artikel so gut zum Ausdruck bringen, wo Sie mit Recht sagen, dass die Anbetung der Macht die Hebräer veranlasst hat, die Vorstellung von Gut und Böse zu verlieren. Der Rang eines heiligen Textes, der Geschichten voller erbarmungsloser Grausamkeiten gegeben wurde, hat mich immer vom Christentum ferngehalten, zumal diese Geschichten seit zwanzig Jahrhunderten niemals aufgehört haben, auf alle Strömungen des christlichen Denkens Einfluss zu nehmen; wenn wir zumindest das Christentum meinen, dann sind die Kirchen jetzt in diesem Abschnitt klassifiziert. Der Heilige Franziskus von Assisi selbst gründete, so rein wie es möglich ist, einen Orden, der, sobald er geschaffen wurde, fast unmittelbar an den Morden und Massakern teilnahm. Ich habe nie verstanden, wie es für einen vernünftigen Geist möglich ist, den Jahwe der Bibel und den Vater, der im Evangelium beschworen wird, als ein und dasselbe Wesen anzuschauen. Der Einfluss des Alten Testaments und des Römischen Reiches, dessen Tradition vom Papsttum fortgeführt wurde, sind meiner Meinung nach die beiden wesentlichen Ursachen der Korruption des Christentums.“

Simon Weil: Brief an Déodat Roché vom 23. Januar 1941[2]

1925 wurde Déodat zum Bürgermeister von Arques gewählt. 1935 legte er diesaes Amt zurück und wurde zum conseiller général der Gemeinde von Couiza (okzit. Coisan) ernannt, das er bis etwa 1946 innehatte.

Déodats richterliche Laufbahn wurde 1941 durch das Vichy-Regime unter dem Vorwand seiner Freimaurermitgliedschaft unterbrochen, tatsächlich aber wegen seiner Beschäftigung mit Geschichte der Religionen und des Spiritualismus. Er blieb aber bis 1943 in Béziers, wo er automatisch in den Ruhestand versetzt wurde. 1946, nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, gab Déodat auch endgültig alle politischen Ämter auf. Von da an widmete er sich voll und ganz seiner Forschungsarbeit über die Katharer.

Im Rahmen des Institut d’Etudes Occitanes in Toulouse leitete Déodat das Centre d’Etudes Cathares. Im Herbst 1948 veröffentlichte er die erste Ausgabe der „Cahiers d'études cathares“ und gründete im April 1950 die „Société du souvenir et des études cathares“, deren Generalsekretärin und spätere Präsidentin nach dem Tod von Déodat Roché Lucienne Julien wurde, eine Heldin des Widerstands, die als Lehrerin in Arques tätig war. Sie wandelte später die „Société du souvenir et des études cathares“ in die „Spiritualité cathare“ um, deren Generalsekretärin und Präsidentin sie bis zu ihrem Lebensende blieb. Von 1949 bis 1971 war die Übersetzerin und Anthroposophin Simone Hannedouche aktive Mitarbeiter von Déodat Roché bei seinen Katharerstudien.

Am 12. Januar 1978 starb Déodat Etienne Jean-Baptiste Roché im 101. Lebensjahr in seinem Geburtsort Arques.

Werke

  • Gnose antique et pensée moderne (1904-1906), Cahiers d'études cathares, Société du Souvenir et des Études cathares, Narbonne, printemps 1982, p. 5-41
  • Contes et légendes du catharisme, 1949, Éditions des Cahiers d'études cathares, Arques (Aude) ; 2e éd. 1951, 40 p. ; 3e éd. augmentée 1966 79 p.
  • Études manichéennes et cathares, 1952, Éditions des Cahiers d'études cathares, 268 p.
    • deutsch: Die Katharer-Bewegung. Ursprung und Wesen. Verlag am Goetheanum, Dornach 1997, ISBN 9783723508275
  • Mission future de la Russie. Mission actuelle de l'Occitanie (brochure), Cahiers d'études cathares, 1953, 22 p.
  • Catharisme et science spirituelle (brochure), Éditions des Cahiers d'études cathares, I, 1955, p. 91-108.
  • Survivance et immortalité de l'âme. Fantômes des vivants et des morts, vies successives, corps lumineux de résurrection, 1955 ; 2e éd. augmentée 1962, Cahiers d'études cathares, 270 p.
  • Évolution individuelle et harmonie sociale (brochure), Éditions des Cahiers d'études cathares, conférence de 1956, 16 p.
  • Le Catharisme, son développement dans le midi de la France, et les croisades contre les Albigeois, 1937, 29 p.
  • Le Catharisme. Nouvelle édition revue et augmentée, 1947, 206 p.
  • Le Catharisme, tome I, Éditions des Cahiers d'études cathares, Carcassonne, 1957, 225 p. (comprend des parties des Études manichéennes et cathares [1952], une partie du Catharisme [1947], Spiritualité de l'hérésie : le catharisme [1954], divers articles).
  • Le Catharisme, tome II, Cahiers d'études cathares, numéro hors série, 1976, 145 p. (comprend des parties du Catharisme, diverses communications).
  • L'Église romaine et les Cathares albigeois, Éditions des Cahiers d'études cathares, 1957, 206 p. ; 3e éd. augmentée 1969, 327 p.
  • Résurgence du manichéisme : Ismaéliens, Cathares, Rose-Croix, "Société du souvenir et des études cathares", 1981, 68 p.
  • Saint Augustin et les manichéens de son temps, in Cahiers d'études cathares, printemps 1989, p. 3-33.

Siehe auch

Literatur

  • Jean-Philippe Audouy: Déodat Roché « Le Tisserand des catharismes », Impressions du pays cathare, 1997, 254 p. [2] [3]
  • Götz Deimann (Hrsg.): Die anthroposophischen Zeitschriften von 1903 bis 1985 – Bibliographie und Lebensbilder (Beiträge und Quellen zur Geschichte der anthroposophischen Bewegung und Gesellschaft), Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1987 [4]
  • Rudolf Steiner: Lucifer – Gnosis, GA 34 (1987), ISBN 3-7274-0340-3 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Video

Einzelnachweise

  1. Simone Pétrement, Ellen D. Fischer (Übers.): Simone Weil: Ein Leben, Leipziger Uni-Vlg. 2008, ISBN 978-3936522846, S. 539 [1]
  2. Im französischen Original:
    „Depuis longtemps déjà je suis vivement attirée vers les cathares, bien que sachant peu de choses à leur sujet. Une des principales raisons de cette attraction est leur opposition concernant l’Ancien Testament, que vous exprimez si bien dans votre article, où vous dites justement que l’adoration de la puissance a fait perdre aux Hébreux la notion du bien et du mal. Le rang de texte sacré accordé à des récits pleins de cruautés impitoyables m’a toujours tenue éloignée du christianisme, d’autant plus que depuis vingt siècles ces récits n’ont jamais cessé d’exercer une influence sur tous les courants de la pensée chrétienne ; si du moins on entend par le christianisme les Églises aujourd’hui classées dans cette rubrique. Saint François d’Assise lui-même, aussi pur de cette souillure qu’il est possible de l’être, a fondé un Ordre qui à peine créé a presque aussitôt pris part aux meurtres et aux massacres. Je n’ai jamais pu comprendre comment il est possible à un esprit raisonnable de regarder le Yahvé de la Bible et le Père invoqué dans l’Évangile comme un seul et même être. L’influence de l’Ancien Testament et celle de l’Empire Romain, dont la tradition a été continuée par la papauté, sont à mon avis les deux causes essentielles de la corruption du christianisme.“ französisch-deutschfranz.franz.