Volkssprache

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Eine Volkssprache bildet sich aus anthroposophischer Sicht aus dem Zusammenwirken des auf der Stufe eines Erzengels stehenden Volksgeistes mit einem ebenfalls auf Erzengelstufe agierenden, zurückgebliebenen Geist der Form, der auf seine reguläre Weiterentwicklung verzichtet hat.

„Würden nicht gewisse Wesenheiten auf ihre normale Weiterentwickelung verzichten und, statt mit der Sonne weiterzugehen, ihre Weiterentwickelung auf der Erde durchmachen, so würde das nicht auf der Erde haben entstehen können, was wir Sprache nennen. In gewisser Beziehung hat der Mensch seine Sprache innig zu lieben, und zwar aus dem Grunde, weil sozusagen aus Liebe bei ihm geblieben sind hohe Wesenheiten, die verzichtet haben auf gewisse Eigenschaften, damit der Mensch sich so entwickeln kann, wie das der Weisheit entspricht. Gerade so wie wir das Vorauseilen als eine Art von Opfer ansehen müssen, so müssen wir auch das Zurückbleiben in früheren Entwickelungsepochen als eine Art von Opfer ansehen, und wir müssen uns durchaus klar sein, daß die Menschen zu gewissen Eigenschaften gar nicht hätten kommen können, wenn nicht solche Opfer gebracht worden wären.

So also sehen wir, wie in dem Ätherleibe des Menschen und in dem Ätherleibe des Volksgeistes, der in Betracht kommt, zweierlei Wesenheiten ihre Arbeit austauschen: die normal entwickelten Erzengel und die auf der Erzengelstufe stehengebliebenen Geister der Form, die verzichtet haben auf ihre eigene Entwickelung, um den Menschen während ihres Erdendaseins die Volkssprache einzuverleiben. Sie mußten die Kraft haben, den Kehlkopf, die ganzen Sprachwerkzeuge so umzubilden, daß das Ergebnis dieser Sprachwerkzeuge eine physische Manifestation, nämlich gerade die Sprache ist. Wir müssen also als Ergebnis dieses Zusammenwirkens gerade dasjenige ansehen, was als Volksgemüt, als Volkstemperament mit der Sprache im Bunde uns entgegentritt. Was der Mensch auszusprechen vermag, wodurch er sich als Angehöriger seines Volkes kundgibt, was er hinaustönen läßt in die Luft, das ist dasjenige, was die mit den Volksgeistern verbündeten Geister der Form nur deshalb bewirken können, weil sie mit ihren großen Kräften und Gewalten auf der Stufe der Volksgeister stehen geblieben sind. So findet also ein solches Zusammenwirken statt innerhalb derjenigen Terrains, derjenigen Gebiete, wo die Volksgeister wirken.“ (Lit.:GA 121, S. 43f)

Als Sprache des Volkes unterscheidet sich die Volkssprache von anderen Sprachen, die als Fremdsprachen empfunden werden, aber auch von der gehobenen Schriftsprache, mit der sich die Menschen in der Regel nicht so stark verbunden fühlen wie mit ihrer lokalen bzw. regionalen Mundart, d.h. ihrem spezifischen Dialekt (von lat. dialectus und dialectos bzw. griech. διάλεκτος diálektos „Redeweise, Mundart, Sprache“, von griech. διαλέγεσθαι dialégesthai „mit jemandem reden“), in dem der Sprachgenius am stärksten wirkt.

„Es ist im allgemeinen da, wo ein Dialekt lebt, von außerordentlich großer Wichtigkeit, ihn in der Schule zu pflegen; sonst ist es so, daß das Kind zu einer Sprache, die ihm fremd ist, ein abstraktes Verhältnis gewinnt, während es das konkrete Verhältnis zum Dialekt hat. Man sollte erst einmal aus dem Dialekt heraus dasjenige entwickeln, was sich in der allgemeinen Sprache, wie man sie nennen kann, findet; aus dem Dialekt, der auch gewöhnlich innerlich lebendiger, reicher ist. Wenn ein Kind im Dialekt lebt, nimmt man ihm etwas von dem lebendigen Verbundensein mit dem inneren Sprachgenius, wenn man seinen Dialekt nicht respektiert und das Kind in eine andere Sprache einführt.“ (Lit.:GA 309, S. 94f)

Eine vereinfachte Darstellung über die Entwicklung der europäischen Volkssprachen gab Rudolf Steiner in seinen Arbeitervorträgen:

„Von Rom aus wirkte in der neueren Zeit, also seit der Begründung des Christentums, vorzugsweise die Schlauheit. Und im Grunde genommen ist Europa mit der Schlauheit regiert worden durch viele Jahrhunderte - mit römischer Schlauheit. Es ist das so weit gegangen, daß die Römer die alte lateinische Sprache auch immer in den Schulen bewahrt haben, und die Volkssprache wurde eigentlich nur unter dem Volk gesprochen. Als die Römer dann mit dem Christentum die Wissenschaft einführten, da wurde nicht in der Volkssprache gesprochen - das kam nämlich erst im 18. Jahrhundert -, sondern da wurde überall in der lateinischen Sprache die Wissenschaft vorgetragen. So lange machte sich das Römertum auch in seiner ursprünglichen Gestalt bemerkbar.

Nun aber, was geschah im Westen, durch Spanien, Frankreich bis hinein nach England? Sehen Sie, da blieb wirklich das Römertum lebendig. Daher entstand die Sprache, in der das Römertum fortlebt. Hier, in Mitteleuropa, siegte mehr das germanische Element. Da entstanden die germanischen Sprachen. Hier drüben siegte das romanische Element; daher entstanden die romanischen Sprachen. Aber dem Stamme nach sind ja alle diese Menschen, die da waren, sowohl die, die nach Spanien, wie diejenigen, die nach Italien gewandert sind, eigentlich Germanen. Ich habe Ihnen die ripuarischen Franken, die salischen Franken aufgeschrieben, die sind später da herübergezogen - sie waren alle germanische Völkerschaften, besiedelten Frankreich. Und es hat sich über diese Franken, die da in Frankreich eingezogen sind, wie eine Wolke die romanische Sprache verbreitet, aus der das Französische geworden ist oder das Spanische geworden ist. Da lebt das alte Lateinische in veränderter Form fort.

Nur weiter im Osten, vom Rhein an, da haben die Menschen als Volk sich gesagt: Nun, die Gelehrten dadrinnen in den Schulen, mit ihren Perücken, die mögen lateinisch reden, und diejenigen, die Pfarrer werden wollen, die können ihnen ja zuhören; aber das Volk, das hat die Sprache bewahrt, behalten. - Und dadurch entstand der Gegensatz, an dem Europa heute noch nagt, dieser Gegensatz zwischen Mitteleuropa und Westeuropa.

Vom Osten kamen die Slawen allmählich nach. Nicht wahr, ich mußte Ihnen ja sagen: Diese Völkerschaften kommen herüber nach dem Westen, wo sie zum Teil verschwinden, zum Teil auch eine andere Sprache annehmen und so weiter, dann kamen die Slawen nach, siedelten sich im Osten von Europa an, drangen an manchen Stellen ziemlich weit vor. Hier zum Beispiel vermischte sich das alte germanische Element mit dem slawischen Elemente; aus bestimmten Gründen, die ich Ihnen das nächste Mal anführen werde, bekamen die Slawen im Osten drüben den Namen «Russen»; dagegen diejenigen, die nun da vorzogen in diese Gegenden, die verschwanden unter den Germanen. Es blieb eine Blutmischung. Und da entstanden dann die Borussen, diejenigen, die der Vortrupp der Russen sind. Aus Borussen wurde dann «Preußen»! Das ist ja nur das umgewandelte Wort. Da ist sehr viel slawisches Blut drinnen. Während die Slawen selber, wenn sie zurückbleiben, mehr passiv sind, mehr eine ruhige Bevölkerung sind, werden sie, wenn sie anderes Blut aufnehmen, kampflustig! Diese Kampflust, die im alten Germanentum war, die geht dann in sie über. Und so ist dasjenige, was in Preußen war, eine ziemlich kampflustige Bevölkerung geworden; auch das, was nach dem Westen hinübergezogen ist, auch die tschechische Bevölkerung, ist eigentlich eine ziemlich kampflustige Bevölkerung geworden.“ (Lit.:GA 353, S. 104ff)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie, GA 121 (1982), 5. Aufl., ISBN 3-7274-1210-0 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org ; 6. Aufl., stark bearbeitete und erweiterte Neuauflage 2017: ISBN 3727412119, (Die überarbeitete 6. Auflage enthält neu eine Darstellung der Textgrundlagen, ein Verzeichnis sämtlicher Korrekturen Steiners und einen vollständig neu bearbeiteten Kommentar. (Verlagsauskunft))
  2. Rudolf Steiner: Anthroposophische Pädagogik und ihre Voraussetzungen, GA 309 (1981), ISBN 3-7274-3090-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  3. Rudolf Steiner: Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker, GA 353 (1988), ISBN 3-7274-3532-1 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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