Diskussion:GA 4

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Zu Fußnote 3

Die Formulierungen Fußnote 3 könnten nahelegen, daß für Rudolf Steiner Erkenntnis immer bewußte Erkenntnis ist. Dies ist jedoch nur für die Erkenntnisresultate der Fall, den Vorstellungen. Mit diesen ist auch das Bewußtsein gegeben: Vorstellungsbewußtsein impliziert Selbstbewußtsein. Das Bewußtsein ist wie die Vorstellungen ein Resultat des aktiven Denkens. Diese aktives Denken selbst muß jedoch keineswegs bewußt agieren. Es ist zwar ein bewußtseinsfähiges Denken, es kann seiner selbst bewußt werden. Jedoch gewöhnlicherweise ist das nicht der Fall. Gewöhnlich wird die denkende Intuition unbewußt angewandt (oder sie wird nur von einem vagen Aktivitätsgefühl begleitet), und mit Wahrnehmlichen verbunden, und erst das Resultat, die Vorstellung wird bewußt.

Begriffliche, intuitive Erkenntnis und bewußte Erkenntnis sind also nicht gleichzusetzen. Begriffliche Erkenntnis kann vorbewußt sein, dies ist sogar der alltägliche Normalfall. Das intuitive Denken läuft nicht bewußt ab, sondern seine Ergebnisse, die Vorstellungen werden bewußt. Andererseits stellt sich die Frage, ob die Schemata, das Synthesevermögen der Wahrnehmung, über die bereits Kleinkinder verfügen, die noch nicht zu begrifflichem Denken fähig sind, nicht doch auch Resultate des intuitiven Denkens sind, freilich eben unbewußt. Das Denken (als einer geistigen Aktivität) wäre auch bei Kleinkindern aktiv und unbewußt schon tätig.

Angenommen, das wäre so, stellt sich die Frage nach einem vorbegrifflichen Sysnthesevermögen anders: Sind solche einfachen Vermögen, wie eine Gestaltwahrnehmung, trotz ihrer Unbegrifflichkeit und Passivität Resultate eines unbewußten intuitiven Denkens? Will man dies verneinen, ist doch aber weiter zwischen dem intuitiven Denken, meist unbewußt aktiv, und dem Anteil den die Wahrnehmungsprozesse für die Erkenntnisbildung haben, zu unterscheiden.

Die Konstatierung begleitender Gehirnprozesse kann diese Frage nicht beantworten, solange nicht unterschieden werden kann, welche solcher Gehirnprozesse vom Eingreifen des Denkens resultieren, und welche auch so ohne dieses (meist unbewußte) Denken ablaufen, also die zu passiver Synthesis fähigen Sinnesprozesse, wenn es sie denn tatsächlich so vollständig ohne Beteiligung des Denkens, i.S. einer zumeist unbewußten geistigen Aktivität) geben sollte.

Es könnte so sein, daß im Zuge der Gehirnformung in den ersten Lebensjahren, diejenige Kraft, die später als das intuitive Denken identifiziert wird, dem Gehirn das passive unterscheidende Wahrnehmungsvermögen einverleibt. Solche Gehirnstrukturen, vom aktiven Denken wieder verlassen, würden die passive Synthesis der Wahrnehmung, bzw. deren Grundvoraussetzung, ausmachen. Denkbar ist aber auch, daß die Wahrnehmungskompetenzen bereits angeboren sind, bzw. vom höheren Ich bzw. dem intuitiven Denken dem Gehirn oder Sinnessystem bereits im Mutterleib einverleibt werden. Hgp (Diskussion) 08:12, 13. Sep. 2018 (UTC)

Ich stimme dem vollkommen bezüglich dessen zu, was gewöhnlich als Erkenntnis bzw. als Denken bezeichnet wird. Tatsächlich läuft der allergrößte Teil der „kognitiven“ Prozesse unterbewusst ab. Das ist großteils auch im wissenschaftlichen und philosophischen Denken der Fall. Hier steht zwar ein bestimmter Begriffszusammenhang ganz bewusst im Fokus, ruht aber, wenn es nicht um ganz streng formale Ableitungen geht, auf einem zwar begriffsartigen, aber unterbewußt bleibenden Untergrund. Und insbesondere gilt das für das, was gemeinhin Intuition genannt wird. Da wird überhaupt nur das Ergebnis des unterbewussten Prozesses in Gedankenform bewusst. Bewusstseinmäßig steht diese Intuition daher sogar hinter dem alltäglichen Denken zurück, mag sie inhaltlich auch noch so genial sein (in der Regel sind die unterbewussten kognitiven Prozesse viel zielsicherer als die Verstaqndesprozesse).
Aber genau davon grenzt Steiner seinen Begriff des intuitiven Denkens streng ab. Darin liegt ja gerade der Witz, dass in der von Steiner gemeinten Intuition, dass hier der begriffliche Inhalt und der begriffliche Zusammenhang, der durch die eigene Willenstätig schöpferisch hervorgebracht wird, restlos im Bewusstsein überschaut wird. Jede andere Art von „Denken“ ist mehr oder minder ein bloßes „Gedankenhaben“ bis hin zur reinen Wahrnehmung der Gedanken anderer Menschen durch den Gedankensinn. Wahrnehmung ist ja nach Steiner Erkenntnis(!) ohne Beteiligung des Verstandes. Es gibt also keine festgelegte Grenze zwischen Denken und Wahrnehmung, sondern sie wird jeweils vom Menschen selbst in der jeweiligen Erkenntnissituation neu gezogen (beim nächsten Mal schon wieder anders). Und diese Grenze definiert das Bewusstsein. Das Denken umfasst alles, was voll bewusst hervorgebracht und in seinem Zusammenhang restlos überschaut wird. Der ganze Rest fällt unter den Begriff der Wahrnehmung, insofern es dem Bewusstsein fertig gegeben erscheint, weil es das Ergebnis unterbewusster Erkenntnisprozesse ist. Was uns zunächst als Wahrnehmung gegeben ist, ist aber nicht das, was Steiner als das „unmittelbar gegebene Weltbild“ bezeichnet, von dem er ja deutlich sagt, das so einfach von selbst nirgendwo gegeben ist. Man muss sich zu ihm erst Schritt für Schritt vortasten und künstlich alles aussondern, was zunächst unbewusste Erkenntnisprozesse sind. Aussondern dadurch, dass man sie in das Licht des bewussten Denkens hebt. Eben das versucht u.a. die Gehirnforschung aufzuklären. Damit besteht aber auch keine prizipielle Grenze, die uns hindern könnte, im voll bewussten Denken an die Wirklichkeit heranzukommen. Hier liegt eben der fatale Irrtum Kants, dem auch Traub unterliegt - was nur deutlich zeigt, dass er in diesem Punkt nicht verstanden hat, was Steiner sagen wollte. Er unterliegt hier der fortgeerbten philosophischen Tradition, die eben über das von Steiner gemeinte intuitive Denken nicht oder nur in beschränktem Maß verfügt und stets einen beträchtlichen Grundschlamm bloß ererbten „Gedankenhabens“ mitschleppt. Steiners intuitives Denken ist einerseits universell, indem es unmittelbar in die Weltwirklichkeit eintaucht, anderseits aber auch vollkommen individuell als schöpferisches Ergebnis seines Denkens, das seinem Ich entspringt. Steiner muss sich daher bezüglich seines intuitiven Denkens auf keinen einzigen anderen Denker stützen, er bezieht sich auf sie nur, um seine unabhängig gefundenen Erkenntnisse in ihrem Zusammenhang mit der Geistesgeschichte der Menschheit zu erläutern. Daher wäre auch jegliche Wahrheitsfindung durch Austausch innerhalb einer "anthroposophic community" wie sie etwa in der akademischen Wissenschaft in der "scientific community" ganz selbstverständlich stattfindet, völlig absurd. Der Inhalt der Anthroposophie wird erst wirkliche Erkenntnis, wenn sie individuell im intuitiven Denken erfasst wird. Das gelingt zugegebenermaßen noch wenig und daher betreiben wir überwiegend noch eine „Philosophie der Anthroposophie“, aber nicht wirkliche Anthroposophie. Nur die wenigen Momente, wo wirkliche vollbewusste individuelle intuitive Erkenntnis voliegt, verwirklicht sich die Anthroposophie durch uns. Daher sagt Steiner mit Recht, dass es die Anthroposophie so oft und damit auch in ganz unterschiedlicher Weise gibt, als es Menschen gibt, denen das wenigstens ansatzweise gelingt.
Das wollte ich in der Fußnote deutlich hervorheben, aber ich denke, dass das noch wesentlich klarer ausgedrückt müsste. Auch mit den eben geschriebenen Sätzen bin ich noch lange nicht zufrieden, aber vielleicht wird wenigstens die Richtung deutlich. Ich will damit vor allem auch den fundamentalen Unterschied zwischen dem philosophischen Denken, das ein absterbendes Relikt der 4. Kulturepoche ist (das zeigt sich gerade am deutlichsten an den besten zeitgenössischen Philosophen), und der Anthroposophie ausdrücken, die erst dem Bewusstseinseelenzeitalter Genüge leistet. Damit alles andere als irgendein Hochmut vorhanden, sondern das Bewusstsein dafür, dass hier noch eine sehr, sehr große Aufgabe vor uns liegt --Wolfgang Peter (Diskussion) 11:44, 13. Sep. 2018 (UTC)