Brunetto Latini und Geisteswissenschaft: Unterschied zwischen den Seiten

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[[Datei:Dante-Brunetto Bargello-Fresko.jpg|mini|250px|Das älteste Porträt [[Dante Alighieri]]s; links sein Lehrer ''Brunetto Latini'': Detail aus dem ''Fresko des Paradieses'' ( 14.Jhdt. ) von [[Wikipedia:Giotto di Bondone|Giotto di Bondone]] ([[Wikipedia:Bargello|Museo del Bargello]]. Maria-Magdalena-Kapelle, [[Wikipedia:Florenz|Florenz]])]]
[[Rudolf Steiner]] hat die von ihm entwickelte [[Anthroposophie]] vielfach auch als '''anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft''' bezeichnet, verwendet diesen Begriff aber anders, als das heute allgemein üblich ist, wo man unter den [[Geisteswissenschaften]] all jene [[Wissenschaft]]en versteht, die sich mit den kulturell-geistigen Schöpfungen des Menschen wie [[Philosophie]], [[Geschichte]], [[Kunst]], [[Religion]], [[Staat]], [[Recht]] usw. befassen. Mit dem Ausdruck '''Geisteswissenschaft''' meint Rudolf Steiner die genaue [[Methode|methodisch]] geleitete empirische Beobachtung und exakte wissenschaftliche Beschreibung des [[Geist]]igen, die sich vollgültig neben die [[Naturwissenschaft]] hinstellt, die sich ihrerseits die wissenschaftliche Erforschung der [[Natur]] zur Aufgabe gemacht hat. Steiner gebraucht für seine Forschungsmethode auch den Ausdruck '''Initiationswissenschaft''', weil sie eine gewisse [[Initiation]] in die inneren Zusammenhänge der [[Geistige Welt|geistigen Welt]] voraussetzt, d.h. den Zugang zu dem besonderen Gebiet, auf dem geforscht wird, voraussetzt. Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gründet sich auf eine rein [[geist]]ige [[Beobachtung]], der sich nur einzelne geistige [[Tatsache]]n, sondern auch deren innerer geistiger Zusammenhang unmittelbar erschließt. Ähnlich wie bei der [[Goetheanismus|goetheanistischen Forschung]] wird dabei auf jegliche Art von [[Hypothese]]nbildung verzichtet, da diese für die geistige Erkenntnis weder notwendig noch förderlich ist.


'''Brunetto Latini''' (* um [[Wikipedia:1220|1220]] [[Wikipedia:Florenz|Florenz]]; † [[Wikipedia:1294|1294]]) war ein [[italien|italien]]ischer Staatsmann, Schriftsteller, Gelehrter und Lehrer und väterlicher Freund des jungen [[Dante Alighieri]] (1265-1321).
Die Bezeichnung als ''Wissenschaft'' wollen viele Kritiker nicht gelten lassen, da geisteswissenschaftliche Erkenntnis nicht mit den Mitteln der modernen Wissenschaft errungen werden könne, sondern als Forschungswerkzeug die genannte [[Geistesschau]] angibt, die von der äußeren Wissenschaft nicht anerkannt wird. Zudem erfordere die anthroposophische Geisteswissenschaft ein langjähriges Studium und eine anstrengende Arbeit an sich selbst und sei damit nur subjektiv erlebbar, also nur vom einzelnen Menschen durch unmittelbare Erfahrung zu verifizieren. Die [[Erkenntnis]]se der anthroposophischen Geisteswissenschaft seien daher weder [[Objektivität|objektivierbar]] noch [[intersubjektiv]] nachprüfbar. Übersehen wird dabei, dass die Fähigkeiten zur geistigen Erfahrung in jedem Menschen schlummern und durch gezielte Übungen auch geweckt werden könnnen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der anthroposophischen Geisteswissenschaft in klare Gedanken gefasst, die von jedem nachvollzogen werden können, der über ein klares [[Denken]] verfügt und dessen [[Urteilsvermögen]] nicht durch überkommene [[Vorurteil]]e geblendet ist. Weiters können die Erkenntnisse der anthroposophischen Geisteswissenschaft auch jederzeit an der Lebenspraxis geprüft werden. Rudolf Steiner ließ zu diesem Zweck systematische '''[[Forschung]]''' betreiben und gab hierzu in seinen Vorträgen viele Anregungen, um seine Wissenschaft auf vielen Lebensgebieten praktisch anwendbar zu machen.


== Leben ==
== Unterschiede zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und anthroposophischer Geisteswissenschaft ==


Brunetto wurde um [[Wikipedia:1220|1220]] als Sohn des ''Bonacorso Latini'' in [[Wikipedia:Florenz|Florenz]] geboren. Da er einer einer hochangesehenen Familie enstammte, bekleidete er vermutlich schon ab 1253 hohe Ämter in der florentinischen Regierung.
Während sich die [[Philosophie]] spätestens seit [[Aristoteles]] vornehmlich auf das [[Spekulation|spekulative]] bzw. [[diskursiv]]e [[Denken]] gründet, beruht die Anthroposphie unmittelbar auf gedankenklarer, vollbewusster [[Hellsehen|geistiger Wahrnehmung]]. Das bereits in [[Rudolf Steiner]]s [[Erkenntnistheorie|erkenntnistheoretischen]] Grundlagenwerken angesprochene [[Intuitives Denken|intuitive Denken]] stellt eine elementare Form einer solchen geistigen Wahrnehmung dar.  


[[Wikipedia:1260|1260]], kurz nach seiner Heirat, war Brunetto als Gesandter in Spanien bei König [[Wikipedia:Alfons X. (Kastilien)|Alfons von Kastilien]]. Auf dem Rückweg in seine Heimatstadt Florenz erhielt er die Nachricht, dass die Partei der [[Wikipedia:Guelfen|Guelfen]], der er selbst angehörte, gestürzt worden sei und dass die [[Wikipedia:Ghibellinen|Ghibellinen]] mit brutaler Gewalt gegen sie vorgingen. Diese Nachricht traf ihn wie ein Schock, dazu kam noch ein leichter Sonnenstich, der seinen [[Ätherleib]] lockerte und ihm den geistigen Blick öffnete. Brunetto konnte in seinem [[Initiation]]s-Erlebnis einen Nachklang der [[Schule von Chartres]] auffangen {{GZ||240|302f}}. Äußerlich war die Schule von Chartres verklungen, aber die Äthersphäre war durchdrungen von ihrem Geist. Es war gerade die kurze Zeit der völligen geistigen Finsternis, die sich um [[1250]] über die Menschheit für wenige Jahre gebreitet hatte, abgelaufen.
{{LZ|Man verleumdet Anthroposophie, wenn man sie bloss
eine Philosophie nennt. Sie beruht nicht auf einer philosophischen
Spekulation, sondern sie beruht auf einer Anschauung,
die ebenso lebendig ist, wie nur je eine sinnliche
Anschauung sein kann, die aber eben errungen werden
muss, indem der Mensch die Kräfte, die in seiner Seele
sonst nur schlummern, so ausbildet, wie ich sie im Prinzip
angedeutet habe...|R. Steiner: ''Anthroposophie und die Rätsel der Seele'', Vortrag in Bern, 20. März 1922 [http://www.steiner-klartext.net/pdfs/19220320-01-01.pdf pdf]}}


Nach dem Sieg der Ghibellinen wurde Brunetto Latini verbannt und ging ins Exil nach [[Wikipedia:Paris|Paris]]. Hier schrieb er in [[Französische Sprache|französischer Sprache]] sein Werk ''[[Li Livres Dou Trésor]]'' (''"Buch vom Schatz"''), eine das [[Wissen]] seiner Zeit umspannende [[Enzyklopädie]], und fast gleichzeitig auf [[Wikipedia:Italienischer Sprache|Italienisch]] den ''Tesoretto''. Er trug damit wesentlich zur Entwicklung der italienischen Volkssprache bei. Der italienische Geschichtsschreiber [[Wikipedia:Giovanni Villani|Giovanni Villani]] (1276-1348) bezeichnete ihn deshalb als den ''"Beginner und Meister in der Entwicklung der toskanischen Sprache"''.
[[Christian Clement]] weist in seiner Einleitung zu [[SKA 5]] ganz darauf hin, dass Rudolf Steiner stets betont habe,  


Nach der Wiedereinsetzung der Guelfen, die [[Wikipedia:1266|1266]] in der [[Wikipedia:Schlacht bei Benevent|Schlacht bei Benevent]] die Ghibellinen bezwangen, konnte Brunetto [[Wikipedia:1267|1267]] nach Florenz zurückkehren, bekleidete hier fortan wieder wichtige Ämter und wurde [[Wikipedia:1287|1287]] zum Sekretär der Republik ernannt. Gewandt im Lateinischen, Toskanischen und Französischen war Brunetto als Redner, Dichter, Historiker, Rechtsgelehrter, Philosoph und Theologe hoch angesehen. In diese Zeit fällt auch die Erziehung des jungen Dante, der ihm durch Familienbeziehungen nahestand. Auch andere Dichter und Freunde Dantes aus dem Kreis der [[Fedeli d’Amore]] wie z. B. [[Guido Cavalcanti]] und [[Francesco da Barberino]] waren Brunettos Schüler. Dante gedenkt seines verehrten Lehrers in der [[Göttliche Komödie|Göttlichen Komödie]] im 15. Gesang des [[Inferno]]:
{{LZ|... dass eine wirklichkeitsgemäße Erkenntnis nicht allein
durch gedankliche Verarbeitung und Deutung
sinnlicher Beobachtungen erworben werden könne,
sondern dass zu diesem „sinnlichen“ Erkennen eine
völlig andere Art des Denkens und Wahrnehmens
hinzukommen müsse. Ein „höheres“, „übersinnliches“
Bewusstsein müsse entfaltet, ein neues „Organ“ erschlossen
werden, dessen Inhalt nicht einfach „gegeben“
seien, wie diejenigen der sinnlichen Wahrnehmung,
sondern die in energischer geistig-seelischer
Selbsterziehung erst innerlich hervorgebracht werden
müssten. Zu diesem höheren Bewusstsein sei die
Menschheit insgesamt derzeit erst noch unterwegs,
doch könne es durch seelisches und geistiges Üben
vom Philosophen bzw. Mystiker schon jetzt, gewissermaßen
als bewusstseinsevolutive Frühgeburt, bewusst
hervorgebracht werden. Dieses grundlegende
Postulat eines im Menschen als Potenzial schlummernden,
nicht auf sinnlichen Inhalten beruhenden
‚höheren‘ Bewusstseins verbindet nach Steiners Auffassung
seine eigene Philosophie mit so disparaten
Geistesströmungen wie Platonismus und Neuplatonismus,
der mittelalterlichen Mystik, mit Cusanus,
Paracelsus und Böhme, mit den Anschauungen Goethes
und Schillers und dem Idealismus eines Fichte,
Schelling und Hegel.|Christian Clement, SKA 5, XXXV}}


{| align="center" |
Die anthroposophische Geisteswissenschaft im Sinne Rudolf Steiners versteht sich, wie schon oben bemerkt, nicht als [[Spekulation|spekulative]], sondern als streng [[Empirie|empirische]] [[Wissenschaft]], die sich [[Methode|methodisch]] an der [[Naturwissenschaft]] orientiert, anders als diese aber nicht vordringlich die äußere [[physisch]]e [[Natur]] zum Gegenstand hat, sondern sich der Erforschung der [[Geistige Welt|geistigen Welt]] widmet, in der sie eine eigenständige, der [[physische Welt|physischen Welt]] übergeordnete und letztere bedingende [[Wirklichkeit]] erblickt, die durch die gezielte Entwicklung entsprechender [[seelisch]]er Wahrnehmungsorgane der [[Erfahrung]] zugänglich ist und durch das [[Denken]] in ihrem inneren Zusammenhang begriffen werden kann.  
|-
| <poem>{{Zeile|82}} Das ''theure, gute Vater-Angesicht'',
Noch seh’ ich’s vor betrübtem Geiste schweben,
Noch denk’ ich, wie ihr mich im heitern Licht
{{Zeile|85}} Gelehrt, wie Menschen ew’gen Ruhm erstreben,
Und wie mir dies noch theuer ist und werth,
Soll kund, so lang’ ich bin, die Zunge geben.
{{Zeile|88}} Was ihr von meiner Laufbahn mich gelehrt,
Bewahr’ ich wohl. –
                              ([http://de.wikisource.org/wiki/Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_086087.jpg Inferno 15,82-88])</poem>
|}


Warum Dante seinen geschätzten Lehrmeister in den siebenten Höllenkreis versetzt, wo die ''Gewalttäter wider die Natur'', die [[Wikipedia:Sodomie|Sodomisten]], fürchterliche Qualen leiden, bleibt allerdings unklar. Über etwaige [[Sexualität|sexuelle]] Verfehlungen - nach dem Maßstab der spätmittelalterlichen kirchlichen [[Moral]]lehre - ist nichts bekannt. Vielleicht ist die Ursache auch „nur“ in Dante anstößig erscheinenden Passagen in Brunettos Schriften zu suchen. Oder er sah die „Unzucht“ darin, dass sich Brunetto für sein ''Livre du Trésor'' des Französischen bedient hatte und damit der italienischen Volkssprache untreu geworden war - für Dante durchaus schwerwiegende Gründe.
{{GZ|Geisteswissenschaft ist die ''wahre Fortsetzerin'' der naturwissenschaftlichen
Forschung dadurch, daß sie das Gebiet
des Geistes mit denjenigen Mitteln zu erkennen strebt,
welche für dieses Gebiet tauglich sind. Als ''Fortsetzerin'' der
Naturwissenschaft kann sie nicht selbst ''bloße'' Naturwissenschaft
sein. Denn diejenigen Mittel, welche dieser Wissenschaft
so gewaltige Triumphe gebracht haben, vermochten
dies eben aus dem Grunde, weil sie der Erforschung der
Natur im höchsten Maße angepaßt waren, und weil diese
Forschung sie nicht durch andre - nicht für das Naturgebiet
geeignete - beeinträchtigt hat. Um auf dem Gebiete des
Geistes ein Ähnliches zu leisten, wie Naturwissenschaft auf
dem der Natur geleistet hat, muß Geisteswissenschaft andre
Erkenntnisfähigkeiten zur Entwickelung bringen, als die in
der Naturforschung anwendbaren sind. Damit muß sie
allerdings einen Gesichtspunkt geltend machen, der begreiflicherweise
in der Gegenwart vielseitigem Zweifel begegnen
kann. Man betrachte doch nur einmal unbefangen, was
über diese «andern Erkenntnisfähigkeiten» gesagt wird. Es
sind Fähigkeiten, welche durchaus in der Entwickelungslinie
der gewöhnlichen menschlichen Seelenkräfte liegen. Wie
muß die Geisteswissenschaft ihren Unterschied von der Naturwissenschaft
auffassen? Die Erforschung der Natur kann
nur mit den Erkenntniskräften gepflegt werden, welche der
Mensch im naturgemäßen Verlauf seines Lebens erlangt
und die zum Zwecke dieser Erforschung durch geregelte Beobachtung
und wissenschaftliche Versuchswerkzeuge unterstützt
werden. Um in die geistige Welt einzudringen, muß
sie der Mensch durch geistig-seelische Übungen über den
Punkt hinaus weiterentwickeln, bis zu dem sie ohne solche
Übungen sich - gleichsam von selbst - bilden.|35|159}}


Brunetto starb [[Wikipedia:1294|1294]].
Die Naturwissenschaft vermag uns nicht über das ganze Wesen des [[Mensch]]en aufzuklären. Sie kann uns nur eine Erkenntnis dessen vermitteln, was mit der [[Zeugung]] bzw. [[Geburt]] in der [[sinnliche Welt]] erscheint und mit dem [[Tod]] wieder vergeht. Das wahre Wesen des Menschen reicht jedoch weit über diese Grenzen hinaus.


Nach einem Hinweis [[Rudolf Steiner]]s soll [[Dante]] im karmischen Zusammenhang mit König [[Wikipedia:Johann (Sachsen)|Johann von Sachsen]] (1801-1873) stehen, der in [[Wikipedia:Dresden|Dresden]], dem [[Wikipedia:Elbflorenz|Elbflorenz]], ab 1854 regierte und unter dem Pseudonym ''Philalethes'' Dantes «[[Göttliche Komödie]]» ins Deutsche übersetzte. Vermutet wird auch der karmische Bezug von dessen Leibarzt [[Carl Gustav Carus]] (1789-1869) zu Brunetto Latini<ref>vgl. dazu: [http://www.perseus.ch/PDF-Dateien/carus2.pdf Ekkehard Meffert: ''Carl Gustav Carus und Brunetto Latini, der Lehrer Dantes''], Der Europäer Jg. 4 / Nr. 1 / November 1999</ref>.
{{GZ|Daher kann man sagen: Wirkliche Erkenntnis bietet heute dem,
der sie sucht, eigentlich nur die Naturwissenschaft. Aber was lehrt
die Naturwissenschaft vom Menschen? Sie lehrt das, was am Menschen
mit der Geburt oder Empfängnis entsteht und mit dem Tode
vergeht. Nichts anderes! Wenn man ehrlich sein will, so hat sie
nichts anderes. Daher ist es für den, der auf diesem Gebiete ehrlich
sein will, nicht anders möglich, als seinen Blick auf das zu richten,
was heute nicht mit den üblichen naturwissenschaftlichen Mitteln
erreicht werden kann, das heißt, eine wirkliche Seelen- und Geisteswissenschaft
zu begründen, die wiederum auf einer Erfahrung und
Beobachtung von Geistigem beruht, wie die alte Geisteserkenntnis.
Und das kann nicht anders geschehen als mit den Mitteln, die Sie
angegeben finden in meinen Büchern «[[Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?]]», «[[Die Geheimwissenschaft]]» und anderen,
indem sich der Mensch dadurch in die Möglichkeit versetzt, das
Geistige wirklich zu schauen und darüber so zu sprechen, wie er
über das spricht, was im Sinnlich-Materiellen vorliegt und zu einer
gediegenen Naturwissenschaft geführt hat. Alles, was auf der Erde
den Sinnen gegeben ist, was herangebracht werden kann an das Experiment,
das ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es ist auf
gutem Wege. Doch das alles liefert nur Erkenntnisse über den vergänglichen,
den sinnlichen, den zeitlichen Menschen. Daher können
wir gar nicht über das Irdische hinausschauen, wenn wir mit diesen
Mitteln den Menschen erfassen wollen. Denn schauen wir bloß auf
das Irdische, so schauen wir nur auf das, was vom Menschen vergänglich
ist.|231|61f}}


== Il Tesoretto ==
{{GZ|Sie will eine Eröffnung
[[Datei:Dante sodom.jpg|mini|300px|[[Dante]] und [[Wikipedia:Vergil|Vergil]] sprechen mit Brunetto Latini in der Hölle. Aus einem illustrierten Kommentar zur «[[Göttliche Komödie|Göttlichen Komödie]]», zirka 1345]]
der Tore zu einer übersinnlichen Welt sein. Und sie will
Brunetto Latini hat seine Schau in der Dichtung ''Il Tesoretto'' (''"der kleine Schatz"'') festgehalten, die nach Richard L. John „''unverkennbar die Spuren des [[Templer]]tums an sich''“ trägt<ref>Robert L. John: ''Dante'', S. 12</ref>:
diese Welt nicht durch bloßes spekulatives Denken finden,
sondern durch wirkliche Wahrnehmung, welche der menschlichen
Seele ebenso zugänglich ist wie die Wahrnehmung
der physischen Sinne. Man ist gewöhnlich der Ansicht, daß
eine solche Wahrnehmung in geistiger Art nur in Zuständen
der Vision, der Ekstase in der Seele auftritt, und daß
sie bei den mit ihr begnadeten Menschen keiner wissenschaftlichen
Kontrolle unterliege. Deshalb will man ihr
auch keinen anderen Wert beilegen als einen solchen persönlicher
Erlebnisse der einzelnen menschlichen Individuen.
Mit dieser Art von Seelenerlebnissen hat die moderne Theosophie nichts gemein. Sie zeigt, daß in der menschlichen
Seele Erkenntniskräfte schlummern, welche im gewöhnlichen
Leben und auch in der äußeren Wissenschaft nicht
zutage treten. Diese Kräfte können durch Meditation und
durch eine energische Konzentration des inneren Empfindungs-
und Willenslebens wachgerufen werden. Es muß
die Seele, um dazu zu kommen, sich abschließen können
gegenüber allen äußeren Eindrücken und auch gegenüber
allem, was das Gedächtnis von solchen äußeren Eindrücken
aufbewahrt. Meditation ist die intensive Hingabe der Seele
an Vorstellungen, Empfindungen und Gefühle, so, daß
man kein Bewußtsein davon entwickelt, was diese Vorstellungen
oder Gefühle für die physische Welt bedeuten, sondern
so, daß diese sich innerhalb des Seelenlebens als Kräfte
erweisen, welche die Seele gleichsam durchstrahlen und so
aus deren Tiefen Mächte herausholen, deren sich der Mensch
im gewöhnlichen Leben nicht bewußt ist. Die Wirkung dieser
inneren Versenkung ist eine solche, daß sich durch sie
der Mensch als einer geistigen Realität seines eigenen Wesens
bewußt wird, von welcher er sonst keine Wahrnehmung
hat. Bevor er solche Übungen anstellt, erkennt er sich
als eine Wesenheit, welche durch körperliche Organe von
sich und von der Welt etwas weiß. Nach solchen Übungen
weiß er, daß er ein Leben in sich entfalten kann, auch ohne
daß ihm seine körperlichen Organe ein solches Leben vermitteln.
Er weiß, daß er sich geistig abtrennen kann von seinem
physischen Körper und daß er durch diese Abtrennung
nicht in den Zustand der Bewußtlosigkeit versinken muß.
Und er erlangt nicht nur von sich selbst eine solche Erkenntnis,
sondern auch von einer übersinnlichen Welt,
welche sich für die gewöhnliche Erkenntnis hinter der
physisch-sinnlichen Welt verbirgt und in welcher die wahren
Ursachen dieser letzteren liegen.|35|145ff}}


Von Schmerzen gebeugt ob der erhaltenen Schreckensbotschaft verliert er wie in Trance den Weg und findet sich endlich in einem abgelegnen, wilden Wald wieder. Als er sich endlich wieder besinnen kann, sieht er sich vor einen Berg gestellt und beobachtet große Scharen seltsamer Tiere, Menschen, Gräser, Blumen, Bäume, Steine und Perlen. Alles ist in ständiger Verwandlung, entsteht und vergeht wieder – und zwar so, wie es ein daneben stehendes weibliches Wesen gebietet, das Brunetto einmal wie verkörpert in wunderschöner Gestalt erscheint, dann wieder riesenhaft und gestaltlos - [[Natura]]. Jetzt lacht ihr Gesicht, dann ist es von Schmerzen verzerrt.
== Siehe auch ==


{{GZ|Nun
* [[Geisteswissenschaften]]
schildert Brunetto Latini, wie die Schöpfung sich um den Berg ausbreitet,
wie ihm auf dem Berg eine riesige Frauengestalt erscheint,
auf deren Worte hin, auf deren Wortangaben hin sich diese Schöpfung,
die um den Berg ist, wandelt und ändert, andere Formen annimmt.
Und so wie Brunetto Latini spricht, so erkennt man: er spricht
so über diese Frauengestalt, wie in den alten Einweihungsmysterien
gesprochen worden ist über Proserpina. Nur hat die Vorstellung über
die Proserpina eben die Wandlung durchgemacht von der alten Griechenzeit
bis zum Ausgang der griechisch-lateinischen Zeit. Nicht so
wie die alten griechischen Dichter die Proserpina schildern, schildert
Brunetto Latini sie; er schildert sie eben so, wie sie in den menschlichen
Seelen lebte im Ausgang des griechisch-lateinischen Zeitalters.
Und dennoch: Das, was der alte Ägypter anhörte, wenn ihm die
Beschreibung der Isis, und was der Grieche anhörte, wenn ihm die
Beschreibung der Proserpina nahetrat durch die Einweihung, man
kann es vergleichen mit dem, was Brunetto Latini erzählt von dieser
Frauengestalt, auf deren Geheiß und Worte hin sich die Gestalten
der Schöpfung wandeln.|187|121f|122}}


<center>
== Literatur ==
{|width="800px" 
|-
| <div style="-moz-column-count: 2; -webkit-column-count: 2; column-count: 2;"><poem>Und ich in solcher Trauer
mit geneigtem Haupte nachdenkend,
verlor den großen Weg
und gelangte quer
{{Zeile|190}} durch einen seltsamen Wald.


Aber zurückkehrend zur Besinnung
* [[Rudolf Steiner]], [[Christian Clement]] (Hrsg.): ''Schriften. Kritische Ausgabe / Band 5: Schriften über Mystik, Mysterienwesen und Religionsgeschichte'', Bd. [[SKA 5]], frommann-holzboog Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt/Basel 2013, ISBN 978-3-7728-2635-1
wandte ich mich und heftete meinen Sinn
* [[Rudolf Steiner]]: ''Philosophie und Anthroposophie'', [[GA 35]] (1984) {{Vorträge|35}}
ringsherum auf das Gebirge
* [[Rudolf Steiner]]: ''Der übersinnliche Mensch, anthroposophisch erfaßt'', [[GA 231]] (1999), ISBN 3-7274-2310-2 {{Vorträge|231}}
und sah eine grosse Menge
{{Zeile|195}} von verschiedenen Tieren;
welche, kann ich nicht gut sagen,
aber Männchen und Weibchen,
wilde Tiere, Schlangen und Raubtiere
und Fische in grossen Scharen
{{Zeile|200}} und alle Arten
fliegender Vögel
und Gräser und Früchte und Blumen
und Steine und Sternblumen,
die sehr wohltuend sind,
{{Zeile|205}} und so viel andere Dinge,
dass kein sprechender Mensch
sie nennen,
noch einteilen kann.
Aber so viel kann ich davon sagen,
{{Zeile|210}} dass ich sie gehorchen sah,
enden und beginnen,
sterben und erzeugen
und ihre Natur annehmen
nach dem Befehl einer Gestalt,
{{Zeile|215}} die ich sah.
Und sie schien mir,
als wenn sie verkörpert wäre,
manchmal ungeformt,
manchmal den Himmel berührend,
{{Zeile|220}} der ihr Schleier zu sein schien;
und bisweilen verwandelte sie ihn
und bisweilen bewegte sie ihn.
Auf ihr Geheiß
bewegte sich das Firmament.
{{Zeile|225}} Und bisweilen breitete sie sich aus,
dass die ganze Welt in ihren Armen schien.
Einmal lachte das Gesicht,
dann wieder war es von Gram und Schmerz durchzogen,
{{Zeile|230}} schliesslich nahm es seinen früheren Ausdruck an.
 
[...]
 
Aber dann, als sie mich sah
lachte ihr Angesicht,
{{Zeile|285}} Zu mir wandte sie sich
sehr gütig und sagte:
Ich bin die Natur
{{Zeile|290}} und bin ein Werk
des höchsten Schöpfers,
er ist mein Schöpfer,
durch ihn wurde ich geschaffen
und begonnen,
{{Zeile|295}} aber seine große Macht
war ohne Anfang:
sie endigt weder, noch stirbt sie.
Aber meine ganze Arbeit ist,
dass, sobald ich sie entzünde,
{{Zeile|300}} sie sich verzehren muss.
Er ist allmächtig,
aber ich bin nichts,
wenn er es nicht gewährt.
Er sorgt vor für alles
{{Zeile|305}} und ist an jedem Ort
und weiß das, was vergangen
und die Zukunft und die Gegenwart,
aber ich bin nicht wissend,
außer um das, was er will,
{{Zeile|310}} Zeige mir, wie du es zu tun pflegst,
das, was du willst, das ich machen möge,
und das, was ich zerstören möge.
Durch ihn bin ich seine Arbeiterin,
deshalb befiehlt er mir;
{{Zeile|315}} so auf Erden und in der Luft
hat er mich zu seinem Stellvertreter gemacht.
Er ordnet die Welt
und ich nach seinem Befehl
{{Zeile|320}} leite es nach seinem Geist.</poem>
</div>
|}
</center>
 
Natura schildert dann, wie [[Gott]] durch das [[Sechstagewerk]] die ganze [[Schöpfung]] hervorgebracht hat, alle [[Pflanzen]] und [[Tiere]] und zuletzt den [[Mensch]]en als sein Ebenbild. Sie berichtet von der gestaltenden Vernunft und den engelhaften Wesenheiten, aber auch vom Hochmut [[Luzifer]]s und wie alle, die ihm folgen, ins ewige Feuer des [[Inferno]]s gestoßen werden. Sie spricht vom [[Sündenfall]] und seinen Folgen, der Vertreibung aus dem [[Paradies]], und vom Entschluss Gottes, zu sterben, um die Menschen wieder zu heilen.
 
Brunetto Latini erneuert so im [[Christentum|christlichen]] Sinn das, was der Ägypter mit der [[Isis]] verband und der Grieche schilderte im [[Proserpina-Persephone-Mythos]], die ihrer Mutter [[Demeter]] das Gewand webt. Der Unterschied besteht darin, dass man in alten Zeiten das Augenmerk vor allem auf das Ruhende, auf das in allem Wechsel Bleibende legte, während Brunetto gerade auf das sich Wandelnde schaut. Es sind aber immer die Seelenkräfte gemeint, die als Begleiter des Nus, des Weltengeistes, schaffend die Welt durchweben. Natura ist eine Schwester der Urania, des Sternenhimmels. So wie Urania die kosmische Beraterin des Nus ist, so wird Nus in den irdischen Bereichen von Natura beraten.
 
=== Der Initiationsweg des Brunetto Latini ===
 
{{GZ|Dasjenige, was man später abstrakt die Naturgesetzlichkeit
nannte, wovon man sich später durchaus nicht hat vorstellen
wollen, daß etwas Wesenhaftes dahinter ist, das sah Brunetto Latini in
Form der Imagination von einer Frau, aus deren Geiste, wie in einem
diese von ihm auch imaginierte Natur beherrschenden Worte, dasjenige
hervorging, was später in abstrakter Form als Naturgesetzmäßigkeit
empfunden wurde. Diese Frau sagte ihm dann - so erzählt er -, er solle
seine Seelenkräfte vertiefen, dann werde er immer tiefer in sich hineinkommen.
- Und nun ist es interessant, wie sie, gleichsam ihre Kraft über
ihn ausstrahlend, ihm die Möglichkeit gibt, immer tiefer in sich hineinzukommen.
Es ist das Untertauchen in die eigene Wesenheit. Und die
Reihenfolge, die er angibt, ist wirklich für gewisse Verhältnisse die
richtige Reihenfolge der Initiation.|161|52}}
 
Es sollen nun die einzelnen Stufen des Initiationsweges des Brunetto Latini genauer beschrieben werden.
 
{{GZ|Brunetto Latini hat vor sich dieses Zeitalter, in dem wir jetzt
drinnen leben. Er naht sich Florenz. Er weiß, dasjenige, was Florenz
geworden ist unter dem Impuls des unmittelbaren menschlichen
Lebens, der unmittelbaren intellektuellen Antriebe, das soll begraben
werden unter dem Aufkommen von Institutionen, die aus der
Abstraktion hervorgehen. Er naht sich Florenz. Der Schmerz macht,
so schildert er, daß er sich in einem Walde verirrt, in einem öden
Walde. Als er zur Besinnung kommt, bemerkt er inmitten einer großartigen
Weltenschöpfung - die seine Imagination ist - einen Weg und
eine riesige Frauengestalt. Wir hören, daß er unter dieser riesigen
Frauengestalt die «wahre Natur» anredet, nicht jene Natur, welche
die heutige Naturwissenschaft beschreibt, sondern die «wahre Natur».
Diese «wahre Natur» erteilt ihm Lehren über dasjenige, was im
Menschen lebt, über die Geheimnisse der menschlichen Seele, über
die Geheimnisse der vier menschlichen Temperamente, über die Geheimnisse
der menschlichen Sinne, über die Geheimnisse der Elemente,
über die Geheimnisse der Planeten. Sie führt ihn dann hinaus
über den Planetenbereich in den Ozean des Weltendaseins bis an die
Säulen des Herkules, wohlgemerkt: in einer Zeit, in der es noch nicht
den Kopernikanismus gegeben hat, in einer Zeit, in der Amerika
noch nicht wieder neu entdeckt worden war. Dann wird er darauf
aufmerksam gemacht, daß er alles das, also die ganze sichtbare Welt, zu
verlassen hat. Dann werde er erst erkennen die Geheimnisse von Gut
und Böse; dann werde er erst erkennen den Gott der Liebe und so
weiter. Man möchte sagen, diese Betrachtungsweise Brunetto Latinis
ist eine richtige Silvesterbetrachtung des vierten nachatlantischen
Zeitraums in der kosmischen Neujahrszeit des Heranrückens des
fünften nachatlantischen Zeitraums.|180|122f}}
 
Indem Natura ihre Kräfte über Brunetto ausgießt, durchlebt er die einzelnen Stufen seiner Initiation. Er steigt erlebend in sein Inneres hinein und lernt zunächst seine Seelenkräfte zu schauen als [[Imagination]] wilder [[Tier]]e. Brunetto schaut also den [[Astralleib]] bzw. zuerst die in den Astralleib eingebetteten Seelenglieder: [[Empfindungsseele]], [[Verstandesseele]] und [[Bewusstseinsseele]], die durch die noch unbewusste Arbeit des [[Ich]] an den Leibeshüllen gebildet werden. Indem das Ich den Astralleib umwandelt, entsteht zunächst die Empfindungsseele, durch Umwandlung des Ätherleibes bildet sich die Verstandesseele und die Bewusstseinsseele kommt dadurch zustande, das das Ich bis in den [[Physischer Leib|physischen Körper]] hinein arbeitet. Namentlich arbeitet der [[Intellekt]] beständig in das physische [[Gehirn]] hinein und bildet dort geordnete Strukturen. Früh erworbene starre Denkmuster sind sehr tief eingegraben und es bedarf hoher Willensanstrengung, um sie wieder aufzulösen. Das Denken muss beweglich werden, Denkmuster müssen kristallklar ausgebildet, aber auch immer wieder überwunden werden. Durch diese intensive Arbeitet am physischen Gehirn wird das Bewusstsein gesteigert. Zur Wahrnehmung der geistigen Außenwelt in Gedankenform (platonische [[Ideenschau]]) kommt es aber erst, wenn das Denken rein im Ätherischen abläuft und der Ätherleib gleichsam mit seinen ätherischen Fangarmen die äußere Ätherwelt abtastet. Trotzdem müssen diese Erlebnisse hereingeholt und anschließend mit dem physischen Verstand gefasst werden. Nur dadurch, eben durch diese Arbeit am physischen Leib, wird die Bewusstseinsseele immer stärker ausgebildet und zwar jetzt so, dass wir auch Gedanken bewusst erfassen können, die sich auf rein Geistiges beziehen.
 
Brunetto steigt also erlebend in sein Inneres hinein und lernt zuerst seine Seelenkräfte zu schauen ([[Astralleib]], Tier-Imaginationen) und dann die 4 [[Temperamente]] ([[Ätherleib]]), um anschließend durch die Tore der 5 [[Sinne]] ([[physischer Leib]]) in die geistige Außenwelt vorzustoßen. Zunächst in die Welt der 4 [[Elemente]], dann durch die 7 [[Planetensphären]] zum [[Tierkreis]], um schließlich, den 4 [[Vier Paradiesesströme|Paradiesesströmen]] folgend, den Ozean, den [[Okeanos]], zu durchschreiten, d.h. jene übersinnliche Sphäre, die überhaupt kein sinnlich-äußeres Korrelat mehr hat, die jenseits der [[Fixsternsphäre]] liegt, dorthin, wo man sonst nur unbewusst im tiefen Schlaf ist (vgl. Faust II: finstere Galerie). Es ist das Reich der gestaltlosen Urbilder, der höchsten [[Platonische Ideen|platonischen Ideen]] – das obere [[Devachan]] in anthroposophischer Ausdrucksweise. Dieses Hinausgehen in den [[Okeanos]] hat man früher bezeichnet als das Durchschreiten durch die "[[Säulen des Herakles]]" (im [[Hebräisch]]en als [[Jakim und Boas]]-Säulen beschrieben):
 
:::::*Seelenkräfte
:::::*vier Temperamente
:::::*fünf Sinne
:::::*vier Elemente
:::::*sieben Planeten
:::::*Okeanos
 
Alle diese Initiations-Schritte unternimmt Brunetto auf Geheiß der Frau, die ihm in der Imagination erscheint. Und dann, und das ist besonders wichtig und typisch, nachdem er den geistigen Ozean durchschwommen hat, erwacht er wieder in der physischen Welt! Er findet sich wieder in seinem Wald. Doch gleich steht Natura wieder neben ihm und ermahnt in, nach rechts weiterzureiten. Dann werde er die großen Lehre in ganz neuem Licht schauen: die Philosophie, die 4 (platonischen) Tugenden (also Weisheit, Mut, Mäßigkeit und Gerechtigkeit) und endlich den Gott der Liebe. Entscheidend ist also, dass Brunetto jetzt seine geistige Erkenntnis in das wache Tagesbewusstsein mitnehmen kann.
 
Brunetto erlebt das nun so: er kommt zunächst in eine Wüste. Hier sind keine Menschen, keine Tiere, keine Pflanzen, kein Fluß und kein Bach. Schließlich schaut er Kaiser, Könige, Gelehrte, über allen aber die Kaiserin, Tugend genannt, mit ihren vier Königstöchtern. Bald erscheint sie ihm als ein einziges Wesen, dann wieder als vier Wesen. Brunetto kommt dann weiter in das Reich des Glücks und der Liebe. Von einem Pfeil des Liebesgottes getroffen, wünscht Brunetto zu entfliehen und wird von Ovid (Metamorphosen!) von diesem Ort befreit.
 
Der Tesoretto nimmt dann noch einen weiteren Fortgang, wo Brunetto schildert, wie er im Kloster zu Montpellier, wo auch [[Alanus ab Insulis]] gewirkt hatte, den Mönchen seine Sünden beichtet. Endlich schildert Brunetto, wie er eine weitere Reise unternimmt, um die 7 freien Künste zu schauen. An einem Festtag reitet er wieder in den Wald, erschaut dort den Berg Olymp, die vier Elemente und schließlich begegnet er [[Ptolemäus]], redet ihn an ... und damit bricht unvollendet das Werk ab.
 
Bedeutsam ist Brunettos Werk als allerletztes Beispiel dafür, wie man im Mittelalter noch aus dem inneren Erleben zu einem geistigen Schauen der Natur durchbrechen konnte. Dann kam das Zeitalter der äußeren Naturwissenschaft. Und das hat auch Konsequenzen für den Initiations-Weg. Um heute einen ähnlichen Weg wie Brunetto gehen zu können, bedarf es einer weiteren Vorbereitung. Würden wir so wie er durch die Tore der Sinne in die geistige Außenwelt hinaustreten, würde sich eine ziemliche geistige Finsternis ausbreiten. Damit das nicht geschieht, bedarf es folgender Einschiebung auf dem Initiationsweg: man muss sich darin üben, Geistig-Ideelles als äußere Wirklichkeit in der Metamorphose der Gestaltungen der Welt zu schauen – also das, was [[Goethe]] mit seiner [[Metamorphosenlehre]] angestrebt hat.
 
Eine weitere Einschiebung auf dem [[Schulungsweg]] ist heute notwendig, bevor man die «Säulen des Herakles» durchschreitet. Man muss einen festen inneren Schwerpunkt, eine ungeheure Vertiefung seines eigenen Wesens erfahren, etwas was einem dann die Orientierung geben, die Richtung weisen kann in dem ungeheuren geistigen Ozean. Und es muss dabei die ganz starke Empfindung entstehen, das es äußere Dinge geben kann, die einem subjektiv gar nichts angehen, die man aber doch so intensiv und begeistert miterlebt, als würden sie einem selbst zutieftst betreffen. So erwirbt man sich ein Werkzeug der Orientierung, einen Kompass für die geistige Welt. Es geht also um die Stärkung der Ich-Kraft und der damit verbundenen Liebes-Kraft. Dann kann sich das Wort von Goethes Faust erfüllen: "In deinem Nichts hoff’ ich das All zu finden!" Damit stellt sich der moderne Initiationsweg insgesamt so dar:
 
:::::*Seelenkräfte
:::::*vier Temperamente
::::::*'''Metamorphosen des Lebens'''
:::::*fünf Sinne
:::::*vier Elemente
:::::*sieben Planeten
::::::*'''Werkzeug der Orientierung (Kompass)''' [[Ich]]
:::::*Okeanos
 
Berühmt wurde Brunetto allerdings nicht des ''Tesorettos'' wegen, sondern wegen des "großen Schatzes", des ''«Trésor»'', einem enzyklopädischen Werk, das die gesamte damalige Welterkenntnis zu umfassen strebte, und das Brunetto später in Frankreich in französischer Sprache verfasst hat. In späteren Jahren bekleidete Brunetto wieder öffentliche Ämter in Florenz und wurde hier der Freund und Lehrer des Dante. Der Einfluß auf Dantes "[[Göttliche Komödie]]" ist unübersehbar.
 
== Werke (Auswahl) ==
 
* ''Il Tesoretto e il Favolello'', hersg. von B. von Wiese, in: Zeitschrift für romanische Philologie 7, S. 236 ss.
* ''Li livres dou Trésor'', herausgegeben von [[Wikipedia:Polycarpe Chabaille|Polycarpe Chabaille]], Paris 1863.
 
== Anmerkungen ==
 
<references />
 
==Literatur==
 
# Robert L. John: ''Dante'', Springer-Verlag, Wien 1946, ISBN 978-3-211-80023-2
# Brunetto Latini, Dora Baker (Übers.): ''Tesoretto. Die Geschichte einer Einweihung an der Schwelle der Neuzeit'', Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1979 ISBN 978-3772507069
#Rudolf Steiner: ''Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung'', [[GA 161]] (1980), Dornach, 30. Januar 1915 {{Vorträge|161}}
#Rudolf Steiner: ''Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung'', [[GA 180]] (1980), ISBN 3-7274-1800-1 {{Vorträge|180}}
#Rudolf Steiner: ''Wie kann die Menschheit den Christus wiederfinden? Das dreifache Schattendasein unserer Zeit und das neue Christus-Licht'', [[GA 187]], Dornach, 29. Dezember 1918 {{Vorträge|187}}
#Rudolf Steiner: ''Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge. Sechster Band'', [[GA 240]] (1992), ISBN 3-7274-2401-X {{Vorträge|240}}


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== Weblinks ==
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* {{DNB-Portal|118516108}}
* {{Google Buch|BuchID=_drXNr_wEw0C|Linktext=Brunetto Latini: ''Il Tesoretto - The Little Treasure'' (italienisch/englisch)}}
* [http://www.perseus.ch/PDF-Dateien/carus2.pdf Carl Gustav Carus und Brunetto Latini, der Lehrer Dantes] - Hinweise auf eine spätere Inkarnation Brunetto Latinis als Carl Gustav Carus.
* [http://archive.org/details/lilivresdoutreso00latiuoft Brunetto Latini: ''Li Livred dou Trésor''], herausgegeben von François Adrien Polycarpe Chabaille, Paris 1863 ([http://archive.org archive.org])
 
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Version vom 27. Juni 2020, 17:43 Uhr

Rudolf Steiner hat die von ihm entwickelte Anthroposophie vielfach auch als anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft bezeichnet, verwendet diesen Begriff aber anders, als das heute allgemein üblich ist, wo man unter den Geisteswissenschaften all jene Wissenschaften versteht, die sich mit den kulturell-geistigen Schöpfungen des Menschen wie Philosophie, Geschichte, Kunst, Religion, Staat, Recht usw. befassen. Mit dem Ausdruck Geisteswissenschaft meint Rudolf Steiner die genaue methodisch geleitete empirische Beobachtung und exakte wissenschaftliche Beschreibung des Geistigen, die sich vollgültig neben die Naturwissenschaft hinstellt, die sich ihrerseits die wissenschaftliche Erforschung der Natur zur Aufgabe gemacht hat. Steiner gebraucht für seine Forschungsmethode auch den Ausdruck Initiationswissenschaft, weil sie eine gewisse Initiation in die inneren Zusammenhänge der geistigen Welt voraussetzt, d.h. den Zugang zu dem besonderen Gebiet, auf dem geforscht wird, voraussetzt. Die anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft gründet sich auf eine rein geistige Beobachtung, der sich nur einzelne geistige Tatsachen, sondern auch deren innerer geistiger Zusammenhang unmittelbar erschließt. Ähnlich wie bei der goetheanistischen Forschung wird dabei auf jegliche Art von Hypothesenbildung verzichtet, da diese für die geistige Erkenntnis weder notwendig noch förderlich ist.

Die Bezeichnung als Wissenschaft wollen viele Kritiker nicht gelten lassen, da geisteswissenschaftliche Erkenntnis nicht mit den Mitteln der modernen Wissenschaft errungen werden könne, sondern als Forschungswerkzeug die genannte Geistesschau angibt, die von der äußeren Wissenschaft nicht anerkannt wird. Zudem erfordere die anthroposophische Geisteswissenschaft ein langjähriges Studium und eine anstrengende Arbeit an sich selbst und sei damit nur subjektiv erlebbar, also nur vom einzelnen Menschen durch unmittelbare Erfahrung zu verifizieren. Die Erkenntnisse der anthroposophischen Geisteswissenschaft seien daher weder objektivierbar noch intersubjektiv nachprüfbar. Übersehen wird dabei, dass die Fähigkeiten zur geistigen Erfahrung in jedem Menschen schlummern und durch gezielte Übungen auch geweckt werden könnnen. Darüber hinaus werden die Ergebnisse der anthroposophischen Geisteswissenschaft in klare Gedanken gefasst, die von jedem nachvollzogen werden können, der über ein klares Denken verfügt und dessen Urteilsvermögen nicht durch überkommene Vorurteile geblendet ist. Weiters können die Erkenntnisse der anthroposophischen Geisteswissenschaft auch jederzeit an der Lebenspraxis geprüft werden. Rudolf Steiner ließ zu diesem Zweck systematische Forschung betreiben und gab hierzu in seinen Vorträgen viele Anregungen, um seine Wissenschaft auf vielen Lebensgebieten praktisch anwendbar zu machen.

Unterschiede zwischen Philosophie, Naturwissenschaft und anthroposophischer Geisteswissenschaft

Während sich die Philosophie spätestens seit Aristoteles vornehmlich auf das spekulative bzw. diskursive Denken gründet, beruht die Anthroposphie unmittelbar auf gedankenklarer, vollbewusster geistiger Wahrnehmung. Das bereits in Rudolf Steiners erkenntnistheoretischen Grundlagenwerken angesprochene intuitive Denken stellt eine elementare Form einer solchen geistigen Wahrnehmung dar.

„Man verleumdet Anthroposophie, wenn man sie bloss eine Philosophie nennt. Sie beruht nicht auf einer philosophischen Spekulation, sondern sie beruht auf einer Anschauung, die ebenso lebendig ist, wie nur je eine sinnliche Anschauung sein kann, die aber eben errungen werden muss, indem der Mensch die Kräfte, die in seiner Seele sonst nur schlummern, so ausbildet, wie ich sie im Prinzip angedeutet habe...“ (Lit.: R. Steiner: Anthroposophie und die Rätsel der Seele, Vortrag in Bern, 20. März 1922 pdf)

Christian Clement weist in seiner Einleitung zu SKA 5 ganz darauf hin, dass Rudolf Steiner stets betont habe,

„... dass eine wirklichkeitsgemäße Erkenntnis nicht allein durch gedankliche Verarbeitung und Deutung sinnlicher Beobachtungen erworben werden könne, sondern dass zu diesem „sinnlichen“ Erkennen eine völlig andere Art des Denkens und Wahrnehmens hinzukommen müsse. Ein „höheres“, „übersinnliches“ Bewusstsein müsse entfaltet, ein neues „Organ“ erschlossen werden, dessen Inhalt nicht einfach „gegeben“ seien, wie diejenigen der sinnlichen Wahrnehmung, sondern die in energischer geistig-seelischer Selbsterziehung erst innerlich hervorgebracht werden müssten. Zu diesem höheren Bewusstsein sei die Menschheit insgesamt derzeit erst noch unterwegs, doch könne es durch seelisches und geistiges Üben vom Philosophen bzw. Mystiker schon jetzt, gewissermaßen als bewusstseinsevolutive Frühgeburt, bewusst hervorgebracht werden. Dieses grundlegende Postulat eines im Menschen als Potenzial schlummernden, nicht auf sinnlichen Inhalten beruhenden ‚höheren‘ Bewusstseins verbindet nach Steiners Auffassung seine eigene Philosophie mit so disparaten Geistesströmungen wie Platonismus und Neuplatonismus, der mittelalterlichen Mystik, mit Cusanus, Paracelsus und Böhme, mit den Anschauungen Goethes und Schillers und dem Idealismus eines Fichte, Schelling und Hegel.“ (Lit.: Christian Clement, SKA 5, XXXV)

Die anthroposophische Geisteswissenschaft im Sinne Rudolf Steiners versteht sich, wie schon oben bemerkt, nicht als spekulative, sondern als streng empirische Wissenschaft, die sich methodisch an der Naturwissenschaft orientiert, anders als diese aber nicht vordringlich die äußere physische Natur zum Gegenstand hat, sondern sich der Erforschung der geistigen Welt widmet, in der sie eine eigenständige, der physischen Welt übergeordnete und letztere bedingende Wirklichkeit erblickt, die durch die gezielte Entwicklung entsprechender seelischer Wahrnehmungsorgane der Erfahrung zugänglich ist und durch das Denken in ihrem inneren Zusammenhang begriffen werden kann.

„Geisteswissenschaft ist die wahre Fortsetzerin der naturwissenschaftlichen Forschung dadurch, daß sie das Gebiet des Geistes mit denjenigen Mitteln zu erkennen strebt, welche für dieses Gebiet tauglich sind. Als Fortsetzerin der Naturwissenschaft kann sie nicht selbst bloße Naturwissenschaft sein. Denn diejenigen Mittel, welche dieser Wissenschaft so gewaltige Triumphe gebracht haben, vermochten dies eben aus dem Grunde, weil sie der Erforschung der Natur im höchsten Maße angepaßt waren, und weil diese Forschung sie nicht durch andre - nicht für das Naturgebiet geeignete - beeinträchtigt hat. Um auf dem Gebiete des Geistes ein Ähnliches zu leisten, wie Naturwissenschaft auf dem der Natur geleistet hat, muß Geisteswissenschaft andre Erkenntnisfähigkeiten zur Entwickelung bringen, als die in der Naturforschung anwendbaren sind. Damit muß sie allerdings einen Gesichtspunkt geltend machen, der begreiflicherweise in der Gegenwart vielseitigem Zweifel begegnen kann. Man betrachte doch nur einmal unbefangen, was über diese «andern Erkenntnisfähigkeiten» gesagt wird. Es sind Fähigkeiten, welche durchaus in der Entwickelungslinie der gewöhnlichen menschlichen Seelenkräfte liegen. Wie muß die Geisteswissenschaft ihren Unterschied von der Naturwissenschaft auffassen? Die Erforschung der Natur kann nur mit den Erkenntniskräften gepflegt werden, welche der Mensch im naturgemäßen Verlauf seines Lebens erlangt und die zum Zwecke dieser Erforschung durch geregelte Beobachtung und wissenschaftliche Versuchswerkzeuge unterstützt werden. Um in die geistige Welt einzudringen, muß sie der Mensch durch geistig-seelische Übungen über den Punkt hinaus weiterentwickeln, bis zu dem sie ohne solche Übungen sich - gleichsam von selbst - bilden.“ (Lit.:GA 35, S. 159)

Die Naturwissenschaft vermag uns nicht über das ganze Wesen des Menschen aufzuklären. Sie kann uns nur eine Erkenntnis dessen vermitteln, was mit der Zeugung bzw. Geburt in der sinnliche Welt erscheint und mit dem Tod wieder vergeht. Das wahre Wesen des Menschen reicht jedoch weit über diese Grenzen hinaus.

„Daher kann man sagen: Wirkliche Erkenntnis bietet heute dem, der sie sucht, eigentlich nur die Naturwissenschaft. Aber was lehrt die Naturwissenschaft vom Menschen? Sie lehrt das, was am Menschen mit der Geburt oder Empfängnis entsteht und mit dem Tode vergeht. Nichts anderes! Wenn man ehrlich sein will, so hat sie nichts anderes. Daher ist es für den, der auf diesem Gebiete ehrlich sein will, nicht anders möglich, als seinen Blick auf das zu richten, was heute nicht mit den üblichen naturwissenschaftlichen Mitteln erreicht werden kann, das heißt, eine wirkliche Seelen- und Geisteswissenschaft zu begründen, die wiederum auf einer Erfahrung und Beobachtung von Geistigem beruht, wie die alte Geisteserkenntnis. Und das kann nicht anders geschehen als mit den Mitteln, die Sie angegeben finden in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», «Die Geheimwissenschaft» und anderen, indem sich der Mensch dadurch in die Möglichkeit versetzt, das Geistige wirklich zu schauen und darüber so zu sprechen, wie er über das spricht, was im Sinnlich-Materiellen vorliegt und zu einer gediegenen Naturwissenschaft geführt hat. Alles, was auf der Erde den Sinnen gegeben ist, was herangebracht werden kann an das Experiment, das ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es ist auf gutem Wege. Doch das alles liefert nur Erkenntnisse über den vergänglichen, den sinnlichen, den zeitlichen Menschen. Daher können wir gar nicht über das Irdische hinausschauen, wenn wir mit diesen Mitteln den Menschen erfassen wollen. Denn schauen wir bloß auf das Irdische, so schauen wir nur auf das, was vom Menschen vergänglich ist.“ (Lit.:GA 231, S. 61f)

„Sie will eine Eröffnung der Tore zu einer übersinnlichen Welt sein. Und sie will diese Welt nicht durch bloßes spekulatives Denken finden, sondern durch wirkliche Wahrnehmung, welche der menschlichen Seele ebenso zugänglich ist wie die Wahrnehmung der physischen Sinne. Man ist gewöhnlich der Ansicht, daß eine solche Wahrnehmung in geistiger Art nur in Zuständen der Vision, der Ekstase in der Seele auftritt, und daß sie bei den mit ihr begnadeten Menschen keiner wissenschaftlichen Kontrolle unterliege. Deshalb will man ihr auch keinen anderen Wert beilegen als einen solchen persönlicher Erlebnisse der einzelnen menschlichen Individuen. Mit dieser Art von Seelenerlebnissen hat die moderne Theosophie nichts gemein. Sie zeigt, daß in der menschlichen Seele Erkenntniskräfte schlummern, welche im gewöhnlichen Leben und auch in der äußeren Wissenschaft nicht zutage treten. Diese Kräfte können durch Meditation und durch eine energische Konzentration des inneren Empfindungs- und Willenslebens wachgerufen werden. Es muß die Seele, um dazu zu kommen, sich abschließen können gegenüber allen äußeren Eindrücken und auch gegenüber allem, was das Gedächtnis von solchen äußeren Eindrücken aufbewahrt. Meditation ist die intensive Hingabe der Seele an Vorstellungen, Empfindungen und Gefühle, so, daß man kein Bewußtsein davon entwickelt, was diese Vorstellungen oder Gefühle für die physische Welt bedeuten, sondern so, daß diese sich innerhalb des Seelenlebens als Kräfte erweisen, welche die Seele gleichsam durchstrahlen und so aus deren Tiefen Mächte herausholen, deren sich der Mensch im gewöhnlichen Leben nicht bewußt ist. Die Wirkung dieser inneren Versenkung ist eine solche, daß sich durch sie der Mensch als einer geistigen Realität seines eigenen Wesens bewußt wird, von welcher er sonst keine Wahrnehmung hat. Bevor er solche Übungen anstellt, erkennt er sich als eine Wesenheit, welche durch körperliche Organe von sich und von der Welt etwas weiß. Nach solchen Übungen weiß er, daß er ein Leben in sich entfalten kann, auch ohne daß ihm seine körperlichen Organe ein solches Leben vermitteln. Er weiß, daß er sich geistig abtrennen kann von seinem physischen Körper und daß er durch diese Abtrennung nicht in den Zustand der Bewußtlosigkeit versinken muß. Und er erlangt nicht nur von sich selbst eine solche Erkenntnis, sondern auch von einer übersinnlichen Welt, welche sich für die gewöhnliche Erkenntnis hinter der physisch-sinnlichen Welt verbirgt und in welcher die wahren Ursachen dieser letzteren liegen.“ (Lit.:GA 35, S. 145ff)

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.