Prägnanz

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Prägnanz (von lat. praegnans „schwanger, trächtig“) kommt einer Aussage bzw. einer symbolischen Darstellung zu, wenn sie trotz ihrer Kürze ein hohes Maß an Bedeutung enthält. Ein prägnanter Ausdruck ist gleichsam hochschwanger an sinnvollem Inhalt und verdichtet ihn auf die knappest mögliche Form. Er bringt das Wesenliche einer Sache ohne Weitschweifigkeit und Umständlichkeit kurz, präzise und markant auf den Punkt, ohne deshalb in einer abstrakten Definition zu erstarren. Vielmehr regt er dazu an, die ganze Fülle des mitschwingenden Bedeutungsgehalts zu erahnen und sich diese im lebendigen Denken zu vergegenwärtigen. Insbesondere geisteswissenschaftliche Darstellungen, die auf kein äußerlich sinnlich erfahrbares Objekt verweisen können, erfordern eine hohe Prägnanz, die den geistigen Blick auf einen nur übersinnlich wahrnehmbaren Tatsachenzusammenhang lenkt.

Gestaltpsychologisch heben sich prägnante Formen sofort aus einer Fülle anderer Elemente hervor und werden zu allererst wahrgenommen (Gesetz der Prägnanz). Sprachliche Ausdrücke erhalten ihre Prägnanz nicht nur durch den Gedankengehalt der verwendeten Worte, sondern vielfach auch durch den bildhaft formenden Charakter der darin vorkommenden Laute und Lautkombinationen.

„Herauszuholen aus den irdischen Gestaltungen die Stoßlaute, das ist dasjenige, was uns wirklich im Sprechen weiterbringt. Aber all das, was wir in dieser Weise üben, kann in den schönen Fluß der Sprache übergehen, wenn wir es eben verfließen lassen, wenn wir so eine Pyramide, die eigentlich ein k darstellt und in der wir innerlich in der Sprache leben, während wir k sagen, dazu bringen, daß sie verfließen muß, daß sie sich auflösen muß. Dann lassen wir den k-Laut übergehen in den l-Laut, und Sie werden sehen, das fließt weg wie Wasser, was da erst ganz fest ist. K, l = das fließt weg wie Wasser. Und was interessiert Sie denn, wenn Sie das Wort Keil sagen? Ein Keil, der nichts keilt, der also nicht verfließt in seiner Bewegung, hat ja keinen Sinn, und ein Keil hat ein k ganz richtig, weil er eine Pyramide ist, wenn man ihn aufstellt. Aber dasjenige, was uns am Keil interessiert, ist, daß er verfließt. Also das ist ein Wort von einer inneren Prägnanz, die großartig ist! Und sagen Sie Keil und fühlen dasjenige, was der Keil tut, fühlen Sie etwas zerspalten dabei, und dieses Übergehen in den Fluß unter Hemmnissen, die Hemmung wiederum durch das ei ausgedrückt, durch das Vokalische, dann haben Sie ein Wunderbares.“ (Lit.:GA 282, S. 346)

So zeichnet etwa das erste Wort des hebräischen Tanach, Bereschit (בְּרֵאשִׁית), das gemeinhin mit „im Anfang“ übersetzt wird, durch seine Lautfolge bereits ein zunächst noch sehr grobes imaginatives Bild des gesamten Schöpfungsgeschehens, wie es im Sechstagewerk geschildert wird. Durch meditative Versenkung kann sich dieses Bild zu einer umfassenden geistigen Erfahrung ausweiten. In der deutschen Übersetzung ist dieser sprachimmanete Bildgehalt völlig verloren gegangen.

Die Prägnanz geisteswissenschaftlicher Ausdrücke erhellt Rudolf Steiner u.a. auch an der für die geistigen Wahrnehmungsorgane überlieferten Bezeichnung „Lotosblumen“:

„Also es handelt sich darum, daß für geisteswissenschaftliche Erörterungen schon eine außerordentlich starke Gewissenhaftigkeit gegenüber der Erkenntnis vorhanden sein muß, sonst kommt man überhaupt in der Geisteswissenschaft nicht vorwärts. Diese Gewissenhaftigkeit wird ja von den Menschen der Gegenwart auch bemerkt; sie sehen, wie man genötigt ist, seine Satze nach allen Seiten hin durchzuhecheln, damit sie prägnant werden, und diese Menschen der Gegenwart, die heute gewöhnt sind an die journalistische Handhabung des Stils, nennen dieses Ringen nach Prägnanz einen schlechten Stil.

Nun, man muß solche Dinge eben durchaus aus der Eigenartigkeit der Zeit heraus verstehen. Und deshalb, weil die Gegenwart aus ihrem Materialismus und Intellektualismus heraus auch die Sprache in einer gewissen Weise so bedrängt hat, daß die Sprache, indem wir sie handhaben, nurmehr sich bezieht auf Materielles, kann man schwer die Worte finden, die man zuweilen braucht, um dasjenige zu bezeichnen, was man erlebt und muß dann greifen zu älteren, noch aus dem instinktiven Schauen herausgeholten Worten, die einem viel mehr die Möglichkeit geben, dasjenige auszudrücken, was man ausdrücken will. Darauf beruht dann wieder das Mißverständnis, daß die Leute, die nur am Worte haften, nun glauben, daß man mit dem Worte dasjenige entlehnt, was in der Übersetzung des Wortes enthalten ist. Das ist nicht so. Das Wort «Lotosblume», das ist ein aus der orientalischen Weisheit entlehnter Ausdruck, aber dasjenige, was ich schildere [in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»], ist durchaus nicht aus der orientalischen Weisheit entlehnt.“ (Lit.:GA 343a, S. 74f)

Eine hohe Prägnanz haben insbesondere die Wochensprüche des anthroposophischen Seelenkalenders oder die anthroposophischen Leitsätze.

Literatur