Religionsgeschichte und St. George Mivart: Unterschied zwischen den Seiten

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'''Religionsgeschichte''' ist ein universitäres Fach – eine '''Wissenschaft''', die sich mit der  historischen und gegenwärtigen Entwicklung der [[Religion]]en und der [[Wikipedia:Religiosität|Religiosität]] hinsichtlich ihrer jeweiligen Entwicklung im historischen Kontext befasst. Hierbei werden die entsprechende Religionen zunächst in der ihr eigenen Geschichte und Tradition untersucht, um diese später zum Beispiel anhand funktionaler oder typologischer Kriterien einzuordnen, zu klassifizieren und schließlich eine [[Wikipedia:Klassifikation|Systematik]] der Glaubenssysteme zu erarbeiten. So entsteht eine Basis, die für das ''glaubensunabhängige'' Vergleichen verschiedener Religionen (komparative Religionswissenschaft) essentiell ist. In der Praxis ist der Übergang zu dem eigenständigen Fach [[Wikipedia:Religionswissenschaft|Religionswissenschaft]] fließend. Im Gegensatz hierzu steht die phänomenologische Strömung innerhalb der Religionsgeschichte, welche den Begriff 'Religion' als Abstractum begreift, und daher vergleichende oder geschichts-chronologisch einordnende Methoden zurückweist, da diese der Einzigartigkeit der verschiedenen religiösen Vorstellungen nicht gerecht werden können.
[[Datei:St George Jackson Mivart.jpg|thumb|St. George Jackson Mivart]]
[[Datei:Genesisofspecies00miva 0009.jpg|miniatur|Titelseite der 2. Auflage von ''On the Genesis of Species'' (1871).]]


Die erste Fragestellung der Religionsgeschichte lautet: „Unterliegt die Religionsentwicklung einer direkten [[Wikipedia:Soziokulturelle Evolution|soziokulturellen Evolution]] oder ist sie nur ein Nebenprodukt anderer kognitiver Entwicklungen?“ Ein evolutionärer Prozess setzt immer [[Wikipedia:Selektion (Evolution)|selektive Faktoren]] voraus, so dass die Frage nur beantwortet werden kann, wenn zweifelsfreie Faktoren ermittelt werden können, die gläubigen Menschen irgendwelche Überlebensvorteile verschaffen.
'''St. George Jackson Mivart''' (* [[Wikipedia:30. November|30. November]] [[Wikipedia:1827|1827]] in [[Wikipedia:London|London]]; † [[Wikipedia:1. April|1. April]] [[Wikipedia:1900|1900]] ebenda) war ein englischer [[Zoologe]] mit dem Spezialgebiet der [[Anatomie|vergleichenden Anatomie]] und ein katholischer [[Naturphilosophie|Naturphilosoph]].  


Religionsgeschichte wurde vor allem im 19. Jahrhundert von Religionswissenschaftlern und [[Wikipedia:Religionsethnologie|Religionsethnologen]] meist [[Wikipedia:Evolutionismus|evolutionistisch]] interpretiert, häufig mit kolonialistisch-darwinistischer Färbung, das heißt als Entwicklung von ursprünglichen, "primitiven" Formen, die nicht selten als niedriger gesehen wurden – [[Wikipedia:Animismus (Religion)|Animismus]], [[Wikipedia:Totemismus|Totemismus]] oder dem sogenannten Urmonotheismus [[Wikipedia:Wilhelm Schmidt (Ethnologe)|Wilhelm Schmidts]] – linear und undifferenziert zu weiter entwickelten, höheren Formen, also etwa über den [[Wikipedia:Polytheismus|Polytheismus]] zum [[Wikipedia:Monotheismus|Monotheismus]]; zu den „[[Wikipedia:Hochrelition|Hochreligion]]en“.                                [[Wikipedia:James Frazer|James Frazer]] postulierte eine Entwicklung von der [[Wikipedia:Magie|Magie]] über die Religion zur [[Wissenschaft]]. Diese [[Teleologie|teleologischen]] Positionen krankten oft an unzureichenden [[Wikipedia:Empirie|empirischen Grundlagen]], enthielten meist explizite oder implizite [[Wikipedia:Werturteil|Wertungen]] ''(von primitiven zu höheren Stadien)'' und waren vielfach auf den Einzelfall konkreter religionsgeschichtlicher Ereignisse nicht anwendbar. Nur wenige Forscher (etwa Edward Burnett Tylor) erkannten bereits damals, dass auch die Evolution von Religion kein stetiges Aufwärtsschreiten bedeutet. In der modernen Religionswissenschaft spielen evolutionistische Stufenmodelle nur noch als Materiallieferanten So legte Frazer seiner These eine Fülle historischer Daten zugrunde (siehe auch: [[Wikipedia:Ethnische Religion#Sackgassen der ethnologischen Religionsforschung|Sackgassen der ethnologischen Religionsforschung]])''.
== Auseinandersetzung mit Darwins Evolutionslehre ==


Später hat sich im Gegenzug eine egalitär beschreibende, [[Wikipedia:Religionsphänomenologie|phänomenologische]] Betrachtungsweise innerhalb der wissenschaftlichen Disziplin herausgebildet, die dazu geführt hat, dass Bücher mit dem Titel "Religionsgeschichte" nur noch eine zusammenhanglose Nebeneinanderstellung von Monographien sein können. Andere Autoren geben nun zu bedenken, dass bei Verzicht auf den Versuch, Entwicklungen nachzuzeichnen und das Spätere aus seinem Verhältnis zum Vorausgehenden zu begreifen, der Begriff ''Geschichte'' seinen Inhalt verliert (s. z.B. Leslie White und andere Vertreter des [[Wikipedia:Neoevolutionismus|Neoevolutionismus]]).
Unter dem Einfluss von [[Thomas Henry Huxley]] (1825-1895) beschäftigte sich Mivart mit vergleichenden anatomischen Studien an [[Affen]] und entwickelte sich zu einem Anhänger des [[Evolution]]sgedankens, den er in seinen Schriften mit seinem katholischen Glauben zu vereinbaren suchte. In seinem ersten, [[Wikipedia:1871|1871]] veröffentlichten Werk ''On the Genesis of Species'' argumentierte er gegen die Wirksamkeit des von [[Charles Darwin]] in ''[[Wikipedia:Die Entstehung der Arten|On the Origin of Species]]'' beschriebenen Mechanismus der [[Wikipedia:Selektion (Evolution)#Natürliche Selektion|natürlichen Selektion]]. Sein Hauptaugenmerk richtete Mivart dabei auf konvergente Entwicklungen und auf die nicht vorhandenen Zwischenstufen im Ablauf der Evolution. Darwin nahm Mivarts Einwände durchaus ernst und versuchte sie zu entkräften. Der Konflikt verschärfte sich und in der Folgezeit entwickelte sich Mivart zu einem der entschiedensten Gegner der [[Darwinismus|darwinschen Evolutionstheorie]]. Im dem zwei Jahre später veröffentlichten Buch ''Man and Apes'' bestand er auf einer [[Kreationismus|kreationistischen]] Ausnahmestellung des Menschen, argumentierte dabei aber gerade gegensätzlich wie [[Alfred Russel Wallace]], der ebenfalls Darwins auf dem bloßen [[Zufall]] beruhendes Evolutionsprinzip anzweifelte. [[Rudolf Steiner]] bemerkte dazu:


In neuerer Zeit tritt die Religionsgeschichte als Universalgeschichte gegenüber dem Studium der Geschichte einzelner Religionen oder Kulturräume zurück. Jedoch finden religionsgeschichtliche Theoriekonzepte wie [[Wikipedia:Säkularistierung|Säkularisierung]] und [[Wikipedia:Pluralismus|Pluralismus (Politik)|Pluralisierung]] wieder verstärkt Beachtung.
{{GZ|Da sei auf zwei Forscher aufmerksam gemacht, die beide
auf dem Boden der Entwicklungsgeschichte, auf dem Boden
der Naturwissenschaft standen. Beide Forscher faßten den
Hervorgang der einzelnen lebendigen Organismen auseinander
so auf, wie die Darwinianer die Sache auch auffassen,
aber sie nahmen nur den Menschen aus. Sie waren sich klar,
daß man die auf die Tierwelt anzuwendenden Gesetze nicht
auf den Menschen anzuwenden habe, sondern daß man,
wie man sein Körperliches aus dem Physischen, so sein
Geistig-Seelisches aus einem Geistig-Seelischen herleiten
müsse. Darüber waren sich beide vollständig klar. Sie waren
ebenso gute Naturforscher wie Erkenner des Geistigen, aber
ihre Denkgewohnheiten standen unter denjenigen der naturwissenschaftlichen
Richtung. Sie dachten wie man als echter
Naturwissenschaftler denkt. Wie dachte der eine, [[Mivart]],
und wie dachte der andere, [[Wallace]], ein Zeitgenosse [[Darwin]]s,
über die eigentlichen Vorgänge in der Entwickelung?


== Entwicklung der Wissenschaft Religionsgeschichte in Deutschland ==
Wallace sagte sich, der Mensch könne nicht so einfach in
Der erste Lehrstuhl für Religionsgeschichte wurde 1912 für den schwedischen Religionsphänomenologen [[Wikipedia:Nathan Södebohm|Nathan Söderblom]] in [[Wikipedia:Religionswissenschaftliches Institut der Universität Leipzig|Leipzig]] eingerichtet. Dies geschah, obwohl die Kirchen eher an einer konfessionell gebundenen Theologie als an der damals wenig beliebten Religionsgeschichte interessiert waren, und bedeutete eine grundlegend neue Entwicklung hinsichtlich der wissenschaftlichen Erforschung von Religionen. Die historisch bedingte Entwicklung der Religionsgeschichte aus den christlichen Theologien hatte zur Folge, dass dieses Fach in den theologischen Fakultäten ansässig war - was auch heute noch zu beobachten ist. Aus der Religionsgeschichte entwickelte sich später die Religionswissenschaft. Trotz der relativ kurzen Einflussnahme wirkt die christliche Sichtweise sich noch immer hemmend auf die religionsgeschichtliche Forschung aus.
die Tierreihe hineingestellt werden. Schon aus dem Grunde
nicht, weil schon im äußeren Bau des Gehirnes ein beträchtlicher
Unterschied zwischen dem Menschen und dem höchstentwickelten
Affen vorhanden sei, wenn man auch nur den
Wilden ins Auge fasse, und weil das Affengehirn gegenüber
dem Gehirn des Wilden viel zu unvollkommen sei,
wenn nur im geraden Fortgange der Entwickelung der
Mensch sich aus dem Affen entwickelt haben soll.
Der andere Forscher, Mivart, fand, daß die Kulturstufe
des wilden Menschen gar nicht äußerlich verschieden sei von
der Entwicklungsstufe des höchstentwickelten Affen. Wenn
man aber die geistigen Betätigungen des Wilden und dagegen
die Betätigungen des höchstentwickelten Affen ins
Auge fasse, so müsse man voraussetzen, da die Gehirne der
beiden so viel Ähnlichkeit miteinander haben, daß der
Mensch deshalb nicht in die Tierreihe gehöre. Wenn man
wieder die Gehirne ins Auge fasse, so sehe man ganz klar,
daß sich das Gehirn des Menschen nicht aus dem Affengehirn
entwickelt hat durch Anpassung an äußere Verrichtungen,
sondern es entwickle durch die Zivilisation alle
Möglichkeiten schon so, daß es nur so scheine, als ob schon
alles veranlagt wäre, damit es einmal das Werkzeug der
Zivilisation werden könnte.


== Religionsgeschichte und Religionswissenschaft ==
Also weil das Affengehirn und das Menschengehirn so
Obgleich die praxisrelevanten Unterschiede zwischen Religionsgeschichte und Religionswissenschaft gering sein mögen, gibt es Stimmen, die den Fächern abgrenzende Eigenheiten zuweisen. So gibt es das Argument, dass die Religionsgeschichte als historische Wissenschaft die Religionen „in der Tiefe“ untersucht, die Religionswissenschaft Religionen dagegen „in der Breite“ gegenüberstellt und vergleicht. D.h. die Methodik der beiden Fächer unterscheidet sich in diesen Punkten. Grundsätzlich ist hierbei zu sagen, dass die Religionsgeschichte die Grundlagen für eine ''systematische'' Religionswissenschaft bereitstellt. Diese wichtige Verknüpfung der beiden Fächer ist es, welche die Religionsgeschichte im Gegensatz zu anderen Disziplinen wie die [[Wikipedia:Relitionssoziologie|Religionssoziologie]] oder auch [[Wikipedia:Religionspsychologie|Religionspsychologie]] am engsten mit der Religionswissenschaft verbindet. Dies drückt sich beispielsweise auch in der Namensgebung der größten religionswissenschaftlichen Vereinigung in Deutschland, der DVRG (Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte), aus, obgleich es Universitäten gibt, an welchen man sowohl Religionswissenschaft als auch Religionsgeschichte studieren kann.
stark voneinander abweichen, glaubt der eine, Wallace,
annehmen zu müssen, daß keine Verwandtschaft des Menschen
mit der Tierreihe bestünde. Und gerade die Ähnlichkeit
der geistigen Eigenschaften bei beiden war für Wallace
ein Beweis für das, was er sagte. Für Mivart, seinen Zeitgenossen,
war das gerade Umgekehrte vorhanden; er war
der Ansicht, wenn man die geistigen Eigenschaften des
wilden Menschen mit dem höchststehenden Affen vergleiche,
so trete ein so großer Unterschied hervor, daß man wegen
dieses Unterschiedes keine Stammverwandtschaft zwischen
dem Wilden und dem Affen annehmen könne.
 
Wir sehen also zwei Naturforscher, beide an naturwissenschaftliches
Denken gewöhnt, die beide aus entgegengesetzten
Gründen das annehmen, was ihre Meinung ist;
der eine, weil die Eigenschaften des Wilden und des höchststehenden
Affen so ähnlich, der andere, weil sie so verschieden
sind. Wenn nun schon zwei Forscher, die beide
dazu neigen, den Menschen vom Geistigen abzuleiten, in
bezug auf ihre Beweisgründe so durch das beirrt werden
können, was sich an Fülle der Tatsachen ausbreitet, wie
sollte erst der, welcher noch mehr vorurteilsvoll in den
Denkgewohnheiten des bloß materialistischen Denkens befangen
ist, nicht noch mehr durch die Fülle der Tatsachen
unfähig sein, aus diesen Tatsachen und Gesetzen selber heraus
zum Geistigen zu kommen!
 
Die Naturwissenschaft führt uns eben nur von Tatsache
zu Tatsache. Haben wir die Geisteswissenschaft, dann kann
aus dieser Geisteswissenschaft gerade das Naturwissenschaftliche
begriffen und ins rechte Licht gerückt werden. Niemals
aber können die Gesetze der Geisteswissenschaft aus der
Naturwissenschaft heraus irgendwie gefunden werden. Daher
müßte es immer mehr und mehr geschehen, daß der
menschlichen Seele ihre ganze geistige Nahrung entzogen
würde, wenn sie darauf angewiesen bliebe, «wissenschaftlich
» nur das gelten zu lassen, was die Naturwissenschaft
hervorbringt. Die Naturwissenschaft selbst wird gerade dadurch
ihre Größe und Bedeutung erlangen, daß sie sich in
ihren Grenzen hält.|62|97ff}}
 
Mivarts Bemühungen, die katholische Lehre mit den Naturwissenschaften auszusöhnen, fanden bei der [[Wikipedia:Römisch-katholische Kirche|römisch-katholischen Kirche]] zunächst hohe Anerkennung. Später geriet er aber mit seinen [[Naturphilosophie|naturphilosophischen]] Ansichten immer mehr in Widerspruch zu den Dogmen der Kirche. Eine Folge von drei Artikeln mit dem Titel ''The Happiness in Hell'', die er Ende 1892 und Anfang 1893 in ''The Nineteenth Century Magazine'' veröffentlicht hatte und in denen er die Ansicht vertrat, dass die [[Hölle]] kein Ort der Pein sei, sondern ein Platz zur Erlangung der natürlichen Glückseligkeit, und dass diese Auffassung kein Widerspruch zum katholischen Glauben sei, wurden diese drei Schriften auf den [[Wikipedia:Index Librorum Prohibitorum|Index der verbotenen Bücher]] gesetzt. Als er Anfang Januar 1900 in zwei weiteren Artikeln seine Ansichten über die Hölle erneut äußerte und einen Gott, der einen solchen Ort der Qualen erschaffen hätte, als einen schlechten Gott bezeichnete, wurde Mivart noch kurz vor seinem Tod [[Wikipedia:Exkommunikation|exkommuniziert]].


== Siehe auch ==
== Siehe auch ==
* {{WikipediaDE|Religionsgeschcite}}
 
* {{WikipediaDE|St. George Mivart}}


== Literatur ==
== Literatur ==
* Hans G. Kippenberg et al. (Hrsg.): ''Europäische Religionsgeschichte. Ein mehrfacher Pluralismus.'' 2 Bände, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2009 (UTB), ISBN 978-3-8252-3206-1
#Rudolf Steiner: ''Ergebnisse der Geistesforschung'', [[GA 62]] (1988), ISBN 3-7274-0620-8 {{Vorträge|062}}
* Hans G. Kippenberg: ''Die Entdeckung der Religionsgeschichte. Religionswissenschaft und Moderne'', München: C. H. Beck, 1997
 
* Günter Lanczkowski: ''Einführung in die Religionsgeschichte''. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1983, ISBN 3-534-08780-1
{{GA}}
*''Religionsgeschichte der Neuzeit. Profile und Perspektiven''. Themenheft der Zeitschrift ''zeitenblicke'', 5. Jg. 2006, Nr. 1 ([http://www.zeitenblicke.de/2006/1/ alle Artikel im Volltext])


== Weblinks ==
== Weblinks ==
* [http://www.dvrg.de Deutsche Vereinigung für Religionsgeschichte]
{{Commonscat|Genesis of Species}}
* [http://www.easr.de European Association for the Study of Religions]
 
* [http://www.iahr.dk International Association for the History of Religions]
{{Normdaten|TYP=p|GND=117585238|LCCN=n/86/834422|VIAF=65506201}}
 
{{SORTIERUNG:Mivart, St. George}}
[[Kategorie:Zoologe]]
[[Kategorie:Brite]]
[[Kategorie:Engländer]]
[[Kategorie:Geboren 1827]]
[[Kategorie:Gestorben 1900]]
[[Kategorie:Mann]]
 
{{Personendaten
|NAME=Mivart, St. George
|ALTERNATIVNAMEN=Mivart, George Jackson
|KURZBESCHREIBUNG=englischer Biologe
|GEBURTSDATUM=30. November 1827
|GEBURTSORT=[[London]]
|STERBEDATUM=1. April 1900
|STERBEORT=[[London]]
}}


[[Kategorie:Geschichtswissenschaft nach Fachgebiet]]
[[Kategorie:Religionswissenschaft]]
[[Kategorie:Religionsgeschichte|!]]
{{Wikipedia}}
{{Wikipedia}}

Version vom 17. September 2017, 11:43 Uhr

St. George Jackson Mivart
Titelseite der 2. Auflage von On the Genesis of Species (1871).

St. George Jackson Mivart (* 30. November 1827 in London; † 1. April 1900 ebenda) war ein englischer Zoologe mit dem Spezialgebiet der vergleichenden Anatomie und ein katholischer Naturphilosoph.

Auseinandersetzung mit Darwins Evolutionslehre

Unter dem Einfluss von Thomas Henry Huxley (1825-1895) beschäftigte sich Mivart mit vergleichenden anatomischen Studien an Affen und entwickelte sich zu einem Anhänger des Evolutionsgedankens, den er in seinen Schriften mit seinem katholischen Glauben zu vereinbaren suchte. In seinem ersten, 1871 veröffentlichten Werk On the Genesis of Species argumentierte er gegen die Wirksamkeit des von Charles Darwin in On the Origin of Species beschriebenen Mechanismus der natürlichen Selektion. Sein Hauptaugenmerk richtete Mivart dabei auf konvergente Entwicklungen und auf die nicht vorhandenen Zwischenstufen im Ablauf der Evolution. Darwin nahm Mivarts Einwände durchaus ernst und versuchte sie zu entkräften. Der Konflikt verschärfte sich und in der Folgezeit entwickelte sich Mivart zu einem der entschiedensten Gegner der darwinschen Evolutionstheorie. Im dem zwei Jahre später veröffentlichten Buch Man and Apes bestand er auf einer kreationistischen Ausnahmestellung des Menschen, argumentierte dabei aber gerade gegensätzlich wie Alfred Russel Wallace, der ebenfalls Darwins auf dem bloßen Zufall beruhendes Evolutionsprinzip anzweifelte. Rudolf Steiner bemerkte dazu:

„Da sei auf zwei Forscher aufmerksam gemacht, die beide auf dem Boden der Entwicklungsgeschichte, auf dem Boden der Naturwissenschaft standen. Beide Forscher faßten den Hervorgang der einzelnen lebendigen Organismen auseinander so auf, wie die Darwinianer die Sache auch auffassen, aber sie nahmen nur den Menschen aus. Sie waren sich klar, daß man die auf die Tierwelt anzuwendenden Gesetze nicht auf den Menschen anzuwenden habe, sondern daß man, wie man sein Körperliches aus dem Physischen, so sein Geistig-Seelisches aus einem Geistig-Seelischen herleiten müsse. Darüber waren sich beide vollständig klar. Sie waren ebenso gute Naturforscher wie Erkenner des Geistigen, aber ihre Denkgewohnheiten standen unter denjenigen der naturwissenschaftlichen Richtung. Sie dachten wie man als echter Naturwissenschaftler denkt. Wie dachte der eine, Mivart, und wie dachte der andere, Wallace, ein Zeitgenosse Darwins, über die eigentlichen Vorgänge in der Entwickelung?

Wallace sagte sich, der Mensch könne nicht so einfach in die Tierreihe hineingestellt werden. Schon aus dem Grunde nicht, weil schon im äußeren Bau des Gehirnes ein beträchtlicher Unterschied zwischen dem Menschen und dem höchstentwickelten Affen vorhanden sei, wenn man auch nur den Wilden ins Auge fasse, und weil das Affengehirn gegenüber dem Gehirn des Wilden viel zu unvollkommen sei, wenn nur im geraden Fortgange der Entwickelung der Mensch sich aus dem Affen entwickelt haben soll. Der andere Forscher, Mivart, fand, daß die Kulturstufe des wilden Menschen gar nicht äußerlich verschieden sei von der Entwicklungsstufe des höchstentwickelten Affen. Wenn man aber die geistigen Betätigungen des Wilden und dagegen die Betätigungen des höchstentwickelten Affen ins Auge fasse, so müsse man voraussetzen, da die Gehirne der beiden so viel Ähnlichkeit miteinander haben, daß der Mensch deshalb nicht in die Tierreihe gehöre. Wenn man wieder die Gehirne ins Auge fasse, so sehe man ganz klar, daß sich das Gehirn des Menschen nicht aus dem Affengehirn entwickelt hat durch Anpassung an äußere Verrichtungen, sondern es entwickle durch die Zivilisation alle Möglichkeiten schon so, daß es nur so scheine, als ob schon alles veranlagt wäre, damit es einmal das Werkzeug der Zivilisation werden könnte.

Also weil das Affengehirn und das Menschengehirn so stark voneinander abweichen, glaubt der eine, Wallace, annehmen zu müssen, daß keine Verwandtschaft des Menschen mit der Tierreihe bestünde. Und gerade die Ähnlichkeit der geistigen Eigenschaften bei beiden war für Wallace ein Beweis für das, was er sagte. Für Mivart, seinen Zeitgenossen, war das gerade Umgekehrte vorhanden; er war der Ansicht, wenn man die geistigen Eigenschaften des wilden Menschen mit dem höchststehenden Affen vergleiche, so trete ein so großer Unterschied hervor, daß man wegen dieses Unterschiedes keine Stammverwandtschaft zwischen dem Wilden und dem Affen annehmen könne.

Wir sehen also zwei Naturforscher, beide an naturwissenschaftliches Denken gewöhnt, die beide aus entgegengesetzten Gründen das annehmen, was ihre Meinung ist; der eine, weil die Eigenschaften des Wilden und des höchststehenden Affen so ähnlich, der andere, weil sie so verschieden sind. Wenn nun schon zwei Forscher, die beide dazu neigen, den Menschen vom Geistigen abzuleiten, in bezug auf ihre Beweisgründe so durch das beirrt werden können, was sich an Fülle der Tatsachen ausbreitet, wie sollte erst der, welcher noch mehr vorurteilsvoll in den Denkgewohnheiten des bloß materialistischen Denkens befangen ist, nicht noch mehr durch die Fülle der Tatsachen unfähig sein, aus diesen Tatsachen und Gesetzen selber heraus zum Geistigen zu kommen!

Die Naturwissenschaft führt uns eben nur von Tatsache zu Tatsache. Haben wir die Geisteswissenschaft, dann kann aus dieser Geisteswissenschaft gerade das Naturwissenschaftliche begriffen und ins rechte Licht gerückt werden. Niemals aber können die Gesetze der Geisteswissenschaft aus der Naturwissenschaft heraus irgendwie gefunden werden. Daher müßte es immer mehr und mehr geschehen, daß der menschlichen Seele ihre ganze geistige Nahrung entzogen würde, wenn sie darauf angewiesen bliebe, «wissenschaftlich » nur das gelten zu lassen, was die Naturwissenschaft hervorbringt. Die Naturwissenschaft selbst wird gerade dadurch ihre Größe und Bedeutung erlangen, daß sie sich in ihren Grenzen hält.“ (Lit.:GA 62, S. 97ff)

Mivarts Bemühungen, die katholische Lehre mit den Naturwissenschaften auszusöhnen, fanden bei der römisch-katholischen Kirche zunächst hohe Anerkennung. Später geriet er aber mit seinen naturphilosophischen Ansichten immer mehr in Widerspruch zu den Dogmen der Kirche. Eine Folge von drei Artikeln mit dem Titel The Happiness in Hell, die er Ende 1892 und Anfang 1893 in The Nineteenth Century Magazine veröffentlicht hatte und in denen er die Ansicht vertrat, dass die Hölle kein Ort der Pein sei, sondern ein Platz zur Erlangung der natürlichen Glückseligkeit, und dass diese Auffassung kein Widerspruch zum katholischen Glauben sei, wurden diese drei Schriften auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt. Als er Anfang Januar 1900 in zwei weiteren Artikeln seine Ansichten über die Hölle erneut äußerte und einen Gott, der einen solchen Ort der Qualen erschaffen hätte, als einen schlechten Gott bezeichnete, wurde Mivart noch kurz vor seinem Tod exkommuniziert.

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Ergebnisse der Geistesforschung, GA 62 (1988), ISBN 3-7274-0620-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

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