Deuteroskopie

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Deuteroskopie (von griech. δεύτερος, deúteros, „das Zweite“ und σκοπεῖν, skopein, „beobachten, betrachten“), das Zweite Gesicht (eng. second sight), ist die Fähigkeit, weit entfernte gegenwärtige (Fernwahrnehmung, eng. remote viewing) oder zukünftige (→ Präkognition) Ereignisse des physischen Plans durch außersinnliche Wahrnehmung zu beobachten. Es handelt sich dabei um einen unzeitgemäßen Rest des alten Hellsehens, bei dem das Bewusstsein, das heute normalerweise im Ich zentriert ist, bis in den physischen Leib hinunter taucht, wobei die dabei auftretenden Wahrnehmungen allerdings durch die Erfahrungen des modernen Gegenstandsbewusstseins gefärbt und verzerrt werden. Taucht das Bewusstsein dabei teilweise auch in den Ätherleib ein, so ist, genau wie bei der Ahnung, auch ein Vorblick auf künftige Ereignisse, d.h. Präkognition möglich.

„Wer da hinuntertaucht, nachdem er ein gegenwärtiger Mensch gewesen ist, dem färbt sich hier alles, was unten ist, mit den Erfahrungen von oben. Man bringt wie eine Hülle das oben Erlebte in dieses Unterbewußtsein hinein und bekommt dadurch keine reine Vorstellung, kein ungetrübtes Bild, sondern ein Bild, das durch die Erfahrungen des Gegenstandsbewußtseins getrübt ist.“ (Lit.:GA 57, S. 408f)

„... wenn der Mensch untertaucht in die Tiefen des physischen Leibes, dann kann die Ahnung übergehen in das Durchdringen des Raumes. Während die Ahnung noch mit der Zeit zusammenhängt, kann in der Deuteroskopie, im «anderen Gesicht» das gesehen werden, was mit physischen Augen nicht wahrgenommen werden kann. Die Bilder stellen sich dem Menschen dar wie eine Fata Morgana. Abnorme Erscheinungen, wie sie zum Beispiel von Swedenborg berichtet werden, gehören hierher.“ (S. 411)

Das zweite Gesicht tritt auf, wenn man unbewusst unmittelbar an der Schwelle zur geistigen Welt steht.

"Wenn man hier an der Schwelle steht, so daß man gewissermaßen noch dasjenige empfindet, was in der physischen Welt ist, schon dasjenige empfindet, was in der übersinnlichen Welt ist, dann lebt man in dem, was ja auch in gewissen Lokalitäten der Erde sehr verbreitet ist, was man nennen kann die Deuteroskopie oder das zweite Gesicht: second sight. Das wird gerade an der Schwelle erlebt in einem halbbewußten Zustande." (Lit.: GA 227, S. 165)

In ganz besonderem Grad entwickelt war das zweite Gesicht bei Jakob Böhme:

"Jakob Böhme war so geartet als ganzer Mensch, daß er wie durch ein natürliches Schicksal, Karma, in gewissen Momenten seines Lebens vor sich haben konnte in völlig wachendem Zustande statt der sonnendurchhellten Welt die finstere Räumlichkeit. Nach dem, was ich schon angedeutet habe, wird Ihnen klar sein, daß es sich dabei nicht bloß handelt um die Finsternis in bezug auf das Licht, sondern in bezug auf das Schweigen aller Sinnesqualitäten. Jakob Böhme konnte in gewissen Zuständen seines Lebens vor sich haben statt des Hellen das Finstere, statt der Töne, die die Welt erzeugt, das Schweigsame, das Ruhige, statt des Warmen das Gleichgültige gegenüber dem Warmen oder sogar das Kalte, das man das Anti-Warme nennen könnte und so weiter. So daß man sich, ohne daß er selbst sich so wahrnahm, wenn man gleichsam von der Seite her seinen Zustand durch Inspiration betrachtete, hätte sagen müssen: Der Jakob Böhme hat vor sich statt des sonnenerhellten Raumes in gewissen Augenblicken seines Lebens die absolute Finsternis.

Solche Menschen, die das erleben können, ohne daß sie sich dessen bewußt werden, so daß sie in einem leisen Schlafe durchaus noch sich fühlen innerhalb der sonnendurchhellten Welt, solche Menschen haben dasjenige, was man die Deuteroskopie oder second sight nennt. Und Jakob Böhme hatte das eben im höchsten Maße, was man eben second sight nennt. Es war bei ihm nur so ausgebildet, daß er es weniger auf einzelnes Irdisches bezog, sondem mehr auf die Konstitution der ganzen Erde. Wie war dadurch sein Anschauen?

Man stelle sich nur vor - ich will die Sache schematisch zeichnen -: Andere Menschen haben hier vor sich die Sonnenhelle. Jakob Böhme hatte - und zwar gerade von demjenigen Punkte aus, wo sonst die Sehstrahlen der Augen sich kreuzen, indem sie auf einen Gegenstand, der nahe oder ferne ist, hinschauen hinter diesem Punkte des Treffens der Sehstrahlen der. Augen, oder auch hinter dem Punkte, wo, wenn man die rechte Hand über die linke legt, nicht ein äußeres Fühlen, sondern das Fühlen des eigenen Selbstes eintritt, so daß hier es ist wie eine Wand -, Jakob Böhme hatte also dort vor sich die Finsternis, das Schweigen der Sinne. Stellen Sie sich das lebhaft vor, man habe vor sich die Finsternis. Es entspricht das ganz genau einem sinnlichen Bilde. Wenn Sie einen Spiegel vor sich haben - Sie sehen nicht, was hinter dem Spiegel ist, Sie sehen nur, was vor dem Spiegel ist. So ist es geistig bei jemandem, der so sieht wie Jakob Böhme. Da entsteht vorne dadurch, daß die Finsternis dahinter ist, etwas wie eine Spiegelwand, und man sieht das, was geistig dahinter ist, die Erdenwelt in ihrer Geistigkeit, sich spiegeln. Sie schauen also, wenn Sie dem Jakob Böhme- Typus angehören würden, in gewissen Augenblicken Ihres Lebens hinein in die Finsternis, und dadurch, daß die Finsternis Ihnen zurückstrahlt dasjenige, was geistig im Erdendasein lebt, sehen Sie die geistige Konstitution der Erde, dasjenige, was im Erdendasein vorkommt.

Es ist bei Jakob Böhme ein mächtiges zweites Gesicht. Es kann bei einem anderen Menschen so sein, daß er für gewisse Augenblicke des Lebens vor sich die Finsternis hat, die ihm das physische Licht verbirgt, was ihm dann die Möglichkeit bietet, ins Geistige hineinzuschauen. Da kann er, wenn er diesen geistigen Spiegel, der einfach in dem Dasein der Finsternis besteht, sagen wir, in der richtigen Weise zu handhaben versteht, durch die inneren Kommunikationen, die zwischen allem Irdischen sind, meinetwillen die Taten oder selbst die Gedanken, wenn er in Europa ist, seines in Amerika weilenden Freundes wahrnehmen. Denn das, was man mit dem physischen Auge, mit den physischen Sinnen wahrnimmt, das sind vor allem die Sonnenwirkungen. Aber es gibt verborgene Sonnenwirkungen. Diese verborgenen Sonnenwirkungen leben in allen Dingen, leben in Mineralien, Pflanzen, Tieren, leben auch in den Menschen. Und während Sie in Europa sind, sind Sie durch die verborgenen Sonnenwirkungen, die in Ihnen sind, mit dem, was der meinetwillen selbst in Amerika lebende Freund eben auch durch diese verborgenen Sonnenwirkungen erlebt, in Kommunikation.

Diese Kommunikationen, sie wirken im Karma. Gar manchen hat schon sein Schicksal mit irgend jemandem, den er gar nicht kennt, der während einer bestimmten Zeit in Amerika ist, zusammengeführt in der Ehe, in der Freundschaft, in der Liebe; in den karmischen Wirkungen auf der Erde wirken die verborgenen Sonnenwirkungen. Hier werden die verborgenen Sonnenwirkungen wie in einem Spiegel sichtbar." (Lit.: GA 227, S. 172ff)

Das zweite Gesicht tritt häufiger bei Menschen auf, die relativ abgeschlossen auf Inseln oder in Gebirgstälern leben.

"Daß das ganz insbesondere dann der Fall ist, wenn man es mit Menschen zu tun hat, die abgeschlossen leben auf Inseln, in Gebirgstälern oder sonst in dieser Hinsicht günstigen Gegenden, daß da besonders das zweite Gesicht, man möchte sagen, wie alle Menschen einer solchen Gegend erfüllend auftritt, das rührt davon her, daß solche Menschen, die in einem gewissen Dasein abgeschlossen leben, leichter die innere Kommunikation wahrnehmen und dadurch partiell diese Finsternis in ihrem Leben um sich verbreiten können; daher das schottländische second sight, das westfälische zweite Gesicht, das second sight, das so schön beschrieben hat Oberlin aus dem in sich geschlossenen Steintal im Elsaß und so weiter; da treten diese Dinge auf in besonderen Lokalitäten der Erde." (Lit.: GA 227, S. 174)

"Und so kommen wir wiederum, indem wir uns vergegenwärtigen, was die Second-sight-Menschen wahrnehmen können, indem wir uns die Kräfte vergegenwärtigen, die verborgenen Sonnenkräfte, von denen diese Sonnenmenschen durchzogen sind, dahin, uns sagen zu können: Das, was heute abnorm ist, das Leben in den verborgenen Sonnenwirkungen, war einstmals in einer älteren Epoche der Erdenentwickelung normal und wird wiederum normal sein. Normal war es in jener Epoche der Erdenentwickelung, die als Sonnenentwickelung der Erdenentwickelung vorangegangen ist. In der war es normal, daß die Menschen überall in die Finsternis hinein wie in einen Spiegel gesehen haben, so daß sich ihnen alles Geistige zurückgestrahlt hat. Die ganze Erde hat durchgemacht jene Entwickelung, die aus ihren Kräften heraus den Menschen dazumal zum Sonnenmenschen in seiner leichten, flüchtigen Materie machte. Das war in herabgestimmtem, ganz herabgestimmtem Bewußtseinszustande.

Es wird einstmals wiederkommen. Dann wird der Mensch es bei völlig wachem Zustande so halten können, daß er mit völligem Bewußtsein hineinstrahlt die Finsternis in seine Umgebung, dadurch sich selber das Spiegelbild der ganzen Welt entwirft. Und wir kommen dann in diejenige Entwicklung hinein, welche ich als diejenige der Venusentwickelung bezeichnen kann, die ein Zukunftsstadium der Erdenentwickelung ist." (Lit.: GA 227, S. 175f)

Zauberspiegel

Zauberspiegel“ oder überhaupt glänzende Gegenstände können ein Hilfsmittel sein, das zweite Gesicht zu erwecken.

"Der Mensch muß abziehen seine grobe Sinnlichkeit, seine grobe Empfindlichkeit, seine grobe Sensation für das Physische der Umgebung und muß aus sich herausziehen seine freie Sensibilität, wenn er zu diesem second sight kommen will. Das kann auch auf eine ganz innerliche Weise erreicht werden, obwohl die Sache dann nicht ohne Gefahr ist. Es kann dadurch erreicht werden, daß der Mensch äußerlich fixiert - ich rate das niemandem an, will nur die Tatsache erzählen - einen glänzenden Gegenstand; so wird Faszination hervorgerufen. Dadurch wird etwas gelähmt die äußere Sensibilität, und die innere kommt dadurch mehr zum Vorschein. Dadurch gestaltet sich das, was als second sight auftritt. In älteren Zeiten hat man in gewissen Zusammenhängen ganz systematisch dieses zweite Gesicht hervorgerufen. Und jene Erzählungen, die von diesem Hervorrufen des zweiten Gesichts handeln, die sprechen von dem sogenannten Zauberspiegel. Zauberspiegel sind Instrumente gewesen zum Hervorrufen einer Faszination, eines Abdämpfens der äußeren Sensation und dadurch eines Hervorrufens der inneren Sensation als Gegenwirkung. Man hat also durch das Instrument des physischen Spiegels die geistige Spiegelung hervorgerufen. Das, worauf es ankam, war nicht, was man im physischen Spiegel gesehen hat, sondern der physische Spiegel hat bloß die äußere Sensation abgedämpft, und man hat die innere Sensation mit diesem Zauberspiegel hervorgerufen. Dadurch ist der Glaube entstanden, daß man im Zauberspiegel selber die Empfindungen, die Gedanken der fernen Freunde und so weiter sieht. In Wirklichkeit hat man in sich den durch den äußeren sinnlich-physischen Spiegel bewirkten Seelenzustand gesehen.

Derjenige, der in dieser Weise sieht, der sieht durchaus Realitäten. Das Geistige, das in den Reichen der Natur vor sich geht, sieht er; und er ist gewissermaßen dadurch mit all dem verbunden, was in der Erde selber sonnenhaft ist.

Wenn man die Schriften Jakob Böhmes wirklich verstehen will, dann muß man sie von diesem Gesichtspunkte aus verstehen, daß all ihr Inhalt eigentlich ein kompliziertes, wunderbares zweites Gesicht ist." (Lit.: GA 227, S. 176f)

Paracelsus

In einer etwas anderen, mehr intellektuellen Form verfügte auch Paracelsus über das zweite Gesicht:

"Eine andere Persönlichkeit, Paracelsus, war in einer ähnlichen und doch etwas anderen Art organisiert. Er hatte einen stärkeren Intellekt zu der Sensation dazu. Daher interpretiert er sich immer seine Second-sight-Bilder. Wenn man über physisch-sinnliche Dinge intellektuell nachdenkt, da verändert man sie nicht. Die Intellektualität ist gegen die Konstitution der physisch-sinnlichen Dinge machtlos. Aber gegen dasjenige, was man so in der Spiegelung sieht, wie ich es dargestellt habe, ist die Intellektualität nicht machtlos. So rein second-sight-mäßig die innere Konstitution der Welt wahrzunehmen ist nur möglich einem Menschen wie Jakob Böhme, der sich ganz selbstlos den äußeren Dingen hinzugeben in der Lage war. Diese unendliche Liebe, die ja in Jakob Böhme lebte, mit der er alle Dinge sah, und die sich dann hineindrängte in seine Auffassung der Spiegelbilder des Geistigen in der Welt, diese unendliche Liebe, sie spricht fast aus jeder Zeile bei Jakob Böhme. Und so blieben ihm die Abspiegelungen als eine Art Imaginationen des Geistigen in der Welt möglichst rein.

Bei Paracelsus, der eine starke Intellektualität hatte, veränderten sie sich in entsprechender Weise durch die Intellektualität. Sie sind daher abgeänderte Spiegelbilder. Daß selbst im Physischen Spiegelbilder das, was sie abspiegeln, abändern können, davon können Sie sich ja überzeugen, wenn Sie einmal in einer Spiegel-Gartenkugel Ihr eigenes Gesicht sehen. Sie möchten ganz gewiß in dieser Weise Ihr eigenes Gesicht nicht haben, wie Sie es dann sehen in den Spiegelkugeln, die in den Gärten aufgestellt sind! So verändert die Intellektualität gewissermaßen die Spiegelfläche, durch die man sieht, wenn man eine solche Intellektualitat hat wie Paracelsus. Aber man kommt dadurch auch in die inneren Kräfte tiefer hinein.

Daher ist Jakob Böhme mit seinem wirklich bis zum Höchsten getriebenen liebevollen Betrachten der Dinge eben der kontemplative Betrachter geworden. Paracelsus, der mehr auf die inneren Kräfte ging, der die Spiegelbilder bog und mit ihnen herumhantierte, der kam mehr zu den heilenden Kräften, die in den Dingen als Sonnenkräfte verborgen sind." (Lit.: GA 227, S. 177f)

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Wo und wie findet man den Geist?, GA 57 (1984), ISBN 3-7274-0570-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Initiations-Erkenntnis, GA 227 (2000), ISBN 3-7274-2271-8 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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