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Wolf Singer
Wolf Joachim Singer (* 9. März 1943 in München) ist ein deutscher Neurophysiologe.
Leben und Forschungstätigkeit
Wolf Singer studierte ab 1962 an der Ludwig-Maximilians-Universität München Medizin, wo er 1968 mit der Arbeit Die Funktion der telencephalen Kommissuren für bilaterale Synchronisierung des EEG promovierte. 1975 habilitierte er sich an der Technischen Universität München für das Fach Physiologie.
1981 wurde Singer zum Direktor der Abteilung für Neurophysiologie am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt am Main berufen. Zusammen mit Walter Greiner und Horst Stöcker begründete er 2004 das Frankfurt Institute for Advanced Studies (FIAS) und das Brain Imaging Center (BIC) sowie 2006 das Ernst-Strüngmann-Wissenschaftsforum und das Ernst Strüngmann Institut (ESI).
Schwerpunktsmäßig untersucht Singer vor allem die neuronalen Prozesse, die mit komplexeren kognitiven Fähigkeiten zusammenhängen, insbesondere mit der visuellen Wahrnehmung. Sein besonderes Interesse gilt dabei auch dem sog. Bindungsproblem, bei dem es um die Frage geht, durch welche neuronalen Vorgänge die Vielzahl der Sinneseindrücke zu einer einheitlichen Wahrnehmung verbunden werden. Einer der wesentlichen Koordinationsmechanismen scheint dabei die Synchronisation der neuronalen Aktivität durch Phasenkopplung (eng. phase-locking) selbsterregter Netzwerkoszillationen zu sein.[1]. Nach theoretischen Vorarbeiten von P. M. Milner[2] (1974), S. Grossberg[3] (1976) und Christoph von der Malsburg (1981) gelangen erste experimentelle Bestätigungen im Labor von Wolf Singer[4].
Als Neurowissenschaftler vertritt Singer einen kompromisslosen Naturalismus und spricht dem Menschen dezidiert die Willensfreiheit ab. Bekannt wurde er in der Öffentlichkeit vor allem durch seine Aussage: „Verschaltungen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen“[5] Singer fordert entsprechende ethische und juristische Konsequenzen bezüglich der Schuldfähigkeit des Menschen.
Zur Kritik
Das Gehirn ist nicht kausal geschlossen, so der Philosoph und Anthroposoph Joachim Stiller. Wäre der Mensch vollständig determinert, würde er sich niemals als Subjekt erleben, sondern immer nur als passiver Beobachter fremder Mechanismen. Und das sei tatsächlich nicht der Fall. Der Mensch "erlebt" sich grundsätzlich als Subjekt und damit als frei. Diesen Widerspruch kann Wolf Singer aber nicht auflösen, ohne dass es zu einem unendlichen Regress kommt. Das kann nur mindestens ein Dualismus.
Werke (Auswahl)
- 1968 Die Bedeutung der Vorderhirnkommissuren für die Koordination bilateraler EEG-Muster. Ludwig-Maximilians-Universität München. (Dissertation)
- 1974 Über den Einfluss zentrifugaler Projektionssysteme auf die Leistungen eines sensorischen Thalamuskernes, dargestellt am Beispiel des visuellen Systems. Technische Universität München (Habilitationsschrift).
- 2002 Ein Frontalangriff auf unsere Menschenwürde.; (PDF; 169 kB) Gemeinsames Interview mit Thomas Metzinger im Magazin Gehirn&Geist 4/2002, S. 32–35, repr. in: G&G Dossier 2003 mit dem Titel „Angriff auf das Menschenbild. Hirnforscher suchen neue Antworten auf alte philosophische Fragen.“ S. 68–71.
- 2002 Der Beobachter im Gehirn. Essays zur Hirnforschung. Suhrkamp, Frankfurt am Main (stw 1571) ISBN 3-518-29171-8
- 2003 Ein neues Menschenbild? Gespräche über Hirnforschung. Suhrkamp, Frankfurt am Main (stw 1596) ISBN 3-518-29196-3
- 2004 Keiner kann anders als er ist. Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 6 vom 8. Januar 2004, S. 33 (DF hier)[6]
- 2004 Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen. In: Geyer, Christian (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit. Zur Deutung der neuesten Experimente. Suhrkamp, Frankfurt 2004, S. 30–65[7]
- 2007 [binding by synchrony Artikel]. In: Scholarpedia. (englisch, inkl. Literaturangaben)
- 2008 mit Matthieu Ricard: Hirnforschung und Meditation – Ein Dialog. Suhrkamp, Frankfurt am Main(eu 4) ISBN 3-518-26004-9 [8]
- 2013 Heute weiß ich weniger über das Gehirn, als ich vor 20 Jahren zu wissen glaubte – in Matthias Eckoldt Kann das Gehirn das Gehirn verstehen?, Carl-Auer-Verlag
- 2017 mit Matthieu Ricard: Jenseits des Selbst : Dialoge zwischen einem Hirnforscher und einem buddhistischen Mönch, Berlin: Suhrkamp 2017, ISBN 978-3-518-42571-8.
Siehe auch
- Wolf Singer - Artikel in der deutschen Wikipedia
Weblinks
- Literatur von und über Wolf Singer im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Wolf Singers Webseiten auf brain.mpg.de
- Homepage von Singer am Ernst-Strüngmann-Institut, Frankfurt
- Ist der freie Wille bloß eine Illusion? (PDF; 45 kB) Streitgespräch mit Julian Nida-Rümelin
- Das Manifest. Aus: Gehirn & Geist 6/2004, S. 30–37 pdf
- Die Zukunft von Mensch und Technologie. Interview mit Wolf Singer vom 10. September 2009 auf goethe.de
Einzelnachweise
- ↑ [Binding by synchrony Wolf Singer]. In: Scholarpedia. (englisch, inkl. Literaturangaben)
- ↑ Milner, P. M.: A model for visual shape recognition. Psychological Review. 1974; 81(6), 521-535.
- ↑ Grossberg, S.: Adaptive pattern classification and universal recoding, II: Feedback, expectations, olfaction, and illusions. Biol. Cybernetics, 187-202.
- ↑ Gray, C. M. and Singer, W.: Stimulus-specific neuronal oscillations in orientation columns of cat visual cortex. Proc. Natl. Acad. Sci. USA. 1989; 86, pp. 1698-1702
- ↑ Wolf Singer in: Christian Geyer (Hrsg.): Hirnforschung und Willensfreiheit, 2004, S. 30ff.
- ↑ ein Artikel, der wie oben erwähnt in der gedruckten Fassung mit dem programmatischen Untertitel erschien Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden. Real handelt es sich dabei um einen Ausschnitt aus diesem Teil () eines wesentlich umfangreicheren Artikels, der kurz darauf m. d. T. Selbsterfahrung und neurobiologische Fremdbeschreibung () in der DZPhil 52, 2, 2004: 235–255, publiziert wurde. Dieser Fachartikel wiederum wurde komplett und noch im selben Jahr auch der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht, jedoch nicht unter seinem Originaltitel, sondern unter dem Titel: Verschaltungen legen uns fest. Wir sollten aufhören, von Freiheit zu sprechen. (s. nä. Eintrag)
- ↑ ein TB der Reihe Edition Suhrkamp (Nr. 2387), in dem dieser FAZ-Redakteur die – nach dem Prinzip der paradoxen Interventionen – trotzdem zustandegekommene und ausgesprochen umfangreiche Debatte in der FAZ (unter Einschluss einiger unabhängig davon anderenorts publizierten Artikel) dokumentiert. Singer lässt die Vermarktung seiner Arbeit hier dokumentieren; s. dazu auch die Einleitenden Bemerkungen zu einem Offenen Brief auf den ursprünglichen F.A.Z.-Artikel.
- ↑ Rez. hier (a. hier); Singers Reaktion darauf samt Entgegnung des Rezensenten hier und dessen Schlusswort zu einer daraufhin massiv eingesetzten Diskussion mit Links zu den Beiträgen weiterer Diskussionspartner hier.