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Unter einem '''Normalarbeitsverhältnis''' wird ein [[Arbeitsverhältnis]] verstanden, das nach der allgemeinen Verkehrsauffassung typisch ist. Es bestehen sehr verschiedene, miteinander konkurrierende [[Definition]]en. Der Begriff wurde von [[Ulrich Mückenberger]] geprägt und von [[Ulrich Walwei]] erweitert. Alle anderen Beschäftigungsverhältnisse werden '''atypische Arbeitsverhältnisse''' genannt.
[[Rudolf Steiner]]: ''Die Nebenübungen'', [[Rudolf Steiner Verlag]], Dornach 2016, ISBN 978-3-7274-5295-6 (auch als E-Book, ISBN 978-3-7274-8518-3)
 
== Übliche Merkmale eines Normalarbeitsverhältnisses ==
Ein Normalarbeitsverhältnis ist je nach Definition durch einige der folgenden Merkmale gekennzeichnet:
# zeitlich unbefristet
# ein geregeltes [[Arbeitsentgelt|Entgelt]]
# nicht selbstständig
# Der [[Arbeitnehmer]] arbeitet kontinuierlich für einen Arbeitgeber, unterliegt der [[Weisung]]sgewalt des [[Arbeitgeber]]s, ist in die betrieblichen Strukturen des [[Unternehmen]]s eingegliedert
# [[Versicherungspflicht im Sinne der deutschen Sozialversicherung|sozialversicherungspflichtige]] Beschäftigung
# Arbeitsplatz und Wohnung des Arbeitnehmers sind räumlich voneinander getrennt
# keine Leiharbeit<ref name="Vollzeitbeschäftigung">{{internetquelle|url=http://www.iab.de/1406/view.aspx|titel=Zahlen zum Thema „Auslaufmodell Normalarbeitsverhältnis?“|zugriff=1. März 2013}}</ref>
# Vollzeit oder zumindest mehr als halbtags
 
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird ein Arbeitsverhältnis, das die ersten drei Kriterien erfüllt, auch als ''Festanstellung'' bezeichnet.
 
Normalarbeitsverhältnisse sind von Stabilität und längerer Dauer gekennzeichnet, sie sind für viele Arbeitnehmer die einzige Einkommensquelle und diese daher vom Arbeitgeber besonders abhängig. Atypische Arbeitsverhältnisse sind typischerweise die, die nicht oder nur beschränkt Anteil an deren allgemeinen Errungenschaften der sozialen Absicherung (wie Kranken-, Pensions-, Urlaubsansprüche und Freitage, Mutterschutz und Bildungskarenz, Abfindungen, usw.) haben.
 
Beispiele für atypische Arbeitsverhältnisse sind [[Befristetes Arbeitsverhältnis|befristete Arbeitsverhältnisse]] und [[Zeitarbeit]] wie [[Taglöhnerei]], [[Leiharbeit]] (Arbeitnehmerüberlassung), [[Teilzeitarbeit]], diverse Formen der [[Saisonarbeit]] (sofern sie nicht branchenüblich ist), [[geringfügige Beschäftigung]], [[Minijob]], [[Midijob]]. Dazu zählen in weiterem Sinne auch alle beschäftigungsähnlichen Dienstverhältnisse ohne [[Arbeitsvertrag]], wie auf [[Werksvertrag]]sbasis ([[Selbständigkeit (beruflich)|Selbstständige]], sofern es sich nicht um einen prinzipiell auf Honoraren beruhenden Beruf wie Arzt oder Notar handelt), und auch viele ausgelagerte Beschäftigungs- und Dienstverhältnisse wie [[Heimarbeit]] und [[Telearbeit]].
 
=== Übliche Definitionen ===
Nach einer weltweiten Definition der [[OECD]] umfassen die atypische Arbeitsverhältnisse ({{enS|''Non-standard work arrangements''}}) auch alle befristeten Anstellungen (Teilzeit wie Vollzeit), Teilzeit mit Arbeitsvertrag, wie auch Selbstbeschäftigte.<ref name="OECD 2014"/>
 
Das [[Statistisches Bundesamt|Statistische Bundesamt]] definiert für Deutschland ein Beschäftigungsverhältnis als Normalarbeitsverhältnis, wenn es mehr als 20&nbsp;Stunden pro Woche und unbefristet ausgeübt wird und der Arbeitnehmer direkt in dem Unternehmen arbeitet, mit dem ein Arbeitsvertrag besteht.<ref>''Statistisches Jahrbuch'' 2012, Abschnitt 13.</ref>
 
== Zum Verhältnis der Normalarbeit zum atypischen Beschäftigungsverhältnis ==
=== Geschichtliche Entwicklung ===
Eigentlich ist die Bezeichnung „atypisch“ irreführend, die lose Bindung an einen Dienstgeber ist so alt wie die Vorformen der Festanstellung. Und schon in [[Feudalismus|feudalen]] Systemen standen beispielsweise [[Wanderarbeit]]er (wie Taglöhner oder freie Unterhaltungsdienstleister) und  [[Handelsreisender|Handelsreisende]] sozial noch unterhalb der [[Leibeigene]]n, die in dieser Abhängigkeit zumindest ein gewisses Maß an sozialer Absicherung erfuhren.
 
Das heutige Konzept der Normalarbeitsverhältnisse hat sich ab der [[Industrielle Revolution|Industriellen Revolution]] aus dem [[Fordismus|fordistischen]] Wirtschaftsmodell, dem viele Industriestaaten bis in die 1970er Jahre folgten, entwickelt. Sie sind in vielen Ländern heute noch nicht die Regel und haben sich auch in Europa erst durch das Engagement von Gewerkschaften etablieren können. Nach der Definition der OECD sind noch heute ein Drittel aller Arbeitsverhältnisse weltweit der Klasse atypisch.<ref name="OECD 2014"/>
 
Das Normalarbeitsverhältnis war im ausgehenden 20.&nbsp;Jahrhundert bezüglich Arbeitslohn und Normalarbeitszeiten auf das [[Ernährermodell|männliche Ernährermodell]] zugeschnitten, in dem der Arbeitslohn des Mannes als Familienernährerlohn den Lebensunterhalt der Familie sichern sollte und die Normalarbeitszeiten dem Arbeitnehmer eine weitgehend autonome Gestaltung der [[Freizeit|arbeitsfreien Zeit]] sichern sollten.<ref name="wsi-frauenbericht-s131">{{internetquelle|url=http://www.boeckler.de/pdf/wsi_frauenbericht_lang.pdf|titel=Bericht zur Berufs- und Einkommenssituation von Frauen und Männern, im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend|datum=Juli 2001|zugriff=12. März 2008|format=PDF; 1,5&nbsp;MB}}</ref>
 
Seit einigen Jahren sind Normalarbeitsverhältnisse einer Erosion unterworfen, welche sich an der zunehmenden Zahl von Beschäftigten im [[Niedriglohnsektor]], einem gelockertem [[Kündigungsschutz]] und sich vergrößernden [[kollektivvertrag]]slosen Bereichen sowie allgemein in einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse niederschlägt. Einstmals [[sozialstaat]]liche Wirtschaftsmodelle werden im Zeitalter der [[Globalisierung]] mehr und mehr von [[Prekariat|Prekarisierung]] bedroht. Gerne wird in diesem Zusammenhang euphemistisch von einer ''[[Deregulierung des Arbeitsmarktes]]'' gesprochen. Nach einer Studie der OECD sind weltweit drei Viertel des OECD-Raumes von einer Zunahmen zwischen 1995–2010 betroffen, herausragend etwa die [[Slowakei]] mit 50%, aber auch Deutschland, Österreich und die Niederlande.<ref name="OECD 2014"/> Als weiteres Phänomen tritt die [[Scheinselbständigkeit]] hinzu, also arbeitnehmerähnliche Dienstverhältnisse, bei denen aber alle Soziallasten auf den Werktätigen abgewälzt werden. Dieser Missbrauch rechtlicher Vertragsformen trifft insbesondere auch akademische Berufe.
 
=== Wirtschaftliche Hintergründe ===
Da atypische Beschäftigungsformen in der Regel einen schnelleren Ausgleich [[Arbeitsmarkt|marktbedingter]] Schwankungen von Arbeitsnachfrage und -angebot erlauben als Normalarbeitsverhältnisse, ist in Zeiten erhöhter Arbeitsnachfrage in diesem Bereich mit besonders starken Beschäftigungszuwächsen zu rechnen. Umgekehrt führt ein Sinken der Arbeitsnachfrage hier zu einem schnelleren Beschäftigungsabbau, während Inhaber von Normalarbeitsverhältnissen in der Regel besser vor Arbeitslosigkeit geschützt sind. Befürworter einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse führen als Argument (in Analogie zu der Lockerung von [[Kündigungsschutz]]bestimmungen) dauerhaft positive Beschäftigungseffekte an.
 
Durch Reformen des Arbeitsrechts können Nachteile der atypischen Arbeitsverhältnisse gegenüber dem Normalarbeitsverhältnis teilweise ausgeglichen werden. Gelingt dies, können atypische Arbeitsverhältnisse zum einen für Arbeitnehmer attraktiver werden; zum anderen können so die möglicherweise erwartbaren positiven Beschäftigungseffekte einer Zunahme atypischer Arbeitsverhältnisse erlangt werden. Dieser Doppeleffekt ist beispielsweise das Ziel einer Reihe von Richtlinien im Bereich der [[Sozialpolitik der Europäischen Union|EU-Sozialpolitik]].
 
=== Nachteile atypischer Arbeitsverhältnisse ===
 
Atypische Arbeitsverhältnisse sind häufig verbunden mit folgenden Nachteilen:
* oft kein existenzsicherndes Einkommen
* oft kein oder erschwerter Zugang zu Weiterbildung
* oft keine oder geringere berufliche Aufstiegschancen
* oft [[Arbeitsrecht|arbeitsrechtliche]] Benachteiligungen
* oft geringere [[betriebliche Sozialleistungen]]
* oft keine oder wenig soziale Absicherung, insbesondere durch diskontinuierliche Erwerbsbiographie
* häufig wechselnder Arbeitsplatz
* keine (dauerhaften) sozialen Kontakte am Arbeitsplatz
* Wettbewerbsnachteile auf dem [[Arbeitsmarkt]]
 
=== Vorteile atypischer Arbeitsverhältnisse ===
 
Atypische Arbeitsverhältnisse können - müssen aber nicht - auch folgende Vorteile aufweisen:
* Arbeiten bei völlig freier Zeiteinteilung
* Arbeiten von zu hause aus ("Home-Office")
* Erfolgsprämien, die über das tariflich garantierte hinausgehen
 
=== Gegenmaßnahmen der sozialen Benachteiligung atypisch Beschäftigter ===
Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und des Risikos einer starken Erosion der sozialen Absicherung wird hervorgehoben, dass eine gesellschaftliche Diskussion über die Implikationen unterschiedlicher gesellschaftlicher Leitbilder erforderlich sei. Es wird unter anderem für eine alternative Wirtschaftspolitik mit einer Flexibilisierung des Arbeitszeitstandards argumentiert, die Arbeitszeiten zwischen einer langen Teilzeit oder einer Nahezu-Vollzeit sozial absichern. Dabei sollten innerhalb enger Grenzen umgekehrt auch Arbeitszeitverlängerungen möglich sein. Im Fall sozial akzeptierter Umstände wie der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen, der Weiterbildung oder bei bürgerschaftlichem Engagement sei eine gesellschaftliche Unterstützung für die soziale Sicherung angemessen, beispielsweise durch [[Entgeltersatzleistung]]en, wohingegen andere Erwerbsunterbrechungen oder -reduzierungen, etwa für [[Sabbatical]]s, mit geringerer oder ganz ohne Förderung stattfinden könnten.<ref>{{internetquelle|autor=Alexandra Wagner|url=http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m0501.pdf|titel=Zur Notwendigkeit der Diskussion über gesellschaftliche Leitbilder. Plädoyer für ein neues Normalarbeitsverhältnis|hrsg=Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Universität Bremen|zugriff=7. November 2009|format=PDF; 97&nbsp;kB}} [http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m0501.pdf#page=21 S. 21 ff]</ref>
 
== Siehe auch ==
* [[Erwerbstätigkeit|Arbeit]]
* [[Arbeit (Sozialwissenschaften)]]
* [[Flexibilisierung]]
* [[Erwerbsarmut]] (Working Poor)
 
== Literatur ==
(chronologisch)
* Rainer Dombois: ''Der schwierige Abschied vom Normalarbeitsverhältnis.'' In: ''[[Aus Politik und Zeitgeschichte]]'' 37/1999, S. 13-20.
* Ulrich Walwei: ''Normalarbeitsverhältnis in Bewegung.'' In: ''Mitbestimmung'' Nr.11, 1999.
* [[Richard Sennett]]: ''Der flexible Mensch'', Btb Bei Goldmann 2000, ISBN 344275576X.
* Evelyn Schröer: ''Der Einfluss der Regulierung auf die Verbreitung der Arbeitnehmerüberlassung und ihre arbeitsmarktpolitische Bedeutung.'' Diss. Univ. Köln, 2001.
* Nicole Mayer-Ahuja: ''Wieder dienen lernen? Vom westdeutschen "Normalarbeitsverhältnis" zu prekärer Beschäftigung seit 1973'', Edition Sigma, Berlin 2003.
* [[Andreas Diekmann]], Ben Jann: ''Erosion der Normalarbeit und soziale Ungleichheit.'' 2004 ([http://www.socio.ethz.ch/people/jannb/cv/normal04.pdf PDF-Datei], 145 kB; ethz.ch).
* H. Pfarr: ''REGAM-Studie: Atypische Beschäftigung in den Betrieben - eingesetzt zur Umgehung des Kündigungsschutzes?'' In: ''[[Betriebs-Berater|Betriebsberater]]'', Heft 11/2004, S. 602–604.
* R. Neubäumer, D. Tretter: ''Mehr atypische Beschäftigung aus theoretischer Sicht.'' In: ''[[Industrielle Beziehungen]]'', Heft 3/2008, S. 256-278.
* Berndt Keller, Hartmut Seifert: ''Atypische Beschäftigung zwischen Prekarität und Normalität. Entwicklung, Strukturen und Bestimmungsgründe im Überblick''. Forschung aus der [[Hans-Böckler-Stiftung]], Bd. 158. 2013.
 
== Weblinks ==
* ''[http://www.faveve.uni-stuttgart.de/fs-soz/inhalte/scripte/ao/druck/ao1druck.html Die Erosion des Normalarbeitsverhältnisses]'', auf uni-stuttgart.de.
* [http://www.iab.de/asp/X_info/prepareThema.asp?pkyInfoThema=48 Infoplattform „Atypische Beschäftigung“] des [[Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung|Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung]] (IAB) –  mit Literaturhinweisen, Projekten und aktuellen Links
 
== Einzelnachweise ==
<references>
<ref name="OECD 2014">OECD: ''All On Board. Making Inclusive Growth Happen.'' 2014. Abschnitt ''Non-standard employment is widespread.'', S. 33 ([http://www.oecd.org/inclusive-growth/All-on-Board-Making-Inclusive-Growth-Happen.pdf pdf], oecd.org, abgerufen 27. Februar 2015; dort S. 37);<br />Definition: {{"-en|Non-standard work arrangements, including temporary employment (part-time and full-time), part-time jobs on a permanent contract and self-employment.}}</ref>
</references>
 
[[Kategorie:Arbeit]]
 
{{Wikipedia}}

Version vom 26. Juli 2017, 23:37 Uhr

Rudolf Steiner: Die Nebenübungen, Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2016, ISBN 978-3-7274-5295-6 (auch als E-Book, ISBN 978-3-7274-8518-3)