Hoden

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Der Hoden [ˈhoːdn̩] oder (seltener) der/die Hode [ˈhoːdə] (v. mittelhochdt.: hode, v. althochdt.: hodo, v. idg.: *skeu(t)- „bedecken, verhüllen“) oder der Testikel (v. lat.: testiculus, Vkl. von testis Zeuge [der Virilität], Hode, Plural: testes) – (altgriech.: ὄρχις orchis) ist ein paarig angelegtes, inneres männliches Geschlechtsorgan vieler sich geschlechtlich fortpflanzender Gewebetiere. Er gehört, wie der Eierstock der weiblichen Individuen, zu den sogenannten Keimdrüsen (Gonaden) und produziert die Samenfäden (Spermien). Zudem werden im Hoden männliche Geschlechtshormone (Androgene), vor allem das Testosteron, gebildet. Die Hoden entstehen bei Wirbeltieren embryonal in der Bauchhöhle, wandern aber bei den meisten Säugetieren in den Hodensack.

Hoden und Nebenhoden eines Kaninchens

Anatomie

Größe und Lage

Geschlechtsorgane des Mannes

Der menschliche Hoden ist etwa pflaumenförmig, wiegt etwa 20 Gramm und hat ein mittleres Volumen von 20–25 ml. Die mittlere Länge beträgt 5 cm, die Dicke etwa 3 cm.[1] Die Hoden entwickeln sich erst in der Pubertät zu ihrer vollen Größe und erreichen im 4. Lebensjahrzehnt ihre Maximalgröße. Im Alter nimmt die Hodengröße wieder ab.[2] Das Hodenvolumen gibt unter anderem Aufschluss über den funktionellen Zustand des Hodens. Liegt das Hodenvolumen unterhalb von 8 ml, ist davon auszugehen, dass die Spermienproduktion nur eingeschränkt oder gar nicht funktioniert. Testosteron wird dagegen teilweise noch bis zu einem Volumen von 1,5 ml produziert; darunter ist der Hoden in der Regel funktionslos.

Bei den Säugetieren variiert die Hodenform von rundlich bis eiförmig. In der Größe gibt es deutliche Unterschiede, eine enge Beziehung zum Körpergewicht besteht jedoch nicht. Die größten Hoden in der Tierwelt besitzen Südkaper, sie machen mit je 500 kg 2 % des Körpergewichts aus.[3] Relativ große Hoden haben Nagetiere, Schafe (bis zu je 300 g) und Hausschweine (bis zu je 750 g), relativ kleine dagegen die Raubtiere. Bei Tieren mit einer jahreszeitlichen Periodik in der Fortpflanzung unterliegt die Hodengröße darüber hinaus saisonalen Schwankungen, die Hoden sind in der Paarungszeit deutlich größer als in der Paarungsruhe.

Bei den meisten Säugetieren liegen beide Hoden bei geschlechtsreifen Individuen im Hodensack (Scrotum) oder in hodensackähnlichen Hauttaschen. Die Hoden entstehen zwar in der Bauchhöhle, wandern aber etwa zum Geburtszeitpunkt, bei Nagetieren erst zur Pubertät, durch den Leistenkanal in den Hodensack. Dieser Vorgang wird als Hodenabstieg (Descensus testis) bezeichnet. Bei einigen Säugetieren (beispielsweise Hamster, Fledermäuse) findet ein saisonaler Hodenabstieg statt, und die Hoden liegen nur zur Paarungszeit außerhalb der Bauchhöhle. Innerhalb der Säugetiere gibt es allerdings einige Tiergruppen, bei denen die Hoden generell in der Bauchhöhle verbleiben, die sogenannten Testiconda. Dabei können die Hoden am Ort der Anlage verbleiben (wie bei Elefanten) oder zwar absteigen, aber dennoch in der Bauchhöhle verweilen (beispielsweise bei Walen, s. a. Tabelle).

Testiconda
 
kein Hodenabstieg
unvollständiger Hodenabstieg
saisonaler Hodenabstieg
Kloakentiere, Goldmulle, Rüsselspringer, Igeltenreks, Schliefer, Elefanten, Seekühe, Dreifinger-Faultiere, Ameisenbären Wale, Gürteltiere Maulwürfe, Schlitzrüssler, Erdferkel, Spitzmäuse, Fledertiere, einige Nagetiere

Anatomischer Aufbau

Hoden, Nebenhoden und Samenstrang eines Katers:
1 Kopfende
2 Schwanzende
3 Nebenhodenrand
4 freier Rand
5 Hodengekröse
6 Nebenhoden
7 Geflecht der Hodenarterie und -vene
8 Samenleiter

Die äußere anatomische Gliederung des Hodens erfolgt nach dem ihm anliegenden und mit ihm verwachsenen Nebenhoden. Der zum Nebenhodenkopf zeigende Hodenabschnitt wird als Kopfende (Extremitas capitata), der zum Nebenhodenschwanz zeigende als Schwanzende (Extremitas caudata) bezeichnet. Am Schwanzende befindet sich häufig ein funktionsloses, warzenförmiges Rudiment des sogenannten Müller-Ganges, das als Hodenanhang (Appendix testis, eine Morgagni-Hydatide) bezeichnet wird. Der zum Nebenhoden zeigende Rand ist der Nebenhodenrand (Margo epididymalis), ihm gegenüber liegt der freie Rand (Margo liber). Außerdem lassen sich eine zur Mitte zeigende (Facies medialis) und eine nach außen zeigende Fläche (Facies lateralis) unterscheiden.

Querschnitt durch den Scheidenhautfortsatz:
1 Hoden
2 Nebenhoden
3 Hodengekröse
4 Organblatt der Scheidenhaut
   (Epiorchium)
5 Wandblatt der Scheidenhaut
   (Periorchium)
6 Cavum vaginale
7 Nebenhodengekröse
8 Fascia spermatica interna
Schnitt durch einen Stierhoden:
(Blutgefäße mit roter Gelatine injiziert)
1 Hodenparenchym
2 Mediastinum testis
3 Tunica albuginea
4 Nebenhodenschwanz
5 Nebenhodenkopf
6 Samenstrang mit
   Rankenkonvolut der Hodenarterie

Der Hodenabstieg erfolgt in eine Aussackung des Bauchfells und der inneren Rumpffaszie (hier als Fascia spermatica interna bezeichnet), den Scheidenhautfortsatz (Processus vaginalis). Der Scheidenhautfortsatz gehört zu den Hodenhüllen im Inneren des Hodensacks. Der Bauchfellanteil dieser Ausstülpung wird als Scheidenhaut (Tunica vaginalis testis) bezeichnet. Sie kleidet dabei das Hodensackinnere aus (sogenanntes Wandblatt, Lamina parietalis oder Periorchium), stülpt sich dann als Doppellamelle ins Innere und überzieht als Eingeweideblatt (Lamina visceralis oder Epiorchium) den Hoden. Zwischen den beiden Blättern befindet sich ein sehr enger Spaltraum, das Cavum vaginale, das die Verschieblichkeit des Hodens im Hodensack sicherstellt. Die Verbindungsstelle zwischen den beiden Blättern ist das Hodengekröse (Mesorchium), welches der Befestigung des Hodens im Hodensack dient. Der Hoden ist außerdem am Schwanzende mit einem kurzen Band mit dem Nebenhoden verbunden (Hodeneigenband, Ligamentum testis proprium). Dieses setzt sich vom Nebenhodenschwanz als Nebenhodenschwanzband (Ligamentum caudae epididymidis) fort und befestigt den Hoden zusätzlich indirekt am Boden des Hodensacks. Am Scheidenhautfortsatz setzt auch der Hodenhebermuskel (Musculus cremaster) an, der als Schutzvorrichtung den Hoden bei Berührung oder Kälte näher an die Bauchwand zieht. Bei Nagetieren und Säugetieren mit saisonalem Hodenabstieg, selten auch bei einzelnen Individuen anderer Säugetiere, kann der Muskel den Hoden gänzlich in die Bauchhöhle zurückziehen („Pendelhoden“).

Direkt unter dem Bauchfellüberzug des Hodens liegt eine dicke weißliche Bindegewebskapsel, die Tunica albuginea. Sie sorgt für die mechanische Festigkeit des Organs und hält einen gewissen Innendruck aufrecht. Von dieser Kapsel ziehen Septen in das Innere und unterteilen den Hoden in Hodenläppchen (Lobuli testis). Der Hoden des Mannes besitzt etwa 350 Hodenläppchen. Die Septen bilden zudem einen Bindegewebskörper, das Mediastinum testis, das in der Humananatomie auch Corpus Highmori genannt wird.

Gefäße und Nerven

Hodenarterie eines Bullen:
1 Rankenkonvolut
2 Hodenarterie
3 Gefäßbett des Hodens
4 Nebenhodenarterie
5 Gefäßbett des
   Nebenhodenschwanzes

Die Blutversorgung des Hodens erfolgt über die Hodenarterie (Arteria testicularis). Sie entspringt, entsprechend dem Ort der embryonalen Anlage des Hodens (s. u.), unmittelbar hinter der Nierenarterie direkt aus der Bauchaorta im Lendenbereich. Bei den Tieren mit Hodenabstieg muss sich die Hodenarterie entsprechend verlängern und verläuft an der rückenseitigen Bauchwand entlang, in einem kurzen Gekröse (Mesorchium proximale) zum Leistenkanal. Außerhalb der Bauchhöhle tritt sie in den Samenstrang. Hier legt sie sich in enge spiralige Windungen, das sogenannte Rankenkonvolut. Dabei ist beispielsweise beim Bullen ein zwei Meter langer Arterienabschnitt auf einer Samenstranglänge von 13 cm untergebracht. Das Rankenkonvolut ist vom Rankengeflecht (Plexus pampiniformis) der Hodenvene (Vena testicularis) umsponnen. Hierdurch entsteht eine große Kontaktfläche zwischen zu- und abführendem Blut, die als Wärmeübertrager fungiert. Im Hodensack liegt die Temperatur wenige Grad unter der Körperinnentemperatur, was für die Bildung fruchtbarer Spermien bei Säugetieren mit Hodenabstieg unerlässlich ist. Das ankommende Blut in der Arterie wird durch diese Anordnung vom abfließenden Blut der Vene heruntergekühlt.

Die Hodenarterie verläuft am Nebenhodenrand zunächst zum Schwanzende des Hodens. Von dort zieht sie innerhalb der Hodenkapsel am freien Rand bei den meisten Säugetieren (eine Ausnahme machen beispielsweise Wiederkäuer) wieder zum Kopfende. Ihre Aufzweigungen verlaufen geschlängelt in der Tunica albuginea über die Seitenflächen und treten über die Hodensepten ins Innere zum Mediastinum testis und von dort wieder zentrifugal zurück zu den Samenkanälchen, um die sie ein Kapillarnetz bilden.

Die Innervation des Hodens wird durch den Sympathikus, einen Teil des vegetativen Nervensystems, vermittelt. Die Nervenfasern kommen aus dem Grenzstrang des Lendenbereichs und ziehen, die Hodenarterie geflechtartig umspinnend (Plexus testicularis, Syn. Nervus spermaticus superior), zum Hoden. Eine zweite Gruppe von Nervenfasern verläuft von Kreuzganglien des Grenzstrangs mit dem Samenleiter (Ductus deferens) zum Hoden (Plexus deferentialis, Syn. Nervus spermaticus inferior). Die efferenten Nervenfasern treten vor allem an die Blutgefäße und regulieren damit die Durchblutung und die Temperatur des Hodens. Eine Beteiligung an der Feinsteuerung der Spermienbildung, dem Spermientransport und der Hormonproduktion im Hoden einiger Säugetiere wird derzeit diskutiert,[4] primär erfolgt diese Steuerung aber über Hormone. Die Zellkörper jener Nervenfasern, die Informationen zum Zentralnervensystem leiten (Visceroafferenzen), liegen in den Spinalganglien des Lendenbereichs. Sie übermitteln Schmerzempfindungen (Eingeweideschmerz), allerdings wird ein Großteil der hohen Schmerzempfindlichkeit des Hodens über die sensiblen Nervenfasern der Hodenhüllen (Äste des Nervus genitofemoralis) vermittelt. Die hohe Sensitivität gegenüber Berührungsreizen macht Hoden und Hodensack zu einer erogenen Zone. Andererseits wird die große Schmerzempfindlichkeit auch bei BDSM („cock and ball torture“) und Folterungen ausgenutzt; Hodenquetschungen können zu einem Schock führen. Eine Neuralgie des Nervus genitofemoralis, die zum Beispiel nach chirurgischer Korrektur eines Leistenbruchs auftreten kann, äußert sich in Hodenschmerzen.[5]

Die Lymphgefäße des Hodens verlaufen zusammen mit den Hodenvenen zu den Lendenlymphknoten (Lymphonodi lumbales) rückenwärts der Aorta, bei Haussäugetieren auch zu den Darmbeinlymphknoten (Lymphonodi iliaci mediales) an der Aortenaufzweigung. In diesen, im Retroperitonäum des Bauchs liegenden Lymphknoten können bei Hodenkrebs Metastasen auftreten.

Hormonale Steuerung

Schema der Hormonwechselwirkungen bei der Steuerung des Hodens

Die hormonelle Steuerung des Hodens erfolgt durch das stoßweise, von Nervenzellen in der Eminentia mediana im Hypothalamus gebildete Gonadoliberin (GnRH). GnRH wirkt allerdings nicht direkt auf den Hoden, sondern regt die Bildung der Hormone LH und FSH im Hypophysenvorderlappen an. Die Ausschüttung dieser Hormone wird über einen negativen Rückkopplungsmechanismus auch vom Hoden selbst gesteuert: Die FSH-Sekretion wird durch das von den Sertoli-Zellen produzierte Inhibin B, die GnRH-Sekretion durch das von den Leydig-Zellen produzierte Testosteron gehemmt. Die saisonalen Schwankungen der Größe und Aktivität der Hoden bei vielen Tieren werden durch Unterdrückung der GnRH-Sekretion während der Fortpflanzungsruhe unter dem Einfluss der Tageslichtlänge vermittelt. Der genaue Mechanismus ist noch nicht im Detail bekannt: Bei Säugetieren sind vermutlich Opioide, dopaminerge Neurone und Melatonin in diesen Regelkreis involviert, bei Vögeln auch die Hormone der Schilddrüse.

LH bindet an einen Membranrezeptor der Leydig-Zellen und induziert damit die Synthese von Androgenen. Dabei wird Cholesterin schrittweise, unter anderem über Pregnenolon und Progesteron, zu Testosteron umgesetzt, wobei zwei verschiedene Synthesewege (Δ4 und Δ5) möglich sind. Die LH-Wirkung auf die Leydig-Zellen wird durch Prolactin potenziert, bei einer Überproduktion von Prolaktin kommt es jedoch durch Herabregulation der LH-Rezeptoren zu einer Hemmung der Testosteronsynthese. Auch in der Nebennierenrinde kann LH die Bildung von Androgenen induzieren, das dort gebildete Dehydroepiandrosteron gelangt über das Blut in den Hoden und kann dort als Testosteron-Vorläufer genutzt werden. Etwa 97 % der Androgene werden im Hoden gebildet (beim Mann etwa 7 mg/Tag), der verbleibende Teil in den Nebennieren. Androgene wirken auf das Keimepithel und werden, an ein Protein gebunden, über das Blut auch zu ihren anderen Zielorganen transportiert.

FSH bindet an entsprechende Rezeptoren der Sertoli-Zellen. Sowohl FSH als auch das Testosteron steuern die Spermiogenese. FSH leitet die Spermiogenese ein, Testosteron fördert die mitotischen und meiotischen Zellteilungen und damit die Bildung von Spermatozyten aus den Spermatogonien, während FSH wiederum die endgültige Reifung der Spermatiden zu Spermien bewirkt.

Die Unterdrückung der hormonellen Anregung der Hodenfunktion wird auch bei der Entwicklung von Verhütungsmitteln für den Mann gegenwärtig intensiv beforscht. Dabei werden Testosteron oder dessen Kombination mit GnRH-Antagonisten oder Gestagenen wie Progestin gegenwärtig als aussichtsreichste Kandidaten angesehen. Sie führen zu stark erniedrigten Testosteron-Konzentrationen innerhalb des Hodens und damit zu einer starken oder vollständigen Reduzierung der Spermienbildung.[6][7][8] In der Tiermedizin ist seit 2008 ein Präparat auf der Basis des GnRH-Analogons Deslorelin (Suprelorin®) zugelassen, das bei Rüden eine mehrmonatige Unterdrückung der Fruchtbarkeit bewirkt. Darüber hinaus ist ein Impfstoff für Schweine (Improvac®) zugelassen, der zu einer Antikörperbildung gegen GnRH führt und damit die Hodenfunktion unterdrückt.[9]

Hormone des Hodens

Obwohl die Auswirkungen von Kastrationen seit Jahrtausenden bekannt waren, gelang erst 1849 Arnold Adolph Berthold[10] mittels Hodentransplantationen bei Hähnen der experimentelle Nachweis der Hormonbildung im Hoden. In hohem Alter unternahm Charles-Édouard Brown-Séquard Ende des 19. Jahrhunderts Selbstversuche mit Flüssigkeit aus Hoden von Hunden und Meerschweinchen, denen er eine verjüngende und stärkende Kraft zuschrieb, allerdings waren es eher homöopathische Hormonmengen, die er auf diese Weise gewann. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt die Transplantation von Tierhoden unter die Bauchdecke als Verjüngungsmittel, insbesondere die Wiener Robert Lichtenstern und Eugen Steinach waren Protagonisten dieser Methode. Steinach wollte diesen Verjüngungsprozess auch durch Unterbindung der Samenleiter erreichen (sein berühmtester Patient war Sigmund Freud) und beschrieb die Hodentransplantation als „Therapie“ bei Homosexualität. Nach 1945 kamen diese umstrittenen Xenotransplantationen aus der Mode.[11]

1903 publizierten Pol Bouin und Paul Ancel erstmals die Erkenntnis, dass die Leydig-Zellen der Bildungsort der männlichen Geschlechtshormone sind.[12] 1931 isolierten Adolf Butenandt und Kurt Tscherning Androsteron (ein Metabolit des Testosterons) aus Urin von Männern, 1935 konnte Ernst Laqueur das Testosteron selbst aus Stierhoden isolieren und prägte auch den Namen dieses Hormons (von testis „Hoden“ und „Steroid“).[13]

Die Existenz nichtsteroidaler Hormone im Hoden wurde bereits in den 1920er Jahren postuliert, aber erst 1932 von D. Roy McCullagh an kastrierten Ratten funktionell nachgewiesen und Inhibin genannt. Obwohl in den 1960er Jahren Bioassays für dieses Hormon entwickelt wurden, war dessen Existenz über einige Jahrzehnte umstritten und wurde erst 1979 allgemein akzeptiert. 1984/85 wurden die Struktur und die Untertypen des Hormons aufgedeckt. Mit der Aufklärung der das Hormon codierenden DNA-Sequenz wurde 1985 auch die Zugehörigkeit des Inhibins zur Gruppe der β-transforming-growth-factors erkannt.

Während die Beziehungen zwischen LH und Testosteron bereits in den 1960er Jahren bekannt waren, wurde die FSH-Abhängigkeit der Sertoli-Zellen erst 1984 durch Joanne M. Orth bewiesen.

Geschlechtsdifferenzierung

Die chromosomale Basis der Geschlechtsdifferenzierung wurde bereits zwischen 1910 und 1916, vor allem durch die Arbeiten von Thomas Hunt Morgan an Taufliegen aufgeklärt, wofür er 1933 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin bekam. Alfred Jost erkannte 1947, dass die Keimdrüsenanlage primär auf das weibliche Geschlecht determiniert ist und die Ausprägung des männlichen Geschlechts abhängig von Testosteron ist. Dennoch dauerte es bis in die frühen 1960er Jahre, bis das Y-Chromosom als maßgeblicher Faktor bei Säugetieren identifiziert wurde. Die genaue Lokalisation des Gens für den Hoden-determinierenden Faktor wurde erst 1990 ermittelt, seine vielfältigen Funktionen sind noch nicht im Detail bekannt und Gegenstand aktueller Forschung.[14]

Kastration

Als Kastration wird die Unterbindung der Hodenfunktion bezeichnet. Sie kann durch operative Entfernung des Hodens (Orchidektomie), Unterbindung der Hodengefäße („unblutige Kastration“), Bestrahlung oder chemische Substanzen erfolgen. Kastrationen werden beim Menschen vor allem bei Hodenkrebs durchgeführt. Chirurgisch entfernte Hoden werden aus kosmetischen Gründen meist durch eine Hodenprothese ersetzt.

Farinelli, ein berühmter kastrierter Sänger des 18. Jahrhunderts

Die Kastration spielt als Symbol der Entmachtung auch in der Mythologie vieler Kulturen eine Rolle (vgl. auch Kastrationsangst). In der ägyptischen Mythologie entreißt Horus seinem Halbbruder Seth die Hoden. In der griechischen Mythologie entfernt erst Kronos seinem Vater Uranos die Hoden und wird später selbst von seinem Sohn Zeus entmannt. Zur Entsagung weltlicher Gelüste war die Selbstentmannung der Galloi (Priester) im Kybele-Kult der Phryger, der sich auch auf das antike Griechenland und Rom verbreitete, üblich, ebenso bei den Hijras in Indien. Im Judentum ist die Kastration, sowohl von Menschen als auch Tieren, dagegen strikt verboten. Im Christentum war die Kastration ebenfalls verpönt. Eunuchen durften nicht zum Priester geweiht werden, es gab jedoch Strömungen, in denen die Selbstkastration als Ritual vollzogen wurde (siehe Skopzen). Historisch wurden auch Sklaven, Kriegsgefangene, Sänger oder die Bewacher von Harems (siehe Palasteunuch) kastriert. Die nichtmedizinisch begründete Kastration war insbesondere auf die Unterbindung der durch das Testosteron hervorgerufenen sekundären Geschlechtsmerkmale (Stimmlage, Sexualverhalten) gerichtet. Kastraten waren im europäischen Musikleben des 17. und 18. Jahrhunderts beliebt und genossen oft hohes Ansehen. Zu den berühmtesten Kastraten des 18. Jahrhunderts zählen Senesino, Farinelli, Caffarelli und Antonio Bernacchi. Kastrierte Männer können sich nicht selbst fortpflanzen. Ähnlich wie freiwillig enthaltsam lebende Kleriker (Eunuchen für das Himmelreich) wurden sie als verlässlicher eingeschätzt und in verschiedenen Gesellschaften als Funktionäre und Diener eingesetzt.[15] Die freiwillige Kastration von Sexualstraftätern ist in Deutschland sowie in einigen Bundesstaaten der USA noch eine, wenn auch umstrittene, Therapiemethode.

In der Tiermedizin werden Kastrationen, neben medizinischen Indikationen (Hodenkrebs, Prostata- und Analdrüsenerkrankungen), vor allem zur Vermeidung von Nachwuchs, zur besseren Handhabbarkeit von Haustieren (Wallach, Ochse), zur Erhöhung der Mastleistung und Fleischqualität, bei Hausschweinen auch zur Vermeidung des „Ebergeruchs“ des Fleisches durchgeführt. Kastrationen bei Tieren wurden vermutlich bereits zu Beginn der Jungsteinzeit durchgeführt.[15] Die Kastration ist eine der wenigen nach dem Tierschutzgesetz (§ 6) in Deutschland heute noch erlaubten nichtmedizinisch indizierten Organentfernungen, bei sehr jungen Tieren sogar ohne Schmerzausschaltung, was allerdings nicht unumstritten ist.

Siehe auch

Literatur

  • A. J. P. van den Brock: Gonaden und Ausführungswege. In: Bolk u. a. (Hrsg.): Handbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere. Band 6, Urban & Schwarzenberg, Berlin 1933, S. 1–154.
  • W. Busch, A. Holzmann (Hrsg.): Veterinärmedizinische Andrologie. Schattauer, Stuttgart 2001, ISBN 3-7945-1955-8.
  • U. Gille: Männliche Geschlechtsorgane. In: F.-V. Salomon u. a. (Hrsg.): Anatomie für die Tiermedizin. Enke, Stuttgart 2004, ISBN 3-8304-1007-7, S. 389–403.
  • R. Hautmann, H. Huland: Urologie. Springer, Berlin 2006, ISBN 3-540-29923-8.
  • H.-G. Liebich: Funktionelle Histologie der Haussäugetiere. 4. Auflage. Schattauer, Stuttgart 2003, ISBN 3-7945-2311-3.
  • J. D. Neill (Hrsg.): Knobil and Neill’s Physiology of Reproduction. 3. Auflage. Academic Press, Amsterdam 2005, ISBN 0-12-515400-3.
  • P. E. Petrides: Endokrine Funktionen IV. Hypothalamisch-hypophysäres System und Zielgewebe. In: G. Löffler, P. E. Petrides (Hrsg.): Biochemie und Pathobiochemie. 7. Auflage. Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-42295-1, S. 865–908.
  • U.-N. Riede u. a.: Männliches Genitalsystem. In: U.-N. Riede u. a. (Hrsg.): Allgemeine und spezielle Pathologie. Thieme, Stuttgart 1989, ISBN 3-13-683302-3, S. 768–779.
  • B. Vié: Testicules. Fête de paires, mythologie, les dessous, d’une curiosité culinaire, les attributs du sujet, lexique. Edition de l’Epure, Paris 2005, ISBN 2-914480-58-X. (Zahlreiche Kochrezepte, angereichert mit kulturgeschichtlichen Informationen)
  • R. Wehner, W. Gehring: Zoologie. 23. Auflage. Thieme, Stuttgart 1995, ISBN 3-13-367423-4.
  • U. Welsch: Sobotta Lehrbuch Histologie. Urban & Fischer, München 2002, ISBN 3-437-42420-3.

Weblinks

Commons: Hoden - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Hoden – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wiktionary: Testikel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Walther Graumann: CompactLehrbuch Anatomie. Band 3, Schattauer, Stuttgart 2004, ISBN 3-7945-2063-7, S. 265.
  2. H. Sosnik: Studies on the size of human male gonad in biomorphosis, alcohol intoxication, and cirrhosis–a review and own findings. In: Gegenbaurs Morphologisches Jahrbuch. Band 134, Nr. 5, 1988, S. 733–761, PMID 3224804.
  3. David A. E. Spalding: Whales of the West Coast. Harbour Publishing, 1999, ISBN 1-55017-199-2.
  4. I. Gerendai u. a.: Innervation and serotoninergic receptors of the testis interact with local action of interleukin-1beta on steroidogenesis. In: Auton Neurosci. 7. Juli 2006, PMID 16829209.
  5. I. Ducic, A. L. Dellon: Testicular pain after inguinal hernia repair: an approach to resection of the genital branch of genitofemoral nerve. In: Journal Am Coll Surg. Band 198, Nr. 2, Februar 2004, S. 181–184, PMID 1475977.2
  6. R. S. Swerdloff u. a.: Suppression of spermatogenesis in man induced by Nal-Glu gonadotropin releasing hormone antagonist and testosterone enanthate (TE) is maintained by TE alone. In: Journal Clin Endocrinol Metab. Band 83, Nr. 10, Oktober 1998, S. 3527–3533, PMID 9768659.
  7. K. L. Matthiesson: Effects of testosterone and levonorgestrel combined with a 5alpha-reductase inhibitor or gonadotropin-releasing hormone antagonist on spermatogenesis and intratesticular steroid levels in normal men. In: The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism. Band 90, Nr. 10, Oktober 2005, S. 5647–5655, PMID 16030154.
  8. Peter Y. Liu u. a.: Determinants of the Rate and Extent of Spermatogenic Suppression during Hormonal Male Contraception: An Integrated Analysis. In: The Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism. Band 93, Nr. 5, S. 1774–1783, doi:10.1210/jc.2007-2768.
  9. Improvac bei vetpharm.uzh.ch
  10. A. A. Berthold: Transplantation der Hoden. In: Arch. f. Anat. u. Physiol. phys. Abt. Band 16, 1849, S. 42–46.
  11. F. Mildenberger: Verjüngung und „Heilung“ der Homosexualität. Eugen Steinach in seiner Zeit. In: Sex-Forschung. Band 15, 2002, S. 302–322.
  12. P. Bouin, P. Ancel: Recherche sur les cellules interstitielles du testicule des mammifères. In: Arch. Zool., Ser. IV. Band 1, 1903, S. 437–523.
  13. K. David u. a.: Über kristallinisches Hormon aus Hoden (Testosteron). In: Zeitschrift für Physiologische Chemie. Band 233, 1935, S. 281–282.
  14. Referenzfehler: Es ist ein ungültiger <ref>-Tag vorhanden: Für die Referenz namens Tilmann wurde kein Text angegeben.
  15. 15,0 15,1 G. Taylor: Castration: An Abbreviated History of Western Manhood. Routledge, 2002, ISBN 0-415-93881-3.
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