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Biogenetisches Grundgesetz

Aus AnthroWiki
Version vom 4. Februar 2006, 00:12 Uhr von imported>Odyssee
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Ernst Haeckel (1834-1919)

Das biogenetische Grundgesetz, heute im deutschen Sprachraum nur mehr als biogenetische Grundregel bezeichnet, wurde zuerst von Ernst Haeckel (1834 - 1919) formuliert: "Die Ontogenesis ist eine kurze und schnelle Rekapitulation der Phylogenesis.", d.h. jedes tierische oder menschliche Lebewesen wiederholt im Laufe seiner individuellen Entwicklung die wesentlichen Züge der Stammesentwicklung.

Mittlerweile ist das biogenetische Grundgesetz in der Fachwelt starker Kritik ausgesetzt. Einer der schärfsten Kritiker Ernst Haeckels war Erich Blechschmidt, von 1942 - 1973 Direktor des Anatomischen Instituts der Universität Göttingen. Er hat die nach ihm benannte Humanembryologische Dokumentationssammlung in Göttingen aufgebaut und mit ihr die Humanembryologie morphologisch begründet. Basierend auf dieser Sammlung mehrerer hunderttausend Schnitte menschlicher Embryos kam er zu der Ansicht, daß sich die menschliche Embryonalentwicklung von der tierischen schon vom allerersten Moment an unterscheide, so daß von einer "Rekapitulation" im Sinne Haeckels niemals die Rede sein könne. Der Mensch ist von allem Anfang an Mensch und unterscheidet sich grundlegend vom Tier. Blechschmidt ging sogar soweit, das Rekapitulationsprinzip auch innerhalb des Tierreiches zu bezweifeln:

"Heute wissen wir, daß das sogenannte Biogenetische Grundgesetz eines der ernstesten Irrtümer des vorigen Jahrhunderts in der Biologie war. Dieses Grundgesetz ist falsch. Das steht unumstößlich fest. Es ist auch nicht ein bißchen oder in irgendeiner anderen Weise richtig; es besitzt in keiner Weise auch nur die geringste Gültigkeit." (Lit.: Mees)

L.F.C. Mees hat allerdings gezeigt, daß gerade die Wiederholung wichtiger Entwicklungsstufen im Tierreich ein neues Licht auf die Evolution werfen kann, und daß dabei Blechschmidts Ansichten und das Biogenetische Grundgesetz vereinbar sind - nur muß es dann in anderem Sinn angewendet werden, als Haeckel es tat. Er stützt sich dabei auf Aussagen Rudolf Steiners. Steiner hat zwar die Tatsachen, die diesem Gesetz zugrundeliegen, durchaus anerkannt, Haeckels Interpretation dieser Tatsachen hielt er aber für verfehlt:

"Nehmen wir jetzt ... einmal die Sinnesforschung, die sinnliche Abstammungslehre, die ja erst in der neueren Zeit ihren Ausbau gefunden hat. Da zeigt sich uns vor allen Dingen, daß ein wichtiges Gesetz aufgestellt worden ist ...: das biogenetische Grundgesetz, welches die äußeren Tatsachen in der Weise feststellt, daß der Mensch in seinem Keimeszustand kurz durchmacht alle diejenigen Formen, die erinnern an gewisse Tiergestalten; in gewissen Stadien erinnert er an ein Fischchen und so weiter. Er wiederholt, so könnte man sagen, die verschiedenen Formen des Tierreiches. Nun wissen Sie ja alle, daß insbesondere in demjenigen Stadium, wo diese Abstammungslehre wild geworden war, geschlossen worden ist aus dieser Tatsachenwelt, daß der Mensch nun wirklich in der Vorwelt diese Formen durchgemacht habe, welche sich da wiederholentlich zeigen in seinem Keimeszustand. Man möchte gegenüber dieser Tatsache sagen: Es war wahrhaftig für die Menschheit ein Glück, daß diese Beobachtung durch die Sorgfalt der Götter so lange verborgen geblieben ist bis in die Zeit hinein, wo sie gleichzeitig fast - die Dinge schieben sich ja fast immer übereinander-, nachdem sie in ihren wilderen Formen aufgestellt worden war, ihre Korrektur erfahren konnte durch die Geisteswissenschaft. - Das, was der Mensch durchmacht bis zu dem Zeitpunkt, wo er auf dem physischen Plan für die Sinneswahrnehmung erscheint, das wurde eingehüllt von den Göttern und konnte nicht beobachtet werden. Denn wäre es noch früher beobachtet worden, so hätte sich der Mensch vielleicht noch verkehrtere Begriffe darüber gemacht. Die Tatsachen sind selbstverständlich richtig, denn sie werden durch die Sinne beobachtet. Soll aber nun darüber geurteilt werden, dann kommt das in Betracht, was die Kraft der Verstandesseele ist. Die kann nicht heran an das, was nicht sinnlich gesehen werden kann. Sie ist daher, wenn sie nicht die Wahrheitsanlage im Innern hat, notwendigerweise dem Irrtum unterworfen. Und hier haben wir ein eklatantes Beispiel dafür, wie die Urteilskraft, die aus der Verstandesseele kommt, in den Irrtum hineinsegeln kann.

Was zeigt denn die Tatsache, daß der Mensch auf einer gewissen Stufe seines Keimeslebens einem Fischchen ähnlich sieht? Diese Tatsache zeigt, daß der Mensch dasjenige, was Fischnatur ist, nicht brauchen kann, daß er es ausstoßen mußte, bevor er sein Menschendasein antrat. Und die nächste Keimesgestalt ist wiederum eine solche, die der Mensch ausstoßen mußte, weil sie nicht zu ihm gehört, so wie der Mensch alle Tierformen ausstoßen mußte, weil sie nicht zu ihm gehören. Der Mensch hätte nicht Mensch werden können, wenn er jemals in einer solchen Gestalt auf der Erde erschienen wäre, wie diese Tierformen sind. Er mußte sie eben gerade von sich absondern, damit er hat Mensch werden können. Wenn Sie in richtiger Weise diese Gedanken verfolgen, so werden Sie auch zu einem richtigen Urteil kommen. Was zeigen die Tatsachen, daß der Mensch im Keimesstadium zum Beispiel wie ein Fischchen aussieht? Diese Tatsachen zeigen, daß er niemals einem Fischchen ähnlich gesehen hat im Verlaufe seiner Abstammungslinie, daß er gerade in der Linie seiner Entwickelung ausgestoßen hat die Fischform, sie nicht brauchen konnte, weil er ihr nicht ähnlich sehen durfte. Nehmen Sie nun alle die ändern aufeinanderfolgenden Gestalten, welche die moderne Wissenschaft in den Gestalten des Keimeslebens Ihnen zeigt. Was zeigen diese Formen? Sie zeigen alles dasjenige, was der Mensch in der Vorzeit nicht gewesen ist, was er gerade aus sich hat ausstoßen müssen. Sie zeigen alle diejenigen Bilder, denen er niemals ähnlich gesehen hat. So kann man in Wahrheit erfahren durch die Embryologie, wie der Mensch niemals in der Vorzeit ausgesehen hat. Alle die Dinge, die der Mensch nicht durchgemacht hat, sondern die er ausgestoßen hat, kann man dadurch kennenlernen. Wenn man aber daraus den Schluß zieht, daß der Mensch von alledem abstamme, daß er das durchgemacht habe, um auf seine heutige Entwickelungsstufe zu kommen, so steht man dann auf demselben Standpunkt wie jemand, der etwa sagte: Hier steht der Sohn, hier der Vater. Wenn ich beide vergleiche, so werde ich nimmermehr glauben, daß der Sohn vom Vater abstammt. Ich werde glauben, daß der Sohn von sich selber abstammt, oder der Vater vom Sohn. - Gerade die umgekehrte Reihenfolge der Evolution wurde durch das Hineinsegeln in den Irrtum angenommen, dadurch, daß der Verstand sich wirklich recht ungeeignet erwiesen hat, um diese Tatsachen der Wirklichkeit wahrhaftig zu durchdenken. Gewiß sind diese Bilder der Vorzeit für uns außerordentlich wichtig, weil wir eben daran erkennen, wie wir niemals ausgesehen haben.

Das kann man aber an etwas anderem viel besser erkennen. Man kann es erkennen an denjenigen Reichen, die uns durch die äußere Sinnenwelt selber geboten werden, die sich uns nicht entziehen. Nämlich alle diese Formen sind uns ja auch in der Außenwelt gegeben. Die kann man beobachten mit dem, was man die gewöhnliche, richtig verwertete menschliche Anschauung nennen kann. Solange die Menschen nur diese Beobachtung gehabt haben, solange sie ihren Verstand angewendet haben nicht auf das, was der Sinnesanschauung sich verschließt, sondern auf das, was vor der Sinnesanschauung ausgebreitet liegt, so lange sind sie zu jenem falschen Urteil nicht gekommen. Freilich haben dazumal die Menschen nicht aus dem Verstande geurteilt über ihre Abstammung, sondern sie haben aus ihrem natürlichen, geraden Wahrheitssinn geurteilt. Sie haben den Affen angeschaut und haben jenes eigentümliche Gefühl empfunden, das jeder gesunde Sinn empfindet, wenn er den Affen anschaut, und das man mit nichts anderem vergleichen kann als mit einem gewissen Schamgefühl. Und dieses Schamgefühl war wahrer als das, was nachher der irrende Verstand gesagt hat. In diesem Schamgefühl lag das Gefühlsurteil darinnen, daß eigentlich der Affe ein von der Menschenströmung abgefallenes Wesen ist, ein zurückgebliebenes Wesen ist, daß er herstammt aus der Menschenlinie und hat ausgesondert werden müssen. Also es lag das Gefühl darinnen, daß der Mensch nur hat auf seine heutige Höhe kommen können dadurch, daß er dasjenige, was die heutige Affengestalt geworden ist, erst aus sich aussondern mußte. Hätte er es behalten, so hätte er nie Mensch werden können. Das liegt in dem natürlichen, gesunden Gefühl. Dann wurden die Sachen durch den Verstand erforscht, und da zeigte sich durch den Verstand der Irrtum, daß der Mensch sagte, die Menschengestalt stamme her von der Affenströmung! Das ist ein Irrtum. Je weiter Sie nachdenken, desto mehr werden Sie finden, wie tief berechtigt gerade dasjenige ist, was eben jetzt gesagt worden ist. Daß der Mensch vom Affen herstamme, ist ein Irrtum ..." (Lit.: GA 115, S 81ff.)

Literatur

  1. Prof. Dr. med. Erich Blechschmidt: Wie beginnt das menschliche Leben: vom Ei zum Embryo, Christiana Verlag, Stein am Rhein, 6. Aufl., 1989
  2. L.F.C. Mees: Tiere sind, was Menschen haben, J. Ch. Mellinger Verlag, Stuttgart 1987
  3. Rudolf Steiner: Anthroposophie, Psychosophie, Pneumatosophie, GA 115 (1980), Vierter Vortrag, Berlin, 27. Oktober 1909

Weblinks

  1. Ernst Heinrich Philipp August Haeckel - Wikipedia-Artikel
  2. Biogenetische Grundregel - Wikipedia-Artikel
  3. Naturgesetz oder Irrtum? Interview mit Prof. Dr. Erich Blechschmidt, Göttingen
  4. Das biogenetische Grundgesetz - weiterführende Linksammlung.
  5. Ernst Haeckel: Die Welträtsel, Kapitel 5 - Das biogenetische Grundgesetz im Originaltext.
  6. Ernst Haeckel: Die Welträtsel - Das gesamte Buch zum Download