Bibliothek:Rudolf Steiner/Naturwissenschaft/GA 320 Geisteswissenschaftliche Impulse zur Entwickelung der Physik I/Diskussionsvotum

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Anstelle eines Vorwortes

DISKUSSIONSVOTUM

von Rudolf Steiner am 8. August 1921

Fräulein Dr. Rabel hat am Schluß ihrer ja sehr bemerkenswerten Ausführungen gesagt, daß ich einmal bemerkt habe, daß eigentlich diese neueren Versuche zur Bestätigung der Goetheschen Farbenlehre dienen können. Fräulein Dr. Rabel war damals so gütig, mir eine ihrer Abhandlungen zu geben, die gerade in dieser Linie liegen, und ich sagte, daß die Tatsachen, die auf diese Art durch die moderne Physik heraus kommen, in der Tat in der Linie liegen, die allmählich zu einer Bestätigung der Goetheschen Farbenlehre führen müssen.
Nun ist heute wirklich keine Möglichkeit vorhanden, in das ganze Pro und Kontra der Goetheschen Farbenlehre und, sagen wir, der Anti-Goetheschen Farbenlehre einzutreten. Die Sache liegt ja so, daß zunächst noch die physikalischen Vorstellungen, die heute gang und gäbe sind, aus solchen theoretischen Voraussetzungen heraus gemacht werden, daß in der Tat das richtig ist, was ich einmal von einem Physiker hörte, mit dem ich ein Gespräch über die Goethesche Farbenlehre hatte. Er sagte einfach, wie ich ausdrücklich verifizieren muß, er sagte ganz ehrlich: Ein Physiker von heute - und er bezeichnete sich als einen solchen mit Recht - kann sich überhaupt bei der Goetheschen Farbenlehre nichts vorstellen! - Und das ist etwas, was eigentlich durchaus richtig ist.
Wir müssen eben nicht vergessen, daß gewisse Dinge da vorliegen, die erst noch überwunden werden müssen, wenn von Seiten der Physik die Goethesche Farbenlehre ernst und nur ernst genommen werden soll. Nicht wahr, der Physiker ist zunächst heute dazu geleitet, dasjenige, was er Licht nennt, möglichst so zu untersuchen, daß innerhalb des Untersuchungsfeldes das von ihm als subjektiv Bezeichnete keine Rolle mehr spielt, daß gewissermaßen das Erlebnis, das bei den Licht-Erscheinungen da ist, ganz und gar höchstens dazu
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dient, einen aufmerksamer zu machen in der Beobachtung, daß da oder dort etwas vorgeht. Aber was der Physiker einbeziehen will in seine Interpretationen der Lichterscheinungen, die er dann auch auf Farbenerscheinungen ausdehnt, das soll eine Entität sein vollständig unabhängig von dem subjektiven Erlebnis.
Goethe geht ja von ganz anderen Voraussetzungen in bezug auf sein Denken überhaupt aus. Daher halte ich es auch heute noch in einem gewissen Sinne für richtig, was ich 1893 in einem Vortrag über Goethes Naturanschauung in Frankfurt am Main sagte: Über die Äußerungen Goethes auf dem Gebiete der Morphologie, da läßt sich reden, und darüber habe ich auch dazumal einen Vortrag gehalten, weil in einer gewissen Beziehung schon heute sich begegnen die Vorstellungen, die Goethe über die Metamorphose hatte und im Zusammenhang mit der Metamorphose über die Ursprünge der Arten, mit denjenigen, die, allerdings in ganz anderer Weise, von der Darwin-Haeckel-Anschauung herkommen. Da ist also, in gewissem Sinne wenigstens, schon ein Feld vorhanden, wo die Anschauungen ineinandergreifen. Aber mit Bezug auf die Goethesche Farbenlehre, die keine Optik übrigens sein will, ist das durchaus noch nicht der Fall. Daher ist zwar gewiß möglich, sagen wir, auf anthroposophischem Boden über die Goethesche Farbenlehre zu reden, da ist durch aus ein Reden möglich, aber eine Diskussion mit dem, was heute ein Physiker über die Farben zu sagen hat, was er aus seinen physikalischen Untergründen heraus ableitet, wird heute durchaus noch etwas Unfruchtbares bilden. Dazu ist notwendig, daß eben gewisse Grundvorstellungen, die Goethe implizite gehabt hat und von denen er aus gegangen ist in seiner Farbenlehre, noch expliziert werden, daß man die wirklich zugrunde legen kann.
Daher halte ich auch alles dasjenige, was ich in meinen Büchern über die Goethesche Farbenlehre gesagt habe, für etwas, was vor läufig einmal in die Welt hineingeworfen ist und was eigentlich durchaus nicht den Anspruch darauf erhebt, in eine fruchtbare - ich meine fruchtbare - Diskussion mit den ja nicht entgegengesetzten, sondern von ganz anderen Seiten herkommenden Vorstellungen der Physik zu treten. Nun, in der Tat aber, dessen können Sie ganz sicher
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sein, und dazu wurde ja von dem Vorredner schon sehr viel bei gebracht, würde Goethe in all denjenigen Erscheinungen, die Fräulein Dr. Rabel heute in dankenswerter Weise vorgebracht hat, eine Bestätigung seiner Grundanschauungen erkennen. Und das ist dasjenige, was ich eben durchaus vertreten möchte.
Es trifft schon von der einen Seite aus den Tatbestand, aber es trifft ihn nicht vollständig, wenn man bei Goethe davon spricht, daß die eine Seite des Spektrums, also dasjenige, was hier langwellige Strahlen genannt worden sind als im Gegensatz zu den kurzwelligen Strahlen, daß das in dem Verhältnis einer Polarität steht. Polarität ist ein sehr abstraktes Verhältnis, das man eben auf verschiedene Gegensätze an wenden kann, so auch auf diesen. Nur hier ist das durchaus nicht dasjenige, auf was es eigentlich bei Goethe ankommt... (Nachschrift lückenhaft). Wenn man aber noch so sehr glaubt, durch irgendeine Versuchsanordnung einen Fehlerausschluß zu erreichen dadurch, daß man das Strahlenbündel immer schmäler und schmäler nimmt, so daß man zuletzt die ganze Dicke des Strahlenbündels - was übrigens gar nicht mein Ausdruck ist, den ich aber rechtmäßig gebrauchen darf - aufhebt und dann von einem «Strahl» spricht, so ist schließlich kein Unterschied in Wirklichkeit, ob man ein breites Bündel nimmt oder ein schmales, es macht das prinzipiell keinen Unterschied. Aber Goethe hat einen prinzipiellen Unterschied angegeben - und darauf kommt es an -, als er durch den kleinen Spalt nun selbst Versuche angestellt hat.
Im Prisma kann man nicht dasjenige ausschließen, was die moderne Physik ausschließen möchte, denn man kann natürlich nicht einen sogenannten «Strahl von Null-Dicke» irgendwie ins Experimentierfeld schieben. Aber man kann das machen, daß man die scharfe Grenze ins Auge faßt zwischen dem dunklen Gebiet und dem hellen. Da hat man in der Tat die scharfe Grenze! Wenn man von dieser scharfen Grenze redet, dann hat man in einer gewissen Weise gerade aus dem Goetheschen Versuch heraus das, was die neuere Physik möchte. Goethe hat mit der Grenze gearbeitet und nicht mit dem Strahlen-bündel, das ist es, worauf es ankommt. Diese Forderung, die man idealiter mit Recht erhebt, die wird prinzipiell eigentlich gerade dadurch
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erfüllt, daß Goethe mit der Grenze arbeitet, nicht also mit einem Strahl oder Strahlenbündel. Und von dem, was sich als Phänomen dann an der Grenze ergibt, geht Goethe aus und versucht, von da seine Versuchsanordnungen zu machen, die ja allerdings heute, wenn sie im Goetheschen Sinne ausgeführt werden sollten, ganz anders, als Goethe sie ausgeführt hat, werden müßten.
Ich hoffe, daß wir gerade in dieser Beziehung prinzipielle Versuche in unserem physikalischen Forschungsinstitut in Stuttgart anstellen werden und daß dadurch auch dasjenige, was Dr. Schmiedel «Verschleierung» genannt hat, in gewissem Sinne ausgeschaltet wird, und daß man lernte, in exakter Weise wirklich mit den Grenzen zu arbeiten und dann in der Lage ist, das Spektrum erst als eine Erscheinung auf zufassen, in der die Grenzerscheinungen als die Urphänomene verarbeitet werden. Das würde der Gang sein, um den es sich handelt.
Nun aber bekommt man, wenn man so mit der Grenze arbeitet, eben dasjenige, was Dr. Schmiedel das polare Verhältnis nannte zwischen dem einen und dem andern Teile des sogenannten Spektrums.
Also: «Polarität» ist im Goetheschen Sinne hier ein viel zu abstrakt angewendeter Ausdruck! Man kann ihn ja von allen möglichen Naturerscheinungen als Ausdruck gebrauchen. Goethe kommt nun - und da kann ich natürlich heute abend wegen der Kürze der Zeit nicht auf die Einzelheiten eingehen -, indem er immer Versuche veranstaltete, zu dem grundsätzlichen Gegensatz, den er annimmt zwischen der roten Natur und der blauen Natur, wobei durchaus auch zu beachten ist, daß Goethe nicht spricht von rotem und blauem Lichte, da kann man widersprechen im Goetheschen Sinne, sondern von der roten und blauen Natur. Das Licht ist schlechterdings undifferenzierbar, und das, was als Differenzierungen auftritt, sind Erscheinungen am Licht. Mit Recht ist als ein Ergebnis der neueren Physik hervorzuheben, daß Goethe dem, was er die Entität des Lichtes nennt, entgegensetzt die Entität der Finsternis nicht als das Nichts, sondern als eine wirkliche Entität. Und nun kann ich dasjenige, was bei Goethe eine ziemlich komplizierte Vorstellung ist, eigentlich in kurzen Worten nur etwa so andeuten, daß ich folgendes sage: Sowohl im roten Teil der Farbabschattungen wie im blauen Teil hat man es nun nicht mit
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einer Mischung, sondern mit einem dynamischen Ineinanderwirken von Licht und Finsternis zu tun, aber so, daß im roten Teil dieses Zusammenwirken so ist, daß gewissermaßen das Rot sich ergibt als die Aktivität des Lichtes in der Finsternis. Man hat es also mit dem Zusammenwirken von Licht und Finsternis zu tun. Hat man es mit dem Roten zu tun, also sagen wir mit einem roten Felde, dann hat man es mit dem aktiven Licht in der Finsternis zu tun, hat man es mit der blauen Seite zu tun, dann hat man es mit der Aktivität der Finsternis in der Helligkeit zu tun. Also das ist der genaue Ausdruck für die Polarität.
Das ist natürlich eine Vorstellung, von der ich gern zugebe, daß der moderne Physiker nicht viel damit verbinden kann. Aber für Goethe ist das Rot die Aktivität des Lichtes in der Finsternis, das Blau die Aktivität der Finsternis im Hellen, also im Lichte. Das kann man eine Polarität nennen, das ist eine Polarität. Und das führt Goethe nun durch für die physikalische oder physische Farbe, also eigentlich die spektrale Farbe, und auch für die chemische Farbe, und er ist sich wohl bewußt, wie er überall auf Unsicherheiten tappt, weil er natürlich nicht dieses allgemeine Prinzip im einzelnen durchführen kann. Aber nehmen wir nun dieses, was ich nur eben ganz flüchtig an gedeutet habe, so haben wir überall, wo Farben auftreten, wo also Farben erscheinen, überall da haben wir ein Qualitatives. Und da stehen wir an dem Punkte, wo einmal die Entscheidung fallen wird in dieser Beziehung.
Sehen Sie, es ist ja heute noch so, daß man, möchte man sagen, erlebt eine Fülle von Erscheinungen. Auch heute sind Ihnen eine ganze Fülle von Erscheinungen vorgeführt worden in dankenswerter Weise, die eigentlich erforderten, daß man ganze Serien von Vorträgen darüber halten würde, um nun zu zeigen, wie sie eigentlich sich hineinstellen in die Goethesche Farbenlehre und in das Gesamtgebiet der Naturwissenschaft. Aber wir erleben heute Erscheinungen, die - in ganz anderer Weise als etwa die theoretischen Erwägungen der Relativitätstheorie und so weiter über die Geschwindigkeitsvorstellungen beim Lichte es geben - Rektifizierungen hervorbringen müssen. Wir erleben eben, was gerade von Fräulein Dr. Rabel selber
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hervorgehoben worden ist, daß sich der Physiker gedrängt fühlt, allerdings in einer sehr modifizierten Gestalt, wiederum zu der Emissionstheorie des Newton zurückzukommen. Ein sehr großer Unterschied ist allerdings zwischen der Newtonschen Theorie, die aus verhältnismäßig einfachen Phänomenen herausgezogen worden ist, und der heutigen Zeit. Denn ich glaube, die heutige Auffassung beruht hauptsächlich darauf, daß man sich nach den gewöhnlichen wellentheoretischen Vorstellungen kein Bild davon machen kann, wie zum Beispiel folgendes möglich ist: Wenn man ultraviolettes Licht auf ein Metall fallen läßt, so bekommt man Elektronen zurück-geworfen, und diese Elektronen kann man untersuchen. Sie zeigen dann eine bestimmte Stärke. Diese Stärke ist nicht abhängig von der Entfernung der Quelle des ultravioletten Lichtes von dem Metall. Sie können die Quelle weit weg legen und bekommen dennoch die selbe Voltstärke. Nun müßte natürlich, wenn, wie es vorausgesetzt wird, die Lichtstärke verbleibt, die Intensität abnehmen mit dem progressiven Grade der Entfernung. Das ist aber nicht der Fall für die Elektronen, die Ihnen vom Metall zurückgeworfen werden. Man sieht, daß ihre Stärke gar nicht abnimmt mit dem Grade der Entfernung, sondern lediglich von der Farbe abhängt. Wenn Sie die Farbe in der Nähe haben, so ist es dasselbe wie in der größeren Entfernung. Da wird man also zunächst darauf geführt, daß man überhaupt über dasjenige, was da Licht genannt wird, anders denken muß. Man hilft sich heute damit, daß man die Quantentheorie zugrunde legt, die sagt, daß sich nicht irgend etwas Kontinuierliches ausbreite, wie etwa die Schwere ausgebreitet gedacht wird, sondern es breite sich das Licht atomistisch aus. Wenn es sich atomistisch aus breitet, so hat man das betreffende Quantum an irgendeiner Stelle und es wirkt dann. Es handelt sich da nicht darum ... das Quantum kann eben nur an einer Stelle sein. Wenn es überhaupt da ist, dann wirkt es auslösend auf die Elektronenwirkungen.
Also, diese Dinge haben wiederum zu der Emissionstheorie zurück geführt. Während Newton sich vorstellt, daß irgendwie Substanzen, Entitäten in ponderabler Weise sich ausdehnen, die aber so sind, daß man sagen müßte, daß die Intensität abnimmt mit dem Quadrat der
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Entfernung, so ist es jetzt so, daß man diese ersetzt durch die Ausbreitung von elektromagnetischen Feldern, die dann aber wirklich durch den Raum gehen, und zwar im Sinne der Quantentheorie. Man hat es also eigentlich zu tun mit der Emission von elektromagnetischen Feldern, während man es bei der Undulationstheorie, die durchaus gang und gäbe war in der Zeit, als zum Beispiel ich selber jung war, es eben zu tun hatte mit einem bloßen Fortschreiten der Bewegung, so daß also eigentlich nichts im Raume ausstrahlt, sondern nur die Bewegung weitergeführt wird. Diese Vorstellungen über das objektiv Vorhandene sind eigentlich gerade - wenigstens ich sehe es so an - heute in beständigem Flusse, und die Experimente, die da vor liegen, die weiser überall auf dasjenige hin, was Fräulein Dr. Rabel mit Recht hervorgehoben hat, daß man ja mit der bloßer Annahme von Wellenlängen nicht auskommt, daß das so eine Art von Widerspruch in sich enthält. Das ist aber gerade das, um was es sich handelt. Im Grunde genommen liegt eigentlich doch nur das vor, daß man sich durch lange Zeiten durchaus gewöhnt hat, mit den Wellenlängen und so weiter als einzigem zu rechnen. Die Vorstellung war ja außer ordentlich einfach. Man rechnete überhaupt nur objektiv mit Wellen von gewissen Wellenlängen und Schwingungen von gewissen Geschwindigkeiten, bezeichnete dasjenige, was im Spektrum vom Violett bis zum Rot liegt, so, daß man sagte, es macht das eben einen Ein Druck auf die Netzhaut des Auges. Jenseits des Roter hat man die anderen Schwingungen, die keinen Eindruck machen, aber sie unter scheiden sich nicht qualitativ davon, ebenso jenseits des Violetten. Einzelne haben sich aufgelehnt, einzelne haben es in interessanter Weise zurückgewiesen, so in den achtziger, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Eugen Dreher, der sehr viele Experimente gemacht hat, um zu beweisen, daß Licht, Wärme und chemische Entität drei durchaus radikal voneinander verschiedene Entitäten sind. Auch ließ sich das bis zu einem gewissen Grade durchaus belegen. Und gerade der heutige Stand der Sache beweist eben, daß der ganze Komplex der Fragen im Grunde genommen im Fluß ist. Sobald man eben auf dasjenige kommen wird, was, abgesehen vom Subjektiven, unter dem Komplex «Lichterscheinungen» zusammengefaßt
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eigentlich vorliegt ... (Lücke) ... Das Wesentliche ist bei Goethe, daß er dasjenige hineingebracht hat, was sich heute der Physik aufdrängt. Gewiß, er hat es hineingebracht nach dem mangelhaften Stande der Physik am Ende des 18. Jahrhunderts. Aber er hat es hineingebracht.
Wenn man sich heute die Sache ansieht, so sagt man sich: Ganz gewiß, das ist alles ungeheuer interessant. Und ich muß gestehen, interessanter war die ganze Behandlung der Undulationstheorie, als ich jung war, denn die Undulationstheorie war bis zum Exzeß aus gebildet, und da war wirklich alles bis ins einzelnste hinein recht genau berechnet. Aber heute werden die jungen Leute gar nicht mehr mit dieser ausgefallenen Undulationstheorie geplagt. Denn es nimmt sich doch etwas anders aus, ob man aus der theoretischen Mechanik heraus mit irgendeiner Ätherhypothese die Undulation berechnet, oder ob man von der Wirkungsweise elektromagnetischer Felder ausgeht. Da nimmt sich schon alles etwas unbestimmter aus. Man hat heute nicht so das Bedürfnis, alles dieses Exaktlinige zu berechnen innerhalb der Lichterscheinungen, wie das noch vor vierzig, fünfunddreißig Jahren geschehen ist. Es ist außerordentlich interessant natürlich, auf all die Finessen zu kommen, aber sie sind ein Rechnungsresultat, und der ganze maßgebende Beweis eigentlich für dieses Rechnungsresultat wird ja im Interferenzversuch gesehen. Heute steht der Interferenzversuch so da, daß er einer neuen Erklärung be darf. Das gibt die Physik von heute zu. Und da hat wirklich die Quantentheorie nicht viel erlangt. Die Sache liegt eben so: Es ist heute noch nicht sehr weit gediehen, aber man sieht immer mehr und mehr, wie man gewisse gut brauchbare Zahlen, Hilfszahlen, in den Schwingungszahlen oder Wellenlängen hat, das sind alles gute Rechnungsmünzen, aber niemand wird heute eigentlich sagen können, daß dem irgend etwas Reales zugrunde liegt. Ich möchte sagen, wenn man die Schwingungszahl für die sogenannten roten Strahlen und die blauen angibt, so hat man ein gewisses Verhältnis, das zwischen Rot und Blau besteht, so ausgedrückt, wie sich die eine Zahl zu der anderen verhält. Man kann schon heute sagen: Viel wichtiger sind die Verhältnisse der einzelnen Zahlen zueinander als der absolute Wert
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der einzelnen Schwingungszahlen. Und das führt von dem Quantitativen ins Qualitative hinüber. Man ist heute doch auf dem Wege, sich zu sagen: Mit den Wellenlängen allein geht es nicht, man braucht etwas anderes.
Aber dieses andere wird immer ähnlicher und ähnlicher dem, was Goethe auf seinen Wegen suchte. Das ist heute noch nicht so strikte zu bemerken, aber für den, der die Dinge genau kennt, eben durchaus zu bemerken, wie die Physik nach und nach dahin führt, und, wie gesagt, die Erscheinungen, die heute angeführt worden sind, die würde Goethe durchaus so auffassen, daß er sie als eine Bestätigung seiner Anschauung finden würde.
Auf einzelnes einzugehen ist natürlich schwierig, weil dazu heute nicht die Grundlagen geschaffen worden sind. Ich will nur prinzipiell zum Beispiel auf die Pflanzenfrage eingehen. Auf solche Dinge möchte ich mich nicht gerne einlassen, wie, ob man einen Ausdruck wie «absorbiert» gebrauchen darf oder nicht. Wenn man ihn nimmt als eine bloße Bezeichnung dessen, was vorliegt, so habe ich nichts dagegen, aber wenn man sich die Sache dann so einfach macht, nicht wahr, daß, wenn irgendwo Helles auffallt und irgendeine Glasscheibe in den Weg gestellt wird und man hinter der Glasscheibe ein rotes Feld hat, man dann sagt: da sind alle anderen Farben verschluckt von dem Glas, nur das Rote ist durchgelassen worden, - so setzt man eben an die Stelle eines konstatierten Phänomenes eine Erklärung, die aber ganz und gar im Blauen liegt, für die eigentlich nichts Reales vorliegt. Man kann durchaus beim Phänomen bleiben. Das ist gut. Aber nehmen Sie dasjenige, was vielleicht sogar noch so unvollkommen bei Goethe ausgesprochen ist: Aktivität des Lichtes, der Helligkeit im Finsteren liegt dem Roten zugrunde; Aktivität der Finsternis im Hellen, im Lichte, das liegt dem Blau zugrunde. Was den Nuancen zugrunde liegt, als Abschattung, dem Grün oder Orange, darauf kommt es jetzt nicht an, darauf kann man sich nicht einlassen. Ich kann nur das Grund-phänomen angeben. Und da haben Sie dann allerdings das, was ich jetzt nur, ich möchte sagen, approximativ andeutete, dann hat man es zu tun mit dem Finsteren als einem Realen, dann muß man doch sich klar sein darüber - es gibt ja natürlich sehr vieles zum Beleg dessen,
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was ich sagen werde, aber auch aus einer ganz oberflächlichen Betrachtung der Sache kann man sich klar darüber werden -, daß diese Finsternis in einer gewissen Weise sich entgegensetzt dem Hellen. Das gibt natürlich die subjektive Empfindung, aber auch objektive Tatsachen. - Da muß man natürlich eine Polarität annehmen, wenn man nur nicht im Abstrakten bleiben will, sondern auf das Konkrete dabei eingeht. Wenn Sie an dieses Polarische des Hellen und Dunklen nun denken, dann kommen Sie allmählich zu der Vorstellung, die Ihnen eine gewisse Unmöglichkeit vor Augen führt, in derselben Weise von Ausbreitung einer Entität zu sprechen beim Dunklen wie beim Hellen. Darüber entscheiden die Experimente, die bis heute gemacht worden sind, gar nichts! Denn sehen Sie, wenn Sie sich denken - natürlich ist es mehr, aber das beruht dann auf übersinnlichen Beobachtungen oder halb übersinnlichen Beobachtungen, aber nehmen Sie es zunächst nur als eine Möglichkeit, als eine Hypothese einmal hin -, die Helligkeit würde schematisch dadurch bezeichnet, daß eine Ausbreitung stattfindet. Sie können dann die Dunkelheit nicht dadurch bezeichnen, daß ein Ausbreiten stattfindet, sondern müssen die Dunkelheit so bezeichnen, daß gewissermaßen von dem Unendlichen her so etwas wie ein Saugen stattfindet. Sie würden also von einem Raum, den Sie mit schwarzen Wänden ausgekleidet haben, nicht sagen dürfen: Es findet da ein Ausbreiten statt, eine Emission oder dergleichen, sondern es findet ein Saugen statt, Saugwirkungen, die natürlich einen Erreger des Saugens haben müssen, denn man braucht natürlich ein Zentrum. Aber die Möglichkeit von Saugwirkungen ist zunächst das, was, um diese Trivialität zu sagen, im schwarzen Raum vorhanden ist, im Gegensatz zu dem durchhellten, wo man es mit Ausbreitungswirksamkeiten zu tun hat.
Wenn Sie das festhalten, dann wird die Farbvorstellung immer konkreter werden, und Sie werden in dem Blau etwas haben vom Saugenden - es ist eigentlich nur approximativ gesprochen - und werden bei dem Roten etwas haben vom Sich-Ausbreitenden, im Grünen gewissermaßen die Neutralisierung. Und nun denken Sie -da müssen wir ja in eine tiefere Schichte des Vorstellens -, wenn Sie dasjenige, was da als Saugwirkung vorhanden ist, in seinem Verhältnis
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zum Pflanzenwesen betrachten, so haben Sie die hinter dem Farbigen liegende Saugwirkung, die im Gegensatz zu gewissen inneren Kräften der Pflanze ist. Die haben Sie in der ganzen Konfiguration, in der ganzen Organisation der Pflanze mitwirkend drinnen.
Wir müssen also gewissermaßen hinter die Farbenerscheinungen gehen. Wir finden in den Farbenerscheinungen nur den symptomatischen Ausdruck für dasjenige, was ja tiefer hinter den Farbwirkungen liegt. Wir kommen also auf eine Polarität, wenn wir diese nicht bloß als eine abstrakte Polarität ansehen, sondern eingehen auf diese ganz besondere Art der Polarität, so daß wir, wenn wir es subjektiv machen und zum Beispiel das Blau sehen, wir das Auge im Grunde genommen einer Saugwirkung exponieren, im Rot einer Druckwirkung in einem gewissen Sinne, was aber nun nicht mechanisch, sondern intensiv zu denken ist.
Wenn wir das dann haben, dann bekommen wir auch Vorstellungen, die natürlich viel kompliziertere sind als diese, daß ich sage: Ich stelle eine Glasscheibe in den Weg eines erhellten Bündels und be komme hinten ein rotes Feld. Alles andere ist verschluckt worden außer dem Rot. Wir werden dann geführt zu einer ganz anderen Art, einer ganz anderen Formulierung des Problems. Die Forderung entsteht, aus dem Phänomen, das mir vorliegt, nun die Natur des in den Weg gestellten Materiellen zu untersuchen. Wenn wir da an fangen, werden wir zu einer ganz anderen Methode, sagen wir, der Polarisationserscheinungen geführt. Man kommt da auf einem gewissen Umweg zu einer sehr strikten Auffassung, was auch Fräulein Dr. Rabel gesagt hat. (Zu Fräulein Dr. Rabel gewandt): Sie haben einen englischen Physiker genannt. Es ist aber von einer ganzen Reihe von Physikern auch auf die Sache schon aufmerksam gemacht worden, daß man es eigentlich zu tun hat bei diesen Erscheinungen nicht mit etwas, was einen hinweist auf die Entität des Lichtes, sondern eigentlich der Materie, die da dem Licht entgegengestellt wird, natürlich auch ganz besonders der organischen Materie, also, sagen wir, der Pflanzen.
Das ist dasjenige, worauf man immer mehr und mehr wird geführt werden, daß man abkommen wird davon, sagen wir, Polarisationsfiguren
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geradezu ins Licht hineinzukonstruieren. Das ist doch etwas, was ganz wunderbar gegangen ist bei der alten, rein mechanischen Wellentheorie, was aber bei der heutigen Lage nicht mehr in derselben Weise Geltung haben wird. Der Physiker wird dahin geführt, nun nicht bloß den Verlauf der Polarisationsfiguren zu sehen, so daß er sie ins Licht hineinkonstruiert, sondern er schaut eine Wechselwirkung des Lichtes mit der Materie, so daß also gewissermaßen die Konstitution der Materie verraten wird durch das, was da auftritt, auch an anderen Erscheinungen, die insbesondere so auftreten, daß man sie als Emission elektromagnetischer Wellen ansieht. Viel interessanter ist heute, die Sachen so zu betrachten, daß man nachsieht, wie man allmählich herauskomme aus einer Anschauungsweise, die eigentlich wirklich nur darauf beruht, daß man sich so sehr gewöhnt hat an diese mechanische Anschauungsweise mit dem Äther, der ja von einigen als fester Äther konstruiert wird, von anderen als Flüssigkeit.
... (Lücke) ... Man hat sich gewöhnt an bestimmte Vorstellungen, und kommt nicht los davon, wahrhaftig... Bleibt man bei der Wellentheorie stehen, so muß man annehmen, daß man noch etwas unter legen muß... Und da muß aufmerksam gemacht werden: Goethe war auf dem Wege, diese Unterlagen zu untersuchen. Ihn hat die ganze Undulationstheorie, die er ja noch Zeit seines Lebens gekannt hat, nicht eigentlich interessiert, sondern ihn hat interessiert, was ich in ganz ungenügender Weise angedeutet habe, indem ich die Polarität auf das Konkrete zurückgeführt habe.
Man kommt tiefer hinein in dasjenige, was Goethe wollte, gerade indem man seine «Farbenlehre» ganz von Kapitel zu Kapitel nimmt, auch bis in die sinnlich-sittlichen Wirkungen der Farben herauf, wo gewissermaßen die Farben im Blickfelde verschwinden, und, man möchte sagen, geistig-seelische, moralische Eigenschaften auftreten. Man erlebt sie an der Stelle des Roten, des Blauen, wo man über geführt wird ins Seelische. Und Goethe würde da sagen: Eigentlich da erst erfährt man etwas in bezug auf das Wesen des Farbigen, wenn das Farbige verschwindet und etwas ganz anderes auftritt.
Da tritt dasjenige auf, was der Anfang ist zu den Wegen der höheren Erkenntnis, die durch anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft
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beschrieben werden, die dazu führen, daß man tatsächlich nicht mehr diese Trennung vornimmt zwischen Subjekt und Objekt, die ja nicht mehr spricht auf einer gewissen Erkenntnisstufe, sondern die zu einem Hinüberleben des Subjektes ins Objekt führen. Das muß beobachtet werden. Es kann keine Erkenntnistheorie geben, die jemals befriedigen kann, wenn ein absoluter Abgrund steht zwischen Subjekt und Objekt, sondern nur, wenn eben diese Gliederung -Subjekt und Objekt - im Grunde genommen doch nur eine vor-läufige Annahme ist, wie erkenntnistheoretisch dargestellt worden ist. Die moderne Physik, wie sie, sagen wir, Blanc definiert, geht doch durchaus darauf aus, das Subjektive ganz auszuschließen und die Erscheinungen so darzustellen, wie sie, ohne daß man auf den Menschen irgendwie Rücksicht nimmt, im objektiven Felde verlaufen. Louis Blanc sagt: Die Physik hätte eigentlich nur dasjenige aufzusuchen, was auch ein Marsbewohner - und wenn er ganz anders organisiert wäre - von der objektiven Welt behaupten könnte. Und das ist in der Tat durchaus richtig. Aber die Frage ist diese: ob man nicht auch im Menschen selbst so etwas findet, was den Ergebnissen der Physik entspricht, die rein nach Maß, Zahl und Gewicht gesucht werden, ob nicht auch dem, bei einer entsprechenden höheren Erkenntnis, etwas im Menschen entspricht. Und da muß man sagen: Ja, das ist es! Wir gehen ganz genau durch die Region durch, die dann erlebt wird und die der moderne Physiker eigentlich nur durch eine Konstruktion, eine gewisse Konstruktion aus dem Phänomen heraus, gewinnt. Nur nimmt sich diese Region so aus, daß das Substantielle, das zugrunde liegt, nicht mehr ein Materielles, sondern ein Geistiges ist. Man erwirbt sich da sogar das Recht, die Formeln der Physik in einer gewissen Form anzuwenden, setzt nur ein anderes Substantielles hinein. Newton meinte, es wird eine Art ponderabler Materie hinein-gegossen in die Gleichungen, die Formeln; die Huygenssche Undulationstheorie: es wird nur die Zahl der Wellen hineingegossen; die neuere Theorie: es werden elektromagnetische Felder hineingegossen.
Also dasjenige, was da eigentlich auf den Formeln schwimmt, das ist etwas, worüber eine gewisse Liberalität heute schon auch im Verlaufe der Theorien herrscht. Und darum sollte man sich nicht gar zu
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sehr stemmen, wenn Geisteswissenschaft genötigt ist, in diese durch den Weltenraum fliegenden, tanzenden Gleichungen nun auch Geist hineinzutun. Weder dasjenige, was Newton wollte, noch das, was der ganz moderne Physiker will, sondern da eben Geist hineintun! Nur muß man eben zuerst wissen, was Geist ist. Das beruht dann nicht auf irgendeiner Theorie, sondern auf einer höheren Erfahrung.
Ich glaube also, daß tatsächlich immer mehr und mehr zum richtigen Verständnis von Goethes Farbenlehre beigetragen wird durch dasjenige, was von Fräulein Dr. Rabel heute in so dankenswerter Weise vorgebracht worden ist. Ich glaube aber nicht, daß es möglich ist, heute auch noch auf solche Fragen einzugehen, wie sie zum Bei spiel Dr. Stein noch gestellt hat. Denn man müßte nun auf das ganze Wesen der Elektrizität eingehen. Und das berührt Fragen, die eigentlich erst auf anthroposophischem Felde, ich will nicht sagen gelöst, sondern besprochen werden können. Denn da kommen wir ja natürlich in Begriffe hinein, die, möchte man sagen, alles auf den Kopf zu stellen haben, was man gewohnt ist heute, im Physikalischen theoretisch anzuerkennen.
Wenn man auch jetzt etwas davon abgekommen ist, so ist es noch nicht lange her, da rechnete man ja mit elektrischen Strömungen und dergleichen. Nun hat man es aber in der Wirklichkeit zu tun - das ist eben nur Ergebnis der höheren Erkenntnis, was ich Ihnen jetzt sagen werde - bei elektrischen Strömen nicht mit etwas, was da hinein-strömt, sondern man hat es in Wirklichkeit zu tun, wenn ich schematisch das andeuten darf, damit, daß wir, wenn man hier einen Draht hat, durch den eine sogenannte elektrische Strömung geht, eine Aussparung haben in der Realität.
Wenn ich die Realität - ich rede jetzt von einem Grad der Realität, das werden ja viele nicht gelten lassen -, wenn ich die Realität zum Beispiel hier mit + a bezeichnen will, so müßte ich die Realität innerhalb des Drahtes mit - a bezeichnen. Und dann haben wir da ein Hereinsaugen desjenigen, was eigentlich immer wie ein Herein-fließen angesehen wird. Und man hat es im wesentlichen damit zu tun, daß, wenn ein elektrischer Leiter da ist, so stellt er eigentlich nicht ein Ausfüllendes, sondern einen Hohlraum im Geistigen dar.
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Und das führt uns dann hinüber zu der Willensnatur, die hier Dr. Stein nur vorempfunden hat, die ja auch eigentlich darauf beruht, daß man es nicht zu tun hat, sagen wir, mit Nerven, die ausfüllen, sondern mit Hohlrinnen, Hohlröhren, durch die das Geistige angesaugt wird und durch die das Geistige durchgeht.
Das aber, wie gesagt, würde heute viel zu weit führen, und ich habe mir eigentlich nur die Aufgabe setzen können zu zeigen, inwieferne oder vielmehr wie das damals gemeint war, als ich gesagt habe: Diese neueren Erscheinungen liegen eigentlich in der Linie der Weiterentwickelung der Goetheschen Farbenlehre.