Lord Stanhope

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Philip Henry Stanhope, 4. Earl Stanhope (um 1825)

Philip Henry Stanhope, 4. Earl Stanhope (* 7. Dezember 1781 in Chevening, Kent; † 2. März 1855 ebenda) war ein englischer Aristokrat, Politiker und Privatgelehrter.

Er präsidierte von 1829 bis 1837 die "Medico-Botanical Society" in London, war Mitglied der "Royal Society", zeitweise Vizepräsident der "Society of Arts" und engagierte sich in zahlreichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Vereinigungen und Vereinen. Vermutlich war Stanhope auch Logenmitglied. In den 1830er-Jahren war er in die Affäre um Kaspar Hauser verwickelt.

Ob seine zahlreichen Reisen auf dem europäischen Kontinent unter dem Aspekt einer systematischen (Doppel-) Agententätigkeit gestanden haben, beruht auf ernstzunehmenden Annahmen.[1] Ohnehin irritierte in England seine große Leidenschaft für alles Deutsche.

Stanhope und Kaspar Hauser

Im Mai 1831 lernte er den Nürnberger "Findling" Kaspar Hauser kennen, für dessen Geschichte er sich schon länger interessiert hatte. Er war über die Maßen von ihm fasziniert, wie der nicht minder von Hauser begeisterte Paul Johann Anselm von Feuerbach. Stanhope vertraute der Meinung des berühmten Rechtsgelehrten über den jungen Mann und gewährte unverzüglich finanzielle Unterstützung. Er beschenkte Kaspar mit nützlichen und weniger nützlichen Dingen; mehrfach finanzierte er Reisen, um vermeintlich dessen Herkunft aufzuklären.

Am 2. Dezember 1831 erhielt er die Pflegschaft über Kaspar Hauser, während Feuerbach die Fürsorge für dessen moralisches und physisches Wohl übernahm. Die Vormundschaft war von dem Gerichtsassessor Gottlieb von Tucher auf den Nürnberger Bürgermeister Jakob Friedrich Binder übergegangen. Von Tucher hatte Stanhopes Verhalten kritisiert, der seine erzieherischen Prinzipien unterlaufen hatte.

Auf Empfehlung Feuerbachs wurde Kaspar Hauser in Ansbach in der Familie des Lehrers Meyer untergebracht und der Gendarmerieunterleutnant Josef Hickel als "Spezialkurator" an die Seite des Zöglings gestellt. Die gesamten Unterhaltskosten, bis dahin von der Stadt Nürnberg getragen, übernahm Lord Stanhope.

Im Sommer 1831 hatte Stanhope Feuerbach ermutigt, ein Buch über Hauser zu schreiben. Ein Vorhaben, das Feuerbach zuvor auch mit dem Berliner Juristen und Verleger Julius Eduard Hitzig besprochen hatte. Zur Jahreswende, unmittelbar nach der Veröffentlichung von Kaspar Hauser oder Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen ließ Feuerbach durch Stanhope und Hickel sein Werk persönlich an den badischen und den bayerischen Hof vermitteln. Deren Briefe und Berichte schienen Feuerbachs hauptsächlich durch Zeitungsberichte angeregten Verdacht durchaus zu bestätigen, demnach Kaspar Hauser ein ausgetauschter badischer Erbprinz sein könnte. Stanhope hatte diese Annahme allerdings nie ernsthaft vertreten, er sah in Kaspar vielmehr den Spross eines ungarischen Magnaten. Zu dieser Annahme hatten ihn eigene Interessen bewogen, um vom Hause Baden ablenken zu können. Der "Spezialkurator" Hickel wurde erneut auf die Reise geschickt, die aber keine Bestätigung und keinen Hinweis auf eine ungarische Herkunft Hausers erbrachte. Die Ergebnislosigkeit dieser Recherche stand ohnehin bereits fest, führte aber dazu, dass Stanhope Zweifel über dessen Glaubwürdigkeit streute. Am Ende standen mehr Fragen als Antworten und Stanhope hielt lediglich an der Vermutung einer frühen Isolation Hausers fest, wenngleich sie nicht so geschehen sein könne, wie Kaspar es erzählt habe. Wegen eigener Interessen in dieser Sache und Interventionen des Hauses Baden entschied er sich, eine von ihm vorgenommene englische Übersetzung des Feuerbach-Buches[2] nicht einem Verlag zu übergeben, sondern sie nur privat drucken zu lassen und an Bekannte zu verteilen.

In seiner ersten Begeisterung hatte Stanhope Hauser in Aussicht gestellt, ihn mit nach England zu nehmen, doch seine wachsende Skepsis ließ ihn davon Abstand nehmen. Trotzdem erfüllte er seine finanziellen Verpflichtungen und setzte noch 1833 Kaspar Hauser eine Leibrente aus.[3]

Nach Kaspar Hausers Tod im Dezember 1833 setzten unverzüglich die publizistischen Auseinandersetzungen um Stanhopes Rolle in der Tragödie ein. Er versuchte sich mit Broschüren und Zeitungsartikeln zu rechtfertigen, doch neben Zuspruch setzte sich insbesondere in Deutschland auf lange Sicht eine verschwörungsideologische, moralische Verdammung Stanhopes durch, die 1988 in der einzigen deutschen Biografie mit dem bezeichnenden Titel Lord Stanhope. Der Gegenspieler Kaspar Hausers gipfelte.[4]


Literatur

  • Johannes Mayer: Philip Henry Lord Stanhope. Der Gegenspieler Kaspar Hausers. Mayer, Stuttgart 1988 , ISBN 3-87838-554-4
  • Aubrey Newman: The Stanhopes of Chevening A Family Biography. Macmillan, London u. a. 1969.
  • Graf Stanhope (Hrsg.): Materialien zur Geschichte Kaspar Hausers. Mohr, Heidelberg 1835, (Nachdruck: Eingeleitet und herausgegeben von Klaus H. Fischer. Dr. Klaus Fischer Verlag -Wissenschaftlicher Verlag, Schutterwald 2004, ISBN 3-928640-70-4).
  • Ivo Striedinger: Neues Schrifttum über Kaspar Hauser. In: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 6, 1933, ISSN 0044-2364, S. 415–484, insbesondere S. 424–429.

Weblinks

Commons: Lord Stanhope - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema

Quellenangaben

  1. Johannes Mayer: Lord Stanhope. Der Gegenspieler Kaspar Hausers, Stuttgart 1988
  2. Kaspar Hauser, the Foundling of Nuremberg, London 1832 (Digitalisat)
  3. Walther Schreibmüller: Bilanz einer 150jährigen Kaspar Hauser Forschung, in: Genealogisches Jahrbuch, Bd.31, Neustadt 1991, S. 46
  4. Johannes Mayer: Lord Stanhope. Der Gegenspieler Kaspar Hausers, Stuttgart 1988
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