Quelltext der Seite Johannes Müller (Physiologe)

[[Datei:Johannes Peter Müller.jpg|mini|Johannes Müller 1801–1858]]
[[Datei:Johannes Peter Müller2.jpg|mini|Johannes Müller 1801–1858]]
[[Datei:Koblenz im Buga-Jahr 2011 - Johannes-Müller-Denkmal.jpg|mini|hochkant|[[Wikipedia:Johannes-Müller-Denkmal (Koblenz)|Johannes-Müller-Denkmal]] am Jesuitenplatz in Koblenz (Aufstellung 1899)]]
[[Datei:Berlin - Museum für Naturkunde - Johannes Müller - Statue.jpg|mini|hochkant|Müller-Standbild von [[Wikipedia:Richard Ohmann|Richard Ohmann]], über dem Haupteingang zum [[Wikipedia:Museum für Naturkunde (Berlin)|Museum für Naturkunde]] in Berlin]]

'''Johannes Peter Müller''' (* [[Wikipedia:14. Juli|14. Juli]] [[Wikipedia:1801|1801]] in [[Wikipedia:Koblenz|Koblenz]]; † [[Wikipedia:28. April|28. April]] [[Wikipedia:1858|1858]] in [[Wikipedia:Berlin|Berlin]]) war ein deutscher Mediziner, [[Physiologe]] und [[Vergleichende Anatomie|vergleichender Anatom]] bzw. [[Zoologie|Zoologe]] sowie [[Meeresbiologe]] und [[Naturphilosophie|Naturphilosoph]]. Er gilt als der bedeutendste Physiologe des 19. Jahrhunderts.

== Leben ==
In seinem Geburtsort besuchte Müller als Schüler von [[Wikipedia:Joseph Görres|Joseph Görres]] das Gymnasium. Nach Beendigung der Schulzeit diente Müller ein Jahr bei den Pionieren in Koblenz, bevor er sich 1819 an der [[Wikipedia:Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität|Bonner Universität]] für Medizin immatrikulierte. Dort war er u.&nbsp;a. Schüler des Anatomen und Physiologen [[Wikipedia:August Franz Josef Karl Mayer|August Franz Josef Karl Mayer]].

Noch als Student erstellte er eine wissenschaftliche Arbeit über die Atmung des [[Fötus]], die von der Universität preisgekrönt wurde und 1823 im Druck erschien. Müller schloss 1822 mit der Promotion ab und wechselte an die [[Wikipedia:Humboldt-Universität zu Berlin|Universität Berlin]], wo er die Vorlesungen des Anatomen [[Wikipedia:Karl Asmund Rudolphi|Karl Asmund Rudolphi]] (1771–1832) besuchte. 1824 [[Wikipedia:Habilitation|habilitierte]] Müller sich dann in Bonn für Physiologie und vergleichende Anatomie. Im gleichen Jahr wurde er zum Mitglied der [[Wikipedia:Leopoldina|Leopoldina]] gewählt. 1826 erhielt er den Titel eines außerordentlichen Professors und wurde 1830 Ordinarius. Bereits während seiner Habilitation erschienen 1826 seine beiden umfangreichen Werke ''Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinns'' und ''Über die phantastischen Gesichtserscheinungen''. Trotz eines Rufs nach Freiburg blieb er bis 1833 an der Bonner Universität. Dann wurde er Nachfolger von Rudolphi in Berlin. Dort gab er von 1833 bis 1840 sein berühmt gewordenes ''Handbuch der Physiologie'' heraus, das zu einem Welterfolg wurde. Er forschte grundlegend zur Anatomie und Zoologie.

1849 wurde Müller in die [[Wikipedia:American Academy of Arts and Sciences|American Academy of Arts and Sciences]] gewählt. Er erhielt 1853 den [[Wikipedia:Bayerischer Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst|Bayerischen Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst]]<ref>Hans Körner: ''Der Bayerische Maximiliansorden für Wissenschaft und Kunst und seine Mitglieder''. In: ''Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte'' 47, 1984, S. 299–398. Online unter: http://periodika.digitale-sammlungen.de/zblg/kapitel/zblg47_kap28</ref> und 1854 die [[Wikipedia:Copley Medal|Copley-Medaille]] der Royal Society in London und den Prix Cuvier der Pariser Akademie.

In den letzten Lebensjahren wurde Müller immer wieder von Depressionen befallen. Am Morgen des 28. April 1858 wurde er in seiner Berliner Wohnung tot aufgefunden; seine Todesursache blieb unbekannt. [[Rudolf Virchow]] hielt bei der Trauerfeier am 24. Juli 1858 in der Aula der Universität Berlin die Gedächtnisrede. [[Ernst Haeckel]] setzte die von Müller in seinem Todesjahr veröffentlichte Arbeit zur Beschreibung der [[Wikipedia:Strahlentierchen|Strahlentierchen]] (Radiolarien) fort.

== Werk ==
Müller gilt als einer der großen Naturphilosophen des 19. Jahrhunderts. Sein Hauptwerk „von epochaler Bedeutung“<ref>Holger Münzel: ''Max von Frey. Leben und Wirken unter besonderer Berücksichtigung seiner sinnesphysiologischen Forschung.'' Würzburg 1992 (= ''Würzburger medizinhistorische Forschungen'', 53), ISBN 3-88479-803-0, insbesondere S. 175–207 (''Kurzbiographien''), hier: S. 197.</ref> ist das ''Handbuch der Physiologie des Menschen für Vorlesungen'', zwei Bände in drei Teilen (1833, 1834, 1840). Haeckel bezeichnete ihn als den „bedeutendsten deutschen Biologen des 19. Jahrhunderts“.<ref>Ernst Haeckel: ''Der Kampf um den Entwicklungs-Gedanken. 3 Vorträge.'' Reimer, Berlin 1905, S. 23.</ref> Eine 1872 publizierte Zoologiegeschichte nennt ihn namentlich im Titel: ''Geschichte der Zoologie bis auf Joh. Müller und Charl. Darwin''.<ref>[[Wikipedia:Julius Victor Carus|Julius Victor Carus]]: München 1872.</ref>

Müller begründete auch die Erforschung der im Meer treibenden Lebewesen, die er auf Zuraten von [[Wikipedia:Jacob Grimm|Jacob Grimm]] ''Auftrieb'' nannte (heute auf Vorschlag [[Wikipedia:Victor Hensen|Victor Hensen]]s als ''[[Wikipedia:Plankton|Plankton]]'' bezeichnet). 1832 machte er erste mikroskopische Untersuchungen.<ref>[http://www.digitalis.uni-koeln.de/Darmstaedter/darmstaedter848-856.pdf Darmstädter, S. 852] (PDF; 2,6&nbsp;MB)</ref> Die daraus 1846 entstandene wissenschaftliche Disziplin der Planktonforschung auf der damals britischen Insel [[Wikipedia:Helgoland|Helgoland]] mündete mit einer Schule von faunistisch arbeitenden Meeresbiologen und deren Arbeit 1892 in der Gründung der ''Königlich Preußischen Biologischen Anstalt auf Helgoland'', der heutigen [[Wikipedia:Biologische Anstalt Helgoland|Biologischen Anstalt Helgoland]]. Die von Müller verwendeten und weiterentwickelten Fanggeräte für Plankton waren entscheidende Hilfsmittel, die der Meeresforschung einen methodischen [[Paradigmenwechsel]] bescherten, wie später erst wieder das [[Wikipedia:Flaschentauchen|Flaschentauchen]]. Er ist der Erstbeschreiber der [[Wikipedia:Radiolaria|Radiolaria]], einer Gruppe mariner Einzeller, die mikroskopisch kleine Skelettstrukturen aufweisen. Seine Beschreibung der Regelhaftigkeit des Skelettaufbaus der Untergruppe [[Wikipedia:Acantharia|Acantharia]] wurde später als ''[[Wikipedia:Müllersches Gesetz|Müllersches Gesetz]]'' bekannt:  „Man erhält daher [..] für die Acanthometren mit 20 Stacheln dieselbe Formel, dass zwischen zwei stachellosen Polen 5 Gürtel von Stacheln stehen, jeder von 4 Stacheln, alle nach dem gemeinschaftlichen Centrum der ganzen Sphäre gerichtet, und dass die Stacheln jedes Gürtels mit dem vorhergehenden alterniren.“<ref>Johannes Müller: ''Über die Thalassicollen, Polycystinen und Acanthometren des Mittelmeeres'', Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1858, S. 12</ref> Die im Plankton vorkommende Larvenform der [[Wikipedia:Strudelwürmer|Strudelwürmer]] wurde nach ihrer Entdeckung ''Müllersche Larve'' benannt.

1826 formulierte er das [[Gesetz der spezifischen Sinnesenergien]], das ausdrückt, dass jedes [[Sinnesorgan]] auf Reize verschiedener Qualität nur in der ihm eigenen Weise reagiert. So reagiert das [[Auge]] auch auf Druck mit einer Lichtempfindung (''Sternchen sehen''). Hieraus zog er den Schluss, dass die uns umgebende objektive Realität nicht richtig erkannt oder widergespiegelt werden könne. Geradezu als Schlüsselwerk hierfür kann seine ''Synapta''-Arbeit (1852) gelten, in der er die Entstehung von Schneckenlarven in einem ''Organ'' einer Seegurke als Generationswechsel (zwischen zwei Tierklassen!) deutet (statt als Parasitismus), womit ihm sein früher klar naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild unhaltbar zu werden schien. In letzter Instanz stellte er damit die Erkennbarkeit der Welt generell in Frage. Der Philosoph [[Ludwig Feuerbach]] kritisierte dies als ''physiologischen Idealismus''. In jüngerer Zeit erhielt der physiologische Idealismus wieder Auftrieb in den Arbeiten der Biologen [[Humberto Maturana]] und [[Francisco Varela]] (siehe [[Autopoiesis]]), die ihrerseits die zeitgenössische Philosophie und Soziologie stark beeinflussten (Konstruktivismus, Postmoderne, Systemtheorie).

Müller starb im Jahr vor dem Erscheinen des Hauptwerkes von [[Charles Darwin]]. Das Thema der Entstehung der Arten wurde aber auch schon vorher manchmal thematisiert; Müllers Antwort auf eine diesbezügliche Frage von Haeckel kennzeichnet eine damals verbreitete Einschätzung:
: „Ja, da stehen wir vor lauter Rätseln! Vom Ursprung der Arten wissen wir gar nichts!“ (1854)<ref>So berichtet von Haeckel: Kampf, S. 24. Vgl. dazu [[Wikipedia:Franz Stuhlhofer|]]: ''Charles Darwin – Weltreise zum Agnostizismus. '' 1988, S. 110–133: „Aufnahme des Darwinismus in Deutschland“.</ref>

== Erstbeschreibungen ==
* Ordnung: Ophiurida MÜLLER & TROSCHEL 1840

== Veröffentlichungen ==
Neben seinem [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/concepts/browse?source=Müller ''Handbuch der Physiologie''] veröffentlichte er unter anderem folgende Arbeiten:
* [http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/files/16697/E001547870.pdf ''Zur Physiologie des Fötus''] (1824; PDF; 3,0&nbsp;MB)
* ''Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinns'' (1826)
* ''Uber die phantastischen Gesichtserscheinungen'' (1826) {{DTAW|mueller_gesichtserscheinungen_1826}}
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=lit24640&page=a0002 ''Bildungsgeschichte der Genitalien'' (1830)], in der er die Entwicklung des [[Wikipedia:Müller-Gang|Müller-Gang]]s beschrieb
* ''De glandularum secernentium structura penitiori'' (1830)
* ''Beiträge zur Anatomie und Naturgeschichte der Amphibien'' (1832)
* ''Vergleichende Anatomie der Myxinoiden'' (1834–1843)
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/data/lit16133? ''Handbuch der Physiologie des Menschen, dritte verbesserte Auflage. 2 Bände.'' (1837-1840)]
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=lit16135&page=a0001 ''Ueber den feinern Bau und die Formen der krankhaften Geschwülste'' (1838)]
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=lit16146&page=a0004 ''Über die Compensation der physischen Kräfte am menschlichen Stimmorgan'' (1839)]
* mit Franz Hermann Troschel: ''Über die Gattungen der Ophiuren''. Archiv für Naturgeschichte, 6, Berlin 1840, S. 327–330
* ''Systematische Beschreibung der Plagiostomen'' (1841), mit [[Wikipedia:Jakob Henle|Friedrich Gustav Jakob Henle]]
* mit [[Wikipedia:Franz Hermann Troschel|Franz Hermann Troschel]]: [http://www.google.de/books?id=SDwb-runOSQC ''System der Asteriden'' (1842)]
* ''Horae ichthyologicae: Beschreibung und Abbildung neuer Fische'', 2 T. (1845–1849), mit demselben
* ''Über ''Synapta digitata'' und über die Entstehung von Schnecken in Holothurien'' (1852).

Nach dem Tod von [[Wikipedia:Johann Friedrich Meckel der Jüngere|J. F. Meckel]] (1781–1833) editierte er das ''Archiv für Anatomie und Physiologie''.

== Schüler ==
Zu seinen Schülern und Mitarbeitern gehörten:
* [[Emil du Bois-Reymond]]
* [[Ernst Haeckel]]
* [[Hermann von Helmholtz]]
* [[Wikipedia:Jakob Henle|Friedrich Gustav Jakob Henle]]
* [[Wikipedia:Albert von Kölliker|Albert von Kölliker]]
* [[Wikipedia:Wilhelm Peters (Naturforscher)|Wilhelm Peters]]
* [[Theodor Schwann]]
* [[Rudolf Virchow]]
* [[Wilhelm Wundt]].

== Ehrungen ==
* 1894: Benennung der Johannes-Müller-Straße in der [[Wikipedia:Koblenz-Südliche Vorstadt|Südlichen Vorstadt]] von [[Wikipedia:Koblenz|Koblenz]]
* 1899: [[Wikipedia:Johannes-Müller-Denkmal (Koblenz)|Johannes-Müller-Denkmal]] in Koblenz
* 2015: Benennung des Johannes-Müller-Jahrganges 2015/2016 in Humanmedizin an der [[Wikipedia:Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn|Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn]]<ref> [http://www.vorklinik.uni-bonn.de/studienbeginn/erstsemesterveranstaltung_15-16 Einladung der Fakultät zur Begrüßungsveranstaltung des Jahrganges]</ref>

== Literatur ==
* {{NDB|18|425|426|Müller, Johannes|[[Wikipedia:Ilse Jahn|Ilse Jahn]]|118585053}}
* {{ADB|22|625|628|Müller, Johannes|Hermann Munk|ADB:Müller, Johannes}}
* {{BBKL|archiveurl=https://web.archive.org/web/20070629194654/http://www.bautz.de/bbkl/m/mueller_j_p.shtml |band=6|spalten=271-274|autor=Margit Ksoll|artikel=Müller, Johannes Peter}}
* Karl Post: ''Johannes Müller's philosophische Anschauungen''. (Abhandlungen zur Philosophie und ihrer Geschichte 21), Max Niemeyer, Halle/S. 1905 (Nachdruck Olms, Hildesheim 1999).
* [[Wikipedia:Wilhelm Haberling|Wilhelm Haberling]]: ''Johannes Müller. Das Leben des Rheinischen Naturforschers.'' Akad. Verlagsgesellschaft, Leipzig, 1924.
* H. W. Haggard: ''The Conception of Cancer Before and After Johannes Müller.'' In: ''Bulletin of the New York Academy of Medicine.'' Band 14, Nummer 4, April 1938, S.&nbsp;183–197, {{ISSN|0028-7091}}. PMID 19312055. {{PMC|1911260}}.
* [[Wikipedia:Gottfried Koller|Gottfried Koller]]: ''Das Leben des Biologen Johannes Müller.'' Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1958
* [[Wikipedia:Laura Otis|Laura Otis]]: ''Müller's Lab.'' New York 2007
* [[Wikipedia:Karl Eduard Rothschuh|Karl Eduard Rothschuh]]: ''Geschichte der Physiologie.'' Göttingen/Berlin/Heidelberg 1953, S. 112–117.
* Peter Schmidt: ''Zu den geistigen Wurzeln von Johannes Müller (1801-1858)''. Eine quantitative Analyse der im Handbuch der Physiologie von J. Müller (1840–1844) zitierten und verwerteten Autoren. In: ''Münstersche Beiträge zur Geschichte und Theorie der Medizin'' Nr.9, 1973.

== Siehe auch ==
* [[Sinnesphysiologie]]
* [[Wikipedia:Plankton|Plankton]]

== Weblinks ==
{{Commons|Johannes Peter Müller}}
{{Wikisource|Johannes Peter Müller}}
* {{DNB-Portal|118585053}}
* [http://www.landeshauptarchiv.de/index.php?id=331 Der 14. Juli 1801. Johannes Müller in Koblenz geboren.] in: [[Wikipedia:Landeshauptarchiv Koblenz|Landeshauptarchiv Koblenz]]
* [http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/references?id=per120 Kurzbiografie und Verweise auf digitale Quellen] im [[Wikipedia:Virtual Laboratory|Virtual Laboratory]] des [[Wikipedia:Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte|Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte]] (englisch)

== Einzelnachweise ==
<references />

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[[Kategorie:Geboren 1801]]
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[[Kategorie:Mann]]

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