19. Jahrhundert

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Das 19. Jahrhundert begann kalendarisch am 1. Januar 1801 und endete am 31. Dezember 1900. In der langzeithistorischen Einstufung wird es (der Begriff gewinnt selbst erst im 19. Jahrhundert Bedeutung) der Neuzeit zugerechnet, deren Anfangspunkt je nach Definition des Epochenumbruchs zwischen 1450 und 1550 angesetzt wird. (In der Anthroposophie gilt das Jahr 1413 als Beginn der Neuzeit).

Epocheneinteilungen

Am naheliegendsten ist es, das 19. Jahrhundert rein kalendarisch zu definieren. Demnach dauerte es von 1801 bis 1900. In der Geschichtswissenschaft jedoch wird häufig von einem langen 19. Jahrhundert gesprochen, womit Zeiträume davor bzw. danach angegliedert werden. Dies soll inhaltlich aussagekräftiger sein; will man Kontinuitäten statt Epochengrenzen betonen, dann lässt sich sowieso nicht von exakten Jahren als Start- und Endpunkt reden. Jahre wie 1789, 1871 oder 1914 könnte man vielleicht besser als Mitte und nicht als Rand von Perioden denken, also von einem Vorher und Nachher aus betrachten, so der Historiker Jürgen Osterhammel.[1] Andere Historiker sprechen umgekehrt von einem kurzen oder eigentlichen 19. Jahrhundert.[2]

Eisenwalzwerk, Ölgemälde von Adolph von Menzel, 1875

Das lange 19. Jahrhundert umfasst am Anfang ein Zeitalter der Revolutionen, das mit der Französischen Revolution 1789 beginnt oder noch früher unter Einbezug des nordamerikanischen Aufstandes. Dieses Zeitalter der Revolutionen endet dann mit der Niederlage Napoleons 1815, oder später. Am Ende des Jahrhunderts beginnt ein Zeitalter des Imperialismus oder Hochimperalismus, womit die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg überbrückt wird; oder aber man lässt das Zeitalter und damit das lange 19. Jahrhundert mit dem Epochenjahr 1917 oder dem Kriegsende 1918 oder erst nach den Friedensschlüssen (1919/1920 oder gar später) enden.

Eric Hobsbawm unterteilt das lange 19. Jahrhundert in das Zeitalter der Revolution (1789–1848), das Zeitalter des Kapitals (1848–1875) und das Zeitalter des Imperiums (1875–1914).[3] Reinhart Koselleck prägte den Begriff der Sattelzeit, die etwa von 1770 bis 1830 gedauert habe. Daran schließe sich, so Osterhammel, eine mittlere Periode an, die rückblickend charakteristisch für das eigentliche 19. Jahrhundert war. Diese Zeit zwischen den 1830er und 1890er Jahren mit ihren Umbrüchen auch in Philosophie und Kultur entspricht in etwa der viktorianischen Zeit, von der man in angelsächsischen Ländern spricht.[4]

Dann kam schließlich eine krisenhafte Umbruchphase um 1880 oder danach, mit dem hochimperialistischen Wettbewerb der Großmächte und anderen Machtverschiebungen etwa mit dem Sieg Japans über China 1895.[5]

Versucht man weltgeschichtlich zu denken, ist es noch schwieriger, ein 19. Jahrhundert zu definieren. Allein schon wegen der anderen Kalendersysteme ist der Jahrhundertbeginn 1801 eine rein westliche Angelegenheit gewesen. Beispielsweise in Japan war die Wiederherstellung der Kaiserherrschaft (1868 und danach) von viel größerer Bedeutung als Ereignisse um 1800 oder um 1900.[6] Nach dem Kulturhistoriker Louis Bourdeau habe die gesamte Französische Revolution für die Chinesen seinerzeit gar nicht existiert; selbst für Großbritannien waren diese Jahre zumindest innenpolitisch weniger bedeutend als der eigene revolutionäre Umbruch im 17. Jahrhundert. Osterhammel zufolge kann man vor dem 20. Jahrhundert von keinem Jahr behaupten, dass es für die gesamte Welt epochale Bedeutung gehabt habe.[7]

Aus verschiedenen weiteren Gründen kann das 19. Jahrhundert den Charakter einer eigenen Epoche beanspruchen. Es war die Zeit, in der sich die Industrialisierung und die kapitalistische Wirtschaftsweise vor allem in Europa und Nordamerika durchsetzten. Mit dem Imperialismus erreichte die direkte und indirekte Dominanz Europas in der Welt ihren Höhepunkt. Innerhalb der sich industrialisierenden Gesellschaften veränderten sich die Lebensweisen teilweise dramatisch. Der soziale Wandel zerstörte hergebrachte Verhaltens- und Denkweisen. Die Verkehrsrevolution und die Suche nach Arbeit erhöhten die Mobilität. Die Städte wuchsen nicht nur in quantitativer Hinsicht, sondern mit der Urbanisierung begann sich eine spezifisch neuzeitliche städtische Lebensweise durchzusetzen.

Das lange 19. Jahrhundert war in vieler Hinsicht das Jahrhundert des Bürgertums und der bürgerlichen Gesellschaft. Das Besitz- und Bildungsbürgertum prägte im Wesentlichen Kunst, Kultur, Geistesgeschichte, aber etwa mit dem Nationalismus und dem Liberalismus auch die politische Kultur. Im weiteren Verlauf entwickelte sich auch die Arbeiterbevölkerung zu einer gesellschaftlich prägenden Schicht. Arbeiterbewegung und Sozialismus wurden zu zentralen Begriffen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dagegen verloren der Adel und die Landbevölkerung tendenziell an Bedeutung.

Siehe auch

Literatur

  • Imanuel Geiss (Hrsg.): Chronik des 19. Jahrhunderts. Chronik Verlag, Augsburg 1997, ISBN 3-86047-131-7.
  • Robert Schnerb: Das Bürgerliche Zeitalter. Europa als Weltmacht 1815–1914. Kindler, Zürich 1971, ISBN 3-463-13682-1.
  • Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-58283-7.
  • Franz J. Bauer: Das „lange“ 19. Jahrhundert (1789–1917). Profil einer Epoche. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-017043-5.
  • Christopher Alan Bayly: Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780 – 1914. Studienausgabe, Campus-Verlag, Frankfurt a. M. 2008, ISBN 978-3-593-38724-6.
  • Jürgen Kocka: Das lange 19. Jahrhundert. Arbeit Nation und bürgerliche Gesellschaft (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 13), Klett-Cotta, Stuttgart 2001, ISBN 3-608-60013-2.
  • Michael Mann (Hrsg.): Die Welt im 19. Jahrhundert (Globalgeschichte. Die Welt 1000 – 2000. Band 6). Mandelbaum, Wien 2009, ISBN 3-85476-310-7.
  • Christoph Nonn: Das 19. und 20. Jahrhundert. Orientierung Geschichte. UTB, Paderborn 2007, ISBN 978-3-8252-2942-9.
  • Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914. Beck, München 1995, ISBN 3-406-32263-8.
  • Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 2: Von der Reformära bis zur industriellen und politischen „Deutschen Doppelrevolution“ 1815–1845/49. 3. Aufl., Beck, München 1996, ISBN 3-406-32262-X.
  • Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Band 1: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik. 3., Aufl., Beck, München 2001, ISBN 3-406-46001-1.

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 87/99.
  2. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 85/103.
  3. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 89.
  4. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 102/103, S. 109.
  5. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 109/110.
  6. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 90–93.
  7. Jürgen Osterhammel: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. C. H. Beck, München 2009, S. 95/96.
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