Anthroposophie

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Rudolf Steiner
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Anthroposophie (von griech. ἄνθρωπος ánthropos ‚Mensch‘ und σοφία sophίa ‚Weisheit‘; eng. anthroposophy) ist ein von Rudolf Steiner (*1861, †1925) begründeter „Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte“ (Lit.: GA 26, S. 14) und in diesem Sinn das „Bewußtsein seines Menschentums“ (Lit.: GA 257, S. 76) erweitern will. Von einer vertieften, auf geistige Erfahrung gegründeten Erkenntnis des Menschen ausgehend, eröffnet Anthroposophie einen neuen, den Anforderungen unserer Zeit entsprechenden, vollbewussten gedankenklaren und wissenschaftlich exakten Zugang zur geistigen Welt, der sich methodisch an der Naturwissenschaft orientiert und diese durch eine entsprechende empirisch begründete geistige Erkenntnis ergänzt und erweitert, die den modernen Entwicklungsgedanken auch für den seelischen und geistigen Bereich fruchtbar macht und so dessen einseitig materialistische Missdeutung überwindet.

„Unter Anthroposophie verstehe ich eine wissenschaftliche Erfor­schung der geistigen Welt, welche die Einseitigkeiten einer bloßen Natur-Erkenntnis ebenso wie diejenigen der ge­wöhnlichen Mystik durchschaut, und die, bevor sie den Versuch macht, in die übersinnliche Welt einzudringen, in der erkennenden Seele erst die im gewöhnlichen Bewußtsein und in der gewöhnlichen Wissenschaft noch nicht tätigen Kräfte entwickelt, welche ein solches Eindringen ermöglichen.“ (Lit.:GA 35, S. 66)

Was ist Anthroposophie?

Wolfgang Peter: Was ist Anthroposophie?
Eine Einführung in die Geisteswissenschaft Rudolf Steiners.
(Vortrag im Brunner Heimathaus vom 6.5.2010)

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Während die überwiegend naturwissenschaftlich orientierte Anthropologie allein den äußerlich fassbaren Menschen beschreibt, will Anthroposophie darüber hinaus den nur innerlich erlebbaren seelischen und geistigen Menschen und die diesem durch konsequente Bewusstseinsschulung wahrnehmbare seelische und geistige Welt rein empirisch erforschen - ohne metaphysische Spekulation und unabhängig von jeglicher religiösen Dogmatik oder herkömmlichen Mystik. In dieser geistigen Welt ist aber auch das Wesen der ganzen Welt begründet und der Erkenntnis jedes Menschen, der „immer strebend sich bemüht[1], prinzipiell zugänglich. Anthroposophie lässt sich daher zunächst wie folgt charakterisieren:

„Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltenall führen möchte.“ (Lit.:GA 26, S. 14)

Alle Wirkungen in der Welt gehen, wie Rudolf Steiner betont, letztlich von geistigen Wesenheiten aus, die in verschiedenen Bewusstseinszuständen leben. In ihrem Bewusstsein, zu dem sich der Mensch durch höhere Erkenntnis erheben kann, liegt der Ursprungsquell und die eigentliche Substanz, aus der die Wirklichkeit gewoben ist:

„Also, die wirklichen Realitäten der Welt sind Wesen in den verschiedenen Bewußtseinszuständen.“ (Lit.:GA 148, S. 306)

Die geistig vertiefte Selbsterkenntnis wird damit zugleich zur umfassenden Welterkenntnis, zur Kosmologie bzw. Kosmosophie im weitesten Sinn.

„Können wir auf uns selbst zurückschauend uns selbst erkennen, dann können wir auch im Kosmos beobachten. Und dann ergeben sich solche Beobachtungen, die uns eine wirkliche Kosmologie, eine Kosmosophie liefern, wie ich sie versucht habe zu geben in meinem Buche «Die Geheimwissenschaft».“ (Lit.:GA 82, S. 171)

„Es wird im Kosmos überhaupt nichts betrachtet, ohne daß man gleichzeitig den Menschen darinnen hat. Es bekommt alles nur dadurch Sinn und zu gleicher Zeit Erkenntnisboden, daß man es in bezug auf den Menschen betrachtet. Nirgends wird der Mensch ausgeschlossen. Diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft führt unsere Weltbetrachtung wiederum zu einer Betrachtung des menschlichen Wesens zurück.“ (Lit.:GA 338, S. 114)

Rudolf Steiner hat die von ihm methodisch entwickelte Anthroposophie auch sinngemäß als anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft oder kürzer als anthroposophische Geisteswissenschaft und ganz kurz schlicht als Geisteswissenschaft bezeichnet, um auf die von ihm angestrebte, auf konkrete geistige Erfahrung gegründete, exakte wissenschaftliche Erforschung des Geistigen hinzuweisen. Schon sein erkenntnistheoretisches Hauptwerk, die «Philosophie der Freiheit» (Lit.:GA 4), trägt den Untertitel: Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode.

In «Mein Lebensgang» schreibt Steiner später über seine «Philosophie der Freiheit»:

„Ich suchte in meinem Buche darzulegen, daß nicht hinter der Sinneswelt ein Unbekanntes liegt, sondern in ihr die geistige Welt. Und von der menschlichen Ideenwelt suchte ich zu zeigen, daß sie in dieser geistigen Welt ihren Bestand hat. Es ist also dem menschlichen Bewußtsein das Wesenhafte der Sinneswelt nur so lange verborgen, als die Seele nur durch die Sinne wahrnimmt. Wenn zu den Sinneswahrnehmungen die Ideen hinzuerlebt werden, dann wird die Sinneswelt in ihrer objektiven Wesenhaftigkeit von dem Bewußtsein erlebt. Erkennen ist nicht ein Abbilden eines Wesenhaften, sondern ein Sich-hinein-Leben der Seele in dieses Wesenhafte. Innerhalb des Bewußtseins vollzieht sich das Fortschreiten von der noch unwesenhaften Sinnenwelt zu dem Wesenhaften derselben. So ist die Sinnenwelt nur so lange Erscheinung (Phänomen), als das Bewußtsein mit ihr noch nicht fertig geworden ist.

In Wahrheit ist die Sinneswelt also geistige Welt; und mit dieser erkannten geistigen Welt lebt die Seele zusammen, indem sie das Bewußtsein über sie ausdehnt. Das Ziel des Erkenntnisvorganges ist das bewußte Erleben der geistigen Welt, vor deren Anblick sich alles in Geist auflöst.“ (Lit.:GA 28, S. 244f)

Mit Rosa Mayreder, der sich Rudolf Steiner geistig sehr verbunden fühlte, führte er einen regen Briefwechsel über die «Philosophie der Freiheit». Ihr Urteil über sein Werk war ihm sehr wertvoll. Von Weimar aus sandte er ihr das kurz zuvor in den Druck gekommene Buch. Im Begleitbrief vom 14. Dezember 1893 betont er sehr nachdrücklich, dass er im ersten Teil eine radikale Diesseitslehre begründet habe und dass es im zweiten Teil um einen ethischen Individualismus gehe, der nichts weniger als die Emanzipation des höheren Menschheitsbewusstseins von jeglicher Autorität zum Ziel habe.

Der heute weltweit vertretenen Anthroposophie entstammen fruchtbare Anregungen für vielfältigste Lebensbereiche, etwa für die Waldorfpädagogik und Heilpädagogik, die anthroposophisch erweiterte Medizin, die Heilmittel- und Kosmetikproduktion (Weleda, Wala), die biologisch-dynamische Landwirtschaft (Demeter), für praktisch alle Bereiche der Kunst (wie z.B. auch der Architektur), inklusive der neu aus der Anthroposophie hervorgegangenen Raumbewegungskunst Eurythmie, für die Dreigliederung des sozialen Lebens und das Finanzwesen (GLS Gemeinschaftsbank, Freie Gemeinschaftsbank), für die weitere Vertiefung der Goetheanistischen Naturwissenschaft, für die Religion (Die Christengemeinschaft und Freier Religionsunterricht).

Allgemeines

Anthroposophie versteht sich als eine Methode der individuellen Bewusstseinsentwicklung. Ihre Grundlage ist ein erkenntniswissenschaftlich fundiertes Konzept der menschlichen Individualität[2], ist zudem "ausgebildeter Goetheanismus".[3] Sie enthält Inhalte des Rosenkreuzertums, insofern diese von Rudolf Steiner ausgeführt worden sind[4], eine ausführliche Darstellung der Weltentwicklungsstufen sowie eine unserer Zeit angemessene Auffassung von Wiederverkörperung und Schicksal, welche sich von vielen östlichen Ansätzen grundlegend unterscheidet.

Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft

Die anthroposophische Geisteswissenschaft im Sinne Rudolf Steiners versteht sich nicht als spekulative, sondern als streng empirische Wissenschaft, die sich methodisch an der Naturwissenschaft orientiert, anders als diese aber nicht vordringlich die äußere physische Natur zum Gegenstand hat, sondern sich der Erforschung der geistigen Welt widmet, in der sie eine eigenständige, der physischen Welt übergeordnete und letztere bedingende Wirklichkeit erblickt, die durch die gezielte Entwicklung entsprechender seelischer Wahrnehmungsorgane der Erfahrung zugänglich ist und durch das Denken in ihrem inneren Zusammenhang begriffen werden kann.

„Geisteswissenschaft ist die wahre Fortsetzerin der naturwissenschaftlichen Forschung dadurch, daß sie das Gebiet des Geistes mit denjenigen Mitteln zu erkennen strebt, welche für dieses Gebiet tauglich sind. Als Fortsetzerin der Naturwissenschaft kann sie nicht selbst bloße Naturwissenschaft sein. Denn diejenigen Mittel, welche dieser Wissenschaft so gewaltige Triumphe gebracht haben, vermochten dies eben aus dem Grunde, weil sie der Erforschung der Natur im höchsten Maße angepaßt waren, und weil diese Forschung sie nicht durch andre - nicht für das Naturgebiet geeignete - beeinträchtigt hat. Um auf dem Gebiete des Geistes ein Ähnliches zu leisten, wie Naturwissenschaft auf dem der Natur geleistet hat, muß Geisteswissenschaft andre Erkenntnisfähigkeiten zur Entwickelung bringen, als die in der Naturforschung anwendbaren sind. Damit muß sie allerdings einen Gesichtspunkt geltend machen, der begreiflicherweise in der Gegenwart vielseitigem Zweifel begegnen kann. Man betrachte doch nur einmal unbefangen, was über diese «andern Erkenntnisfähigkeiten» gesagt wird. Es sind Fähigkeiten, welche durchaus in der Entwickelungslinie der gewöhnlichen menschlichen Seelenkräfte liegen. Wie muß die Geisteswissenschaft ihren Unterschied von der Naturwissenschaft auffassen? Die Erforschung der Natur kann nur mit den Erkenntniskräften gepflegt werden, welche der Mensch im naturgemäßen Verlauf seines Lebens erlangt und die zum Zwecke dieser Erforschung durch geregelte Beobachtung und wissenschaftliche Versuchswerkzeuge unterstützt werden. Um in die geistige Welt einzudringen, muß sie der Mensch durch geistig-seelische Übungen über den Punkt hinaus weiterentwickeln, bis zu dem sie ohne solche Übungen sich - gleichsam von selbst - bilden.“ (Lit.:GA 35, S. 159)

„Sie will eine Eröffnung der Tore zu einer übersinnlichen Welt sein. Und sie will diese Welt nicht durch bloßes spekulatives Denken finden, sondern durch wirkliche Wahrnehmung, welche der menschlichen Seele ebenso zugänglich ist wie die Wahrnehmung der physischen Sinne. Man ist gewöhnlich der Ansicht, daß eine solche Wahrnehmung in geistiger Art nur in Zuständen der Vision, der Ekstase in der Seele auftritt, und daß sie bei den mit ihr begnadeten Menschen keiner wissenschaftlichen Kontrolle unterliege. Deshalb will man ihr auch keinen anderen Wert beilegen als einen solchen persönlicher Erlebnisse der einzelnen menschlichen Individuen. Mit dieser Art von Seelenerlebnissen hat die moderne Theosophie nichts gemein. Sie zeigt, daß in der menschlichen Seele Erkenntniskräfte schlummern, welche im gewöhnlichen Leben und auch in der äußeren Wissenschaft nicht zutage treten. Diese Kräfte können durch Meditation und durch eine energische Konzentration des inneren Empflndungs- und Willenslebens wachgerufen werden. Es muß die Seele, um dazu zu kommen, sich abschließen können gegenüber allen äußeren Eindrücken und auch gegenüber allem, was das Gedächtnis von solchen äußeren Eindrücken aufbewahrt. Meditation ist die intensive Hingabe der Seele an Vorstellungen, Empfindungen und Gefühle, so, daß man kein Bewußtsein davon entwickelt, was diese Vorstellungen oder Gefühle für die physische Welt bedeuten, sondern so, daß diese sich innerhalb des Seelenlebens als Kräfte erweisen, welche die Seele gleichsam durchstrahlen und so aus deren Tiefen Mächte herausholen, deren sich der Mensch im gewöhnlichen Leben nicht bewußt ist. Die Wirkung dieser inneren Versenkung ist eine solche, daß sich durch sie der Mensch als einer geistigen Realität seines eigenen Wesens bewußt wird, von welcher er sonst keine Wahrnehmung hat. Bevor er solche Übungen anstellt, erkennt er sich als eine Wesenheit, welche durch körperliche Organe von sich und von der Welt etwas weiß. Nach solchen Übungen weiß er, daß er ein Leben in sich entfalten kann, auch ohne daß ihm seine körperlichen Organe ein solches Leben vermitteln. Er weiß, daß er sich geistig abtrennen kann von seinem physischen Körper und daß er durch diese Abtrennung nicht in den Zustand der Bewußtlosigkeit versinken muß. Und er erlangt nicht nur von sich selbst eine solche Erkenntnis, sondern auch von einer übersinnlichen Welt, welche sich für die gewöhnliche Erkenntnis hinter der physisch-sinnlichen Welt verbirgt und in welcher die wahren Ursachen dieser letzteren liegen.“ (Lit.:GA 35, S. 145ff)

Die anthroposophische Geisteswissenschaft, von Rudolf Steiner anfangs auch als Geheimwissenschaft bezeichnet, weil sie der Erforschung des „Geheimen“, d.h. des nicht sinnlich, sondern nur übersinnlich Erfahrbaren dient, versteht sich, weil sie sich an der strengen Methodik der Naturwissenschaften orientiert, als eine die höheren Welten systematisch erforschende Wissenschaft.

„Geheimwissenschaft will die naturwissenschaftliche Forschungsart und Forschungsgesinnung, die auf ihrem Gebiete sich an den Zusammenhang und Verlauf der sinnlichen Tatsachen hält, von dieser besonderen Anwendung loslösen, aber sie in ihrer denkerischen und sonstigen Eigenart festhalten. Sie will über Nichtsinnliches in derselben Art sprechen, wie die Naturwissenschaft über Sinnliches spricht. Während die Naturwissenschaft im Sinnlichen mit dieser Forschungsart und Denkweise stehenbleibt, will Geheimwissenschaft die seelische Arbeit an der Natur als eine Art Selbsterziehung der Seele betrachten und das Anerzogene auf das nichtsinnliche Gebiet anwenden. Sie will so verfahren, daß sie zwar nicht über die sinnlichen Erscheinungen als solche spricht, aber über die nichtsinnlichen Weltinhalte so, wie der Naturforscher über die sinnenfalligen. Sie hält von dem naturwissenschaftlichen Verfahren die seelische Verfassung innerhalb dieses Verfahrens fest, also gerade das, durch welches Naturerkenntnis Wissenschaft erst wird. Sie darf sich deshalb als Wissenschaft bezeichnen.“ (Lit.:GA 13, S. 36)

Die Naturwissenschaft ist nicht nur durch ihre methodische Vorgangsweise die beste Vorbereitung für die Geisteswissenschaft, sie führt auch an jene Grenzen heran, an denen das Bewusstsein für das Geistige erwachen kann.

„Diese moderne Naturwissenschaft gibt dem, der sich ihr widmet, nicht nur Aufschlüsse, die niemand mehr bewundern kann als der Geistesforscher selbst, über den äußeren Naturverlauf, über mancherlei, was auch einzuschlagen hat in das praktische Leben, sondern diese Naturwissenschaft gibt dem, der sich ihr von gewissen Gesichtspunkten aus hingebungsvoll widmet, eine innere Erziehung des menschlichen Seelenlebens. Und mehr als man dazu in früheren Stadien naturwissenschaftlichen Erkennens in der Lage war, ist man heute erkenntnismäßig eigentlich gerade durch die Naturwissenschaft zur Geistesforschung vorbereitet. Man soll sich nur nicht einengen lassen durch das, was die Naturwissenschaft auf ihrem eigenen Gebiete über die Außenwelt zu sagen hat. Man soll sich vielmehr aufschwingen können zu einer inneren Disziplinierung, zu einer inneren Zucht des seelischen Lebens durch die Art und Weise, wie man an der Natur forscht. Die Vorstellungen, die die Naturwissenschaft selbst liefert, können nur Aufschluß geben über die äußere Natur; ihrem Inhalte nach werden sie nichts sagen über das geistige Leben. Aber indem man sie gebraucht, indem man sie gerade hingebungsvoll gebraucht bei der Naturforschung, bei der Naturerkenntnis, erziehen sie, ich möchte sagen, nebenbei in demjenigen Menschen, der in der Lage ist achtzugeben auf das, was in ihm da vorgeht, gewisse innere Lebensverhältnisse, die ihn dahin bringen, einen Begriff, ein inneres Erlebnis zu erhalten von dem, was es heißt: mit seiner Seele außerhalb des Leibes leben.

Ich weiß sehr wohl, daß dieser Begriff - mit seiner Seele außerhalb des Leibes leben — heute für viele der Gipfel des Unsinns ist. Doch das macht nichts. Jeder kann sich überzeugen, daß die innere Erfahrung ihm die gewisse Einsicht in das Leben außerhalb des Leibes gibt, wenn er solche Übungen des Seelenlebens durchmacht, wie sie in meinen Schriften angedeutet sind oder wie ich sie im Prinzip hier aussprechen will.

Besonders Bedeutungsvolles kann man durchmachen, wenn man eben an jenen Grenzort des Erkenntnislebens kommt, an den einen die Naturwissenschaft so vielfach führt. Grenzort! Sehen Sie, von den großen Grenzfragen des Erkennens sprechen ja viele Leute. Man spricht davon, daß die menschliche Seele an eine Grenze kommt, wenn sie darüber forschen will, ob die Welt, räumlich oder zeitlich, unendlich oder endlich ist, wenn die Seele forschen will, ob sie einem unwiderstehlichen Zwang in allen ihren Handlungen unterliegt oder ob sie frei ist. Gewiß, das sind höchste Grenzfragen. Du Bois-Reymond hat in seiner berühmten Rede über die Grenzen des Naturerkennens, über die sieben Welträtsel, andere solche Grenzfragen hingestellt. Tiefsten Eindruck kann auf einen machen, wenn man so recht, ich möchte sagen, aus dem Erkenntnisschmerze eines Erkenntnismenschen heraus fühlt, wie ein solcher Mensch an einem solchen Grenzorte steht.“ (Lit.:GA 72, S. 25f)

„Daher kann man sagen: Wirkliche Erkenntnis bietet heute dem, der sie sucht, eigentlich nur die Naturwissenschaft. Aber was lehrt die Naturwissenschaft vom Menschen? Sie lehrt das, was am Menschen mit der Geburt oder Empfängnis entsteht und mit dem Tode vergeht. Nichts anderes! Wenn man ehrlich sein will, so hat sie nichts anderes. Daher ist es für den, der auf diesem Gebiete ehrlich sein will, nicht anders möglich, als seinen Blick auf das zu richten, was heute nicht mit den üblichen naturwissenschaftlichen Mitteln erreicht werden kann, das heißt, eine wirkliche Seelen- und Geisteswissenschaft zu begründen, die wiederum auf einer Erfahrung und Beobachtung von Geistigem beruht, wie die alte Geisteserkenntnis. Und das kann nicht anders geschehen als mit den Mitteln, die Sie angegeben finden in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», «Die Geheimwissenschaft» und anderen, indem sich der Mensch dadurch in die Möglichkeit versetzt, das Geistige wirklich zu schauen und darüber so zu sprechen, wie er über das spricht, was im Sinnlich-Materiellen vorliegt und zu einer gediegenen Naturwissenschaft geführt hat. Alles, was auf der Erde den Sinnen gegeben ist, was herangebracht werden kann an das Experiment, das ist natürlich noch nicht abgeschlossen, aber es ist auf gutem Wege. Doch das alles liefert nur Erkenntnisse über den vergänglichen, den sinnlichen, den zeitlichen Menschen. Daher können wir gar nicht über das Irdische hinausschauen, wenn wir mit diesen Mitteln den Menschen erfassen wollen. Denn schauen wir bloß auf das Irdische, so schauen wir nur auf das, was vom Menschen vergänglich ist.“ (Lit.:GA 231, S. 61f)

Um die fruchtbare Zusammenarbeit von Geisteswissenschaft und Naturwissenschaft zu charakterisieren, benutzt Rudolf Steiner gelegentlich das Tunnelgleichnis, d. h. den Bau eines Tunnels, der von zwei Seiten her gegraben wird, um in der Mitte zusammenzutreffen und so den Durchgang zwischen der Geistwelt und der Naturwelt für die Erkenntnis zu eröffnen:

„So stellt sich heute die Geisteswissenschaft neben die Naturwissenschaft hin, nicht der Naturwissenschaft widersprechend, sondern sie voll anerkennend. Ja, gerade aus derselben Gesinnung, wie die Naturwissenschaft sie der Natur gegenüber hat, möchte die Geistesforschung zu einer Wissenschaft des Geistes kommen. Sie möchte so eindringen in die inneren Kräfte des Daseins, wie die Naturwissenschaft eindringt in die äußeren Kräfte des Daseins. Und zeigen wird sich, wenn einmal diese Geisteswissenschaft Platz greift im Geistesleben unserer Zeit, wie das volle Dasein, die volle Wirklichkeit nur dadurch erfaßt werden kann, daß man von zwei Seiten her sich dieser Wirklichkeit nähert, auf der einen Seite naturforscherisch, indem man die Welt von außen betrachtet, auf der anderen Seite geisteswissenschaftlich, indem man sie vom Geiste aus betrachtet, bis man von beiden Seiten kommend, [wie bei einem Tunnelbau,] in der richtigen Richtung bohrend, in der Mitte zusammentrifft. So findet man die wahre Wirklichkeit, indem man von der Natur und vom Geiste her in entgegengesetzter Linie zusammenarbeitet, bis die zwei Richtungen zusammenkommen.“ (Lit.:GA 69a, S. 268f)

„Denn Geistesforschung und Naturwissenschaft werden einander begegnen, die Geistesforschung von der geistigen Seite her, die Naturwissenschaft von der materiellen Seite her. Sie werden sich treffen, wie Arbeiter, die einen Tunnel graben, wenn sie richtig orientiert sind, von beiden Seiten her in der Mitte zusammentreffen.“ (Lit.:GA 72, S. 130)

Philosophie und Anthroposophie

Während sich die Philosophie spätestens seit Aristoteles vornehmlich auf das spekulative bzw. diskursive Denken gründet, beruht die Anthroposphie unmittelbar auf gedankenklarer, vollbewusster geistiger Wahrnehmung. Das bereits in Rudolf Steiners erkenntnistheoretischen Grundlagenwerken angesprochene intuitive Denken stellt eine elementare Form einer solchen geistigen Wahrnehmung dar.

„Man verleumdet Anthroposophie, wenn man sie bloss eine Philosophie nennt. Sie beruht nicht auf einer philosophischen Spekulation, sondern sie beruht auf einer Anschauung, die ebenso lebendig ist, wie nur je eine sinnliche Anschauung sein kann, die aber eben errungen werden muss, indem der Mensch die Kräfte, die in seiner Seele sonst nur schlummern, so ausbildet, wie ich sie im Prinzip angedeutet habe...“ (Lit.: R. Steiner: Anthroposophie und die Rätsel der Seele, Vortrag in Bern, 20. März 1922 pdf)

Christian Clement weist in seiner Einleitung zu SKA 5 ganz richtig darauf hin, dass Rudolf Steiner stets betont habe,

„... dass eine wirklichkeitsgemäße Erkenntnis nicht allein durch gedankliche Verarbeitung und Deutung sinnlicher Beobachtungen erworben werden könne, sondern dass zu diesem „sinnlichen“ Erkennen eine völlig andere Art des Denkens und Wahrnehmens hinzukommen müsse. Ein „höheres“, „übersinnliches“ Bewusstsein müsse entfaltet, ein neues „Organ“ erschlossen werden, dessen Inhalt nicht einfach „gegeben“ seien, wie diejenigen der sinnlichen Wahrnehmung, sondern die in energischer geistig-seelischer Selbsterziehung erst innerlich hervorgebracht werden müssten. Zu diesem höheren Bewusstsein sei die Menschheit insgesamt derzeit erst noch unterwegs, doch könne es durch seelisches und geistiges Üben vom Philosophen bzw. Mystiker schon jetzt, gewissermaßen als bewusstseinsevolutive Frühgeburt, bewusst hervorgebracht werden. Dieses grundlegende Postulat eines im Menschen als Potenzial schlummernden, nicht auf sinnlichen Inhalten beruhenden ‚höheren‘ Bewusstseins verbindet nach Steiners Auffassung seine eigene Philosophie mit so disparaten Geistesströmungen wie Platonismus und Neuplatonismus, der mittelalterlichen Mystik, mit Cusanus, Paracelsus und Böhme, mit den Anschauungen Goethes und Schillers und dem Idealismus eines Fichte, Schelling und Hegel.“ (Lit.: Christian Clement, SKA 5, XXXV)

„Wir sehen das Kind, wie es in die Welt tritt mit nur geringen Fahigkeiten, sich eine Einsicht in die Umgebung zu verschaffen, wir sehen, wie die Fähigkeiten immmer tiefer und tiefer hineinführen in die äussere und innere Welt und wie diese Fähigkeiten sich entwickeln. Im gewöhnlichen Leben schliessen wir diese Entwicklung an einem gewissen Punkt ab und indem wir uns eine bestimmte Art des Denkens, eine bestimmte Art des Fühlens und eine bestimmte Art des Wollens als Erwachsene angeeignet haben, bleiben wir bei diesem stehen, treiben mit diesem unser alltägliches Leben und unsere gewöhnliche Wissenschaft.

Derjenige, der anthroposophische Forsuhung treiben will, der muss die Entwicklung weiterleiten, er muss sich sagen in einem bestimmten Punkt seines Lebens: Dasjenige, was an Fähigkeiten in der Seele ist, ist auf solche Art nicht voll entwickelt; es kann weiteres aus den Untergründen der Seele heraufgehoben werden. Und dieses Heraufholen, das führt dann zu denjenigen Erkenntnisfähigkeiten, welche in die übersinnlichen Welten hineingeleiten können.“ (Lit.: Rudolf Steiner, München, 16. Januar 1922 pdf)

Schein und Wirklichkeit

Ein Grundirrtum des Philosophierens besteht nach Rudolf Steiner darin, die Sinneswelt bereits als fertige Wirklichkeit anzusehen. Erst das Denken, das die Wahrnehmungen durchdringt, enthüllt auch ihre inneren Gesetzmäßigkeiten, ohne die sie nicht bestehen könnte, und führt damit erst zur vollen Wirklichkeit.

„Das ist der Grundfehler des Philosophierens des 19. Jahrhunderts, daß immer einfach die Sinneswelt als fertige genommen wird. Man ist sich nicht bewußt geworden, daß zur wahren Wirklichkeit der Mensch dazugehört, daß dasjenige, was im Menschen namentlich an Gedanken auftritt, sich abspaltet von der Wirklichkeit, indem der Mensch in die Wirklichkeit hineingeboren wird, daß die Wirklichkeit zunächst verborgen ist, so daß sie uns als eine Scheinwirklichkeit entgegentritt; und erst wenn wir diese Scheinwirklichkeit durchdringen mit dem, was in uns aufleben kann, haben wir die volle Wirklichkeit vor uns. Damit aber würde von vornherein philosophisch, vom Gesichtspunkt einer gewissen Erkenntnistheorie, alles dasjenige charakterisiert sein, was später wiederum meiner Anthroposophie zugrundeliegt. Denn es ist vom Anfang an versucht worden nachzuweisen, daß die Sinneswelt nicht eine Wirklichkeit ist, sondern daß sie eine Scheinwirklichkeit ist, zu der erst hinzukommen muß dasjenige, was der Mensch zu ihr hinzubringt, was dem Menschen in seinem Inneren aufleuchtet und was er dann erarbeitet. Die ganze kantische und nach-kantische Philosophie geht im Grunde genommen davon aus, daß man eine fertige Wirklichkeit vor sich habe und daß man dann die Frage aufstellen könne: Ja, kann man denn diese fertige Wirklichkeit erkennen oder kann man sie nicht erkennen? - Sie ist aber keine fertige Wirklichkeit, sie ist nur eine halbe Wirklichkeit, und die ganze Wirklichkeit entsteht erst, wenn der Mensch dazukommt und dasjenige in die Wirklichkeit hineingießt, was ihm in seinem Innersten aufgeht.“ (Lit.:GA 255b, S. 41f)

Die Wirklichkeit ist dem Menschen gemäß Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit nicht unmittelbar gegeben, sondern fließt ihm von zwei Seiten her zu, nämlich durch Beobachtung und Denken. Dadurch wird im menschlichen Bewusstsein zunächst eine unüberbrückbar scheinende Kluft (→ Chorismos) aufgerissen. Erst indem der Mensch beiden Hälften, die in der Wirklichkeit zwar stets untrennbar miteinander verbunden, dem menschlichen Bewusstsein aber zunächst nur getrennt gegeben sind, im Erkenntnisakt miteinander verbindet, d.h. die Wahrnehmung mit dem zugehörigen Begriff durchdringt, stößt er zur vollen Wirklichkeit vor.

"Nicht an den Gegenständen liegt es, dass sie uns zunächst ohne die entsprechenden Begriffe gegeben werden, sondern an unserer geistigen Organisation. Unsere totale Wesenheit funktioniert in der Weise, dass ihr bei jedem Dinge der Wirklichkeit von zwei Seiten her die Elemente zufließen, die für die Sache in Betracht kommen: von seiten des Wahrnehmens und des Denkens." (Lit.: GA 4, S. 90)

"Der Begriff des Baumes ist für das Erkennen durch die Wahrnehmung des Baumes bedingt. Ich kann der bestimmten Wahrnehmung gegenüber nur einen ganz bestimmten Begriff aus dem allgemeinen Begriffssystem herausheben. Der Zusammenhang von Begriff und Wahrnehmung wird durch das Denken an der Wahrnehmung mittelbar und objektiv bestimmt Die Verbindung der Wahrnehmung mit ihrem Begriffe wird nach dem Wahrnehmungsakte erkannt; die Zusammengehörigkeit ist aber in der Sache selbst bestimmt." (Lit.: GA 4, S. 145)

Dass dem Menschen die Wirklichkeit nicht unmittelbar, sondern zunächst nur in Form zweier unwirklicher Hälften gegeben ist, die er aktiv verbinden muss, begründet die Möglichkeit seiner Freiheit.

Anthroposophie als Kosmosophie

Anthroposophie ist notwendig zugleich auch Kosmosophie (von griech. κόσμος kósmos „Welt[-ordnung]“, auch „Schmuck“, „Anstand“ und σοφία sophίaWeisheit“), da sie anders als die herkömmliche Kosmologie stets die Entwicklung des Menschen mit der Weltentwicklung zusammenschaut.

„Durch unsere Erinnerung im Inneren verstehen wir unser Erleben. Durch unsere gesamte menschliche Organisation verstehen wir, wenn wir sie richtig anzuschauen wissen, den Weltenprozeß. Aber das ist erst Anthroposophie, wenn man den Menschen durch und durch verstehen kann. Aber Anthroposophie ist damit zu gleicher Zeit Kosmosophie. Denn so wie Erinnerung von uns Vergegenwärtigung unseres Lebens ist, so ist anthroposophische Erkenntnis Welterinnerung, Vergegenwärtigung des gesamten Weltenprozesses, Kosmosophie. Beide sind in Trennung voneinander gar nicht zu denken. Kosmosophie und Anthroposophie gehören zusammen. Der Mensch ist in der Welt, die Welt im Menschen zu finden. Daher ist es auch nicht Anthropomorphismus in meiner «Geheimwissenschaft», wenn, indem die Entwickelung gegeben ist durch Saturn, Sonne, Mond und so weiter, zu gleicher Zeit eine Menschheitsentwickelung gegeben ist. Weltenentwickelung ist gegeben, Menschheitsentwickelung ist gegeben, weil, je weiter man eindringt in die Geheimnisse des Daseins, um so mehr fließen Welt und Mensch zusammen; um so mehr zeigt sich, daß jene Trennung, die wir für unser Erdenleben haben zwischen Welt und Mensch, eigentlich nur eine Täuschung ist; daß der Mensch der Welt, die Welt dem Menschen angehört, in der Welt der Mensch, im Menschen die Welt zu finden ist.“ (Lit.:GA 208, S. 46)

Anthroposophie als evolutionäre Wissenschaft

Die anthroposophische Geistesforschung greift den modernen Entwicklungsgedanken auf, der dem gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalter angemessen ist, geht dabei aber weit über die derzeit noch weitgehend im bloßen Naturalismus verhaftete Evolutionslehre hinaus, indem sie auch die seelische und geistige Welt in ständiger Entwicklung und Veränderung begriffen sieht. Sie überwindet so auch die noch in der griechisch-lateinischen Zeit verwurzelte und bis heute tradierte religiöse bzw. theologische Anschauung, wonach die höhere Geisteswelt und insbesondere das Göttliche selbst in ewigwährender, in sich selbst ruhender, unveränderlicher Vollkommenheit besteht. So lässt sich aber die große Opfertat des Christus, der aus den höchsten geistigen Regionen auf die Erde herabgestiegen, um hier Mensch zu werden, niemals begreifen. Das Mysterium von Golgatha, mit dem der Christus durch den Tod gegangen, zur Unterwelt abgestiegen und wieder auferstanden ist, hat nicht nur die Welt , d. h. die Natur und den Menschen, sondern auch auch die Trinität selbst und alle mit ihr verbundenen geistigen Hierarchien tiefgreifend verwandelt. Aus Liebe zu den Menschen, um ihnen die Freiheit zu ermöglichen, hat Gott seine Allmacht und Allwissenheit aufgegeben und teilt seine Macht mit Ahriman und seine Weisheit mit Luzifer; nur die Liebe hat er behalten.

„Nicht ist die umfassendste Eigenschaft der Gottheit die Allmacht, nicht die Allweisheit, sondern die Liebe, die Eigenschaft, bei der keine Steigerung mehr möglich ist. Gott ist voller Liebe, ist reine Liebe, ist sozusagen aus der Substanz der Liebe geboren. Gott ist reine, lautere Liebe, nicht höchste Weisheit, nicht höchste Macht. Gott hat behalten die Liebe, geteilt aber hat er die Macht und die Weisheit mit Luzifer und Ahriman. Die Weisheit hat er geteilt mit Luzifer und mit Ahriman die Macht, damit der Mensch frei sei, damit der Mensch unter dem Einfluß der Weisheit weiterschreiten könne.“ (Lit.:GA 143, S. 209)

Das Mysterium von Golgatha ist der Dreh- und Angelpunkt einer Entwicklung, die durch Äonen angebahnt wurde und weit in die Zukunft fortwirken wird. Die von Rudolf Steiner begründete anthroposophische Geisteswissenschaft versucht ganz konkret die komplexen geistigen und materiellen Hintergründe dieser Entwicklung Schritt für Schritt enthüllen, die am umfassendsten durch die sogenannten sieben planetarischen Weltentwicklungsstufen beschrieben werden, die sich ihrerseits in sieben Lebenszustände und diese wiederum in sieben Formzustände gliedern. Gegenwärtig stehen wir mit unserer physischen Erdentwicklung im vierten (physischen) Formzustand des Mineralreichs, welches der 4. Lebenszustand unserer Erde ist. Der Mensch nimmt aktiv an dieser Entwicklung teil, indem er durch wiederholte Erdenleben schreitet, in denen er seine Wesensglieder immer weiter veredeln und erweitern kann.

„Studieren Sie heute, indem Sie von dem hier gemeinten rosenkreuzerischen Initiationsprinzip berührt worden sind, den Haeckelismus mit all seinem Materialismus, studieren Sie ihn, und lassen Sie sich durchdringen von dem, was Erkenntnismethoden sind nach «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?»: Was Sie in Haeckels «Anthropogenie» über die menschlichen Vorfahren in einer Sie vielleicht abstoßenden Weise lernen, lernen Sie es in dieser abstoßenden Weise, lernen Sie alles dasjenige darüber, was man durch äußere Naturwissenschaft lernen kann, und tragen Sie das dann den Göttern entgegen, und Sie bekommen dasjenige, was in meinem Buche «Geheimwissenschaft» über die Evolution erzählt ist. Das ist, sehen Sie, der Zusammenhang zwischen dem schwachen, matten Wissen, das der Mensch mit seinem physischen Leibe hier erwerben kann, und dem, was ihm mit der gehörigen Gesinnung, mit der gehörigen Vorbereitung durch dieses Gelernte die Götter geben können. Aber der Mensch muß ihnen dasjenige, was er auf der Erde lernen kann, entgegenbringen, denn die Zeiten sind eben andere geworden.“ (Lit.:GA 233a, S. 89f)

Anthroposophie kann ihrer Aufgabe nur gerecht werden, wenn sie sich nicht in erstarrten Dogmen verfängt, sondern beständig weiterentwickelt und ihre Erkenntnisse in solcher Form präsentiert, die mit dem Geist der Zeit im Einklang steht:

„Menschliche Meinungen, namentlich dann, wenn sie Weltanschauungsmeinungen sein wollen, fühlen sich nur dann befriedigt, wenn sie, in gewissem Sinne und in gewissen Grenzen wenigstens, sich sagen können: Ich habe Gedanken, die gelten; die sind in sich absolut gültig; die habe ich gefunden oder die hat die Wissenschaft oder die Religion oder irgend etwas anderes gefunden; aber sie gelten, sie gelten absolut in sich. - So steht es um Anthroposophie nun nicht. Anthroposophie weiß, daß die Gedanken herausgeboren sein müssen in jeder Zeit aus dem, was man in einem tieferen Sinne den Geist der Zeit nennen kann. Und der Geist der Menschheit ist in fortdauernder Entwickelung. So daß dasjenige, was als Meinung über die Welt in einem Zeitalter auftritt, eine andere Form haben muß als dasjenige, was in solcher Art in einem anderen Zeitalter auftritt. Indem Anthroposophie heute vor die Welt hintritt, weiß sie, daß nach Jahrhunderten dasjenige, was sie heute sagt, in ganz anderer Form für ganz andere Menschheitsbedürfnisse und ganz andere Menschheitsinteressen wird gesagt werden müssen, daß sie nicht «absolute Wahrheiten» anstreben kann, sondern daß sie in lebendiger Entwickelung ist.“ (Lit.:GA 72, S. 65)

Evolution bedeutet aus geisteswissenschaftlicher Sicht, dass ein geistig schöpferisch Wesenhaftes schrittweise immer deutlicher in die äußere sinnlich-materielle Erscheinung tritt. Die notwendige Gegenbewegung dazu ist die Involution, durch die sich das Geistige wieder schrittweise aus der äußeren Erscheinung zurückzieht (siehe unten).

„Aber wenn Sie wirklich meine Schriften verfolgen, so werden Sie sehen, daß ich dem Darwinismus immer gerecht geworden bin, aber eben gerade dadurch gerecht werden konnte, daß ich ihm entgegengestellt habe den Goetheanismus, die Auffassung von der Entwickelung des Lebens. Das, was man Deszendenztheorie nennt, auf der einen Seite im Sinne des Darwinismus, auf der andern Seite im Sinne des Goetheanismus, diese Dinge versuchte ich immer miteinander zu verbinden. Warum? Weil im Goetheanismus die aufsteigende Linie lebt, das Herausheben der organischen Entwickelung aus dem bloß physikalischen, physischen Dasein.

Wie oft habe ich auf das Gespräch zwischen Goethe und Schiller hingewiesen, wo Schiller, als Goethe seine Urpflanze aufzeichnete, sagte: Das ist keine Empirie, das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee. - Da sagte Goethe: Dann habe ich meine Idee vor Augen! -, weil er überall das Geistige sah. Da haben wir eine Entwickelungslehre bei Goethe veranlagt, die den Keim in sich trägt, zu den höchsten Sphären heraufgehoben zu werden, angewendet zu werden für Seele und Geist. Wenn Goethe auch nur für die organische Entwikkelung in der Metamorphosenlehre den Anfang gemacht hat, wir haben die Evolution des Geistes, zu der die Menschheit von diesem fünften nachatlantischen Zeitraum an kommen muß, weil der Mensch sich verinnerlicht, wie ich es in diesen Betrachtungen dargestellt habe. Goetheanismus kann eine große Zukunft haben, denn die ganze Anthroposophie liegt in seiner Linie. Darwinismus betrachtet die physische Entwickelung von der physischen Seite her: äußere Impulse, Kampf ums Dasein, Selektion und so weiter und stellt damit die absterbende Entwickelung dar, alles dasjenige, was man finden kann über das organische Leben, wenn man sich den Impulsen überläßt, die in früheren Zeiten groß geworden sind. Will man Darwin verstehen, so muß man nur synthetisch zusammenfassen alle Gesetze, die früher aufgefunden worden sind. Will man Goethe verstehen, muß man sich aufschwingen zu neuen und immer neuen Gesetzmäßigkeiten im Dasein. Beides ist notwendig. Der Fehler besteht nicht darin, daß es einen Darwinismus gibt oder daß es einen Goetheanismus gibt, sondern darin, daß die Menschen dem einen oder dem andern und nicht dem einen und dem andern anhängen wollen. Das ist es, worauf es ankommt.“ (Lit.:GA 177, S. 223f)

Entwicklung verläuft in Zyklen und setzt keinen Anfang und kein Ende voraus:

„Entwickelung setzt keinen Anfang und kein Ende voraus. Entwickelung verläuft in Zyklen ohne Wiederholung, immer Neues wird eingefügt im zyklischen Fortschritt. Endlicher Anfang oder Ende ist ein Majaschluß, abstrahiert von sinnlichen Vorgängen.“ (Lit.:GA 110, S. 188)

Rudolf Steiner baut konsequent auf die Vorarbeit auf, die Goethe mit seiner Metamorphosenlehre geleistet hat. Goethe ging davon aus, dass in jedem Lebewesen ein ideelles Urbild wirkt, das er Typus nannte. Dieser bildet eine archetypische Ganzheit, aus der heraus die mannigfaltigen individuell gestalteten Einzellebewesen entstehen. Der allen Pflanzen gemeinsame Typus ist die Urpflanze, der in den Tieren wirkende Typus ist das Urtier.

„Was versteht Goethe unter diesem Typus? Er hat sich darüber klar und unzweideutig ausgesprochen. Er sagt, er fühlte die Notwendigkeit: «einen Typus aufzustellen, an welchem alle Säugetiere nach Übereinstimmung und Verschiedenheit zu prüfen wären, und wie ich früher die Urpflanze aufgesucht, so trachtete ich nunmehr das Urtier zu finden, das heißt denn doch zuletzt: den Begriff, die Idee des Tieres». Und ein anderes Mal mit noch größerer Deutlichkeit: «Hat man aber die Idee von diesem Typus gefaßt, so wird man recht einsehen, wie unmöglich es sei, eine einzelne Gattung als Kanon aufzustellen. Das Einzelne kann kein Muster des Ganzen sein, und so dürfen wir das Muster für alle nicht im Einzelnen suchen. Die Klassen, Gattungen, Arten und Individuen verhalten sich wie die Fälle zum Gesetz: sie sind darin enthalten, aber sie enthalten und geben es nicht.» Hätte man also Goethe gefragt, ob er in einer bestimmten Tier- oder Pflanzenform, die zu irgendeiner Zeit existiert hat, seine Urform, seinen Typus verwirklicht sehe, so hatte er ohne Zweifel mit einem kräftigen Nein geantwortet. Er hätte gesagt: So wie der Haushund, so ist auch der einfachste tierische Organismus nur ein Spezialfall dessen, was ich unter Typus verstehe. Den Typus findet man überhaupt nicht in der Außenwelt verwirklicht, sondern er geht uns als Idee in unserem Innern auf, wenn wir das Gemeinsame der Lebewesen betrachten. Sowenig der Physiker einen einzelnen Fall, eine zufällige Erscheinung zum Ausgangspunkte seiner Untersuchungen macht, sowenig darf der Zoologe oder Botaniker einen einzelnen Organismus als Urorganismus ansprechen. Und hier ist der Punkt, an dem es klar werden muß, daß der neuere Darwinismus weit hinter Goethes Grundgedanken zurückbleibt. Diese wissenschaftliche Strömung findet, daß es zwei Ursachen gibt, unter deren Einfluß eine organische Form sich in eine andere umformen kann: die Anpassung und den Kampf ums Dasein. Unter Anpassung versteht man die Tatsache, daß ein Organismus infolge von Einwirkungen der Außenwelt eine Veränderung in seiner Lebenstätigkeit und in seinen Gestaltverhältnissen annimmt. Er erhält dadurch Eigentümlichkeiten, die seine Voreltern nicht hatten. Auf diesem Wege kann sich also eine Umformung bestehender organischer Formen vollziehen. Das Gesetz vom Kampf ums Dasein beruht auf folgenden Erwägungen. Das organische Leben bringt viel mehr Keime hervor, als auf der Erde Platz zu ihrer Ernährung und Entwickelung finden. Nicht alle können zur vollen Reife kommen. Jeder entstehende Organismus sucht aus seiner Umgebung die Mittel zu seiner Existenz. Es ist unausbleiblich, daß bei der Fülle der Keime ein Kampf entsteht zwischen den einzelnen Wesen. Und da nur eine begrenzte Zahl den Lebensunterhalt finden kann, so ist es natürlich, daß diese aus denen besteht, die sich im Kampf als die stärkeren erweisen. Diese werden als Sieger hervorgehen. Welche sind aber die Stärkeren? Ohne Zweifel diejenigen mit einer Einrichtung, die sich als zweckmäßig erweist, um die Mittel zum Leben zu beschaffen. Die Wesen mit unzweckmäßiger Organisation müssen unterliegen und aussterben. Deswegen, sagt der Darwinismus, kann es nur zweckmäßige Organisationen geben. Die anderen sind einfach im Kampf ums Dasein zugrunde gegangen. Der Darwinismus erklärt mit Zugrundelegung dieser beiden Prinzipien den Ursprung der Arten so, daß sich die Organismen unter dem Einfluß der Außenwelt durch Anpassung umwandeln, die hierdurch gewonnenen neuen Eigentümlichkeiten auf ihre Nachkommen verpflanzen und von den auf diese Weise umgewandelten Formen immer diejenigen sich erhalten, welche in dem Umwandlungsprozesse die zweckentsprechendste Gestalt angenommen haben.

Gegen diese beiden Prinzipien hätte Goethe zweifellos nichts einzuwenden. Wir können nachweisen, daß er beide bereits gekannt hat. Für ausreichend aber, um die Gestalten des organischen Lebens zu erklären, hat er sie nicht gehalten. Sie waren ihm äußere Bedingungen, unter deren Einfluß das, was er Typus nannte, besondere Formen annimmt und sich in der mannigfaltigsten Weise verwandeln kann. Bevor sich etwas umwandelt, muß es aber erst vorhanden sein. Anpassung und Kampf ums Dasein setzen das Organische voraus, das sie beeinflussen. Die notwendige Voraussetzung sucht Goethe erst zu gewinnen. Seine 1790 veröffentlichte Schrift «Versuch, die Metamorphose der Pflanzen zu erklären» verfolgt den Gedanken, eine ideale Pflanzengestalt zu finden, welche allen pflanzlichen Wesen als deren Urbild zugrunde liegt. Später versuchte er dasselbe auch für die Tierwelt.“ (Lit.:GA 30, S. 73ff)

„Besonders an der Weltanschauungsströmung, die sich als neuere Entwicklungslehre von Lamarck, über Lyell und andere bis zu Darwin und den gegenwärtigen Ansichten von den Lebenstatsachen zieht, kann die Bedeutung eingesehen werden, welche der Gesichtspunkt des schauenden Bewußtseins hat. Diese Entwicklungslehre sucht das Aufsteigen der höheren Lebensformen aus den niederen darzustellen. Sie erfüllt damit eine Aufgabe, die grundsätzlich in sich berechtigt ist. Allein sie muß dabei so verfahren, wie die Menschenseele im Traumbewußtsein mit den Traumerlebnissen verfährt; sie läßt das Folgende aus dem Früheren hervorgehen. In Wirklichkeit sind aber die treibenden Kräfte, die ein folgendes Traumbild aus dem früheren hervorzaubern, in dem Träumenden und nicht in den Traumbildern zu suchen. Dies zu empfinden, ist erst das wachende Bewußtsein in der Lage. Das schauende Bewußtsein kann sich nun ebensowenig zufrieden geben, in einer niederen Lebensform die wirksamen Kräfte zu suchen für das Entstehen einer höheren, wie sich das Wachbewußtsein dazu hergeben kann, einen Folgetraum aus einem vorhergehenden Traum wirklich hervorgehen zu lassen, ohne auf den Träumenden zu sehen. Das in der wahren Wirklichkeit sich erlebende Seelenwesen schaut das Seelisch-Geistige, das es wirksam in der gegenwärtigen Menschennatur findet, auch schon wirksam in den Entwickelungsformen, welche zu dem gegenwärtigen Menschen geführt haben. Es wird nicht anthropomorphistisch in die Naturerscheinungen die gegenwärtige Menschenwesenheit hineinträumen; aber es wird das Geistig-Seelische, das durch schauendes Bewußtsein im gegenwärtigen Menschen erlebt wird, wirksam wissen in allem Naturgeschehen, das zum Menschen geführt hat. Es wird so erkennen, daß die dem Menschen offenbar werdende Geistwelt den Ursprung enthält auch der Naturbildungen, die dem Menschen vorangegangen sind.“ (Lit.:GA 20, S. 176f)

Ein volles Verständnis für evolutionäre Prozesse wird nur entstehen, wenn man ihnen gleichberechtigt die Involution und die freie Schöpfung aus dem Nichts zur Seite stellt:

„So haben wir bei allem Werden dreierlei zu beachten: Zuerst die Entfaltung aus einem gleichsam eingewickelten Zustande heraus; wir nennen das Entwickelung oder Evolution. Dann muß, was im Keime liegt, entstehen durch den umgekehrten Prozeß, die Einwickelung oder Involution. Diese beiden Prozesse allein geben aber noch keinen Fortschritt. Einzig und allein dadurch, daß ein Wesen imstande ist, Einflüsse von außen aufzunehmen und zu inneren Erlebnissen zu verarbeiten, kann ein Neues, ein Fortschritt in der Welt entstehen. Das ist das Dritte; man nennt es Schöpfung aus dem Nichts. Fortwährend entwickeln Sie, was in Ihnen von früher her veranlagt ist, fortwährend nehmen Sie etwas aus Ihrer Umwelt auf, das Sie umgestalten zu Erlebnissen, und das tragen Sie dann in eine neue Verkörperung hinein. In allem Leben wirkt die Dreiheit von Evolution, Involution und Schöpfung aus dem Nichts. Beim Menschen haben wir diese Schöpfung aus dem Nichts in der Arbeit seines Bewußtseins. Er erlebt die Vorgänge in seiner Umwelt und verarbeitet sie zu Ideen, Gedanken und Begriffen. Veranlagungen stammen aus früheren Verkörperungen, aber aller Fortschritt im Leben beruht darauf, daß neue Gedanken und neue Ideen produziert werden. Die Verhältnisse der Umgebung werden «konsumiert», und die inneren Erlebnisse führen zu neuen Gedanken und Ideen. Daher ist Drei die Zahl des Lebens, man nennt sie die Zahl der Schöpfung oder des Wirkens.“ (Lit.:GA 101, S. 259f)

Anthroposophie als Weg zur Selbsterkenntnis

In einem Vortrag in Berlin am 3. Februar 1913 anlässlich der ersten Generalversammlung der Anthroposophischen Gesellschaft charakterisierte Rudolf Steiner das Wesen der Anthroposophie als Weg zur Selbsterkenntnis des Menschen, der den Anforderungen des gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalters angemessen ist.

„Lernen werden die Menschen, wie tief in der Gesamtwesenheit des Menschen das begründet ist, was wir durch unsere Anthroposophie vortragen. Was wir durch Anthroposophie aufnehmen, ist das Wesen von uns selbst, das erst bis an den Menschen heranschwebte als Sophia, als Philosophia, um sich zu zeigen wie eine himmlische Göttin, zu der er in ein persönliches Verhältnis kommen konnte, das lebte. Dieses wird er wieder aus sich heraussetzen, wird erkennen in ihr das Spiegelbild seiner Wesenheit, wird es vor sich hinstellen als Ergebnis wahrer Selbsterkenntnis in der Anthroposophie. Wir können ruhig warten, bis die Welt wird prüfen wollen, wie tief begründet, bis in alle Einzelheiten hinein, das ist, was wir zu sagen haben. Denn das ist das Wesen der Anthroposophie, daß ihr eigenes Wesen besteht in dem, was des Menschen Wesen ist. Und das ist das Wesen ihrer Wirksamkeit: daß der Mensch das, was er selber ist, in der Theosophie oder Anthroposophie empfängt und es vor sich hinstellen muß, weil er Selbsterkenntnis üben muß.“ (Lit.: R. Steiner: Das Wesen der Anthroposophie, 3. Februar 1913, Berlin, S. 24f)

Die Hauptsache der Anthroposophie liegt im Leben und nicht in der Form

Anthroposophie wird nur dann recht verstanden, wenn sie in ihrer lebendigen Entwicklung gesehen wird. Sie strebt nicht an, «absolute Wahrheiten» zu geben, die für alle Zeiten gültig sein sollen, sondern rechnet damit, dass der Geist der Menschheit in beständiger Entwicklung ist und dass folglich diese Wahrheiten für künftige Zeitalter wieder in ganz anderer Form gegeben werden müssen.

"Es gibt zahlreiche Wege zur Anthroposophie. Man sollte darüber hinauskommen, sich zu stoßen an dem Wesen einzelner Menschen, die Anthroposophen sein wollen, und sollte versuchen, die Anthroposophie wirklich zu erleben. In der Gegenwart ist eigentlich Anthroposophie das einzige, das nicht dogmatisiert, und das nicht darauf erpicht ist, etwas in ganz bestimmter Weise hinzustellen, sondern das bestrebt ist, etwas von verschiedenen Seiten anzuschauen. Die Hauptsache der Anthroposophie liegt im Leben und nicht in der Form. Man ist ja wohl gezwungen, wenn man verstanden werden will, Formen anzuwenden, die gegenwärtig üblich sind." (Lit.: GA 217a, S. 44)

„Menschliche Meinungen, namentlich dann, wenn sie Weltanschauungsmeinungen sein wollen, fühlen sich nur dann befriedigt, wenn sie, in gewissem Sinne und in gewissen Grenzen wenigstens, sich sagen können: Ich habe Gedanken, die gelten; die sind in sich absolut gültig; die habe ich gefunden oder die hat die Wissenschaft oder die Religion oder irgend etwas anderes gefunden; aber sie gelten, sie gelten absolut in sich. - So steht es um Anthroposophie nun nicht. Anthroposophie weiß, daß die Gedanken herausgeboren sein müssen in jeder Zeit aus dem, was man in einem tieferen Sinne den Geist der Zeit nennen kann. Und der Geist der Menschheit ist in fortdauernder Entwicklung. So daß dasjenige, was als Meinung über die Welt in einem Zeitalter auftritt, eine andere Form haben muß als dasjenige, was in solcher Art in einem anderen Zeitalter auftritt. Indem Anthroposophie heute vor die Welt hintritt, weiß sie, daß nach Jahrhunderten dasjenige, was sie heute sagt, in ganz anderer Form für ganz andere Menschheitsbedürfnisse und ganz andere Menschheitsinteressen wird gesagt werden müssen, daß sie nicht «absolute Wahrheiten» anstreben kann, sondern daß sie in lebendiger Entwicklung ist.“ (Lit.:GA 72, S. 65)

„Diese anthroposophische Weltanschauung kommt auf die individuellste Weise zustande und ist zu gleicher Zeit das Unindividuellste, das sich überhaupt nur denken läßt. Sie kann nur dadurch auf die individuellste Art zustande kommen, daß sich die Geheimnisse des Weltalls in einer menschlichen Seele offenbaren, daß in sie einströmen die großen geistigen Wesenheiten der Welt. In der menschlichen Individualität muß der Inhalt der Welt erlebt werden auf die individuellste Art, aber zu gleicher Zeit muß er erlebt werden mit einem Charakter vollständiger Unpersönlichkeit. Wer erleben will den wahren Charakter der Weltgeheimnisse, der muß ganz auf demjenigen Gesichtspunkt stehen, von dem aus er sich sagt: Wer die eigene Meinung noch achtet, der kann nicht zur Wahrheit kommen. - Das ist nämlich das Eigenartige anthroposophischer Wahrheit, daß der Beobachter keine eigene Meinung, keine Vorliebe für diese oder jene Theorie haben darf, daß er durchaus nicht durch seine besondere individuelle Eigentümlichkeit diese oder jene Anschauung mehr lieben darf als eine andere. Solange er auf diesem Standpunkte steht, ist es unmöglich, daß sich ihm die wahren Weltgeheimnisse offenbaren. Er muß ganz individuell erkennen; aber seine Individualität muß so weit gediehen sein, daß sie nichts mehr von dem Persönlichen, also auch von dem ihm individuell Sympathischen und Antipathischen hat. Das muß streng und ernsthaft genommen werden. Wer noch irgendwelche Vorliebe hat für diese oder jene Begriffe und Anschauungen, wer durch seine Erziehung, durch sein Temperament zu dem oder jenem hinneigen kann, der wird niemals die objektive Wahrheit erkennen.“ (Lit.:GA 117, S. 155f)

Die objektive Wahrheit, durch die sich der Mensch in die geistigen Welten erheben kann, darf niemals auf persönliche Autorität, sondern nur auf individuelle Einsicht gegründet werden.

„Es muß ein Ideal der Mensehen sein, die objektive Wahrheit zu durchdringen und anzuerkennen, sich zu erheben durch objektive Wahrheit in die geistigen Welten. Dem würde ein Hindernis entgegengeschoben werden, wenn man irgendeine Wahrheit, die, wie es nicht sein kann in der Zukunft, einseitig auf persönliche Autorität begründen wollte!“ (Lit.:GA 133, S. 164)

„Es treten Menschen auf, die das Anthroposophische mit Recht, mit vollem Recht, mit Enthusiasmus verkünden. Sie betonen dabei aber, daß sie bei dieser Verkündung eine Lehre geben, die ihrer Erfahrung zunächst nicht zugänglich sei, die sie vertreten als eine Lehre, die nur dem Geistesforscher als solchem zugänglich sei. Dadurch wird ein Konflikt herbeigeführt mit der Geisteshaltung der heutigen Zivilisation. Die heutige Zivilisation macht dem Menschen einen Vorwurf, wenn er gewissermaßen doch auf eine Art Autorität hin irgendeine Weltanschauung vertritt. Dieser Vorwurf würde ja wegfallen, wenn man gründlich einmal hüben und drüben einsehen würde, daß die Ergebnisse der Geistesforschung, wie sie in der Anthroposophie gemeint sind, zwar gefunden werden müssen mit Methoden, die der einzelne sich auf verschiedenen Wegen aneignen muß, daß diese Ergebnisse aber von dem wirklich unbefangenen Menschenverstände, wenn sie einmal da sind, tatsächlich auch eingesehen werden können.“ (Lit.:GA 257, S. 50f)

Anthroposophie sollte eben nicht auf Treu und Glauben angenommen werden, sondern durch eigenes individuelles Verständnis errungen werde. Rudolf Steiner gab sich aber keiner Illusion darüber hin, dass dies noch sehr selten geschieht und Anthroposophie oft nur mit einer Art von religiösem Gefühl aufgefasst wird.

„Anthroposophie wird gelehrt, vorgetragen, in Büchern geschrieben; und ich habe die, wie ich glaube, begründete Überzeugung, daß in der Art, wie es durch die Fragesteller hier, durch einzelne Fragesteller wenigstens, verlangt wird, daß Anthroposophie für den einzelnen Menschen ein Wissen sei - , daß ein solches Wissen, ein solches Verständnis für die meisten, für sehr viele wenigstens, ja für die Majorität derjenigen, die sich heute für Anthroposophie ganz intensiv interessieren, noch nicht vorhanden ist. Es gibt heute sehr viele Menschen, die eben auf das hin, was sie gehört haben, auf Treu und Glauben hin die Anthroposophie annehmen. Aber warum tun sie denn das? Warum sind gerade solche Menschen in großer Anzahl da, die auf Treu und Glauben die Anthroposophie aufnehmen? Sehen Sie, unter denen sind die meisten in einer ganz bestimmten Richtung angelegte religiöse Naturen, und ohne daß sie eigentlich Anspruch darauf machen, die Dinge gleich bis in den Grund hinein zu verstehen, folgen sie der Anthroposophie, weil sie einen gewissen religiösen Duktus in der ganzen Führung, möchte ich sagen, der anthroposophischen Angelegenheiten verspüren. Es ist gerade eine Art religiöses Gefühl, ein religiöses Empfinden, was heute zahlreiche von den Menschen zur Anthroposophie bringt, die nicht in der Lage sind, die Anthroposophie so zu durchschauen, wie der Botaniker die Botanik durchschaut; und das wird ja eigentlich hier gefordert.“ (Lit.:GA 343a, S. 92f)

Rudolf Steiner wollte die Anthroposophie auch nicht als abgeschlossenes Lehrsystem verstanden wissen; um auf ihr beständig lebendig sich wandelndes, fern jeder Dogmatik stehendes Wesen hinzuweisen, hätte er ihr am liebsten jede Woche einen neuen Namen gegeben:

„Und so handelt es sich darum, daß Anthroposophie in dem Augenblicke, wo sie ins Leben eingreifen will, nur allgemein menschlich sein will, absehen will von jeder Dogmatik, wiederum das Leben selber ergreifen will, darstellen will [...] Und diesen Unterschied der anthroposophischen Bewegung gegenüber anderen Bewegungen, den müßte man sich bestreben, der Welt klar zu machen: ihr Umfassendes, ihr Unvoreingenommenes, ihr Vorurteilsloses, ihr Dogmenfreies: daß sie bloß eine Versuchsmethode des allgemein Menschlichen und der allgemeinen Welterscheinungen sein will [...]

Und so möchte man eigentlich, daß Anthroposophie jede Woche einen andern Namen haben könnte, damit sich die Leute gar nicht gewöhnen können an all das, was aus einer Namengebung folgt.“ (Lit.:GA 259, S. 173f)

Die Wahrheit, als freies Erzeugnis des Menschengeistes (Lit.: GA 3, S. 11f), muss im unermüdlichen individuellen Streben nach Wahrhaftigkeit immer wieder neu begründet werden:

„Es mag manches hier zusammengetragen sein über okkulte Dinge. In fünfzig Jahren wird man vielleicht diese oder jene Punkte genauer erforscht haben, wird dieses oder jenes anders sagen können. Und wenn kein Stein zurückbleiben würde von dem, was als Inhalt hier ausgeführt worden ist, daß aber das eine zurückbleibt, möchte ich: daß hier inauguriert und scharf eingehalten worden ist eine theosophisch-okkultistische Bewegung, die einzig und allein begründet sein will auf Wahrhaftigkeit und Wahrheit! Und wenn man selbst schon in fünfzig Jahren sagen wird: Alles muß korrigiert werden, was die da gesagt haben; aber wahr wollten sie sein und nichts passieren lassen als das, was wahr sein kann, - dann wäre auch mein Ideal erreicht. Wahrhaftigkeit und Wahrheit, daß sie bestehen können auch mit einer okkultistischen Bewegung, das sollte einmal, und wenn sich noch so viele Stürme dagegen erheben werden, mit unserer Bewegung in der Welt - ich will nicht stolz sein und sagen «gezeigt» -, sondern angestrebt werden!“ (Lit.:GA 133, S. 168)

So gelten auch bezüglich der Anthroposophie die gegen jegliche Dogmatik gerichteten Worte, die der Geisteslehrer Benedictus im 6. Bild des zweiten Mysteriendramas „Die Prüfung der Seele“ spricht:

Sie können sich dabei auf jene Worte stützen,
Die ich im Erdensein gesprochen.
Sie ahnen nicht, daß diese Worte
Sich lebend nur erzeugen können,
Wenn sie im rechten Sinne fortgebildet werden
Von jenen, welche meiner Arbeit Folger sind.

Wie bei jeder anderen Wissenschaft sind auch in der anthroposophischen Geisteswissenschaft Irrtümer möglich, die einer späteren Korrektur bedürfen; allerdings ist die Gefahr hier nicht so groß wie bei einer Forschung, die sich nur auf äußere Tatsachen stützt.

„Um einem möglichen Irrtum vorzubeugen, sei hier gleich gesagt, daß auch der geistigen Anschauung keine Unfehlbarkeit innewohnt. Auch diese Anschauung kann sich täuschen, kann ungenau, schief, verkehrt sehen. Von Irrtum frei ist auch auf diesem Felde kein Mensch; und stünde er noch so hoch. Deshalb soll man sich nicht daran stoßen, wenn Mitteilungen, die aus solchen geistigen Quellen stammen, nicht immer völlig übereinstimmen. Allein die Zuverlässigkeit der Beobachtung ist hier eine doch weit größere als in der äußerlichen Sinnenwelt.“ (Lit.:GA 11, S. 23)

Auch hat Rudolf Steiner wiederholt darauf hingewiesen, dass die Ergebnisse der Geistesforschung zwar nur durch die Geistesschau gefunden, sehr wohl aber mit gesundem Menschenverstand und sachgemäßer Tatsachenlogik verstanden und auch auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden können.

„Es ist nicht nötig, daß man dem Geistesforscher blind glaubt. Gewiß, zum Entdecken solcher Dinge, wie ich sie dargestellt habe in «Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit», gehört Geistesforschung. Wird das aber dargestellt, dann muß der Geistesforscher ganz offen zugestehen demjenigen, der dann die Tatsachen prüft, die der Geistesforscher aus dem, was er die höheren Wesenheiten nennt, erklären will, der die äußeren Tatsachen sieht, der alles sammeln kann, was ihm nur irgend zugänglich ist, er muß ihm zugestehen: Du kannst und darfst mir ordentlich auf die Finger klopfen, wenn du irgend etwas findest, was den äußeren Tatsachenfolgen widerspricht, die eintreten müssen, wenn meine Anschauung richtig wäre.“ (Lit.:GA 324, S. 132)

Erforscht können die übersinnlichen Tatsachen nur durch die übersinnliche Wahrnehmung werden; sind sie aber erforscht und werden sie von der Wissenschaft des Übersinnlichen mitgeteilt, so können sie eingesehen werden durch das gewöhnliche Denken, wenn dieses nur wirklich unbefangen sein will [...] Wenn nun jemand das betrachtet, was er gegenwärtig in bloßer sinnlicher Wahrnehmung vor sich hat, und dann dasjenige in sich aufnimmt, was die übersinnliche Erkenntnis darüber sagt, wie seit urferner Vergangenheit dieses Gegenwärtige sich entwickelt habe, so vermag er bei wahrhaft unbefangenem Denken sich zu sagen: Erstens ist es durchaus logisch, was diese Erkenntnis berichtet; zweitens kann ich einsehen, daß die Dinge so geworden sind, wie sie mir eben entgegentreten, wenn ich annehme, daß dies richtig sei, was durch die übersinnliche Forschung mitgeteilt wird. Mit dem «Logischen» ist natürlich in diesem Zusammenhange nicht gemeint, daß innerhalb irgendeiner Darstellung übersinnlicher Forschung nicht Irrtümer in logischer Beziehung enthalten sein könnten. Auch hier soll von dem «Logischen» nur so gesprochen werden, wie man im gewöhnlichen Leben der physischen Welt davon spricht. Wie da die logische Darstellung als Forderung gilt, trotzdem der einzelne Darsteller eines Tatsachengebietes logischen Irrtümern verfallen kann, so ist es auch in der übersinnlichen Forschung. Es kann sogar vorkommen, daß ein Forscher, der auf übersinnlichen Gebieten wahrzunehmen vermag, sich Irrtümern in der logischen Darstellung hingibt und daß einen solchen dann jemand verbessern kann, der gar nicht übersinnlich wahrnimmt, wohl aber die Fähigkeit eines gesunden Denkens hat.“ (Lit.:GA 13, S. 142f)

„Unrichtig ist es, wenn von dieser oder jener Seite immer wieder und wiederum gesagt wird: Ja, wie soll ich denn einsehen, daß das richtig ist, was der oder jener als Initiationswissenschaft vorbringt, wenn ich nicht selber in die geistige Welt hineinsehen kann. — Unrichtig ist es. Der gesunde Menschenverstand, der nicht irregeleitet ist durch irrtümliche natürliche oder soziale Ideen von heute, der kann von sich aus entscheiden, ob Wahrheitsduktus waltet in dem, was irgend jemand spricht. Irgend jemand spricht von geistigen Welten: man muß nur alles zusammen nehmen, die Art, wie gesprochen wird, der Ernst, in dem die Dinge aufgefaßt werden, die Logik, die entfaltet wird und so weiter, dann wird man sich ein Urteil darüber aneignen können, ob dasjenige, was als Kunde von der geistigen Welt gebracht wird, Scharlatanismus ist, oder ob es einen Fond hat. Dies kann jeder entscheiden, und bei niemandem ist ein Hindernis vorhanden, das fruchtbar zu machen im natürlichen und im sozialen Denken, was aus dem Quell des geistigen Lebens herausgeholt wird von jenen, die berechtigt sind, von dem Prinzip der Initiation zu sprechen.“ (Lit.:GA 194, S. 198f)

Die Archai als Impulsatoren der modernen Geisteswissenschaft

Bis etwa zum 4. Jahrhundert n. Chr. waren die Exusiai, die Geister der Form, die in der Genesis als Elohim bezeichnet werden, die Träger der kosmischen Intelligenz. Dann ging diese Aufgabe auf die Archai, die Geister der Persönlichkeit über. Dieser Übergabeprozess begann schon in vorchristlicher Zeit und vollendete sich erst im 14. Jahrhundert. Dadurch wurde auch der Zugang des Menschen zur Gedankenwelt ein anderer. Empfing man früher die Gedanken von außen wie die Sinneswahrnehmungen, so traten sie nun immer mehr im Inneren auf und kamen dadurch zunehmend in den Besitz der Persönlichkeit. (Lit.:GA 222, S. 46ff) Hemmend steht dem der Einfluss zurückgebliebener Geister der Form (Lit.:GA 222, S. 60ff), aber auch durch die sich immer weiter ausbreitende Maschinenwelt ahrimanische Geister der Finsternis gegenüber (Lit.:GA 186, S. 274ff).

Als neue Träger der kosmischen Intelligenz steigen die Archai sehr rasch selbst in die Rangordnung der Geister der Form auf. Das ist ein bedeutsamer Übergang, denn sie steigen dadurch zugleich von der dritten in die zweite Hierarchie auf und werden dadurch zu schöpferischen Wesenheiten. Als solche sind sie die Impulsatoren der anthroposophischen Geisteswissenschaft.

„Sie erinnern sich, wie ich in diesen Tagen ausgeführt habe, daß zum Allerwichtigsten, zum Allerwesentlichsten in der Erkenntnis der gegenwärtigen Zeit gehört, daß die Menschheit gewissermaßen vor einer neuen Offenbarung steht. Es ist diejenige Offenbarung, die geschehen soll, und in gewisser Beziehung auch schon geschieht, durch die Geister der Persönlichkeit, welche, wenn man sich so ausdrücken will, zu der Würde von Schöpfern aufsteigen, während wir als Schöpfer im Weltengange der Menschheit bisher nur haben ansprechen können diejenigen Geister, welche in der Bibel die Elohim genannt werden, die wir die Geister der Form nennen. Etwas Schöpferisches also wird auftauchen innerhalb desjenigen, was der Mensch beim Verfolgen der Außenwelt bemerken kann.“ (Lit.:GA 187, S. 164f)

„Wenn wir alles das, was wir da geisteswissenschaftlich betrachten können, ins Auge fassen, so können wir die Geister der Form eben schöpferische Geister nennen. Ihnen verdankt der Mensch vor allen Dingen sein Dasein, so wie er als Erdenmensch ist. Bis zu unserem Zeitalter aber waren die Geister der Persönlichkeit nicht schöpferische Geister. Sie waren Geister, welche verschiedene Angelegenheiten vom geistigen Reiche aus ordneten. Sie können ja nachlesen in meiner «Geheimwissenschaft» über die Tätigkeit dieser Geister der Persönlichkeit. Aber es beginnt die Zeit, wo sie zunächst wirklich einzugreifen haben in das Schöpferische der Menschheitsentwickelung. Später werden sie auch in das Schöpferische der anderen Reiche einzugreifen haben. Es findet ja Entwickelung statt im Hierarchischen. Die Geister der Persönlichkeit steigen zu einer schöpferischen Tätigkeit auf. Das weist überhaupt hin auf ein bedeutsames Geheimnis in der Menschheitsentwickelung. Wer nicht in oberflächlicher Naturbetrachtung, wie sie heute gang und gäbe ist, die Menschheitsentwickelung zu umfassen sucht, sondern wer sie mit geisteswissenschaftlichen Impulsen innerlich anschaut, der weiß, daß seit dem Beginne der jetzt oft von verschiedenen Gesichtspunkten besprochenen fünften nachatlantischen Zeit in dem Menschen etwas zu ersterben beginnt. Mit diesem Ersterben, ich möchte sagen, mit diesem Abgelähmtwerden von etwas in unserer Natur, mit dem hängt im Grunde unser ganzer Fortschritt auch im Seelischen und Geistigen zusammen.

Wir sind nicht mehr in demselben Sinne lebendige Menschenwesen, wenn ich es kraß ausdrücken will, wie es die Menschen vor Jahrhunderten oder gar vor Jahrtausenden waren. Die hatten stärkere Vitalität in sich, stärkere Kraft in sich, Kraft, die vom bloßen Leiblichen ausging. Der Mensch kennt ja das Sterben nur, wenn es in der radikalen Form des Auf hörens des Erdenlebens auftritt. Allein, Sie wissen aus den geisteswissenschaftlichen Betrachtungen, daß in uns fortwährend etwas stirbt. Und wenn nicht fortwährend etwas stürbe, so hätten wir kein Bewußtsein. Bewußtsein hängt zusammen gerade mit dem Ersterben von etwas in uns. Aber dieses Ersterben, dieser Prozeß des Ersterbens, der ist jetzt stärker, als er zum Beispiel im ersten christlichen Jahrhundert oder gar in den vorchristlichen Jahrhunderten war. Dasjenige, was im Menschen von den schöpferischen Geistern als Geistern der Form herrührte, das beginnt, wenn ich so sagen darf, stark zu sterben, und neues Schöpferisches muß der Menschennatur eingefügt werden, Schöpferisches, das zunächst vom Geistigen auszugehen hat. Es ist in der Tat so, daß dem Menschen, der sich nicht dagegen sträubt, von unserem Zeitalter ab schöpferische Kräfte aus dem Geiste heraus zufließen. Diese schöpferischen Kräfte sucht Geisteswissenschaft zu verstehen. Sie sucht das, was hereindringt aus Welten, die bisher nicht ihre Impulse in die Menschheitsentwickelung einfließen ließen, was als neues Geistiges in die Zeitentwickelung eintritt, denkend, schauend zu erfassen. Und das ist eigentlich, was im wirklich modernen Sinne orientierte Geisteswissenschaft ist. Also die tritt nicht auf wie irgendein anderes, sei es wissenschaftliches oder sonstiges Programm, sondern die tritt gewissermaßen auf, weil die Himmel neue Offenbarungen den Menschen zusenden, und weil diese neuen Offenbarungen verstanden werden sollen.

Wer nicht in diesem Sinne die Aufgabe der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft versteht, der versteht sie überhaupt nicht. Denn diese anthroposophisch orientierte Geisteswissenschaft würde schweigen, wenn sie nicht Neues, eben erst Hereinbrechendes, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, von den Himmeln der Menschheit sich Offenbarendes zu verkünden hätte.

Und was sich offenbart durch den Schleier der Erscheinungen, das ist der Ausdruck eines neuen schöpferischen Prinzips, das besorgt wird durch die Geister der Persönlichkeit. Damit hängt es zusammen, daß gerade dieses unser Zeitalter, von dem wir ja sagten, daß es begonnen habe mit dem fünfzehnten nachchristlichen Jahrhundert, als seine charakteristische Eigenschaft die Ausprägung der Impulse der Persönlichkeit hat. Die Persönlichkeit will sich, wenn ich den trivialen Ausdruck gebrauchen darf, auf die eigenen Füße stellen, und wird das immer mehr und mehr wollen in das dritte Jahrtausend hinein. Dann werden andere Impulse nach Vollendung der Persönlichkeit auftreten.“ (Lit.:GA 186, S. 272f)

Diese Wirkung der zu schöpferischen Wesenheiten aufgestiegenen Archai offenbart sich schon in dem reinen Denken, das aus der allen Menschen gemeinsamen Ideenwelt schöpft, wie es Rudolf Steiner bereits in seiner «Philosophie der Freiheit» beschrieben hat. Dort heißt es:

„Jeder Mensch umspannt mit seinem Denken nur einen Teil der gesamten Ideenwelt, und insofern unterscheiden sich die Individuen auch durch den tatsächlichen Inhalt ihres Denkens. Aber diese Inhalte sind in einem in sich geschlossenen Ganzen, das die Denkinhalte aller Menschen umfaßt. Das gemeinsame Urwesen, das alle Menschen durchdringt, ergreift somit der Mensch in seinem Denken. Das mit dem Gedankeninhalt erfüllte Leben in der Wirklichkeit ist zugleich das Leben in Gott.“ (Lit.:GA 4, S. 250)

Dass „das gemeinsame Urwesen, das alle Menschen durchdringt“ tatsächlich auf die Archai hinweist, erhellt sich aus Rudolf Steiners Antwort auf eine diesbezügliche Frage von Walter Johannes Stein:

„Da durfte ich an Rudolf Steiner einmal die Frage richten nach diesem Wesen, und er gab mir die Antwort: «Das ist eine Art Gruppenseele der Menschheit, das ist der älteste der Archai, der eben auf dem Wege ist, ein Geist der Form zu werden.»“ (Lit.: Thomas Meyer (Hg.): Walter Johannes Stein - Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens, S. 284)

Wie kann man Zugang zur Anthroposophie finden?

„Es gibt heute viele Weltanschauungen, und ihre Vertreter treten unter die Menschen hin, um zu lehren eine bestimmte Wahrheit, und meinen, die Menschen müssten unter allen Umständen diese Wahrheit aufnehmen. Der Theosoph will nicht sein ein dogmatischer Lehrer; er will sein ein Erzähler von den Tatsachen der geistigen Welten. Ein bedeutender Franzose hat einmal gegenüber den Tatsachen der sinnlichen Welt das Wort geprägt: «Ich lehre nicht, ich erzähle.»[5] Es handelt sich durchaus darum, dass zur Theosophie gerade die herankommen, die durch ihre Gesinnung schon hingewiesen sind auf die Tatsachen, die ihr zugrunde liegen, welche durch ihre ganze Empfindungsweise schon genügend auf sie hingewiesen sind, auf das, was der Mitteiler zu sagen hat.

Unter den Menschen gibt es solche, die vielleicht hineinschauen können in die geistigen Welten. Das sind sehr wenige. Zweitens gibt es solche, die aus wissenschaftlichen Gründen die Logik der geistigen Welten anerkennen. Deren gibt es auch nur wenige, da die Wissenschaft heute noch eine Unsumme von Vorurteilen hat. Viele gibt es aber, die aus einem gewissen Wahrheitsgefühl, aus der Ahnung ihrer Seele heraus zur Theosophie hinkommen. Mancher Wissenschaftler wird noch mit einem gewissen Lächeln an die Theosophie herankommen; er bedenkt aber nicht, dass die menschliche Seele nicht auf Unwahrheit, sondern auf Wahrheit angelegt ist. Wenn die menschliche Seele nicht durch Vorurteile befangen ist, so findet sie den geraden Weg, da sie zur Wahrheit angelegt ist. Jeder muss zur Theosophie freiwillig hinkommen. Jeder, in dem irgendeiner der drei angeführten Gründe wirksam ist, der kommt zur Theosophie.“ (Lit.:GA 68d, S. 251)

Selbstständiges Weiterdenken der Anthroposophie

Rudolf Steiner hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, das die unverzichtbare Grundlage der Anthroposophie ist. Diese kann sich aber selbstverständlich nicht darin erschöpfen, dieses Werk beständig zu zitieren und zu rezitieren. Fruchtbar wird die Anthroposophie nur dort, wo sie selbstständig weitergedacht wird. Darauf hat Rudolf Steiner nachdrücklich hingewiesen. Die Basis dazu können insbesondere die grundlegenden Schriften Rudolf Steiners bilden, insbesondere die «Theosophie», die «Die Geheimwissenschaft im Umriss» und «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und auch die vier Mysteriendramen, die sehr konkret dazu einladen, im aktiven Mitvollzug selbstständig weiter verarbeitet zu werden.

„Ja, das Idealste wäre, wenn das Studium eines solchen Buches, wie die «Theosophie» es ist, so eifrig betrieben würde, daß gar mancher Leser selber aus solchen Andeutungen, wie sie dort gegeben sind, auf so etwas kommen würde, wie es jetzt auseinandergesetzt worden ist. Es liegt vieles in diesen Büchern drin, und man könnte schon durchaus nur durch eigenes Lesen darauf kommen, wenn man mit dem Herzen, mit dem ganzen inneren seelischen Erleben liest. Aber Bücher, die auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft geschrieben sind, die werden in der Regel ja nicht mit der für sie nötigen Aufmerksamkeit gelesen. Das werden sie wirklich nicht, denn sonst hätten, nachdem «Theosophie» und «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und vielleicht auch noch die «Geheimwissenschaft im Umriß» geschrieben worden sind, alle Zyklen von irgend jemand anderem geschrieben oder gehalten werden können als von mir selber. Es steht im Grunde genommen alles in diesen Büchern drin, man glaubt es nur gewöhnlich nicht. Und wie vieles könnte erst geschrieben werden, wenn alles herausgeholt würde, was in den vier Mysteriendramen enthalten ist! Ich sage das nicht, um zu renommieren - ich habe schon genugsam über die Demut des Okkultisten, des Geistesforschers gesprochen - , ich sage es, um anzueifern zum wirklichen Lesen dieser Schriften, die gerade in unserer Zeit gegeben werden mußten, und an denen man persönlich eigentlich so wenig wie nur möglich Verdienst hat.“ (Lit.:GA 156, S. 77)

Essentiell ist das selbstständige Weiterdenken der Anthroposophie:

„Nun liegen die Sachen doch so, daß mit Bezug auf das Weltan­schauungsleben man immer sagen muß: Wer in irgendeinem Zeit­punkte in der Menschheitsentwickelung drinnensteht, der kommt zu gewissen Anschauungen. Gewisse Perspektiven dieser Anschauungen sieht er dann nicht; diese sehen dann die Späteren. Man möchte sagen:

Den Späteren ist es immer aufbewahrt, gründlicher, wahrer irgend etwas zu sehen, als derjenige sehen kann, der gewisse Dinge aus­sprechen muß in einem gewissen Zeitpunkte der Menschheitsent­wickelung. - Und über diese Tatsache kommt man nicht hinweg. Und gut ist es, wenn insbesondere auf unserem anthroposophischen Standpunkte das der Fall ist, was ich öfter schon erwähnt habe, wenn auf unserem anthroposophischen Standpunkte bewußt und gründlich erkannt wird: Auch dasjenige Wissen, das man in der Gegenwart, und sei es auch ein noch so ausgeprägtes, über spirituelle Dinge erwerben kann, es darf nicht aufgefaßt werden wie eine Summe von absoluten Dogmen. Man muß sich klar sein darüber, daß Spätere in kommenden Zeiten auftreten werden, die gerade an dem, was wir heute vorzubringen in der Lage sind, Wahreres sehen werden, als wir selbst sehen können. Darauf beruht eigentlich die geistige Ent­wickelung der Menschheit.“ (Lit.: GA 184, S. 12f)

Anthroposophie und Lebenspraxis

Die anthroposophische Geisteswissenschaft wurde von Rudolf Steiner nicht als theoretisches Lehrgebäude konzipiert, sondern zielt darauf ab, in der unmittelbaren Lebenspraxis fruchtbar zu werden. Steiner hat dazu folgende Devise formuliert:

„Eine Devise muß aus geisteswissenschaftlicher Gesinnung die Menschen ergreifen, sonst wird kein Fortschritt in unserer heillosen Zeit möglich sein. Und diese Devise muß sein:

Suchet das wirklich praktische materielle Leben,
Aber suchet es so, daß es euch nicht betäubt
   über den Geist, der in ihm wirksam ist.
Suchet den Geist,
Aber suchet ihn nicht in übersinnlicher Wollust,
   aus übersinnlichem Egoismus,
Sondern suchet ihn,
Weil ihr ihn selbstlos im praktischen Leben,
   in der materiellen Welt anwenden wollt.

Wendet an den alten Grundsatz:
«Geist ist niemals ohne Materie, Materie niemals
   ohne Geist» in der Art, daß ihr sagt:
Wir wollen alles Materielle im Lichte des Geistes tun,
Und wir wollen das Licht des Geistes so suchen,
Daß es uns Wärme entwickele für unser praktisches Tun.

Der Geist, der von uns in die Materie geführt wird,
Die Materie, die von uns bearbeitet wird bis zu ihrer Offenbarung,
Durch die sie den Geist aus sich selber heraustreibt;
Die Materie, die von uns den Geist offenbart erhält,
Der Geist, der von uns an die Materie herangetrieben wird,
Die bilden dasjenige lebendige Sein,
Welches die Menschheit zum wirklichen Fortschritt bringen kann,
Zu demjenigen Fortschritt, der von den Besten
   in den tiefsten Untergründen der
   Gegenwartsseelen nur ersehnt werden kann.

“ (Lit.:GA 297, S. 116f)

Tatsächlich hat sich die Anthroposophie in vielen Lebensbereichen als fruchtbar erwiesen (→ Bereiche).

Entwicklung und Bedeutung des Begriffes Anthroposophie

Arbatel

Der Begriff, auf den das Wort „Anthroposophie“ hindeutet, wurde nicht von Rudolf Steiner geprägt, sondern kann bis in die frühe Neuzeit zurück verfolgt werden. Schon in einem anonymen Buch mit dem Titel Arbatel de magia veterum, summum sapientiae studium (1575), das dem Esoteriker und Neuplatoniker Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim zugeschrieben wird, wird die Anthroposophie (Anthroposophiam, Menschliche Weisheit) ebenso wie die Theosophie der „Wissenschaft des Guten“ zugerechnet und mit „Kenntnis der Natur und der natürlichen Dinge“ bzw. „Klugheit in menschlichen Angelegenheiten“ übersetzt.

1650 veröffentlichte der walisische Poet und Alchemist Thomas Vaughn (1622–1666) unter dem Pseudonym „Eugenius Philalethes“ das mystisch-magische Werk «Anthroposophia Theomagica Or a Discourse of the Nature of Man and His State After Death»[6][7].

Anfang des 19. Jahrhunderts übernahm der Schweizer Arzt und Philosoph I.P.V. Troxler (1780-1866) den Begriff „Anthroposophie“ und ordnete ihn der Biosophie zu (Elemente der Biosophie, 1806). Im Sinne der Vorläufer der Lebensphilosophie, vor allem des Naturphilosophen Schelling, bei dem Troxler studiert hatte, sollte Biosophie „Naturerkenntnis durch Selbsterkenntnis“ bedeuten. Die Erkenntnis der menschlichen Natur nannte Troxler Anthroposophie. Die Philosophie – und alle Philosophie sei Naturerkenntnis – muss ihm zufolge zur Anthroposophie werden. Diese wird als eine „objektivierte Anthropologie“ vorgestellt, die vom „ursprünglichen Menschen“ ausgehen soll. In der menschlichen Natur vereinen sich demzufolge in einem mystischen Vorgang Gott und Welt.

Auch Immanuel Hermann Fichte verwendete den Begriff 1856 in „Anthropologie – Die Lehre der menschlichen Seele“ und bezeichnete damit eine „gründliche Selbsterkenntniss des Menschen“, die „nur in der erschöpfenden Anerkenntnis des Geistes“ liege. Wahrhaft gründlich oder ergründend könne sich der „Menschengeist“ aber nicht erkennen, ohne damit der „Gegenwart oder Bewährung des göttlichen Geistes an ihm inne zu werden“.

Der Religionsphilosoph Gideon Spicker (1872-1920), der eine „Religion in philosophischer Form auf naturwissenschaftlicher Grundlage“ anstrebte und den Konflikt zwischen Glauben und Wissen, zwischen Religion und Naturwissenschaft als das Grundproblem seines Lebens und Denkens ansah, formulierte das Programm der Anthroposophie, ebenfalls im Sinne „höchster Selbsterkenntnis“: „Handelt es sich aber in der Wissenschaft um die Erkenntnis der Dinge, in der Philosophie dagegen in letzter Instanz um die Erkenntnis dieser Erkenntnis, so ist das eigentliche Studium des Menschen der Mensch selbst, und der Philosophie höchstes Ziel ist Selbsterkenntnis oder Anthroposophie.“ (Die Philosophie des Grafen von Shaftesbury, 1872). Spickers Ideal umfasste in der Religion die Einheit von Gott und Welt als selbstverantwortete Erkenntnis unter Anwendung von Vernunft und Erfahrung.

Der österreichische Philosoph und Herbartianer Robert Zimmermann (1824-98), Schöpfer der „Philosophischen Propädeutik“, wählte die Bezeichnung „Anthroposophie“ 1882 als Titel einer Programmschrift, die ein System idealer Weltsicht auf realistischer Grundlage zu beschreiben suchte („Anthroposophie im Umriß. Entwurf eines Systems idealer Weltsicht auf realistischer Grundlage“, 1882). Zimmermann, bei dem Steiner Philosophie-Vorlesungen hörte, wollte in seinem System über die „Schranken und Widersprüche, die der gemeine Erfahrungsstandpunkt in sich trägt“, hinausgehen und eine „Philosophie des Menschenwissens“ errichten, die als Wissenschaft von der Erfahrung ausgeht, aber, wo es das logische Denken erfordert, über sie hinausreicht.

Steiner wählte bereits 1902 den Begriff Anthroposophie für den Titel von Vorträgen in Berlin.[8] In einem auf den 16. September 1902 datierten Brief an Wilhelm von Hübbe-Schleiden schreibt er:

"Außerdem werde ich noch irgendwo einen fortlaufenden Kursus halten: «Anthroposophie oder die Verbindung von Moral, Religion und Wissenschaft» Im Bruno-Bund hoffe ich ebenfalls einen Vortrag zu halten über «Brunos Monismus und die Anthroposophie»[9]. Das ist nur so vorläufig Projektiertes." (Lit.: GA 169, S. 80f)

1916 beschrieb Steiner die Anregung durch Zimmermann:

„Als es sich vor einer Anzahl von Jahren darum handelte, unserer Sache einen Namen zu geben, da verfiel ich auf einen solchen, der mir lieb geworden war, deshalb, weil ein Philosophie-Professor, dessen Vorträge ich in meiner Jugendzeit gehört habe, Robert Zimmermann, sein Hauptwerk 'Anthroposophie' genannt hat. Das war in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts. Übrigens führt der Name Anthroposophie weiter zurück in der Literatur. Man brauchte ihn auch schon im 18. Jahrhundert; ja auch früher. Der Name ist also alt; wir wenden ihn für Neues an. Uns soll der Name nicht bedeuten «Wissen vom Menschen». Das ist die ausdrückliehe Absicht derjenigen, die den Namen gegeben haben. Unsere Wissenschaft selbst führt uns zu der Überzeugung, daß innerhalb des Sinnesmenschen ein Geistesmensch lebt, ein innerer Mensch, gewissermaßen ein zweiter Mensch. Während nun dasjenige, was der Mensch durch seine Sinne und durch den an die Sinnesbeobachtung sich haltenden Verstand über die Welt wissen kann, «Anthropologie» genannt werden kann, soll dasjenige, was der innere Mensch, der Geistesmensch wissen kann, «Anthroposophie» genannt werden.

Anthroposophie ist also das Wissen des Geistesmenschen; und es erstreckt sich dieses Wissen nicht bloß über den Menschen, sondern es ist ein Wissen von allem, was in der geistigen Welt der Geistesmensch so wahrnehmen kann, wie der Sinnesmensch in der Welt das Sinnliche wahrnimmt. Weil dieser andere Mensch, dieser innere Mensch, der Geistesmensch ist, so kann man dasjenige, was er als Wissen erlangt, auch «Geisteswissenschaft» nennen. Und der Name Geisteswissenschaft ist noch weniger neu als der Name Anthroposophie.“ (Lit.: GA 35, S. 176f)

"Im Grunde genommen soll ja Anthroposophie nichts anderes sein als jene Sophia, das heißt jener Bewußtseinsinhalt, jenes innerlich Erlebte in der menschlichen Seelenverfassung, die den Menschen zum vollen Menschen macht. Nicht «Weisheit vom Menschen» ist die richtige Interpretation des Wortes Anthroposophie, sondern «Bewußtsein seines Menschentums»; das heißt, hinzielen sollen Willensumwendung, Erkenntniserfahrung, Miterleben des Zeitenschicksals dahin, der Seele eine Bewußtseinsrichtung, eine Sophia zu geben." (Lit.: GA 257, S. 76)

„Eng hängt gewissermaßen zusammen die Rettung, das Verständnis des Ereignisses von Golgatha mit der anthroposophischen Vertiefung der Menschheit, mit einer neuerlichen wirklichen Erkenntnis des Wesens des Menschen. Deshalb der Name Anthroposophie, das heißt: Weisheit, die entspringt, wenn der Mensch sich in seinem höheren Selbst findet. Man kann eigentlich keinen prägnanteren Namen finden als «Anthroposophie», wenn man dasjenige Wissen bezeichnen will, welches nicht vom Menschen handelt wie die gewöhnliche Geschichte, wie die Anthropologie oder ähnliches.“ (Lit.:GA 198, S. 244)

Anthropologie, Theosophie und Anthroposophie

Während die Anthropologie den sinnenfälligen Menschen durch vorwiegend naturwissenschaftliche Methoden zu erkennen strebt, richtet die Theosophie ihren Blick auf den nur übersinnlich erfahrbaren, rein geistigen Menschen. Anthroposophie versucht die Kluft zu überbrücken, die sich zwischen diesen beiden gegensätzlichen Betrachtungsweisen auftut.

"Der erste Gesichtspunkt, der in solcher Beziehung in Betracht kommt, ist derjenige der Anthropologie. Diese Wissenschaft sammelt, was sich der sinnenfälligen Beobachtung über den Menschen ergibt und sucht aus den Ergebnissen ihrer Beobachtung Aufschlüsse über dessen Wesen zu erhalten [...]

Die Anthropologie hält sich gegenwärtig in der Regel innerhalb der Grenzen, die man heute als diejenigen der naturwissenschaftlichen Methoden ansieht. Ein gewaltiges Tatsachenmaterial ist durch sie zusammengetragen worden. Trotz der verschiedenen Vorstellungsarten, in welchen dieses Material zusammengefaßt wird, liegt in demselben etwas vor, das in der segensreichsten Art auf die Erkenntnis der menschlichen Wesenheit wirken kann. Und fortwährend mehrt sich dieses Material. Es entspricht den Anschauungen der Gegenwart, große Hoffnungen auf dasjenige zu setzen, was von dieser Seite an Aufhellung der Menschenrätsel gewonnen werden kann. Und es ist ganz selbstverständlich, daß viele den Gesichtspunkt der Anthropologie für ebenso sicher halten, wie sie den nächsten, der hier zu charakterisieren ist, für einen zweifelhaften ansehen müssen.

Dieser andere Gesichtspunkt ist derjenige der Theosophie [...] Theosophie geht davon aus, daß der Mensch vor allem ein geistiges Wesen ist. Und sie sucht ihn als solches zu erkennen. Sie hat im Auge, daß die menschliche Seele nicht nur wie in einem Spiegel die sinnenfälligen Dinge und Vorgänge zeigt und diese verarbeitet, sondern daß sie ein eigenes Leben zu führen vermag, welches seine Anregungen und seinen Inhalt von einer Seite her erhält, die man geistig nennen kann. Sie beruft sich darauf, daß der Mensch in ein geistiges Gebiet eindringen kann, wie er in ein sinnenfälliges dringt. In dem letzteren erweitert sich die Erkenntnis des Menschen dadurch, daß er seine Sinne auf immer mehr Dinge und Vorgänge richtet, und auf Grund dieser sich seine Vorstellungen bildet [...]

Das unmittelbare Erleben der geistigen Erkenntnisse erfordert komplizierte Seelenwege und Seelenverrichtungen; der Besitz solcher Erkenntnisse ist für jede Seele notwendig, welche ein volles Bewußtsein ihrer Menschlichkeit haben will. Und ohne ein solches Bewußtsein ist ein menschliches Leben von einem bestimmten Punkte des Daseins an nicht mehr möglich.

Wenn nun auch die Theosophie Erkenntnisse zu liefern vermag, welche den wichtigsten Bedürfnissen der Menschenseele Befriedigung gewähren, und welche durch den natürlichen Wahrheitssinn und durch die gesunde Logik anerkannt werden können: so wird doch immer eine gewisse Kluft bleiben zwischen ihr und der Anthropologie. Es wird zwar immer folgendes möglich sein. Man wird die Ergebnisse der Theosophie über die geistige Wesenheit des Menschen aufzeigen können und dann in der Lage sein, darauf hinzuweisen, wie die Anthropologie alles bestätigt, was die Theosophie sagt. Doch wird von dem einen zu dem anderen Erkenntnisgebiete ein weiter Weg sein.

Es ist aber möglich, die Kluft auszufüllen. In einer gewissen Beziehung soll dies hier durch die Skizzierung einer Anthroposophie geschehen. Wenn Anthropologie sich vergleichen läßt mit den Beobachtungen eines Wanderers, welcher in der Ebene von Ort zu Ort, von Haus zu Haus geht, um eine Vorstellung von dem Wesen eines Landstriches zu gewinnen; wenn Theosophie dem Überblick gleicht, den man von dem Gipfel einer Anhöhe über denselben Landstrich gewinnt: so soll Anthroposophie verglichen werden dem Anblick, den man haben kann von dem Abhänge der Anhöhe, wo das Einzelne noch vor Augen steht, doch sich aber das Mannigfaltige schon zu einem Ganzen zusammenzuschließen beginnt. Anthroposophie wird den Menschen betrachten, wie er sich vor die physische Beobachtung hinstellt. Doch wird sie die Beobachtung so pflegen, daß aus der physischen Tatsache der Hinweis auf einen geistigen Hintergrund gesucht wird. So kann Anthroposophie aus der Anthropologie in die Theosophie hinüberleiten [...]

An sie muß sich dann reihen eine Psychosophie, welche das Seelische betrachtet, und eine Pneumatosophie, die sich mit dem Geist beschäftigt. Damit mündet dann Anthroposophie in die Theosophie selbst ein." (Lit.: GA 45, S. 14ff)

Die Geschichte der Anthroposophie

Zu Lebzeiten Rudolf Steiners

Rudolf Steiner

Steiner selbst beschrieb in seiner Autobiographie einen "tiefgehenden Umschwung" in seinem seelischen Erleben in den Jahren vor der Jahrhundertwende und bezeichnete diese als eine "Prüfungszeit" mit "harten Seelenkämpfen", die insbesondere sein Verhältnis zum Christentum betrafen. (Lit.:GA 28, S. 365)

Im Herbst 1900 wurde der Philosoph und Nietzsche-Forscher Rudolf Steiner gebeten, in der Theosophischen Bibliothek des Grafen von Brockdorff in Berlin einen Vortrag über Friedrich Nietzsche zu halten. Dieser Vortrag fand so großen Anklang, dass man Steiner kurz darauf für ein halbes Jahr engagierte, in wöchentlichen Vorträgen über christliche Mystik zu sprechen. Es folgte ein weiterer Vortragszyklus, und im Dezember 1901 forderten Brockdorff und seine Gattin Steiner auf, die Leitung der theosophischen Arbeit in Deutschland zu übernehmen, die bisher sie innehatten. Offiziell geschah das dann im Oktober 1902 bei der Gründung der deutschen Sektion der Theosophischen Gesellschaft (Adyar-TG).

„Infolge dieser Voträge wurde ich aufgefordert, in die "theosophische Gesellschaft" einzutreten. Ich kam dieser Aufforderung nach in der Absicht, niemals etwas anderes zu vertreten als den Inhalt dessen, was sich mir als anthroposophische Weltanschauung ergeben hatte. Meine Ansicht war stets, dass ich vor allen Menschen vortragen solle, die mich hören wollen, gleichgültig wie der Parteiname lautet, unter dem sie sich zu irgendeiner Gruppe zusammengeschlossen haben, oder ob sie ohne alle solche Voraussetzung zu meinen Vorträgen kamen.“ (Lit.:GA 259, S. 83)

Steiners Tätigkeit innerhalb der Theosophischen Gesellschaft, bestand vor allem im Halten von Vorträgen, in der Herausgabe einer eigenen theosophischen Zeitschrift (Luzifer, später Lucifer-Gnosis) und im Verfassen von Büchern. Die organisatorische Arbeit übernahm Marie von Sivers, die spätere zweite Ehefrau Steiners. Neben den Vorträgen für Mitglieder der TG, hielt Steiner auch zahlreiche öffentliche Vorträge. Darin nahm er unter anderem Bezug auf das mitteleuropäische (deutschsprachige) Geistesleben. Unter Steiners Leitung wuchs die Zahl der Mitglieder der TG in Deutschland rapide: Zählte man bei der ersten Generalversammlung 1903 nur 130 Mitglieder, waren es 1912 bereits 2489.[10] Zu diesem Zeitpunkt war die TG in 54 deutschen Städten durch einen „Zweig“ vertreten.

Aufgrund zunehmender Differenzen mit der Präsidentin der internationalen Theosophischen Gesellschaft, Annie Besant, die vor allem die Stilisierung des jungen Jiddu Krishnamurti zu einer Art Messias durch Besant und Charles W. Leadbeater betrafen, kam es im Frühjahr 1913 zum Bruch mit der Theosophischen Gesellschaft. Bereits Ende 1912 war in Köln die Anthroposophische Gesellschaft gegründet worden, der sich nun die meisten in Deutschland lebenden Theosophen anschlossen und die bald auch in anderen Ländern präsent war.

Im Herbst 1913 begannen in Dornach bei Basel (Schweiz) die Arbeiten am ersten Goetheanum, das als Veranstaltungsstätte und Zentrum der Gesellschaft dienen sollte, nachdem für ein ursprünglich in München geplantes Gebäude mehrfach die Baugenehmigung versagt worden war. Parallel dazu kam es zu vielfältigen Aktivitäten im sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich. So gründete Emil Molt, Generaldirektor der Zigarettenfabrik Waldorf-Astoria, 1919 in Stuttgart für die Kinder seiner Arbeiter und Angestellten die erste Waldorfschule, deren Leitung Steiner selbst übernahm. 1921 wurde die Pharmafirma Weleda AG gegründet, die anthroposophische und homöopathische Arzneimittel herstellt und vertreibt. 1922 gründete eine Gruppe überwiegender Theologiestudenten, durch Rudolf Steiners private Hilfe (außerhalb der anthroposophischen Bewegung) die Christengemeinschaft, eine Bewegung für religiöse Erneuerung, welche die Anthroposophie anerkennt.

Gleichzeitig formierten sich Gegner. In der Silvesternacht 1922/23 brannte das aus Holz errichtete erste Goetheanum bis auf seine Grundmauern nieder, vermutlich von Unbekannten in Brand gesetzt. Daraufhin entwarf Steiner ein zweites, größeres Goetheanum aus Beton, das erst 1928 fertiggestellt wurde. Parallel bemühte er sich um eine Reorganisation der Anthroposophischen Gesellschaft, an deren Leitung er bis dahin nicht beteiligt war. Als diese Bemühungen nicht den gewünschten Erfolg brachten, gründete er zu Weihnachten 1923 in Dornach ohne Bezug zur bisher bestehenden Anthroposophischen Gesellschaft die Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft, deren Vorsitz er nun selber übernahm. Zugleich gründete er die schon lange geplante Freie Hochschule für Geisteswissenschaft und übernahm als vorläufig einziger Dozent auch deren Leitung. Bereits während der Gründungsfeierlichkeiten erlitt Steiner jedoch eine, vermutlich durch einen Giftanschlag[11] hervorgerufene, Erkrankung, von der er sich nicht mehr erholen sollte. So kam von den drei geplanten „Klassen“ der Hochschule nur die erste, elementare zustande. Im Verlauf des Jahres 1924 musste Steiner seine Vortragstätigkeit zunehmend einschränken. Seinen letzten Vortrag am 28. September 1924 musste er nach kurzer Zeit abbrechen. Bis zwei Tage vor seinem Tod am 30. März 1925 arbeitete er im Krankenbett noch an diversen Publikationen, zuletzt an einem gemeinsam mit seiner behandelnden Ärztin Ita Wegman verfassten Buch zur Begründung der Anthroposophischen Medizin.

Die Krise nach Steiners Tod

Für den Fall seines Ablebens, hatte Rudolf Steiner in Bezug auf die Anthroposophische Gesellschaft und die Hochschule keinen Nachfolger ernannt[12]. Der fünfköpfige Vorstand der Gesellschaft, den Steiner erst gut ein Jahr zuvor berufen hatte, war daraufhin ratlos und zerstritt sich bald[13]. Insbesondere konnte keine Einigkeit darüber erzielt werden, ob man Steiners Initiativen fortsetzen oder realistischerweise nur noch das Vorhandene verwalten könne. Ende 1925 wurde Albert Steffen als Vorsitzender einer Anthroposophischen Gesellschaft gewählt, die 1925 aus dem Bauverein des Goetheanum hervorgegangen war. Zu diesem Zeitpunkt, bestand dadurch bereits die von Rudolf Steiner begründete Anthroposophische Gesellschaft nicht mehr. Auf Initiative namentlich von Ita Wegman beschloss man bald darauf gegen die Vorkehrungen Rudolf Steiners, die Hochschule formal weiter bestehen zu lassen. Der Dornacher Vorstand verlor jedoch zunehmend an Bedeutung, und in mehreren Ländern spalteten sich neue Gruppierungen von der Anthroposophischen Gesellschaft ab, teils unter Beteiligung einzelner Vorstandsmitglieder. 1935 beschloss deshalb die Generalversammlung auf Betreiben Albert Steffens, die daran beteiligten Personen, darunter die Vorstandsmitglieder Ita Wegman und Elisabeth Vreede und andere führende Anthroposophen in Deutschland, Holland und England, aus der Gesellschaft auszuschließen.

Parallel zu diesem Zerfall der Anthroposophischen Gesellschaft entwickelten sich jedoch einige der von Steiner angeregten Kulturimpulse weiter, so die Waldorfbewegung durch Gründung neuer Schulen und die künstlerischen Initiativen Steiners, die unter der Leitung Marie Steiners fortgeführt wurden.

Während des Nationalsozialismus

Es war die Behauptung aufgestellt worden, die Anthroposophen hätten ihre "Anhänger tief in die national-sozialistischen Kreise geschoben".[14] Die Nationalsozialisten blieben bei ihrer Ablehnung der Anthroposophie, auch wenn sie einige Übereinstimmungen konstatierten. Das geht jedenfalls aus einem Gutachten hervor, dass der Nazi-Pädagoge Alfred Baeumler im Auftrag des Amtes Rosenberg angefertigt hatte. In dem Gutachten hieß es: "In der Menschenkunde, die der Methode der Waldorfschulen zugrunde liegt, sind tiefe und richtige Einsichten enthalten, die Rudolf Steiner zum größten Teil seinem äußerst fruchtbaren Studium der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes verdankt. Die nationalsozialistische Menschenkunde kann nur von der Rasse her entworfen werden."[15]

Nach 1945

Nach dem Krieg wurden die im Dritten Reich verbotenen anthroposophischen Aktivitäten auch in Deutschland und Österreich bald wieder aufgenommen. Der Konflikt um die Rechte an Rudolf Steiners Werk spitzte sich jedoch weiter zu. Nach dem Tod Marie Steiners 1948 betrachtete sich der von ihr gegründete Nachlassverein (heute: Rudolf Steiner Verlag) als Alleininhaber dieser Rechte. Darüber kam es zu einem Rechtsstreit mit der Anthroposophischen Gesellschaft, der 1952 mit einem Sieg des Nachlassvereins endete. Die unterlegene Partei verbannte daraufhin alle Werke Rudolf Steiners aus der Buchhandlung im Goetheanum, woran bis 1968 festgehalten wurde. Die Rolle Dornachs als internationales Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde wieder vollständig hergestellt, indem die 1935 abgespaltenen Landesgesellschaften in Holland und England sich 1960 bzw. 1963 wieder anschlossen.

Die starke Expansion der Waldorfschulen (derzeit gibt es weltweit 1251 Rudolf-Steiner-Schulen in 70 Ländern und 1915 Waldorfkindergärten in 59 Ländern (Stand Mai 2021)[16]), der Anthroposophischen Medizin und der ebenfalls durch Rudolf Steiner angeregten biologisch-dynamischen Landwirtschaft (Demeter) verlief von diesen Schwierigkeiten weitgehend unberührt. 1960 wurde in Bochum auch eine Bank mit anthroposophischer Zielsetzung gegründet (GLS-Gemeinschaftsbank). 1969 entstand das anthroposophische Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke als erste Einrichtung dieser Art in Deutschland. Auch die 1983 gegründete Universität Witten/Herdecke, Deutschlands älteste Privatuniversität, hat überwiegend anthroposophische Gründer (Gerhard Kienle und Konrad Schily). Zur Zeit sind nach Aussagen der Anthroposophischen Gesellschaft weltweit über 10 000 anthroposophische Einrichtungen in 103 Ländern tätig.

Bezug der Anthroposophischen Bewegung zu politischen Strömungen

Die anthroposophische Gesellschaft war von Rudolf Steiner als nicht politisch tätige Institution begründet worden. So heißt es in den Statuen: "Die Gesellschaft lehnt jedes sektiererische Bestreben ab. Die Politik betrachtet sie nicht als in ihren Aufgaben liegend."[17] Einzelne Personen, wie auch die Anthroposophische Gesellschaft als Ganze hatten im Laufe der Zeit wechselnde Beziehungen unterschiedlicher Art und Intensität mit verschiedenen politischen Bewegungen. Vertreter der Anthroposophie werden traditionell eher dem links-liberalen Spektrum zugeordnet. [18] Menschen mit Bezug zur Anthroposophie waren beispielsweise in der Gründungszeit der Partei "Die Grünen" aktiv. [19] Einzelne Personen mit Bezug zur Anthroposophie standen aber in Bezug zu politisch rechten Ideologien und greifen auch gegenwärtig Motive des rechten Spektrums auf im Sinne einer "neuen Rechten", wie Jost Schieren in einem Artikel von 2022 schreibt. Er nennt als Beispiele hier Axel Burkart, Martin Barkhoff, Caroline Sommerfeld-Lethen und Thomas Meyer. [18]

Bereiche

Rudolf Steiner wurde aus vielen Lebensbereichen um Hilfe gebeten und so entstanden durch seinen Rat:

in der Pädagogik die Waldorfschulen
in der Medizin die Anthroposophisch erweiterte (Schul-)Medizin
in der Landwirtschaft    der Biologisch-dynamische Landbau  
in der Gesellschaft die Dreigliederung des sozialen Organismus

Als Zentrum der Anthroposophischen Gesellschaft wurde das Goetheanum in Dornach (Schweiz) erbaut.

Anthroposophische Medizin

Hauptartikel: Anthroposophische Medizin

In Zusammenarbeit mit der Ärztin Ita Wegman entwickelte Steiner medizinische und pharmazeutische Grundlagen für die Anthroposophische Medizin, die in Deutschland als „besondere Therapierichtung“ neben Homöopathie und Phytotherapie gesetzlich anerkannt und von den Krankenkassen teilweise erstattet wird. Die Bewegung befürwortet eine rationale, auf den individuellen Menschen hin orientierte Medizin unter Einbezug potenzierter Arzneimittel. Das medizinische Konzept anthroposophisch ausgerichteter Mediziner basiert u.a. auf entsprechend zubereiteten mineralischen, pflanzlichen und tierischen Heilmitteln. Diese können aufgrund einer „evolutionären Verwandtschaft“ mit dem Menschen therapeutisch verwendet werden.

Lehre (Auszug)

Die Wesensglieder des Menschen

Hauptartikel: Wesensglieder

Laut der anthroposophischen Lehre existiert der Mensch in vier ineinandergreifenden Ebenen, die auch als Wesensglieder bezeichnet werden:

Diese Verbindung mache den Menschen nach Steiners Lehre zu einem im Geiste wurzelnden Wesen. Die Menschheit als Ganzes bilde ein viertes Naturreich der Erde. Zum Tierreich gehöre nur die Summe der ersten drei genannten Leiber, denn Tiere verfügten über eine nicht selbstbewusste Körperseele. Das Pflanzenreich lebe im Physischen mit dem Lebensleib (Äther). Die Bestimmung der Wesensglieder sei damit jedoch nicht erschöpft. Prinzipiell gliedere sich das Wesen des Menschen in Leib, Seele, Geist. Zum leiblichen Wesen gehörten demnach die einfachen Leiber von Physis, Lebensleib und Astralleib. Das seelische Wesen gliedere sich in Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewusstseinsseele. Der Mensch schreite in seiner Entwicklung sowohl individuell wie auch als Gattungswesen in einem Vergeistigungsprozess von Leib und Seele fort. Dieser Prozess führe zu einer Differenzierung des Geistes.

Steiner beschreibt eine Dreigliederung des menschlichen geistigen Wesens in Geistselbst (auch Manas genannt), Lebensgeist (auch Buddhi genannt) und Geistesmensch (auch Atman genannt). Der Astralleib und die Empfindungsseele verbinde sich dabei zum empfindenden Seelenleib und die sog. Bewusstseinsseele verbinde sich mit dem Geistselbst zur geisterfüllten Bewusstseinsseele. Daraus ergebe sich eine Gliederung in 7 Teile des irdischen Menschen:

Im Schlaf erhalte der Ätherleib den physischen Leib und regeneriere so die Körperorgane. Nach dem Tod löse sich der Ätherleib innerhalb weniger Tage auf. Er bilde währenddessen die Basis für die Lebensrückschau der Seele, mit deren Essenz sie die nachtodliche Seelenwelt betritt und anschließend das Geisterland bis zu einer Wiederverkörperung des Geistes in der physischen Welt bewohnt. Diese zyklische Reinkarnation sei durch das individuelle Schicksal notwendig und vom Leben des Menschen bestimmt (siehe auch Karma und Reinkarnation).

Reinkarnation

Hauptartikel: Reinkarnation

Die Lehre der Wiedergeburt des menschlichen Geistes. Die zyklische Wiedergeburt des Geistes um vergangenes Karma (in vergangenen Leben gelegte Ursachen) abzuarbeiten und um sich evolutionsmäßig weiter zu entwickeln.

Karma

Hauptartikel: Karma

Die Lehre von "Ursache und Wirkung" und die Zwillingslehre der "Reinkarnation". Jede Handlung ruft eine ihr entsprechende Wirkung hervor. Diese kommt auf ihren Ausgangspunkt, der verursachenden Person zurück. In der Regel wird dies als "negativ" oder "positiv" erfahren, ist aber letztlich nur die in der ursprünglichen Handlung liegende Charakteristik, die vom Menschen entsprechend empfunden wird. Da alles in der Natur miteinander verbunden ist und gegenseitig ineinandergreift, werden auch andere Personen und Wesen von den Taten eines Einzelnen beeinflusst. Dies ruft dementsprechende Rückwirkungen hervor. Wenn Disteln gesät werden, können nicht Rosen geerntet werden. Somit liegt im Gesetz von Karma eine tiefgehende Ethik. Karma ist kein Fatalismus, da der Mensch immer einen freien Willen besitzt.

Philosophische Basis

Rudolf Steiners Erkenntnisse entstammen nach eigenen Angaben einer ihm seit seiner Kindheit bewussten und methodisch vertieften geistig-übersinnlichen Schau. Zu den von Steiner besonders geschätzten Persönlichkeiten gehören Goethe, Johann Gottlieb Fichte, Max Stirner und Ernst Haeckel. Was Rudolf Steiner mit seiner Geisteswissenschaft anstrebte, charakterisierte er kurz so: „Anthroposophie ist ein Erkenntnisweg, der das Geistige im Menschen zum Geistigen im Weltall führen möchte.“ (Lit.:GA 26, S. 14) Die philosophische Basis der Anthroposophie findet sich in Steiners Hauptwerken Wahrheit und Wissenschaft (GA 3) und Die Philosophie der Freiheit (GA 4). Dieses Werk befasst sich mit der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant und dem Neokantianismus sowie in Weiterentwicklung des wissenschaftsmethodischen Ansatzes von Goethes Phänomenologie auch mit einem auf seelischer Beobachtungserfahrung gründenden ontologischen Monismus. Im intuitiven Denken, so betont Steiner, habe der Mensch bereits ein rein geistiges Erlebenis:

"Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Charakter trägt." (Lit.: GA 4, S. 181)

Hierzu gehört auch eine als ethischer Individualismus bezeichnete Form der Lebensführung, in deren Zentrum der Gedanke einer aus Erkenntnis und Liebe handelnden und gesellschaftsbildenden Individualität steht. Kernpunkt sei hierbei, dass Erfahrung ihren Anspruch von Objektivität aus dem Denken bezieht, dass seiner selbst gewahr wird. Dieser Vorgang wird als Ergebnis einer Synthese von Wahrnehmung und Begriff verstanden.

Rudolf Steiner hierzu:"Nun darf aber nicht übersehen werden, daß wir uns nur mit Hilfe des Denkens als Subjekt bestimmen und uns den Objekten entgegensetzen können. (...) Das Denken ist jenseits von Subjekt und Objekt. Es bildet diese beiden Begriffe ebenso wie alle anderen. 1) (...) Das Subjekt denkt nicht deshalb, weil es Subjekt ist; sondern es erscheint sich als ein Subjekt, weil es zu denken vermag. 2) (...) Das Denken ist somit ein Element, das mich über mein Selbst hinausführt und mit den Objekten verbindet. Aber es trennt mich zugleich von ihnen, indem es mich ihnen als Subjekt gegenüberstellt." :§9 (Lit.: GA 4, S. 60)

Einfacher ausgedrückt:

  1. Das Denken des Menschen ist selbst beobachtbar und bildet erst den sog. "Ich"-Begriff. Dieser steht den Dingen und Objekten gegenüber, welche der Mensch, ebenso wie sich selbst, benennt.
  2. Das Denken des Menschen (seine höheren geistigen Funktionen) kann den "Ich"-Begriff genauso zum Gegenstand seiner Betrachtungen machen wie die Begriffe von den Objekten (Ich kann über mich nachdenken, wie über den Baum.)

Rudolf Steiner bezeichnet den Wahrnehmungsbegriff als einen Inhalt, der sich darin erschöpft, dass er bewusst wird. Das Objekt als Gegenstand ist demnach das Produkt der Synthese aus Wahrnehmung und Begriff. Hieraus folgert Steiner, dass Wirklichkeit ein Produkt von und nicht eine Bedingung für Erkenntnisprozesse ist. Diese Ansicht bildet die Grundlage für Steiners weitere, geisteswissenschaftliche Forschungsergebnisse.

Rudolf Steiner über Wesen und Methode der Anthroposophie

"Geisteswissenschaft, wie sie hier gemeint ist, strebt nicht an die Begründung irgend einer neuen Religion oder irgend einer neuen religiösen Sekte oder dergleichen. Geisteswissenschaft will sein oder glaubt sein zu dürfen dasjenige, was unserer gegenwärtigen Kultur auferlegt ist in geistiger Beziehung...

Was für die Erkenntnis der äußeren Natur, was für das Leben durch die Erkenntnis der äußeren Naturgesetze diese Naturwissenschaft der Menschheit geworden ist, das möchte Geisteswissenschaft werden durch die Erkenntnis der Gesetze unseres Seelen- und Geisteslebens und durch die Anwendung dieser Gesetze des Seelen- und Geisteslebens im ethischen, im sozialen, im allerweitesten Kulturleben; das möchte sie werden für unsere Gegenwart und für die nächste Zukunft...

Wahrhaftig ganz im Geiste der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart ist die Vorstellungsart der Geisteswissenschaft gehalten. Aber da sich diese Geisteswissenschaft auf ein ganz anderes Gebiet erstreckt als die Naturwissenschaft, nämlich nicht auf das Gebiet dessen, was sinnenfällig wahrgenommen werden kann, auf das Gebiet der äußeren Natur, sondern auf das Gebiet des Geistes, so muß es ja einleuchtend sein, daß gerade eine naturwissenschaftliche Denkweise da, wo es sich darum handelt, das Gebiet des Geistigen zu erforschen, sich wesentlich modifizieren muß, zu etwas anderem werden muß als auf dem Gebiete der Naturwissenschaft. Und obgleich die Methode, die Forschungsweise der Geisteswissenschaft ganz so gehalten ist in dem Geiste der Naturwissenschaft, daß jeder naturwissenschaftlich Gebildete, der heute Naturwissenschaft ohne Vorurteile nimmt, sich auf den Boden dieser Geisteswissenschaft stellen kann, so muß doch gesagt werden, daß allerdings, solange man die naturwissenschaftlichen Methoden in ihrer Einseitigkeit nimmt, wie es vielfach heute geschieht, Vorurteil über Vorurteil gegen die Anwendung naturwissenschaftlicher Vorstellungsart auf das geistige Leben erwachsen kann. Muß doch naturwissenschaftliches Denken, man möchte sagen, naturwissenschaftliche Logik angewendet werden auf das, was dem Menschen wohl am nächsten liegt, was aber auch am schwersten zu erforschen ist, muß doch diese Denkungsweise angewendet werden auf das Wesen des Menschen selbst. Muß doch der Mensch in der Geisteswissenschaft sich selber untersuchen, und muß er doch auch zu dem einzigen Werkzeug greifen, welches ihm zu seiner Untersuchung zur Verfügung steht, nämlich zu sich selbst. Davon geht die Geisteswissenschaft aus, daß der Mensch in sich selbst, indem er zum Instrument wird, um die Geisteswelt zu untersuchen, eine Verwandlung erfahren muß, daß er etwas mit sich vornehmen muß, das ihn in die Lage versetzt, in die geistige Welt hineinzusehen, was er ja nicht tut im alltäglichen Leben.

Von einem Vergleich lassen Sie mich ausgehen, von einem naturwissenschaftlichen Vergleich, der nichts beweisen soll, der nur verdeutlichen soll, wie die geisteswissenschaftliche Vorstellungart ganz auf dem Boden naturwissenschaftlicher Denkungsweise steht. In der Natur tritt uns zum Beispiel das Wasser entgegen. Wenn wir das Wasser ansehen, wie es uns draußen entgegentritt, so stellt es sich zunächst in seinen Eigenschaften dar. Aber der Chemiker kommt mit seinen Methoden und wendet diese auf das Wasser an; er zerlegt uns das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff. Ja, was macht da der Naturwissenschafter aus dem Wasser? Das Wasser brennt bekanntlich nicht. Der Chemiker zieht den Wasserstoff aus dem Wasser heraus, und das ist ein Gas, das brennt. Niemand, der äußerlich das Wasser ansieht, kann diesem Wasser ansehen, daß da Wasserstoff drinnen ist und Sauerstoff drinnen ist, die ganz andere Eigenschaften haben als das Wasser.

Ebensowenig, das zeigt eben die Geisteswissenschaft, kann der Mensch, wenn er dem Menschen gegenübersteht im Leben, erkennen, was dieser Mensch ist in seinem Inneren. Und so wie der Chemiker, der Naturwissenschafter, kommt und uns das Wasser zerlegt in Wasserstoff und Sauerstoff, so muß, allerdings jetzt in einem innerlichen Seelenprozeß, der sich in den tiefsten Tiefen der Seele vorbereiten muß, der Geisteswissenschafter kommen und muß dasjenige, was sich im äußeren Leben darbietet, zerlegen. Und zerlegen kann der Geistesforscher durch die geistesforscherischen Methoden den Menschen in das Äußerlich-Leibliche und in das Geistig-Seelische. Zunächst interessiert es, vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft aus das Geistig-Seelische abgesondert vom Leiblichen zu untersuchen. Niemand kann die wahre Wirklichkeit des Geistig-Seelischen aus dem Äußerlich-Leiblichen erkennen, ebensowenig wie die Natur des Wasserstoffs erkannt werden kann, wenn er nicht aus dem Wasser herausgezogen wird.

Es ist heute sehr oft der Fall, daß in dem Augenblick, wo man beginnt, in dieser Art zu sprechen, einem gesagt wird: Das verstößt doch wider den Monismus, an dem man unbedingt festhalten muß. Nun, der Monismus darf ja auch den Chemiker nicht hindern, daß er das Wasser zerlegt in eine Zweiheit. Der Monimus wird gar nicht dadurch angefochten, daß dasjenige, was in Wirklichkeit geschehen kann, geschieht: daß durch die Geistesforschung, durch die geistesforscherischen Methoden abgetrennt wird von dem Leiblich-Körperhaften das Geistig-Seelische. Nun aber sind diese Methoden allerdings nicht solche, die man im Laboratorium, im physikalischen Kabinett, in der Klinik vollziehen kann, sondern es sind Vorgänge, die in der Seele selber vollzogen werden müssen. Es sind aber keine Vorgänge der Seele, die Wunder darstellen, sondern es sind nur Steigerungen desjenigen, was der Mensch im gewöhnlichen Leben beobachten kann. Es sind nicht wunderbare Eigenschaften, sondern solche Eigenschaften, die der Mensch im alltäglichen Leben in einem gewissen Maße hat, die er nur ins Unbegrenzte steigern muß, wenn er zum Geistesforscher werden soll. Und da ich nicht in allgemeinen Redensarten herumreden will, so will ich gleich in die Betrachtung der Sache selbst eintreten.

Jeder kennt dasjenige, was man im menschlichen Seelenleben nennt das Erinnerungsvermögen, das Gedächtnis. Jeder weiß ja, wieviel von dem Gedächtnis im Grunde genommen abhängt. Man stelle sich einmal vor, wir würden eines Morgens aufwachen und keine Ahnung haben, was früher um uns und in uns war. Wir würden dadurch die ganze menschliche Wesenheit verlieren. Unser Gedächtnis, das in sich zusammenhängt von einem gewissen frühen Zeitpunkt in der Kindheit an, das gehört notwendig zu unserem menschlichen Leben. Nun werden schon die Philosophen der Gegenwart gegenüber der Untersuchung der Gedächtniskraft stutzig. Sie haben jetzt schon Persönlichkeiten in ihrer Mitte, die gerade, indem sie das Gedächtnis betrachten, von einer materialistisch-monistischen Weltanschauung abkommen, indem sie durch genaue Untersuchung finden, daß, wenn man auch die Sinnesempfindungen, soviel man das nur sagen kann von Seelentätigkeit, in äußerlicher Weise gebunden findet an den Leib, man das Gedächtnis nie als an den Leib gebunden wird anerkennen können. Darauf brauche ich ja nur aufmerksam zu machen. Denn ein Mann, der wahrhaftig keine Neigung hat, in die Geisteswissenschaft einzudringen, der französische Philosoph Bergson, hat auf diese geistige Art des Gedächtnisses hingedeutet.

Wie aber tritt uns im Leben das Gedächtnis, die Erinnerungskraft entgegen? Längst vergangene Ereignisse kommen in Bildern in unsere Seele herein. Die Ereignisse sind längst vergangen, aber die Seele hat es mit sich selbst zu tun. Sie hat es damit zu tun, daß sie heraufzaubert das vergangene Erlebnis aus den Tiefen des inneren Lebens. Und man kann das, was da heraufkommt aus den Seelentiefen, mit dem ursprünglichen Erlebnis vergleichen. Blaß sind die Erinnerungen gegenüber den Bildern, die uns die Wahrnehmung der Sinne bietet. Aber mit der Integrität des Seelenlebens hängen sie zusammen. Und wir könnten uns in der Welt nicht zurechtfinden, wenn wir nicht das Gedächtnis hätten. Diesem Gedächtnis aber liegt die Kraft des Gedächtnisses zugrunde. Die Seele kann dasjenige, was in ihren Erinnerungen verborgen ist, durch die Kraft des Gedächtnisses heraufholen. Aber da gerade setzt nun Geisteswissenschaft ein. Nicht das Gedächtnis als solches — ich bitte ins Auge zu fassen, was ich sagen will —, nicht das Gedächtnis als solches, wohl aber die Kraft, welche dem Heraufholen eines geistigen Inhaltes aus den Tiefen der Seele zugrunde liegt, diese Kraft kann verstärkt werden, ins Unbegrenzte verstärkt werden, so daß sie im Leben der Seele nicht bloß verwendet wird, um durchgemachte Erlebnisse aus der Seele heraufzuholen, sondern daß sie zu etwas ganz anderem verwendet werden kann. Nicht äußere Methoden, die im Laboratorium verfolgt werden können, nicht das, was man durch die äußeren Sinne wahrnehmen kann, liegt zugrunde den geistes-forscherischen Methoden, sondern intensive Seelenvorgänge, die jeder durchmachen kann. Das, was den Wert dieser intensiven Seelenvorgänge ausmacht, ist die unbegrenzte Steigerung der Aufmerksamkeit im Menschenleben, oder wie man es nennt: die Konzentration des Gedankenlebens.

Was ist diese Konzentration des Gedankenlebens?

Ich kann heute nur in einer kurzen ... Betrachtung die Prinzipien dessen anführen, um was es sich handelt. Das Nähere können Sie nachlesen in meinen Büchern «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft» im zweiten Teil; ... Ferner in dem Buche «Die Schwelle der geistigen Welt». Aber den Prinzipien nach will ich die ersten Vornahmen der Seele auseinandersetzen, die eine unbegrenzte Steigerung dessen sind, was für das menschliche Leben notwendig ist, eine Steigerung der Aufmerksamkeit. Die Aufmerksamkeit muß in unbegrenzter Weise gesteigert werden, damit Geistesforschung in die Seele eintreten könne.

Was macht denn der Mensch in der Regel, wenn er der Außenwelt gegenübertritt? Er nimmt die Dinge wahr; er verarbeitet die Dinge durch den Verstand, der an das Gehirn gebunden ist. Dann macht er sich Vorstellungen über das Wahrgenommene. Und in der Regel ist er zufrieden, wenn er die äußeren Vorstellungen in der Seele bewahrt. Da, wo das Alltagsleben aufhört, da beginnen die Methoden der Geisteswissenschaft, da beginnt dasjenige, was man Konzentration des Denkens nennen kann. Derjenige, der ein Geistesforscher werden will, der muß den Faden des Seelenlebens da aufnehmen, wo er gewöhnlich im äußeren Leben verlassen wird. Vorstellungen, die wir uns selbst bilden, die wir genau überschauen können, am besten sinnbildliche Vorstellungen, bei denen wir nicht nötig haben, die Übereinstimmung mit der Außenwelt zu prüfen, sie stellen wir in den Horizont unseres Bewußtseins; Vorstellungen, die wir entweder finden, aus der Praxis der Geisteswissenschaft hervorgegangen, oder zu denen uns der Geistesforscher raten kann, sie stellen wir in den Mittelpunkt des ganzen Bewußtseins, so daß wir durch längere Zeit die Aufmerksamkeit der Seele von allem Äußeren ablenken und uns nur konzentrieren auf eine Vorstellung. Während man sonst nicht bei einer Vorstellung stehenbleibt, zieht man jetzt alle Kräfte seiner Seele zusammen, konzentriert sie auf eine Vorstellung und bleibt ganz in seinem Inneren hingegeben an diese Vorstellung. Wenn man den Menschen betrachtet bei einer solchen Vornahme, so vollzieht er im Grunde genommen etwas, was dem Schlafe gewissermaßen ähnlich ist, und was doch auch wiederum radikal verschieden ist. Denn, soll solche Konzentration fruchtbar werden, so muß der Mensch in der Tat wie ein Schlafender werden.

Wenn wir einschlafen, da fühlen wir zuerst, wie die Willenskräfte in unseren Gliedern ruhig werden, wie eine gewisse Dämmerung um uns auftritt, wie die Sinne in ihrer Tätigkeit abebben. Dann gehen wir über in Bewußtlosigkeit. Alles Äußere muß so werden in der Konzentration wie beim Schlafe. Die Sinne müssen vollständig frei werden von allen Eindrücken der Außenwelt. Das Auge darf so wenig sehen wie im Schlafe; das Ohr so wenig hören wie im Schlafe und so weiter. Dann wird das ganze Seelenleben zusammengenommen und auf eine Vorstellung konzentriert; das ist der radikale Unterschied vom Schlafe. Man könnte den Zustand nennen ein bewußtes Schlafen, ein voll bewußtes Schlafen. Während im Schlafe die Finsternis der Unbewußtheit sich ausdehnt im Seelenleben, lebt in einem erhöhten Seelenleben derjenige, der ein Geistesforscher werden will. Er strengt alle Kräfte des Seelenlebens an und wendet sie auf eine Vorstellung. Nicht darauf kommt es an, daß wir diese Vorstellung betrachten; sie gibt uns nur eine Gelegenheit, unsere Seelenkräfte zusammenzuraffen, zusammenzudrängen. Auf dieses Zusammendrängen der Seelenkräfte kommt es an. Denn dadurch gelangen wir allmählich dazu — ich muß da wiederum auf das Nähere in meinen Büchern verweisen —, wirklich das Geistig-Seelische, das in uns ist, wie der Wasserstoff im Wasser ist, herauszureißen aus dem Physisch-Leiblichen, es frei zu machen vom Physisch-Leiblichen. Nicht sozusagen in einem Ansturm ist das zu erreichen, was ich jetzt charakterisiert habe. Es brauchen die meisten Menschen ein jahrelanges Arbeiten in solchen Konzentrationen, wenn auch das Tagesleben von solchen Konzentrationen nicht abgelenkt wird; denn man kann sie nur durch wenige Minuten, höchstens durch Teile einer Stunde festhalten, aber man muß sie immer und immer wiederum wiederholen, bis es wirklich gelingt, die Kräfte, die sonst nur schlummern in der menschlichen Natur — die im Alltagsleben ja auch da sind, die aber schlummern —, so zu verstärken, daß sie wirksam werden in unserer Seele und herausreißen das Geistig-Seelische aus dem Physisch-Leiblichen.Da ich, wie gesagt, nicht herumreden möchte in abstrakter Art, sondern Ihnen Tatsachen mitteilen möchte, so sei es gleich gesagt, daß, wenn es dem Geistesforscher gelingt, durch Energie und Ausdauer, durch Hingabe an seine Übungen wirklich zur Frucht seiner Übungen zu kommen, er dann zu einem Erlebnis gelangt, das zunächst genannt werden könnte ein Erlebnis des rein inneren Bewußtseins. Man weiß mit einem Worte von einem bestimmten Zeitpunkte an einen Sinn zu verbinden mit dem Worte, das vorher sinnlos war: Ich weiß mich außerhalb meines Leibes; ich bin, mein Inneres erfassend, mein Inneres erlebend, außerhalb meines Leibes.

Ich will Ihnen von diesem Erlebnis im einzelnen erzählen. Zunächst verspürt man, daß wirklich die Denkkraft, die sonst nur in den Verrichtungen des Alltags sich regt, sich loslöst vom Leibe. Dumpf ist zunächst das Erlebnis, aber es tritt doch so auf, daß man seine Natur erkennt, wenn man es gehabt hat. Man weiß zuerst dann, wenn man wiederum zurückkehrt in seinen Leib — das möchte ich zunächst charakterisieren —, wie es ist, wenn man nun in das Gehirnleben, das die physische Materie darbietet, untertaucht, wie es Widerstand bietet, dieses Gehirn. Man weiß: Mit dem Alltagsdenken denkt man so, daß das Gehirn das Instrument ist; jetzt war man aber draußen. Dann kommt man allmählich dazu, einen Sinn zu verbinden mit dem Worte: Du erlebst dich im Seelisch-Geistigen. Man erlebt, wie das eigene Haupt umkleidet ist gewissermaßen mit seinen Gedanken. Man weiß, was es heißt, das Seelisch-Geistige abgetrennt zu haben vom äußeren, physisch-leiblichen Leben. Zuerst lernt man den Widerstand kennen, den das leibliche Leben bietet. Dann lernt man erkennen das selbständige Leben außerhalb des Leibes. Es ist wahrhaftig so, wie wenn der Wasserstoff einmal sich selbst außerhalb des Wassers wahrnehmen sollte. So ist es mit dem Menschen, wenn er solche Übungen durchmacht. Und dann, wenn er solche Übungen getreulich fortsetzt, dann tritt der große, der bedeutungsvolle Augenblick ein, an dem man sozusagen den Ausgangspunkt der eigentlichen Geistesforschung hat. Ein Augenblick, der tief erschütternd ist, der ungeheuer bedeutungsvoll ins ganze Leben eingreift. Dieser Augenblick kann in der verschiedensten Art sich einstellen. Er kann tausendfach verschieden sein. Ich will ihn aber typisch charakterisieren, wie er doch seiner Charakteristik nach meistens sein wird.

Hat man so eine gewisse Zeit hindurch geübt, hat man gewissermaßen aus der naturwissenschaftlichen Denkweise heraus die eigene Seele so behandelt, dann kommt der Moment, der eintreten kann entweder im alltäglichen Leben, oder auch mitten im Schlafe, so daß man aus dem Schlafe aufwacht und weiß: man träumt nicht, man erlebt eine neue Wirklichkeit. Man kann das zum Beispiel so erleben, daß man sich sagt: Was ist doch um mich? Es ist, wie wenn ich mich in einer Umgebung befände, die sich von mir loslöst, wie wenn die Elemente blitzartig einschlügen und wie wenn mein Leib zerstört würde durch die Elemente und ich mich aufrecht erhalte gegenüber diesem Leibe. Man lernt erkennen, was alle Geistesforscher durch alle Zeiten hindurch mit einem bildlichen Ausdruck genannt haben: an die Pforte des Todes gelangen. Denn das erlebt man, daß man jetzt weiß durch das Bild — also nicht durch die Wirklichkeit, diese erlebt man nur im Tode —, man erlebt durch das Bild, daß man jetzt weiß, wie der Mensch geistig-seelisch ist, wenn er nicht durch das Instrument seines Leibes sich und die Welt wahrnimmt, sondern wenn er nur im Geistig-Seelischen lebt.

Das ist zunächst das Erschütternde; man weiß: Du hast dich mit deiner Denkkraft losgelöst von deinem Leibe. Und ebenso können andere Kräfte losgelöst werden von dem Leibe, so daß der Mensch immer reicher, immer innerlicher mit Bezug auf sein Seelenleben wird.

Aber es genügt die eine Übung nicht, welche ich mit dem Ausdruck Konzentration oder unbegrenzte Steigerung der Aufmerksamkeit bezeichnet habe. Durch diese Übung erlangt man das Folgende: Wenn man an dem Punkte angelangt ist, wo die Seele sich selbst erlebt, dann steigen auch auf die Bilder, die man reale Imaginationen nennen kann. Bilder steigen auf, aber Bilder, die sich gewaltig unterscheiden von den Bildern des gewöhnlichen Gedächtnisses. "Während das gewöhnliche Gedächtnis nur dasjenige in Bildern hat, was äußerlich erlebt worden ist, steigen jetzt Bilder auf aus den grauen Seelentiefen, die nichts gemein haben mit dem, was man in der äußeren Sinneswelt erleben kann. Alle Einwände, daß man sich leicht täuschen könne, daß das, was da aus den grauen Seelentiefen heraufsteigt, nur Reminiszenzen des Gedächtnisses sein könnten, alle diese Einwände sind hinfällig. Denn der Geistesforscher lernt eben wirklich unterscheiden zwischen dem, was das Gedächtnis heraufrufen kann, und dem, was radikal verschieden ist von allem, was im Gedächtnis stehen kann. Allerdings, eines muß bedacht werden, wenn von diesem Punkte des Eintretens in die geistige Welt gesprochen wird. Es ist dasjenige, daß zur Geistesforschung wenig sich solche Personen eignen, welche an Halluzinationen, an Visionen oder ähnlichen krankhaften Seelengebilden und Seelenzuständen leiden. Je weniger der Mensch dazu neigt, was ja doch nur eine Reminiszenz des Tageslebens ist, desto sicherer kommt er vorwärts auf dem Gebiete der Geistesforschung. Und darin besteht ein großer Teil der Vorbereitung zur Geistesforschung, daß man alles dasjenige, was nur irgendwie unbewußt aus der Menschenseele sich aufdrängen könnte in solch krankhafter Art, genau unterscheiden lernt von dem, was als ein neues Element, als eine geistige Wirklichkeit durch die geisteswissenschaftliche Ausbildung der Seele eintreten kann.

Ich möchte gerade einen radikalen Unterschied angeben zwischen dem Visionären, dem Halluzinatorischen und dem, was der Geistesforscher erschaut. Warum ist es denn so, daß so viele Menschen glauben, schon in der geistigen Welt drinnen zu stehen, wenn sie nur Halluzinationen und Visionen haben? Ja, die Menschen lernen so ungern etwas wirklich Neues kennen! Sie halten so gerne an dem Alten, in dem sie schon drinnen stehen, fest. Im Grunde genommen treten uns in Halluzinationen und Visionen die krankhaften Seelengebilde so entgegen, wie uns die äußere sinnliche Wirklichkeit entgegentritt. Sie sind da; sie stellen sich vor uns hin. Wir tun gewissermaßen nichts dazu, wenn sie sich vor uns hinstellen. In dieser Lage ist der Geistesforscher gegenüber seinem neuen geistigen Element nicht. Ich habe davon gesprochen, daß der Geistesforscher alle Kräfte seiner Seele, die im gewöhnlichen Leben schlummern, konzentrieren, heraufarbeiten muß. Das erfordert aber, daß er eine seelische Energie, eine seelische Stärke anwendet, die im äußeren Leben nicht da ist. Aber diese Stärke muß er immer festhalten, wenn er eintritt in die geistige Welt. Der Mensch bleibt passiv, er braucht sich nicht anzustrengen: das ist das Charakteristische der Halluzinationen, der Visionen. In dem Augenblick, wo wir der geistigen Welt gegenüber auch nur einen Moment passiv werden, verschwindet sogleich alles. Wir müssen unausgesetzt tätig, aktiv dabeisein. Daher können wir uns auch nicht täuschen, denn nichts kann aus der geistigen Welt vor unsere Augen treten so, wie eine Vision oder Halluzination vor unsere Augen tritt. Wir müssen überall mit unserer Tätigkeit dabeisein, bei jedem Atom desjenigen, was uns aus der geistigen Welt entgegentritt. Wir müssen wissen, wie es sich damit verhält. Diese Aktivität, dieses fortlaufende Tätigsein, das ist notwendig für die wirkliche Geistesforschung. Dann aber tritt man ein in eine Welt, die sich radikal unterscheidet von der physisch-sinnlichen Welt. Man tritt ein in eine Welt, wo geistige Wesen, geistige Tatsachen um uns sind.

Aber ein Zweites ist dazu notwendig. Daß man losreißt die Seele vom Leibe, das geschieht in der geschilderten Weise. Das zweite aber, es kann wiederum durch einen naturwissenschaftlichen Vergleich klar gemacht werden. Wenn wir den Wasserstoff abtrennen, so ist er zunächst für sich allein; aber er geht Verbindungen ein mit anderen Stoffen, er wird zu etwas ganz anderem. Dasselbe muß sich vollziehen mit unserem Geistig-Seelischen nach der Abtrennung vom Leibe. Dieses Geistig-Seelische muß sich verbinden mit Wesenheiten, die nicht in der Sinneswelt sind. Es muß mit ihnen eins werden; dadurch nimmt es sie wahr.

Die erste Stufe der Geistesforschung ist das Abtrennen des Seelisch-Geistigen vom Physisch-Leiblichen. Die zweite Stufe ist das Eingehen von Verbindungen mit Wesen, die hinter der Sinneswelt sind. Das letztere ist etwas, was einem in der Gegenwart nicht verziehen wird, weit weniger verziehen wird als das Reden von einem «Geiste im allgemeinen». Es gibt ja heute schon viele Menschen, die wissen, daß es sie drängt, ein Geistiges anzunehmen. Sie sprechen aber von einem Geiste, der hinter der "Welt ist und sind froh beseelt, wenn sie Pantheisten sein können. Aber für den Geistesforscher ist der Pantheismus gerade dasselbe, wie wenn man jemand in die Natur führt und sagt zu ihm: Schau nur, das alles, was dich hier umgibt, es ist Natur! wenn man ihm nicht sagt: Das sind Bäume, das sind Wolken, das ist eine Lilie, das ist eine Rose, sondern: das ist alles Natur! Wenn man den Menschen also von einem Vorgang zum anderen Vorgang, von einem Wesen zum anderen Wesen führt und ihm sagt: Es ist das alles Natur! — damit ist ja nichts gesagt. Im einzelnen, im Konkreten muß auf die Tatsachen eingegangen werden. Es wird einem heute verziehen, wenn man von einem Geiste spricht, der in allem darinnen ist. Der Geistesforscher kann sich aber damit nicht zufrieden geben. Er tritt ja ein in eine Welt, die besteht aus einer Welt von geistigen Wesenheiten, geistigen Tatsachen, die differenziert sind so, wie die äußere Welt konkret differenziert ist, indem sie besteht aus Wolken, Bergen, Tälern, aus Bäumen, Blumen und so weiter. Daß man aber davon spricht, daß nicht nur die natürlichen Vorgänge differenziert sind in Pflanzen-, Tier- und Menschenreich, sondern daß man, wenn der Mensch in eine geistige Welt eintritt, auch dort von konkreten Einzelheiten und Tatsachen spricht, das wird einem heute nicht verziehen. Aber der Geistesforscher kann nicht anders als darauf aufmerksam machen, daß, wenn er so in die geistige Welt eintritt, er eintritt in eine Welt wirklicher, konkreter geistiger Wesenheiten und geistiger Vorgänge.

Das zweite, das dann notwendig ist, das ist eine Steigerung der Hingabe, jener Hingabe, die der Mensch im gewöhnlichen Leben oder im gesteigerten gewöhnlichen Leben in der religiösen Frömmigkeit empfindet. Aber wiederum ins Unendliche gesteigert muß das entwickelt werden, daß der Mensch wirklich dazu kommt, daß er gleichsam im Strome des Weltgeschehens hingebungsvoll ruht wie im Schlafe. Im Schlafe vergißt er jede Regung des eigenen Leibes, so muß der Mensch jede Regung des eigenen Leibes vergessen in der Kontemplation oder Meditation. Es ist dies die zweite Übung, die abwechseln muß mit der ersten Übung. Der Übende vergißt seinen Leib vollständig, nicht nur in denkerischer Beziehung, sondern so, daß er auch alle Gemütsregungen und Willensregungen abzusondern vermag, so wie er sich im Schlafe abzusondern vermag von jeder Regsamkeit des Leibes. Aber bewußt muß dieser Zustand herbeigeführt werden. Indem der Mensch diese Hingabe hinzufügt zu der ersten Übung, gelangt er dazu, wirklich sich durch die erwachenden geistigen Sinne so in eine geistige Welt hineinzustellen, wie er sich hineinlebt durch die äußeren Sinne in die Welt der Sinnlichkeit, die uns umgibt. Eine neue Welt tritt dann vor dem Menschen auf, die Welt, in der der Mensch mit seinem Geistig-Seelischen immer ist. Dann aber wird für den Menschen etwas zur Tatsache. Zur Tatsache wird es, so sagte ich, für die Innenbeobachtung, was heute noch durchaus zurückgewiesen wird von den Vorurteilen unserer Zeit, was aber ebenso ein Ergebnis einer streng wissenschaftlichen Forschung ist, wie die Evolutionslehre der neueren Zeit es ist: der Mensch lernt seinen seelischgeistigen Wesenskern kennen, und zwar so lernt er ihn kennen, daß er weiß: Bevor ich vor der Empfängnis und vor der Geburt in dieses Leben eingetreten bin, das mich mit dem Leibe bekleidete, war ich geistig-seelisch in einem geistigen Reiche. Indem ich durch die Pforte des Todes schreiten werde, wird mein Leib abfallen, aber dasjenige, was ich jetzt kennen gelernt habe als geistig-seelischen Wesenskern, dasjenige, was außer dem Leibe leben kann, das wird durch die Pforte des Todes schreiten. Das gehört, nachdem es durch die Pforte des Todes geschritten ist, zu einer geistigen Welt, das geht in eine geistige Welt ein. - Man lernt, mit anderen Worten, die unsterbliche Seele kennen schon in diesem Leben zwischen Geburt und Tod. Man lernt kennen dasjenige, wovon man weiß, daß es auf den Leib nicht angewiesen ist. Die Welt lernt man kennen, in welche die Menschenseele nach dem Tode eintritt. Aber man lernt diesen geistig-seelischen Wesenskern des Menschen in einer solchen Weise erkennen, wie es sich wiederum wissenschaftlich-anschaulich beschreiben läßt.

Wenn wir die Pflanze betrachten, wie der Keim sich entwickelt, wie die Blätter und Blüten entstehen, wie die Frucht sich bildet, aus der dann wiederum ein Keim hervorgeht, dann werden wir gewahr, daß das Leben dieser Pflanze sich zuspitzt in diesem Keim. Man sieht das Abfallen der Blüten und Blätter, man sieht, daß der Keim bleibt, der in sich trägt eine neue Pflanze. So wird man gewahr: In dieser Pflanze, die man vor sich hat, da lebt der Keim, der Kern zu einer neuen Pflanze. So lernt man erkennen, indem man das Leben zwischen Geburt und Tod betrachtet, daß sich im Geistig-Seelischen dasjenige entwickelt, was durch die Pforte des Todes geht, was aber der Keim, der Kern eines neuen Lebens ist. So gewiß wie der Pflanzenkeim die Anlage hat, eine neue Pflanze zu werden, so gewiß hat dasjenige, was sich in dem Alltagsleben als Seelisch-Geistiges verbirgt, was sich aber der Geisteswissenschaft zeigt, die Anlage zu einem neuen Menschen. Und durch eine solche Betrachtung gelangt man in voller Übereinstimmung mit der naturwissenschaftlichen Vorstellungsart zu den wiederholten Erdenleben. Man weiß, daß das gesamte Menschenleben besteht aus dem Leben zwischen Geburt und Tod und aus dem Leben, das verläuft zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, aus dem dann der Mensch wiederum in ein neues Erdenleben eintritt. Das einzige, was eingewendet werden könnte gegen das eben Gesagte, ist, daß ja der Pflanzenkeim auch zugrunde gehen könnte, wenn die Bedingungen nicht da sind, die ihn zu einer neuen Pflanze aufrufen. Dieser Einwand erledigt sich für die Geisteswissenschaft dadurch, daß allerdings der Pflanzenkeim, weil er angewiesen ist auf die äußere Welt, auch zugrunde gehen kann. In der geistigen Welt aber, in der der menschliche Seelenwesenskern heranreift zu einem neuen Erdenleben, da gibt es kein Hindernis dafür, daß dasjenige, was als Seelenkern im Erdenleben reift, in einem anderen Erdenleben wiederum zum Vorschein kommt. Ich kann nur flüchtig in kurzen Worten andeuten, wie der Geistesforscher, festhaltend an der naturwissenschaftlichen Forschungsart, zu der Anschauung der wiederholten Erdenleben kommt.

Man hat die Geisteswissenschaft angeklagt des Buddhismus, weil sie von den wiederholten Erdenleben spricht. Nun, die Geisteswissenschaft holt das, was sie zu sagen hat, wahrhaftig nicht aus dem Buddhismus, sondern sie steht voll und ganz auf dem Boden der neueren Naturwissenschaft. Aber, sie dehnt diese neuere Naturwissenschaft auf das geistige Leben aus. Und sie kann nichts dafür, daß sie, ohne irgendwie auf den Buddhismus Rücksicht zu nehmen, zu der Anschauung von den wiederholten Erdenleben kommt. Sie kann nichts dafür, daß der Buddhismus in uralten Zeiten aus alten Traditionen heraus gesprochen hat von den wiederholten Erdenleben.In diesem Zusammenhange möchte ich darauf aufmerksam machen, daß Lessing aus seinem reifen und erfahrungsreichen Denken heraus dazu gekommen ist, von den wiederholten Erdenleben zu sprechen. Nach einem arbeitsreichen Leben hat Lessing seine Abhandlung «Über die Erziehung des Menschengeschlechts» geschrieben, und da vertritt er diese Lehre von den wiederholten Erdenleben. Er sagt ungefähr das Folgende: Sollte denn diese Lehre deshalb zu verwerfen sein, weil sie in den ersten Morgenstunden der Menschheit aufgetreten ist, als noch keine Vorurteile der Schulen sie getrübt haben? So wenig Lessing sich beirren ließ dadurch, daß diese Lehre von den wiederholten Erdenleben in der Morgenröte der Menschheit aufgetreten ist und dann später durch die Vorurteile der Schulen in den Hintergrund gedrängt worden ist, so wenig braucht die Geisteswissenschaft vor dieser Lehre zurückzuschrecken, weil diese Lehre auch im Buddhismus vorkommt. Es ist durchaus unbegründet, die Geisteswissenschaft deshalb des Buddhismus zu zeihen. Geisteswissenschaft bekennt sich zu der Lehre von den wiederholten Erdenleben aus ihren eigenen Quellen heraus, und der Mensch wird hingewiesen durch diese Geisteswissenschaft darauf, daß er mit dem gesamten Menschheitsleben auf Erden in Zusammenhang steht. Denn diese Seelen, die in uns leben, sie waren schon oftmals da, sie werden noch oftmals da sein. Wir blicken zurück auf uralte Kulturepochen, auf Zeiten zum Beispiel, wo die Augen der Menschen hinauf geblickt haben zu den Pyramiden. Wir wissen: Unsere Seelen haben schon dazumal gelebt, und wiederum werden sie erscheinen in der Zukunft; sie nehmen teil an allen Menschheitsepochen...

Nun, in welchem Sinne will die Geisteswissenschaft dasjenige, was soeben auseinandergesetzt worden ist, vor die ganze Menschheitskultur hintragen? In keinem anderen Sinne, als die neuere Naturwissenschaft ihre Erkenntnisse vor die Menschheit bringt...

Und Geisteswissenschaft will nicht etwas sein, was zu tun hat mit einer neuen Religionsstiftung. Sie will keine neue Sekte stiften. Sie will keine Propheten und keine Religionsstifter hervorbringen. Die Zeit der Religionsstiftungen, die Zeit der Propheten ist vorüber. Die Menschheit ist reif geworden. Und Menschen, die mit Prophetennatur in der Zukunft vor die Menschheit hintreten wollten, sie werden ein anderes Schicksal haben als die alten Propheten. Die alten Propheten, sie sind mit Recht nach den Eigenarten ihrer Zeit als hervorragende Menschen verehrt worden. Propheten der Gegenwart, die es in dem alten Sinne sein wollten, werden ihr Schicksal erfahren: sie werden ausgelacht werden! Geisteswissenschaft braucht keine Propheten, denn Geisteswissenschaft steht ihrer ganzen Natur nach auf dem Boden, daß dasjenige, was sie zu sagen hat, Eigentum ist der Tiefen der Menschenseele, derjenigen Tiefen, in welche die Menschenseele nur nicht immer hinunterleuchten kann. Und dasjenige, was der Geistesforscher sagt, will er als schlichter Forscher erforschen. Er will aufmerksam machen auf dasjenige, was notwendig ist. Der Geistesforscher sagt: Ich habe es gefunden; wenn du suchst, findest du es selbst! Und immer mehr und mehr werden sich die Zeiten nähern, wo der Geistesforscher anerkannt werden wird als schlichterForscher, so wie der Chemiker, der Biologe als Forscher anerkannt werden auf ihrem Gebiete; nur daß der Geistesforscher auf dem Gebiete forscht, das jeder Menschenseele nahegeht...

Geisteswissenschaft will nicht das Christentum ersetzen, aber ein Instrument zum Ergreifen des Christentums will sie sein. Und gerade dadurch wird uns durch die Geisteswissenschaft klar, daß dasjenige Wesen, das wir den Christus nennen, in den Mittelpunkt alles Erdendaseins zu stellen ist, daß dasjenige, was wir das christliche Bekenntnis nennen, die letzte der Religionen ist, die für die Erdenzukunft ewige Religion ist. Gerade das zeigt uns die Geisteswissenschaft, daß die vorchristlichen Religionen aus ihrer Einseitigkeit herausgewachsen sind, zusammengewachsen sind in die Religion des Christentums. Geisteswissenschaft will nicht etwas anderes an die Stelle des Christentums setzen, sondern sie will nur dazu helfen, das Christentum tiefer, inniger zu verstehen...

Ein gewaltiger Unterschied ist vorhanden in bezug auf das Verhältnis der Menschenseele zu der geistigen Welt gegenüber den vorchristlichen Zeiten. Dasjenige, was ich Ihnen heute erzählt habe, und was jede Seele vornehmen kann mit sich, um ihren Einzug in die geistige Welt zu halten, das ist erst möglich in der Welt seit der Begründung des Christentums. Seither erst kann jede Seele, die dasjenige anwendet, was ich heute und in den genannten Büchern dargestellt habe, durch Selbsterziehung hinaufgelangen in die geistige Welt. Vor der Begründung des Christentums brauchte man die Mysterien, brauchte man die autoritativen Anweisungen der Lehrer. Selbsteinweihung hat es in alten Zeiten nicht gegeben. Und wenn die Geisteswissenschaft gefragt wird: Worauf beruht dieser Umschwung? - dann hat sie aus ihren Forschungen heraus zu antworten: Dieser Umschwung ist möglich geworden durch das Mysterium von Golgatha. Durch die Begründung des Christentums ist eine Tatsache, die nur im Geiste erforscht werden kann, in die Menschheit eingetreten. Etwas, was vorher nur im Geistigen zu finden war, wenn der Mensch den Leib verlassen hatte durch die Mysterien, der Christus selbst, er ist nach der Begründung des Christentums von jeder Menschenseele durch eigene Anstrengung zu finden. Dasjenige, was gleichsam die Mysterien in die Menschenseelen hineinbrachten, das liegt seit dem Mysterium von Golgatha in jeder Menschenseele, das ist allen Menschenseelen zuteil geworden...

Unsere Menschenseelen haben durchgemacht Erdenleben in Zeiten, wo der Christus noch nicht mit der Erde vereinigt war, und sie werden durchmachen noch fernere Erdenleben, in denen der Christus mit der Erde vereint ist. Der Christus lebt nunmehr in den Menschenseelen selbst. Dann aber, wenn die Menschenseele sich immer mehr und mehr vertieft, wenn die Menschenseele immer wieder und wiederum durch wiederholte Erdenleben geht, dann wird sie immer selbständiger und selbständiger, immer innerlich freier und freier. Daher ist es so, daß sie immer neue Instrumente braucht, um die alten Wahrheiten zu verstehen, daß sie aus dieser inneren Freiheit heraus immer weiter und weiter vorzudringen hat. So muß gesagt werden: Das Christentum wird gerade durch die Geisteswissenschaft in einer solchen Tiefe erkannt, in einer solchen Wahrheit, in einer solchen Wichtigkeit erkannt, daß die Geisteswissenschaft Vertrauen haben darf, wenn sie in einer neuen Form diese alten christlichen Wahrheiten verkündigt. Mögen diejenigen, die nur bei ihren Vorurteilen stehenbleiben wollen, glauben, daß Geisteswissenschaft dem Christentum Abbruch tue. Wer in die Kultur der Gegenwart eindringt, der wird finden, daß gerade diejenigen Menschen, die nicht mehr in der alten Weise Christen sein können, durch Geisteswissenschaft wiederum von der Wahrheit des Christentums überzeugt werden. Denn dasjenige, was die Geisteswissenschaft über das Christentum zu sagen hat, das darf sie sagen zu jeder Seele, weil den Christus, von dem sie spricht, jede Seele in sich selbst finden kann. Aber sie darf auch sagen, daß sie den Christus findet als das Wesen, das einmal wirklich durch die Tatsache des Mysteriums von Golgatha eingetreten ist in die Menschenseelen, in die Erdenwelt. Der Glaube hat nichts zu fürchten von dem Wissen, denn die Gegenstände des Glaubens, wenn sie zum Geiste aufsteigen, haben das Licht des Wissens nicht zu scheuen. Und so wird Geisteswissenschaft dem Christentum diejenigen Seelen erobern, die ihm nicht anders werden gewonnen werden können als dadurch, daß man zu ihnen nicht spricht wie ein prophetischer Religionsstifter, sondern wie ein schlichter Wissenschafter, der aufmerksam macht auf dasjenige, was auf geisteswissenschaftlichem Gebiete gefunden werden kann, und der die Saiten, die in jeder Seele sind, zum Mitschwingen bringt.

Geistesforscher kann zwar ein jeder Mensch werden; die Wege dazu können Sie in den genannten Büchern angegeben finden. Aber auch derjenige, der nicht Geistesforscher ist, kann, wenn er die Wahrheit in unbefangener Weise auf sich wirken läßt, von dieser Wahrheit durchdrungen werden. Und wenn er das nicht tut, dann kann er sich eben nicht frei machen von Vorurteilen. In der Seele des Menschen liegen alle Wahrheiten. Es hat vielleicht nicht jeder Mensch Gelegenheit, als Geistesforscher die Wahrheit des Geistigen zu überschauen; aber so wahr wir schon mit dem Denken aus dem Gebiet der Sinneswelt heraus sind, so wahr geht das Denken mit, wenn der Geisteswissenschafter auf das aufmerksam machen will, was er auf seinen geistigen Wegen erforscht. Und nur aufmerksam machen will er darauf, daß es Wahrheiten gibt, die in jeder Seele keimen können, weil sie in jeder Seele vorhanden sind." (Lit.: GA 155, S. 215ff)

Kritik

Hauptartikel: Anthroposophie-Kritik

Seit ihrem Bestehen hat die Anthroposophie als "Wissenschaft vom Übersinnlichen" nicht nur eine große Anhängerschaft, sondern auch eine ebenso aktive Gegnerschaft. Dabei sind der Streitpunkt meist die nach dem heutigen Naturwissenschaftsbegriff nicht belegbaren Lehren Steiners. Gedanklich nachvollziehen könne die Anthroposophie jeder Mensch, der sie vorurteilsfrei prüft, behauptet Steiner. Um eigene übersinnliche Erkenntnisse zu erlangen, muss, folgt man Steiner, allerdings das persönliche spirituelle Erkenntnisvermögen entwickelt werden. Der Aufforderung, sich auf die Anthroposophie denkend einzulassen oder gar das persönliche Erkenntnisvermögen durch Meditation weiterzuentwickeln, um sie zu verstehen, wird derjenige nicht folgen, der Übersinnliches ohne Belege im naturwissenschaftlichen Sinn von vornherein nicht gelten lassen will. In der heutigen Zeit ist eine solche Forderung für viele wissenschaftlich vorgeschulte und skeptisch beziehungsweise materialistisch eingestellte Menschen allerdings eine Zumutung und sie kommen ihr in der Regel nicht nach. Anthroposophie wird auch daran gemessen werden, wie sie mit solcher, aus unserer Zeitbildung durchaus verständlicher Kritik, sachlich und konkret umzugehen weiß.

Siehe auch

Literatur

Glomer.com - alle lieferbaren Bücher  Hier finden sie eine Zusammenstellung von Büchern zum Thema „Anthroposophie

Werke Rudolf Steiners

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Anthroposophische Schriften

  • Adolf Baumann: ABC der Anthroposophie: Ein Wörterbuch für jedermann, 3. Auflage, Oratio Verlag 1998, ISBN 978-3721406887
  • Bodo von Plato (Hrsg.): Anthroposophie im 20. Jahrhundert: Ein Kulturimpuls in biografischen Porträts, Verlag am Goetheanum, Dornach 2003, ISBN 978-3723511992 online unter biographien.kulturimpuls.org
  • Thomas Meyer (Hg.): Walter Johannes Stein - Rudolf Steiner. Dokumentation eines wegweisenden Zusammenwirkens. W. J. Steins Dissertation in ihrem Entstehungsprozess und in ihrer Aktualität mit Briefen und Aufzeichnungen Rudolf Steiners Korrekturen und Ergänzungen sowie dem "Haager Gespräch" von 1922, Philosphisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum, 2009 (1985), ISBN 978-3-907564-72-1
  • Kiersch, Johannes: Die Waldorfpädagogik - Eine Einführung in die Pädagogik Rudolf Steiners, Neuausgabe 2. Auflage, Freies Geistesleben. ISBN 377251247X
  • Marek B. Majorek: Rudolf Steiners Geisteswissenschaft: Mythisches Denken oder Wissenschaft?, 2 Bände, Verlag Narr Francke Attempto, Tübingen 2015, ISBN 978-3772085635, eBook: ASIN B0714F4N5R
  • Peter Heusser: Anthroposophie und Wissenschaft: Eine Einführung. Erkenntniswissenschaft, Physik, Chemie, Genetik, Biologie, Neurobiologie, Psychologie, Philosophie des Geistes, Anthropologie, Anthroposophie, Medizin, Verlag am Goetheanum, Dornach 2016, ISBN 978-3723515686
  • Michael Frensch: Anthroposophie neu denken: Anthroposophie und ihr gnostizistischer Schatten; Das Wesen Anthroposophia; Harry Potter und die sieben Tore der Theosophie, Novalis-Verlag 2017, ISBN 978-3941664555
  • Mathias Weis: Ach Du liebe Anthroposophie: Briefe an eine Freundin, Info 3 2020, ISBN 978-3957791313; eBook ASIN B08YNQR1WH
  • Josef F. Justen: Das Götterprojekt »Mensch« - Entstehung, Wesen und Ziel des Menschen: Einführung in die grundlegenden Erkenntnisse der Anthroposophie Rudolf Steiners, BoD, Norderstedt 2021, ISBN 978-3753463438; eBook ASIN B09BZY4615
  • Josef F. Justen: Die Heilige Schrift im Erkenntnislicht der anthroposophisch orientierten Geisteswissenschaft: Entschlüsselung biblischer Geheimnisse, BoD, Norderstedt 2022, ISBN 978-3756244744; eBook ASIN B0BFB57764

Befürwortende oder neutrale Standpunkte

Aus kritischer Sicht

  • Erzbistum Köln (Hg.): Anthroposophie und Waldorfpädagogik. Eine Orientierungshilfe für Katholiken, Faltblatt, Köln 2009
  • Baumann-Bay, Lydie und Andreas: Achtung, Anthroposophie! Ein kritischer Insider-Bericht. Zürich : Kreuz Verlag, 2000, ISBN 3268002552.
  • Klaus Bannach: Anthroposophie: Geheimwissenschaft?. In: Klaus Bannach/Kurt Rommel (Hg.): Religiöse Strömungen unserer Zeit. Eine Einführung und Orientierung, Quell Vlg., Stuttgart 1991, S. 133 - 138
  • Bierl, Peter: Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister : die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik. Hamburg : Konkret Literatur Verlag, 1999, ISBN 3-89458-171-9
  • Guido und Michael Grandt: Waldorf Connection. Rudolf Steiner und die Anthroposophen, Alibri Vlg., Aschaffenburg 2001, ISBN 3-932710-40-1
  • Guido und Michael Grandt: Schwarzbuch Anthroposophie. Rudolf Steiners okkult-rassistische Weltanschauung, Ueberreuter Vlg., Wien 1997 (Gegen die Weiterverbreitung dieses Buches wurde erfolgreich Klage eingereicht, dennoch zirkulieren noch einige antiquarische Exemplare!)
  • Hellmich, Achim und Teigeler, Peter (Hrsg.): Montessoripädagogik, Freinetpädagogik, Waldorfpädagogik - Konzeption und aktuelle Praxis. Beltz Verlag, 1999. ISBN 3407252188
  • Irene Wagner: Rudolf Steiners langer Schatten. Die okkulten Hintergründe von Waldorf & Co, Alibri Vlg., Aschaffenburg 2013, ISBN 978-3-86569-069-2
  • Wegener, Franz: Heinrich Himmler. Deutscher Spiritismus, französischer Okkultismus und der Reichsführer SS. Gladbeck 2004, ISBN 3931300153 [zu Steiners Finanzierung einer antisemitischen Schrift Heises]
  • Georg Otto Schmid, Anthroposophie, Evangelische Informationsstelle relinfo.ch, 1999.
  • Wolfgang G. Vögele, Der andere Rudolf Steiner, 2005
  • Binder, Andreas[20]: Wie christlich ist die Anthroposophie? Standortbestimmungen aus der Sicht eines evangelischen Theologen, Stuttgart : Urachhaus, 1989, ISBN 3878386117
  • Kniebe, Georg: Anthroposophie und christliche Kirchen - Ein Gespräch?. Stuttgart : Urachhaus, 1992, ISBN 3878389477
  • Gassmann, Lothar: Kleines Anthroposophie-Handbuch, MABO-Vlg., Schacht-Audorf 2006
  • Grom, Bernhard: Anthroposophie und Christentum, Kösel Vlg., München 1989
  • Klaus von Stieglitz: Die Christosophie Rudolf Steiners. Voraussetzungen, Inhalt und Grenzen, Luther-Verlag, Witten-Ruhr 1955
  • Klaus von Stieglitz: Einladung zur Freiheit. Gespräch mit der Anthroposophie, Radius Vlg., Stuttgart 1996
  • Husmann-Kastein, Jana: SchwarzWeiß-Konstruktionen im Rassebild Rudolf Steiners. In: Berliner Dialog. Zeitschrift für Informationen und Standpunkte zur religiösen Begegnung. Hrsg. v. Dialog Zentrum Berlin e.V. Themenheft. Bd. 29. Schwerpunktthema Anthroposophie. Juli 2006, S.22-29.
  • Zander, Helmut: Anthroposophie in Deutschland. Theosophische Weltanschauung und gesellschaftliche Praxis 1884–1945. 2 Bände. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-55452-4. (Habilitationschrift).
  • Zander, Helmut: Die Anthroposophie. Rudolf Steiners Ideen zwischen Esoterik, Weleda, Demeter und Waldorfpädagogik. Ferdinand Schöningh Vlg., Paderborn, 1. Aufl. 2019, ISBN 978-3506792259
  • Ansgar Martins: Rassismus und Geschichtsmetaphysik: Esoterischer Darwinismus und Freiheitsphilosophie bei Rudolf Steiner, INFO 3-Vlg., Frankfurt a.M. 2012, ISBN 978-3-924391-63-8
  • Impliziert eine evolutionstheoretische Auffassung Rassismus? Eine Anfrage an Ravagli und an die allgemeine Evolutionslehre. Offener Brief von Ute Siebert, 2001 online

Weblinks

Videos

Einzelnachweise

  1. Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie zweiter Teil, V. Akt
  2. Rudolf Steiner: Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung.8. Auflage. Rudolf Steiner Verlag, Dornach 2002
  3. Rudolf Steiner, Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit - Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1984, Seite 136
  4. Rudolf Steiner: Die Theosophie des Rosenkreuzers, GA 99 (1985)
  5. Ein bedeutender Franzose … «Ich lehre nicht, ich erzähle»: Michel de Montaigne (1533–1592) beginnt seinen Essai «Du Repentir» mit den Worten: «Ich lehre nicht, ich erzähle.» – «Les autres forment l‘homme; je le récite», in: Essais (III, 2: «Du Repentir». In: Montaigne: Œuvres completes. Ed. par A. Thibaudet et M. Rat, Paris 1962, Bibliothèque de la Pléiade 14, S. 782). Goethe zitierte diese Worte am Schluss des ersten und zu Beginn des zweiten Abschnitts in seinem Bericht über den französischen Akademiestreit von 1830; siehe: GA 1a, S. 395 f. bzw. Goethes Werke (Hamburger Ausgabe), hrsg. v. E. Trunz, Bd. XIII, Hamburg 1955, S. 228. Rudolf Steiner schrieb wohl in Anlehnung an Montaigne und Goethe in einem Brief an Rosa Mayreder vom 4. November 1894 über seine Philosophie der Freiheit: «Ich lehre nicht; ich erzähle, was ich innerlich durchlebt habe. Ich erzähle es so: wie ich es gelebt habe. Es ist alles in meinem Buche persönlich gemeint. Auch die Form der Gedanken.»
  6. http://www.rexresearch.com/alchemy6/anthrotheo.htm
  7. http://archive.org/details/anthroposophiath00vaug
  8. Erika Beltle und Kurt Vierl (Hrsg.), Erinnerungen an Rudolf Steiner, Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart, 1979, Seite 14
  9. Der Vortrag über «Brunos Monismus und die Anthroposophie» fand am 8. Oktober 1902 unter dem geänderten Titel «Theosophie und Monismus» statt. (Lit.: Beiträge 121, S. 50, GA 051, S. 311ff)
  10. Zahlen nach Christoph Lindenberg: Rudolf Steiner - eine Chronik (1988), S. 211 und 329f.
  11. Lidia Gentilli Baratto, Eine Erinnerung an Marie Steiner, Selbstverlag 1947, S. 20f
  12. Rudolf Steiner, Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft 1923/1924, Rudolf Steiner Verlag, Dornach, 1994, Seite 51
  13. Bodo von Plato: "Zur Entwicklung der Anthroposophischen Gesellschaft. Ein historischer Überblick", 1986
  14. Das hatte Erich Ludendorff in seinen Lebenserinnerungen behauptet: "Da die Anthroposophie ihre Anhänger tief in die national-sozialistischen Kreise geschoben hatte, so war sie besonders gefährlich. In welchem Umfange dies der Fall war, wurde mir erst nach der Machtübernahme voll bewusst." Erich Ludendorff: Vom Feldherrn zum Weltrevolutionär und Wegbereiter Deutscher Volksschöpfung. Band III. Meine Lebenserinnerungen von 1933 bis 1937, 1955. S. 67 ff. Zitiert nach: Arfst Wagner: Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus. Teil II. In: Flensburger Hefte. Sonderheft 8: „Anthroposophen in der Zeit des deutschen Faschismus – Zur Verschwörungsthese“, 1991. S. 50-94, hier S. 53 bis 55.
  15. Zitiert nach Walter Kugler, Feindbild Steiner, 2001, S. 29f.
  16. Waldorf_World_List.pdf
  17. Die anthroposophische Gesellschaft und die Politik - Institut für soziale Dreigliederung. Abgerufen am 18. Juni 2022.
  18. 18,0 18,1 Jost Schieren: Erziehungskunst – Waldorfpädagogik heute: Anthroposophie in der Kritik. April 2022, abgerufen am 17. Juni 2022.
  19. Silke Mende: Wie anthro­po­so­phisch waren die Grünen? – Geschichte der Gegenwart. In: geschichtedergegenwart.ch. 9. Januar 2022, abgerufen am 18. Juni 2022 (deutsch).
  20. Pseudonym. Der bürgerliche Name des Autors ist Dr. Hellmut Haug.
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