Beobachtung

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Beobachtung[1] ist, wie Rudolf Steiner in Wahrheit und Wissenschaft darlegt, die Auseinandersetzung des Denkens mit dem Gegebenen (Lit.: GA 3, S. 67), das durch (sinnliche oder übersinnliche) Wahrnehmung erscheint. Die Beobachtung beruht auf der zielgerichteten, aufmerksamen und mithin bereits gedankengeleiteten Wahrnehmung und bildet als solche die solide empirische Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnis. Auf wahllose, zufällige und ungeordnete Wahrnehmungen lässt sich keine Wissenschaft gründen. Begrifflich werden beobachtete Eigenschaften durch Beobachtungsbegriffe erfasst.

Kenntnis und Erkenntnis

Gründliche und möglichst umfassende Beobachtung führt zu einer genauen Kenntnis der in einem bestimmten Wirklichkeitsgebiet sinnlich oder übersinnlich wahrnehmbaren Phänomene, enthüllt aber nicht deren zunächst noch verbogenen inneren gesetzmäßigen Zusammenhang, ist also noch keine Erkenntnis im streng wissenschaftlichen Sinn. Sie offenbart sich erst dem sich daran anschließenden tiefer dringenden Denken.

Beobachtung und Denken

Die Beobachtung und Denken sind die beiden Ausgangspunkte alles menschlichen Erkenntnisstrebens, wie Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit ausführlich dargelegt hat. Durch die Beobachtung ist uns die Welt als Wahrnehmung gegeben. Diese gibt uns aber nur die eine Hälfte der Wirklichkeit. Zur vollen Wirklichkeit gelangen wir erst, indem wir die Wahrnehmung denkend mit dem zugehörigen Begriff durchdringen. Im Begriff offenbart sich die dem Wahrnehmungsfeld zugrunde liegende Gesetzmäßigkeit. In der Wirklichkeit selbst sind Wahrnehmung und Begriff unmittelbar miteinander verbunden, es liegt nur an der geistigen Organisation des Menschen, dass sie ihm zunächst getrennt erscheinen und er sie erst aktiv miteinander verbinden muss, um zur vollen Erkenntnis der Wirklichkeit zu kommen. Gerade dadurch ist der Mensch aber im Erkenntnisakt aktiv in das Weltgeschehen mit einbezogen.

"Was nun die Beobachtung betrifft, so liegt es in unserer Organisation, dass wir derselben bedürfen. Unser Denken über ein Pferd und der Gegenstand Pferd sind zwei Dinge, die für uns getrennt auftreten. Und dieser Gegenstand ist uns nur durch Beobachtung zugänglich. So wenig wir durch das bloße Anstarren eines Pferdes uns einen Begriff von demselben machen können, ebenso wenig sind wir imstande, durch bloßes Denken einen entsprechenden Gegenstand hervorzubringen." (Lit.: GA 4, S. 39)

Die Beobachtungsfähigkeit des Menschen beschränkt sich nicht auf die sinnliche Wahrnehmung, sondern schließt auch seelische und geistige Wahrnehmungen mit ein.

Das einzige, was wir normalerweise nicht beobachten, ist unser eigenes Denken. Wir bringen es zwar hervor, indem wir die Wahrnehmungswelt begrifflich durchdringen, aber das Denken selbst entzieht sich dabei unserer Aufmerksamkeit. Gerade die Beobachtung des Denkens ist aber der zentrale Ausgangspunkt, durch den wir uns selbst unmittelbar als geistiges Wesen erfahren können.

Siehe auch

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rudolf Steiner bezieht sich hier auf die im weitesten Sinne wissenschaftliche Beobachtung, die er an anderer Stelle sehr deutlich von der reinen, d.h. gedankenlosen Beobachtung unterscheidet:

    „Wir müssen uns vorstellen, dass ein Wesen mit vollkommen entwickelter menschlicher Intelligenz aus dem Nichts entstehe und der Welt gegenübertrete. Was es da gewahr würde, bevor es das Denken in Tätigkeit bringt, das ist der reine Beobachtungsinhalt. Die Welt zeigte dann diesem Wesen nur das bloße zusammenhanglose Aggregat von Empfindungsobjekten: Farben, Töne, Druck-, Wärme-, Geschmacks- und Geruchsempfindungen; dann Lust- und Unlustgefühle. Dieses Aggregat ist der Inhalt der reinen, gedankenlosen Beobachtung. Ihm gegenüber steht das Denken, das bereit ist, seine Tätigkeit zu entfalten, wenn sich ein Angriffspunkt dazu findet.“ (Lit.:GA 4, S. 62)

    Dabei ist aber zu beachten, dass die Wahrnehmung dem Bewusstsein zuerst als ein zusammenhängendes Ganzes gegeben ist; sie muss erst zergliedert werden, um zu den einzelnen Empfindungen zu kommen:

    „Wenn wir einem Gegenstand gegenübertreten, so ist das, was sich zuerst abspielt, die Empfindung. Wir bemerken eine Farbe, einen Geschmack oder Geruch, und diesen Tatbestand, der sich da zwischen Mensch und Gegenstand abspielt, müssen wir zunächst als durch die Empfindung charakterisiert betrachten. Was in der Aussage liegt: Etwas ist warm, kalt und so weiter, ist eine Empfindung. Diese reine Empfindung haben wir aber eigentlich im gewöhnlichen Leben gar nicht. Wir empfinden an einer roten Rose nicht nur die rote Farbe, sondern wenn wir in Wechselwirkung treten mit den Gegenständen, so haben wir immer gleich eine Gruppe von Empfindungen. Die Verbindung der Empfindungen «Rot, Duft, Ausdehnung, Form» nennen wir «Rose». Einzelne Empfindungen haben wir eigentlich nicht, sondern nur Gruppen von Empfindungen. Eine solche Gruppe kann man eine «Wahrnehmung» nennen.

    In der formalen Logik muß man scharf unterscheiden zwischen Wahrnehmung und Empfindung. Wahrnehmung und Empfindung sind etwas durchaus Verschiedenes. Die Wahrnehmung ist das erste, was uns entgegentritt, sie muß erst zergliedert werden, um eine Empfindung zu haben.“ (Lit.:GA 108, S. 198f)