Phänomen

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Das Phänomen (griech. φαινόμενον, phainomenon = „Sichtbares, Erscheinung“) ist im weitesten Sinn eine sinnlich oder übersinnlich wahrnehmbare, einfachere oder komplexere Erscheinung, so wie sie sich der unmittelbaren Wahrnehmung darbietet. Grundlegende Phänomene, die in ihrem Entstehen unmittelbar aus der Anschauung verstanden werden können, hat Goethe als Urphänomene bezeichnet.

Die Lehre von den Phänomenen ist die Phänomenologie.

Goethes naturwissenschafliche Arbeiten, durch die er die Grundlagen für den späteren Goetheanismus geschaffen hat, gründen auf einer reinen Phänomenologie, wobei er komplexere, zunächst in ihrem Entstehen noch nicht durchschaubare Phänomene schrittweise auf Urphänomene zurückführt.

Goethe unterscheidet dabei das der Beobachtung zunächst vorliegende empirische Phänomen von dem durch eine Vielzahl systematischer Versuche gewonnenen wissenschaftlichen Phänomen, das befreit von allen zufälligen schwankenden Erscheinungen zum reinen Phänomen erhoben wird. In «Erfahrung und Wissenschaft» (1798) schreibt er:

„Was wir also von unserer Arbeit vorzuweisen hätten, wäre:

  1. Das empirische Phänomen, das jeder Mensch in der Natur gewahr wird und das nachher
  2. zum wissenschaftlichen Phänomen durch Versuche erhoben wird, indem man es unter andern Umständen und Bedingungen, als es zuerst bekannt gewesen, und in einer mehr oder weniger glücklichen Folge darstellt.
  3. Das reine Phänomen steht nun zuletzt als Resultat aller Erfahrungen und Versuche da. Es kann niemals isoliert sein, sondern es zeigt sich in einer stetigen Folge der Erscheinungen. Um es darzustellen, bestimmt der menschliche Geist das empirisch Wankende, schließt das Zufällige aus, sondert das Unreine, entwickelt das Verworrene, ja entdeckt das Unbekannte.

Hier wäre, wenn der Mensch sich zu bescheiden wüßte, vielleicht das letzte Ziel unserer Kräfte. Denn hier wird nicht nach Ursachen gefragt, sondern nach Bedingungen, unter welchen die Phänomene erscheinen; es wird ihre konsequente Folge, ihr ewiges Wiederkehren unter tausenderlei Umständen, ihre Einerleiheit und Veränderlichkeit angeschaut und angenommen, ihre Bestimmtheit anerkannt und durch den menschlichen Geist wieder bestimmt.“

Goethe: Erfahrung und Wissenschaft[1]

Einzelnachweise

  1. Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, WA, II. Abteilung, Band 11, Weimar 1893, S. 38ff.