Empfindungsseele

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Die Empfindungsseele (eng. sentient soul) ist Teil der menschlichen Seele. Sie vermittelt nicht nur alle Wahrnehmungen bzw. Sinneseindrücke, sondern ist auch der Sitz aller Triebe, Begierden, Leidenschaften und Willensimpulse.

„Was wir Empfindungsseele nennen, das kann da sein im Leben, ohne daß es viel vom Denken durchdrungen wird. Die Empfindungsseele ist zunächst dasjenige, was die äußeren Eindrücke auffängt. Sie ist dasjenige Glied der menschlichen Seele, welches die Wahrnehmungen der Sinne ins Innere hinein weiter schickt. Diese Empfindungsseele ist es auch, was dann aufsteigen läßt im Innern das, was sich als Lustund Unlustgefühl, als innere Freude, als inneres Schmerzgefühl anschließt an das von außen Gebrachte und Beobachtete. Diese Empfindungsseele ist zunächst dasjenige, aus dem aufsteigen die Triebe und Instinkte und Leidenschaften und Affekte der menschlichen Natur.“ (Lit.:GA 58, S. 119)

Aristoteles bezeichnete die Empfindungsseele als Orektikon (griech. ὀρεκτικόν; lat. anima sensitiva). In der hebräischen Überlieferung wird sie Nephesch (hebr. נפש) genannt. Nach Isaak Luria zieht Nephesch bereits mit der Geburt in den Menschen ein, Ruach, die Verstandes- oder Gemütsseele, aber erst mit der Geschlechtsreife etwa im 14. Lebensjahr und Neschama, die Bewusstseinsseele, mit der Geburt des Ich um das 21. Lebensjahr und damit erst wird Nephesch, die Empfindungsseele, zu einem selbstständigen Wesensglied.

Entstehung und Entwicklung der Empfindungsseele

Die erste Keimanlage der Empfindungsseele wurde bereits auf dem alten Mond durch die der Marssphäre angehörigen Geister der Bewegung geschaffen, die im Astralleib des Menschen wirkten (Lit.:GA 13, S. 212). Während der Erdentwicklung trat sie erstmals hervor, als sich in der polarischen Zeit die Erde bis zum Feuerzustand verdichtete (Lit.:GA 13, S. 222). Eng zusammen hängt damit der sog. Marsdurchgang durch die Erde. Marswesen sind die Anreger für die Entwicklung der Empfindungsseele (Lit.: GA 98, S. 197f, GA 102, S. 59f). Sie bildet sich dann weiter aus durch die unbewusste Arbeit des menschlichen Ichs am Astralleib. Sie ist ein umgewandelter Teil des Astralleibs. Diese dämmerhafte unbewusste Arbeit am astralischen Leib begann in der lemurischen Zeit und erreichte ihren Höhepunkt in der Ägyptisch-Chaldäischen Kultur. Als selbstständiges Wesensglied wird die Empfindungsseele mit dem 21. Lebensjahr geboren. Durch geistige Schulung wird die Empfindungsseele allmählich zur Intuitionsseele umgebildet (Lit.: GA 145, S. 177).

Bezug zu den Karmakräften

Von den 12 Karmakräften, den Nidanas, die den Menschen immer wieder in das physische Dasein hineinführen, haften die letzten vier an der Empfindungsseele. Sie sind beim Tier ebenso vorhanden wie beim Menschen (Lit.: GA 93a, S. 121):

9. upadana = Behagen im Dasein
10. bhava = Geburt
11. jati = was zur Geburt gedrängt hat
12. jaramarana = was von dem Erdendasein befreit.

Triebseele

Die Erlebnisse der Empfindungsseele entstehen dann, wenn das, was willensartig in uns ist, nach außen drängt, mit der Außenwelt zusammenstößt. Zu diesen willensartigen Impulsen zählen primär auch Triebe, Begierden und Leidenschaften, weshalb die Empfindungsseele auch als Triebseele bezeichnet werden kann (Lit.: GA 60, S. 239).

„Wenn wir zunächst von der Empfindungsseele sprechen, so meinen wir nicht nur dasjenige in unserer Seele, was sich durch Wahrnehmung, durch Sinneseindrücke in Verbindung zu setzen vermag mit der äußeren Welt, sondern wir meinen auch den Sitz von allem, was wir nennen können Triebe, Begierden, Leidenschaften, auch den Sitz von allem, was Willensimpulse in der menschlichen Seele sind. Am zweckmäßigsten ist es sogar, will man sich eine Vorstellung verschaffen von dem, was eigentlich innerhalb unseres seelischen Lebens die Empfindungsseele ist, daß man sich vorstellt, wie alles Willensartige, alles was uns von innen heraus Anstöße gibt, ein Verhältnis zur Außenwelt zu suchen, das Wesentliche in der Empfindungsseele ist, und wie es an der Empfindungsseele hängt, daß sie die wichtigste Vermittlerin ist auch des Empfangens von äußeren Eindrücken des Wahrnehmens. Deshalb wird sie Empfindungsseele genannt. Wenn der Mensch einen Ton- oder einen Farbeneindruck empfängt, waltet die Empfindungsseele. Auch wenn die Leidenschaften aufsteigen, bei Affekten, Zorn, Furcht, Angst, waltet im wesentlichen die Empfindungsseele.“ (Lit.:GA 127, S. 42f)

Empfindungsseele und Ich-Bewusstsein

In der Empfindungsseele ist das Ich-Bewusstsein noch kaum erwacht, das Ich brütet nur dumpf in ihr.

„In der Empfindungsseele ist dieses Ich so tätig, daß der Mensch dieses sein Ich kaum erst ahnt. Er ist insofern in der Empfindungsseele allen Trieben und Leidenschaften hingegeben. Das Ich brütet dumpf in dem, was wir Empfindungsseele nennen. Das Ich arbeitet sich dann erst heraus, kommt erst zum Vorschein in der Verstandes- oder Gemütsseele und wird ganz klar erst in der Bewußtseinsseele.“ (Lit.:GA 121, S. 52)

Leibgebundenheit der Empfindungsseele

Die Erlebnisse der Empfindungsseele sind abhängig von der aus physischem Leib, Ätherleib und Astralleib bestehenden leiblichen Natur des Menschen und daher auch nur während der irdischen Verkörperung des Menschen möglich. Die Empfindungsseele gehört nicht dem Ewigen des Menschenwesens an und wird einige Zeit nach dem Tod abgelegt und geht in die allgemeine Astralwelt über.

"Der Lebensleib ist noch etwas dem Menschen Äußerliches. Mit dem ersten Regen der Empfindung antwortet das Innere selbst auf die Reize der Außenwelt. Man mag dasjenige, was man Außenwelt zu nennen berechtigt ist, noch so weit verfolgen: die Empfindung wird man nicht finden können. – Die Lichtstrahlen dringen in das Auge; sie pflanzen sich innerhalb desselben bis zur Netzhaut fort. Da rufen sie chemische Vorgänge (im sogenannten Sehpurpur) hervor; die Wirkung dieser Reize setzt sich durch den Sehnerv bis zum Gehirn fort; dort entstehen weitere physische Vorgänge. Könnte man diese beobachten, so sähe man eben physische Vorgänge wie anderswo in der Außenwelt. Vermag ich den Lebensleib zu beobachten, so werde ich wahrnehmen, wie der physische Gehirnvorgang zugleich ein Lebensvorgang ist. Aber die Empfindung der blauen Farbe, die der Empfänger der Lichtstrahlen hat, kann ich auf diesem Wege nirgends finden. Sie ersteht erst innerhalb der Seele dieses Empfängers. Wäre also das Wesen dieses Empfängers mit dem physischen Körper und dem Ätherleib erschöpft, so könnte die Empfindung nicht da sein. Ganz wesentlich unterscheidet sich die Tätigkeit, durch welche die Empfindung zur Tatsache wird, von dem Wirken der Lebensbildekraft. Ein inneres Erlebnis wird durch jene Tätigkeit aus diesem Wirken hervorgelockt. Ohne diese Tätigkeit wäre ein bloßer Lebensvorgang da, wie man ihn auch an der Pflanze beobachtet. Man stelle sich den Menschen vor, wie er von allen Seiten Eindrücke empfängt. Man muß sich ihn zugleich nach allen Richtungen hin, woher er diese Eindrücke empfängt, als Quell der bezeichneten Tätigkeit denken. Nach allen Seiten hin antworten die Empfindungen auf die Eindrücke. Dieser Tätigkeitsquell soll Empfindungsseele heißen. Diese Empfindungsseele ist ebenso wirklich wie der physische Körper. Wenn ein Mensch vor mir steht und ich sehe von seiner Empfindungsseele ab, indem ich ihn mir bloß als physischen Leib vorstelle, so ist das gerade so, als wenn ich mir von einem Gemälde bloß die Leinwand vorstelle.

Auch in bezug auf die Wahrnehmung der Empfindungsseele muß Ähnliches gesagt werden wie vorher im Hinblick auf den Ätherleib. Die leiblichen Organe sind «blind» für sie. Und auch das Organ, von dem das Leben als Leben wahrgenommen werden kann, ist es. Aber so, wie durch dieses Organ der Ätherleib geschaut wird, so kann durch ein noch höheres Organ die innere Welt der Empfindungen zu einer besonderen Art übersinnlicher Wahrnehmungen werden. Der Mensch empfindet dann nicht nur die Eindrücke der physischen und der Lebenswelt, sondern er schaut die Empfindungen. Vor einem Menschen mit einem solchen Organ liegt die Welt der Empfindungen eines andern Wesens wie eine äußere Wirklichkeit da. Man muß unterscheiden zwischen dem Erleben der eigenen Empfindungswelt und dem Anschauen der Empfindungswelt eines andern Wesens. In seine eigene Empfindungswelt hineinschauen kann natürlich jeder Mensch; die Empfindungswelt eines andern Wesens schauen kann nur der Seher mit dem geöffneten «geistigen Auge». Ohne Seher zu sein, kennt der Mensch die Empfindungswelt nur als «innere», nur als die eigenen verborgenen Erlebnisse seiner Seele; mit dem geöffneten «geistigen Auge» leuchtet vor dem äußeren geistigen Anblick auf, was sonst nur «im Innern» des andern Wesens lebt.

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Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei hier ausdrücklich gesagt, daß der Seher nicht etwa in sich dasselbe erlebt, was das andere Wesen als seinen Inhalt der Empfindungswelt in sich hat. Dieses erlebt die Empfindungen von dem Gesichtspunkte seines Innern; der Seher nimmt eine Offenbarung, eine Äußerung der Empfindungswelt wahr.

Die Empfindungsseele hängt in bezug auf ihre Wirkung vom Ätherleib ab. Denn aus ihm holt sie ja das hervor, was sie als Empfindung aufglänzen lassen soll. Und da der Ätherleib das Leben innerhalb des physischen Leibes ist, so ist die Empfindungsseele auch von diesem mittelbar abhängig. Nur bei richtig lebendem, wohl gebautem Auge sind entsprechende Farbenempfindungen möglich. Dadurch wirkt die Leiblichkeit auf die Empfindungsseele. Diese ist also durch den Leib in ihrer Wirksamkeit bestimmt und begrenzt. Sie lebt innerhalb der ihr durch die Leiblichkeit gezogenen Grenzen. – Der Leib wird also aus den mineralischen Stoffen auferbaut, durch den Ätherleib belebt, und er begrenzt selbst die Empfindungsseele. Wer also das oben erwähnte Organ zum «Schauen» der Empfindungsseele hat, der erkennt sie durch den Leib begrenzt. – Aber die Grenze der Empfindungsseele fällt nicht mit derjenigen des physischen Körpers zusammen. Diese Seele ragt über den physischen Leib hinaus. Man sieht daraus, daß sie sich mächtiger erweist, als er ist. Aber die Kraft, durch die ihr die Grenze gesetzt ist, geht von dem physischen Leibe aus. Damit stellt sich zwischen den physischen Leib und den Ätherleib einerseits und die Empfindungsseele andererseits noch ein besonderes Glied der menschlichen Wesenheit hin. Es ist der Seelenleib oder Empfindungsleib. Man kann auch sagen: ein Teil des Ätherleibes sei feiner als der übrige, und dieser feinere Teil des Ätherleibes bildet eine Einheit mit der Empfindungsseele, während der gröbere Teil eine Art Einheit mit dem physischen Leib bildet. Doch ragt, wie gesagt, die Empfindungsseele über den Seelenleib hinaus.

Was hier Empfindung genannt wird, ist nur ein Teil des seelischen Wesens. (Der Ausdruck Empfindungsseele wird der Einfachheit halber gewählt.) An die Empfindungen schließen sich die Gefühle der Lust und Unlust, die Triebe, Instinkte, Leidenschaften. All das trägt denselben Charakter des Eigenlebens wie die Empfindungen und ist, wie sie, von der Leiblichkeit abhängig." (Lit.: GA 9, S. 39)

Empfindungsseele und Gedächtnis

Wesentlich ist die Empfindungssele an der Ausbildung unseres Gedächtnisses beteiligt. Der eigentliche Träger unserer Gedächtniskräfte ist der Ätherleib, dem die Spuren unserer sinnlichen Erlebnisse als lebendige bildschaffende Kräfte einverwoben werden. Die Empfindungsseele vermittelt dem Ätherleib diese Bildekräfte und kann sie uns später aus diesem wieder als seelisches Bild gegenwärtig machen.

"Für das «Ich» bedeuten Erinnerung und Vergessen etwas durchaus Ähnliches wie für den Astralleib Wachen und Schlaf. Wie der Schlaf die Sorgen und Bekümmernisse des Tages in ein Nichts verschwinden läßt, so breitet Vergessen einen Schleier über die schlimmen Erfahrungen des Lebens und löscht dadurch einen Teil der Vergangenheit aus. Und wie der Schlaf notwendig ist, damit die erschöpften Lebenskräfte neu gestärkt werden, so muß der Mensch gewisse Teile seiner Vergangenheit aus der Erinnerung vertilgen, wenn er neuen Erlebnissen frei und unbefangen gegenüberstehen soll. Aber gerade aus dem Vergessen erwächst ihm Stärkung für die Wahrnehmung des Neuen. Man denke an Tatsachen wie das Lernen des Schreibens. Alle Einzelheiten, welche das Kind zu durchleben hat, um schreiben zu lernen, werden vergessen. Was bleibt, ist die Fähigkeit des Schreibens. Wie würde der Mensch schreiben, wenn beim jedesmaligen Ansetzen der Feder alle die Erlebnisse in der Seele als Erinnerung aufstiegen, welche beim Schreibenlernen durchgemacht werden mußten.

Nun tritt die Erinnerung in verschiedenen Stufen auf. Schon das ist die einfachste Form der Erinnerung, wenn der Mensch einen Gegenstand wahrnimmt und er dann nach dem Abwenden von dem Gegenstande die Vorstellung von ihm wieder erwecken kann. Diese Vorstellung hat der Mensch sich gebildet, während er den Gegenstand wahrgenommen hat. Es hat sich da ein Vorgang abgespielt zwischen seinem astralischen Leibe und seinem Ich. Der Astralleib hat den äußeren Eindruck von dem Gegenstande bewußt gemacht. Doch würde das Wissen von dem Gegenstande nur so lange dauern, als dieser gegenwärtig ist, wenn das Ich nicht das Wissen in sich aufnehmen und zu seinem Besitztume machen würde. Hier an diesem Punkte scheidet die übersinnliche Anschauung das Leibliche von dem Seelischen. Man spricht vom Astralleibe, solange man die Entstehung des Wissens von einem gegenwärtigen Gegenstande im Auge hat. Dasjenige aber, was dem Wissen Dauer gibt, bezeichnet man als Seele. Man sieht aber zugleich aus dem Gesagten, wie eng verbunden im Menschen der Astralleib mit dem Teile der Seele ist, welcher dem Wissen Dauer verleiht. Beide sind gewissermaßen zu einem Gliede der menschlichen Wesenheit vereinigt. Deshalb kann man auch diese Vereinigung als Astralleib bezeichnen. Auch kann man, wenn man eine genaue Bezeichnung will, von dem Astralleib des Menschen als dem Seelenleib sprechen, und von der Seele, insofern sie mit diesem vereinigt ist, als der Empfindungsseele." (Lit.: GA 13, S. 64)

Typische Gesten

„Es gibt Menschen, die in ihrer Entwicklung noch so wenig weit vorgeschritten sind, daß sie mit ihren Empfindungen noch ganz in ihrer Empfindungsseele drin stecken. Ihr ganzes Bewußtsein hängt zusammen mit der Empfindungsseele. Und das kann man den äußeren Gesten der Menschen schon ansehen: sie verraten ja gewisse Ursachen, die im Astralleib liegen. Wenn ein Mensch noch ganz in der Empfindungsseele drin steckt, sich innerlich so recht wohl fühlt, kommt es vor, zum Beispiel wenn er eine gute Mahlzeit hatte, daß er sich auf den Leib klopft vor Behagen. Das ist ein Zeichen, daß er noch eine zu starke Empfindungsseele hat.“ (Lit.:GA 108, S. 106)

Literatur

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Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
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Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.