Vernunft

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Als Vernunft (von griech. νοῦς nous, womit auf das Vernehmen des Geistigen gedeutet wird; eng. reason) wird im philosophischen Sinn die menschliche Fähigkeit bezeichnet, universelle Weltzusammenhänge bewusst zu erfassen und ihnen gemäß zu handeln. Vernunft ist aber nicht, wie oft fälschlich angenommen, identisch mit dem Geist, der als schöpferischer Wille bedingungslos aus dem Nichts heraus schaffend tätig ist, sondern Vernunft ist das Vernehmen des Geistes im menschlichen Bewusstsein.

Die Vernunft ist dem Verstand, der auf die Erkenntnis des Einzelnen gerichtet ist, übergeordnet und soll letzteren so lenken und leiten, dass sich die Ergebnisse seiner Tätigkeit harmonisch in das Weltganze einfügen. Während die Verstandestätigkeit der Verstandes- oder Gemütsseele, von Aristoteles Kinetikon genannt, entspringt, gründet sich die Vernunft auf die auf das Geistige gerichtete Tätigkeit der Bewusstseinsseele. Sie wurde von Aristoteles als Dianoetikon bezeichnet und ist seiner Ansicht nach die einzig wahre Quelle der Ethik, an der sich die moralische Qualität des menschlichen Tuns bemisst.

„Es gab eine Urweisheit, die Menschen waren so, daß ihnen eine Urweisheit gegeben war, die sie zwar nur in Bildern schauten, aber es gab eine solche Urweisheit, nur ging mit der Weiterentwickelung der Menschheit immer mehr das Verständnis derselben verloren, immer weniger und weniger begriffen die Menschen diese Urweisheit —, dann ist auch wiederum ganz klar: in dem Maße begriffen sie sie weniger, als die Wissenschaft, als sich der Verstand, die Vernunft entwickelten.

Nun können wir fragen: Was wird also zu einem bestimmten Zeitpunkt eingetreten sein? - Stellen wir uns die Sache vor, stellen wir uns einen vorchristlichen Menschen vor, der unter gewissen Voraussetzungen gelebt hat. Er wird den Blick in die Welt gerichtet haben, wird die verschiedensten Dinge gesehen haben, aber außerdem war in der Seele dieses Menschen die Möglichkeit, hinter diese Dinge zu schauen. Diese Anlage war noch da. Also es war für ihn eine Tatsache, daß hinter jeder Blume ein Ätherleib ist. Das war für ihn eine Tatsache. Aber diese Fähigkeit ging nach und nach verloren. Sie ging verloren, weil Vernunft, Verstand, wie sie heute herrschen, diese Fähigkeit verbannen. Die läßt sich nicht vereinigen mit der anderen Fähigkeit, das sind zwei feindliche Gewalten. Es ist einmal so — das ist eine gemeinsame Erfahrung aller wirklichen Geistesforscher -, daß Verstand, Nachdenken im gewöhnlichen Sinne, versengend, verbrennend wirken auf das, was initiiertes Anschauen der Dinge ist. So daß auch in der Geschichte in dem Maße, als Verstand, Vernunft im gewöhnlichen Sinne eingetreten sind, die Wissenschaft der alten Geistesschau verlorengegangen ist und damit das Verständnis für die alte Überlieferung. Da mußte also eine Anzahl von Jahrhunderten vergehen, da mußte jetzt anstelle des Menschen, den ich Ihnen geschildert habe, ein anderer treten, und der mußte sich vielleicht sagen: Das wäre natürlich ein schlimmes Vorurteil, wenn man glauben würde, daß die Wahrheit so sei, wie sie die Welt sinnlich darbietet. Da muß überall die menschliche Vernunft hinzukommen. - Es war der Glaube an die menschliche Vernunft maßgebend. Sie muß erst die Dinge, wie sie sind, zergliedern, sie muß sich über die Sinneserscheinungen hermachen und diese logisch begreifen.“ (Lit.: GA 125, S. 172f)

Literatur

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Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

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