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Nous
Als Nous (griech. νοῦς, nous „Geist, Intellekt, Verstand, Vernunft“; zusammenhängend mit νοεῖν noeín „denken“) wird schon bei Homer das menschliche Erkenntnisvermögen bezeichnet. Nous ist das Vernehmen des schöpferischen Geistes im Bewusstsein - aber nicht dieser selbst.
Parmenides und Demokrit setzten den nous weitgehend mit der Psyche (Seele) gleich und Platon und Aristoteles verstanden darunter den erhabensten, göttlichen Teil der derselben. Aristoteles hat dafür den Begriff Dianoetikon geprägt, der im wesentlichen mit dem der Bewusstseinsseele identisch ist und die Grundlage des Intellekts bildet, der durch sein selbsttätiges, selbstbewustes Denken über die bloße Tätigkeit der Verstandes- oder Gemütsseele hinausreicht. Platon unterschied allerdings zwischen der Dianoia (διάνοια), als dem insbesonders auf technisch-mathematische Fragen bezogenen diskursiven, auf die sinnliche Wahrnehmung gegründeten Denken, und der eigentlichen Noesis (νόησις), der unmittelbaren, von jeder Sinneswahrnehmung unabhängigen Ideenschau, zu der allerdings aufgrund der Verbindung der Seele mit dem Körper nur mehr wenige Menschen befähigt sind. Für Aristoteles hingegen werden die unvergänglichen Ideen in Form von Allgemeinbegriffen durch die Erkenntnistätigkeit aus den Sinnesbildern (griech. φἀντασμα phantasma) herausgehoben. Er unterschied dabei in seiner Schrift «Über die Seele» zwischen dem passiven Intellekt, dem νοῦς παθητικός (nous pathetikos; lat. intellectus possibilis, auch intellectus passivus), der durch den inneren Gemeinsinn, das Gedächtnis usw. aus den Wahrnehmungen zuerst als Erkenntnisbasis ein kognitives Gesamtbild schafft, und dem aktiven Intellekt, dem νοῦς ποιητικός (nous poietikos; lat. intellectus agens), der daraus durch Abstraktion aktiv die reinen sinnlichkeitsfreien Ideen heraushebt. Auf dieser Grundlage hat später Thomas von Aquin seinen gemäßigten Ideenrealismus aufgebaut.
„Da in der ganzen Natur für jede Gattung etwas als Stoff besteht (dieser Stoff ist alles Einzelne dem Vermögen nach) und etwas Anderes als Ursache und Wirkendes, indem es Alles bewirkt[1], wie z. B. die Kunst sich zu dem Stoffe verhält, so müssen diese Unterschiede auch in der Seele bestehen. Deshalb ist also die Vernunft theils so beschaffen, dass sie Alles wird, theils so, dass sie Alles bewirkt, gleich einem Sein, wie das Licht; denn auch dieses macht gleichsam die nur dem Vermögen nach seienden Farben zu wirklichen Farben; und diese Vernunft ist trennbar, leidlos, ungemischt und in ihrem Wesen nur Wirklichkeit, da das Wirkende immer geehrter ist als das Leidende, und der Anfang geehrter ist als der Stoff. Das wirkliche Wissen ist dasselbe mit seinem Gegenstande; dagegen ist das Wissen als Vermögen der Zeit nach in dem Einen früher, aber nicht überhaupt; denn die Vernunft ist nicht so, dass sie bald denkt, bald nicht denkt. Getrennt ist die Vernunft, so wie sie an sich ist, und nur diese ist unsterblich und ewig[2]. Wir erinnern uns jedoch dessen nicht, weil dieser Theil der Vernunft leidlos ist; die leidende Vernunft ist aber vergänglich, und ohne diese kann das Denken nicht stattfinden.[3]“
Im trichotomen Menschenbild des spätantiken Neuplatonismus, nach dem der Mensch als aus Leib, Seele und Geist bestehend angesehen wurde, bildete der nous die oberste, geistige Instanz. Durch seinen nous ist der Mensch unsterblicher, unvergänglicher Bürger der geistigen Welt, die seine eigentliche und oberste Wesensheimat ist, aus der er nur zeitweilige in die Niederungen des vergänglichen Daseins versetzt wird.
„Daß Aristoteles gewissermaßen heruntergeholt hat durch abstrakte Begriffe dasjenige, was die anderen in Schauungen gehabt haben, davon haben ein Bewußtsein Albertus und Thomas. Deshalb stehen sie auch dem Aristoteles wahrhaftig nicht so gegenüber wie die jetzigen Philosophiephilologen, die kuriose Streite entfaltet haben über zwei Begriffe, die von Aristoteles herrühren. Aber da die Aristotelischen Schriften nicht vollständig auf die Nachwelt gekommen sind, so findet man diese beiden Begriffe, ohne daß man sie bei Aristoteles im Zusammenhang hat - was ja immer eine Tatsache ist, die für viele gelehrte Streitigkeiten den Unterschied bieten kann —, man findet zwei Ideen bei Aristoteles. Aristoteles sieht ja in der menschlichen Wesenheit das, was zu einer Einheit zusammenfaßt das vegetative Prinzip des Menschen, das animalische Prinzip des Menschen, das niedere menschliche Prinzip, und dann das höhere menschliche Prinzip, dasjenige, was Aristoteles den Nous, was die Scholastik dann den Intellekt nennt. Aber Aristoteles unterscheidet zwischen dem Nous poietikos und dem Nous pathetikos, zwischen dem tätigen und leidenden Geiste des Menschen. Die Ausdrücke sind nicht mehr so bezeichnend, wie die griechischen waren, aber man kann doch sagen, Aristoteles unterscheidet zwischen dem aktiven Verstand, dem tätigen Geist des Menschen und dem passiven Verstand des Menschen. Was ist damit gemeint?
Man begreift nicht, was damit gemeint ist, wenn man nicht auf den Ursprung dieser Begriffe zurückgeht. Geradeso wie die anderen Seelenkräfte sind in einer anderen Metamorphose die beiden Arten des Verstandes an dem Aufbau der menschlichen Seele betätigt: der Verstand, insofern er wirkt als tätiger, noch im Aufbau des Menschen wirksam, aber als Verstand, nicht wie das Gedächtnis einmal aufhörend und dann als Gedächtnis sich emanzipierend, sondern als Verstand das ganze Leben hindurch wirkend, das ist der Nous poietikos, das ist dasjenige, was aus dem Weltenall heraus sich individualisierend den Leib aufbaut im Sinne des Aristoteles. Es ist nichts anderes als das, was die den menschlichen Leib aufbauende tätige Seele des Plotin auch ist. Und dasjenige, was dann sich emanzipiert, was nur noch dazu da ist, um die äußere Welt aufzunehmen und die Eindrücke der äußeren Welt dialektisch zu verarbeiten, das ist der Nous pathetikos, das ist der leidende Intellekt, der intellectus possibilis. Es geht zurück, was in scharfer Dialektik, in präziser Logik in der Scholastik uns entgegentritt, auf diese alten Überlieferungen. Und man kommt nicht zurecht mit dem, was in den Seelen der Scholastiker sich abspielte, wenn man nicht dieses Hereinspielen uralter Traditionen berücksichtigt.“ (Lit.: GA 74, S. 54ff)
Xenophanes (griech. Ξενοφάνης, um 570 v. Chr.; † um 470 v. Chr.) sprach als erster von einer objektiv waltenden Weltvernunft, die von Anaxagoras (Αναξαγόρας, * 499 v. Chr.; † 428 v. Chr.) mit dem nous gleichgesetzt wurde und ein Hinweis auf die allgegenwärtige kosmische Intelligenz ist, die von dem Erzengel Michael verwaltet wird. Dass der Begriff der Weltvernuft gerade zu dieser Zeit auftrat, ist kein Zufall, denn damals hatte gerade das letzte vorchristliche Michael-Zeitalter begonnen.
Was die griechischen Philosophen als nous bezeichneten, steht in enge Beziehung zu dem in der Welt schöpferisch wirkenden Logos (λόγος, Wort, Rede, Sinn). Der nous ist gleichsam der innerste Wesenskern dessen, was nach außen als Logos erscheint, der in Wahrheit mit dem Christus identisch ist.
Auch die Gnostiker, insbesonders Basilides, beschäftigten sich mit dem Verhältnis von Logos und Nous. Nach Basilides emanieren aus der Gottheit, dem „ungewordenen Vater“, nach der Zahl der Planeten sieben göttliche Kräfte, davon vier intellektuelle, deren oberste der Nous ist:
- der Geist (Nous),
- das ihn offenbarende Wort, der Logos,
- die Denkkraft (Phronesis) und
- Weisheit (Sophia),
- dann die Macht,
- die sittliche Vollkommenheit und
- der innere Friede
„Wenn ich Ihnen ein charakteristisches Merkmal der Gnosis angeben soll in bezug auf das innere menschliche Erleben, so ist es dieses, daß der Gnostiker alles Streben hatte, bis zum Höchsten hinauf mit der Erkenntnis zu dringen, so daß sich sein Blick über den Logos hinauf zu dem Nous erhob. Der Gnostiker sagte: In Christus und im Mysterium von Golgatha erschien der Nous menschlich verkörpert; nicht der Logos, der Nous erschien menschlich verkörpert. Das hat aber, meine lieben Freunde, wenn man es lebendig erfaßt, eine ganz bestimmte Folge für unser inneres Seelenleben. Wenn man die Dinge so abstrakt hinstellt, wie sie heute im intellektualistischen Zeitalter vielfach vor die Leute hingestellt werden, nun ja, dann hört man, die Menschen der älteren Zeiten hätten nicht von dem Logos gesprochen, der in Jesus Fleisch geworden ist, sondern von dem Nous, der in Jesus Fleisch geworden ist. Damit ist die Sache dann aus, wenn man einen solchen Begriff hingepfahlt hat. Derjenige aber, der im lebendigen Erleben des Begrifflichen geistig drinnensteht, der kann nicht anders, indem er einen solchen Seeleninhalt faßt, als sich plastisch gestaltet das vorzustellen, was fleischgewordener Nous ist. Fleischgewordener Nous aber kann nicht sprechen, das kann nicht der Christus sein, kann nicht durch Tod und durch Auferstehung gehen. Der Christus der Gnostiker, der eigentlich der Nous ist, konnte nur so weit kommen, daß er sich im Menschen verkörperte, er konnte aber nicht bis zum Sterben und zur Auferstehung kommen. Dadurch verdunkelt sich für Basilides zum Beispiel die Anschauung. Ihm trübt sich der Blick in dem Moment, wo er sich mit seinem inneren Schauen den letzten Akten des Mysteriums von Golgatha nähert; ihm trübt sich der Blick, wenn es zum Sterben und zur Auferstehung kommt. Der Bück wurde hingeworfen auf den Kreuz-Gang, auf den Golgatha-Gang des Christus Jesus, aber er konnte aus einer lebendigen Vorstellung das nicht vollenden, daß der Christus das Kreuz bis Golgatha getragen hat, daß er ans Kreuz geschlagen worden ist und auferstanden ist. Ihm stellt sich in den Blick hinein, daß Simon von Kyrene [dem Christus] das Kreuz abgenommen hat, daß er es bis Golgatha hinaufgetragen hat, und daß anstelle des Christus Simon von Kyrene gekreuzigt worden ist. Das ist die Christus-Vorstellung der Gnostiker, insofern die Gnosis in der Gestalt des Basilides auftritt, und im Grunde genommen ist das die historische Gestalt der Gnosis.“ (Lit.: GA 343a, S. 271)
Aus dem objektiv waltenden und subjektiv erscheinenden nous hat sich der Begriff der menschlichen Vernunft herausgebildet, die als leitende Instanz dem Verstand übergeordnet ist. Die Vernunft wurde ursprünglich nicht als ein rein menschliches Denkvermögen aufgefasst, sondern in ihr konnte man noch den waltenden Weltgeist selbst durch Inspiration als innerlich erlebtes Wort vernehmen.
Die Wahrheit kann nur im Ätherleib, den Rudolf Steiner auch als Liebeleib bezeichnet hat, erfasst werden. Das geschieht bereits durch das sinnlichkeitsfreie reine Denken und führt zu einer ersten hellsichtigen Wahrnehmung der geistigen Außenwelt.
„Das Wahre nimmt man eigentlich erst dann wahr, wenn es einem gelingt, die Urteile so zu erfassen, daß man sie losbekommt vom physischen Leibe, daß man den Ätherleib losbekommt vom physischen Leibe. Das erste Hellsehen ist schon das wirklich reine Denken. Derjenige, der einen reinen Gedanken faßt, ist schon hellsehend. Nur ist das gewöhnliche menschliche Denken eben kein reines Denken, sondern ein von sinnlichen Vorstellungen, von Phantasmen erfülltes Denken. Aber derjenige, der einen reinen Gedanken faßt, ist eigentlich schon hellsehend, denn der reine Gedanke kann nur im Ätherleibe gefaßt werden.“ (Lit.: GA 176, S. 116)
Durch die bewusste Arbeit des Ich wird der Ätherleib zu Buddhi, dem Lebensgeist, verwandelt, in dem der Christus wirkt. Eine Vorstufe dazu ist die Verstandes- und Gemütsseele, die durch die unbewusste Arbeit des Ich am Ätherleib entsteht und vornehmlich in der griechisch-lateinischen Zeit ausgebildet wurde. Heute muss diese Arbeit immer bewusster geschehen; nur dadurch ist in voller Freiheit die Verbindung mit dem Christus möglich.
Wenn in alten, vorchristlichen Zeiten die auserwählten Menschheitsführer unmittelbar aus dem Geist heraus sprachen, d.h. aus dem Nous und dem Logos, so hatte das eine suggestive Wirkung. Das darf heute nicht mehr sein, denn es würde die Freiheit des Menschen verletzen und ihn gerade dadurch von dem Christus abtrennen. Heute muss aus dem Heiligen Geist gesprochen werden, wie er durch das Pfingstwunder auf die Apostel herabgekommen ist.
„Wenn jemand die Rede mißbrauchen würde zur Magie, so wäre das im Sinne desjenigen, was Anthroposophie vertreten muß, ein im eminentesten Sinne Irreligiöses, ja eine ungöttliche Hantierung, es wäre in dem strengen Sinne, wie es die Anthroposophie auffassen muß, eine Sünde wider den Heiligen Geist. Denn die Rede darf nur durchdrungen sein von jener Heiligung, die man nennen kann die Heiligung durch den Heiligen Geist, und muß beobachten im Menschen absolut das Prinzip der unmittelbar vollständig freien Überzeugung, die es vor dem Mysterium von Golgatha überhaupt nicht hat geben können in der Menschheitsentwickelung, weil man überhaupt an dem Menschen abgeprallt wäre mit dem Worte, wenn das Wort nur die Kraft gehabt hätte, die es heute allein haben darf. Damals mußte es suggestiv wirken, weil eben die menschliche Organisation darauf angelegt war. Darum mußten auch auserwählte Führer da sein, wie ich gestern gesagt habe, und es durfte damals auch durch das Wort gewirkt werden in einem Sinne, wie es bloß im Geiste geschieht, indem man sich bewußt wurde, man redete im Geiste, nicht aus seiner eigenen Kraft, sondern aus der Kraft des in einem lebenden Gottes, des Nous oder des Logos. Man muß sich bewußt sein, daß dies heute unmöglich ist, und daß heute nur aus dem Heiligen Geiste heraus gesprochen werden darf; das ist aber das Wort, dem allein antwortet die freie Überzeugung dessen, der das Wort hört. Es muß also heute alle Unterweisung in dem Zeichen des Heiligen Geistes geschehen. Daher müssen wir uns sehr klar darüber sein, daß alles dasjenige, was von Worten hinüberfließt in die Handlung, nur allein im christlichen Sinne so vollzogen werden darf, wenn bei dem Vollziehenden das Paulus-Bewußtsein vorhanden ist: Nicht ich, sondern der Christus in mir! - Nichts darf an einer Handlung, die so vollzogen wird, ohne das Bewußtsein ausgeführt werden: Die Handlung wird vollzogen als ein innerliches göttliches Gebot, als dasjenige, was im Sinne des Christus-Auftrages selber vollzogen wird.“ (Lit.: GA 343a, S. 313f)
Siehe auch
- Holm Bräuer: „Nous“ - Artikel im UTB-Online-Wörterbuch Philosophie
- Nus - Artikel in Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe (1904)
- Nus / Nous - Artikel in Friedrich Kirchner, Carl Michaëlis: Wörterbuch der Philosophischen Grundbegriffe (1907)
Literatur
- Rudolf Steiner: Die Philosophie des Thomas von Aquino, GA 74 (1993), ISBN 3-7274-0741-7 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus., GA 176 (1982), ISBN 3-7274-1760-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, II, GA 343a (1993), ISBN 3-7274-3430-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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Einzelnachweise
- ↑ A. trennt in diesem Kapitel die leidende Vernunft von der thätigen; jene vergleicht er mit dem Stoff, diese mit der Kunst, d. h. mit dem, was den Stoff zu den wirklichen konkreten Dingen gestaltet. Diese Trennung würde für die ganze Seele begründet erscheinen, da A. das Wahrnehmen als ein Leiden dargestellt hat; allein für das Denken allein erscheint sie auffallend, da A. bisher das Denken nur als das Thätige hingestellt hat...
- ↑ Diese Stelle ist dunkel, und es ist wohl möglich, das diese wie die mehreren bereits behandelten dunkelen Stellen durch das Verderbniss der Handschriften mit verursacht ist und nicht Alles dem A. zur Last gelegt werden darf. Die Identität des wirklichen Wissens mit seinem Gegenstande bezieht sich auf den logos; realistisch ausgedrückt, auf den Inhalt des Gegenstandes, der mit dem Inhalte seiner Vorstellung identisch ist. Das Wissen dem Vermögen nach ist in dem einzelnen Menschen (in dem Einen) vor seinem wirklichen Wissen; allein da die thätige Vernunft für sich besteht, ewig, unsterblich ist, so ist ihr Dasein und ihre Wirksamkeit als Vernunft überhaupt nicht von der Thätigkeit des einzelnen Individuums bedingt, sondern als solche ewige, selbstständige, von den Individuen getrennte Vernunft ist sie immer thätig, und deshalb ist sie als solche immer energeia und niemals dynamei; nur in dem einzelnen Menschen entsteht diese Trennung in Vermögen und Wirklichkeit...
- ↑ Das Denken der Begriffe kann ohne die bildlichen Vorstellungen des Wahrnehmens und der Einbildungskraft nach A. nicht stattfinden. Dies gehört aber ebenso wie das Erinnern zu der leidenden und vergänglichen Vernunft, und daraus erklärt es sich , dass wir uns des Daseins unserer thätigen Vernunft vor der Zeit, wo sie in diesen Körper eingetreten ist, nicht erinnern. Die thätige Vernunft hat es nur mit den ewigen Wahrheiten; mit dem Wesen der Dinge zu thun; diese stehen aber ansserhalb der Zeit, und es findet bei ihnen kein Entstehen und Vergehen statt. Deshalb ist diese thätige Vernunft immer gegenwärtig, sie steht nicht innerhalb der Zeit und ist deshalb ewig, nicht im Sinne einer unendlichen Zeitdauer, sondern in dem Sinne der Freiheit von aller Zeit. - Diese Gedanken erinnern lebhaft an Spinoza, der ganz dieselbe Auffassung hat. - Plato hatte dem entgegen alles Wissen als Erinnern aufgefasst, wie namentlich in seinem Dialog „Menon" ausgeführt wird...
- ↑ Aristoteles' drei Bücher über die Seele, Übersetzt und erläutert von J. H. v. Kirchmann, Verlag von L. Heimann, Berlin 1871, S. 166ff