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Freiheit
Das altgriech. Wort für Freiheit – «Éleutheria» – bedeutete ursprünglich etwa: „zu einer Reise aufbrechen und alle Schwierigkeiten überwinden, um ein geliebtes Ziel zu erreichen“, wie es Homer in seiner Odyssee schildert.
Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, |
Wer Großes will, muß sich zusammenraffen; |
O weh! hinweg! und laßt mir jene Streite |
Das ist der Weisheit letzter Schluß: |
Im Jardin des Plantes, Paris Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe |
Die Freiheit (lat. libertas; griech. ἐλευθερία éleutheria) des Menschen liegt nach Rudolf Steiner darin begründet, dass er die Gesetze seines Handelns erkennen und darauf seine Entscheidungen gründen kann. Ausgangspunkt der Freiheit ist daher nicht die Freiheit des Willens, sondern die Freiheit der Gedanken, die sich der Mensch im reinen, sinnlichkeitsfreien Denken durch moralische Intuition erringen kann – nicht aus blinden Instinkten, Trieben oder Begierden, auch nicht in der bloßen Befolgung äußerer Normen, sondern wissend aus voll bewusster Liebe zu dem, was er tut. Nur so kann er sein Handeln selbstbestimmt, autonom gestalten, allen äußeren Zwängen zum Trotz. Fehlt ihm die innere Freiheit, vermag er die äußere Freiheit nicht zu nützen, würde sie ihm auch noch so großzügig gewährt.
„Lesen Sie nach in meiner «Philosophie der Freiheit», was für einen großen Wert ich darauf gelegt habe, daß nicht gefragt werde nach der Freiheit des Willens. Der sitzt unten, tief unten im Unbewußten, und es ist ein Unsinn, nach der Freiheit des Willens zu fragen; sondern man kann nur von der Freiheit der Gedanken sprechen. Ich habe das in meiner «Philosophie der Freiheit» wohl auseinandergehalten. Die freien Gedanken müssen dann den Willen impulsieren, dann ist der Mensch frei.“ (Lit.: GA 235, S. 46ff)
Dass es sich dabei um ein fernes, nur selten erreichtes Ideal handelt, kann kaum bezweifelt werden. Nur selten handelt der Mensch wirklich frei aus vollbewusster Einsicht in die wahren Gründe seines Tuns. Oft ist er der Sklave seiner eigenen Egoismen oder folgt bestenfalls den äußeren Regeln, die ihm anerzogen wurden. Doch liegt in seinem Ich die Kraft, sich diesem Ideal schrittweise im Zuge einer langen Entwicklung zu nähern und schlussendlich zu einem wahren Geist der Freiheit zu werden.
„Nicht alles menschliche Handeln trägt den Charakter der Freiheit. Nur das in jedem seiner Teile von Selbstbeobachtung durchglühte Handeln ist ein freies. Und weil die Selbstbeobachtung das individuelle Ich hinaufhebt zum allgemeinen Ich, so ist das freie Handeln das aus dem All-Ich fließende.“ (Lit.: GA 7, S. 36)
Dass dieses Ziel bei unbefangener Betrachtung nicht in einem einzigen Erdenleben erreichbar ist, sondern vieler wiederholter Erdenleben und der heilsamen Kraft des Karmas bedarf, erscheint so gesehen nicht unplausibel.
Ein freies Geistesleben, das auf die individuellen Fähigkeiten des Menschen gegründet ist, soll sich heute nach Rudolf Steiners Ideen zur sozialen Dreigliederung als selbstständiges Glied des sozialen Organismus neben dem Wirtschafts- und Rechtsleben herausbilden.
„Das geistige Glied im dreigliedrigen sozialen Organismus umfaßt Wissenschaft, Kunst, Religion, das gesamte Erziehungswesen und die richterliche Rechtsprechung. Alle diese geistig-kulturellen Faktoren können nur in vollkommener Freiheit von staatlichen Eingriffen ihre Aufgabe erfüllen und in rechter Weise das soziale Leben befruchten. Das Geistesleben, die Kultur, muß aus dem freien Zusammenwirken aller geistig-schöpferischen Einzelpersönlichkeiten sich herausgestalten und sich selbst eigene Verwaltungskörper geben.“ (Lit.: GA 24, S. 473)
Eleutheria
Der griechische Begriff Éleutheria (griech. ἐλευθερία) leitet sich vermutlich von griech. ἐλευ éleu ab, was ungefähr bedeutet „ein geliebtes Ziel erreichen“ (zu können), durchaus im Sinne einer äußeren (See)Reise, die man bestehen muss und dabei seine Kräfte und Fähigkeiten entwickelt, um das erstrebte, geliebte Ziel zu erreichen, wie es klassisch Homer in seiner Ilias und Odyssee schildert. Éleutheria war auch ein Beiname der Göttin Artemis, die in dieser Form insbesondere in der Stadt Myra im kleinasiatischen Lykien verehrt wurde. In der römischen Mythologie entspricht ihr die Göttin Libertas, für die auch die Freiheitsstatue (Liberty Enlightening the World) in New York steht.
Gedankenfreiheit und sittliche Autonomie
„Es handelt sich dabei darum, daß man die Freiheit entwickelt hat zunächst im Gedanken. Im Gedanken geht der Quell der Freiheit auf. Der Mensch hat einfach ein unmittelbares Bewußtsein davon, daß er im Gedanken ein freies Wesen ist.“ (Lit.: GA 235, S. 54)
Die Erkenntnis der Gesetzmäßigkeiten des eigenen Handelns ist zunächst nur ein Sonderfall des Erkennens überhaupt, doch indem die Erkenntnis sich auf die bewusste Tätigkeit des Ichs richtet, liegt diese Gesetzmäßigkeit nicht außerhalb des erkannten Objektes, des Ichs, sondern ist der Inhalt des im lebendigen Tun begriffenen Ich selbst, das diese Gesetze aus sich und der Einsicht in die Gegebenheiten hervorbringt. Erkennender und Erkanntes, Subjekt und Objekt, fallen in eins, werden identisch, und damit beherrschen uns nicht mehr von außen gegebene sittliche Gebote und Gesetze, auch nicht mehr von innen aufgedrungene triebhafte Handlungsweisen, sondern wir nehmen erstere in unser eigenes Wesen auf oder wir klären, was uns letztere abverlangen und vollziehen nur das, was wir uns selbst befehlen, d. h. was wir selbst zu bewussten Handlungsmotiven erhoben haben.
„Wahrhaft unsere Handlungen sind ja doch nur diejenigen, wo wir, den Pflichtbegriff vollkommen beiseite setzend, rein unsere Individualität walten lassen.“ (Lit.: GA 38, S. 143)
„Eine Handlung wird als eine freie empfunden, soweit deren Grund aus dem ideellen Teil meines individuellen Wesens hervorgeht; jeder andere Teil einer Handlung, gleichgültig, ob er aus dem Zwange der Natur oder aus der Nötigung einer sittlichen Norm vollzogen wird, wird als unfrei empfunden.
Frei ist nur der Mensch, insofern er in jedem Augenblicke seines Lebens sich selbst zu folgen in der Lage ist. Eine sittliche Tat ist nur meine Tat, wenn sie in dieser Auffassung eine freie genannt werden kann.“ (Lit.: GA 4, S. 164)
Dadurch wird im Sinne Steiners die sittliche Autonomie und der ethische Individualismus und eine durchgreifende Toleranz im Zusammenspiel von Mensch, Gesellschaft und Welt begründet. Voraussetzung dafür ist, dass man das liebt, was man aus Einsicht tut, d.h. sich in freier Hingabe mit dem Auszuführenden identifiziert und dabei die sozialen und natürlichen Bedingungen beachtet. Daraus folgt die Grundmaxime der freien Menschen, die Rudolf Steiner in seiner Philosophie der Freiheit so formuliert hat:
„Leben in der Liebe zum Handeln und Lebenlassen im Verständnisse des fremden Wollens ist die Grundmaxime der freien Menschen.“ (Lit.: GA 4, S. 166)
Seine Gedanken zur Freiheit hat Rudolf Steiner ausführlich in seinen grundlegenden philosophischen Schriften dargestellt, vor allem am Anfang seines öffentlichen schriftstellerischen Wirkens in "Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung mit besonderer Rücksicht auf Schiller", "Wahrheit und Wissenschaft" und in "Die Philosophie der Freiheit" und später, da die Verwirklichung der Freiheitsidee schon eine lange Entwicklung der Bewusstseinskräfte innerhalb der Weltanschauungssysteme und damit des immer universeller werdenden individuellen Denkens in der Menschheit durchgemacht hat, aus der reifen Erfahrung seines jahrzehntelangen Umgangs mit dem in seinen frühen Werken konzipierten Erkenntnisweg in „Die Rätsel der Philosophie“.
„Wer dieses Buch, meine «Philosophie der Freiheit» studiert, wird allerdings finden, daß ich genötigt war, nicht von einer Freiheit des Willens zunächst zu sprechen, sondern von der Freiheit dessen, was im Gedanken, und zwar in dem sinnlichkeitsfreien Gedanken, im reinen Gedanken, erlebt wird, in demjenigen Gedanken aber, der in der menschlichen Seele bewußt als ein sittliches, als ein moralisches Ideal auftaucht, und der diejenige Stärke erlangt, die auf den Willen des Menschen motivierend wirken kann. Wir können von Freiheit des Menschen sprechen, wenn wir von jenen Handlungen des Menschen sprechen, die aus seinem freien Denken heraus gestaltet werden, wo der Mensch durch eine moralische Selbsterziehung dazu kommt, daß ihn die Instinkte, die Triebe, die Emotionen, sein Temperament nicht beeinflussen zu einer Handlung, sondern allein die hingebungsvolle Liebe zu einer Handlung. In dieser hingebungsvollen Liebe zu einer Handlung kann sich entwickeln, was aus der idealen Stärke des reinen sittlichen Gedankens hervorgeht. Das ist eine wirkliche freie Handlung.“ (Lit.: GA 79, S. 128)
Um deutlich zu machen, dass das Denken des Menschen ein ausgesprochener Freiheitspol ist, was Steiner ja schon in der Philosophie der Freiheit sagt, hat Joseph Beuys einmal folgende Formel aufgestellt: Denken = Wissenschaft = Freiheit
Freiheit und Intellektualismus
Im Intellektualismus erstirbt unser geistiges Wesen, aber gerade dadurch wird uns die Möglichkeit zur Freiheit gegeben. Der Intellekt ist keine Wirklichkeit, sondern bloßes Bild und kann uns daher nicht zwingen. Indem wir dieses Bild schöpferisch umgestalten und in in voller Freiheit in unserem Denken die sittlichen Impulse gestalten, die unser Handeln leiten, verwirklichen wir damit zugleich unser ureigenstes geistiges Wesen.
„Der Mensch mußte intellektualistisch werden, damit er frei werden könne. Der Mensch verliert im Intellektualismus sein geistiges Wesen, denn er kann vom Intellektualismus nichts durch des Todes Pforte tragen. Aber er erwirbt hier die Freiheit durch den Intellektualismus, und was er so in Freiheit erwirbt, das kann er dann durch des Todes Pforte tragen.
Der Mensch mag also denken so viel er will auf bloße intellektualistische Art - nichts davon geht durch des Todes Pforte. Allein wenn der Mensch das Denken verwendet, um es in freien Handlungen auszuleben, so geht so viel gewissermaßen als die geistig-seelische Substanz, die ihn zum Wesen macht und nicht zum bloßen Wissen, mit ihm aus seinen Freiheitserlebnissen durch des Todes Pforte. Im Denken wird uns durch den Intellektualismus unser Menschenwesen genommen, um uns zur Freiheit gelangen zu lassen. Was wir in Freiheit erleben, das wird uns dann wiederum gegeben als menschliches Wesen. Der Intellektualismus tötet uns, aber er belebt uns auch. Er läßt uns wieder auferstehen mit völlig verwandelter Wesenheit, indem er uns zu freien Menschen macht.“ (Lit.: GA 207, S. 170)
„Wir können deutlich auf das erste Drittel des 15. Jahrhunderts hinweisen: da ist mit aller Deutlichkeit erst dieser Intellektualismus heraufgekommen. Früher haben die Menschen, auch wenn sie sogenanntes Wissenschaftliches gedacht haben, viel mehr in Bildern, welche die Wachstumskräfte der Dinge selber darstellten, gedacht, nicht in abstrakten Begriffen, wie wir das heute selbstverständlich tun müssen. Nun, diese abstrakten Begriffe, die uns innerlich zum reinen Denken erziehen, wovon ich gerade in meiner «Philosophie der Freiheit» gesprochen habe, diese abstrakten Begriffe, sie machen es möglich, daß wir freie Wesen werden. Als die Menschen noch nicht in Abstraktionen denken konnten, waren sie mit ihrer ganzen Seelenverfassung determiniert, abhängig. Frei können sich erst die Menschen entwickeln, nachdem sie innerlich durch nichts bestimmt sind, nachdem die moralischen Impulse - Sie können das nachlesen in meiner «Philosophie der Freiheit» - im reinen Denken erfaßt werden können. Reine Gedanken sind aber keine Realität, sondern sie sind Bilder. Bilder können uns nicht zwingen, wir selber müssen unser Handeln bestimmen; Bilder haben nichts Zwingendes. Die Menschheit hat sich auf der einen Seite zum abstrakten Gedanken, auf der andern Seite zur Freiheit entwickelt. Das habe ich von andern Gesichtspunkten aus öfter dargestellt.
Aber nun, bevor die Menschheit fortgeschritten war dazu, im Erdenleben den abstrakten Gedanken zu fassen, im Erdenleben durch dieselbe Fähigkeit, die den abstrakten Gedanken fassen kann, zur Freiheit zu kommen, wie war es denn damals mit ihr? Da hat die Menschheit im Leben auf der Erde zwischen der Geburt und dem Tode nicht abstrakte Gedanken gefaßt; selbst im alten Griechenland war das noch nicht möglich, geschweige denn in früheren Zeiten. Da hat die Menschheit durchaus in Bildern gedacht und war demgemäß auch nicht mit dem innerlichen Freiheitsbewußtsein ausgestattet, das eben heraufgezogen ist mit dem reinen, das ist abstrakten Gedanken. Der abstrakte Gedanke läßt uns kalt. Dasjenige, was uns der abstrakte Gedanke an moralischer Fähigkeit gibt, das macht uns im intensivsten Sinne warm, denn das stellt im höchsten Sinne unsere Menschenwürde dar.
Wie war es, bevor der abstrakte Gedanke mit der Freiheit über die Menschheit kam? Nun, Sie wissen, wenn der Mensch durch die Pforte des Todes geht, dann hat er in den ersten Tagen, nachdem er seinen physischen Leib verlassen hat, noch den ätherischen Leib an sich, und er hat wie in einer umfassenden Rückschau, nicht in Detailmalerei, aber in ausgleichenden universellen Bildern seinen ganzen Lebensgang, den er durchgemacht hat, soweit er sich zurückerinnert, vor sich. Dieses Lebenstabieau hat der unmittelbar Verstorbene durch mehrere Tage vor sich als Bildinhalt. Ja, meine lieben Freunde, so ist es heute. In derjenigen Zeit, in der die Menschen hier auf der Erde Bildinhalt hatten, hatten sie unmittelbar nach dem Tode das, was der heutige Mensch erlebt, das Rationelle, die logische Erfassung der Welt, die sie zwischen Geburt und Tod nicht hatten, in der Rückschau vor sich. Das ist etwas, was uns im eminentesten Sinne hineinführt in das Verständnis der Menschenwesenheit. Dasjenige, was der Mensch einer älteren Geschichtsepoche sogar, nicht nur der Urzeit, erst nach dem Tode hatte: einen kurzen Rückblick in abstrakten Begriffen und den Impuls der Freiheit, der ihm dadurch dann blieb für das Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, das hat sich hereingeschoben während der Menschheitsentwickelung in das Erdenleben. Das gehört zu den Geheimnissen des Daseins, daß sich Übersinnliches fortwährend hereinschiebt in das Sinnliche. Was heute ausgedehnt ist über das Erdenleben, die Fähigkeit der Abstraktion und Freiheit, das war etwas, was bei einer älteren Menschheit nach dem Tode erst in den Menschenbesitz kam mit dieser Rückschau, während heute der Mensch während des Erdenlebens zwischen der Geburt und dem Tode die Rationalität, die Intellektualität und die Freiheit hat und daher eine bloße Bildrückschau nach dem Tode. So schieben sich die Dinge ineinander. Fortwährend schiebt sich real Konkret- Übersinnliches in das Sinnliche herein.“ (Lit.: GA 257, S. 43f)
Schein und Wirklichkeit
Wir können uns die Freiheit nur deswegen erringen, weil wir während unseres Erdenlebens mit unserem Tagesbewusstsein in einer Welt des bloßen Scheins leben.
„Wenn wir unsere Sinne hinausrichten in unsere Weltumgebung zwischen Geburt und Tod, dann stellt sich uns die Welt als Erscheinung, als Schein dar [...]
Wenn aber der Mensch zwischen Geburt und Tod im heutigen Zeitalter die Welt nicht als Schein wahrnehmen würde, wenn er den Schein nicht erleben könnte, so könnte er ja nicht frei sein. Die Entwickelung der Freiheit ist nur möglich in der Welt des Scheines. Ich habe das angedeutet in meinem Buche «Vom Menschenrätsel», indem ich darauf hingewiesen habe, daß eigentlich die Welt, die wir erleben, verglichen werden kann mit den Bildern, die uns aus einem Spiegel heraus anschauen. Diese Bilder, die uns aus einem Spiegel heraus anschauen, die können uns nichts aufzwingen; sie sind eben nur Bilder, sie sind Schein. Und so ist das, was der Mensch als Wahrnehmungswelt hat, auch Schein.
Der Mensch ist ja durchaus nicht etwa ganz nur in den Schein der Welt eingesponnen. Er ist nur mit seinem Wahrnehmen, das sein waches Bewußtsein ausfüllt, eingesponnen in eine Scheinwelt. Aber wenn der Mensch hinblickt auf seine Triebe, auf seine Instinkte, auf seine Leidenschaften, auf seine Temperamente, auf all das, was heraufwogt aus dem menschlichen Wesen, ohne daß er es zu klaren Vorstellungen bringen kann, wenigstens zu wachen Vorstellungen, so ist ja das alles nicht Schein. Es ist schon Wirklichkeit, aber eine Wirklichkeit, die dem Menschen nicht vor das gegenwärtige Bewußtsein tritt. Der Mensch lebt zwischen Geburt und Tod in einer wahren Welt, die er nicht kennt, die aber niemals dazu angetan ist, ihm wirklich die Freiheit zu geben. Instinkte, die ihn unfrei machen, kann sie ihm einpflanzen, innere Notwendigkeiten kann sie hervorbringen, aber nie und nimmer kann sie den Menschen die Freiheit erleben lassen. Die Freiheit kann nur erlebt werden innerhalb einer Welt von Bildern, von Schein. Und wir müssen eben, indem wir aufwachen, in ein Scheinwahrnehmungsleben eintreten, damit sich da die Freiheit entwickeln kann.“ (Lit.: GA 207, S. 172f)
Anders ist es zunächst im Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Da tritt dem Menschen die Wirklichkeit der geistigen Welt entgegen und er wird dadurch von deren Notwendigkeit gefangengenommen. Was er sich aber im Erdenleben an Freiheit erworben hat, das kann er als sein Eigenwesen durch die Todespforte tragen und in der jenseitigen Welt geltend machen.
„Das Leben im Scheine ist ihm eigentlich nur gewährt zwischen der Geburt und dem Tode. Der Mensch kommt heute nicht dazu, zwischen dem Tode und einer neuen Geburt im Scheine zu leben. Er wird gewissermaßen gefangengenommen von der Notwendigkeit, wenn er durch den Tod tritt [...]
Das ist die Entwickelung, in die der Mensch eingetreten ist mit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Aus dem Schein der Erde sind ihm verschwunden die göttlich-geistigen Welten. In der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt nehmen ihn aber diese göttlich-geistigen Welten so gefangen, daß er seine Selbständigkeit ihnen gegenüber nicht bewahren kann. Nur, sagte ich, wenn der Mensch hier wirklich Freiheit entwickelt, das heißt, wenn er seinen ganzen Menschen engagiert für das Scheinleben, dann ist es ihm möglich, auch sein Eigenwesen durch die Todespforte zu tragen.“ (Lit.: GA 207, S. 174f)
Wirkt das Erleben der nachtodlichen Notwendigkeit zu stark in das nächste Erdenleben hinein, entsteht eine Gefahr, in der die gegenwärtige Menschheit tatsächlich schwebt:
„Sie kann sich nicht recht einleben in die bloße Welt der Phänomene, in die Welt des Scheines. Vor allen Dingen mit dem inneren Leben kann sie sich nicht in diese Welt des Scheines einleben. Sie will sich der Notwendigkeit, der inneren Notwendigkeit übergeben, den Instinkten, Trieben, Leidenschaften. Wir sehen ja heute wenig von dem verwirklicht, was aus der freien Impulsivität des reinen Denkens hervorgeht. Aber ebensoviel als dem Menschen hier im Leben zwischen Geburt und Tod mangelt an Freiheit, ebensoviel kommt mit dem hypnotisierenden Zwange zwischen Tod und neuer Geburt von Unfreiheit, von Notwendigkeit in der Wahrnehmung über ihn. So daß dem Menschen die Gefahr droht, daß er durch die Todespforte schreitet, sein eigenes Wesen nicht mitnehmen kann, aber für die Wahrnehmungswelt sich nicht einlebt in etwas Freies, sondern in etwas, was ihn untertauchen läßt in Zwangsverhältnisse, was ihn wie erstarren macht in der äußeren Welt.“ (Lit.: GA 207, S. 178)
Technik und Freiheit
„In der Maschine hat sich der Mensch mit einem zwar Durchsichtigen, aber ihm Fremden umgeben. Er hat sein Leben mit diesem Fremden verbunden. Kalt und menschenfern steht die Maschine da, ein Triumph der «sicheren» Erkenntnis; neben ihr steht der Mensch selbst, Finsternis vor sich, wenn er mit dieser Erkenntnis in sich selbst hineinsieht.
Und dennoch: diesen Blick in das durchsichtige Tote mußte die Menschheit in sich erziehen, wenn sie völlig wach werden sollte. Sie braucht das Bildwissen von dem, was ihrem eigenen Wesen fremd ist, zum Wachsein. Denn alles vorangehende Wissen ist aus dem Dunkel der eigenen Menschennatur mitbestimmt; klar wird es erst vor der Seele, wenn die Menschenseele zum bloßen Spiegel wird, der nur noch Bilder des Menschenfremden entwirft. Vorher hatte der Mensch in seinem Seeleninhalt, wenn er von Wissen sprach, die Triebe, die Inhalte seiner eigenen Natur, die als solche nicht klar sein können. Seine Ideen waren von einem Sein durchsetzt; aber sie waren nicht klar. - Die Bilder des leblosen Seins sind klar. Nun aber hat der Mensch an diesen Bildern nicht nur die Offenbarung des Leblosen, sondern auch innere Erlebnisse. Bilder können durch ihre eigene Natur nichts veranlassen. Sie sind kraftlos. Erlebt der Mensch seine sittlichen Impulse in dem Reich des Bildlichen so, wie er es an der leblosen Natur sich anerzogen hat, dann erhebt er sich zur Freiheit. Denn Bilder können nicht wie Triebe, Leidenschaften oder Instinkte den Willen bestimmen. Erst das Zeitalter, das am Toten das Mathematik-ähnliche Bilddenken entwickelte, kann den Menschen zur Freiheit geleiten.
Die kalte Technik gibt dem Menschendenken ein Gepräge, das in die Freiheit führt. Zwischen Hebel, Rädern und Motoren lebt nur ein toter Geist; aber in diesem Totenreiche erwacht die freie Menschenseele. Sie muß den Geist in sich erwecken, der vorher nur mehr oder weniger träumte, als er noch die Natur beseelte. Aus dem träumenden wird waches Denken an der Kälte der Maschine.“ (Lit.: GA 36, S. 84f)
Das Freiheitserlebnis im Zusammenhang mit Imagination, Inspiration und Intuition
„In jedem Freiheitserlebnis sind drei Dinge verwoben. Sie erscheinen als Einheit im Moment, wo das Erlebnis sich ereignet, aber der nachherige Gang des Lebens läßt sie getrennt bewußt werden. Man erlebt das, was man zu tun hat, als inneres Bild, das in freier moralischer Phantasietätigkeit vor einem aufsteigt. Als eine wahre Imagination erscheint, was man zu tun sich entschließt, weil man es liebenswert finden muß. Das Zweite, was in dem einheitlichen Erlebnis enthalten ist, ist der Impuls, daß man von höheren Mächten ermahnt wird, dem im Innern Aufkeimenden zu folgen. <Tue es> sagen die inneren Stimmen, und das Gewahrwerden derselben ist eine wahre Inspiration. Aber noch ein drittes Element ist dem einheitlichen Erlebnis einverwoben. Man stellt sich durch die Tat in eine äußere Schicksalsumgebung hinein, in die man ohne das Freiheitserlebnis niemals eingetreten wäre. Man begegnet jetzt anderen Menschen, wird an andere Orte geführt, dadurch, daß das innere intuitiv Erfaßte nun zur schicksalhaft von außen herantretenden Umgebung wird. Die Situation einer wahren Intuition ergibt sich.» «Sehen Sie», fuhr Rudolf Steiner fort, «diese drei ineinander verwobenen Erlebnisse haben sich nachher auseinandergelegt,-sind isoliert bewußt geworden, so daß die Imagination und die Inspiration und die Intuition als Erkenntnisakte bewußt wurden.“ (Lit.: Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe Nr. 49, S. 30)
Der Wille zur Freiheit
Wer in der Erkenntnis bei seinen persönlichen Meinungen und Ansichten stehen bleibt, erkennt nur das Vergängliche. Wer aber in sich das Ich als seinen ewigen Wesenskern erkennt, der erkennt auch das Ewige in den anderen Dingen, die ihn umgeben.
„Solange man persönlich mit der Welt lebt, so lange enthüllen die Dinge auch nur das, was sie mit unserer Persönlichkeit verknüpft das aber ist ihr Vergängliches. Ziehen wir uns selbst von unserem Vergänglichen zurück und leben wir mit unserem Selbstgefühl, mit unserem «Ich» in unserem Bleibenden, dann werden die vergänglichen Teile an uns zu Vermittlern; und was sich durch sie enthüllt, das ist ein Unvergängliches, ein Ewiges an den Dingen. Dieses Verhältnis seines eigenen Ewigen zum Ewigen in den Dingen muß bei dem Erkennenden hergestellt werden können.“ (Lit.: GA 9, S. 188f)
Wer sich aus dieser im und durch das Ich gefundenen Erkenntnis des Ewigen die Impulse seines Handelns gibt, der handelt im Einklang mit der ewigen Weltordnung und zugleich in voller Freiheit. Freilich ist das ein Ideal, das der Mensch noch lange nicht erreicht hat, aber es ist ein Ziel, dem er zustreben kann – und das ist sein Wille zur Freiheit.
„So eröffnet sich dem Erkennenden die Möglichkeit, nicht mehr den unberechenbaren Einflüssen der äußeren Sinnenwelt allein zu folgen, die sein Wollen bald da-, bald dorthin lenken. Er hat durch Erkenntnis in der Dinge ewiges Wesen geschaut. Er hat durch die Umwandlung seiner inneren Welt die Fähigkeit in sich, dieses ewige Wesen wahrzunehmen. Für den Erkennenden erhalten die folgenden Gedanken noch eine besondere Wichtigkeit. Wenn er aus sich heraus handelt, so ist er sich bewußt, aus dem ewigen Wesen der Dinge heraus zu handeln. Denn die Dinge sprechen in ihm dieses ihr Wesen aus. Er handelt also im Sinne der ewigen Weltordnung, wenn er aus dem in ihm lebenden Ewigen diesem seinem Handeln die Richtung gibt. Er weiß sich dadurch nicht mehr bloß von den Dingen getrieben; er weiß, daß er sie nach den ihnen selbst eingepflanzten Gesetzen treibt, welche die Gesetze seines eigenen Wesens geworden sind. - Dieses Handeln aus dem Innern kann nur ein Ideal sein, dem man zustrebt. Die Erreichung dieses Zieles liegt in weiter Ferne. Aber der Erkennende muß den Willen haben, diese Bahn klarzusehen. Dies ist sein Wille zur Freiheit. Denn Freiheit ist Handeln aus sich heraus. Und aus sich darf nur handeln, wer aus dem Ewigen die Beweggründe schöpft. Ein Wesen, das dies nicht tut, handelt nach anderen Beweggründen, als den Dingen eingepflanzt sind. Ein solches widerstrebt der Weltordnung. Und diese muß ihm gegenüber dann obsiegen. Das heißt: es kann letzten Endes nicht geschehen, was es seinem Willen vorzeichnet. Es kann nicht frei werden. Willkür des Einzelwesens vernichtet sich selbst durch die Wirkung ihrer Taten.“ (Lit.: GA 9, S. 190f)
Die Wurzeln der menschlichen Freiheit
Der «Streit am Himmel»
In der Übergangszeit von der alten Sonne zum alten Mond fand der sogenannte Streit am Himmel statt. Dabei wurden Wesenheiten aus der Hierarchie der Dynameis (Geister der Bewegung) gleichsam „abkommandiert“, um als Widersacher die fortschreitende Entwicklung zu hemmen, aber gerade dadurch einen neuen wesentlichen Evolutionssprung zu bewirken. Diese Mächte waren an sich noch nicht böse und hätten auch nicht aus eigenem Willen zu hemmenden Kräften werden können. Aber indem sie Sturm liefen gegen die normale Entwicklung und der Evolution dadurch neue Wege eröffneten, wurde sie letztlich auch zu Erzeugern des Bösen, ermöglichten aber gerade dadurch die Freiheit. Sie selbst hatten zwar diese Freiheit noch nicht, aber ein Teil der Engelwesenheiten, die auf dem alten Mond ihre Menschheitsstufe, d. h. ihre Ich-Entwicklung absolvierten, konnte sich durch den hemmenden Einfluss der Dynameis aus dem Willen der Gottheit befreien und eigene Ziele verfolgen. Sie wurden dadurch zu luziferischen Geistern.
„So sehen wir, daß in einer gewissen Beziehung erst dadurch, daß die Mächte abkommandiert wurden, dem Menschen die Möglichkeit gegeben wurde, aus sich selbst heraus das Ziel zu erreichen, das selbst die höchsten Seraphim nicht aus sich selbst erreichen können. Das ist das Wesentliche. Sie können gar nicht anders handeln, die Seraphim, Cherubim, Throne, als unmittelbar den Impulsen folgen, die die Gottheit gibt. Die Herrschaften, die ganze zweite Hierarchie kann auch nicht anders handeln. Von den Mächten war eine Anzahl abkommandiert; also auch diese Mächte, die sozusagen sich in den Weg der Entwickelung warfen, konnten nicht anders als den Befehlen der Gottheit folgen. Auch in dem, was man nennen könnte den Ursprung des Bösen, auch da vollziehen sie nur den Willen der Gottheit; indem sie sich zu Dienern des Bösen machen, vollziehen sie nur den Willen der Gottheit, die durch den Umweg des Bösen das starke Gute entwickeln will. Und steigen wir jetzt herunter zu denjenigen Wesenheiten, die wir die Gewalten nennen: Durch sich selbst hätten sie das nicht erreichen können. Auch sie hätten nicht böse werden können durch sich selbst; auch nicht die Geister der Persönlichkeit, auch nicht die Feuergeister. Denn als diese auf der Sonne Menschen waren, da waren ja die Mächte noch nicht abkommandiert, da war überhaupt noch keine Möglichkeit vorhanden, böse zu werden. Die ersten, die die Möglichkeit hatten, böse zu werden, waren die Engel, denn diese Möglichkeit war erst von der Mondenentwickelung aus vorhanden. Da, von der Sonne zum Mond, hat der Streit am Himmel stattgefunden. Ein Teil der Engel hat nun diese Möglichkeit ausgeschlagen, hat sozusagen sich nicht verführen lassen durch die Kräfte, die in die Hemmnisse hineinführen sollten; die blieben bei der alten Natur. So daß wir bis zu den Engeln herab und noch in einem Teil der Engel solche Wesenheiten der geistigen Hierarchien vor uns haben, die unbedingt nicht anders können, als dem göttlichen Willen folgen, bei denen es keine Möglichkeit gibt, dem göttlichen Willen nicht zu folgen. Das ist das Wesentliche.
Und nun kommen wir zu zwei Kategorien von Wesenheiten: Erstens denjenigen Engeln, die sich hineingestürzt haben in das, was die Mächte während des Streites am Himmel angerichtet haben. Das waren solche Wesenheiten, die wir eben wegen ihrer weiteren Taten die luziferischen Wesenheiten nennen. Diese Wesenheiten haben sich dann herangemacht an den menschlichen Astralleib während der Erdenentwickelung und dem Menschen die Möglichkeit des Bösen gegeben, aber damit auch die Möglichkeit, aus eigener freier Kraft sich zu entwickeln. So daß wir innerhalb der ganzen Stufenfolge der Hierarchien nur bei einem Teil der Engel und beim Menschen die Möglichkeit der Freiheit haben. Sozusagen mitten in der Reihe der Engel beginnt die Möglichkeit der Freiheit; im Menschen ist sie aber doch erst in der richtigen Weise ausgebildet. Als der Mensch die Erde betrat, hat er allerdings zunächst verfallen müssen der großen Gewalt der luziferischen Geister. Sie durchdrangen den Astralleib des Menschen mit ihren Kräften, und das Ich wurde dadurch einbezogen in diese Kräfte; so daß wir während der lemurischen und atlantischen Entwickelung, und auch nachher noch, das Ich wie in einer Wolke haben, wie in eine Wolke gehüllt, die herbeigeführt worden ist durch die Einflüsse Luzifers. Der Mensch ist nur dadurch bewahrt worden vor der Überwältigung durch die ihn herabziehenden Kräfte, daß frühere Wesenheiten ihn überschattet haben, daß die Engel, die oben geblieben waren, und die Erzengel oben, in besonderen Individuen sich verkörpert und ihn geführt haben. Und das geschah bis in jene Zeit hinein, wo etwas ganz Besonderes eintrat, wo eine Wesenheit, welche bis dahin nur verbunden war mit dem Sonnendasein, so weit gekommen war, daß sie jetzt nicht nur, wie frühere Wesenheiten der höheren Welten, in den physischen Leib, Ätherleib und Astralleib des Menschen hineintreten konnte, sondern daß sie eindringen konnte in den Menschen bis in das Ich.“ (Lit.: GA 110, S. 166f)
Christus und das Mysterium von Golgatha
Die luziferischen Geister ermöglichten es dem Menschen, während der Erdentwicklung die Freiheit zu erlangen, nämlich die Freiheit, sich aus dem Willen der Gottheit zu befreien. Das ist aber nur die eine, die negative Seite der Freiheit. Der Mensch wäre dadurch allerdings den luziferischen Mächten verfallen, die in seinem Astralleib wirkten. Das konnte nur dadurch verhindert werden, dass sich der Christus selbst auf Erden inkarnierte. Der Christus wirkt unmittelbar durch das Ich des Menschen, aber er entäußert sich dabei jeglichen Machtanspruchs und ermöglicht es dadurch dem Menschen, sich aus freiem Entschluss zum Geistigen zu erheben. Erst dadurch wird die volle Freiheit verwirklicht.
„[…] diese Tat ist eine solche, daß sie auf keinen Menschen anders wirkt, als wenn er sich selbst dazu entschließt, sie auf sich wirken zu lassen, das heißt, wenn sie mit dem absolut freien Charakter seines individuellen Ich vereinbar ist. Denn nicht genügt es, daß der Christus anwesend wird im menschlichen Astralleib, sondern der Christus muß, wenn er wirklich verstanden werden soll, im menschlichen Ich anwesend werden. Und das Ich muß sich frei entschließen, den Christus aufzunehmen. Das ist es, worauf es ankommt. Aber gerade dadurch nimmt dieses menschliche Ich, wenn es sich mit dem Christus verbindet, eine Realität in sich auf, eine göttliche Kraft, nicht bloß eine Lehre. Daher kann hundertmal bewiesen werden, daß alle Lehren des Christentums schon zu finden sind da oder dort; aber darauf kommt es nicht an, sondern darauf, daß das Wesentliche im Christentum die Tat ist, die nur durch eine freiwillige Erhebung in die höheren Welten zum eigenen Besitz werden kann. Dadurch also nimmt der Mensch die Christus-Kraft auf, daß er sie freiwillig aufnimmt, und keiner kann sie aufnehmen, der sie nicht freiwillig aufnimmt. Dies ist aber dem Menschen nur dadurch möglich geworden, daß der Christus auf der Erde Mensch geworden ist, daß er berufen war, auf der Erde Mensch zu werden.“ (Lit.: GA 110, S. 170)
„Das ist der große Unterschied beim Christentum gegenüber den alten Götterlehren. Wenn der Mensch den Christus finden will, dann muß er ihn in Freiheit finden. Er muß sich frei zu dem Mysterium von Golgatha bekennen. Der Inhalt der Kosmogonien drängte sich dem Menschen auf. Das Mysterium von Golgatha drängt sich dem Menschen nicht auf. Er muß in einer gewissen Auferstehung seines Wesens in Freiheit an das Mysterium von Golgatha herankommen.“ (Lit.: GA 207, S. 180)
„Hätte der Gott, der mit dem Namen des Vatergottes bezeichnet wird, es einst nicht zugelassen, daß die luziferischen Einflüsse an den Menschen herankommen konnten, so hätte der Mensch nicht die freie Ich-Anlage entwickelt. Mit dem luziferischen Einfluß wurde die Anlage zum freien Ich entwickelt. Das mußte zugelassen werden vom Vatergott. Nachdem aber das Ich — um der Freiheit willen — in die Materie verstrickt werden mußte, mußte nun, um von dem Verstricktsein in die Materie wieder befreit zu werden, die ganze Liebe des Sohnes zu der Tat von Golgatha führen. Dadurch allein ist Freiheit des Menschen, vollständige menschliche Würde erst möglich geworden. Daß wir freie Wesen sein können, das verdanken wir einer göttlichen Liebestat. So dürfen wir uns als Menschen fühlen wie freie Wesen, dürfen aber nie vergessen, daß wir diese Freiheit verdanken der Liebestat des Gottes. Wenn wir so denken, wird schon der Gedanke in die Mitte unseres Fühlens rücken: Du kannst zur menschlichen Würde kommen; nur eines darfst du nicht vergessen, daß du das, was du bist, dem verdankst, der dir wieder zurückgebracht hat dein menschliches Urbild durch die Erlösung auf Golgatha! — Den Freiheitsgedanken sollten die Menschen
nicht ergreifen können ohne den Erlösungsgedanken des Christus. Dann allein ist der Freiheitsgedanke ein berechtigter. Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken! Dann erst können wir sie wirklich wahrnehmen.“ (Lit.: GA 131, S. 228f)
„Zweimal ist in der Menschheitsentwickelung dasselbe Wort gebraucht worden: Einmal bei der Paradieses Versuchung, als Luzifer zu dem Menschen sagte: «Ihr werdet sein wie die Götter, eure Augen werden geöffnet werden.» Das ist der bildliche Ausdruck für den luziferischen Impuls. Luzifer hat damit die Geistigkeit in die niedere Natur des Menschen gegossen und dafür den Menschen die Möglichkeit gegeben, zur inneren Freiheit durch sittliche Motive zu kommen. Und ein zweites Mal wurde gesagt, jetzt von dem Christus: Seid ihr nicht Götter? (Joh 10,34 LUT) - Dasselbe Wort! Daraus sieht man, daß es nicht nur ankommt auf den Inhalt eines Wortes, sondern auf das Wesen, das ein Wort ausspricht, auf die Art und Weise, wie ein Wort gesprochen wird. Da sieht man den notwendigen Zusammenhang zwischen der Luzifertat und der Tat des Christus auch in bildlicher Weise ausgedrückt, wie die religiösen Urkunden das zu tun pflegen.
Luzifer ist der Bringer der persönlichen Freiheit des einzelnen Menschen, Christus ist der Träger der Freiheit des ganzen Menschengeschlechtes, des ganzen Menschentums auf Erden. Das ist das Bedeutsame der Anthroposophie, daß sie uns lehrt, daß die Anerkennung des Christus-Wesens in solcher Weise geschehen wird, daß es dem Menschen freisteht, den Christus anzuerkennen oder nicht, wie es dem Menschen freisteht, nicht moralisch zu sein.
Eine freie Wahrheit soll der Christus für die Menschenseele sein.“ (Lit.: GA 150, S. 99)
„Und indem so dieses Himmlische, die Intellektualität und die Freiheit, in das irdische Leben eingezogen ist, ist für die Menschheit ein anderes Aufblicken zur Göttlichkeit notwendig geworden, als das früher der Fall war. Und dieses andere Aufblicken zur Göttlichkeit ist für die Menschheit möglich geworden durch das Mysterium von Golgatha. Indem der Christus eingezogen ist in das irdische Leben, kann er heiligen dasjenige, was aus übersinnlichen Welten eingezogen ist und was sonst den Menschen zur Hoffart und zu allem möglichen verführen würde. In einer Zeit leben wir, wo wir einsehen müssen: Von dem Christus-Impuls muß durchdrungen werden dasjenige, was unser Heiligstes in diesem Zeitalter ist: die Fähigkeit, reine Begriffe zu fassen, und die Fähigkeit der Freiheit.“ (Lit.: GA 257, S. 45)
Entwicklung zur Freiheit
Freiheit ist dem Menschen nicht von Anfang an gegeben, sondern er muss sie selbsttätig entwickeln, indem er sich zum reinen sinnlichkeitsfreien Denken erhebt und in diesem die moralische Intuition erlebt.
„Man fragt: Ist der Mensch frei oder ist er nicht frei? Ist der Mensch ein freies Wesen, das mit wirklicher Verantwortung aus seiner Seele heraus die Entschlüsse fassen kann, oder ist er eingespannt in eine natürliche oder geistige Notwendigkeit wie ein Naturwesen? So hat man gefragt, ich möchte sagen, durch Jahrtausende, und so fragt man noch. Diese Frage schon ist der große Irrtum.
Man kann so nicht fragen, sondern die Frage nach der Freiheit ist eine Frage der menschlichen Entwicklung, einer solchen menschlichen Entwicklung, daß der Mensch im Laufe seines Jugendlebens oder vielleicht seines späteren Lebens Kräfte in sich entwickelt, die er nicht einfach von Natur aus hat. Man kann gar nicht fragen: Ist der Mensch frei? Von Natur aus ist er es nicht, aber er kann sich immer mehr und mehr frei machen, indem er Kräfte erweckt, die in ihm schlummern und die die Natur nicht erweckt. Der Mensch kann immer freier und freier werden. Man kann nicht fragen: Ist der Mensch frei oder unfrei, sondern nur: Gibt es für den Menschen einen Weg zur Erringung der Freiheit? Und diesen Weg gibt es. Wie gesagt, vor dreißig Jahren versuchte ich zu zeigen: Wenn der Mensch dazu aufrückt, ein inneres Leben in sich zu entwickeln, so daß er die sittlichen Impulse für seine Handlungen in reinen Gedanken erfaßt, kann er wirklich Gedankenimpulse, nicht bloß instinktive Emotionen seinen Handlungen zugrunde legen, - Gedanken, die in die äußere Wirklichkeit so untertauchen wie der Liebende in das geliebte Wesen. Dann nähert sich der Mensch seiner Freiheit. Die Freiheit ist ebenso ein Kind des Gedankens, der in geistiger Hellsichtigkeit erfaßt wird - nicht unter einem äußeren Zwang -, wie sie ein Kind der wahren hingebungsvollen Liebe ist, der Liebe zum Objekt des Handelns. Wonach das deutsche Geistesleben in Schiller strebte, als er sich Kant gegenüberstellte und etwas ahnte von einem solchen Freiheitsbegriff, das ziemt uns, in der Gegenwart weiter auszubilden. Da aber stellte sich mir heraus, daß man nur sprechen kann von demjenigen, was den sittlichen Handlungen zugrunde liegt - wenn es auch bei den Menschen unbewußt bleibt, vorhanden ist es doch -; und daß man das nennen muß Intuition. Und so sprach ich in meiner «Philosophie der Freiheit» von einer moralischen Intuition.
Damit aber war auch der Ausgangspunkt gegeben für alles, was ich später auf dem Gebiet der Geisteswissenschaft zu leisten versuchte. Glauben Sie nicht, daß ich heute über diese Dinge in einer unbescheidenen Weise denke. Ich weiß sehr gut, daß diese «Philosophie der Freiheit», die ich vor mehr als dreißig Jahren als junger Mensch konzipiert habe, gewissermaßen alle Kinderkrankheiten desjenigen Gedankenlebens hat, das im Laufe des 19. Jahrhunderts heraufgezogen ist. Aber ich weiß auch, daß aus diesem Geistesleben heraus das entsprossen ist, was eine Hinaufleitung des Gedankenlebens in das wirklich Geistige ist. So daß ich mir sagen kann: Wenn sich der Mensch zu den sittlichen Impulsen in moralischer Intuition erhebt und ein wirklich freies Wesen darstellt, dann ist er bereits, wenn ich das verpönte Wort gebrauchen darf, mit Bezug auf seine sittlichen Intuitionen «hellsehend». In dem, was über alles Sinnliche hinausliegt, liegen die Antriebe alles Sittlichen. Im Grunde genommen sind die wirklich sittlichen Gebote Ergebnisse menschlichen Hellsehens. Daher war ein gerader Weg von jener «Philosophie der Freiheit» zu dem, was ich heute als Geisteswissenschaft meine. Freiheit entsprießt im Menschen nur, wenn der Mensch sich entwickelt. Er kann sich aber weiter entwickeln, so daß er dasjenige, was schon der Freiheit zugrunde liegt, auch dazu treibt, daß er unabhängig wird von allem Sinnlichen und sich frei in die Gebiete des Geistes erhebt.
So hängt Freiheit mit der Entwicklung des menschlichen Denkens zusammen. Freiheit ist im Grunde genommen immer Gedankenfreiheit […].“ (Lit.: GA 333, S. 107ff)
Freiheit und Karma
Im Leben zwischen Tod und neuer Geburt legt der Mensch seinen Schicksalskern, sein Karma, in der Mondensphäre ab, über die er durch die Nachwirkung des Christus-Impulses hinausschreitet und sich aus der Sternensphäre die nötigen Kräfte holt, um sich beim Herabstieg zu einem neuen Erdenleben durch eine freie Geistestat diesen Schicksalskern so wieder einzuverleiben, dass er dadurch in selbständiger Weise sein Schicksal mit seiner geistig fortschreitenden Wesenheit in Zusammenhang bringt. Diese Möglichkeit besteht allerdings erst seit dem Mysterium von Golgatha. Das irdische Nachbild dieser im kosmischen Dasein vollbrachten freien Tat ist das Freiheitsgefühl während des Erdendlebens.
„Die Initiierten, welche Zeitgenossen des Mysteriums von Golgatha waren, oder die in den darauf folgenden Jahrhunderten bis zum 3. und 4. Jahrhundert lebten, konnten zu ihren Bekennern sagen: Die Form, die der menschliche physische Organismus im Erdenleben annimmt, die bildet immer mehr und mehr das Ich aus. Aber der Mensch verliert die Kraft, in jene Region einzutreten, in der das hohe Sonnenwesen oben sein Führer sein könnte in den geistigen Sternenregionen. Daher ist Christus heruntergestiegen auf die Erde, hat das Mysterium von Golgatha vollbracht. Und die Kraft, welche der Menschenseele dadurch wird, daß sie eine Gefühlsverbindung mit dem Mysterium von Golgatha hat, diese Kraft wirkt nach dem Tode nach und entreißt die Seele dem Schicksals-Wesenskern und der Mondensphäre, und unter der Nachwirkung des Christus bildet die Seele ihren künftigen physischen Organismus mit den anderen Wesen der Sternenwelt aus und findet dann wiederum den Schicksalskern, in den die Tendenz hineingelegt wird zur Schicksalsbildung der kommenden Erdenleben. Was die Menschenseele als Kraft aus dem Christus-Impuls aufgenommen hat, das befähigt sie wiederum, in der richtigen Weise durch das Geisterland durchzugehen und den Schicksalskern in der richtigen Weise aufzunehmen.
Derjenige, der heute aus der Initiationswissenschaft heraus redet, muß dazu noch das folgende sagen: Ja, es ist der Christus-Impuls, der über den Tod hinaus nachwirkt, unter dessen Einfluß der Mensch sich der Mondensphäre entringt, in die Sternen-Sonnensphäre eindringt und dort aus den Impulsen, die ihm die Wesen der Sternenwelt geben, arbeiten kann an der Herausgestaltung des physischen Organismus seines nächsten Erdenlebens. Aber er entringt sich der Mondensphäre durch die Kräfte, die er in seinem Ich aufgespeichert hat durch die Hinneigung zu dem Christus-Wesen und zu dem Mysterium von Golgatha. Er entringt sich der Mondensphäre in einer solchen Art, daß er nun auch in der Sternensphäre so arbeiten kann, daß er, wenn er wieder zur Mondensphäre zurückkehrt und ihm sein Schicksalskern begegnet, in einer freien Weise als eine freie Geistestat sich diesen Schicksalskern eingliedert, weil er sich sagen muß: Die Weltentwickelung kann nur in der richtigen Weise verfließen, wenn der Mensch sich diesen seinen Schicksalskern eingliedert und dasjenige, was er als sein Schicksal zubereitet hat, auch in ausgleichenden künftigen Erdenleben wiederum zurechtbringt.
Das ist das Wesentliche im Neu-Erleben des nachtodlichen Mondensphären- Erlebens, daß es da im kosmischen Dasein einen Augenblick gibt, wo der Mensch in selbständiger Weise sein Schicksal, sein Karma, mit seiner fortschreitenden Wesenheit in Zusammenhang bringt. Und das irdische Abbild dieser im Überirdischen vollbrachten Tat im nachherigen irdischen Leben ist die menschliche Freiheit, das Freiheitsgefühl während des Erdendaseins. Das richtige Verstehen der Schicksalsidee und ihr Verfolgen bis in die geistigen Welten hinauf begründet nicht eine Determinationsphilosophie, sondern eine wirkliche Philosophie der Freiheit, wie ich sie in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in meinem Buche «Philosophie der Freiheit» zu geben hatte.“ (Lit.: GA 215, S. 177f)
„Im Aufnehmen der Kraft, welche für die Seele aus dem anschauenden und tätigen Gefühls-Miterleben des irdischen Christuslebens und des Mysteriums von Golgatha erwächst, erringt der Mensch schon auf der Erde, nicht erst durch das Sonnenwesen nach dem Tode, die Fähigkeit, sich in einem bestimmten Zeitpunkte des nachirdischen Daseins dem Mondeneinfluß zu entziehen und in die reine Sternensphäre einzutreten. Diese Fähigkeit ist das geistige, nach dem Tode erlebte Gegenbild der durch das Ich-Bewußtsein im Erdenleben herbeigeführten Freiheit. Der Mensch übernimmt dann in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt sein in der Mondensphäre zurückgelassenes moralisch-geistiges Wertwesen als den Bildner seines Schicksals, das er dadurch während des folgenden Erdendaseins in Freiheit erleben kann.“ (Lit.: GA 25, S. 87)
Taten, die aus der vollen Freiheit des Menschen gesetzt werden, sind nicht durch das Karma bedingt:
„Nur solche Handlungen sind frei, bei denen der Mensch gar nicht auf Grund der Vergangenheit arbeiten würde, sondern bei denen er nur dem gegenübersteht, was durch die kombinierende und produktive Tätigkeit seiner Vernunft an Handlungen in die Welt hineinkommen kann. Solche Handlungen nennt man im Okkultismus: Aus dem Nichts heraus schaffen. Alle anderen Handlungen sind aus dem Karma heraus geschaffen.“ (Lit.: GA 93a, S. 123)
Was der Mensch in voller Freiheit tut, schafft auch kein neues Karma. Im Okkultismus wird das auch als das Handeln aus dem Nirvana bezeichnet. Solange allerdings der Mensch das Karma aus seinen früheren Inkarnationen nicht vollständig ausgeglichen hat, kann er nicht in vollkommener Freiheit leben - ein Teil seiner Taten wird notwendig durch die Vergangenheit (Bedingungen sowie Nebenwirkungen) - neues Karma begründend - bestimmt sein, d. h. allmählich freies Handeln zu realisieren ist heutzutage und in der Zukunft ein großes, ideales Ziel der menschlichen Evolution.
„Frei wird der Mensch in dem einen physischen Erdenleben, wo er den Gedanken als solchen entwickelt, wo der Gedanke seine plastizierende Kraft verliert, die er noch in dem Ätherleib hat, und wo er als reiner Gedanke in dem im Leben befindlichen Bewußtsein entwickelt ist. Ich war daher genötigt, etwas sehr Gewagtes in dieser «Philosophie der Freiheit» dazumal im Beginn der neunziger Jahre darzustellen. Ich hatte die moralischen Impulse als sittliche Ideale darzustellen und mußte sagen: die kommen dem Menschen nicht aus der physischen Welt, die kommen dem Menschen nicht aus der Natur, die kommen dem Menschen durch eine Intuition. Und ich sprach dazumal von «moralischer Phantasie». Und warum das? Ich sagte dazumal in meiner «Philosophie der Freiheit»: Aus der Geisteswelt heraus strömen in den Menschen, aber zunächst nur als Bilder, diese sittlichen Motive ein. Er empfängt sie als Intuition aus der geistigen Welt.
Aber man gelangt auf diese Weise, ich möchte sagen, zu dem anderen Pol dessen, was man hier in der physischen Welt erlebt. Sieht man mit gesundem Menschenverstand und mit wissenschaftlicher Schulung in die natürliche Daseinswelt hinaus, dann entdeckt man überall Notwendigkeit. Sieht man hinein in die Welt der moralischen Impulse, dann entdeckt man die Freiheit, aber die Freiheit zunächst im bloßen Gedanken, im reinen Denken, in denkerischer Intuition. Und man weiß zunächst nicht, wie sich Kräfte hineinbegeben in den Willen, denn man sieht diese sittlichen Intuitionen unbewußt. Man hat auf der einen Seite die Natur, der man angehört, indem man handelt, und man hat auf der anderen Seite sein sittliches Erleben, und es entschwindet einem für diese sittlichen Intuitionen, wenn man nichts anderes hat zunächst als die Naturwissenschaft, die Möglichkeit, diesen sittlichen Intuitionen Realität zuzuschreiben, weltschöpferische Kräfte zuzuschreiben. Man erlebt gewissermaßen die Natur in ihrer ganzen derben Dichtigkeit, in ihrer Notwendigkeit. Man erlebt die Freiheit, aber man erlebt sie in den fein gewobenen, bis zur Bildhaftigkeit herabgetriebenen Gedankenimpulsen, von denen man weiß, weil sie eben der Natur nicht angehören können, weil sie sich in freier Tätigkeit erleben, und das habe ich in meiner «Philosophie der Freiheit» angedeutet, daß sie aus der geistigen Welt kommen.
Aber es muß sich nun etwas einschieben zwischen diese Intuitionen, die durchaus bildhaft, unreal sind, die nur durch das sittliche Leben real werden, und dem, was man als gegenständliches Erkennen für die Naturordnung hat. Und da schieben sich ein die Imagination und die Inspiration, die auf die Weise entstehen, wie ich das geschildert habe. Und dann wird die Intuition auch etwas anderes. Dann verdichtet sich gewissermaßen das, was einem zuerst nur im reinen Denken entgegengetreten ist, zu einer geistigen Realität. Man lernt in dieser nach der Imagination und Inspiration neu errungenen Intuition jetzt nicht sein gegenwärtiges Ich erkennen, sondern dasjenige Ich, das durch wiederholte Erdenleben hindurchgeht, und das unser Schicksal durch diese wiederholten Erdenleben in der Weise hindurchträgt, wie ich es dargestellt habe. Wir sind unfrei, indem wir die wiederholten Erdenleben durchleben und ein Schicksal dadurch gestaltet haben. Aber wir können stets in dieses Schicksalsgewebe die freien Handlungen einverweben in den einzelnen Erdenleben. Gerade dadurch, daß wir in bildhaften Intuitionen die sittlichen Impulse erleben - nicht als Realitäten, sondern als etwas, zu dem wir uns frei bekennen können -, können wir die Freiheit im einzelnen Erdenleben in das Schicksalsgewebe einverweben. Und so werden wir dadurch, daß wir durch das Schicksal von Erdenleben zu Erdenleben getragen werden, nicht unfreier, als wir etwa werden, wenn wir uns durch ein Schiff von Europa nach Amerika tragen lassen. Da sind wir durch den Entschluß, den wir hier in Europa fassen, allerdings in unserer Zukunft bestimmt. Aber wir sind jederzeit in gewissen Grenzen freie Wesen, und solange wir drüben in Amerika sind, können wir uns frei bewegen. So tragen wir das Schicksal von Erdenleben zu Erdenleben. Aber in die Tatsachenwelt, die wir so in wiederholten Erdenleben erfahren, kann hineingestellt werden, was aus der Freiheit im einzelnen Erdenleben quillt.
Und so sieht man gerade, daß derjenige, der mit dem Freiheitsproblem ringt, der das Problem der Freiheit gelöst sieht durch das Anschauen der zunächst nur in moralischer Phantasie erfaßbaren, aber aus der geistigen Welt in die physische Welt des Menschen hereinstrebenden sittlichen Ideen, daß, wer in dieser Weise sich ein Verständnis für die Freiheit erwirbt, gerade dadurch sich vorbereitet hat zum Verständnis für das Schicksalsgemäße, das wie eine Art von Notwendigkeit in das menschliche Leben eingreift.“ (Lit.: GA 79, S. 129ff)
Freiheit und Erbsünde
In seinen 1921 gehaltenen Vorträgen für die angehenden Priester der Christengemeinschaft ging Rudolf Steiner auch auf die Frage nach dem Zusammenhang von Freiheit und Erbsünde ein:
„Ein Teilnehmer: Ich möchte gern fragen, ob die Erbsünde für die Entwickelung der Menschheit eine Notwendigkeit war oder ob die Menschheit auch zu der Entwickelung der Freiheit kommen könnte ohne die Erbsünde. Eine andere Frage ist, ob es Wesen, Urmenschen gibt, die nicht in diese Urerbsünde kamen?
Rudolf Steiner: Nun, die Frage muß eigentlich so beantwortet werden: Sehen Sie, die übersinnliche Erkenntnis kann eigentlich niemals reine Teleologie sein, sondern sie ist beobachtend, und daher fallen in der übersinnlichen Erkenntnis die Fragen eigentlich weg, zu welchem Zweck oder wozu irgend etwas ist. Das ist etwas, was in Ihrer Frage lag: Könnten die Menschen [auch ohne die Erbsünde zur Freiheit kommen], oder haben die Menschen die Erbsünde auf sich geladen, um zur Freiheit zu kommen? — Es ist eben eine Tatsache, daß wir als Menschengeschlecht von dem 15. Jahrhundert ab in der Entwickelung der Freiheit leben. Dieses Leben in der Freiheit ist nur möglich unter dem Einfluß, dem inneren Einfluß der bloßen Intellektualität, die eigentlich keinen Inhalt hat. Der Satz des Descartes «Cogito, ergo sum» ist eigentlich falsch. Der Satz müßte eigentlich heißen: Cogito, ergo non sum, ich denke, also bin ich nicht, denn das Denken beleuchtet niemals eine Realität, sondern im Gegenteil, es ist die Vernichtung der Realität. Erst wenn man durch Imagination, Inspiration und Intuition an das Ich herankommt, liegt die reale Gewißheit des Ich vor. Wenn wir uns angewöhnt haben, die Kriterien des Seins anzuwenden auf unsere Umgebung, so müssen wir sagen: Ich denke, also bin ich nicht. Gerade in diesem Nichtsein liegt die Möglichkeit der Aufnahme eines Neuen. Das ist dasjenige, was in der Intellektualität liegt. Die intellektualistischen Begriffe sind eigentlich gegenüber der Realität leer, sie sind Löcher im Weltenall, und das ist zur Entwickelung der Freiheit notwendig. Sie können ja sehen, wie stufenweise der Intellektualismus heraufkommt. Er kommt herauf durch solche Denker, die noch Zeitgenossen des Nicolaus Cusanus waren. Dann geht es weiter, aber insbesondere Galilei, Kopernikus, Newton sind die eigentlichen Intellektualisten.
Nun, dieser Stand des Bewußtseins, der die Freiheit herbeiführt, könnte nicht da sein, wenn der Mensch innerlich ausgefüllt wäre mit einem Inhalt, denn dieser Inhalt müßte ein göttlicher sein, und dieser göttliche Inhalt, der gewissermaßen am stärksten im Anfang war, er mußte erst abnehmen und seinen Nullpunkt hier erreichen (es wird gezeichnet → Tafel 13), und nun tritt hier die intellektualistische Entwickelung ein. Die gibt dem Menschen die Freiheit und die wird im weiteren bewußt unserer Seele wiederum einen Inhalt geben. Also das Hindurchgehen durch [den Nullpunkt], das Heruntergeworfenwerden in die Materie, was gewisse Okkultisten zum Beispiel den «Fall in die Zeugung» nennen, das war zur Freiheit absolut notwendig. Man kann es nur hinterher sagen: Weil die Menschen in die Erbsünde fielen, bekamen sie die Freiheit. Nicht wahr, es wäre ganz falsch, wenn ich hier vor Ihnen mit diesen Dingen zurückhalten würde, wenn sie auch für ein gegenwärtiges Bewußtsein leicht schockant sind.
Wesen, die von der Erbsünde nichts wissen, nichts erfahren, die werden auch nicht der Freiheit teilhaftig. Solche Wesen sind zum Beispiel diejenigen, welche unmittelbar über den Menschen stehenden Stufen angehören. Diese Wesen haben eine größere Weisheit als die Menschen, haben auch eine stärkere Macht, aber sie kommen nicht zur Freiheit, ihr Wille ist immer eigentlich der göttliche Wille. Nur unter gewissen Bedingungen, die in der Weltentwickelung noch gar nicht eingetreten sind, die aber während der Erdenentwickelung noch kommen können — sie liegen in einer gewissen Zukunft —, da wird für diese Wesenheiten, die der Katholizismus Angeloi und Archangeloi nennt, die Möglichkeit eintreten, von ihrer inneren Seelennotwendigkeit abzuirren, nicht in Wahrscheinlichkeit, aber sie würden die Möglichkeit dazu haben. Es kann aber nichts gesagt werden darüber, weil das eben davon abhängen wird, wie dann die ganze Weltkonstellation ist. Da haben wir also Wesen, die haben nichts mit der Erbsünde zu tun. Auch diejenigen Wesenheiten, die nun die eigentlichen Versucher der Menschen waren im Gange der Erdenentwickelung, die repräsentiert sind durch die Schlange im Paradies, auch diese Wesenheiten haben nichts mit der Erbsünde zu tun, sondern mit einer frei durch sie begangenen Sünde. Erst im Menschen wird sie zur Erbsünde. Es ist dasjenige, was man Erbsünde und dann wiederum Freiheit nennt, das, was eigentlich dem Menschen spezifisch ist. Man findet überhaupt, daß die Errichtung einer jeden Daseinsstufe im gesamten Weltenall ihre gute Bedeutung hat, so daß nicht irgend etwas sich in vertikaler Richtung wiederholt. Also was bei den Tieren ist, ist nicht bei den Menschen, und was bei den Menschen ist, ist nicht bei den Engeln und so fort.“ (Lit.: GA 343, S. 433ff)
Freiheit und Determinismus
Für das Verhältnis des Menschen in seiner Freiheit zum Karma gilt die Beachtung der beiden Doppelströme der Zeit,[1] die Lebenssituationen sind dann entweder durch altes Karma, durch Freiheit, oder durch neues (künftiges) Karma bestimmt. Es sind im Hinblick auf den naturwissenschaftlichen Determinismus klare Positionen von Seiten der herrschenden Wissenschaft bezogen worden: Diese angebliche Freiheit des Menschen wäre nur eine Illusion, es gäbe sie nicht wirklich (herrschende Auffassung, es gibt auch Gegenauffassungen).
Zu beachten ist auch der Gegenstrom der Zeit in der Evolution.[2]
In der Argumentation, das fällt unter die Philosophie des Geistes, spielt eine wichtige Rolle, dass eine Willensregung physiologisch zeitlich schon früher gemessen werden kann, als sie dann im Bewußtsein als ein "Ich will" relevant wird. Diese durchaus plausible Begründung berücksichtigt freilich nicht, dass ja der menschliche Wille etwas anderes sei, als das Bewußtsein von einem menschlichen Willen, insbesondere freiem Willen.
Allerdings kann dieser Wille, wenn er als ein freier soll gelten, nur ein bewusster freier Wille sein. Bewußtsein, das nach der physiologischen Gehirnforschung später kommt, als die motorische Handlungsabsicht.
Nur die Befragung des zeitlichen Charakters von Wollen, und der physiologischen Manifestation des Wollens kann da auf eine Lösung hinweisen.
„Sehen Sie sich die gebräuchlichen Lehrbücher durch, so werden Sie finden: Dahin kommen diese Leute, den Denkapparat aufzuzeigen und alles Denken und Vorstellen in Verbindung zu bringen mit den mechanischen Vorgängen im Gehirn und Nervensystem; aber sie müssen ableugnen Gefühl und Wille. Gefühl und Wille kann nicht erklärt werden durch körperliche Vorgänge. Daher wird dies einfach ausgeschaltet. Und Sie können heute, wenn Sie die Bücher aufschlagen, überall finden: Die Menschen haben zwar aus ihren Vorurteilen auch einen Willen angenommen und ein Gefühl angenommen, aber das ist eigentlich ein Nichts, das ist gar nicht vorhanden. Also macht der Naturforscher gerade halt vor Gefühl und Wille. Indem wir nun wissen, daß sich die Gedanken mit unserem Ätherleib von uns absondern, erklärt sich uns, daß dieses Abgesonderte, das mit unserem Ätherleib aus uns herausgeht, auch hier auf der Erde an unserem Äußeren arbeitet, den Denkapparat sich erst herrichtet, und wenn der Denkapparat geformt ist, dann kommt das Denken mit Hilfe des vom Denken selbst geformten Denkapparates. Gefühl und Wille bleiben uns im Astralleib und im Ich. Die tragen wir in die geistige Welt. Nicht eine Wissenschaft zwingt zum Materialismus, im Gegenteil, die wirkliche heutige Wissenschaft rechtfertigt überall unsere Geisteswissenschaft. Der heutige Materialismus ist durchaus abhängig davon, daß die Leute keinen Trieb haben zu dem geistigen Leben, daß sie keinen Sinn haben wollen für geistiges Leben. Auch das Verständnis brauchte nicht zu fehlen. Denn wirklich, wenn man sich einläßt auf das, was der Geistesforscher aus der geistigen Welt heraus zu geben vermag selbst für solche Kapitel, wie wir sie heute vor unsere Seele haben treten lassen für das Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt: verstanden werden kann es schon, man braucht nur ein feineres, subtileres Verständnis, als das grobe Verständnis ist, das der heutige Mensch für die äußere Welt vielfach anwenden will. Aber wir leben auch in einer Zeit, in der eben der Materialismus zu seiner Hochflut gekommen ist.“ (Lit.: GA 168, S. 56)
Der unsterbliche Teil des Menschen ist sein Willens-Gefühlswesen, daher entstammt alle nichtdeterminierte Freiheit, dem Höheren Ich, insoweit es sich durch Wille und Gefühl in Entschluss- und Gedankenform realisieren kann.[3]
Freiheit erfordert das Gleichgewicht von Geist und Natur
Von entscheidender Bedeutung für den freien Willen ist das rechte Gleichgewicht zwischen Geist und Natur:
„Sie wissen ja, meine lieben Freunde, wie sauer es wird einem Menschen, eine Idee zu begreifen, die eigentlich für den unbefangenen Menschen selbstverständlich ist und welche geleugnet wird, weil der Intellekt von den Philosophen nicht heran kann: die Idee des freien Willens. Ich sagte über die Sinnesempfindungen: die Dinge, die in den Physiologien und in den Psychologien stehen, nehmen sich dem gegenüber, der die Dinge durchschaut, kindisch aus. Aber was über die Idee des freien Willens geschwätzt wird, erst recht. Denn Sie müssen bedenken, daß der freie Willensentschluß in jedem Augenblick ein Effekt der ganzen menschliehen Wesenheit ist; der ganzen menschlichen Wesenheit, wie sie sich gesund oder krank oder halbkrank oder übergesund darlebt, in dem freien Willensimpetus. Im freien Willensimpetus liegt der ganze Mensch darinnen, aber mit alledem, was man am ganzen Menschen durchschauen kann, mit allen Komplikationen liegt er darinnen. Die menschliche Natur lernt man erst kennen, wenn man sie in dieser Komplikation erkennen lernt. Und sehen Sie, das, was bei abnormen Persönlichkeiten nach der einen oder anderen Seite hin eine abnorme Schattierung annimmt, ist aufgehoben, zur Harmonie vereinigt in jedem Menschen. Es ist ein trivialer Ausspruch, aber er ist wahr: so wie der Mensch zugänglich ist für den Cherubim, so ist er auch zugänglich für den Teufel. Und auch diese Prozesse, wo der Mensch zugänglich ist für den Teufel - wir werden sie noch studieren. Aber das alles ist auch im gewöhnlichen Menschen, nur daß die entgegengesetzten Tätigkeiten sich aufheben, weil sie sich nach den verschiedensten Richtungen gleich stark entwickeln. Wenn in jedem ein Engel ist, so ist auch in jedem ein Teufel. Aber wenn der Engel und Teufel gleich stark sind für irgend etwas, dann heben sie sich auf.
Nun betrachten Sie diese Waage (siehe Zeichnung). Es gibt einen Punkt, es ist dieser. Sie können hier Gewichte auflegen, das kann alles in Bewegung geraten. Das bleibt immer in Ruhe, das Hypomochlion, es wird nicht berührt von dem, was Sie links, von dem, was Sie rechts auflegen. Aber es muß die Einrichtung getroffen werden, daß es nicht berührt zu werden braucht. Ein ähnliches geistiges Hypomochlion wird im Menschen bewirkt von den entgegengesetzten Kräften. Sie können daher studieren des Menschen Natur. Sie werden nirgends eine Veranlassung haben, den Menschen als freies Wesen zu statuieren, denn in der Natur des Menschen ist alles kausal bedingt. Studieren Sie mit materialistischer Gesinnung die Natur des Menschen: Sie kommen nicht zur Freiheitsidee, Sie kommen zur kausalen Bedingung. Sie können aber auch den Menschen geistig studieren. Sie kommen zur Determination des Willens durch die Gottheit oder die geistigen Wesenheiten, aber Sie kommen nicht zur Freiheit des Willens. Sie können ein grobklotziger Materialist sein und die Freiheit leugnen und die Naturkausalität des Willens studieren, Sie können ein feinsinniger Kopf sein wie Leibniz und auf das Geistige sehen: Sie kommen zum Determinismus. Natürlich, solange Sie die Waagschale mit dem Waagbalken hier studieren, kommen Sie nur zur Bewegung; solange Sie die Waagschale mit dem Waagbalken hier studieren, kommen Sie auch nur zur Bewegung. So ist es, wenn Sie den Menschen studieren nach der Natur, so ist es, wenn Sie den Menschen studieren nach dem Geist. Sie kommen nicht zur Freiheit. Sie liegt mitten drinnen im Gleichgewichtspunkt zwischen beiden.
Das ist die Theorie. Aber die Praxis ist so, daß Sie zu entscheiden haben bei einem Menschen, der vor Ihnen steht in einer schwierigen Lebenslage, ob Sie ihn verantwortlich machen können für seine Tat. Da wird die Frage praktisch, ob er seinen freien Willen handhaben kann oder nicht. Woran können Sie das entscheiden? Dadurch, daß Sie zu beurteilen vermögen, ob seine geistige und physische Konstitution sich das Gleichgewicht halten. In beide Fälle kann sowohl der Arzt wie der Priester kommen. Daher muß zur Schulung des Arztes wie des Priesters gehören ein Durchschauen jenes Zustandes, in dem der Mensch entweder im Gleichgewicht zwischen Geist und Natur ist, oder in dem dieses Gleichgewicht verschoben ist.
Niemals kann über das Verantwortungsgefühl einer menschlichen Persönlichkeit anders entschieden werden als nach einer tiefen Erkenntnis der menschlichen Wesenheit. Die Freiheitsfrage in Verbindung mit der Verantwortungsfrage ist eben eine denkbar tiefste.“ (Lit.: GA 318, S. 45ff)
Freiheit und Liebe
Dass Freiheit und Liebe untrennbar miteinander verbunden sind, hat Rudolf Steiner schon in seinen Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften (GA 1, 1884–1897) ganz entschieden betont:
„Wir wissen daß die Ideenwelt die unendliche Vollkommenheit selbst ist; wir wissen, daß mit ihr die Antriebe unseres Handelns in uns liegen; und wir müssen demzufolge nur ein solches Handeln als ethisch gelten lassen, bei dem die Tat nur aus der in uns liegenden Idee derselben fließt. Der Mensch vollbringt von diesem Gesichtspunkte aus nur deshalb eine Handlung, weil deren Wirklichkeit für ihn Bedürfnis ist. Er handelt, weil ein innerer (eigener) Drang, nicht eine äußere Macht, ihn treibt. Das Objekt seines Handelns, sobald er sich einen Begriff davon macht, erfüllt ihn so, daß er es zu verwirklichen strebt. In dem Bedürfnis nach Verwirklichung einer Idee, in dem Drange nach der Ausgestaltung einer Absicht soll auch der einzige Antrieb unseres Handelns sein. In der Idee soll sich alles ausleben, was uns zum Tun drängt. Wir handeln dann nicht aus Pflicht, wir handeln nicht einem Triebe folgend, wir handeln aus Liebe zu dem Objekt, auf das unsere Handlung sich erstrecken soll. Das Objekt, indem wir es vorstellen, ruft in uns den Drang nach einer ihm angemessenen Handlung hervor. Ein solches Handeln ist allein ein freies. Denn müßte zu dem Interesse, das wir an dem Objekt nehmen, noch ein zweiter anderweitiger Anlaß kommen, dann wollten wir nicht dieses Objekt um seiner selbst willen, wir wollten ein anderes und vollbrächten dieses, was wir nicht wollen; wir vollführten eine Handlung gegen unseren Willen. Das wäre etwa beim Handeln aus Egoismus der Fall. Da nehmen wir an der Handlung selbst kein Interesse; sie ist uns nicht Bedürfnis, wohl aber der Nutzen, den sie uns bringt. Dann aber empfinden wir es auch zugleich als Zwang, daß wir jene Handlung, nur dieses Zweckes willen, vollbringen müssen. Sie selbst ist uns nicht Bedürfnis; denn wir unterließen sie, wenn sie den Nutzen nicht im Gefolge hätte. Eine Handlung aber, die wir nicht um ihrer selbst willen vollbringen, ist eine unfreie. Der Egoismus handelt unfrei. Unfrei handelt überhaupt jeder Mensch, der eine Handlung aus einem Anlaß vollbringt, der nicht aus dem objektiven Inhalt der Handlung selbst folgt. Eine Handlung um ihrer selbst willen ausführen, heißt aus Liebe handeln. Nur derjenige, den die Liebe zum Tun, die Hingabe an die Objektivität leitet, handelt wahrhaft frei. Wer dieser selbstlosen Hingabe nicht fähig ist, wird seine Tätigkeit nie als eine freie ansehen können.“ (Lit.: GA 1, S. 202f)
Solange wir uns mit unserem Denken an die Außenwelt hingegeben, müssen wir deren Gesetzmäßigkeiten folgen und sind daher, insofern wir uns dadurch in unseren Handlungen leiten lassen, unfrei. Frei werden wir, wenn wir, völlig losgelöst von der Außenwelt, Gedanken im rein inneren geistigen Erleben fassen und mit unserem Willen durchstrahlen. Das reine, d. h. sinnlichkeitsfreie Denken ist zugleich als reiner schöpferischer Wille tätig.
„Wenn wir Gedanken von der äußeren physisch-sinnlichen Welt aufnehmen - und wir können ja nur solche aufnehmen zwischen Geburt und Tod -, dann werden wir dadurch, wie Sie leicht einsehen können, unfrei, denn wir werden hingegeben an die Zusammenhänge der äußeren Welt; wir müssen dann so denken, wie es uns die äußere Welt vorschreibt, insofern wir nur den Gedankeninhalt ins Auge fassen; erst in der inneren Verarbeitung werden wir frei.
Nun gibt es eine Möglichkeit, ganz frei zu werden, frei zu werden in seinem inneren Leben, wenn man den Gedankeninhalt, insofern er von außen kommt, möglichst ausschließt, immer mehr und mehr ausschließt, und das Willenselement, das im Urteilen, im Schlüsseziehen unsere Gedanken durchstrahlt, in besondere Regsamkeit versetzt. Dadurch aber wird unser Denken in denjenigen Zustand versetzt, den ich in meiner «Philosophie der Freiheit» genannt habe das reine Denken. Wir denken, aber im Denken lebt nur Wille. Ich habe das besonders scharf betont in der Neuauflage der «Philosophie der Freiheit» 1918. Dasjenige, was da in uns lebt, lebt in der Sphäre des Denkens. Aber wenn es reines Denken geworden ist, ist es eigentlich ebensogut als reiner Wille anzusprechen. So daß wir aufsteigen dazu, uns vom Denken zum Willen zu erheben, wenn wir innerlich frei werden, daß wir gewissermaßen unser Denken so reif machen, daß es ganz und gar durchstrahlt wird vom Willen, nicht mehr von außen aufnimmt, sondern eben im Willen lebt. Gerade dadurch aber, daß wir immer mehr und mehr den Willen im Denken stärken, bereiten wir uns vor für das, was ich in der «Philosophie der Freiheit» die moralische Phantasie genannt habe, was aber aufsteigt zu den moralischen Intuitionen, die dann unseren gedankegewordenen Willen oder willegewordenen Gedanken durchstrahlen, durchsetzen. Auf diese Weise heben wir uns heraus aus der physisch-sinnlichen Notwendigkeit, durchstrahlen uns mit dem, was uns eigen ist und bereiten uns vor für die moralische Intuition. Und auf solchen moralischen Intuitionen beruht doch alles das, was den Menschen von der geistigen Welt aus zunächst erfüllen kann. Es lebt also auf dasjenige, was Freiheit ist, dann, wenn wir gerade in unserem Denken immer mächtiger und mächtiger werden lassen den Willen.“ (Lit.: GA 202, S. 201f)
Damit wird aber zugleich der Wille mit den in voller Freiheit bewusst aus dem Geist geschöpften Gedanken durchstrahlt. Was so aus dem Geist geschöpft wird, fließt in voller Hingabe durch unsere Handlungen in die Außenwelt, denn es liegt notwendig im Wesen des Geistes, sich zu verschenken – das ist aber nichts anderes als reine Liebe. Geist ist Liebe in ihrer vollkommensten Form.
„Sie sehen, wir werden immer innerlicher und innerlicher, indem wir unsere Eigenkraft als Wille in das Denken hineinschicken, das Denken gewissermaßen ganz vom Willen durchstrahlen lassen. Wir bringen den Willen in das Denken hinein und gelangen dadurch zur Freiheit. Wir gelangen dazu, indem wir immer mehr und mehr unser Handeln ausbilden, in dieses Handeln die Gedanken hineinzutragen. Wir durchstrahlen unser Handeln, das ja aus unserem Willen hervorgeht, mit unseren Gedanken. Auf der einen Seite, nach innen, leben wir ein Gedankenleben: das durchstrahlen wir mit dem Willen und finden so die Freiheit. Auf der anderen Seite, nach außen, fließen unsere Handlungen von uns aus dem Willen heraus; wir durchsetzen sie mit unseren Gedanken.
Aber wodurch werden denn unsere Handlungen immer ausgebildeter? Wodurch, wenn wir den allerdings anzufechtenden Ausdruck gebrauchen wollen, kommen wir denn zu einem immer vollkommeneren Handeln? - Wir kommen zu einem immer vollkommeneren Handeln eigentlich dadurch, daß wir diejenige Kraft in uns ausbilden, die man nicht anders nennen kann als Hingabe an die Außenwelt. Je mehr unsere Hingabe an die Außenwelt wächst, desto mehr regt uns diese Außenwelt an zum Handeln. Dadurch aber gerade, daß wir den Weg finden, um hingegeben zu sein an die Außenwelt, gelangen wir dazu, dasjenige, was in unserem Handeln liegt, mit Gedanken zu durchdringen. Was ist Hingabe an die Außenwelt? Hingabe an die Außenwelt, die uns durchdringt, die unser Handeln mit den Gedanken durchdringt, ist nichts anderes als Liebe.
Geradeso wie wir zur Freiheit kommen durch die Durchstrahlung des Gedankenlebens mit dem Willen, so kommen wir zur Liebe durch die Durchsetzung des Willenslebens mit Gedanken. Wir entwickeln in unserem Handeln Liebe dadurch, daß wir die Gedanken hineinstrahlen lassen in das Willensgemäße; wir entwickeln in unserem Denken Freiheit dadurch, daß wir das Willensgemäße hineinstrahlen lassen in die Gedanken. Und da wir als Mensch eine Ganzheit, eine Totalität sind, so wird, wenn wir dazu kommen, in dem Gedankenleben die Freiheit und in dem Willensleben die Liebe zu finden, in unserem Handeln die Freiheit, in unserem Denken die Liebe mitwirken. Sie durchstrahlen einander, und wir vollziehen ein Handeln, ein gedankenvolles Handeln in Liebe, ein willensdurchsetztes Denken, aus dem wiederum das Handlungsgemäße in Freiheit entspringt.“ (Lit.: GA 202, S. 203ff)
Schiller sagt zu dem Thema: „Lieben heißt in Freiheit setzen.“
„Im Spannungsfeld zwischen Geist und Materie und im Bewußtsein der Grenzen seiner Existenz ist der Mensch verkörperte Freiheitsfähigkeit. Der Lebensstrom aus der Vergangenheit verwandelt sich in ihm in das Licht der Erkenntnis, der Gestaltungsstrom aus der Zukunft in die Liebe der hingebungsvollen Tat. – Eine in diesem Sinne aufgefasste Liebe kann nur aus Freiheit erwachsen.“ (Lit.: Christoph J. Hueck, S. 211)
Wahre Liebe ist nur aus Freiheit möglich. Der Auftrag Christi: Liebet einander, ist ein Gebot, aber ein Gebot an den „Freien Menschen“, zu dem sich die allgemeine Menschheit erst noch hinentwickeln muss. Dieses Wechselverhältnis von Freiheit und Liebe wurde thematisiert, im Rahmen der Diskussion über die Prädestinationslehre etc.
Was Schiller sagte, gilt wohl auch umgekehrt: Frei sein ist lieben.
Freiheit und Liebe als Weg zu Michael und Christus
„Indem sich der Mensch als freies Wesen in Michaels Nähe fühlt, ist er auf dem Wege, die Kraft der Intellektualität in seinen «ganzen Menschen» zu tragen; er denkt zwar mit dem Kopfe, aber das Herz fühlt des Denkens Hell oder Dunkel; der Wille strahlt des Menschen Wesen aus, indem er die Gedanken als Absichten in sich strömen hat. Der Mensch wird immer mehr Mensch, indem er Ausdruck der Welt wird; er findet sich, indem er sich nicht sucht, sondern in Liebe sich wollend der Welt verbindet.
Indem der Mensch seine Freiheit entfaltend in Ahrimans Verlockungen fällt, wird er in die Intellektualität hineingezogen, wie in einen geistigen Automatismus, in dem er ein Glied ist, nicht mehr er selbst. All sein Denken wird Erlebnis des Kopfes; allein dieser sondert es vom Eigenherzerleben und eignem Willensleben ab und löscht das Eigensein aus. Der Mensch verliert immer mehr von seinem innerlich wesenhaft-menschlichen Ausdruck, indem er Ausdruck seines Eigenseins wird; er verliert sich, indem er sich sucht; er entzieht sich der Welt, der er die Liebe verweigert; aber der Mensch erlebt sich nur wahrhaft, wenn er die Welt liebt.
Es ist aus dem Geschilderten wohl anschaulich, wie Michael der Führer zu Christus ist. Michael geht mit allem Ernste seines Wesens, seiner Haltung, seines Handelns in Liebe durch die Welt. Wer sich an ihn hält, der pfleget im Verhältnis zur Außenwelt der Liebe. Und Liebe muß im Verhältnis zur Außenwelt sich zunächst entfalten, sonst wird sie Selbstliebe.
Ist dann diese Liebe in der Michael-Gesinnung da, dann wird Liebe zum andern auch zurückstrahlen können ins eigene Selbst. Dieses wird lieben können, ohne sich selbst zu lieben. Und auf den Wegen solcher Liebe ist Christus durch die Menschenseele zu finden.“ (Lit.: GA 26, S. 117f)
Freiheit und Wählen
Unter bestimmten Gesichtspunkten ist auch die Freiheit der Wahl zu erörtern. Ist dies nur ein besonderer Aspekt von Freiheit, oder wäre Freiheit wesentlich Wahlfreiheit?
Wenn der Mensch sich vor die Alternative gestellt sieht: „Friss Vogel, oder stirb“, wie es ein Sprichwort sagt: Wo ist da die Freiheit? Denen, die sich nicht dem Willen Gottes einfügen, wird Vernichtung angedroht, und sogar ewiges Höllenfeuer. Wo ist da Freiheit?
Ein Mensch, der sich nicht dem Willen Gottes fügt, wird in Zukunft vernichtet (resp. gebraten auf ewig im Höllenfeuer) werden, so die kolportierte Aussage, an deren Wahrheit wohl Zweifel erlaubt sein mögen, denn die Aussage widerspricht sowohl der Freiheit, als auch der Liebe – aus Gottes Wollen.
„So heißt es im ‚Katechismus der Katholischen Kirche’, dass für bestimmte Vergehen die Todsünde gelte, während für andere Sünden die Entsühnung durch die Beichte möglich sei. Nehmen wir also einmal an, es sei so, dass eine Todsünde existiere, das jemand daran schuldig geworden sei und sein Weg nun unweigerlich in die ewige Hölle und Verdammnis führe müsse. Nehmen wir an dies sei ein Mörder, der nun im Gefängnis sitzt. Die Göttliche Gnade ist für ihn verwirkt, sie ist ihm mithin nicht mehr erreichbar. Mit welcher Perspektive soll dieser Mensch aber seiner Entlassung entgegenschreiten. Soll er sich sagen es nutzt ohnehin nichts, also will ich mich auch nicht bessern und weitermorden, sobald mir wieder Gelegenheit dazu gegeben wird. Dieser Ansatz ist auch aus der Gefängnisseelsorge heraus völlig verfehlt: Todsünden kann und darf es nicht geben, so lange der Mensch noch lern- und besserungsfähig ist. Die Erklärung einer Tat als Todsünde stellt eine deterministische Prognose dar. Eine deterministische Prognose ist nichts weiter, als ein Glauben an die zukünftige Wirklichkeitsangemessenheit der jeweils vorangestellten Hypothese. Durch die streng deterministische Prognose wird aber jeder Freiheit für alle Zukunft der Boden entzogen, es wird ein Konstanzprinzip menschlichen Handelns aufgestellt, welches aber im Ergebnis bedeutete nicht mehr (neu) lernen zu können. Künftige Lernfähigkeit lässt sich aber für keinen Menschen ausschließen. „Damit ist auf dem Wege eines argumentum a contrario bewiesen, dass das Konstanzprinzip im Rahmen menschlichen Handelns nicht gelten kann: Würde es gelten, so bedeutete dies, das man nicht lernen kann – dass man lernen könne, dass man nicht lernen kann, kann man aber nicht behaupten, ohne sich selbst schon widersprochen zu haben.“[4] Wurde nicht auch Faust durch unglückliche Umstände zum Schuldigen und wird ihm am Sterbebett, da Faust bereut, nicht dennoch alle Schuld erlassen? Man sieht ganz klar auch Goethes Attacke auf allzu simplizistische kirchliche Moralvorstellungen: „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erretten“ . Unterstrichen wird so bei Goethe das alles überragende Freiheitsmoment des Menschen selbst noch im letzten Augenblick vor dem Tod. Analoge Stellen gibt es auch im Neuen Testament: Lukas 23,43 und Johannes 8,11.
Es wird klar: ohne eine völlige Handlungsfreiheit zu Gut und Böse (siehe auch die Paradiesmythe) bestünde keine echte (Wahl-)Freiheit zwischen Gut und Böse. Dies, also ist das Gute des Bösen, dass es menschliche Wahlfreiheit durch sein (Negativ-)Angebot erst ermöglicht.“ (Lit.: Michael Heinen-Anders: Dem Teufel auf der Spur. S. 12–13)
Verschiedene begriffliche Unterscheidungen
Wahlfreiheit und Gestaltungsfreiheit
Von der Wahlfreiheit kann man die Gestaltungsfreiheit unterscheiden. Die Gestaltungsfreiheit geht über das Wählen (Wahl des Paris) zwischen Alternativen hinaus, insofern es keine bestimmten, vorgegebenen Alternativen gibt, sondern diese erst aus dem Wollen hervorgehen. Wenn der Künstler den Meißel an den Gipsblock ansetzt, ist zwar jeder Hieb gewählt, aber aus einer Unendlichkeit von Alternativen, die lediglich durch die Idee des zu Schaffenden bestimmt sind, und den Eigentümlichkeiten des Materials. Der Normalmensch unterscheidet sich vom Künstler da nur durch die geringere Vollkommenheit in der Klarheit der auszuführenden Idee und der Materialkenntnis, der Beherrschung der Werkzeuge usw.
Selbstgestaltung
Im Unterschied zur Wahlfreiheit gibt es die Freiheit, man selbst zu sein (Autonomie). Diese ist schon den Tieren eigen. Ein Tier ist frei, wenn es sich in seinem Wesen, wie es ist, frei ausleben kann, in einer entsprechenden Umgebung. Man sieht dies heute in der reichen Vielfalt von möglichen Gestalten in der Flora und Fauna. (Dies findet z. B. bei der artgerechten Tierhaltung Berücksichtigung.) Beim Menschen kommt die Freiheit hinzu, selbst sein Wesen zu bestimmen, er hat die Freiheit, sich zu gestalten. Es ist dies analog zum künstlerischen Schaffen zu denken.[5] Die Weltgegensätze wie die zwischen Begriff und Wahrnehmung, Geist und Materie, sowie auch Gut und Böse (insofern der Mensch ein sittliches Wesen ist), sind insofern nur die Voraussetzungen für diese Freiheit des Menschen, sich selbst in seiner Gestalt zu bestimmen, welche sich auf individuelle Weise in einem fortlaufenden Prozess harmonisch in das Ganze integriert und dieses dadurch bereichert.
Abbauprozesse und freies Handeln
Rudolf Steiner hat wiederholt gezeigt, dass wir uns der an das Sinnliche gebundenen Gedanken nur dadurch bewusst werden, dass sich das Denken am Nervensystem spiegelt. Die sinnlichen Gedanken sind daher reine Spiegelbilder ohne eigenständige Wirklichkeit und folglich auch ohne kausale Wirkmächtigkeit. Dadurch, weil sie als bloße Spiegelbilder nicht der Naturnotwendigkeit unterliegen, bilden sie die Voraussetzung der Freiheit. Dazu kommen von der anderen Seite die aus der moralischen Phantasie im sinnlichkeitsfreien reinen Denken gefassten Tatgedanken. Sie haben keinen Vorstellungscharakter, sondern sind willenshafter Natur. Sie spiegeln sich nicht am Nervensystem, bewirken daher auch keine Abbauprozesse und verblassen nicht zu Spiegelbildern, sondern wirken vielmehr als reale lebendige Aufbaukräfte. Indem diese auf die Abbauprozesse einwirken, entsteht die freie Handlung.
„Bedenken Sie, daß ich schon in öffentlichen Vorträgen und auch hier wiederum in den verschiedensten Zusammenhängen mit einer gewissen Intensität immer wieder und wieder hervorgehoben habe, daß wir das, was wir Vorstellungen nennen, nur dann richtig begreifen können, wenn wir sie so in Beziehung bringen zu unserm leiblichen Organismus, daß wir den Vorstellungen im Leibe nicht etwas Wachsendes, Gedeihendes zugrunde liegend sehen, sondern gerade umgekehrt, etwas Absterbendes, etwas partiell im Leibe Absterbendes. Ich habe das so ausgesprochen in einem öffentlichen Vortrage, daß ich gesagt habe: Der Mensch stirbt eigentlich immer in sein Nervensystem hinein ab. - Der Nervenprozeß ist ein solcher, daß er sich auf das Nervensystem beschränken muß. Denn würde er sich ausdehnen über den ganzen Organismus, würde dasselbe vorgehen im ganzen Organismus, was in den Nerven vorgeht, so würde dies den Tod des Menschen in jedem Augenblick bedeuten. Man kann sagen: Vorstellungen entstehen da, wo der Organismus sich selber abbaut, wir sterben in unser Nervensystem fortwährend hinein. - Dadurch ist Geisteswissenschaft in die Notwendigkeit versetzt, nicht nur diejenigen Prozesse zu verfolgen, welche die heutige Naturwissenschaft als die einzig maßgebenden betrachtet: die aufsteigenden Prozesse. Diese aufsteigenden Prozesse, sie sind Wachstumsprozesse, sie gipfeln noch im Unbewußten. Erst wenn der Organismus mit den absteigenden Prozessen beginnt, tritt im Organismus jene Tätigkeit der Seele auf, die man als Vorstellungs-, ja auch als sinnliche Wahrnehmungstätigkeit bezeichnen kann. Dieser Abbauprozeß, dieser Ersterbeprozeß, der muß da sein, wenn überhaupt vorgestellt werden soll.
Nun habe ich gezeigt, daß das freie Handeln des Menschen geradezu darauf beruht, daß der Mensch in die Lage kommt, aus reinen Gedanken heraus die Impulse für sein Handeln zu suchen. Diese reinen Gedanken werden am meisten von Einfluß sein auf die Abbauprozesse im menschlichen Organismus. Was geschieht denn eigentlich, wenn der Mensch so recht eine freie Handlung vollzieht? Machen wir uns das einmal klar, was da beim gewöhnlichen physischen Menschen geschieht, wenn der Mensch aus moralischer Phantasie heraus - Sie wissen jetzt, was ich damit meine —, aus moralischer Phantasie heraus, das heißt aus einem Denken, das von sinnlichen Impulsen, sinnlichen Trieben und Affekten nicht beherrscht ist, handelt, was geschieht da mit dem Menschen eigentlich? Dann geschieht das, daß er sich reinen Gedanken hingibt; die bilden seine Impulse. Sie können ihn nicht impulsieren durch sich selbst; er muß sich impulsieren, denn sie sind bloße Spiegelbilder, das haben wir ja betont. Sie gehören der Maja an. Spiegelbilder können nicht zwingen, der Mensch muß sich selber zwingen unter dem Einfluß der reinen Vorstellungen.
Worauf wirken reine Vorstellungen? Am stärksten wirken sie auf den Abbauprozeß im menschlichen Organismus. Auf der einen Seite kommt aus dem Organismus heraus der Abbauprozeß, und auf der ändern Seite kommt aus dem geistigen Leben diesem Abbauprozeß entgegen der reine Tatgedanke. Ich meine damit den Gedanken, welcher der Tat zugrunde liegt. Durch die Vereinigung von beiden, durch das Aufeinanderwirken des Abbauprozesses und des Tatgedankens entsteht die freie Handlung.
Ich sagte, der Abbauprozeß wird nicht durch das reine Denken bewirkt; der ist sowieso da, er ist also eigentlich immer da. Wenn der Mensch diesem Abbauprozeß, gerade den bedeutsamsten Abbauprozessen in ihm, nichts aus dem reinen Denken heraus entgegenstellt, dann bleibt er Abbauprozeß, dann wird der Abbauprozeß nicht umgewandelt in einen Aufbauprozeß, dann bleibt ein ersterbender Teil im Menschen. Denken Sie das einmal durch, dann ersehen Sie daraus, daß die Möglichkeit besteht, daß der Mensch gerade durch Unterlassung von freien Handlungen einen Todesprozeß in sich nicht aufhebt. Darin liegt einer der subtilsten Gedanken, die der Mensch nötig hat, in sich aufzunehmen. Wer diesen Gedanken versteht, kann im Leben nicht mehr zweifeln an dem Vorhandensein der menschlichen Freiheit. Denn eine Handlung, die aus Freiheit geschieht, geschieht nicht durch etwas, was im Organismus verursacht wird, sondern wo die Ursachen aufhören, nämlich aus einem Abbauprozeß heraus. Dem Organismus muß etwas zugrunde liegen, wo die Ursachen aufhören, dann kann überhaupt erst die reine Vorstellung als Motiv des Handelns eingreifen. Aber solche Abbauprozesse sind immer da, sie bleiben nur gewissermaßen ungenützt, wenn der Mensch nicht freie Handlungen vollführt.
Was hier zugrunde liegt, bezeugt aber auch, wie es mit einem Zeitalter aussehen muß, welches sich nicht darauf einlassen will, die Idee der Freiheit im vollsten Umfange zu verstehen. Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts, das 20. Jahrhundert bis in unsere Zeit, diese Epoche hat es sich geradezu zur Aufgabe gesetzt, auf allen Gebieten des Lebens die Idee der Freiheit immer mehr und mehr für die Erkenntnis zu trüben, für das praktische Leben in Wirklichkeit auszuschalten. Freiheit wollte man nicht verstehen, Freiheit wollte man nicht haben. Die Philosophen haben sich bemüht, zu beweisen, daß alles mit einer gewissen Notwendigkeit aus der menschlichen Natur hervorgeht. Gewiß, der menschlichen Natur liegt eine Notwendigkeit zugrunde, aber diese Notwendigkeit hört auf, indem Abbauprozesse beginnen, in welchen der Zusammenhang der Ursachen sein Ende findet. Wenn Freiheit da eingegriffen hat, wo die Notwendigkeit im Organismus aufhört, dann kann man nicht sagen, daß die Handlungen der Menschen aus der inneren Notwendigkeit hervorgehen; sie gehen dann erst aus ihm hervor, wenn diese Notwendigkeit aufhört. Der ganze Fehler bestand darinnen, daß man sich nicht eingelassen hat darauf, im menschlichen Organismus nicht nur zu verstehen die aufbauenden Prozesse, sondern auch zu verstehen die abbauenden Prozesse.“ (Lit.: GA 179, S. 122ff)
Siehe auch
- Freiheit - Artikel in der deutschen Wikipedia
- Willensfreiheit – eine Übersicht über allgemeine philosophische und wissenschaftliche Positionen zu diesem Thema
- Sittliche Autonomie
- Autonomie
Literatur
- Jan-Christoph Heilinger: Naturgeschichte der Freiheit, Berlin 2007 academia.edu
- Geert Keil: Willensfreiheit, 3. Auflage, De Gruyter, Berlin 2017, ISBN 978-3110533453, ASIN B015N8BAAW
- Geert Keil: Willensfreiheit und Determinismus, zweite, überarb. Auflage, Reclam, Stuttgart 2018, ISBN 978-3150203293
- Anna Seemüller (Hrsg.), Tanja Gabriele Baudson (Hrsg.), Martin Dresler (Hrsg.): Freiheit. Interdisziplinäre Betrachtungen, S. Hirzel Verlag 2010, ISBN 978-3-7776-2199-9
- Christoph J. Hueck: Evolution im Doppelstrom der Zeit, Vlg. am Goetheanum, Dornach 2012
- Clemens Horvat: Die Paulus-Briefe und Rudolf Steiners Philosophie der Freiheit, 2. Auflage, Books on Demand 2019, ISBN 978-3748141877, eBook ASIN B07W4LSC73
- Clemens Horvat: Die Wirklichkeit der Freiheit: Zu den erkenntniswissenschaftlichen und christologischen Grundlagen der Anthroposophie, 5. Auflage, Books on Demand 2017, ISBN 978-3743137776, eBook ASIN B06XPKVVXP
- Rudolf Steiner: Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften, GA 1 (1987), ISBN 3-7274-0011-0; Tb 649, ISBN 978-3-7274-6490-4 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Die Philosophie der Freiheit, GA 4 (1978) pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Rudolf Steiner: Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung, GA 7 (1990), ISBN 3-7274-0070-6; Tb 623, ISBN 978-3-7274-6230-6 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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- Rudolf Steiner: Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, II. Dokumentarische Ergänzungen GA 343b pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
- Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Heft 49/50 Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe Nr. 49
Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv. Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen. Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners. |
Weblinks
- Videos
- Philosophie der Freiheit (Rudolf Steiner) – eine Verständnishilfe von PhiloGramm
Einzelnachweise
- ↑ Wenn eine Erklärung durch angebliches altes Karma nicht stimmig ist, bietet sich die Erklärung vorweggenommenes „neues“ Karma: „Die Ursache liegt in der Zukunft“ (Joseph Beuys) an. Siehe dazu: http://www.ursache-zukunft.net/fileadmin/ursache-zukunft/Ursache_Zukunft.pdf
- ↑ Christoph J. Hueck: Evolution im Doppelstrom der Zeit. Vlg. am Goetheanum, Dornach 2012
- ↑ Vgl. GA 25 und GA 168
- ↑ H.-H. Hoppe: Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung, Opladen 1983, S. 10ff
- ↑ Vgl. Herbert Witzenmann: Die Philosophie der Freiheit als Grundlage künstlerischen Schaffens.
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