Imagination

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Imagination (von lat. imago „Bild“; verwandt mit lat. imitari „imitieren“ und aemulari „wetteifern, nacheifern“) bedeutet im alltäglichen Sinn die Fähigkeit, innere seelische Bilder zu erzeugen, die entweder aus der Erinnerung eine äußere Realtät nachbilden, oder der reinen Fantasie entsprungen sind. Durch geistige Schulung kann diese Vorstellungskraft zu einer höheren Erkenntnisfähigkeit weitergebildet werden, die den Blick für höhere Daseinsebenen eröffnet. Die leibgebundenen sinnlichen Qualitäten werden dabei idealerweise völlig abgestreift und die Imagination geht in ein rein seelisch-geistiges Erleben über. Wirkliche Imaginationen gleichen weder bunten sinnesartig geschauten visionären Bildern, noch bloß abstrakten bildlosen Gedanken. Sie ähneln eher in gesteigerten Form jener Anmutung, die als feiner, aber sehr charakteristischer Gefühlseindruck spontan durch sinnliche Wahrnehmungen ausgelöst werden kann, wobei die durch verschiedene Sinne vermittelten Gemütsempfindungen häufig miteinender korrespondieren. Imagination, in diesem höheren Sinn verstanden, ist ein Psychisches Bewusstsein, auch Äthersehen genannt, in dem sich das Bilder-Bewusstsein des alten Mondes mit dem gegenwärtigen Gegenstands-Bewusstsein auf höherer Ebene vereinigt.

Der Begriff eines „geistigen Auges“ geht zumindest auf Cicero zurück, der in seiner Diskussion über den angemessenen Gebrauch des Gleichnisses durch den Redner von mentis oculi spricht.[1] Cicero bezieht sich dabei ganz deutlich nicht auf ein wirkliches geistiges Wahrnehmungsvermögen, wie es erst durch die Imagination gegeben ist, sondern auf ein möglichst konkretes sinnliches Vorstellungsvermögen. Rednern empfiehlt er daher, anschauliche Bilder zu verwenden und nicht solche, von denen man bloß gehört hat, „denn die Augen des Geistes sind leichter auf die Objekte gerichtet, die wir gesehen haben, als auf die, die wir nur gehört haben“.[2]

Tatsächlich bedienen sich die äußere sinnliche Wahrnehmung, das innere sinnliche Vorstellungvermögen und die wirkliche Imagination, die eine nicht-sinnliche, rein seelische Wahrnehmung ist, desselben seelischen Organs, nämlich des zweiblättrigen Stirnchakras, allerdings auf unerschiedliche Weise. Wenn sich die Tätigkeit der zwischen den Augenbrauen gelegenen zweiblättrigen Lotosblume nach innen wendet, entsteht die Fähigkeit zur äußeren, sinnlichen Wahrnehmung. Wenden sich ihre „astralischen Fangarme“ nach außen, entsteht die Imagination. (Lit.:GA 115, S. 54) Mit dieser erwacht ein selbstbewusstes Bilderbewusstsein, das der Mensch erst auf dem neuen Jupiter voll entfalten wird, der als nächste Verkörperung unseres Planetensystems der jetzigen Erdentwicklung folgen wird. Die Imagination ist eine Art des vollbewussten, nicht traumhaften Hellsehens. Das imaginative Bewusstsein beginnt dann aufzuleuchten, wenn sich die Erlebnisse des Astralleibs im Ätherleib abbilden und durch letzteren in Form beweglicher Bilder ins Bewusstsein zurückgeworfen werden. Wahre Imaginationen sind in dem Sinn imaginär, dass sie keine sinnlich-physische Realität, sondern das rein seelische Bild einer autonomen geistigen Wirklichkeit darstellen.

Leibfreies Bewusstsein

Damit sich die Imagination entfalten kann, muss sich das Bewusstsein vom leiblichen Werkzeug lösen. Kräfte, die sonst durch den Leib aufgebraucht werden, müssen ins Seelische gewendet werden:

„Kein Mensch weiß, wie seine Bewegungen, wie alles, was da wirkt, daß er ein handelnder Mensch sein kann in der physischen Außenwelt, wie das zustande kommt und welche Kraft da wirkt. Das merkt erst der Geistesforscher, wenn er zur sogenannten imaginativen Erkenntnis kommt. Da macht man sich zunächst Bilder, die dadurch wirken, daß sie stärkere Kräfte aus der Seele heraus schöpfen, als sie sonst im gewöhnlichen Leben angewendet werden. Woher kommt denn diese Kraft, die die Bilder des imaginativen Erlebens in der Seele entfesselt? Sie kommt dorther, wo die Kräfte wirken, die uns zu einem handelnden Menschen in der Welt machen, die uns unsere Hände und Füße bewegen lassen. Weil das der Fall ist, kommt man nur zur Imagination, wenn man in Ruhe verbleiben kann, wenn man den Willen seines Leibes zum Stillstand bringen kann, ihn beherrschen kann. Dann merkt man, wie diese Kraft, die sonst die Muskeln bewegt, heraufströmt in das Seelisch-Geistige und die imaginativen Bilder erbildet. Man vollbringt also eine Umlagerung der Kräfte. Da unten in den Tiefen des Leiblichen ist also etwas von unserem ureigensten Wesen, von dem wir im gewöhnlichen Leben nichts spüren. Dadurch, daß wir das Körperliche ausschalten, dringt der Geist, der sonst in unseren Handlungen zum Ausdruck kommt, herauf in die Seele und erfüllt diese mit dem, was sie sonst für das Körperliche verwenden muß. Der Geistesforscher weiß, daß er dasjenige dem Leibe entrücken muß, was sonst der Leib konsumiert. Für die imaginative Erkenntnis muß also das Leibliche ausgeschaltet werden.“ (Lit.:GA 150, S. 92f)

Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen sinnlicher Wahrnehmung und Imagination

In seiner «Geheimwissenschaft im Umriß» schreibt Rudolf Steiner:

„Die Eindrücke, welche man von dieser Welt erhält, gleichen in mancher Beziehung noch denen der physisch-sinnlichen. Wer imaginativ erkennt, wird von der neuen höheren Welt so sprechen können, daß er die Eindrücke als Wärme- oder Kälteempfindungen, Ton- oder Wortwahrnehmungen, Licht- oder Farbenwirkungen bezeichnet. Denn wie solche erlebt er sie. Er ist sich aber bewußt, daß diese Wahrnehmungen in der imaginativen Welt etwas anderes ausdrücken als in der sinnlich-wirklichen. Er erkennt, daß hinter ihnen nicht physisch-stoffliche Ursachen, sondern seelisch-geistige stehen. Wenn er etwas wie einen Wärmeeindruck hat, so schreibt er diesen nicht z.B. einem Stück heißen Eisens zu, sondern er betrachtet ihn als Ausfluß eines seelischen Vorganges, wie er ihn bisher nur in seinem seelischen Innenleben gekannt hat. Er weiß, daß hinter den imaginativen Wahrnehmungen seelische und geistige Dinge und Vorgänge stehen, wie hinter den physischen Wahrnehmungen stofflich-physische Wesen und Tatsachen. — Zu dieser Ähnlichkeit der imaginativen mit der physischen Welt kommt aber ein bedeutsamer Unterschied hinzu. Es ist etwas in der physischen Welt vorhanden, was in der imaginativen ganz anders auftritt. In jener kann beobachtet werden ein fortwährendes Entstehen und Vergehen der Dinge, ein Wechsel von Geburt und Tod. In der imaginativen Welt tritt an Stelle dieser Erscheinung eine fortdauernde Verwandlung des einen in das andere. Man sieht z.B. in der physischen Welt eine Pflanze vergehen. In der imaginativen zeigt sich in demselben Maße, in dem die Pflanze dahinwelkt, das Entstehen eines andern Gebildes, das physisch nicht wahrnehmbar ist und in welches sich die vergehende Pflanze allmählich verwandelt. Wenn nun die Pflanze dahingeschwunden ist, so ist dieses Gebilde an ihrer Stelle voll entwickelt da. Geburt und Tod sind Vorstellungen, welche in der imaginativen Welt ihre Bedeutung verlieren. An ihre Stelle tritt der Begriff von Verwandlung des einen in das andere. — Weil dies so ist, deshalb werden für das imaginative Erkennen jene Wahrheiten über die Wesenheit des Menschen zugänglich, welche in diesem Buche in dem Kapitel «Wesen der Menschheit» mitgeteilt worden sind. Für das physisch-sinnliche Wahrnehmen sind nur die Vorgänge des physischen Leibes wahrnehmbar. Sie spielen sich im «Gebiete von Geburt und Tod» ab. Die andern Glieder der Menschennatur: Lebensleib, Empfindungsleib und Ich stehen unter dem Gesetze der Verwandlung, und ihre Wahrnehmung erschließt sich der imaginativen Erkenntnis. Wer bis zu dieser vorgeschritten ist, nimmt wahr, wie sich aus dem physischen Leibe gleichsam herauslöst dasjenige, was mit dem Hinsterben in anderer Daseinsart weiterlebt.“ (Lit.:GA 13, S. 350f)

„Das ist das Eigentümliche der anthroposophischen Methode, daß sie die Sinneswahrnehmung geradezu zum Muster nimmt. Sonstige nebulose Mystiker findet man ja, die sagen: Sinneswahrnehmungen - etwas sehr Minderwertiges! Die muß man verlassen. Man muß ins Traumhafte, ins Mystische, ins Sinnesabgewandte sich versetzen! - Dadurch kommt natürlich nur ein halber Schlaf zustande, nicht ein wirkliches Meditieren. Die Anthroposophie verfolgt den entgegengesetzten Weg: Sie nimmt sich das Sinneswahrnehmen geradezu zum Muster in bezug auf seine Qualität, Intensität, in bezug auf seine Lebhaftigkeit. So daß sich der Mensch in diesem Meditieren so frei bewegt, wie er sich in der Sinneswahrnehmung sonst bewegt. Er fürchtet sich dabei gar nicht, daß er zum trockenen Nüchterling wird. Die Dinge, die er auf diese Weise in aller Objektivität erlebt, die halten ihn schon von der trockenen Philistrosität ab und er hat nicht nötig, wegen der Objekte, die er erlebt, um der Überwindung der Alltäglichkeit willen sich in traumhafte Nebulositäten zu erheben.

Indem der Mensch also richtig meditiert, gelangt er dazu, sich in Gedanken frei zu bewegen. Dadurch aber werden die Gedanken selber befreit von ihrem vorherigen abstrakten Charakter, sie werden bildhaft. Und das tritt jetzt beim vollen Wachbewußtsein ein, mitten unter dem anderen gesunden Denken. Das darf man nämlich nicht verlieren. Der Halluzinant, der Schwärmer, der ist in dem Momente, wo er halluziniert, schwärmt, ganz Halluzinant, ganz Schwärmer, da setzt er den gesunden Menschenverstand ganz weg; das darf derjenige, der die hier beschriebenen Methoden befolgt, nicht. Der hat immer den gesunden Menschenverstand neben sich. Den nimmt er durch all dasjenige mit, was er da im bildhaften Gedankenleben erlebt. Und was tritt dadurch ein? Ja, sehen Sie: bei vollem Wachzustande tritt dasjenige ein, was sonst nur das unbewußte Leben formt an der Bildhaftigkeit des Traumes. Aber das ist gerade der Unterschied der Imagination gegenüber dem Traume: beim Traume wird alles in uns gemacht; dann dringt es aus unerkannten Tiefen herein in das Wachleben, und wir können es nur hinterher beobachten. Bei der Imagination, bei der Vorbereitung zur Imagination, beim meditativen Inhalt machen wir das selbst, was sonst in uns gemacht wird. Wir werfen uns auf zu Schöpfern von Bildern, die nicht bloße Phantasiebilder sind, sondern an Intensität, an Lebendigkeit sich von den Phantasiebildern ebenso unterscheiden wie die Traumbilder von den bloßen Phantasiebildern. Aber wir machen das alles selbst, und darauf kommt es an. Und indem wir es selbst machen, sind wir auch von einer gründlichen Illusion befreit, die nämlich darinnen besteht, daß man dasjenige, was man so selber macht, als eine Kundgebung aus der objektiven Außenwelt ansehen könnte. Das wird man nie, denn man ist sich bewußt, daß man dieses ganze Bildgewebe selber macht. Der Halluzinant, der hält seine Halluzinationen für Wirklichkeit. Er hält Bilder für Wirklichkeit, weil er sie ja nicht selber macht, weil er weiß, daß sie gemacht werden. Dadurch entsteht für ihn die Täuschung, daß sie Wirklichkeit seien. Derjenige, der sich durch Meditation für die Imagination vorbereitet, kann gar nicht in den Fall kommen, das, was er da selber ausbildet, für wirkliche Bilder zu halten. Eine erste Stufe zur übersinnlichen Erkenntnis wird gerade darinnen bestehen, daß man illusionsfrei wird dadurch, daß man das ganze Gewebe, das man jetzt als die innere Fähigkeit, Bilder von solcher Lebendigkeit, wie sonst die Traumbilder sind, hervorzurufen, daß man das in völlig freier Willkür gestaltet. Und man müßte selbstverständlich ja jetzt verrückt sein, wenn man das für Wirklichkeit hielte!

Nun, die nächste Etappe in diesem Meditieren besteht darinnen, daß man sich wiederum die Fähigkeit erwirbt, diese Bilder, die etwas Faszinierendes haben, und die, wenn der Mensch sie nicht in vollständiger Freiheit wie beim Meditieren entwickelt, tatsächlich sich wie die Parasiten festsetzen, daß man diese Bilder aus dem Bewußtsein wiederum ganz verschwinden lassen kann, daß man auch die innere Willkür erhält, diese Bilder, wenn man will, wiederum völlig verschwinden zu lassen. Diese zweite Etappe ist so notwendig wie die erste. So wie im Leben gegenüber dem Erinnern das Vergessen notwendig ist - sonst würden wir immer mit der ganzen Summe unserer Erinnerungen herumgehen - , so ist auf dieser ersten Stufe des Erkennens das Abwerfen der imaginativen Bilder so notwendig als das Weben, das Gestalten dieser imaginativen Bilder.

Aber, indem man das alles durchgemacht hat, durchgeübt hat, hat man etwas mit dem Seelischen vollzogen, was man vergleichen könnte damit, wenn man einen Muskel immerfort gebraucht, wenn man ihn immerfort übt, so wird er stark. Man hat jetzt eine Übung in der Seele dadurch vollzogen, daß man Bilder weben, Bilder gestalten lernt, und sie wiederum unterdrückt, und daß das alles vollständig in dem Bereich unseres freien Willens steht. Sehen Sie, man ist dadurch, daß man die Imagination ausgebildet hat, zu der bewußten Fähigkeit gekommen, Bilder zu gestalten, wie sie sonst das unbewußte Leben des Traums gestaltet, da drüben in der Welt, die man sonst mit seinem gewöhnlichen Bewußtsein nicht überblickt, die in die Zustände zwischen dem Einschlafen und Aufwachen hineinverlegt sind. Jetzt entfaltet man diese selbe Tätigkeit bewußt herüber. Man entfaltet also in jener Meditation, die abzielt auf das imaginative Erkennen, den Willen, die Fähigkeit zu erringen, bewußt Bilder zu schaffen, und wiederum die Fähigkeit, bewußt Bilder aus dem Bewußtsein wegzuschaffen. Dadurch kommt eine andere Fähigkeit.

Diese Fähigkeit ist eine solche, die sonst unwillkürlich vorhanden ist nicht während des Schlafens, sondern im Momente des Aufwachens und Einschlafens. Der Moment des Aufwachens und Einschlafens kann sich so gestalten, daß man das, was man vom Einschlafen bis zum Aufwachen erlebt hat, in den Traumresten herübernimmt, dann von dorther dasjenige, was drüben ist, beurteilt. Es kann uns aber auch dasjenige, dem wir uns öffnen beim Aufwachen, gleich so überraschen, daß alle Erinnerung an den Traum hinuntersinkt. Im allgemeinen kann man sagen: In den Träumen ragt etwas Chaotisches, etwas wie erratische Gebilde von einem außer dem gewöhnlichen Wachleben Liegenden in das Wachleben herein. Es ragt dadurch herein, daß der Mensch während des Schlafens die bildhafte, die Imaginationen schaffende Tätigkeit entwickelt. Entwickelt er im Wachleben die Imaginationen schaffende Tätigkeit und die Imaginationen wegschaffende Tätigkeit, kann er also aus seiner Vorbereitung zur Imagination zu einem bewußtseinsleeren Zustand kommen: dann ist es so wie ein Aufwachen, und dann dringen von jenseits des Sinnesteppichs - was ich jetzt hier in der Zeichnung mit einem roten Kreis bezeichnet habe —, da dringen dann auf den durch die Meditation entwickelten Gedankenbahnen diejenigen Wesenhaftigkeiten durch den Sinnesteppich durch in uns ein, die jenseits dieses Sinnesteppichs sind. Wir durchstoßen den Sinnesteppich, wenn wir nach den gemachten Bildern mit leerem Bewußtsein verharren; dann kommen die Bilder herein durch Inspiration aus dem Jenseits der Sinneswelt. Wir treten in diejenige Welt ein, die jenseits der Sinneswelt liegt. Wir bereiten uns durch das imaginative Leben zur Inspiration vor. Und die Inspiration besteht darinnen, daß wir bewußt so etwas erleben können wie sonst unbewußt den Moment des Aufwachens. Wie im Moment des Aufwachens in unser waches Seelenleben etwas von jenseits des wachen Seelenlebens hereinkommt, so kommt dann, wenn wir durch die Imagination unser Seelenleben so ausgebildet haben, wie ich es geschildert habe, etwas von jenseits des Bewußtseins des Sinnesteppichs herein.“ (Lit.:GA 303, S. 77ff)

Denkende und nichdenkende visionäre Hellseher

„Was Offenbarungen, wirkliche Tatsachen gibt über die geistige Welt, das kann in der mannigfaltigsten Weise in die Menschenseele einziehen. Gewiß ist es möglich und in zahlreichen Fällen heute wirklich so, daß die Menschen zu einem visionären Sehen kommen, ohne scharfe Denker zu sein - viel mehr Leute kommen zum Hellsehen, die keine scharfen Denker sind, als scharfe Denker -, aber es ist ein großer Unterschied zwischen den Erfahrungen in der geistigen Welt derjenigen, die scharfe Denker sind, und derjenigen, die keine scharfen Denker sind. Es ist ein Unterschied, den ich so ausdrücken kann: Was sich aus den höheren Welten offenbart, das prägt sich am allerbesten ein in diejenigen Formen des Vorstellens, die wir als Gedanken diesen höheren Welten entgegenbringen; das ist das beste Gefäß.

Wenn wir nun keine Denker sind, dann müssen sich die Offenbarungen andere Formen suchen, zum Beispiel die Form des Bildes, die Form des Sinnbildes. Das ist die häufigste Art, wie derjenige, der Nichtdenker ist, die Offenbarungen erhält. Und Sie können dann von solchen, die visionäre Hellseher sind, ohne daß sie zugleich Denker sind, hören, wie von ihnen in Sinnbildern die Offenbarungen erzählt werden. Diese sind ja ganz schön, aber wir müssen uns zu gleicher Zeit bewußt sein, daß das subjektive Erlebnis ein anderes ist, ob Sie als Denker Offenbarungen haben oder als Nichtdenker. Wenn Sie als Nichtdenker Offenbarungen haben, so ist das Sinnbild da; es steht da diese oder jene Figur. Das offenbart sich aus der geistigen Welt heraus. Sagen wir, Sie sehen eine Engelgestalt, dieses oder jenes Symbolum, das dieses oder jenes ausdrückt, meinetwillen ein Kreuz, eine Monstranz, einen Kelch - das ist da im übersinnlichen Felde, das sehen Sie als fertiges Bild. Sie sind sich klar: Das ist keine Wirklichkeit, aber es ist ein Bild.

In etwas anderer Weise werden schon für das subjektive Bewußtsein die Erfahrungen aus der geistigen Welt für den Denker erlebt, nicht ganz so wie bei dem Nichtdenker. Da stehen sie nicht sozusagen auf einmal gegeben da, wie aus der Pistole heraus geschossen; da haben Sie sie anders vor sich. Nehmen Sie, ich will sagen, einen nichtdenkenden visionären Hellseher und einen denkenden. Der nichtdenkende visionäre Hellseher und der denkende visionäre Hellseher würden beide dieselben Erfahrungen empfangen. Wollen wir einen bestimmten Fall setzen: Der nichtdenkende visionäre Hellseher sieht diese oder jene Erscheinung der geistigen Welt, der denkende visionäre Hellseher sieht sie noch nicht, sondern etwas später, und in dem Momente, wo er sie sieht, da war sie bereits erfaßt von seinem Denken. Da kann er sie schon unterscheiden, er kann schon wissen, ob sie Wahrheit oder Unwahrheit ist. Er sieht sie etwas später. Es tritt ihm aber, indem er sie etwas später sieht, die Erscheinung aus der geistigen Welt so entgegen, daß er sie gedankendurchdrungen hat und unterscheiden kann, ob sie Täuschung oder Wirklichkeit ist, so daß er sozusagen früher etwas hat, bevor er es sieht. Er hat es natürlich im selben Momente wie der nichtdenkende visionäre Hellseher, aber er sieht es etwas später. Dann aber, wenn er es sieht, dann ist die Erscheinung schon mit dem Urteil, mit dem Gedanken durchsetzt, und er kann genau wissen, ob sie ein Scheinbild ist, ob da seine eigenen Wünsche objektiviert sind, oder ob sie objektive Realität ist. Das ist der Unterschied im subjektiven Erlebnis. Der nichtdenkende visionäre Hellseher sieht die Erscheinung sogleich, der denkende etwas später. Dafür aber wird sie auch beim ersteren so bleiben, wie er sie sieht, er kann sie so beschreiben. Der Denker aber wird sie ganz einreihen können in das, was dann in der gewöhnlichen physischen Welt ist. Er wird sie in Beziehung bringen können zu dieser. Die physische Welt ist eben auch, wie jene Erscheinung, eine Offenbarung aus der geistigen Welt.“ (Lit.:GA 117, S. 81f)

Imagination, Halluzination, Illusion, Vision und Phantasie

Imaginationen müssen deutlich unterschieden werden von Halluzinationen, Visionen und Phantasiegebilden oder bloß willkürlichen Vorstellungen.

Unter einer Halluzination (aus lat. (h)alūcinātio „gedankenlose Rederei, Träumerei“; von griech. ἀλύειν halýein „außer sich sein“ und γένεσις genesis „Geburt, Entstehung, Erzeugung“) versteht man eine Wahrnehmung eines Sinnesgebietes, ohne dass eine Reizgrundlage vorliegt. Das bedeutet zum Beispiel, dass nichtvorhandene Objekte gesehen, oder Stimmen gehört werden, ohne dass jemand spricht. Halluzinationen können alle Sinnesgebiete betreffen. Bei einer Illusion hingegen wird ein real vorhandener Sachverhalt verändert wahrgenommen: Ein tatsächlich vorhandener feststehender Gegenstand scheint sich zu bewegen oder in irregulären Mustern werden scheinbar Gesichter erkennbar.

„Ich möchte gerade einen radikalen Unterschied angeben zwischen dem Visionären, dem Halluzinatorischen und dem, was der Geistesforscher erschaut. Warum ist es denn so, daß so viele Menschen glauben, schon in der geistigen Welt drinnen zu stehen, wenn sie nur Halluzinationen und Visionen haben? Ja, die Menschen lernen so ungern etwas wirklich Neues kennen! Sie halten so gerne an dem Alten, in dem sie schon drinnen stehen, fest. Im Grunde genommen treten uns in Halluzinationen und Visionen die krankhaften Seelengebilde so entgegen, wie uns die äußere sinnliche Wirklichkeit entgegentritt. Sie sind da; sie stellen sich vor uns hin. Wir tun gewissermaßen nichts dazu, wenn sie sich vor uns hinstellen. In dieser Lage ist der Geistesforscher gegenüber seinem neuen geistigen Element nicht. Ich habe davon gesprochen, daß der Geistesforscher alle Kräfte seiner Seele, die im gewöhnlichen Leben schlummern, konzentrieren, heraufarbeiten muß. Das erfordert aber, daß er eine seelische Energie, eine seelische Stärke anwendet, die im äußeren Leben nicht da ist. Aber diese Stärke muß er immer festhalten, wenn er eintritt in die geistige Welt. Der Mensch bleibt passiv, er braucht sich nicht anzustrengen: das ist das Charakteristische der Halluzinationen, der Visionen. In dem Augenblick, wo wir der geistigen Welt gegenüber auch nur einen Moment passiv werden, verschwindet sogleich alles. Wir müssen unausgesetzt tätig, aktiv dabeisein. Daher können wir uns auch nicht täuschen, denn nichts kann aus der geistigen Welt vor unsere Augen treten so, wie eine Vision oder Halluzination vor unsere Augen tritt. Wir müssen überall mit unserer Tätigkeit dabeisein, bei jedem Atom desjenigen, was uns aus der geistigen Welt entgegentritt. Wir müssen wissen, wie es sich damit verhält. Diese Aktivität, dieses fortlaufende Tätigsein, das ist notwendig für die wirkliche Geistesforschung. Dann aber tritt man ein in eine Welt, die sich radikal unterscheidet von der physisch-sinnlichen Welt. Man tritt ein in eine Welt, wo geistige Wesen, geistige Tatsachen um uns sind.“ (Lit.:GA 155, S. 224f)

„Wenn diese innere Erfahrung, dieses innere Erlebnis gekommen ist, wenn man wirklich fühlt, du brauchst jetzt nicht bloß bei der Sinneswelt stehen zu bleiben, du erfährst etwas durch dein bildhaftes Denken, durch dein lebendiges Denken, wenn du den Sinnesteppich durchstößt, wenn du in dein Inneres hineinzuschauen versuchst, erfährst du etwas, was gewöhnliche Naturwissenschaft nicht erfährt, was gewöhnliche Mystik nur in illusionärer Weise sich vor die Seele rücken kann, wenn man dieses ehrlich als ein Ergebnis einer inneren Entwickelung erlebt, dann kann man sicher sein, daß man auf einem Wege ist, der nun wirklich nach höheren Welten hinführen kann.

Zunächst hat man ja noch nichts Äußerliches vor sich. Man hat nur die alten Kräfte verstärkt, intensiver gemacht. Aber man merkt sehr bald, daß in dem Bewußtsein des Menschen jetzt etwas Wesentliches, etwas Wichtiges vor sich geht. Man bekommt nämlich nach und nach etwas wie eine Innenschau, die sich über das ganze bisherige Leben seit der Geburt erstreckt. Ja, dies ist die erste übersinnliche Wirklichkeit, die man erlebt: sein eigenes inneres Leben seit der Geburt in einem überschaubaren Tableau. Und es drückt sich dieses überschaubare Tableau dadurch aus, daß man mit seinem Denken in einem anderen Verhältnis zu dem ist, was man jetzt äußerlich wahrnimmt, als man früher mit seinem Denken zu dem äußerlich Gegebenen und innerlich Erlebten war.

Im gewöhnlichen Leben entwickelt man das Denken. Man denkt über etwas nach. Die Gedanken sind in der Seele, sie sind subjektiv. Das andere ist objektiv, das andere ist draußen. Man fühlt seine Gedankentätigkeit getrennt von demjenigen, was draußen ist. Jetzt hat man das Tableau seines eigenen Seelenlebens seit der Geburt vor sich. Aber ich möchte sagen, die Gedanken gehen hinein in dieses Gewebe. Man fühlt sich in diesem Gewebe drinnen. Man sagt sich: Jetzt beginnst du dich selber erst wirklich zu erfassen. Du mußt deine Gedanken abgeben an dasjenige, was dir objektiv vor das Bewußtsein tritt. - Das begründet sogar eine gewisse, ich möchte sagen, schmerzliche Erfahrung zunächst bei dem anthroposophischen Geistesforscher. Solche schmerzlichen Erfahrungen muß der anthroposophische Geistesforscher mit seinen Erlebnissen in verschiedener Richtung durchmachen. Er darf sich nicht scheuen, in einer gewissen Weise innerlich Schwieriges, oftmals Schmerzliches durchzumachen. Ich werde auch darüber heute noch nach anderer Richtung hin zu sprechen haben. Jetzt aber erlebt man gegenüber diesem Lebenstableau zunächst dieses, daß man in einer Art innerer Bedrückung die eigene Wesenheit verspürt. Man verspürt sie nicht in der Leichtigkeit, mit der man sonst Gedanken, Vorstellungen hegt, mit der sonst Gefühle, Willensimpulse, Wünsche und dergleichen in uns sind, man verspürt sie wie etwas, das einen beklemmt. Kurz, man verspürt in dieser Bedrückung gerade die Realität. Hat man diese Bedrückung nicht, dann hat man doch nur ein Gedankengebilde, dann hat man doch nicht die Realität. Aber indem man in diese Bedrückung hineinträgt alles das, was man früher an frei sich entfaltenden Gedankengeweben hatte, ist man dadurch geschützt davor, mit seiner imaginativen Erkenntnis etwas zu entwickeln wie Illusionen, Visionen, Halluzinationen.

Das ist etwas, was der anthroposophischen Geisteswissenschaft so häufig in den Weg geworfen wird. Man sagt: Mit ihren Übungen entwickelt sich ja doch nichts anderes als Vision, Halluzination. Sie bringt an die Oberfläche des Bewußtseins gewissermaßen unterdrückte Nervenkräfte, und niemand könne die Wirklichkeit desjenigen beweisen, wovon anthroposophische Geisteswissenschaft als von höheren Welten redet. Wer auch nur das beachtet, was ich heute schon gesagt habe, der wird fühlen, daß der Weg, den anthroposophische Geisteswissenschaft geht, der entgegengesetzte ist von all jenen Wegen, die zu Visionen, zu Halluzinationen oder etwa gar zu Mediumismus führen. Alles das, was zum Mediumismus, zu Halluzinationen, zu Visionen führt, das geht zuletzt doch nur hervor aus krank gewordenen Leibesorganen, die gewissermaßen ihr Geistig-Seelisches in pathologischer Weise ausatmen herauf in das Bewußtsein. Das alles liegt unterhalb der Sinnesempfindung. Dagegen dasjenige, was als imaginative Erkenntnis ausgebildet wird, liegt oberhalb der gewöhnlichen Sinneswahrnehmung, wird gerade an der Objektivität ausgebildet, nicht an dem krankhaften Inneren.“ (Lit.:GA 79, S. 19ff)

Die Vision (von lat.: videresehen“; frz.: visionTraum“) ist eine imaginativ wahrgenommene geistige Erscheinung in der astralen Welt, die unbewusst in das sinnliche Tagesbewusstsein hinübergetragen wird. Visionen beschränken sich nicht nur auf entfernt dem sinnlichen Sehen vergleichbare Eindrücke, sondern es können dabei auch andere Sinnesqualitäten, z.B. Riechen, Schmecken usw., eine Rolle spielen, insoferne ja die Sinnesqualitäten ihren Ursprung in der Astralwelt haben. Ein ausschliesslich gehörtes Ereignis wird auch als Audition bezeichnet (lat. audire „hören“).

„Visionen entstehen dadurch, daß der Mensch unbewußt Erlebnisse des Schlafes herüberträgt in das Tagleben und daß ihm das Tagleben diese Schlaferlebnisse zu Vorstellungen gestaltet, die dann innerlich viel gesättigter, viel inhaltsvoller sind als die gewöhnlichen Vorstellungen, die schattenhaft sind; indem der Mensch solche Vorstellungen herüberträgt, macht er sie zu solchen lebhaften, farbtönenden Vorstellungen.“ (Lit.:GA 227, S. 163)

Die Vision ist ein zurückgebliebener Rest des alten Hellsehens. Sie tritt auf, wenn das Bewusstsein, das heute normalerweise im Ich zentriert ist, bis in den Astralleib hinuntertaucht, wobei es allerdings durch die Erfahrungen des Gegenstandsbewusstseins verfälscht wird.

„Wer da hinuntertaucht, nachdem er ein gegenwärtiger Mensch gewesen ist, dem färbt sich hier alles, was unten ist, mit den Erfahrungen von oben. Man bringt wie eine Hülle das oben Erlebte in dieses Unterbewußtsein hinein und bekommt dadurch keine reine Vorstellung, kein ungetrübtes Bild, sondern ein Bild, das durch die Erfahrungen des Gegenstandsbewußtseins getrübt ist.“ (Lit.:GA 57, S. 408f)

Imagination erscheinen auch nicht als abstrakte Begriffe. Sie sind reicher, lebendiger, bildhafter. In gewisser Weise lassen sie sich mit Erinnerungsvorstellungen vergleichen. So wie sich diese auf vergangene sinnliche Ereignisse beziehen, drücken sich in der Imagination geistige Geschehnisse aus.

„Diese imaginative Erkenntnis lebt nicht in den abstrakten Begriffen, an die wir im gewöhnlichen logischen Denken gewöhnt sind, aber man hat sich auch nicht zu denken, daß diese Erkenntnis irgend etwas vielleicht bloß Phantasiemäßiges ist. Man hat, wenn man zunächst, was da vorliegt, mehr äußerlich charakterisieren will, sich zu besinnen auf jene Form des Erlebnisses, das der Mensch hat, wenn er aus den Untergründen seiner Organisation Erinnerungsvorstellungen herausholt, oder auch, wenn diese Erinnerungsvorstellungen, angeregt durch dieses oder jenes, aus diesen Untergründen wie von selbst auftauchen. Man fasse also dasjenige genau ins Seelenauge, was eine Erinnerungsvorstellung ist, und man wird damit die Art und Weise gegeben haben, wie auch Imaginationen in der Seele leben. Sie leben mit derselben Intensität, ja mit einer oft weit gesteigerten Intensität gegenüber den Erinnerungsvorstellungen. Aber gerade so, wie die Erinnerungsvorstellungen durch ihr eigenes Auftreten, durch ihren eigenen Inhalt zeigen, wie das Erlebnis war, das der Mensch vielleicht vor Jahren hatte und von dem sie ein Bild sind, so zeigen diese Imaginationen, indem sie in die Seele hereingerufen werden, daß sie zunächst nicht an ein persönliches Erlebnis anknüpfen, wenn sie als wirkliche Erkenntnisimaginationen auftreten, sondern daß sie sich beziehen, obwohl sie genau mit dem Charakter der Erinnerungsvorstellungen auftreten, auf eine nun nicht sinnliche, aber doch durchaus objektive Welt, die innerhalb der Sinneswelt lebt und webt, aber durch die Wahrnehmungsorgane der Sinne sich nicht offenbart.

So könnte man zunächst in einem positiven Sinne das mehr Äußerliche der Erkenntnisimaginationen charakterisieren. In einem negativen Sinne ist zu sagen, was diese Erkenntnisimaginationen nicht sind. Sie sind nicht irgendwie etwas, das einer Vision, einer Halluzination oder dergleichen ähnlich ist. Sie führen im Gegenteil die Seelenverfassung des Menschen nach der entgegengesetzten Richtung, als diejenige ist, in der sie sich bewegt, wenn sie in Visionen, in Halluzinationen und dergleichen verfällt. Erkenntnisimaginationen sind in demselben Sinne gesunde Seelenerlebnisse, in dem Visionen, Halluzinationen und so weiter kranke Seelenerlebnisse sind.“ (Lit.:GA 78, S. 89f)

„Bringt man es durch Konzentration des Gedanken-, Gefühls- und Empfindungslebens dahin, das Seelenleben so zu verstärken, daß man in dieses schauende Bewußtsein eintreten kann, dann ist man zunächst befähigt, von allem abzusehen, was sonst der Alltagsbetrachtung des Menschen im sinnlichen Wahrnehmen gegenübersteht. Über dieses sinnliche Wahrnehmen ist man hinausgerückt. Man lebt in einem andern inneren Seelenwesen, lebt zunächst in dem, was man nennen kann imaginatives Bewußtsein. Ich nenne es imaginatives Bewußtsein, nicht weil etwas Unwirkliches dargestellt werden soll, sondern weil die Seele in diesem Bewußtsein erfüllt ist von Bildern, und zwar zunächst von nichts als Bildern, aber von Bildern einer Realität. Und außerdem, daß die Seele von solchen Bildern erfüllt ist, von denen sie ganz genau sieht, sie sind nicht selbst eine Realität, sondern Bilder einer Realität, weiß die Seele noch, daß sie drinnensteht im realen Weltenzusammenhang, daß sie diese Bilder nicht webt aus irgendeinem Nichts aus beliebigen Einfällen heraus, sondern aus einer inneren Notwendigkeit. Diese kommt davon, daß die Seele sich hineinversetzt hat in den realen Weltenzusammenhang und aus diesem heraus in ihrem Bilderschaffen nicht so schafft, wie etwa die bloße Phantasie, sondern daß das, was an Bildern gewoben wird, den Charakter der Realität behält.

Es ist von ganz besonderer Wichtigkeit, daß man diese erste Stufe des geistigen Erlebens genau ins Auge faßt, denn nach zwei Richtungen hin kann sich ein Irrtum einstellen. Das eine ist, daß man verwechseln kann, was hier als imaginative Welt gemeint ist, mit jenen Bildern, die aus dem krankhaften, abnormen Bewußtsein heraufsteigen, mit allerlei Visionärem oder dergleichen. Aber aus dem schon früher hier Entwickelten werden Sie gesehen haben, wie schon in den Arbeiten des Geistesforschers zu dem Wege hin, um in die geistige Welt hineinzukommen, alle die Vorsichtsmaßregeln getroffen werden, die das unbestimmte Schwimmen und Schweben in allerlei Visionärem streng abweisen. Die Vision tritt so in die Seele ein, daß man an ihrem Zustandekommen sich nicht beteiligt fühlt. Sie tritt auf als ein Bild, aber man kann sich an dem Zustandekommen des Bildes nicht beteiligen; man steht nicht drinnen in dem Zustandekommen des Bildes. Daher kennt man den Ursprung nicht. Das visionäre Bild kommt immer bloß aus dem Organismus, und was aus dem Organismus heraus dampft, das ist nicht Seelisch-Geistiges, das ist eine Verhüllung vielleicht eines Geistig-Seelischen. Worum es sich handelt, das ist, genau zu unterscheiden das ganze unbewußte Leben in allerlei Visionen von dem, was der Geistesforscher als imaginatives Bewußtseinsleben meint. Das besteht darin, daß man bei allem, was da an Bildern gewoben wird, so dabei ist, wie nur irgendwie bei dem vollbewußten, von Gedanken zu Gedanken gehenden Denken.

Es gibt keine Möglichkeit, anders in die geistige Welt einzudringen, als wenn die Tätigkeit, durch die man hineintritt, so vollbewußt ist wie das bewußteste Gedankenleben. Dabei ist nur der Unterschied, daß die Gedanken als solche schattenhaft, abgeblaßt sind und daß sie erworben werden an äußeren Dingen oder irgendwie aus der Erinnerung aufsteigen, während dasjenige, was hier als Imagination gemeint ist, von der Seele selbst gewoben wird in dem Moment, wo es auftritt.

Festzuhalten ist nur, daß auf der andern Seite diese Imagination nicht verwechselt werden darf mit dem, was man mit Recht als Phantasie bezeichnet. Was die menschliche Phantasie webt, wird auch aus dem Unterbewußten herauf gewoben; das bindet sich allerdings - besonders wenn die Phantasie so wirkt wie die Goethes - vielfach an innere Gesetze des wirklichen Lebens. Aber der Mensch steht in dem, was er in der Phantasie webt, nicht so drinnen, daß er sich bewußt ist in seinem Weben. Im Aufbauen des Phantasiegebildes ist er überlassen einer inneren realen Notwendigkeit. In dem imaginativen Erleben aber webt er nicht so wie in der Phantasie, sondern so, daß er sich einer objektiven Weltennotwendigkeit überläßt. Ganz notwendig ist es, daß man weiß, daß das, auf Grund dessen zunächst der Geistesforscher arbeiten muß, als eine objektive Tatsächlichkeit in seinem Bewußtsein auftritt, weder visionär ist noch Phantasie ist, sondern daß es durchaus von diesen beiden - ich möchte sagen polarischen - Gegensätzen als etwas in der Mitte stehendes unterschieden werden muß. Man ist tatsächlich mit dem Stehen in dem imaginativen Leben in ähnlicher Lage, wie man mit seinem sinnlichen Menschen vor einem Spiegel steht. Man weiß: der da steht, der steht in einer Wirklichkeit drinnen, er ist eine Wirklichkeit, die sich fühlt als eine solche von Fleisch und Blut, aber von dieser Wirklichkeit geht nichts in den Spiegel hinüber. Im Spiegel ist nur ein Bild; aber dieses Bild ist ein Abbild, und man kennt es in seiner Beziehung zur Realität.“ (Lit.:GA 67, S. 328ff)

Zu beachten ist, dass das imaginativ „Geschaute“ durchaus unsichtbar, das „Gehörte“ völlig unhörbar ist, da es sich eben nicht um eine sinnliche, sondern um eine durch die eigene geistige Tätigkeit aktiv und bewusst hervorgebrachte, aber inhaltlich vollkommen durch sich selbst bestimmte, rein übersinnliche Wahrnehmung handelt. Da aber beim irdisch verkörperten Menschen die Leibestätigkeit und insbesondere die Sinnessphäre auch heute noch immer leise mitschwingt, ist es dennoch ganz natürlich und sachgemäß, das imaginativ Erlebte in sinnlichen Ausdrücken zu beschreiben. Man darf aber die in sinnliche Begriffe gefasste Beschreibung oder die Veranschaulichung durch entsprechende Zeichnungen nicht mit dem tatsächlich imaginativ „Geschauten“ verwechseln:

„Man wird nun finden, daß diejenigen Menschen, welche übersinnliche Beobachtungen machen können, dasjenige, was sie schauen, so beschreiben, daß sie sich der Ausdrücke bedienen, welche den sinnlichen Empfindungen entlehnt sind. So kann man den elementarischen Leib eines Wesens der Sinnenwelt, oder ein rein elementarisches Wesen so beschrieben finden, daß gesagt wird, es offenbare sich als in sich geschlossener, mannigfaltig gefärbter Lichtleib. Es blitze in Farben auf, glimmere oder leuchte und lasse bemerken, daß diese Farben- oder Lichterscheinung seine Lebensäußerung sei. Wovon der Beobachter da eigentlich spricht, ist durchaus unsichtbar, und er ist sich dessen bewußt, daß mit dem, was er wahrnimmt, das Licht- oder Farbenbild nichts anderes zu tun hat, als etwa die Schrift, in welcher eine Tatsache mitgeteilt wird, mit dieser Tatsache selbst. Dennoch hat man nicht etwa bloß ein Übersinnliches in willkürlicher Art durch sinnliche Empfindungsvorstellungen ausgedrückt; sondern man hat während der Beobachtung das Erlebnis wirklich gemacht, das einem Sinneseindruck ähnlich ist. Es kommt dies davon her, daß im übersinnlichen Erleben die Befreiung von dem sinnlichen Leibe keine vollkommene ist. Dieser lebt mit dem elementarischen Leibe doch noch mit und bringt das übersinnliche Erlebnis in eine sinnliche Form. Die Beschreibung, die man so gibt von einer elementarischen Wesenheit, ist dann tatsächlich so gehalten, daß sie sich wie eine visionäre, oder phantastische Zusammenstellung von Sinneseindrücken zeigt. Wenn die Beschreibung so gegeben wird, dann ist sie trotzdem die wahre Wiedergabe des Erlebten. Denn man hat geschaut, was man schildert. Der Fehler, der gemacht werden kann, liegt nicht darin, daß man das Bild als solches schildert. Es liegt ein Fehler erst dann vor, wenn man das Bild für die Wirklichkeit hält, und nicht dasjenige, auf was das Bild, als auf die ihm entsprechende Wirklichkeit, hindeutet.

Ein Mensch, welcher niemals Farben wahrgenommen hat - ein Blindgeborener - wird, wenn er sich die entsprechende Fähigkeit erwirbt, elementarische Wesenheiten nicht so beschreiben, daß er sagt, sie blitzen als Farbenerscheinungen auf. Er wird sich derjenigen Empfindungsvorstellungen zum Ausdrucke bedienen, welche ihm gewohnt sind. Für die Menschen aber, welche sinnlich sehen können, ist eine Schilderung durchaus geeignet, welche sich etwa des Ausdruckes bedient, es blitzte eine Farbengestalt auf. Sie können dadurch sich die Empfindung von dem bilden, was der Beobachter der elementarischen Welt geschaut hat. Und das gilt nicht etwa nur für Mitteilungen, welche ein Hellsichtiger - es sei ein Mensch so genannt, der durch seinen elementarischen Leib beobachten kann - einem Nicht-Hellsichtigen macht, sondern auch für die Verständigung der Hellsichtigen untereinander. In der Sinnenwelt lebt der Mensch eben in seinem sinnlichen Leib, und dieser kleidet ihm die übersinnlichen Beobachtungen in Sinnesformen ein; daher ist innerhalb des menschlichen Erdenlebens der Ausdruck der übersinnlichen Beobachtungen durch die von ihnen erzeugten Sinnesbilder denn doch zunächst eine brauchbare Art der Mitteilung.

Es kommt darauf an, daß derjenige, welcher eine solche Mitteilung empfängt, in seiner Seele ein Erlebnis hat, welches zu der in Betracht kommenden Tatsache in dem richtigen Verhältnisse steht. Die sinnlichen Bilder werden nur mitgeteilt, damit durch sie etwas erlebt wird. So wie sie sich darbieten, können sie nicht in der Sinnenwelt vorkommen. Das ist eben ihre Eigentümlichkeit. Und deswegen rufen sie auch Erlebnisse hervor, die sich auf nichts Sinnliches beziehen.“ (Lit.:GA 16, S. 32ff)

Übersinnliche Erlebnisse können zunächst spontan auftreten. Eine höhere Fähigkeit besteht darin, diese ganz bewusst aus dem gewöhlichen Seelenleben heraus herbeizuführen.

„Die übersinnlichen Erlebnisse können so auftreten, daß sie sich zu gewissen Zeiten einstellen. Sie überkommen dann den Menschen. Und dieser hat dann Gelegenheit, durch eigenes Erleben über die übersinnliche Welt etwas zu erfahren, in dem Maße, als er gewissermaßen von dieser mehr oder weniger oft dadurch begnadet wird, daß sie in sein gewöhnliches Seelenleben hineinleuchtet. Eine höhere Fähigkeit besteht aber darinnen, willkürlich hellseherische Beobachtung aus dem gewöhnlichen Seelenleben heraus herbeizuführen. Der Weg zur Erlangung dieser Fähigkeit ergibt sich im allgemeinen durch eine energische Fortsetzung der inneren Verstärkung des Seelenlebens. Doch hängt auch viel von der Erlangung einer gewissen Seelenstimmung ab. Ein ruhiges, gelassenes Verhalten gegenüber der übersinnlichen Welt ist notwendig. Ein Verhalten, welches ebenso weit entfernt ist von dem brennenden Wunsch, möglichst viel und möglichst Deutliches zu erfahren, wie andrerseits auch von der persönlichen Uninteressiertheit gegenüber dieser Welt. Der brennende Wunsch wirkt so, daß er vor das leibfreie Schauen etwas wie einen unsichtbaren Nebel breitet. Die Uninteressiertheit verhält sich so, daß die übersinnlichen Dinge wirklich sich offenbaren, aber einfach nicht bemerkt werden. Diese Uninteressiertheit kommt zuweilen in einer ganz besonderen Form zum Ausdrucke. Es gibt Menschen, welche in der ehrlichsten Art Erlebnisse des Hellsehens haben möchten. Aber sie machen sich von vornherein eine ganz bestimmte Vorstellung, wie diese sein müssen, wenn sie sie als echte anerkennen sollen. Und dann kommen wirkliche Erlebnisse; diese huschen jedoch vorbei, ohne daß ihnen Interesse entgegengebracht wird, weil sie eben nicht so sind, wie man sich vorgestellt hat, daß sie sein sollten.“ (Lit.:GA 16, S. 34f)

„In meiner «Theosophie» finden Sie, daß man das Seelische in Form einer Art Aura sieht. Sie wird in Farben beschrieben. Grobklotzige Menschen, die nicht weiter eingehen auf die Sachen, sondern selbst Bücher schreiben, die glauben, daß der Seher die Aura schildert, sie beschreibt, indem er die Meinung hat, daß da wirklich so ein Nebeldunst vor ihm ist. Was der Seher vor sich hat, ist ein geistiges Erlebnis. Wenn er sagt, die Aura ist blau, so sagt er, er hat ein seelisch-geistiges Erlebnis, das so ist, als wenn er blau sehen würde. Er schildert überhaupt alles das, was er in der geistigen Welt erlebt und was analog ist dem, was in der sinnlichen Welt an den Farben erlebt werden kann.“ (Lit.:GA 271, S. 185)

Übersetzung von Imaginationen in sinnliche Bilder

Aus dem oben Gesagten geht hervor, dass die übersinnlich erlebten Imaginationen nicht mit visionären sinnlich geschauten Bildern verwechselt werden dürfen. Am Beispiel des ersten apokalyptischen Siegels zeigt Rudolf Steiner, dass es aber dennoch sinnvoll ist, Imaginationen in sinnliche Bilder zu übersetzten.

„Das erste Siegel stellt des Menschen ganze Erdenentwickelung im allgemeinsten dar. In der «Offenbarung St.Johannis» wird mit den Worten darauf hingedeutet: «Und als ich mich wandte, sah ich sieben güldne Leuchter, und mitten unter den sieben Leuchtern einen, der war eines Menschen Sohn gleich, der war angetan mit einem langen Gewände, und begürtet um die Brust mit einem güldenen Gürtel. Sein Haupt aber und sein Haar waren weiß wie weiße Wolle, als der Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme, und seine Füße gleich wie Messing, das im Ofen glühet, und seine Stimme wie groß Wasserrauschen, und hatte sieben Sterne in seiner rechten Hand; und aus seinem Munde ging ein scharf, zweischneidig Schwert; und sein Angesicht leuchtete wie die helle Sonne.» In allgemeinen Zügen wird mit solchen Worten auf umfassendste Geheimnisse der Menschheitsentwickelung gedeutet. Wollte man darstellen in ausführlicher Art, was jedes der tief bedeutsamen Worte enthält: man müßte einen dicken Band schreiben. Unser Siegel stellt solches bildlich dar. Nur ein paar Andeutungen seien gemacht: Unter den körperlichen Organen und Ausdrucksformen des Menschen sind solche, die in ihrer gegenwärtigen Gestalt die abwärtsgehenden Entwicklungsstufen früherer Formen darstellen, die also ihren Vollkommenheitsgrad bereits überschritten haben; andere aber stellen die Anfangsstufen der Entwickelung dar; sie sind jetzt gleichsam die Anlagen zu dem, was sie in der Zukunft werden sollen. Der Geheimwissenschafter muß diese Entwickelungsgeheimnisse kennen. Ein Organ, das in der Zukunft etwas viel Höheres, Vollkommeneres sein wird, als es gegenwärtig ist, stellt das Sprachorgan dar. Indem man dieses ausspricht, rührt man an ein großes Geheimnis des Daseins, das oftmals auch das «Mysterium des schaffenden Wortes» genannt wird. Es ist damit eine Hindeutung auf den Zukunftszustand dieses menschlichen Sprachorgans gegeben, das einmal, wenn der Mensch vergeistigt sein wird, geistiges Produktions-(Zeugungs-)organ wird. In den Mythen und Religionen wird diese geistige Produktion durch das sachgemäße Bild von dem aus dem Munde kommenden «Schwert» angedeutet. So bedeutet jede Linie, jeder Punkt gewissermaßen auf dem Bilde etwas, was mit des Menschen Entwickelungsgeheimnis zusammenhängt. Daß solche Bilder gemacht werden, geht nicht etwa bloß aus einem Bedürfnisse nach einer Versinnlichung der übersinnlichen Vorgänge hervor, sondern es entspricht der Tatsache, daß das Hineinleben in diese Bilder - wenn sie die rechten sind - wirklich eine Erregung von Kräften bedeutet, welche in der Menschenseele schlummern, und durch deren Erweckung die Vorstellungen der übersinnlichen Welt auftauchen. Es ist nämlich nicht das Richtige, wenn in der Theosophie die übersinnlichen Welten nur in schematischen Begriffen beschrieben werden; der wahre Weg ist der, daß die Vorstellung solcher Bilder erregt wird, wie sie in diesen Siegeln gegeben werden. (Hat der Okkultist solche Bilder nicht zur Hand, so soll er mündlich die Beschreibung der höheren Welten in sachgemäßen Bildern geben.)“ (Lit.:GA 34, S. 596f)

Imagination und menschlicher Organismus

Die selben Kräfte, die vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr im menschlichen Organismus tätig sind und die jugendlichen Ideale befeuern, wirken auch in der Imgaination:

„... diejenigen Kräfte, welche in früheren Zeiten den Menschen vom vierzehnten bis zum einundzwanzigsten Jahre die jugendlichen Ideale eingegeben haben - es wäre zuviel behauptet, daß sie das jetzt noch tun - und Organe geschaffen haben im physischen Leib für diese jugendlichen Ideale, das sind dieselben Kräfte, die dann aus ihrem schlafenden Zustand hervorgeholt werden und die Imagination bewirken können.“ (Lit.:GA 191, S. 33)

Schulungsweg

Durch geistige Schulung kann eine Vorform des imaginativen Bewusstseins schon heute errungen werden. Es muss dazu die Bewusstseinsseele zur Imaginationsseele verwandelt werden. Die Imagination ist die zweite Stufe der Rosenkreuzer-Schulung.

„Der Ätherleib ist in einer regelmäßigen Bewegung im ganzen übrigen menschlichen Leib, nur nicht im Kopfe. Im Kopfe ist der Ätherleib innerlich ruhig. Im Schlafe ist das anders. Die letzten Kopf-Ätherbewegungen nehmen wir beim Aufwachen noch wahr – die Träume. Wer lange in der Weise, wie ich es angegeben habe, meditiert, der kommt aber in die Lage, in den ruhigen Ätherleib des Kopfes allmählich Bilder hinein zu formen. Das nenne ich Imaginationen. Und diese Imaginationen, die unabhängig vom physischem Leibe im Ätherleib erlebt werden, sind der erste übersinnliche Eindruck, den wir haben können.“ (Lit.:GA 305, S. 82)

Um das imaginative Bewusstsein zu entwickeln, muss man zuerst lernen, die Welt zu betrachten gemäß der Verszeile aus Goethes Faust: Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis. Man beginnt die sinnlich-sittliche Wirkung der Sinnesqualitäten zu erleben. Durch die Imagination lernen wir Wahrnehmungen von Farbe, Ton, Geschmack, Geruch als äußeren Ausdruck geistiger Wesenheiten zu erfahren. Imaginativ schaut man den Ätherleib und Astralleib geistiger Wesen, gleichsam ihre übersinnliche Außenseite. Der geistige Wesenskern bleibt der Imagination verborgen.

Als besonders geeignet zur Erreichung der ersten Imaginationen kann die Samenkornmeditation aus GA 10 gelten.

Das rote Westfenster des ersten Goetheanums

Das rote Westfenster des ersten Goetheanums, das den Weg zur imaginativen Erkenntnis schildert.

In bildhafter Form hat Rudolf Steiner die Imagination in den Motiven des roten Westfensters des ersten Goetheanums geschildert.

Der Weg zur imaginativen Erkenntnis wurde im linken Seitenfenster gezeigt. Das wärmende Rot, in dem sich der Wärmeäther kundgibt, durchdringt das ganze Bild. Man sieht eine helle Gestalt, die einen hohen Felsen erklettert hat und ihren Blick und ihre Arme abwärts auf drei groteske vogel- oder schlangenähnliche tierartige Gestalten richtet, die sich bedrohlich empor strecken; die rechte zeigt sogar ein menschenähnliches Antlitz. Das ist die niedere seelische Natur des Menschen, die Dreiheit der noch ungeläuterten Seelenkräfte des Denkens, Fühlens und Wollens, in denen noch niedere, tierische astrale Kräfte wirken. Zugleich ist es auch ein Bild für die noch unvollkommenen seelischen Wesensglieder: die Empfindungsseele, die Verstandes- oder Gemütsseele und die Bewusstseinsseele. Wenn es dem geistig strebenden Menschen gelingt, sich von dieser niederen Natur zu lösen und sie von außen objektiv zu betrachten, kann die Imagination aufleuchten.

Im mittleren Fensterteil ist die bereits erwachte Imaginationsfähigkeit dargestellt. Das menschliche Antlitz, das hier gezeigt wird, trägt auf der Stirne das Zeichen der zweiblättrigen Lotosblume, die bereits aktiviert ist. Die Augenpartie ist besonders betont, die Kraft des geistigen Sehens, der Imagination ist erwacht, weil sich die Erlebnisse des Stirnlotos im Lichtätherteil des menschlichen Ätherleibes abdrücken.

Daneben sieht man links und rechts oben zwei geflügelte Engelwesen, die der ersten Hierarchie angehören. Bei der linken Engelsgestalt ist das Zeichen des Mondes, bei der rechten das Symbol der Sonne zu sehen und über dem Menschenkopf der Saturn. Damit wird auf die dem Erdendasein vorangegangenen planetarischen Entwicklungsstufen hingewiesen, auf den alten Saturn, wo der Mensch die Anlage des physischen Leibes und bekommen hat, auf die alte Sonne, die dem Menschen den Ätherleib gab und schließlich der alte Mond, der Planet der Weisheit, auf dem der Mensch seinen Astralleib erhielt.

Darunter sieht man links und rechts zwei Gestalten mit Tierköpfen, die dem Menschen offenbar etwas ins Ohr raunen. Hier wird bereits auf ein Klangerlebnis gedeutet. Der Klangäther ertönt. Diese beiden Wesenheiten gehören der zweiten Hierarchie an. Die linke Gestalt trägt einen Löwenkopf, durch den die Ätherkräfte symbolisiert werden; die rechte Figur hat einen Stierkopf, ein Zeichen für die physische Welt.

Im Kehlkopfbereich ist das Halschakra sichtbar, das bereits auf die inspirierte Erkenntnis hinweist. Die seelischen Erlebnisse drücken sich nun auch im Wort- oder Lebensäther ab. Darunter ist Michael, der wichtigste Repräsentant der dritten Hierarchie, zu sehen, der den Drachen, die niedere Natur des Menschen, bekämpft und niederzwingt.

Im rechten Seitenfenster ist der Mensch gezeigt, nachdem er die Imaginationsfähigkeit errungen hat. Wieder sieht man die helle menschliche Gestalt auf der Spitze des hochragenden Felsens, hier sind ihre Arme und ihr Blick nun der geistigen Sonne zugewendet, die mit ihrem strahlenden Leuchten den obersten Bildteil erfüllt. Zwischen dem Menschen und den Tieren im Abgrund schweben drei Engelpaare, die einander die Hände reichen. Sie stellen zugleich die geläuterten höheren Seelenkräfte des Menschen dar. In ihrem Schoß tragen sie auch die höheren geistigen Wesensglieder des Menschen: das Geistselbst, den Lebensgeist und den Geistesmenschen. Zusammen mit dem Menschen an der Spitze geben die drei Engelpaare ein Bild der heiligen Siebenzahl. Die Tiergestalten aus der Tiefe sind zurückgesunken, die eine mit dem menschlichen Antlitz ist sogar ganz verschwunden. Die Bewusstseinsseele hat sich durch die geistige Schulung zur Imaginationsseele verwandelt.

Imaginatives Denken

Wenn wir in der physischen Welt denken, bedienen wir uns des Ätherleibs, dessen Tätikeit vom physischen Leib, namentlich vom Gehirn bzw. Nervensystem, in unser Bewusstsein zurückgespiegelt wird. Gehen wir zum imaginativen Denken über, so wird die Denktätigkeit in den Astralleib zurückverlegt und im Ätherleib gespiegelt.

„Es ist notwendig, daß man sich diese Dinge klarmacht, denn man lernt da erst erkennen, unter welchen ungeheuren Irrtümern das Denken der Gegenwart leidet, mit welcher Summe von Irrtümern sich dieses Denken der Gegenwart selber narrt, und wie eine Gesundung stattfinden muß durch jenes schwierigere Wissen, welches nicht etwa keine Rücksicht nimmt auf den physischen Leib: wenn wir mit dem physischen Leibe gehen, müssen wir den Boden unter unseren Füßen haben; wenn wir in der physischen Welt denken, so müssen wir eine Widerlage als Boden für das Denken haben: das Nervensystem. Wenn wir aber unsere Denkarbeit zurückverlegen in unseren astralischen Leib, dann wird für uns der Ätherleib dasselbe, was dann, wenn wir im Ätherleibe denken, der physische Leib ist.

Schreiten wir zum imaginativen Denken fort, dann denken wir im astralischen Leibe, und der ätherische Leib behält dann die Spuren, wie sonst, wenn im Ätherleibe gedacht wird, der physische Leib die Spuren behält. Und wenn wir nach dem Tode außerhalb des physischen Leibes sind und auch den Ätherleib abgelegt haben, wie das oftmals beschrieben worden ist, dann ist unsere Widerlage der äußere Lebensäther, dann schreiben wir dasjenige, was der Astralleib und später das Ich entwickelt, in den ganzen Weltenäther ein.

So also ist der Vorgang, den wir durchmachen bei dem, was man die erste Stufe der Initiation nennt. Dieser Vorgang ist der, daß wir unser Denken zurückverlegen - es bleibt nicht Denken, es ist nur die Tätigkeit des Denkens -, daß wir unser Denken zurückverlegen vom Ätherleib in den Astralleib, und die Aufbewahrung der Spuren, die früher dem physischen Leibe obgelegen hat, dem flüchtigeren Ätherleibe auferlegen. Das ist das Wesentliche des ersten Schrittes der Initiation: die Zurückverlegung dieser Tätigkeit, die vorher der Ätherleib ausgeführt hat, auf den astralischen Leib.

So sehen wir, daß wir, während wir in imaginativen Erkenntnissen leben, uns gewissermaßen zurückziehen von dem physischen Leibe auf den Ätherleib, und dann keine weiteren Spuren in den physischen Leib eingraben. Dadurch geschieht es, daß für den, der diese ersten Schritte der Initiation durchmacht, dieser physische Leib, von dem er sich zurückzieht, objektiv wird, daß er ihn jetzt außerhalb seines astralischen Leibes und Ichs hat. Früher hat er darinnen gesteckt; jetzt ist er außerhalb. Er denkt, fühlt und will im astralischen Leibe. Den Ätherleib beeinflußt er, macht Spuren darin; aber den physischen Leib beeinflußt er nicht mehr, den sieht er jetzt wie etwas Äußeres. Das ist gewissermaßen der normale Gang in bezug auf die ersten Schritte in der Initiation. Er spricht sich im subjektiven Erleben in einer ganz bestimmten Weise aus.

Nun will ich Ihnen zuerst durch eine Art schematischer Zeichnung

Zeichnung aus GA 161, S. 243
Zeichnung aus GA 161, S. 243

klarmachen, worin diese ersten Schritte der Initiation bestehen. Nehmen wir an, das sei das menschliche physische Haupt, so sei der Ätherleib um dieses menschliche physische Haupt herum. Wenn nun der Mensch anfängt, dasjenige zu entwickeln, wovon ich gesprochen habe, wenn er anfängt, imaginative Erkenntnisse zu entwickeln, dann vergrößert sich der Ätherleib in dieser Weise, und das Eigenartige ist dabei, daß natürlich dem parallel gehen die Erscheinungen, die wir beschrieben haben als die Ausbildung der Lotusblumen. Der Mensch wächst gleichsam ätherisch aus sich heraus, und das Eigentümliche ist, daß der Mensch, indem er ätherisch also aus sich herauswächst, außerhalb seines Leibes etwas ähnliches entwickelt, möchte ich sagen, wie eine Art Ätherherz.

Als physische Menschen haben wir unser physisches Herz, und wir wissen alle zu schätzen den Unterschied zwischen einem trockenen, abstrakten Menschen, der wie eine richtige Maschine seine Gedanken entwickelt, und einem Menschen, der mit seinem Herzen bei alledem ist, was er erlebt; ich meine, mit seinem physischen Herzen dabei ist. Diesen Unterschied wissen wir alle zu schätzen. Dem trockenen Schleicher, der mit seinem Herzen nicht ist bei dem, was er in der Seele erlebt, muten wir nicht viel zu in bezug auf wirkliche Welterkenntnis auf dem physischen Plan. Eine Art geistiges Herz, das außerhalb unseres physischen Leibes ist, bildet sich aus, parallel all den Erscheinungen, die ich beschrieben habe in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? », so wie sich das Blutnetz bildet und im Herzen sein Zentrum hat. Dieses Netz geht außerhalb des Leibes, und wir fühlen uns außerhalb des Leibes dann herzlich verbunden mit demjenigen, was wir geisteswissenschaftlich erkennen. Nur muß man nicht verlangen, daß der Mensch sozusagen mit dem Herzen, das er im Leibe hat, bei dem geisteswissenschaftlichen Erkennen dabei ist, sondern mit dem Herzen, das ihm außerhalb des Leibes wird; mit dem ist er herzlich bei dem, was er geisteswissenschaftlich erkennt.“ (Lit.:GA 161, S. 241ff)

„Alles das, was ich jetzt als normalen Gang zum Hellsehertum beschrieben habe, besteht darinnen, daß der Mensch seinen Ätherleib, ja selbst auch die höheren Glieder der Organisation, heraushebt aus dem physischen Leibe, daß er sich ein Herz eingliedert außerhalb des Umfangs des physischen Leibes.

Worauf beruhen denn die gewöhnlichen Gedanken? Sehen Sie, solch ein Gedanke wird wirklich im Ätherleibe nur entwickelt; aber nun stößt er an den physischen Leib an, er macht überall im Gehirn darinnen Eindrücke. Wenn man das Wesentliche, worauf es ankommt bei dem Denken des Alltags, sich vor die Seele führt, so kann man sagen: Es beruht darauf, daß man denkt im Ätherleibe, und daß das Gedachte auf das Nervensystem des Gehirns fällt; es macht da Eindrücke, aber diese Eindrücke gehen nicht tief, sondern sie prallen zurück. Und dadurch spiegelt sich das Denken, dadurch kommt es uns zum Bewußtsein. Also ein Gedanke besteht zunächst darinnen, daß wir ihn in der Seele haben bis zum Ätherleibe hin; dann macht er einen Eindruck auf das physische Gehirn, da kann er aber nicht hinein und muß daher zurück. Diese zurückgeprallten Gedanken nehmen wir wahr. Und da kommt die Physiologie her und zeigt die Spuren, die im physischen Gehirn darinnen entstanden sind.

Was wäre es denn nun, wenn der Gedanke nicht zurückprallte, sondern wenn er ins Gehirn hineinginge und darinnen bloß Prozesse verursachen würde? Wenn er nicht zurückprallte, könnten wir ihn nicht wahrnehmen; dann würde er ins Gehirn hineingehen und da einfach Prozesse verursachen. Es wäre denkbar, daß der Gedanke, statt zurückgeworfen zu werden, ins Gehirn hineinginge. Da würden wir kein Bewußtsein haben, denn das Bewußtsein entsteht erst, indem der Gedanke reflektiert wird.

Es gibt aber eine solche Tätigkeit der Seele, die in den Leib hineingeht: das ist das Wollen, Das Wollen unterscheidet sich dadurch vom Denken, daß das Denken zurückprallt an der Leibesorganisation und im Spiegelbilde wahrgenommen wird, das Wollen aber nicht. Bei ihm ist es so, daß es in die Leibesorganisation hineingeht, und es wird dann ein physischer Leibesprozeß hervorgerufen. Das bewirkt, daß wir gehen oder die Hände bewegen und so weiter. Das eigentliche Wollen entsteht auf ganz andere Weise als der Gedanke. Der entsteht dadurch, daß er zurückprallt. Das Wollen aber geht in die Leibesorganisation hinein, wird nicht zurückgeworfen, sondern bewirkt in der Leibesorganisation bestimmte Prozesse.

Nun gibt es aber in einem Teile unserer Leibesorganisation doch noch die Möglichkeit, daß so etwas, was da untertaucht, wiederum zurückprallt. Verfolgen Sie wohl dasjenige, was ich sagen werde. Bei unserem Gehirndenken geht das so vor sich, daß die Gedankentätigkeit sich entwickelt in dem ätherischen Gehirn, an dem physischen Nervensystem zurückprallt, und daß uns dadurch die Gedanken zum Bewußtsein kommen. Beim Hellsehen stoßen wir gleichsam das Gehirn zurück. Wir denken mit dem astralischen Leibe, und es wird uns schon das Denken zurückgeworfen durch den Ätherleib. Hier (siehe Zeichnung I) ist Außenwelt, hier der physische Leib (beim Gehirndenken); hier beim Hellsehen die Außenwelt, dasjenige was wir verarbeiten mit dem astralischen Leibe (siehe Zeichnung II); den Ätherleib lassen wir das zurückwerfen, und den physischen Leib lassen wir ganz ausgeschaltet.

Zeichnung aus GA 161, S. 246
Zeichnung aus GA 161, S. 246

Hier (siehe Zeichnung I), wenn wir wollen, taucht aber die Tätigkeit der Seele in den physischen Leib hinein. Daher, wenn wir gehen, die Hand bewegen, ist es die Seele, die das tut. Aber ihre Tätigkeit muß innere, organische, materielle Prozesse bewirken, und in denen lebt sich die Tätigkeit der Seele aus. Ich möchte sagen: der Wille besteht darinnen, daß die Tätigkeit der Seele erstirbt in der materiellen Betätigung im Leibe.

Fragen Sie sich jetzt: Wie leben wir eigentlich, wenn wir in unserem Denken leben? Ich möchte sagen, in unserem Denken leben wir hart an der Grenze der Ewigkeit. In dem Augenblicke, wo wir den physischen Leib ausschalten und von dem Ätherleibe unsere Gedanken zurückstrahlen lassen, leben wir in dem, was wir durch die Pforte des Todes tragen. Solange wir von dem physischen Leibe die Gedanken zurückstrahlen lassen, leben wir in dem, was zwischen der Geburt und dem Tode da ist. Wenn wir aber wollen, so gehört unser Wollen lediglich unserem physischen Leibe an. Unser physischer Leib ist da, damit er Tätigkeit entwickle. Während das Denken sozusagen schon an der Pforte der Ewigkeit steht, ist das Wollen für den physischen Leib gestiftet.

Erinnern Sie sich, daß ich in einem der Vorträge gesagt habe: Das Wollen ist das Baby, und wenn es älter wird, dann wird es zum Denken. Das stimmt überein mit dem, was wir heute von einem anderen Gesichtspunkte aus entwickeln können. Das Wollen ist in die Zeitlichkeit hineingebannt, und nur dadurch, daß der Mensch sich entwickelt, daß er immer weiser und weiser wird, immer mehr mit Gedanken sein Wollen durchdringt, erhebt er das, was geboren wird im Wollen, aus der Zeitlichkeit in die Sphäre der Ewigkeit hinauf, erlöst er sein Wollen aus seinem Leibe.

Aber in einem Teile seines Leibes ist etwas eingeschaltet: das untergeordnete Nervensystem, das Gangliensystem, das Bauchnervensystem; das Sonnengeflecht wird oftmals auch ein Teil desselben genannt. Dieses Nervensystem ist so, wie es sich jetzt im Menschen entwickelt, ein unvollkommenes Organ; es ist erst in den allerersten Anlagen vorhanden. Später wird es sich weiter ausbilden. Aber geradeso wie man von einem Kinde weiß, daß es noch die Eigenschaften entwickeln kann, die man als Erwachsener entwickelt, so kann man wissen, daß dieses Nervensystem, das heute dazu dient, organische Tätigkeiten zu versorgen, sich noch entwickeln wird. Dieses Nervensystem, das neben dem eigentlichen Gehirn und Rückenmarksystem und neben den in den Gliedmaßen verzweigten Nerven hergeht, dieses Bauchnervensystem ist heute noch nicht so entwickelt, daß es dasjenige tun könnte, was es tun wird, wenn der Mensch einmal auf dem Jupiter sein wird. Da werden das Gehirn und das Rückenmark zurückgebildet sein, und das Bauchnervensystem wird eine ganz andere Ausbildung haben, als es heute hat. Dann wird es an der Oberfläche des Menschen gelagert sein. Denn alles das, was zuerst darinnen ist in dem Menschen, lagert sich später an der Oberfläche des Menschen ab.

Dafür aber benützen wir auch für das gewöhnliche Leben zwischen Geburt und Tod dieses Nervensystem nicht direkt, wir lassen es im Unterbewußten liegen. Aber es kann eintreten durch abnorme Verhältnisse, daß dasjenige, was im menschlichen Willen und Begehrungsvermögen liegt, hineingeht in den menschlichen Organismus, und daß es durch abnorme Verhältnisse, über die wir noch sprechen werden, zurückgeworfen wird vom Bauchnervensystem, so wie sonst der Gedanke vom Gehirn zurückgeworfen wird. Der Wille geht hinein ins Gangliensystem, aber, statt daß er Tätigkeit wird, wird er zurückgeworfen von dem Gangliensystem, und es entsteht im Menschen etwas, was sonst im Gehirn entsteht. Es entsteht ein Prozeß im Menschen, den man auch so charakterisieren kann: Wenn Sie den Übergang vom gewöhnlichen Wachzustande zum Hellsehen ins Auge fassen, so können Sie sehen, wie in uns im gewöhnlichen Nervensystem unser Denken, Fühlen und Wollen sich spiegeln - Fühlen und Wollen insofern sie Gedanken sind -, dasjenige aber, was Wollen ist, lassen wir untertauchen in die Organisation.

Im Hellsehen bilden wir uns - außerhalb des Leibesraumes sozusagen - damit aber auch ein gegenüber dem Gehirn höheres Organ. Wie unser gewöhnliches Gehirn mit unserem physischen Herzen zusammenhängt, so hängt dasjenige, was draußen, im Astralleibe, als Gedanke sich entwickelt, mit diesem Ätherherzen zusammen. Das ist höheres Hellsehen: Kopfhellsehen.

Aber es kann der Mensch auch den umgekehrten Weg machen. Er kann mit dem, was in dem «Baby» Wollen steckt, in die Organisation so hineingehen, daß das Wollen zu einem Denken wird, während er sonst das Denken zum Wollen gemacht hat. Das ist die tiefere Begründung von dem, was ich vor einiger Zeit hier angeführt habe als den Unterschied zwischen Kopfhellsehen und Bauchhellsehen. Beim Kopfhellsehen wird ein neues Ätherorgan gebildet, in dem man unabhängig wird von der Leibesorganisation. Beim Bauchhellsehen appelliert man an das Gangliensystem, appelliert man an dasjenige, was sonst unberücksichtigt bleibt. Daher sind die Ergebnisse des Bauchhellsehens flüchtiger als die gewöhnlichen Wacherlebnisse, sie haben keine Bedeutung für die Seelen, wenn diese durch die Pforte des Todes gehen. Alles was durch Kopfhellsehen gewonnen ist, hat eine geistige, dauernde Bedeutung auch für die Seelen, welche durch die Pforte des Todes gegangen sind, hat mehr Bedeutung als das wache Tageserleben. Das, was durch Bauchhellsehen gewonnen wird, hat sogar eine noch geringere Bedeutung für das Leben nach dem Tode als das alltägliche wache Wissen. Jedes somnambule Hellsehen steht unter dem wachen Tagesbewußtsein, nicht darüber. Dagegen spricht gar nicht, daß allerlei poetische und sonstige Eigenschaften entwickelt werden können durch das Bauchhellsehen; weil in dem Augenblicke, wo dieses Bauchhellsehen eintritt, es wirklich die Ganglien sind, welche stets das Wollen in den physischen Leib hineingehen. Dadurch wird in den Ganglien die Tätigkeit des Ätherleibes zurückgehalten und strahlt zurück, und dadurch nimmt man dann wahr dasjenige, was man nicht durch das Gehirn wahrnehmen kann. Man kann dadurch Gedanken wahrnehmen, die man sonst durch das Gehirn nicht wahrnimmt; aber es bleibt doch eine untergeordnete Tätigkeit.“ (S. 244ff)

Wie werden Imaginationen erlebt?

Wenn sich beim Schüler die Imagination entwickelt, so ähneln die Imaginationen zunächst den Erinnerungsbilder und dann auch den Traumbildern. Sie sind blass und unbestimmt, aber nicht chaotisch durcheinander gewürfelt wie die Traumbilder. Man lernt aber nach und nach die wirklichen Imaginationen zu unterscheiden von den Reminiszenzen an das, was man im sinnlichen Dasein erlebt hat und auch von den Träumen.

„Der Mensch kann im gewöhnlichen Bewußtsein nur egoistisch träumen. Wenn er in der Nacht träumt, so träumt er in Gebundenheit an seinen eigenen Organismus; er ist im Traume nicht verbunden mit der Umgebung. Kann er verbunden sein mit der Umgebung und dieselben Kräfte entwickeln, die er sonst im Traume entwickelt, so ist er im imaginativen Vorstellen.“ (Lit.:GA 179, S. 106)

Malendes Schauen

Wolfgang Pauli (1900 - 1958)

Die Imaginationen sind nicht nur Bilder in der menschlichen Seele, sondern sie gehören der geistigen Wirklichkeit an. Aus imaginativen Bildern ist letztlich alles geschaffen, auch die physische Welt. Sie sind die wirksam tätigen Urbilder der Dinge. Sie sind die Ideen, die Archetypen im Sinne Platons. Die Urpflanze, von der Goethe in seiner Metamorphosenlehre gesprochen hat, ist ein Beispiel dafür. (Lit.: GA 157, S. 298) Der österreichische Physiker und Mitbegründer der Quantentheorie Wolfgang Pauli (1900-1958) hat davon sehr deutlich etwas geahnt, wenn er in einem Brief an den Physiker Markus Fierz (1912-2006), in dem er sich auf dessen 1948 im Eranos-Jahrbuch veröffentlichten Vortrag "Zur physikalischen Erkenntnis" bezieht, diesbezüglich sehr zutreffend von einem malenden Schauen dieser inneren Bilder spricht:

„Die in Ihrem Vortrag formulierten Ideen haben viele Berührungspunkte mit meinen, z. B. Komplementarität und Universalität, bzw. Physik und Psychologie, vielleicht sind da aber auch einige Unterschiede. Mein Ausgangspunkt ist, welches die Brücke sei zwischen den Sinneswahrnehmungen und den Begriffen. Zugestandenermaßen kann die Logik eine solche Brücke nicht geben oder konstruieren. Wenn man die vorbewußte Stufe der Begriffe analysiert, findet man immer Vorstellungen, die aus "symbolischen"[3] Bildern mit im allgemeinen starkem emotionalen Gehalt bestehen. Die Vorstufe des Denkens ist ein malendes Schauen dieser inneren Bilder, deren Ursprung nicht allein und nicht in erster Linie auf die Sinneswahrnehmungen (des betreffenden Individuums) zurückgeführt werden kann, sondern die durch einen "Instinkt des Vorstellens" produziert und bei verschiedenen Individuen unabhängig, d. h. kollektiv reproduziert werden. {Dazu paßt, was Sie Seite 12 und 13 über den Zahlbegriff gesagt haben.} Der frühere archaisch-magische Standpunkt ist nur ein klein wenig unter der Oberfläche; ein geringes abaissement du niveau mental genügt, um ihn völlig "nach oben" kommen zu lassen. Die archaische Einstellung ist aber auch die notwendige Voraussetzung und die Quelle der wissenschaftlichen Einstellung. Zu einer vollständigen Erkenntnis gehört auch diejenige der Bilder, aus denen die rationalen Begriffe gewachsen sind.

Nun kommt eine Auffassung, wo ich vielleicht mehr ein Platonist[4] bin als die Psychologen der Jungschen Richtung. Was ist nun die Antwort auf die Frage nach der Brücke zwischen den Sinneswahrnehmungen und den Begriffen, die sich uns nun reduziert auf die Frage nach der Brücke zwischen den äußeren Wahrnehmungen und jenen inneren bildhaften Vorstellungen. Es scheint mir - wie immer man es auch dreht, ob man vom "Teilhaben der Dinge an den Ideen" oder von "an sich realen Dingen" spricht - es muß hier eine unserer Willkür entzogene kosmische Ordnung der Natur postuliert werden, der sowohl die äußeren materiellen Objekte als auch die inneren Bilder unterworfen sind. (Was von beiden historisch das frühere ist, dürfte sich als eine müßige Scherzfrage erweisen - so etwa wie "Was war früher: das Huhn oder das Ei?") Das Ordnende und Regulierende muß jenseits der Unterscheidung von physisch und psychisch gestellt werden - so wie Platos "Ideen" etwas von "Begriffen" und auch etwas von "Naturkräften" haben (sie erzeugen von sich aus Wirkungen). Ich bin sehr dafür, dieses "Ordnende und Regulierende" "Archetypen" zu nennen; es wäre aber dann unzulässig, diese als psychische Inhalte zu definieren. Vielmehr sind die erwähnten inneren Bilder ("Dominanten des kollektiven Unbewußten" nach Jung) die psychische Manifestation der Archetypen, die aber auch alles naturgesetzliche im Verhalten der Körperwelt hervorbringen, erzeugen, bedingen müßten. Die Naturgesetze der Körperwelt wären dann die physikalische Manifestation der Archetypen.“ (Lit.: Meyenn, S 496f)

Die Quelle dieser urbildlichen Ideen ist für Platon «Das Gute», wie er es etwa im Sonnengleichnis in seiner Politeia darstellt:

„Du wirst wohl einräumen, glaube ich, daß die Sonne den sinnlich sichtbaren Gegenständen nicht nur das Vermögen des Gesehenwerdens verleiht, sondern auch Werden, Wachsen und Nahrung, ohne daß sie selbst ein Werden ist?
Das ist sie nicht!
Und so räume denn auch nun ein, daß den durch die Vernunft erkennbaren Dingen von dem eigentlichen Guten nicht nur das Erkanntwerden zuteil wird, sondern daß ihnen dazu noch von jenem das Sein und die Wirklichkeit kommt, ohne daß das höchste Gut Wirklichkeit ist: es ragt vielmehr über die Wirklichkeit an Hoheit und Macht hinaus.“

Im Imaginieren bewegt sich die Seele, ausgehend von der aufmerksamen sinnlichen Beobachtung, mit den Weltereignissen mit, wie Anton Kimpfler betont:

„Als Malen mit den Augen selber kann da Imaginieren beschrieben werden. Es bleibt nicht beim Registrieren einer bestimmten Farbe. Vielmehr ereignet sich ein unmittelbareres Begegnen mir ihr. Wir nehmen an ihr aktiver teil.

Äußeres wird innerlicher, so wäre dies auch zu charakterisieren. Die Seele bewegt sich in den Weltereignissen mit. Das exakte Gegenteil bewirken technische Medien, durch welche unser Verhältnis zur Welt noch abgeschnittener ist.“ (Lit.: Kimpfler, S. 41)

So konnte etwa Goethe durch sorgfältige Beobachtung des Pflanzenwachstums in ihren inneren Werdeprozess eintauchen und zur Imagination der Urpflanze verdichten.

Auch im Traum offenbart sich die bildschaffende Kraft der Seele. Den Traumbildern, die einen letzten Rest des atavistischen Hellsehens darstellen, sind wir allerdings mehr oder weniger willenlos hingegeben. Bei luciden Träumen wird unser Wille bereits aktiver eingeschaltet, und im Wachen setzen wir uns dann schon sehr deutlich mit unserer Umwelt willentlich in Beziehung. Je mehr unser Wille das Schauen begleitet, desto mehr fühlen wir uns auch einer realen Wirklichkeit gegenübergestellt. Das steigert sich noch mehr, wenn wir zur Imagination voranschreiten. Sowohl unser Willensengagement als auch unser Wirklichkeitsempfinden werden bedeutsam gesteigert gegenüber dem gewöhnlichen Wachbewusstsein. Das Bewusstsein ist wacher und klarer als das normale Tagesbewusstsein. Wir wissen, wir selbst machen die Bilder – und dennoch sind sie nicht willkürlich, sondern der gemäße Ausdruck einer höheren Wirklichkeit.

„Zunächst muß sich die Seele allerdings bereit machen, solche Bilder im geistigen Blickekreis auftreten zu sehen; dazu aber muß sie auch sorgfältig das Gefühl ausbilden, bei diesen Bildern nicht stehen zu bleiben, sondern sie in der rechten Art auf die übersinnliche Welt zu beziehen. Man kann durchaus sagen, zur wahren übersinnlichen Anschauung gehört nicht nur die Fähigkeit, in sich eine Bilderwelt zu erschauen, sondern noch eine andere, welche sich mit dem Lesen in der sinnlichen Welt vergleichen läßt.

Die übersinnliche Welt ist zunächst als etwas ganz außer dem gewöhnlichen Bewußtsein Liegendes vorzustellen. Dieses Bewußtsein hat gar nichts, wodurch es an diese Welt herandringen kann. Durch die in der Meditation verstärkten Kräfte des Seelenlebens wird zuerst eine Berührung der Seele mit der übersinnlichen Welt geschaffen. Dadurch tauchen aus den Fluten des Seelenlebens die gekennzeichneten Bilder herauf. Diese sind als solche ein Tableau, das eigentlich ganz von der Seele selbst gewoben wird. Und zwar wird es gewoben aus den Kräften, welche sich die Seele in der sinnlichen Welt erworben hat. Es enthält als Bildgewebe wirklich nichts anderes, als was sich mit Erinnerung vergleichen läßt. - Je mehr man sich für das Verständnis des hellsichtigen Bewußtseins dieses klar macht, desto besser ist es. Man wird sich dann über die Bildnatur keiner Illusion hingeben. Und man wird dadurch auch ein rechtes Gefühl dafür ausbilden, in welcher Art man die Bilder auf die übersinnliche Welt zu beziehen hat. Man wird durch die Bilder in der übersinnlichen Welt lesen lernen.“ (Lit.:GA 17, S. 18)

Goethes Farbenlehre als Grundlage zum Verständnis der übersinnlich geschauten Farben der Aura

Farbkreis, Zeichnung von Johann Wolfgang von Goethe.

Die sinnliche Farbwahrnehmung ist untrennbar verbunden mit einem sie begleitenden gefühlsmäßigen Unterton, den Goethe als die «sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe» bezeichnet. Diese ist aber keineswegs ein rein subjektives Erlebnis. Beide, die wahrgenommene Farbe und der sie begleitende gefühlsmäßige Unterton, entspringen als Ganzheit dem Wesen der jeweiligen Farbe. Obwohl der feine Unterton der äußerlich wahrgenommenen Farbe nur subjektiv innerlich seelisch durch den Beobachter erlebt werden kann, hängt er dennoch nicht von dessen persönlichen Eigenart ab und hat insofern zugleich einen objektiven Charakter. Bestimmte Farbzusammenstellungen erregen ganz bestimmte seelische Wirkungen. Diese sind für den künstlerischen Umgang mit der Farbe von entscheidender Bedeutung.

„Goethe geht aus von den physiologischen Farben; das habe ich Ihnen ja dargestellt, als ich seinen Weg charakterisiert habe, durch andere Untersuchungsmethoden zu Erkenntnissen zu kommen, als es die heutigen Untersuchungsmethoden sind. Dann aber gipfelt seine ganzen Betrachtungsweise in dem Kapitel, das er nannte «Sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe». Da geht Goethe gewissermaßen direkt aus dem Physikalischen heraus in das Seelische hinein, und er charakterisiert dann mit einer außerordentlichen Treffsicherheit das ganze Spektrum der Farben. Er charakterisiert den Eindruck, der erlebt wird; er ist ja etwas durchaus objektiv Erlebtes. Wenn er auch im Subjekt erlebt wird, so ist er doch im Subjekt etwas durchaus objektiv Erlebtes, der Eindruck, den, sagen wir, die nach der warmen Seite des Spektrums hin gelegenen Farben machen, rot, gelb. Er schildert sie in ihrer Aktivität, wie sie gewissermaßen auf den Menschen aufreizend oder anregend wirken. Und er schildert, wie dann die Farben, die nach der kalten Seite hin gelegen sind, abregend wirken, zur Hingabe anspornen; und er schildert, wie das Grün in der Mitte eine ausgleichende Wirkung hat.

Er schildert also gewissermaßen ein Gefühlsspektrum. Und es ist interessant, sich zu vergegenwärtigen, wie da ein seelisch Differenziertes unmittelbar herausspringt aus der geordneten physikalischen Betrachtungsweise. Wer einen solchen Gang der Untersuchungen versteht, der kommt zu folgenden Ergebnissen. Er sagt sich: Die einzelnen Farben des Spektrums stehen vor uns, sie werden erlebt als Entitäten, die sich ausnehmen als vom Menschen durchaus abgesondert. In der gewöhnlichen Lebenserfassung legen wir ganz selbstverständlich und berechtigt den größten Wert darauf, dieses objektive Element, sagen wir im Rot, im Gelb, unmittelbar ins Auge zu fassen. Aber es ist überall da ein Unterton. Es ist, wenn man auf das unmittelbare Erleben sieht, dieses eigentlich nur in der Abstraktion zu trennen von dem, was ein sogenanntes äußerlich vom Menschen abgesondertes Erlebnis der roten Nuance und der blauen Nuance ist in objektivem Sinn; es ist eine abstrakte Absonderung von dem, was ja unmittelbar im Seh-Akt auch miterlebt wird, was aber nur angeschlagen wird, was sozusagen miterlebt wird in einem leisen Unterton, der aber niemals wegbleiben kann, so daß man auf diesem Gebiet rein physikalisch nur betrachten kann, wenn man erst das, was seelisch erlebt wird, abstrahiert von dem Physikalischen.

Wir haben also zunächst das äußere Spektrum, und wir haben an diesem äußeren Spektrum den Unterton der seelischen Erlebnisse. Wir stehen also mit unseren Sinnen, mit dem Auge, gegenüber der äußeren Welt, und wir können nicht das Auge anders einstellen, als daß meistens, wenn auch oft sogar unbewußt oder unterbewußt, seelisches Erleben mit unterläuft. Wir nennen das, was da durch das Auge erlebt wird, die Empfindung. Wir sind nun gewöhnt, meine sehr verehrten Anwesenden, das, was an der Empfindung erlebt wird, seelisch erlebt wird - an dem sich also ein Reiz, der herrührt von dem objektiv Ausgebreiteten, als Empfindung darstellt -, das Subjektive zu nennen. Aber Sie sehen aus der Art und Weise, wie ich das gerade in Anlehnung an Goethe dargestellt habe, daß wir gewissermaßen ein Gegenspektrum, ein seelisches Gegenspektrum aufstellen können, das ganz genau in Parallele gebracht werden kann mit dem äußeren optischen Spektrum.“ (Lit.:GA 73a, S. 254ff)

Die von Goethe geschilderte „sinnlich-sittliche Wirkung der Farbe“ kann zu einem besseren Verständnis dessen beitragen, was der Hellseher imaginativ etwa als übersinnliche „Farbqualitäten“ der Aura erlebt.

„Wir können ein Spektrum differenzierter Gefühle aufstellen: aufregend, anregend, ausgleichend, hingebend und so weiter. Wenn wir nach außen schauen, sehen wir das Gelb; wir erfühlen daran als Unterton das Anregende, das von außen gewissermaßen aktiv auf uns Wirkende. Wie steht die Sache nun mit dem seelischen Erlebnis? Dieses seelische Erlebnis, das kommt gewissermaßen aus unserem Inneren der Außenwelt entgegen. Aber nehmen wir einmal an, wir wären imstande, ganz genau festzuhalten, was wir an dem Rot, dem Gelb, dem Grün, dem Blau, dem Violett erlebt haben. Nehmen wir an, wir würden die Gefühle differenziert so festhalten können, daß wir im Inneren ein Gefühlsspektrum haben, wie wir von außen das gewöhnliche optische Spektrum haben. Wenn wir uns nun denken, daß von außen her an dem Rot, Gelb, Grün, Blau, Violett, also an dem Objektiven, sich entzünden die Untertöne des Aufregens, Anregens, Ausgleichens, des Hingebungsvollen, wir es also gewissermaßen als etwas die äußeren Erscheinungen Begleitendes sehen, diese äußere Erscheinung also ohne uns da ist, aber durch uns da ist das begleitende Gefühlsspektrum - würde es dann etwas so Absurdes sein vorauszusetzen, daß ebenso auch von innen heraus das geschehen könnte, was sonst ohne unser Zutun von außen diesem Gefühlsspektrum zugrundeliegt? Würde es etwas so Absurdes sein, daß jetzt im Innern das Gefühlsspektrum da wäre und daraus hervorspringen würde im Erleben des Menschen das Farbenspektrum, das jetzt in inneren Bildern erfaßt wird? Geradeso wie sonst das Farbenspektrum da ist und die inneren Gefühlserlebnisse dazukommen durch unser Dabeisein, so könnte es auch sein, daß die Gefühlserlebnisse, die sich im differenzierten Spektrum darstellen lassen, als das Objektive, das nach innen zu gelegene Objektive angesehen würden und jetzt herausspringt als Unterton dasjenige, was sich nun vergleichen läßt mit dem objektiven Farbenspektrum.

Nun behauptet Geisteswissenschaft ja nichts anderes, als daß eine Methode möglich ist, wo das, was ich Ihnen jetzt als ein Postulat hingestellt habe, wirklich [innerlich] so erlebt wird wie aus dem äußeren Erlebnis wo das objektive Spektrum da ist und gewissermaßen als ein Schleier über das objektive Spektrum sich hinzieht das subjektive Gefühlsspektrum. Ebenso kann nun im Innern erlebt werden das Gefühlsspektrum, an das jetzt das Farbenerlebnis sich anschließt. Dies kann wirklich erlebt werden, und es liegt demjenigen zugrunde, was ich gestern mehr abstrakt charakterisiert habe als die Imagination. Es kann durchaus das, was im Raum ausgebreitetes Phänomen, äußeres Phänomen ist, auch als inneres Phänomen hervorgeholt werden aus dem Menschen. Und wie sich das äußere Phänomen gegen uns zu in der Erkenntnis verdünnt, so verdichtet sich das innere Erlebnis, indem es von dem unbewußt in uns entwickelten Bewußtsein - wie ich es gestern angedeutet habe - aufgenommen wird.

Man muß sich nur klar sein darüber, meine sehr verehrten Anwesenden, daß das, was in der hier gemeinten Geisteswissenschaft auftritt, durchaus nicht etwa nebulose Phantasien sind, wie es zumeist die Ergebnisse irgendwelcher als «mystische Weltanschauungen» bekannten Träumereien sind. Was hier als anthroposophische Geisteswissenschaft gemeint ist, fußt zwar auf Erlebnissen, die man sonst nicht hat, die erst heranentwickelt werden müssen, die aber in absolut klaren Begriffen gefaßt werden können, die überall mit absolut klaren Begriffen verfolgt werden können.

Man kann also sagen, daß Goethe das objektiv Äußere durchaus so dargestellt hat wie ein Mensch, der sich halb instinktiv bewußt ist: Es gibt von dem, was er da äußerlich beschreibt, ein inneres Gegenbild; es gibt zu der äußeren Anschauung eine innere Anschauung.

- Wenn man sich erstens einmal hineingefunden hat in diesen Gedankengang, und wenn man sich zweitens Mühe gegeben hat in der gestern angegebenen Richtung wirklich so etwas zu erleben, wie ich es jetzt angedeutet habe, nämlich dasjenige, was differenziertes Gefühlsleben ist, sich aufhellen zu lassen zu Imaginationen, die dann angesprochen werden dürfen mit denselben Worten, mit denen man die äußeren Erscheinungen bezeichnet - wenn man sich zu diesen Dingen aufgeschwungen hat, dann bietet sich einem der Ausblick zu einem Erfassen des Menschen, das ja gerade fehlt in den modernen wissenschaftlichen Anschauungen. Wie sollte man denn auch zu einer Anschauung vom Menschen kommen, wenn man alles künstlich abtrennt, was im Verkehr des Menschen mit der Welt auftritt, wenn man nur nach außen schauen will und gar nicht nach innen? Das und nichts anderes ist es schließlich, was immer wiederum gerade von wissenschaftlicher Seite her als ein Vorwurf gegenüber der Geisteswissenschaft erhoben wird, daß sie nicht wissenschaftlich vorgehe. Ein Vorurteil ist das, das dadurch entstanden ist, daß man von vorneherein nur dasjenige als wissenschaftliche Betrachtung gelten läßt, was vom Menschen abgesondert ist, und gar nicht die Untertöne dabei ins Auge faßt, die den menschlichen Anteil dabei kennzeichnen. Dadurch kann man dann nicht den Übergang finden zu dem, was der Mensch eigentlich in seinem Inneren erlebt. Die Farben, die ich jetzt meine, die ebenso hervorgehen aus dem Gefühls-spektrum, wie das Gefühlsspektrum hervorgeht aus dem äußeren objektiven Spektrum, diese Farben, die werden im imaginativen Anschauen erlebt, und sie bilden ebenso die Vermittlung, das Übersinnliche geistig zu erkennen, wie die äußeren Spektralfarben die Vermittlung bilden, das äußerliche Sinnlich-Körperliche zu erkennen. Man könnte sagen, die Oberflächen der äußeren Körper offenbaren sich in den gewöhnlichen Spektralfarben. Wenn ich mich jetzt in einer etwas merkwürdigen, scheinbar paradoxen Art ausspreche, so müßte ich sagen: Die Oberflächen des Geistigen - selbstverständlich wird jeder vernünftige Mensch wissen, was ich meine, daß ich also nicht irgendeine Kugel meine, wenn ich von einem Geistigen spreche -, die Oberflächen des Geistigen, die sprechen sich aus in denjenigen Farben, die hervorgerufen werden in der Imagination aus dem Gefühlsspektrum. Statt diesen Gedanken zunächst zu verfolgen und sich zu sagen, wenn die äußere Natur eben so ist, wie sie ist, dann muß auch das andere Anschauen möglich sein, dann muß man versuchen zu diesem Anschauen zu kommen - statt sich das zu sagen, also wirklich die Konsequenz aus einer äußeren Naturanschauung zu ziehen, befassen sich ja die Gegner viel mehr damit, Hohn und Spott auf das zu gießen, was die menschliche Aura genannt wird, die ja nichts anderes ist als eben das zum inneren Wahrnehmen Gebrachte, auf anderem Gebiet, wie hier auf dem Gebiet des Gefühlsspektrums.“ (S. 256ff)

In der Imagination erscheint einem der eigene Leib wie ein Automat

In der Imagination tritt der Mensch aus sich selbst, d.h. aus seinem Leib heraus und erlebt diesen von außen als Imagination. Da erscheint ihm der eigene Leib wie eine Art von Automat, der ganz automatisch Grimassen schneiden, Worte sprechen und Gesten machen will. Dem muss aber der Geistesschüler jederzeit Einhalt gebieten können.

„Gegenüber der imaginativen Welt steht der Mensch zunächst so da, wie wenn er der physischen Welt so gegenüberstünde, daß er einen Laubfrosch für ein eben solches Tier halten würde wie einen Elefanten; daß er sie nicht unterscheiden könnte. Wie gleichmäßig ausgebreitet und in gleichmäßiger Wichtigkeit erscheint zunächst die imaginative Welt! Daß wir dem einen mehr, dem andern weniger Gewicht beilegen, das müssen wir erst lernen. Denn das ist die Eigentümlichkeit dieser Welt, daß sie uns nicht groß und klein erscheint durch ihre eigene Natur, sondern durch das, was wir sind. Nehmen wir an, irgend jemand sei ein sehr hochmütiger, arroganter Mensch; dann gefällt ihm an sich dieses arrogante Wesen. Wenn ihm nun die imaginative Welt aufgeht, so überträgt sich sein Gefühl, sein Gefallen an der Arroganz auf die Größe der Wesenheiten, die er dann sieht, und alles, was in der imaginativen Welt sich als etwas Arrogantes, als etwas Hochmütiges kundgibt, erscheint ihm riesengroß, als etwas, was eine ungeheure Bedeutung hat, während vielleicht das, was dem Demütigen als groß erscheint, ihm klein erscheint wie ein winziger Laubfrosch. Da hängt es ganz von den Eigenschaften der Menschen ab, wie sich ihnen diese Welt in der Perspektive darstellt. Es ist eine Sache der Entwickelung des Menschen, daß die richtigen Verhältnisse und die Intensitäten und Qualitäten dieser Welt richtig erkannt werden. Die Dinge sind durchaus objektiv, aber der Mensch kann sie ganz verzerren und in Karikaturen sehen. Das ist das Wesentliche, daß der Mensch zunächst in einer gewissen Weise durchgehen muß auch bei diesen höheren übersinnlichen Erkenntnissen durch das, was er selbst ist, das heißt, er muß auf imaginative Art sich selbst kennenlernen. Das ist allerdings deshalb eine fatale Sache, weil die Perspektive für das, was in der imaginativen Welt gegeben ist, am allermeisten dann vollständig durch die eigenen Qualitäten der Seele bestimmt ist, das heißt, in falschem oder richtigem Sinne bestimmt ist.

Was heißt denn das, der Mensch muß durch imaginative Erkenntnis sich selbst kennenlernen? Es heißt, er muß zunächst unter den Imaginationen, unter den Bildern, die ihm in der imaginativen Welt entgegentreten, sich selber als ein objektives Bild entgegentreten. So wie der Mensch in der physischen Welt etwa eine Glocke oder einen andern Gegenstand als ein Objektives vor sich hat, so muß er in der imaginativen Welt sich selbst entgegentreten als das, was er ist, als eine Wirklichkeit, wie er zunächst ist. Das kann er auf eine reguläre Weise nur erreichen, wenn er in der Tat durch Meditation und so weiter aufrückt von dem Wahrnehmen der Außenwelt zu dem Leben in seinen Vorstellungen, indem er, wie wir schon erwähnt haben, sich ganz gewisse Symbole vorstellt, damit er von der Außenwelt loskommt, und so lange in dem rein inneren Seelenleben der Vorstellungen leben lernt, bis dem Menschen das etwas wird, was er wie etwas Natürliches durchmacht: das Leben in seinen Vorstellungen. Dann wird der Mensch wirklich so etwas bemerken wie eine Art Spaltung seines Wesens, eine Art Spaltung seiner Persönlichkeit. Er wird sich oftmals zusammennehmen müssen in den Übergangsstadien, um einen gewissen Zustand nicht gar zu sehr heranwachsen zu lassen. Wenn dieser eigentümliche Zustand eintritt, ist es so, daß der Mensch nach und nach eine Art von Vorstellung bekommt, in der er lebt, in der er ganz drinnen ist, so daß er jetzt nicht mehr sagt: Ich bin das, was mein Leib ist - sondern als eine Imagination vor sich hat: Das bist du! So bist du! - Dann tritt das ein, daß er zuweilen merkt, wie das andere seiner Wesenheit außer dem, was sich da frei gemacht hat, wie eine Art Automat wirkt, daß er eigentlich über demselben steht, daß dieses aber die Begierde hat, automatisch Worte zu sprechen, Gesten zu machen und so weiter. Ungeschulte Menschen werden sich dann zuweilen in allerlei Grimassen entdecken, weil sie mit der Imagination etwas aus sich herausgezogen haben; und was zurückgeblieben ist, macht allerlei automatisches Zeug. Das ist etwas, was nicht weiterkommen soll als bis zum Versuch; das muß immer überwunden werden können. Der Mensch muß sich immer dazu bringen, daß er, wie sonst andere Gegenstände, so jetzt seine eigene Wesenheit außer sich hat.“ (Lit.:GA 115, S. 287ff)

Gefahren und Fehlerquellen bei der geistigen Schulung

„Wenn der Mensch mit dem hellsichtigen Bewußtsein durch die Übungen der imaginativen Erkenntnis hinunterdringt ins Unterbewußtsein und nicht aufmerksam ist darauf, daß er da zunächst nur sich selbst findet mit alledem, was er ist und was in ihm wirkt, dann ist der Mensch den allermannigfaltigsten Irrtümern ausgesetzt; denn durch irgendwelche mit den gewöhnlichen Bewußtseinstatsachen vergleichbare Art wird man keineswegs gewahr, daß man es zu tun hat nur mit sich selber. Es tritt auf irgendeiner Stufe die Möglichkeit auf, sagen wir Visionen zu haben, Gestalten vor sich zu sehen, die durchaus etwas Neues sind gegenüber dem, was man sonst durch die Lebenserfahrungen kennengelernt hat. Das kann auftreten. Wenn man aber etwa die Vorstellung haben sollte, daß das schon Dinge sein müßten der höheren Welten, so würde man sich einem schweren Irrtum hingeben. Diese Dinge stellen sich nicht so dar, wie sie sich für das gewöhnliche Bewußtsein die Dinge des inneren Lebens darstellen. Wenn man in die Tiefen, die wir die verborgenen Seelentiefen nennen, hinuntersteigt, dann kann man durchaus nur in sich selbst sein, und dennoch kann das, was einem entgegentritt, sich so hinstellen, als wenn es außer uns wäre.“ (Lit.:GA 143, S. 80)

Um Fehler in der geistigen Wahrnehmung zu vermeiden, muss der Geistesschüler lernen, sein Eigenwesen von der geistigen Außenwelt zu unterscheiden. Dadurch sieht sich der Geistesschüler seinem Doppelgänger gegenübergestellt.

„Es kann nun der Geistesschüler einen bedeutsamen Unterschied wahrnehmen zwischen der sich ihm erschließenden seelisch-geistigen Welt und derjenigen, welche er gewohnt war, durch seine physischen Sinne wahrzunehmen. Eine Pflanze der sinnlichen Welt bleibt, wie sie ist, was auch des Menschen Seele über sie fühlt oder denkt. Das ist bei den Bildern der seelisch-geistigen Welt zunächst nicht der Fall. Sie ändern sich, je nachdem der Mensch dieses oder jenes empfindet oder denkt. Dadurch gibt ihnen der Mensch ein Gepräge, das von seinem eigenen Wesen abhängt. Man stelle sich vor, ein gewisses Bild trete in der imaginativen Welt vor dem Menschen auf. Verhält er sich zunächst in seinem Gemüte gleichgültig dagegen, so zeigt es sich in einer gewissen Gestalt. In dem Augenblicke aber, wo er Lust oder Unlust gegenüber dem Bilde empfindet, ändert es seine Gestalt. Die Bilder drücken somit zunächst nicht nur etwas aus, was selbständig außerhalb des Menschen ist, sondern sie spiegeln auch dasjenige, was der Mensch selbst ist. Sie sind ganz und gar durchsetzt von des Menschen eigener Wesenheit. Diese legt sich wie ein Schleier über die Wesenheiten hin. Der Mensch sieht dann, wenn auch eine wirkliche Wesenheit ihm gegenübersteht, nicht diese, sondern sein eigenes Erzeugnis. So kann er zwar durchaus Wahres vor sich haben und doch Falsches sehen. Ja, das ist nicht nur der Fall mit Bezug auf das, was der Mensch als seine Wesenheit selbst an sich bemerkt; sondern alles, was an ihm ist, wirkt auf diese Welt ein. Es kann z.B. der Mensch verborgene Neigungen haben, die im Leben durch Erziehung und Charakter nicht zum Vorschein kommen; auf die geistig-seelische Welt wirken sie; und diese bekommt die eigenartige Färbung durch das ganze Wesen des Menschen, gleichgültig, wieviel er von diesem Wesen selbst weiß oder nicht weiß. — Um weiter fortschreiten zu können von dieser Stufe der Entwickelung aus, ist es notwendig, daß der Mensch unterscheiden lerne zwischen sich und der geistigen Außenwelt. Es wird nötig, daß er alle Wirkungen des eigenen Selbstes auf die um ihn befindliche seelisch-geistige Welt ausschalten lerne. Man kann das nicht anders, als wenn man sich eine Erkenntnis erwirbt von dem, was man selbst in die neue Welt hineinträgt. Es handelt sich also darum, daß man zuerst wahre, durchgreifende Selbsterkenntnis habe, um dann die umliegende geistig-seelische Welt rein wahrnehmen zu können. Nun bringen es gewisse Tatsachen der menschlichen Entwickelung mit sich, daß solche Selbsterkenntnis beim Eintritte in die höhere Welt wie naturgemäß stattfinden muß. Der Mensch entwickelt ja in der gewöhnlichen physisch-sinnlichen Welt sein Ich, sein Selbstbewußtsein. Dieses Ich wirkt nun wie ein AnziehungsMittelpunkt auf alles, was zum Menschen gehört. Alle seine Neigungen, Sympathien, Antipathien, Leidenschaften, Meinungen usw. gruppieren sich gleichsam um dieses Ich herum. Und es ist dieses Ich auch der Anziehungspunkt für das, was man das Karma des Menschen nennt. Würde man dieses Ich unverhüllt sehen, so würde man an ihm auch bemerken, daß bestimmt geartete Schicksale es noch in dieser und den folgenden Verkörperungen treffen müssen, je nachdem es in den vorigen Verkörperungen so oder so gelebt, sich dieses oder jenes angeeignet hat. Mit alle dem, was so am Ich haftet, muß es nun als erstes Bild vor die Menschenseele treten, wenn diese in die seelisch-geistige Welt aufsteigt. Dieser Doppelgänger des Menschen muß, nach einem Gesetz der geistigen Welt, vor allem andern als dessen erster Eindruck in jener Welt auftreten. Man kann das Gesetz, welches da zugrunde liegt, sich leicht verständlich machen, wenn man das Folgende bedenkt. Im physisch-sinnlichen Leben nimmt sich der Mensch nur insofern selbst wahr, als er sich in seinem Denken, Fühlen und Wollen innerlich erlebt. Diese Wahrnehmung ist aber eine innerliche; sie stellt sich nicht vor den Menschen hin, wie sich Steine, Pflanzen und Tiere vor ihn hinstellen. Auch lernt sich durch innerliche Wahrnehmung der Mensch nur zum Teil kennen. Er hat nämlich etwas in sich, was ihn an einer tiefergehenden Selbsterkenntnis hindert. Es ist dies ein Trieb, sogleich, wenn er durch Selbsterkenntnis sich eine Eigenschaft gestehen muß und sich keiner Täuschung über sich hingeben will, diese Eigenschaft umzuarbeiten. “ (Lit.:GA 13, S. 375f)

„Und was ist das andere unabwendbare Erlebnis, das der Mensch innerlich durchmacht, - unabwendbar, denn es ist die Folge des treuen Befolgens der esoterischen Übungen? Das ist die Spaltung der Persönlichkeit, die da auftritt.

Der Mensch wird allmählich empfinden so, als ob etwas neben ihm ginge, etwas, das mitdenkt, mithört, ja sogar, wenn der Mensch innerlich nicht sehr stark ist, mitspricht. Es ist ein zweites Ich, das hervortritt, ein Doppelgänger, den man aus sich herausgesetzt hat. Je ernsthafter einer den esoterischen Weg gegangen ist, um so mehr setzt er von seinem alten Menschen aus sich heraus, das heißt, er wirft wie die Schlange eine Haut nach der anderen ab. Diese Häute - vergleichsweise gesprochen - werden zu einem zweiten Leib, einem Doppelgänger, der einen im Leben nicht mehr verläßt. Der Mensch, der seinen Doppelgänger aus sich herausgesetzt hat, wurde in den alten ägyptischen Mysterien der «Kha-Mensch» genannt. Der Doppelgänger ist an den Kha-Menschen gekettet, um ihn fortwährend daran zu erinnern, wie sein früheres Leben war oder wie er noch ist. Das ist nicht immer eine angenehme Empfindung. Aber das Bewußtsein, diesen Doppelgänger immer mit sich zu führen, wird ihm seine Fehler ins Bewußtsein rufen, damit er sich bessern solle. Er soll fortwährend diese Anwesenheit empfinden, sonst würde es gefährlich werden und er über all seinen hohen Idealen und Absichten vergessen, was eigentlich sein Innenleben und was seine Fehler sind. Es würde unter gewissen Umständen sogar für einen hohen Eingeweihten lebensgefährlich sein, trotz seines hohen Strebens, wenn er diesen Doppelgänger nur einen Augenblick vergessen würde. Er würde tatsächlich seinen physischen Leib durch den Tod verlieren können, ungefähr in der Weise wie jemand, der, in ein erhabenes Problem vertieft, vergessen würde, auf seinen Körper zu achten, und infolge dieser Unaufmerksamkeit überfahren würde. Je stärker der Doppelgänger auftritt, desto besser ist es für unsere Entwicklung, denn sonst würden wir uns großen Illusionen über uns selbst hingeben.“ (Lit.:GA 266b, S. 274f)

Die drei Tugenden des Sehers

„Jeder, der sehend werden will, muß drei Tugenden ausbilden, die er notwendig braucht. Erstens: Selbstvertrauen, er muß seiner selbst sicher sein. Zweitens: Selbsterkenntnis, er darf niemals davor zurückschrecken, seine Fehler zu sehen, und drittens: Geistesgegenwart. Denn es trifft ihn manches auf dem astralen Plane, was zwar immer um uns ist, aber es ist etwas anderes, dies auch zu sehen. Deshalb müssen vor allen Dingen diese Eigenschaften ausgebildet werden, und es ist eigentlich ein Unfug, wenn durch irgendwelche Schulen oder Gesellschaften Menschen, ohne in dieser Weise geführt zu werden, zu Hellsehern gemacht werden.“ (Lit.:GA 98, S. 25)

Flüchtigkeit der Imaginationen

Imaginationen sind sehr flüchtig und lassen sich nur schlecht im Gedächtnis festhalten. Ein geeignetes Hilfsmittel ist, das Erlebte niederzuschreiben oder durch eine symbolische Zeichnung zu fixieren - aber möglichst unmittelbar und ohne Kopftätigkeit!

„... wer durch die Übungen, wie sie in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» beschrieben sind, diese imaginative Erkenntnis erlangt hat, so daß er versteht, in Gedanken zu leben, namentlich in reinen, sinnlichkeitsfreien Gedanken zu leben, wie ich es in der «Philosophie der Freiheit» geschildert habe, der lebt dann, wie er hier im Raumleib in jedem Teile lebt, so dort in jedem Teile seines Zeitenleibes gleichzeitig und in jeder Stärke. Man sieht, wenn man sich als fünfzig- oder sechzigjähriger Mensch zurückversetzt oder auch als ein achtzigjähriger, nicht nur fünf Jahre zurück - denn es dehnt sich das gegenwärtige Dasein über den ganzen Lebenslauf aus - : Man ist in jedem einzelnen Punkte unmittelbar gegenwärtig. Allerdings erkauft man diese Gegenwärtigkeit mit der Flüchtigkeit. Wenn Sie imstande sind, in noch so lebendiger Weise ein Erlebnis zu haben mit etwas, was in Ihr achtzehntes Jahr fällt: es entschwindet Ihnen zwar nicht so schnell wie ein Traum, aber Sie können es nicht halten, Sie müssen es vergessen. Und als Geistesforscher könnte man zum Beispiel, wenn es nicht andere Hilfen gäbe, in eine sehr üble Lage kommen. Man könnte die Beziehungen herstellen, durch die man etwas in der ätherischen Welt sehen kann, aber man vergißt es sogleich. Daher muß man auch zu allerlei Hilfen greifen - Einzelheiten darüber habe ich in «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» angeführt -, damit dasjenige nicht gleich wieder entschwindet, was man sich auf diese Weise als ein geistig-ätherisches Anschauen erwirbt. Es verschwindet mit großer Sicherheit nach ein paar Tagen, und was der Mensch als seinen Ätherleib noch an sich trägt nach dem Tode, das verschwindet ebenso schnell.

Man lernt nämlich das ganze Wesen des Ätherischen aus diesem Erleben heraus kennen, wie ich es jetzt beschrieben habe. Die Dinge, die man über das Leben nach dem Tode erzählt, sind nicht konstruiert, sondern aus einer lebendigen Erkenntnis heraus gewonnen. Aber wenn man nun solche Hilfen anwenden will, genügt nie eine bloße Kopftätigkeit. Ich scheue mich nicht, da von eigenen Erfahrungen zu reden, die ich machte, als ich bemerkte, wie flüchtig solche Erlebnisse im ätherischen Kosmos sind. Wenn man noch so viel schaut, so nimmt man, um seine Erlebnisse nach einer Woche anderen Menschen zu erzählen, dann seine Zuflucht zu anderem. Aber diese Hilfen nimmt man nicht aus den Kopfmitteln. So war ein Mittel sehr günstig, das darin bestand, das Erlebte, wenn es noch dastand, aufzuschreiben, so daß die Tätigkeit nicht durch den Kopf gegangen ist, sondern durch die schreibende Hand. Es handelt sich in diesem Falle nicht um ein mediales Schreiben, auch nicht um den Zweck, die Sache aufgeschrieben zu haben. Das Aufschreiben - auch das Nachschreiben von Vorträgen - ist einem ohnedies, wenn man auf geistigem Gebiete steht, etwas außerordentlich Unsympathisches. Aber man hat dadurch eine Hilfe, dasjenige, was sonst flüchtig wird, zu fixieren, indem man den ganzen Organismus daran teilnehmen läßt, wie sonst, wenn man eine Zeichnung oder eine Malerei ausführt. Es bleibt dann im eigenen Organismus, man braucht es sich gar nicht wieder nachher anzueignen. Es handelt sich nur darum, die Sachen zu fixieren. Aber dazu kann man nicht Kopfhilfen brauchen. Wenn Sie Geistesforscher sind, können Sie es durch keine Kopfhilfen fixieren; Sie müssen es fixieren durch etwas, was Ihren ganzen Menschen in Anspruch nimmt. Ein solches Mittel wäre es, wenn Sie das Erlebte aufschreiben. Nehmen Sie aber keine Rücksicht darauf, daß Sie eine intellektuelle Tätigkeit hineinverarbeiten, sondern was in Frage kommt, ist nur der Duktus des Schreibens; oder Sie machen sich gar eine symbolische Zeichnung, malen ab oder dergleichen.“ (Lit.:GA 218, S. 303f)

„Die geistigen Wahrheiten haben das Eigentümliche, daß sie nicht richtige Gedächtniswahrheiten werden können. Sie können auch nicht in Ihrem eigenen Organismus das, was Sie vor einer Woche gegessen haben, aufbewahren. Der Wiederkäuer kann es, allerdings nur für eine kurze Zeit, aufbewahren. Beim Wiederkäuer ist es eben eine organische Nachbildung, ein Rudiment im physischen Leibe für das, was sonst nur im Ätherleib als Gedächtnis vorhanden ist. Was aber gegenüber den geistigen Wahrheiten werden muß, das ist, daß man sie immer wieder und wieder erlebt und sie einem dann zur Gewohnheit werden, nicht gedächtnismäßig, bildmäßig behalten werden, sondern zur Gewohnheit werden. Das ist der Sinn, der durchgreifende Sinn des Meditierens, daß man an das appelliert, was im Grunde genommen nur in der ersten Kindheit vorhanden ist. Da hat man auch kein Bildgedächtnis, daher wird das vom kleinen Kinde vergessen, was es erst erlebt hat. Es lebt im gewohnheitsmäßigen Gedächtnis. An dieses müssen wir zurückgehen, wenn wir geistige Wahrheiten in uns verarbeiten wollen, sonst verschwitzen wir sie sehr schnell.“ (Lit.:GA 316, S. 183f)

Imaginationen und Muskelsystem

Nur nichterlebte, abstrakte logische Gedanken erlebt der Mensch mittels seines Gehirns. Erlebte Gedanken, wie sie etwa Rudolf Steiner in seiner «Philosophie der Freiheit» geäußert hat, erlebt man hingegen als ganzer Mensch in seinem Knochensystem, was dazu führen kann, dass man tatsächlich infolge des intensiven Studiums dieses Werks von Skeletten träumt. Imagination erlebt man bereits mit dem Muskelsystem und Inspirationen mit den inneren Organen.

„Nichterlebte Gedanken, abstrakte, logische Gedanken, wie man sie heute in der Wissenschaft ganz allgemein hat, die erlebt man im Gehirn. Solche Gedanken, wie ich sie in meiner «Philosophie der Freiheit» ausgesprochen habe - jetzt kommt das Paradoxe -, erlebt man als ganzer Mensch in seinem Knochensystem. Richtig als ganzer Mensch in seinem Knochensystem. Und das noch Paradoxere möchte ich aussprechen — das ist natürlich selbstverständlich geschehen, nur haben Sie es nicht beachtet, weil Sie es nicht in Zusammenhang damit gebracht haben -: wenn die Menschen meine «Philosophie der Freiheit» verstanden haben, haben sie mehrmals im Laufe des Lesens, und besonders wenn sie fertig waren, von Skeletten geträumt. Das hängt zusammen moralisch mit der ganzen Stellung der «Philosophie der Freiheit» gegenüber der Freiheit der Welt. Freiheit besteht schon darin, daß man von den Knochen aus die Muskeln des Menschen in der äußeren Welt fortbewegt. Der Unfreie folgt seinen Trieben und Instinkten. Der Freie richtet sich nach den Forderungen und Erfordernissen der Welt, die er zuerst lieben muß. Er muß ein Verhältnis gewinnen zu dieser Welt. Das drückt sich in der Imagination des Knochensystems aus. Innerlich ist das Knochensystem dasjenige, was die erlebten Gedanken eben erlebt. Also erlebte Gedanken erlebt man mit dem Knochensystem, mit seinem ganzen Menschen, namentlich mit seinem ganzen eigentlich erdenfesten Menschen. Es hat Leute gegeben, die wollten Bilder malen aus meinen Büchern; sie haben mir allerlei Sachen gezeigt. Sie haben die Gedanken der «Philosophie der Freiheit» in Bildform vorführen wollen. Wenn man ihren Inhalt so malen will, muß man dramatische Szenen aufführen, welche von menschlichen Skeletten ausgeführt werden. Geradeso wie die Freiheit selbst etwas ist, wobei man sich alles bloß Instinktiven entledigen muß, so ist dasjenige, was der Mensch erlebt, indem er die Gedanken der Freiheit hat, etwas, wobei er sich seines Fleisches und Blutes entledigen muß. Er muß Skelett werden, muß erdhaft werden, die Gedanken müssen wirklich erdhaft werden. Das bedeutet schon, daß man sich selbst herausarbeiten muß.

Ich führe das an, damit Sie sehen, daß schon bei dem gewöhnlichen Gedanken etwas auftritt, bei dem der ganze Mensch ergriffen wird. Geht man von dem Gedanken zur Imagination über, so erlebt man seine Imagination im Muskelsystem. Die Inspiration erlebt man, indem man innerlich mit seinen eigenen Organen miterlebt. Man muß nur ja nicht da, wo es sich um Inspirationen handelt, den Satz vergessen: «naturalia non sunt turpia.» [„Natürliches ist keine Schande.“] Denn unter Umständen werden die wunderbarsten Inspirationen mit den Nieren erlebt oder mit andern niederen Organen. Also dasjenige, was höhere Erkenntnis ist, das nimmt wirklich den ganzen Menschen in Anspruch; und derjenige bekommt keinen Eindruck von Imaginationen und Inspirationen, der nicht weiß, daß Imaginieren eine Arbeit ist, die dem physischen Arbeiten ganz gleich kommt, weil sie die Muskeln anstrengt, so daß ein wirkliches Imaginieren ist wie ein wirkliches physisches Arbeiten. Daher gibt es auch eine Korrelation zwischen einer physischen Arbeit und dem Imaginieren, zum Beispiel, wenn ich da etwas Persönliches erwähnen darf, ich habe immer gefunden, zum Imaginieren hat es ungeheuer viel beigetragen, daß ich als Knabe Holz gehackt habe, Kartoffeln ausgenommen habe, mit dem Erdspaten gearbeitet habe, gesät habe und Ähnliches. Nun ja, ich will nicht mit diesen Dingen renommieren, aber diese Dinge einmal gemacht zu haben, erleichtert das Wiederheraufbringen in die Muskeln, eine Anstrengung, um das Imaginieren leichter zu haben, gerade so, wie wenn Sie sonst etwas gewöhnt sind. So ist es, wenn Sie die Muskeln gerade in der Jugend angestrengt haben, wenn Sie später imaginieren wollen. Aber sehen Sie, da nützen einem nicht Bewegungen, die nicht Arbeit sind. Das Spielen eigentlich nützt einem für das Imaginieren nichts. Ich will nichts gegen das Spielen an sich sagen, Sie brauchen nur an meine pädagogischen Dinge heranzugehen, so werden Sie sehen, daß ich nichts gegen das Spiel habe, aber das Imaginieren bringt den ruhenden Muskel - denn es muß natürlich in der Ruhe vor sich gehen - zu einem ähnlichen Erlebnis wie eine wirkliche physische Arbeit.“ (Lit.:GA 316, S. 113ff)

Reine Anschauung der Sinneswelt und freie Imagination als Aufgabe des Bewusstseinsseelen-Zeitalters

Eine wesentliche Aufgabe des gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalters ist es, einerseits das reine Anschauen der Sinnenwelt und andererseits die freie Imagination so zu entwickeln, wie das bereits Goethe anstrebte. In der freien Imagination kann sich der Mensch so frei bewegen, wie sonst nur in der Verstandestätigkeit.

„Also, welche Fähigkeiten sollten die Menschen des fünften nachatlantischen Zeitraums, unseres Zeitraums, besonders entwickeln? Wir wissen ja, daß es sich um die Entwickelung der Bewußtseinsseele handelt, allein diese muß sich wiederum zusammensetzen aus einer Reihe von Kräften, Seelenkräften, körperlichen Kräften. Das erste, was entwickelt werden muß, wenn der Mensch richtig auf der Erde bleiben soll, das ist ein wirkliches reines Anschauen der Sinnenwelt. Ein solches reines Anschauen der Sinnenwelt war in den früheren Zeiträumen nicht da, weil immer in das menschliche Seelenleben das Visionäre, das Imaginative hereinspielte, bei den Griechen noch die Phantasie. Aber nachdem die Phantasie die Menschheit soweit ergriffen hatte, wie sie im griechischen Leben eben sie ergriffen hat, da wurde notwendig, daß die Menschen die Fähigkeit entwickelten, unbehelligt durch eine dahinterstehende Vision die äußere Naturwirklichkeit anzuschauen. Wir brauchen uns dabei nicht vorzustellen, daß das materialistische Weltbild damit gemeint ist; dieses materialistische Weltenbild ist schon ein ahrimanisch verzerrtes Anschauen der Sinneswirklichkeit. Aber, wie gesagt, die Sinneswirklichkeit ordentlich zu beobachten, das war die eine Aufgabe des fünften nachatlantischen Zeitraums.

Die andere Aufgabe der Menschenseele ist diese: neben der reinen Anschauung der Wirklichkeit zu entwickeln freie Imagination, in einer Beziehung eine Art Wiederholung der ägyptisch-chaldäischen Zeit. Darinnen ist der fünfte nachatlantische Zeitraum noch nicht sehr weit. Freie Imaginationen müssen entwickelt werden, wie sie gesucht werden durch die Geisteswissenschaft, also nicht gebundene Imaginationen, wie sie der dritte nachatlantische Zeitraum hatte, nicht zur Phantasie destillierte Imaginationen, sondern freie Imaginationen, in denen man sich so frei bewegt, wie sich der Mensch sonst nur in seinem Verstande frei bewegt. Daraus, daß diese zwei Fähigkeiten entwickelt werden, wird sich ergeben das rechte Entwickeln der Bewußtseinsseele des fünften nachatlantischen Zeitraums.

Goethe hat sehr schön empfunden das reine Anschauen, das er im Gegensatz zum Materialismus bezeichnet hat mit seinem Urphänomen. Sie können in Goethes Schriften und in meinen Erklärungen dazu über dieses Urphänomen viel gesprochen finden. Es ist die reine Anschauung der Wirklichkeit, dieses Urphänomen. Aber Goethe hat nicht nur den ersten Anstoß gegeben zu einer visionsfreien sinnlichen Beobachtung im Urphänomen, sondern er hat auch den ersten Anstoß gegeben zur freien Imagination; denn gerade das, was wir in seinem «Faust» gefunden haben, wenn es auch noch nicht weit ist in geisteswissenschaftlicher Beziehung, wenn es auch noch in gewisser Weise instinktiv nur im Verhältnis zur Geisteswissenschaft ist, es ist doch der erste Anstoß des freien imaginativen Lebens, denn es ist nicht bloß eine Phantasiewelt. Wir haben gesehen, wie tief wirklich diese Phantasiewelt ist, die in freien Imaginationen in diesem wunderbaren Faust-Drama entwickelt wird. So allerdings haben wir dem Urphänomen gegenüber das, was Goethe das typische intellektuelle Anschauen nennt.“ (Lit.:GA 171, S. 34f)

„Dieser Weg in die Imagination hinein, er kann so vollzogen werden, angemessen unserer abendländischen Zivilisation, daß man versucht, sich ganz nur der äußeren phänomenologischen Welt hinzugeben, diese unmittelbar auf sich wirken zu lassen mit Ausschluß des Denkens, aber so, daß man sie doch aufnimmt. Nicht wahr, unser gewöhnliches Geistesleben im wachen Zustande verläuft ja so, daß wir wahrnehmen und eigentlich immer im Wahrnehmen schon das Wahrgenommene mit Vorstellungen durchtränken, im wissenschaftlichen Denken ganz systematisch das Wahrgenommene mit Vorstellungen verweben, durch Vorstellungen systematisieren und so weiter. Dadurch, daß man sich ein solches Denken angeeignet hat, wie es allmählich hervortritt im Verlaufe der «Philosophie der Freiheit», kommt man nun wirklich in die Lage, so scharf innerlich seelisch arbeiten zu können, daß man, indem man wahrnimmt, ausschließt das Vorstellen, daß man das Vorstellen unterdrückt, daß man sich bloß dem äußeren Wahrnehmen hingibt. Aber damit man die Seelenkräfte verstärke und die Wahrnehmungen im richtigen Sinne gewissermaßen einsaugt, ohne daß man sie beim Einsaugen mit Vorstellungen verarbeitet, kann man auch noch das machen, daß man nicht im gewöhnlichen Sinne mit Vorstellungen diese Wahrnehmungen beurteilt, sondern daß man sich symbolische oder andere Bilder schafft zu dem mit dem Auge zu Sehenden, mit dem Ohre zu Hörenden, auch Wärmebilder, Tastbilder und so weiter. Dadurch, daß man gewissermaßen das Wahrnehmen in Fluß bringt, dadurch, daß man Bewegung und Leben in das Wahrnehmen hineinbringt, aber in einer solchen Weise, wie es nicht im gewöhnlichen Vorstellen geschieht, sondern im symbolisierenden oder auch künstlerisch verarbeitenden Wahrnehmen, dadurch kommt man viel eher zu der Kraft, sich von der Wahrnehmung als solcher durchdringen zu lassen. Man kann sich ja schon gut vorbereiten für eine solche Erkenntnis bloß dadurch, daß man wirklich im strengsten Sinne sich heranerzieht zu dem, was ich charakterisiert habe als den Phänomenalismus, als das Durcharbeiten der Phänomene. Wenn man wirklich an der materiellen Grenze des Erkennens getrachtet hat, nicht in Trägheit durchzustoßen durch den Sinnesteppich und dann allerlei Metaphysisches da zu suchen in Atomen und Molekülen, sondern wenn man die Begriffe verwendet hat, um die Phänomene anzuordnen, um die Phänomene hin zu verfolgen bis zu den Urphänomenen, dann bekommt man dadurch schon eine Erziehung, die dann auch alles Begriffliche hinweghalten kann von den Phänomenen. Und symbolisiert man dann noch, verbildlicht man die Phänomene, dann bekommt man eine starke seelische Macht, um gewissermaßen die Außenwelt begriffsfrei in sich einzusaugen.“ (Lit.:GA 322, S. 113f)

Auf diese Weise offenbart sich, was übersinnlich in den Sinneseindrücken wirkt und den Menschen von der Geburt an von aussen organisiert durch das, was der Kosmos uns gibt.

„Wärme ist noch etwas anderes als Wärme, Licht ist etwas anderes als Licht im physischen Sinne, Ton ist etwas anderes als Ton im physischen Sinne. Indem wir Sinneseindrücke haben, ist zwar nur dasjenige bewußt, was zunächst, ich möchte sagen, der äußere Ton, die äußere Farbe ist. Aber durch diese Hingebung wirkt nicht dasjenige, wovon eine moderne Physik oder Physiologie träumt, Ätherbewegungen, Atombewegungen und dergleichen, sondern es wirkt Geist, es wirken die Kräfte, die uns erst hier in der physischen Welt zwischen Geburt und Tod zu dem machen, was wir als Menschen sind. Und indem wir solche Erkenntniswege antreten, wie ich sie charakterisiert habe, werden wir gewahr, wie wir aus der äußeren Welt heraus organisiert werden. Wir verfolgen bewußt, was in uns leibt und lebt, indem wir vor allen Dingen nun einen deutlichen Sinn dafür bekommen, daß in der Außenwelt Geist vorhanden ist. Gerade durch die Phänomenologie gelangen wir dazu, deutlich zu sehen, wie in der Außenwelt Geist ist. Nicht wenn wir eine abstrakte Metaphysik treiben, sondern gerade durch die Phänomenologie gelangen wir zu der Erkenntnis des Geistes, indem wir wahrnehmen, wenn wir das zur Bewußtheit erheben, was wir sonst unbewußt tun, indem wir wahrnehmen, wie durch die Sinneswelt das Geistige in uns eindringt und uns selber organisiert.“ (S. 116)

Beispiele

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Cicero: De Oratore, Liber III: XLI: 163.
  2. Facilius enim ad ea, quae visa, quam ad illa, quae audita sunt, mentis oculi feruntur.“, J. S. Watson (trans. and ed.): Cicero on Oratory and Orators, Harper & Brothers, (New York), 1875: Book III, C.XLI, p.239.
  3. Vgl. C. G. Jungs Definition von Symbol in seinem Buch "Psychologische Typen". Das S[ymbol] drückt einen "geahnten, aber noch unbekannten Sachverhalt" aus.
  4. Es ist kein Zufall, daß Sie auf Seite 13 Plato zitiert haben.