Geistesmensch

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Der Geistesmensch bzw. Geistmensch (eng. spirit man), seltener auch Geistkörper genannt, ist nach der Terminologie Rudolf Steiners das dritte und höchste geistige Wesenglied des Menschen. Es macht ihn zu einem selbstständigen Wesen in der Geisteswelt, so wie er durch seinen physischen Leib ein selbstständiges Wesen in der physischen Welt ist. Der Geistesmensch ist dem Menschen zunächst von höheren Mächten verliehen und wurde schon auf dem alten Saturn veranlagt. Indem das menschliche Ich verwandelnd bis in den physischen Leib hineinwirkt, erfüllt es sich nach und nach mit den schöpferischen geistigen Kräften, selbst den Geistesmenschen in seiner individuellen Form zu schaffen. Ihm entspricht Atma nach der indisch-theosophischen Lehre und Jechidah (hebr. יחידה) nach der jüdischen Kabbala, das als zentriert in der obersten Sephira Kether (Krone) gedacht wird. Der Begriff «Atma» wird erstmals im Katha-Upanishad erwähnt:

Ein Wagenfahrer ist, wisse,
Der Atman, Wagen ist der Leib,
Den Wagen lenkend ist Buddhi
Manas, wisse, der Zügel ist.

Katha-Upanishad: 3,3[1]

Die Verwandlung des physischen Leibes zum Geistesmenschen

„Mit der Arbeit am Astralleib und am Ätherleib ist aber die Tätigkeit des Ich noch nicht erschöpft. Diese erstreckt sich auch auf den physischen Leib. Einen Anflug von dem Einflusse des Ich auf den physischen Leib kann man sehen, wenn durch gewisse Erlebnisse zum Beispiel Erröten oder Erbleichen eintreten. Hier ist das Ich in der Tat der Veranlasser eines Vorganges im physischen Leib. Wenn nun durch die Tätigkeit des Ich im Menschen Veränderungen eintreten in bezug auf seinen Einfluß im physischen Leibe, so ist das Ich wirklich vereinigt mit den verborgenen Kräften dieses physischen Leibes. Mit denselben Kräften, welche seine physischen Vorgänge bewirken. Man kann dann sagen, das Ich arbeitet durch eine solche Tätigkeit am physischen Leibe. Es darf dieser Ausdruck nicht mißverstanden werden. Die Meinung darf gar nicht aufkommen, als ob diese Arbeit etwas Grob-Materielles sei. Was am physischen Leibe als das Grob-Materielle erscheint, das ist ja nur das Offenbare an ihm. Hinter diesem Offenbaren liegen die verborgenen Kräfte seines Wesens. Und diese sind geistiger Art. Nicht von einer Arbeit an dem Materiellen, als welches der physische Leib erscheint, soll hier gesprochen werden, sondern von der geistigen Arbeit an den unsichtbaren Kräften, welche ihn entstehen lassen und wieder zum Zerfall bringen. Für das gewöhnliche Leben kann dem Menschen diese Arbeit des Ich am physischen Leibe nur mit einer sehr geringen Klarheit zum Bewußtsein kommen. Diese Klarheit kommt im vollen Maße erst, wenn unter dem Einfluß der übersinnlichen Erkenntnis der Mensch die Arbeit bewußt in die Hand nimmt. Dann aber tritt zutage, daß es noch ein drittes geistiges Glied im Menschen gibt. Es ist dasjenige, welches der Geistesmensch im Gegensatze zum physischen Menschen genannt werden kann. (In der morgenländischen Weisheit heißt dieser «Geistesmensch» das «Atma».) Man wird in bezug auf den Geistesmenschen auch dadurch leicht irregeführt, daß man in dem physischen Leibe das niedrigste Glied des Menschen sieht und sich deswegen mit der Vorstellung nur schwer abfindet, daß die Arbeit an diesem physischen Leibe zu dem höchsten Glied in der Menschenwesenheit kommen soll. Aber gerade deswegen, weil der physische Leib den in ihm tätigen Geist unter drei Schleiern verbirgt, gehört die höchste Art von menschlicher Arbeit dazu, um das Ich mit dem zu einigen, was sein verborgener Geist ist.“ (Lit.:GA 13, S. 75)

„Es gibt etwas, was noch schwerer unter die Gewalt des freien Willens zu bekommen ist als unsere Gewohnheiten, als Seelenregungen: das ist der physische Leib in seiner animalischen und vegetativen, mechanischen oder reflektorischen Abhängigkeit. Es gibt eine Stufe menschlicher Entwickelung, in der kein Nerv sich betätigt, kein Blutkügelchen rollt ohne des Menschen bewußten Willen. Diese Selbstumwandlung greift in Verhältnisse und Zustände hinein, die lange, lange vor Atlantis und Lemurien fixiert wurden, dementsprechend also am gewohnheitshärtesten, am schwersten reversierbar sind: in kosmische Urzustände. In dieser Arbeit entwickelt der Mensch Atman, den Geistesmenschen. Die Anlage dazu ist heute in jedem Menschen vorhanden. Dieser ganze Kreislauf hängt ab von der Erlangung des vollklaren Ich-Bewußtseins.

Die stärksten, mächtigsten Gesetze sind diejenigen des Atmungsprozesses. Der ganze Geistesmensch hängt ab von der Lungenatmung, denn sie ist der äußere Ausdruck des allmählichen Einziehens des Ich. In der alten atlantischen Zeit kam diese Anlage dann heraus durch das Ich-Sagen. In Lemurien atmete der Mensch nicht durch Lungen, sondern durch kiemenartige Organe. Auch ging er nicht wie heute, sondern schwebte oder schwamm in dem mehr flüssigen Element, wo Wasser und Luft noch ungetrennt waren. Zur Gleichgewichtserhaltung hatte er ein der Fisch-Schwimmblase analoges Organ. Je mehr die Luft allmählich sich absonderte, desto mehr wandelte diese Schwimmblase sich um zu unserer heutigen Lunge. Parallel der Lungenentwickelung geht die Erarbeitung des Ich-Bewußtseins. Das liegt noch in dem Wort: «Und Gott blies dem Menschen seinen Odem ein, und er ward eine lebendige Seele.» (1 Mos 2,7 LUT) Atman heißt nichts anderes als «Atem». Die Regulierung des Atems ist daher eines der stärksten Hilfsmittel in der Jogaarbeit, die alle Leibesfunktionen beherrschen lehrt. Hiermit blicken wir in eine Zukunft, in der die Menschen sich von innen heraus umgestaltet haben werden.“ (Lit.:GA 94, S. 241f)

Auch in der Rosenkreuzer-Schulung spielt die Regulation des Atems ab dem 4. Schulungsgrad (Bereitung des «Steins der Weisen») eine bedeutsame Rolle, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass sich das Menschenwesen seit der urindischen Zeit grundlegend verändert hat und daher die Atemregulierung nicht mehr auf die gleiche Art wie in der alten Yoga-Schulung durchgeführt werden darf.

Die erste Anlage des Geistesmenschen wurde wie bereits erwähnt auf dem alten Saturn geschaffen, wo auch die Grundlage für den physischen Leib des Menschen gelegt wurde, aber die vollständige Vergeistigung des physischen Leibes zum Geistesmenschen wird erst ganz am Ende der planetarischen Entwicklungskette vollzogen werden. Rudolf Steiner hat diesen planetarischen Zustand als Vulkan bezeichnet (siehe → Weltentwicklungsstufen).

Die höheren geistigen Wesensglieder der gesamten Menschheit fließen ineinander:

„Die höheren Körper fließen ineinander; zum Beispiel ist Atma in Wahrheit bei der ganzen Menschheit nur eines, wie eine gemeinschaftliche Atmosphäre. Doch ist das Atma des einzelnen Menschen so zu fassen, wie wenn sich jeder ein Stück für sich aus dem allgemeinen Atma herausschneidet, so daß gleichsam Einschnitte darin gemacht werden. Aber diese Sonderheit müssen wir überwinden. Das tun wir, indem wir menschliche Beziehungen rein seelischer Art anknüpfen. Dadurch heben wir das Sondersein auf und erkennen die Einheit des Atma in allen. Indem ich solche menschliche Beziehungen anknüpfe, erwecke ich Sympathien in mir selbst. Ich übernehme da die Arbeit, mich selbstlos dem Weltenplane einzufügen. Dadurch erwacht im Menschen das Göttliche.“ (Lit.:GA 93a, S. 108)

Je der Mensch in sich sein höchstes geistiges Wesensglied, den Geistesmenschen, entwickelt, desto deutlicher hebt er sich als eigenständige unverwechselbare geistige Individualität aus der Geisteswelt heraus:

„Und ebenso wie innerhalb der physischen Welt der einzelne menschliche Körper als eine abgesonderte Wesenheit aufgebaut wird, so innerhalb der Geisteswelt der Geistkörper. Es gibt in der Geisteswelt für den Menschen ebenso ein Innen und Außen wie in der physischen Welt. Wie der Mensch aus der physischen Umwelt die Stoffe aufnimmt und sie in seinem physischen Leib verarbeitet, so nimmt er aus der geistigen Umwelt das Geistige auf und macht es zu dem Seinigen. Das Geistige ist die ewige Nahrung des Menschen. Und wie der Mensch aus der physischen Welt geboren ist, so wird er aus dem Geiste durch die ewigen Gesetze des Wahren und Guten geboren. Er ist von der außer ihm befindlichen Geisteswelt abgetrennt, wie er von der gesamten physischen Welt als ein selbständiges Wesen abgetrennt ist. Diese selbständige geistige Wesenheit sei «Geistmensch» genannt.

Wenn wir den physischen Menschenkörper untersuchen, finden wir in ihm dieselben Stoffe und Kräfte, die außerhalb desselben in der übrigen physischen Welt vorhanden sind. So ist es auch mit dem Geistmenschen. In ihm pulsieren die Elemente der äußeren Geisteswelt, in ihm sind die Kräfte der übrigen Geisteswelt tätig. Wie in der physischen Haut ein Wesen in sich abgeschlossen wird, das lebend und empfindend ist, so auch in der Geisteswelt. Die geistige Haut, die den Geistmenschen von der einheitlichen Geisteswelt abschließt, ihn innerhalb derselben zu einem selbständigen Geisteswesen macht, das in sich lebt und intuitiv den Geistesinhalt der Welt wahrnimmt, – diese «geistige Haut» sei Geisteshülle (aurische Hülle) genannt. Nur muß festgehalten werden, daß diese «geistige Haut» sich fortdauernd mit der fortschreitenden menschlichen Entwickelung ausdehnt, so daß die geistige Individualität des Menschen (seine aurische Hülle) einer unbegrenzten Vergrößerung fähig ist.

Innerhalb dieser Geisteshülle lebt der Geistesmensch. Dieser wird durch die geistige Lebenskraft in demselben Sinne auferbaut, wie der physische Leib durch die physische Lebenskraft. In ähnlicher Weise, wie man von einem Ätherleib spricht, muß man daher von einem Athergeist in bezug auf den Geistesmenschen sprechen. Dieser Äthergeist sei Lebensgeist genannt. – In drei Teile gliedert sich also die geistige Wesenheit des Menschen: in den Geistmenschen, den Lebensgeist und das“ (Lit.:GA 9, S. 53)

Begegnung mit dem Geistesmenschen um die Lebensmitte

So wie der Mensch täglich seinem Geistselbst täglich im Schlaf und dem Lebensgeist jährlich zur Weihnachtszeit begegnet, so begegnet er um die Lebensmitte, etwa zwischen dem 28. und 42. Lebensjahr, seinem werdenden Geistesmenschen bzw. dem Vater-Prinzip. Diese Begegnung ist insbesondere später für sein nachtodliches Leben bedeutsam.:

„Eine dritte Begegnung ist diejenige, in welcher der Mensch herankommt, nahekommt dem ganz spät in der Zukunft zu entwickelnden eigentlichen Geistesmenschen, vermittelt durch ein Wesen der Hierarchie der Archai. Wir können sagen: Die Alten, und auch noch die Menschen der Gegenwart - nur daß die Menschen der Gegenwart meist, wenn sie von diesen Dingen sprechen, nicht mehr ein Bewußtsein von der tieferen Wahrheit der Sache haben -, sie empfanden und empfinden diese Begegnung als die Begegnung mit dem, was die Welt durchdringt, was wir kaum mehr unterscheiden können in uns selbst und in der Welt, sondern wo wir aufgehen mit unserem Selbst in der Welt als in einer Einheit. Und so wie man bei der zweiten Begegnung zugleich sprechen kann von einer Begegnung mit dem Christus Jesus, so kann man bei der dritten Begegnung sprechen von der Begegnung mit dem Vater-Prinzip, mit dem «Vater» als dem der Welt zugrunde Liegenden; mit dem, was man empfindet, wenn man richtig empfindet, als das, was in den Religionen mit dem «Vater» gemeint ist. Diese Begegnung, die ist nun wiederum so, daß sie unser intimes Verhältnis zum Makrokosmos, zum göttlich-geistigen Universum offenbart. Der tägliche Verlauf der universellen Vorgänge, der Weltenvorgänge, schließt ein für uns die Begegnung mit dem Genius. Der jährliche Verlauf schließt ein für uns die Begegnung mit dem Christus Jesus. Und der Verlauf des ganzen Menschenlebens, dieses Menschenlebens, das normalerweise eben als das Patriarchenleben von 70 Jahren bezeichnet werden kann, schließt sich zusammen mit der Begegnung mit dem Vater-Prinzip. Wir werden eine gewisse Zeit unseres physischen Erdenlebens, mit Recht durch die Erziehung heute vielfach unbewußt, aber doch eben darauf vorbereitet und erleben dann - zumeist für die Menschen zwischen dem 28. und 42. Jahre unbewußt, aber in den intimen Tiefen der Seele vollwertig - die Begegnung mit diesem Vater-Prinzip. Dann kann die Nachwirkung in das spätere Leben hineinragen, wenn wir feine Empfindungen genug entwickeln, um auf das zu achten, was so in unser Leben aus uns selber kommend als Nachwirkung der Begegnung mit dem Vater-Prinzip hereinspielt [...]

Dieses Begegnen mit dem Vater-Prinzip, das in den angedeuteten Jahren normalerweise eintritt, bedeutet, daß der Mensch eine starke Kraft und Stütze hat, wenn er, wie wir wissen, zurückzuleben hat, nachdem er durch die Todespforte geschritten ist, im Rücklauf seelisch seinen Lebensgang, sein Erdenleben, indem er durch die Seelenwelt geht. Und stark und kräftig, wie es eigentlich der Mensch soll, kann er diese Rückwanderung - die, wie wir wissen, einen dritten Teil der Zeit bedeutet, die wir zubringen zwischen der Geburt und dem Tode - erleben, wenn er immer wieder schaut: Da, an dieser Stelle bist du begegnet demjenigen Wesen, das der Mensch stammelnd, ahnend ausdrückt, wenn er von dem Vater der Weltenordnung spricht. Das ist eine wichtige Vorstellung, die neben der Vorstellung des Todes selber der Mensch, nachdem er durch die Todespforte geschritten ist, immer haben soll.

Natürlich entsteht in Anbetracht dessen, was wir gerade besprochen haben, eine wichtige Frage. Es gibt Menschen, welche, bevor sie des Lebens Mitte, wo normalerweise die Begegnung mit dem Vater-Prinzip geschieht, durchlaufen haben, sterben. Wir müssen den Fall ins Auge fassen, daß der Mensch eben dann durch Veranlassung von außen, durch Krankheit - die ja auch eine Veranlassung von außen ist -, durch Schwäche stirbt. Wenn durch dieses frühe Sterben die Begegnung mit dem Vater-Prinzip in den tiefen unterbewußten Seelengründen noch nicht hat stattfinden können, dann findet sie in der Todesstunde statt. Mit dem Tode wird diese Begegnung zugleich erlebt. Und hier ist es, wo wir anders ausdrücken können etwas, was ja, eben wieder anders, im entsprechenden Zusammenhang schon ausgedrückt ist zum Beispiel in meiner «Theosophie», wo von der ja immer im höchsten Grade betrüblichen Erscheinung gesprochen ist, daß Menschen durch ihren eigenen Willen ihrem Leben ein Ende machen. Das würde keiner tun, der die Bedeutung einer solchen Tat einsieht. Und wenn einmal Geisteswissenschaft wirklich in die Empfindungen der Menschen übergegangen sein wird, wird es keinen Selbstmord mehr geben. Denn daß der Mensch in der Todesstunde, wenn dieser Tod vor der Lebensmitte eintritt, zugleich wahrnehmen kann das Vater-Prinzip, das hängt davon ab, daß eben der Tod von außen an ihn herankommt, nicht daß er ihn sich selbst gibt.“ (Lit.:GA 175, S. 62ff)

Literatur

Literaturangaben zum Werk Rudolf Steiners folgen, wenn nicht anders angegeben, der Rudolf Steiner Gesamtausgabe (GA), Rudolf Steiner Verlag, Dornach/Schweiz Email: verlag@steinerverlag.com URL: www.steinerverlag.com.
Freie Werkausgaben gibt es auf steiner.wiki, bdn-steiner.ru, archive.org und im Rudolf Steiner Online Archiv.
Eine textkritische Ausgabe grundlegender Schriften Rudolf Steiners bietet die Kritische Ausgabe (SKA) (Hrsg. Christian Clement): steinerkritischeausgabe.com
Die Rudolf Steiner Ausgaben basieren auf Klartextnachschriften, die dem gesprochenen Wort Rudolf Steiners so nah wie möglich kommen.
Hilfreiche Werkzeuge zur Orientierung in Steiners Gesamtwerk sind Christian Karls kostenlos online verfügbares Handbuch zum Werk Rudolf Steiners und Urs Schwendeners Nachschlagewerk Anthroposophie unter weitestgehender Verwendung des Originalwortlautes Rudolf Steiners.

Einzelnachweise

  1. Paul Deussen, Upanishaden, S. 353