Blaublindheit der Griechen

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Rudolf Steiner hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Griechen der Antike das Farbspektrum noch ganz anders wahrgenommen hätten als der heutige Mensch; sie wären blaublind und vorwiegend nur empfänglich für die rot-gelbe Seite des Spektrums gewesen. Erst als der Intellekt immer stärker heraufkam, differenzierte sich die Wahrnehmung für die blau-violetten Farbtöne:

„Dieses Vorurteil ist ja allerdings ein recht begreifliches, das darin besteht, daß man annimmt, so, wie wir heute die Welt sehen, habe man sie immer gesehen. Aber selbst äußerliche Tatsachen beweisen für den, der nur solche Beweise haben will, mit aller nur nötigen Klarheit, daß selbst schon die Griechen - wir brauchen also nicht weit zurückzugehen in der Entwickelung der Menschheit - die den Menschen umgebende Natur anders gesehen haben als wir. Geisteswissenschaft kommt durch das geistige Schauen mit voller Klarheit darauf; aber auf das, was in dieser Beziehung Geistesschau mit voller Klarheit an die Oberfläche bringt, kann man auch schon durch die äußere Erkenntnis der physischen Tatsachen kommen, wenn man in der griechischen Literatur Umschau hält und die eigentümliche Tatsache bemerkt, daß die Griechen ein Wort hatten für Grün: chloros. Aber kurioserweise bezeichneten sie mit demselben Worte, das sie für das, was wir Grün nennen, anwendeten, den gelben Honig und die gelben Blätter im Herbst; die gelben Harze bezeichneten sie so. Die Griechen hatten ein Wort, welches sie gebrauchten, wenn sie dunkle Haare benennen wollten; mit demselben Wort bezeichneten sie den Stein Lapislazuli, den blauen Stein. Niemand wird annehmen können, daß die Griechen blaue Haare hatten. Solche Dinge kann man wirklich bis zu einem hohen Grade von Beweiskraft bringen, und man sieht daraus, daß die Griechen einfach als Volk Gelb von Grün nicht unterschieden haben, Blau als Farbe nicht so bemerkt haben wie wir, daß sie alles lebendig nach dem Rötlichen, nach dem Gelblichen hin gesehen haben. Das alles wird noch bekräftigt dadurch, daß uns die römischen Schriftsteller erzählen, die griechischen Maler hätten mit nur vier Farben gemalt, mit Schwarz und Weiß, mit Rot und Gelb.

Wenn wir nach unseren heutigen Erfahrungen der Farbenlehre urteilen, so müssen wir sagen: Eine wesentliche Eigenschaft der Griechen war, daß sie blaublind waren, daß sie auch die blaue Nuance in dem Grün nicht gesehen haben, sondern nur die gelbe Nuance. Die ganze Umgebung war für die Griechen viel feuriger, weil sie alles nach dem Rötlichen hin gesehen haben. Bis in diese Art, zu sehen, geht dasjenige, was Entwickelungsmetamorphosen in der Menschheit sind. Wie gesagt, man kann das äußerlich zeigen. Die Geistesschau zeigt es mit aller Deutlichkeit, daß der Grieche sein ganzes Farbenspektrum nach der Rotseite hin verschoben hatte und nicht empfand nach der blauen und violetten Seite hin. Das Violett sah er viel röter, als wir es sehen, als es der heutige Mensch sieht. Würden wir nach unserer heutigen Augenvorstellung die Landschaft malen, die der Grieche gesehen hat, so müßten wir sie eben mit ganz anderen Farben malen, als wir heute gewöhnt sind. Und das, was wir als Natur sehen, kannte der Grieche nicht, und dasjenige, was der Grieche als Natur sah, kennen wir nicht. Die Entwickelung der Menschheit schreitet eben metamorphosisch vorwärts, und das Wesentliche ist, daß die Zeit, in der der Intellektualismus heraufgestiegen ist, in der der Mensch nachdenklich wurde - der Grieche war nicht nachdenklich, der Grieche lebte gegenständlich in der natürlichen Welt -, die gleiche Zeit ist, in der sich umsetzte die Empfindung für die dunkle Farbe, für das Blaue, für das Blau-Violette. Nicht verändert sich bloß das Innere der Seelen, sondern es verändert sich auch dasjenige, was von der Seele in die Sinne hineinlebt.198“ (Lit.:GA 16ff)

„Veränderungen der Farbenwahrnehmung und des Denkprozesses im Laufe der Geschichte

Aus einer Fragenbeantwortung, Dornach, 24. März 1920

Frage: Wie hängt die Veränderung der Sinneswahrnehmung zusammen mit der Denkveränderung bei den Griechen, die gemäß dem Buch «Die Rätsel der Philosophie» noch eine viel bildhaftere Wahrnehmung hatten?

Antwort: Der Denkprozeß, wie er sich bei den Griechen äußert -ich versuchte ihn darzustellen in meinen «Rätseln der Philosophie» -, der Denkprozeß der Griechen war auch ein etwas ande rer, als unser Denkprozeß ist. Unser Denkprozeß ist der, daß wir uns einer gewissen Aktivität der Gedanken, mit denen wir die äußeren Tatsachen begleiten, bewußt sind, daß wir durch diese Aktivität der Gedanken, der wir uns bewußt sind, uns zuschrei ben die Bildung der Gedanken und dem Objektiven nur zuschrei ben den Sinneseindruck. Das war bei den Griechen anders. Im griechischen Bewußtsein lebte durchaus - Sie können das leicht, wenn Sie mit unbefangenem Urteil auf die griechischen Philosophen hinsehen, nachweisen - ein deutliches Bewußtsein davon, daß der Grieche, ebenso wie er Farben sieht, auch die Gedanken als an den Dingen seiend sieht, daß er die Gedanken wahrnimmt. Der Grieche erlebte den Gedanken als etwas Wahrgenommenes, nicht als etwas bloß aktiv Ausgebildetes. Und daher waren die Griechen eigentlich nicht in dem Sinne, wie wir es sind, ein nachdenkliches Volk. Nachdenklich sind die Menschen eigentlich erst seit der Mitte des 15.Jahrhunderts geworden. Der Denkprozeß hat sich verinnerlicht. Er hat sich gleichzeitig mit dem Gang des Sinnesprozesses verinnerlicht. Die Griechen sahen, ich möchte sagen, mehr auf den aktiven Teil des Spektrums, auf die rote, warme Seite hin und empfanden nur undeutlich die kalte, blaue Seite des Spektrums. Und wir haben ganz gewiß eine ganz andere Vorstellung von der roten und warmen Seite des Spek trums, die wir außerdem viel mehr gegen das Grüne hin zusam mengeschoben vorstellen als die Griechen, die es über unser äu ßerstes Rot hinaus noch sensitiv verfolgten. Es war das griechische Spektrum ganz nach der roten Seite verschoben. Die Griechen sahen daher auch den Regenbogen anders als wir. Dadurch, daß wir unsere Sensitivität mehr nach dem chemischen Teil des Spektrums hin verschoben haben, wenden wir gewissermaßen unsere Aufmerksamkeit dem Dunklen zu. Und das ist schon etwas wie das Eingehen in eine Art von Dämmerung; da wird man nach denklich. Wenn ich es jetzt mehr bildhaft und durch Analogien vorstelle, so stoßen Sie sich nicht daran. Es liegt dem eben doch ein sehr realer Vorgang der menschheitlichen Entwickelung zu grunde. Mit dem Hinüberschieben der Sensitivitat von dem war men nach dem chemischen, dem dunklen Teil des Spektrums, tritt etwas ähnliches in der ganzen Menschheitsentwickelung ein wie bei einem Menschen, der aus dem vollen Hellen heraus die Däm merung erlebt, wo er anfängt, mehr auf sich angewiesen zu sein, den inneren Gedankenweg zu verfolgen und nachdenklich wird. Es denkt sich, möchte ich sagen, in der Dämmerung, im Dunklen aktiver, als es sich denkt, wenn die Sensitivität auf die lebendigen, auf die lebhaften, warmen Farben hingerichtet ist, wo man mehr in der Außenwelt lebt, mehr miterlebt dasjenige, was in der Au ßenwelt ist. Der Grieche ging mit seinem ganzen Denken mehr in der Außenwelt auf. Er sah daher auch seine Gedanken in der Außenwelt. Der moderne Mensch, der das ganze Spektrum-An schauen mehr nach dem dunklen Teile hin verlegt hat, der kann seine Gedanken nicht in der Außenwelt sehen. Geradeso, wie wenn man in der Nacht wach liegt und es ringsherum finster ist, man nicht irgendwie behaupten wird, daß dasjenige, was die Seele belebt, äußerlich gesehen wird, sondern man weiß, das geht in der Seele vor - geradeso geht das, was der Mensch erlebt seit der Verschiebung des Spektrum-Anschauens mehr nach dem dunklen Teile hin, in der Seele vor und man kann sagen: Es ist eine Verschiebung des Denkens eingetreten seit der griechischen Zeit. Solche Dinge ergeben sich der Forschung der Geisteswissenschaft.“ (Lit.:GA 291a, S. 151ff)

„Zur so genannten Blaublindheit der Griechen

Aus einer Fragenbeantwortung, Dornach, 24. März 1920

Frage: Ist die Blaublindheit der Griechen etwas, was nur mit der individuellen Entwickelung dieses Volkes zu tun hat, oder ist es vielleicht etwas, was im allgemeinen Entwickelungsgang einer Rasse oder eines Volkes auftritt, also was einem gewissen Alter dieser Rasse entsprechen würde? Wie ist es zum Beispiel mit den Chinesen, von denen man doch aus sehr früher Zeit schon Darstellungen hat in blauen Farben? Kommen da andere Dinge noch in Frage?

Antwort: Was die Blaublindheit der Griechen betrifft, so bitte ich vor allem zu berücksichtigen, daß ich wirklich nur auf eine soge nannte Blaublindheit hinweisen möchte. Es ist mehr ein Sensitiv-sein der Griechen für die hellen, warmen Farben und ein weniger Interesse haben für die dunklen, für die blauen, kalten Farben. Und man muß sich klar sein darüber, daß der Prozeß selber, der da stattfindet, für das griechische Volk ein viel seelischerer gewe sen ist als bei den heutigen partiell Blaublinden. Es ist nur ein Analogon, aber es ist eben doch durchaus bei den Griechen diese seelische Blaublindheit so stark vorhanden gewesen, daß wir es in der griechischen Sprache nachweisen können. Das haben Sie aber wohl schon aus dem Vortrage entnehmen können, daß ich das nicht als eine individuelle Eigenschaft des griechischen Volkes anzuschauen bitte, sondern als etwas, was in einem bestimmten Zeitraum einer Volksentwickelung überhaupt auftritt. Selbstver ständlich muß da genau ins Auge gefaßt werden, daß ja dasjenige, was als Völker auf der Erde nebeneinander lebt, nicht in absolut gleichen Zeiträumen auch seine entsprechende Epoche hat. Man muß sich klar darüber sein, daß zum Beispiel das chinesische Volk längst über den Zeitraum der Blaublindheit hinaus war, als es in die Geschichte eintrat. Also man muß gewissermaßen die Zeit räume nebeneinander geschichtet empfinden; dann wird man das, was ich gesagt habe, im richtigen Lichte sehen.“ (Lit.:GA 291a, S. 153f)

Blaublindheit und Denken

Siehe auch: Farbwahrnehmung

„Der Grieche erlebte den Gedanken als etwas Wahrgenommenes, nicht als etwas aktiv Ausgebildetes. Und daher waren die Griechen eigentlich nicht ein nachdenkliches Volk in dem Sinne, wie wir es sind. Nachdenklich sind die Menschen eigentlich erst geworden seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Denkprozeß hat sich verinnerlicht. Er hat sich verinnerlicht gleichzeitig mit dem Gang des Sinnesprozesses. Die Griechen sahen, ich möchte sagen mehr auf den aktiven Teil des Spektrums hin, auf die rote, die warme Seite des Spektrums; sie empfanden nur undeutlich die kalte, blaue Seite des Spektrums. Und wir haben heute ganz gewiß eine ganz andere Vorstellung von der roten und warmen Seite des Spektrums, wir sehen es viel mehr gegen das Grüne hin verschoben als die Griechen, die es über unser äußerstes Rot hinaus noch sensitiv verfolgten. Es war das griechische Spektrum ganz nach der roten Seite verschoben. Die Griechen sahen daher auch den Regenbogen anders als wir. Und dadurch, daß wir mehr nach der anderen Seite des Spektrums hin unsere Sensitivität verschoben haben, dadurch wenden wir gewissermaßen unsere Aufmerksamkeit dem Dunklen zu, und das ist schon etwas wie das Eingehen in eine Art von Dämmerung. Da wird man nachdenklich.“ (Lit.:GA 73a, S. 69)

„Wenn wir in die älteren Zeiten Griechenlands zurückgehen, da konnten die Menschen noch nicht so wie wir heute deutlich sinnlich die Farbe Blau sehen. Sie hatten nicht die Sinnesempfindung für die Farbe Blau, sie hatten vielmehr das Sinnesvermögen nach der anderen Seite ausgebildet, nach den lebhaften Farben, dem Rot und so weiter, so daß für die Griechen das Blau viel mehr ins Grünliche ging als für uns heute. Von diesem Gesichtspunkt aus muß man alles das auffassen, was die Alten empfanden. Man muß sich auch klar darüber sein, daß das aktive Denken zusammenhängt mit der in der Entwickelung der Menschheit heraufkommenden Blauempfindung. Wenn in älteren Schriften von Blau die Rede ist, so ist das immer ein Irrtum, denn das Erlebnis des Blau und damit auch das heutige aktive Verstandeserlebnis hatten diese Menschen nicht. Sie hatten nicht jene im Anschauen des Blau sich entwickelnde Hingabe an das Objektive, das Ausfließen des Ich in das Objektive, sie hatten viel mehr das [Erlebnis], das im Rot liegt, das vorn Objektiven nach dem Subjektiven [gehende], das sich aktiv von außen her Berührtfühlen und Aufnehmen, worin eben das Gewahrwerden des Göttlichen in den Objekten lag.“ (Lit.:GA 343a, S. 291)

Siehe auch

Literatur

  1. Rudolf Steiner: Fachwissenschaften und Anthroposophie, GA 73a (2005), ISBN 3-7274-0735-2 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
  2. Rudolf Steiner: Heilfaktoren für den sozialen Organismus, GA 198 (1984), Erster Vortrag, Dornach, 20. März 1920
  3. Rudolf Steiner: Farbenerkenntnis, GA 291a (1990)
  4. Rudolf Steiner: Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, II, GA 343a (1993), ISBN 3-7274-3430-9 pdf pdf(2) html mobi epub archive.org English: rsarchive.org
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