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Holokratie

Aus AnthroWiki

Holokratie (auch Holakratie; von altgriech. ὁλός, holosvollständig, ganz und κρατία, kratía‚ dt. -kratie, Herrschaft; im Englischen mit Lautangleichung: „Holacracy“) ist eine von dem Unternehmer Brian Robertson aus Philadelphia (USA) in seiner Firma Ternary Software Corporation entwickelte Systemik, die Entscheidungsfindungen „mit durch alle Ebenen hindurch gewünschter Transparenz und partizipativen Beteiligungsmöglichkeiten“ in großen Netzwerken und vielschichtigen Unternehmen eine günstige Struktur gibt.

Sample of a Holacracy driven Organisation (HolacracyOne on GlassFrog), 11-2016

Allgemeines

Holokratie intendiert, einer Organisation ein spezifisches, zentrales Regelwerk zu bieten: die „Holokratie-Verfassung“ („Holacracy Constitution“). Dieses Regelwerk ist unter einer offenen Lizenz verfügbar und wird kontinuierlich weiterentwickelt. Die Verfassung untergliedert sich in folgende fünf Kapitel:[1][2]

  1. „Rollen füllen“[3]
  2. „Kreisstruktur“[4]
  3. Governance-Prozess“[5]
  4. „Operativer Prozess“[6]
  5. „Adoption Matters“ („Angelegenheiten der Inkraftsetzung“)[7]

Die Entscheidungsfindung nach dem Prinzip der „Integrativen Entscheidungsfindung“ bildet die Basis der dynamischen Steuerung. Sie ist ein Prozess von häufigen und kleinen Kurskorrekturen an Stelle von monumentalen Grundsatzplanungen (angelehnt an das evolutionäre Prinzip der natürlichen Entwicklung). So können schwerfällige „bürokratische“ Prozesse umgangen werden, die sowohl in hierarchischen Organisationen als auch in konsensorientierten Gemeinschaften entstehen. Stattdessen wächst eine gegenwartsbezogene Handlungsfähigkeit.

Die Einführung dieser neuartigen Organisationsstruktur kann mehr Klarheit in die Arbeitsabläufe bringen, die Verantwortungsbereiche neu abstecken, Entscheidungen vereinfachen und dezentralisieren und nicht zuletzt die Kreativität und Arbeitsmoral der Mitarbeiter steigern sowie deren persönliche Entwicklung positiv unterstützen.

Vier wichtige Leitlinien von Holacracy

Doppelte Verbindung (double-linking)

Um eine klare Kommunikation zwischen den verschiedenstufigen Kreisen zu gewährleisten, arbeitet Holacracy mit double-linking: Jeder Kreis wählt einen (oder mehrere) Vertreter in den nächsthöheren Kreis, dem er angehört (Rep-Link), und jeweils einen (oder mehrere) Vertreter in die unteren Kreise, die ihm angehören (Lead-Link). Auch das Entsenden in die Nachbar-Kreise und deren Integration kann sinnvoll sein. Diese Vertreter geben aktuelle Informationen aus dem Kreis, aus dem sie kommen, und vertreten dessen Interessen im oberen/unteren Nachbar-Kreis. Sie sind bei Entscheidungen in den Kreisen gleichberechtigt (d. h. ihre Stimme muss gehört und integriert werden).

Auf diese Weise ist die Kommunikation und das Feedback nicht nur von „oben“ nach „unten“ wie in hierarchischen Organisationen, sondern auch von den Ausführenden zu den Planern, Managern, etc., also zwischen allen Mitwirkenden gewährleistet. Es wird allen am Prozess Beteiligten gleiches Gewicht gegeben, jedenfalls auf kommunikativer Ebene. („Oft werden sogar die Nutzer gefragt und ihre Wünsche berücksichtigt.“)

Ein anderes Modell der Verlinkung von Gruppen, allerdings nur mit einem Link und gedacht für die organisatorische Aufwärts-Integration, ist das Linking-Pin-Modell.

Trennung von Steuerungs- und operativen Treffen

Steuerung ist im holokratischen System in allen Elementen der Organisation verteilt. In den Steuerungstreffen, die jeder Kreis abhält, wird darüber nachgedacht und entschieden, wie man in dem Kreis zusammenarbeitet: Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse werden abgesteckt und vereinbart. Hier geht es um die Weiterentwicklung und Optimierung der Betriebsstruktur: was braucht der Betrieb für einen reibungslosen Ablauf? In Steuerungs-Meetings wird bewusst nicht über Ressourcenfragen (Geld, Zeit, Personal) entschieden.

Die operativen Treffen regeln – wie in vielen Betrieben – die Aktivitäten des Tagesgeschäfts.

Ein großer Vorteil dieser Trennung ist unter anderem, dass die Art der Zusammenarbeit mit viel Sorgfalt gepflegt und zu Ende gedacht werden kann, ohne zu früh von „zu wenig Zeit, kein Geld, kein Personal“ unterbunden zu werden.

Zuständigkeiten und Rollen

Holacracy legt Wert darauf, nicht in traditionellen Organigrammen und Ämterhierarchien, sondern in Rollen und Zuständigkeiten im Betriebsablauf zu arbeiten.

Konflikte entstehen oft da, wo Zuständigkeiten oder Rollen nicht oder mangelhaft geklärt sind. Wir denken, wir wüssten, wofür eine Bürokraft, der Putzdienst, Teamleiter/in, Einkäufer/in (als Beispiel für Rollen) zuständig sind. Wir erwarten, dass sie bestimmte Dinge tun, ohne das eindeutig mit ihnen vereinbart zu haben, und ärgern uns, wenn sie es nicht tun. - Das kann einen Betrieb viel Zeit und Geld kosten und belastet oft die Arbeitsatmosphäre. - In den Steuerungstreffen werden solche Konflikte und Spannungen für die Entwicklung und Optimierung der Betriebsstruktur genutzt.

Bestehende Zuständigkeiten und Rollen werden gemeinsam und präzise geklärt oder neue so geschaffen, dass alle für den Betrieb regelmäßig notwendigen Handlungen damit erfasst sind. Dies geschieht, bevor konkrete Personen diese annehmen oder diese ihnen vom Chef des Kreises (Leadlink), bei dem die Personal- und Budgetverantwortung liegt, zugewiesen werden oder im Team, bei gleichberechtigten Mitarbeitern bzw. Partnern.

Dynamische Steuerung

Wichtige Steuerungsentscheidungen werden in jedem Kreis mit „Integrativer Entscheidungsfindung“ getroffen, einer Entscheidungsart, bei der die Stimmen aller Beteiligten auf eine sachbezogene Weise einbezogen werden. Sie ist ausgerichtet auf brauchbare und korrigierbare, nicht auf optimale und grundsätzliche Entscheidungen.

Entscheidungen sind jederzeit änderbar, wenn sie sich in der Praxis nicht bewähren. In diesem Fall kann jeder einen neuen Vorschlag einbringen. Das erleichtert die Entscheidungsfindung: Nicht die perfekte Lösung wird gesucht, sondern eine brauchbare, und nicht für immer, sondern für jetzt mit den aktuell zur Verfügung stehenden Informationen.

Die permanente Beobachtung der Praxis während des Prozesses lässt die Details erkennen, die das Vorausdenken nicht erfassen konnte.

Holacracy in der Praxis

„Holacracy“ wurde von verschiedenen Firmen und Nonprofit-Organisationen weltweit implementiert.[8] Auch in Deutschland gibt es viele Beispiele

  • Hertie Energy & Environment Network: Alumni-Netzwerk[9].
  • Kiron: Nichtregierungsorganisation
  • Me & Company: Beratungsunternehmen[10]
  • Mein Grundeinkommen e.V.: Gemeinnütziger Verein zum bedingungslosen Grundeinkommen[11]
  • Soulbottles: Hersteller von plastik-freien Trinkflaschen[12]

Die größte Organisation, die das System umsetzt, ist der Onlinehändler Zappos mit einer Belegschaft von über 1.500 Personen.

Siehe auch

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Holokratie-Verfassung auf der Webseite von Holacracy One
  2. deutsche Übersetzung von dwarfs and giants, 2015
  3. holacracy.org: Article I: Energizing Roles (4. Februar 2017)
  4. holacracy.org: Article II: Circle Structure (4. Februar 2017)
  5. holacracy.org: Article III: Governance Process (4. Februar 2017)
  6. holacracy.org: Article IV: Operational Process (4. Februar 2017)
  7. holacracy.org: Article V (4. Februar 2017)
  8. structureprocess.com
  9. Hertie Energy & Environment Network: / Checklist Checkliste. Abgerufen am 27. Mai 2018: „"..."“
  10. Nils Tißen: MeCracy - Kultur & Kollaboration bei Me & Company. In: Me & Company Internetseite. Me & Company GmbH, 25. Januar 2019, abgerufen am 25. Januar 2022 (deutsch).
  11. Mein Grundeinkommen e.V.: Starterkit / Checklist. (PDF) Abgerufen am 24. Juli 2017: „"As an organization we are structured based on the principles of holacracy"“
  12. Deutschlandfunk.de, Wirtschaft und Gesellschaft, 28. Dezember 2015, Eleonora Pauli: Cheflos arbeiten durchs ganze Jahr