Karlheinz Stockhausen

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Karlheinz Stockhausen, 2004

Karlheinz Stockhausen (* 22. August 1928 in Mödrath, heute zu Kerpen; † 5. Dezember 2007 in Kürten-Kettenberg) war ein deutscher Komponist. Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.

Leben

Karlheinz Stockhausen im Studio für Elektronische Musik des WDR im Oktober 1994

Stockhausens Vater Simon Stockhausen, ein Volksschullehrer, starb im Zweiten Weltkrieg. Seine als depressiv geltende Mutter Gertrud (geborene Stupp) wurde am 27. Mai 1941[1] in der Tötungsanstalt Hadamar[2] Opfer des systematischen Krankenmordes während der NS-Zeit. Aufgewachsen in ärmlichen, katholisch geprägten Verhältnissen,[3] studierte er nach seinem Abitur am städtischen, altsprachlichen Gymnasium, dem heutigen Nicolaus-Cusanus-Gymnasium Bergisch Gladbach, von 1947 bis 1951 an der Musikhochschule Köln Schulmusik mit Hauptfach Klavier sowie an der Universität zu Köln Musikwissenschaften, Germanistik und Philosophie. Seit 1950 war er als Komponist tätig, wobei er neue Formen der Musik schuf und auch auf dem Feld der Notation innovative Zeichen setzte. Von 1971 an war er Professor für Komposition an der Musikhochschule Köln, bis er dort 1977 gegen seinen Willen seines Amtes enthoben wurde.[4] Als Dozent und Verfasser zahlreicher musiktheoretischer Schriften und Essays, durch seine Tätigkeit für den Rundfunk sowie mit weit über 300 Eigenkompositionen, welche vielfach die Grenzen des technisch Machbaren verschoben, hat er die Musik des 20. Jahrhunderts deutlich mitgeprägt. 1951 heiratete er Doris Andreae, mit der er vier Kinder hatte, Suja (* 1953), Christel (* 1956), Markus (* 1957) und Majella (* 1961). Das Paar ließ sich scheiden und anschließend heiratete er 1967 die Künstlerin Mary Bauermeister, mit welcher er zusammen mit seiner vorherigen Ehefrau in einer Dreiecksbeziehung lebte. Aus dieser zweiten Ehe stammen die Kinder Julika (* 1966) und Simon (* 1967). Stockhausen und Bauermeister ließen sich 1973 scheiden.[5]

Stockhausen zeigte seine besondere musikalische Begabung schon als Schulkind (er spielte Klavier und Oboe); im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten des ärmlichen Lehrerhaushaltes oder später des Internates, in dem er Schüler war, wurde diese Begabung gefördert. Nach dem Krieg leisteten Engagements im Bereich der Volks- und Unterhaltungsmusik und des Jazz einen wichtigen Beitrag zum Lebensunterhalt des auf sich selbst gestellten Musikstudenten. Sein langjähriges Engagement als Pianist bei dem Zauberkünstler Alexander Adrion (der auch 1951 Trauzeuge war) brachte ihm eine Zeitungskritik als phantasievollem Improvisator ein, der eine Verbindung zwischen Vortragendem und Publikum schaffen könne.[6] Noch während des Musikstudiums wollte er Dichter werden (mit dem Brotberuf des Musiklehrers); er stand im Briefkontakt mit Hermann Hesse und schrieb Gedichte und Prosa.

Seine frühen Kompositionen wie etwa Chöre für Doris (zu denen er eigene Texte beitrug) sind noch eher traditionell. Ab den 1950er Jahren wendet sich Stockhausen z. B. mit Kreuzspiel oder Formel der seriellen Musik zu. Er gilt diesbezüglich insbesondere als Mitbegründer der sogenannten punktuellen Musik. Angeregt durch Olivier Messiaens serielles Werk Mode de Valeur et d’intensités (1949) nahm er an dessen Kompositionskursen (Rhythmik und Ästhetik) in Paris teil.

Karlheinz Stockhausen auf dem Schiras-Kunstfestival im Iran, 1972

Zwischen 1953 und 1998 arbeitete er eng mit dem Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks zusammen, zeitweilig auch als künstlerischer Leiter, und widmete sich dort verstärkt der elektroakustischen Musik. 1955 verwirklichte er in diesem Kölner Studio den Gesang der Jünglinge, das als eines seiner zentralen Frühwerke gelten kann. Er setzte mit dieser Produktion neue Maßstäbe auf dem Gebiet der Raummusik und realisierte mit – aus heutiger Sicht – spartanischen Mitteln elektronische Klänge und Klangtexturen, die man so vorher noch nie gehört hatte.

Fortan war Stockhausen national wie international als Dozent tätig, leitete über lange Jahre die Kölner Kurse für neue Musik. Bei der Expo ’70, der Weltausstellung im japanischen Osaka, war er 1970 mit seinen elektroakustischen Kompositionen der Anziehungspunkt im eigens für seine musikalischen Vorstellungen errichteten deutschen Pavillon, der Kugelform hatte und eine Beschallung auch von unten und von oben ermöglichte. 1972 feierte Stockhausen große Erfolge beim Schiras-Kunstfestival im Iran. Zu seinem Open-Air-Abschlusskonzert Sternklang kamen über 8.000 Besucher. Ab 1977 konzentrierte er sich auf die Vollendung von Licht, der mit 29 Stunden Gesamtspieldauer, verteilt auf sieben Tage, umfangreichsten Oper der Musikgeschichte. In ihr wie auch in anderen Bühnenwerken wie beispielsweise Inori aus dem Jahre 1973 strebte Stockhausen die Verbindung von szenischer, visueller, raumakustischer und musikalischer Idee zu einer Einheit an.

Nach Abschluss der Arbeit an Licht (die sieben Tage der Woche) widmete sich Stockhausen dem nächsten Großprojekt. Unter dem Titel Klang sollten die 24 Stunden des Tages in 24 Kompositionen für unterschiedliche Besetzungen vertont werden. Stockhausen ließ weiterhin verlauten, dass er plane, danach die 60 Minuten einer Stunde sowie die 60 Sekunden einer Minute zu vertonen. Doch schon den Zyklus Klang konnte Stockhausen nicht mehr vollenden.

Seit 1991 gab der Stockhausen-Verlag eine preisgekrönte Gesamtausgabe seiner Werke sowohl in Partituren als auch auf CD heraus. 1995 wurde er mit dem Bach-Preis der Freien und Hansestadt Hamburg ausgezeichnet, 1996 wurde Karlheinz Stockhausen die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin verliehen. Auf Einladung von Walter Fink war er 1999 der neunte Komponist im jährlichen Komponistenporträt des Rheingau Musik Festival. 2001 erhielt er den inoffiziellen Nobelpreis für Musik, den Polar Music Prize.

Neben der kompositorischen Arbeit war Stockhausen auch als Dirigent seiner eigenen Orchesterwerke aktiv. Die kompromisslose Ausführung und Planung seiner Werke wurden bewundert, aber auch kritisiert, und führten dazu, dass seine Musik im normalen Musikbetrieb zuletzt kaum noch aufgeführt wurde, da Stockhausen deren Aufführung nicht autorisierte. Stockhausen komponierte bis zu seinem Tod. Anfang November 2007, vier Wochen vor seinem Tod, nahm Stockhausen noch einen Kompositionsauftrag für ein neues Orchesterwerk für das Orchestra Mozart Bologna an – anlässlich seines 80. Geburtstags, den er 2008 hätte begehen können. Diesen Auftrag beendete er am Tag vor seinem Tod.

Grabstätte des Komponisten auf dem Kürtener Waldfriedhof

Karlheinz Stockhausen starb am Morgen des 5. Dezember 2007 in Kürten-Kettenberg bei Köln. Sein Werk umfasst nach Angaben seines Verlags 363 einzeln aufführbare Werke. Die Information der Stockhausen-Stiftung schließt Bearbeitungen des Hauptwerkes Licht in diese Summe ein, ebenso spätere Bearbeitungen früher Werke. Im Stockhausen-Verlag erschienen bisher 139 Compact Discs mit seinen Werken. Publikationen von und über Karlheinz Stockhausen sind im Verlag der Stockhausen-Stiftung für Musik erschienen.[7]

Nachleben

Nach Stockhausens Tod führen die Musikerinnen Suzanne Stephens und Kathinka Pasveer das Vermächtnis des Komponisten in seinem Sinne fort: mit Kontaktpflege, mit der Durchführung von Konzerten in aller Welt, mit der Verwaltung der Stockhausen-Stiftung und des umfangreichen Archivs und nicht zuletzt mit der Organisation der alljährlichen Stockhausen-Kurse und Konzerte. Bereits 1997 fand in Stockhausens Wohnort Kürten der erste von dann alljährlich im Juli/ August folgenden Stockhausen-Kursen statt: Jahr für Jahr lädt die Stiftung namhafte Stockhausen-Interpreten und -Interpretinnen ein, die mit Studierenden Stockhausens Werke einüben und öffentlich vorführen – dies auch im Rahmen von Vorträgen und Kursen für Interpreten, Komponisten, Klangregisseure und Musikwissenschaftler.

Zum Werk von Stockhausen siehe auch

Werkverzeichnis

Stockhausen hat 370 einzeln aufführbare Werke geschrieben.

Ein vollständiges Verzeichnis siehe unter Liste der Werke von Karlheinz Stockhausen.

Besonders einflussreich waren:

  • Kreuzspiel Nr. 17 für 6 Instrumente, 1951. Stockhausens erstes serielles Werk.
  • Kontrapunkte Nr. 1 für 10 Instrumente, 1952/53. Stockhausens erste gedruckte Komposition.
  • Klavierstücke I–IV. Nr. 2, 1952. Entstehung der Gruppenform.
  • Studien I/II Nr. 3, 1952–53. Elektronische Musik.
  • Klavierstücke V–X Nr. 4, 1954. Variable Form.
  • Zeitmaße Nr. 5 für 5 Holzbläser, 1955–56. Variable Form, Zeitorganisation.
  • Gruppen Nr. 6 für 3 Orchestergruppen, 1955–57. Raummusik, Gruppenform, Zeitorganisation – eines seiner bekanntesten Werke dieser Zeit.
  • Klavierstück XI Nr. 7, 1956. Vieldeutige Form, Aleatorik.
  • Gesang der Jünglinge Nr. 8, 1955–56. Elektronische Musik, Religiöser Text, Raummusik, Momentform – wahrscheinlich sein bekanntestes Werk.
  • Zyklus Nr. 9 für einen Schlagzeuger, 1959. Eines der frühesten Schlagzeugsolostücke in der Neuen Musik.
  • Refrain Nr. 11 für Klavier, Vibraphon und Celesta, 1959/68. Variable Form.
  • Kontakte Nr. 12 Elektronische Komposition oder für Klavier, Schlagzeug und Tonband, 1958–60. Zwei Versionen: Tonband allein oder Verbindung elektronischer Klänge mit Instrumentalklängen.
  • Momente Nr. 13 für Sopran, Chor und 13 Instrumente, 1962/69/88. Momentform.
  • Plus-Minus Nr. 14, 1963. Konzeptkomposition; Graphik mit Anweisungen, die für eine Aufführung ausgearbeitet werden muss.
  • Mikrophonie I Nr. 15 für Tamtam und Live-Elektronik (6 Ausführende), 1964.
  • Solo Nr. 19 für ein Melodieinstrument und Live-Elektronik, 1966. Prozesskomposition eines Solisten im Dialog mit sich selbst.
  • Hymnen Nr. 22, elektronische Musik mit oder ohne 4 Solisten und/oder Orchester, 1966–67/69. Elektronisches Monumentalwerk mit Fremdmaterial (Nationalhymnen), politische Thematik.
  • Stimmung Nr. 24 für 6 Sänger, 1968. Obertonmusik.
  • Kurzwellen Nr. 25 für drei Spieler und Live-Elektronik, 1968. Prozesskomposition mit Radiogeräten.
  • Aus den Sieben Tagen Nr. 26 für beliebiges Instrumentarium, 1968. Intuitive Musik, Textkomposition.
  • Mantra Nr. 32 für zwei Pianisten und Live-Elektronik, 1970. Die erste Formelkomposition.
  • Inori Nr. 38 für zwei Darsteller und Orchester, 1973. Gebetsgesten, didaktische Präsentation der Formel, differenzierte Behandlung der Lautstärkegrade.
  • Tierkreis Nr. 4112 – 12 Melodien der Sternzeichen, 1974–75. Typisch für seinen Stil der 1970er Jahre; Werke aus dem Zyklus werden häufig aufgeführt, mannigfaltige Ausarbeitungen.
  • Sirius Nr. 43 Elektronische Musik mit/ohne Instrumentalisten, 1975–77. Multiformale Musik, erster Einsatz von Synthesizer und Sequenzer.
  • Michaels Reise um die Erde vom Donnerstag aus Licht Nr. 48 für Trompete und Ensemble, 1977–78. Die Fernsehproduktion des WDR ist im Internet vorhanden.
  • Licht, Die sieben Tage der Woche, Oper, komponiert 1977–2003.
  • Luzifers Traum – Klavierstück XIII vom Samstag aus Licht Nr. 51, 1981.
  • Synthi-Fou – Klavierstück XV aus Dienstags-Abschied vom Dienstag aus Licht Nr. 6123, 1990–91. Synthesizer auf der Bühne.
  • Helikopter-Streichquartett vom Mittwoch aus Licht Nr. 69 für Streichquartett, Hubschrauber und Live-Elektronik, 1992–93. Die vier Streicher des Quartetts sind separat in vier Hubschraubern.
  • Hoch-Zeiten vom Sonntag aus Licht Nr. 79 für Chor und Orchester, 2001–02.
  • Klang Nr. 81–101 für Solis oder Ensembles mit/ohne Elektronik, 2004–2007, unvollendet.

Siehe auch

Literatur

  •  Christoph von Blumröder: Die Grundlegung der Musik Karlheinz Stockhausens. In: Archiv für Musikwissenschaft. Beiheft 32, Steiner, Stuttgart 1993.
  •  Rudolf Frisius: Karlheinz Stockhausen I: Einführung in das Gesamtwerk; Gespräche mit Karlheinz Stockhausen. Schott Musik International, Mainz 1996, ISBN 3-7957-0248-8.
  •  Rudolf Frisius: Karlheinz Stockhausen II: Die Werke 1950–1977; Gespräch mit Karlheinz Stockhausen, „Es geht aufwärts“. Schott Musik International, Mainz, London, Berlin, Madrid, New York, Paris, Prague, Tokyo, Toronto 2008, ISBN 978-3-7957-0249-6.
  •  Jerome Kohl: Karlheinz Stockhausen: Zeitmaße. Landmarks in Music Since 1950. Routledge, London, New York 2017, ISBN 978-0-7546-5334-9.
  •  Michael Kurtz: Stockhausen – eine Biographie. Bärenreiter, Kassel, Basel 1988, ISBN 3-7618-0895-X.
  •  Herman Sabbe: Die Einheit der Stockhausen-Zeit …: Neue Erkenntnismöglichkeiten der seriellen Entwicklung anhand des frühen Werkens von Stockhausen und Goeyvaerts. Dargestellt aufgrund der Briefe Stockhausens an Goevaerts. In: Musik-Konzepte. 19: Karlheinz Stockhausen: … wie die Zeit verging …, Edition Text + Kritik, München 1981, S. 5–96.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 1. Aufsätze 1952–1962 zur Theorie des Komponierens. M. DuMont Schauberg, Köln 1963.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 2. Aufsätze 1952–1962 zur musikalischen Praxis. DuMont Schauberg, Köln 1964.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 3. Einführungen und Projekte, Kurse, Sendungen, Standpunkte, Nebennoten. DuMont Schauberg, Köln 1971, ISBN 3-7701-0493-5.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 6: 1977–84: Interpretation.. DuMont Buchverlag, Köln 1989.
  •  Karlheinz Stockhausen: Towards a Cosmic Music. Texts selected and translated. Element Books, Longmead / Shaftesbury / Dorset 1989 (übersetzt von Tim Nevill).
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 7. Stockhausen-Verlag, Kürten 1998.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 8. Stockhausen-Verlag, Kürten 1998.
  •  Karlheinz Stockhausen: Texte zur Musik 9. Stockhausen-Verlag, Kürten 1998.
  •  Robin Maconie: The Works of Karlheinz Stockhausen. Oxford University Press, London / New York 1976, ISBN 0-19-315429-3 (Mit einem Vorwort von Karlheinz Stockhausen).
  •  Robin Maconie: Other Planets: The Music Of Karlheinz Stockhausen. Scarecrow Press, 2005, ISBN 0-8108-5356-6.
  •  Mary Bauermeister: Ich hänge im Triolengitter. Mein Leben mit Karlheinz Stockhausen. München 2011, ISBN 978-3-570-58024-0.

Weblinks

Commons: Karlheinz Stockhausen - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
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Einzelnachweise

  1. Eintrag Gertrud Stockhausen 30.11.1900 - 27.05.1941. Gedenkbuch und Datenbank der Gedenkstätte Hadamar, 2006.
  2. Uwe Ebbinghaus: Wenn Du nicht brav bist, kommst Du nach Hadamar. FAZ.net, 29. Juli 2015.
  3. Am Himmel wandre ich. WAZ, 7. Dezember 2007.
  4. Claus-Steffen Mahnkopf: Die Humanität der Musik. Hofheim 2007, ISBN 978-3-936000-42-9, S. 13.
  5. Elisabeth Wehrmann: Karlheinz Stockhausen: „Er war mein Muserich“. Die Zeit, 13. Juni 2012.
  6. Kurtz: Stockhausen (1988), S. 69/70.
  7. karlheinzstockhausen.org


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