Talcott Parsons

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Talcott Parsons (* 13. Dezember 1902 in Colorado Springs, Colorado; † 8. Mai 1979 in München) war ein US-amerikanischer Soziologe. Er gilt als einflussreichster soziologischer Theoretiker vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis in die 1960er Jahre hinein.

Talcott Parsons ist mit einer Handlungstheorie hervorgetreten, hat diese zum Strukturfunktionalismus weiterentwickelt und diesen schließlich zu einer Soziologischen Systemtheorie ausgebaut. Seine Soziologie reagiert auf den vorherrschenden Empirismus in der angelsächsischen Soziologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Parsons entwickelte eine allgemeine soziologische Theorie und stellte Zusammenhänge mit anderen Gesellschaftswissenschaften her, insbesondere zu Ökonomie, Politikwissenschaft, Psychologie und Anthropologie.

Parsons handlungstheoretische Systemtheorie

Parsons geht aus von der Frage: Wie ist soziale Ordnung möglich? Er versucht, im Zuge der Beantwortung auch zu klären, wie das Verhältnis der Individuen zur Gesellschaft, in der sie leben, beschaffen ist. Gewöhnlich bearbeiten Soziologen einzelne Aspekte solcher Fragen. Parsons legt ein umfassendes Totalmodell vor, das "allgemeine Handlungssystem". Er entwickelt seine Theorie in Ausseinandersetzung mit den soziologischen Klassikern Max Weber, Durkheim u.a., und zieht Elemente aus der Biologie, Anthropologie und Psychologie hinzu.

Von Weber übernimmt Parsons die Ansicht, daß die soziale Handlung die Grundeinheit aller sozialen Ordnungen darstellt. Soziales geschieht im Handeln, wird durch Handeln realisiert, und muß von daher aufgefaßt werden. Von Durkheim übernimmt Parsons die Ansicht, daß das Soziale für sich existiert, eine Realität eigener Art ist, die in bestimmter Hinsicht von den Individuen unabhängig ist, ja durch ihre feste Ordnung Zwang auf sie ausübt. Aus der Anthropologie und der Psychoanalyse entlehnt Parsons Ansichten, die die Grundlage seines Menschenbildes sind und auch die Basis für sein Theoriemodell darstellen.

Soziale Handlung als Grundeinheit sozialer Ordnung

Anthropologische Annahmen

Im Gegensatz zu den Tieren ist der Mensch nur wenig oder garnicht instinktgeleitet. Seine ursprüngliche Natur, wie sie nach seiner Geburt vorliegt, ist durch plastizierbare Offenheit gekennzeichnet. Reize der Umwelt haben keine biologisch festgelegte Bedeutung. Instinktgeleitete Selektion der Wahrnehmung und der Verhaltenssteuerung findet nicht statt. Der Mensch ist insofern hinsichtlich seiner biologischen Ausstattung ein "Mängelwesen". Er ist so, wie ihn die Natur geschaffen hat, lebensunfähig. Der Mensch konnte sich in der Evolution behaupten, indem er sich, als Gruppe, eine künstliche Umwelt schuf, die "Kultur". Kultur stellt einen Ersatz dar für mangelhafte physiologische und instinktmäßige Ausstattung.

Psychologische Annahmen

Parsons verbindet diese anthropologischen Ansichten mit Annahmen über die psychologische Natur des Menschen, insbesondere der Sigmund Freuds. Aus der psychologischen Struktur des Menschen, wie Parsons ihn sieht, folgt auch, daß das Hauptmotiv von Handlungen jedes Individuums die Gratifikationsmaximierung ist. Es gehe den Menschen in erster Linie darum, Belohnungen, insbesondere Anerkennung, zu erlangen, und Strafen zu vermeiden.

Das handelnde Individuum in der Handlungssituation

Eine Möglichkeit, das Verhältnis Individuum - Gesellschaft näher zu bestimmen, besteht darin, zu untersuchen, wie "Gesellschaft", überhaupt alles Soziale, sich in Bewußtsein und Handeln des Individuums spiegelt. Als Handelnder steht der Mensch in einer Handlungsituation. Dies ist von Parsonss analog dem Verhältnis eines biologischen Organismus zu seiner Umwelt gedacht. In der Situation, der sozialen Umwelt des Individuums, findet es Objekte von dreierlei Art vor: (1) Physische Objekte, (2) Soziale Objekte, und (3) Kulturelle Objekte. Die sozialen Objekte sind die anderen Menschen. Die kulturellen Objekte sind gemeinsam geteilte Bedeutungen symbolischer Gehalte.

Das Soziale der Handlungssituation

Soziale Handlung ist definiert als ein Verhalten, das sinnhaft auf das Verhalten anderer bezogen ist. Soziales Handeln antizipiert die Reaktion anderer Handelnder. Dadurch entsteht eine Wechselbeziehung, die Interaktion. Sie ist gekennzeichnet durch Komplementarität der Erwartungen an das Handeln. Das Handeln hat reziproken Charakter, paßt mit dem Handeln anderer zusammen. Dieses Zusammenpassen der Erwartungen an das Handeln und der konkreten Handlungen selbst wird gewährleistet durch die Beobachtung gemeinsamer kultureller Symbolbedeutungen.

Das Kulturelle der Handlungssituation

Menschen einer gemeinsamen kulturellen Welt leben mit Gedanken und Vorstellungen über die Wirklichkeit, die einander ähnlich sind. Nach Parsons kommt dies durch die Sozialisation zustande (Siehe Abschnitt Sozialisation weiter unten). Die Handelnden interpretieren jede Situation unter Berücksichtigung der Werte und Normen ihrer Kultur, und der gegenseitigen Rollenerwartungen. Das Rollenspiel dient aus Sicht der Individuen dazu, ihre Motive zu verwirklichen und ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Es ist Ergebnis einer vorherigen Orientierung über die Handlungssituation. Parsons unterscheidet Motivorientierung und Wertorientierung.

Handlungsorientierung

Die Handlungsorientierung geht nach Parsons in zwei Schritten dem Akt der Handlung voraus. In der Motivorientierung bewertet das Individuum die Situation im Hinblick auf seine Bedürfnisbefriedigungschancen (Belohnungen, Grundbedürfnisse etc.), und entsprechender Motive anderer. In der Wertorientierung beurteilt es die Situation im Hinblick auf anwendbare oder anzuwendende Werte, Normen und Regeln. In seinen sog. pattern variables hat Parsonss fünf gewöhnlich in Frage kommende Verhaltenseinstellungen zur Situation vorgestellt. Danach orientiert sich das handelnde Individuum in einer sozialen Situation an folgenden Alternativen:

  • Selbstorientierung vs. Kollektivinteresse
  • Spezifisches Verhalten vs. diffuses Verhalten
  • Neutrales vs. affektives Verhalten
  • Universalismus vs. Partikularismus
  • Zuschreibung vs. Leistung

Damit ist in den Grundzügen dargestellt, wie nach Parsons Handeln stattfindet und aus der Sicht des einzelnen Individuums erlebt wird. Die spezifischen Selbstinterpretationen der Individuen und ihre Handlungsfähigkeiten, die erst Interaktionen zur Zufriedenheit aller gelingen lassen, sind jedoch nichts Selbstverständliches. Sie müssen im Prozeß der Sozialisation mühsam erworben werden. Im Sozialisationsprozeß wird "Kultur" angeeignet nicht nur als eine geordnete Welt von sozialen Objekten und kulturellen Werten, sondern, für die Perspektive des Individuums, als ein System von Gedanken, Vorstellungen und Ideen, das das Individuum Wirklichkeit überhaupt erst erfahren läßt, indem es diese "konstruiert" (Sozialkonstruktivismus).

Gesellschaft als soziale Konstruktion

Die erkenntnistheoretische Position Parsons ist ein analytischer Realismus.[1]Von daher ist für ihn die soziale Konstruktion analytische Systembildung, die Herstellung von Wirklichkeit durch Ordnung der Phänomene mittels systematisch geordneter Gedanken. Gesellschaft ist als ein von Menschen gedachtes System aufzufassen, das ihren Handlungen vorausgesetzt ist und sich durch das Handeln realisiert. Parsons nimmt an, daß diese Art, Wirklichkeit zu konstruieren, allen Menschen gemeinsam ist und aus ihrer anthropologischen Natur als "Mängelwesen" folgt. Parsons "allgemeines Handlungssystem" stellt gegenüber den Systemen des Alltags ein Wissenschaftssystem dar. Es handelt sich um analytische Systembildung zum Zwecke wissenschaftlicher Erkenntnis.

Parsons Begriffe von Struktur und System, Funktion, Rolle und Institution

Struktur und System

Unter Struktur versteht Parsons stabile, d.h. andauernde Anordnung von Elementen mit netzartigen Beziehungen. Sie ist, analytisch gesehen, eine Vorstufe des "Systems", das den Begriff der Struktur umfaßt und zusätzlich als an eine Umwelt grenzend gedacht wird, zu dem es Austauschbeziehungen unterhält.

Funktion

Funktion meint nach Parsons im Unterschied zu dem, was subjektiv gemeinter Sinn ist, die objektive Bedeutung von z.B. Handlungen, ihre Auswirkung in Handlungssystemen. Mit der funktionalistischen Methode werden "soziale Tatsachen" auf ihre objektive Bedeutung hin untersucht, d.h. im Hinblick auf ihre Funktion für das System, dessen Elemente oder Subsysteme sie sind.

Rolle und Institution

Rolle und Institution sind Begriffe, die zwischen Handeln und Sozialstruktur liegen und diese vermitteln. Eine Rolle ist ein Verhalten, das den Erwartungen entspricht und deshalb eine ordnungskonstituierende und -stablilisierende Handlung bzw. Handlungskette darstellt. Eine Sozialstruktur ist die Gesamtheit der Rollen und die ihnen zugeordneten Normen als Elemente bzw. Systemtypen, die zwischen Sozialsystem und dem Persönlichkeitssystem der Individuen vermitteln. Institutionen sind Rollensysteme, die einen hohen Grad an Verbindlichkeit haben, indem ihre Mißachtung bestraft(sanktioniert) wird. Sie bezeichnen weniger zu spielende Rollen als die Bahnen, in denen sich diese zu bewegen haben.

Das Handlungssystem und seine Subsysteme

Grundlegendes AGIL-Schema: Das Handlungssystem
Untergliederung des Handlungssystems nach dem AGIL-Schema

Alles Soziale, wie es für den Menschen wirklich ist, wird durch Handeln hervorgebracht. Deshalb nennt Parsons sein Modell "Handlungssystem". Er analysiert dieses System bis ins kleinste Detail. Nach den hauptsächlichen Zusammenhangsbereichen unterscheidet er vier Subsysteme.

  • Verhaltensorganismus
  • Persönlichkeitssystem
  • Soziales System
  • Kulturelles System

Diese Subsysteme gehören dem Handlungssystem insoweit an, als sie spezifische Funktionen ausüben für die Weiterexistenz und das Gleichgewicht des Handlungssystems. Sie stehen untereinander in Austauschbeziehungen (Interprenetation)und sind sich gegenseitig Umwelt. Daß Systeme sich zu erhalten suchen, und nach Gleichgewicht streben, d.h. nach einem Zustand friedlich harmonischen Zusammenspiels der Elemente, sind Ansichten, die Parsons der Biologie entnimmt.

Verhaltensorganismus und Persönlichkeitssystem

Dem Verhaltensorganismus(VO) kommt die Funktion der Anpassung an die Umwelt zu. Es steht nur zum Persönlichkeitssystem (PS) direkt in Beziehung, versorgt es mit vitaler Energie. Das PS vermittelt dem VO Steuerungsimpulse, die den energetischen Ausdruck strukturieren, hauptsächlich durch Motivgewohnheiten. Das PS ist die Charakterstruktur des Individuums mit seinen Motiven und Bedürfnisdispositionen. Besondere Bedeutung haben dabei nach Parsons das Streben nach Gratifikationsmaximierung sowie die positive Bewertung von konventionellem Verhalten im Hinblick auf die Gratifikationschancen (vgl. auch unten Abschnitt Kritik). Das PS steht mit den verschiedenen Sozialsystemen, wie z.B. die Familie eines ist, und dem umfassenden Sozialsystem, der "Gesellschaft", über Rollen in Beziehung.

Das Sozialsystem

Das Soziale existiert im Medium der Interaktionen, in denen einander reziproke Rollen spielen. Das bzw. die sozialen Systeme (SS) haben für das Handlungssystem die Funktion der Integration, der Zusammengehörigkeit und des Aufeinanderbezogenseins durch Gleichheit oder Ähnlichkeit. In den Interaktionen, in denen das SS wirkt, werden PS, SS, und das Kultursystem (KS) zum Einklang gebracht. Dies geschieht durch Mechanismen und Prozesse, die durch das Kultursystem gesteuert werden.

Das Kultursystem

Das KS steht in der Kontrollhierachie der Subsysteme an oberster Stelle. Es hat die oberste Steuerungskompetenz. In ihm sind die dem Handlungssystem zugehörenden Werte, Normen und Rollendefinitionen verankert. Es beinhaltet die den Handelnden gemeinsame Symbolwelt, der die gesamten Bedeutungen sozialer und kultureller Wirklichkeit zugeordnet sind. Über die Wertorientierung der Handelnden fließen die Inhalte des KS direkt in die Interaktionen ein, machen sie überhaupt erst möglich, indem sie gemeinsame Bedeutungen von Verhalten herstellen. An den Werten und Normen wird auch gemessen, ob ein Verhalten "richtig", d.h. rollenkonform ist. Bei für die Integration wesentlichem Verhalten wird Abweichung von der Norm bestraft, Befolgung der Norm wird durch Gratifizierung belohnt. Aus diesem Grund ist Konformität für die PS ein wichtiges Motiv, das Gratifikationsmaximierung verspricht. Dem KS kommt die Hauptfunktion der Strukturerhaltung zu. Es ist quasi das oberste "Programm", das die Anweisungen auch für die anderen "Programme", dem PS und SS, enthält. Allein die Sanktionierung des unmittelbaren Handelns genügt nicht, oder ist sogar nur ein sekundäres Mittel der Strukturerhaltung, das (sinnvoll) nur dort eingesetzt ist, wo ein anderes Mittel versagt (hat): Die Sozialisation der Individuen.

Sozialisation

In seiner Sozialisationstheorie verbindet Parsons psychologische Ansichten mit den genuin soziologischen. Mittels ihrer beantwortet Parsons die soziologische Leitfrage: Wie ist soziale Ordnung möglich? In der Sozialisation erlernen die Heranwachsenden, eine Identität auszubilden, für die die Einordnung in die Gesellschaft selbstverständlich ist. Außerdem wird die Fähigkeit erworben, Rollen auszuüben, d.h. so zu handeln, wie es die Gesellschaft erfordert. Zwei zusätzliche Dinge erreicht die Sozialisation: Affektmodellierung, d.h. Formung der zunächst unspezifischen Bedürfnisdispositionen des Kindes, und Übernahme der kulturellen Werte, ja des gesamten Bildes sozialer Wirklichkeit, wie es sich bisher in der Geschichte einer Kultur gebildet hat. Nach Bildung einer Grundstruktur der Persönlichkeit durch Verinnerlichung der Rollenerwartungen der Bezugspersonen und der Motiventwicklung durch Affektkontrolle kommt es zur Rollendifferenzierung, die im wesentlichen die "pattern variables" erfaßt. Je differenzierter das Rollenspiel einer Person, desto freier, "autonomer", kann sie sein, ohne die Regeln zu verletzen. Sozialisation ist ein umfassendes Lernen, bei dem die Anforderungen verinnerlicht werden und zwar so sehr, daß diese schließlich von dem PS "selbst" gewollt und gerne getan werden. Das Lernen vollzieht sich nach Parsons in Zyklen. Er sieht vier Phasen: (1) Nachsicht, Gewährenlassen, (2) Unterstützung, (3) Verweigerung der Reziprozität, (4) Selektive Belohnung.

Kritik

Parsons Modell kann unter den unterschiedlichsten Gesichtspunkten kritisiert werden.

Fragwürdige Voraussetzungen

Vieles, was in Parsons Modell als Voraussetzungen eingeht, wurde von ihm einfach als gesicherte Erkenntnisse anerkannt. Neben den psychoanalytischen und anthropologischen Annahmen, und Voraussetzung von* Systemeigenschaften wie etwa das Streben nach "Gleichgewicht" von Systemen (nicht hinterfragte Übernahme aus der Biologie), wirkt besonders das Prinzip der Gratifikationsmaximierung bedenklich. Wenn auch in modernen Gesellschaften empirisch dieses Verhalten festgestellt werden mag, und es die von Parsons behauptete Funktion wahrnimmt, so folgt daraus weder

  • daß es sich um ein universelles Prinzip handelt, das aus der Natur des Menschen entspringt, noch
  • daß es keine dysfunktionale Langzeitwirkungen hat, noch
  • daß es für die Funktion kein funktionales Äquivalent geben könne

Besonders deutlich läßt sich dies im Wirtschaftssystem sehen, wo das dem Gratifikationsstreben analoge Prinzip der Profitmaximierung wirkt: Kurzfristig scheint der Motor "Egoismus" seinen Dienst zu tun. Jedoch läßt eine Langzeitanalyse diesen Schluß keineswegs ohne weiteres zu. Ein Defizit der Parson'schen Soziologie ist die statisch-zeitlose Konzeption seines Modells und die Beschränkung der Funktionsanalyse auf kurzfristige Wirkungen.

Kritik aus der Perspektive von außerhalb des "Systems"

Neben solcher Kritik fragwürdiger Annahmen läßt sich seine Theorie danach bewerten, ob sie "gut" ist von einem Standpunkt, der außerhalb des "allgemeinen Handlungssystems" liegt. Kritik von solchem Standpunkt aus ist möglich, da die Theorie selbst Produkt des Individuums ist, mithin auch ein scheinbar objektives "Handlungssystem". Es besteht ein bezeichnender Widerspruch zwischen Parsons Annahme einer generellen Systembildung als Problemlösung des Individuums (und nicht eines PS, das eine Konstruktion ist), und der Behauptung, es sei für die Gesellschaft notwendig, daß sich die Individuen diesen selbstgeschaffenen Systemen unterwerfen. Man kann im Gegenteil annehmen, daß es ein großes Verhängnis darstellt, daß es zur durch Individuen unkontrollierbaren Systembildung kommt. Nicht so sehr, weil es deshalb keine persönliche Autonomie mehr geben könnte (die auch Parsons anerkennt), sondern weil der Menschheit insgesamt die Kontrolle über ihre eigene kulturelle Schöpfung zu entgleiten droht, und sie einigen fatalen Entwicklungen des "Systems" kaum noch gegenzusteuern vermag.

Die Grundfrage der Soziologie: Wie ist Gesellschaft möglich? bedarf insofern einer Erweiterung: Wie ist Gesellschaft langfristig und menschenwürdig, d.h. mit Steuerungskompetenz bei den Individuen, und nicht Steuerung durch anonyme, dem Menschen entfremdeten Systeme, möglich? Gibt es andere Möglichkeiten der Integration des sozialen Zusammenlebens wie diejenigen, wie sie durch die Brille der Systemtheorie beobachtet werden? Daß aus systematischen Gründen der Systemtheorie solch ein Zugang zum Problem nicht möglich ist, macht ihre generelle Fragwürdigkeit aus.

Einzelnachweise

  1. Parsons Aussagen beziehen sich gemäß seiner erkenntnistheoretischen Position des analytischen Realismus (entwickelt in Auseinandersetzung mit Lawrence J. Henderson und Alfred North Whitehead) nicht wirklich eins zu eins auf entsprechende empirische Fakten. Die von ihm postulierten Systeme gibt es so in Wirklichkeit nicht. Ein System ist ein "Begriffsschema und nicht das konkrete Phänomen" (Harald Wenzel 1990, S. 207). "Was über ein konkretes Phänomen erfahrbar ist, das hängt von seiner Interpretation im Rahmen des Begriffsschemas ab." (Matthias Junge: Die Persönlichkeitstheorie von Talcott Parsons, S. 109ff. in Schlüsselwerke der Identitätsforschung, Springer Verlag, 2010) "A system of scientific theory is generally abstract precisely because the facts it embodies do not constitute a complete description of the concrete phenomena involved but are stated 'in terms of a conceptual scheme', that is, they embody only the facts about the phenomena which are important to the theoretical system" (Parsons: The Structure of Social Action 1968 I, S. 41).

Siehe auch

Literatur

  • Harald Wenzel: Die Ordnung des Handelns: Talcott Parsons' Theorie des allgemeinen Handlungssystems, Suhrkamp (1991) ISBN 351858071X
  • Michael Opielka: Gemeinschaft in Gesellschaft: Soziologie nach Hegel und Parsons, VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2. überarb. Auflage (2006)